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Parfüm als Verräter

 

Parfüm als Verräter.

 

Es ist ein eigenartiges Schicksal, daß die schlauesten Spitzbuben oft durch irgend eine Dummheit, die sie begehen, der heiligen Hermandad in die Hände fallen. Die sonst mit allem Raffinement arbeitenden Hochstapler verraten sich schließlich durch eine einzige leichtsinnige Handlung, die bei einiger Überlegung leicht zu vermeiden gewesen wäre. Aber eine gewisse Sorglosigkeit, die sie durch das Bewußtsein, ständig in Gefahr zu leben, umfängt, wiegt sie in Sicherheit ein, und so kommt es, daß sie die Vorsicht, die sie sonst beobachten, außer acht lassen. So war es auch bei einem erst vor wenigen Jahren von dem rumänischen Gaunerpaar Alexander Lupasen und Nanette Michalescu in Berlin verübten, damals großes Aufsehen erregenden Perlendiebstahl. Nanette Michalescu gebrauchte ein bestimmtes Parfüm, das ihr zum Verhängnis wurde, denn nach diesem dufteten die unechten Perlen, die sie gegen das echte Kollier eingetauscht hatte. Und dieses Parfüm führte auf die Spur der hochstaplerischen Rumänin. Ja, das verräterische Parfüm! Wie oft war es schon zum Verräter geworden, wenn zum Beispiel der Gatte sich einen kleinen Seitensprung geleistet hatte. „An den Kleidern des Herrn Gemahls haftete noch der Duft, von dem die Gattin wußte, daß es die Rivalin liebte.“

Auch auf dem Gebiete der verschiedenen Düfte ist Paris für uns vorbildlich gewesen, und auch da übt die Mode ihre Herrschaft aus. Die echte Pariserin nun hat ihr „individuelles“ Parfüm, d. h. sie läßt sich bei einem der berühmten Fabrikanten, in deren Hexenküchen die wohlriechenden Essenzen gebraut werden, ihren Spezialextrakt zusammenstellen, und so hat sie ihr ganz eigenes, spezielles Parfüm. So kommt es, daß man sehr oft von dem Parfüm auf die Besitzerin, die es benutzt, schließen kann. Diese scharf riechenden Essenzen haben ja die Eigentümlichkeit, mit ihrem Geruch alles zu durchdringen, was mit ihnen in die allergeringste Berührung kommt. Hüte, Kleider und Mäntel, Strümpfe, ja die kleinsten Stiefelettchen strömen den Duft des Parfüms aus, das die Trägerin einmal benutzt hat. So intensiv ist er, daß er am Briefpapier und an den Kuverts monatelang vorhält. Das Zimmer, in dem eine Dame, die ein kräftiges Parfüm benutzt, auch nur eine kurze Zeit geweilt hat, gibt immer den Duft wieder, und so braucht man keineswegs ein Sherlock Holmes zu sein, um zu erkennen, wer in dem Raume gewesen ist. –

Zum Schluß noch eine kleine Geschichte, bei der auch das Parfüm zum Verräter wurde. Eine junge Dame, die sich verheiraten wollte, hatte ihre intimsten Freundinnen eingeladen, sich die Hochzeitsgeschenke anzusehen. Als die Freundinnen fort waren, merkte die Braut, daß ein wertvolles goldenes Armband, das Geschenk ihres zukünftigen Gatten, fehlte. Da niemand als ihre Freundinnen in dem Raum gewesen waren, so konnte nur eine von diesen den Diebstahl begangen haben. Während die junge Braut unter Tränen das leere Kästchen emporhob, fühlte sie auf einmal diesem ein starkes Veilchenparfüm entströmen, von dem sie wußte, daß es das Lieblingsparfüm einer ihrer Freundinnen war. Nun wußte sie auch, wer der Dieb gewesen war; die stark parfümierte Hand hatte zu deutliche Spuren hinterlassen, als sie den diebischen Griff ausführte.

Die Schuld des Mädchens war durch diesen merkwürdigen Selbstverrat so augenscheinlich, daß sie nicht leugnen konnte. Die Braut aber mußte mit einer Brautjungfer weniger zum Altar treten.

 

 

Anmerkung:

  1. Auch wenn der vorliegende anonyme Text vielleicht nicht von Walther Kabel stammt, so finden sich doch bemerkenswerte Übereinstimmungen mit dem Artikel Verräterisches Parfüm von W. K. (erschienen in: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1915 Band 3, S. 207–206).
    Die farblich unterlegten Passagen finden sich auch 1:1 in dem Text von Walther Kabel, wodurch eine zufällige Übereinstimmung eigentlich ausgeschlossen ist. Ein Grund dafür kann neben einer Autorenschaft des vorliegenden Textes von Walther Kabel aber auch eine Einarbeitung eines Fremdtextes sein. Es kann ebenso nicht ausgeschlossen werden, daß beide Autoren sich einer dritten Textquelle bedient haben. Ein gegenseitiges Abschreiben muß also nicht vorliegen, zumal der Text von Walther Kabel jünger und auch inhaltlich ausführlicher ist.