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Die Geschichte eines Zepters

 

Die Geschichte eines Zepters. Von W. Kabel.

 

Selten sind für die Krönung eines Monarchen so großartige Vorbereitungen getroffen worden, wie für die Kaiserkrönung Napoleons I. Nachdem Papst Pius VII. endlich zugesagt hatte, dem ersten Franzosenkaiser persönlich in der Notre-Dame-Kirche die Krone, die aus ineinander geschlungenen goldenen Lorbeerreisern bestand, aufs Haupt zu setzen, war es Napoleons nächste Sorge, sich für die festliche Zeremonie auch ein würdiges Zepter zu verschaffen. Ein neues wollte er nicht anfertigen lassen, vielmehr nur ein solches in der Hand tragen, das auf eine große, ruhmreiche Vergangenheit zurückblicken konnte. Da er nun gehört hatte, daß in einer englischen Privatsammlung noch ein Zepter Karls des Großen vorhanden sei, so wurde Denon, der damalige Direktor des Louvre-Museums, beauftragt, dieses Kleinod um jeden Preis herbeizuschaffen.

Denon reiste, wohlversehen mit Geld, nach London und fand denn auch wirklich bei einem Altertumshändler denjenigen Gegenstand, der bisher allgemein für das Zepter des berühmten Karolingerkönigs angesehen wurde. Es war dies ein aus Silber gefertigter, fünfeckiger, spiralig gewundener Stab, der unten in eine silberne Kugel endigte, auf der geheimnisvolle Zeichen eingeritzt waren. Das andere Ende des Stabes krönte die sauber gearbeitete Figur Karls des Großen, der auf dem Throne saß und Zepter und Reichsapfel in den Händen hielt. Dieses kleine Kunstwerk war nach heutigem Maße 61 cm lang und konnte seiner ganzen Ausführung nach sehr gut ein Zepter vorstellen. Und trotzdem war es, wie der gelehrte Denon bald merkte, alles andere eher als ein Reichskleinod aus Karls des Großen Tagen. Was bisher niemandem gelungen war, nämlich die Entzifferung der geheimnisvollen Zeichen auf der Kugel des angeblichen Zepters, das gelang dem kunstverständigen Franzosen. Er stellte fest, daß ein Teil der Zeichen alte Notenschrift vorstellte, die übrigen aber waren stark verwischte, altfranzösische Buchstaben und enthielten eine Widmung des Kirchenchores der St. Peters-Kirche in Rom an ihren Dirigenten Milosta, einen berühmten päpstlichen Musiker des vierzehnten Jahrhunderts.

Mit einem Wort – das Zepter Karls des Großen war nichts als ein Taktstock, allerdings ein überaus kostbarer.

Der schwer enttäuschte Denon sagte zu niemandem etwas von seiner Entdeckung. Er zahlte dem Antiquitätenhändler nach einigem Feilschen den geforderten Preis. Der war nicht einmal besonders hoch, da der Engländer nicht ahnte, daß er einen Beauftragten des Franzosenkaisers vor sich hatte. Denon kehrte mit dem gefundenen Reichskleinod nach Paris zurück, wo er sofort durch einen verschwiegenen Goldschmied die Widmung auf der Kugel in „Sanctus Carolus Magnus“ umändern und die Notenzeichen entfernen ließ. Jetzt erst legte er Napoleon das Zepter vor, der sich über dessen Erwerb hochbefriedigt zeigte. Am 2. Dezember 1804 hielt der Kaiser dann bei seiner Krönung als erblicher Kaiser der Franzosen in der Notre-Dame-Kirche das silberne Zepter des großen Karolingers in der Hand.

Auf welche Weise nun der wahre Ursprung dieses Zepters bekannt geworden ist, hat sich nicht ermitteln lassen. Jedenfalls erschien bereits ein Vierteljahr nach der Krönung in einer Pariser Zeitung ein hohngewürzter Artikel, der den Betrug mit dem Zepter aufdeckte. Als Napoleon hiervon Kenntnis erhielt, ließ er den verantwortlichen Leiter des betreffenden Blattes, der den Verfasser des Artikels nicht nennen wollte, kurzer Hand ins Gefängnis werfen. Vier ganze Jahre konnte der Ärmste sich da überlegen, daß es höchst unklug gewesen war, einen Mann, wie den neuen Kaiser, auf diese Art zu reizen. Denon, der das Zepter seinerzeit in London gekauft und es stets als echt ausgegeben hatte, widerlegte in einem regierungsfreundlichen Blatt in langen, hochgelehrten Ausführungen die Angaben jenes Artikels, und damit war die Sache für alle Zeiten begraben. Später schenkten dann die französischen Großstädte dem Kaiser aus Anlaß der ersten Wiederkehr des Krönungstages ein neues Zepter, das aus Gold gearbeitet und mit Brillanten reich besetzt war. Dieses wird noch heute im Louvre-Museum aufbewahrt. Das silberne Zepter Karls des Großen aber, oder richtiger der Taktstock des päpstlichen Kapellmeisters Milosta, ist nie wieder in der Öffentlichkeit erschienen und wahrscheinlich auf Befehl Napoleons vernichtet worden. Der korsische Kaiser scheint demnach den frommen Betrug damals ebenfalls durchschaut zu haben, ohne daß er Denon daraus jedoch einen ernstlichen Vorwurf gemacht hätte.