Aus der Geschichte der Straßen. Von W. Kabel.
Wie aus Bildnissen an den Pyramiden hervorgeht, bestand schon im alten Ägypten ein hochentwickelter Straßenbau. Gleiches gilt von Assyrien und Babylonien. Der Geschichtsschreiber Herodot erwähnt die 300 Meilen lange Kunststraße, die in dem altpersischen Weltreich von Sardes in Lydien nach Susa in Iran führte und sogar in gewissen Entfernungen mit Unterkunftsräumen für die Reisenden versehen war. Auch in Peru, Indien und China hat man Überreste von Wegen entdeckt, die mit Steinplatten belegt waren. Sicher ist, daß die ältesten Wegweiser in der Form von Götzenbildern mit ausgestreckten Armen in China errichtet worden sind.
In Griechenland gab es Spurstraßen, auf denen sich die Räder der Wagen in den in Fels eingehauenen Furchen bewegten. Berühmt ist der Wegebau der Römer.
Man schätzt die Länge der zu Ende der römischen Kaiserzeit vorhandenen großen Heeresstraßen des Weltreiches auf acht- bis zehntausend Meilen. Noch lange nach dem Zerfall des Römerreiches dienten diese aus Steinen mit Mörtelverkittung hergestellten Straßen dem allgemeinen Verkehr, bis sie bei mangelnder Pflege gänzlich unbrauchbar wurden. Dieses Schicksal teilten auch die in Deutschland gelegenen Römerstraßen. Fortan gab es in Deutschland lediglich unbefestigte Wege, die nur in der guten Jahreszeit benutzbar waren. Erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts begann eine Besserung dieser Verhältnisse, hauptsächlich nachdem die Postanstalten mehr und mehr an Bedeutung gewonnen hatten.
Ähnlich erging es den Straßen in jenen Städten, die dereinst die Mittelpunkte bedeutender Kulturländer gewesen waren.
Die sauberen Steinplattenpflaster der altberühmten Orientstädte verwahrlosten ebenso wie die wertvollen Mosaikpflaster der griechischen und römischen Hauptstädte. Auch hier wurden erst wieder nach Jahrhunderten feste, gepflasterte Straßenzüge angelegt, die allerdings mit den früheren Luxusstraßen auch nicht die entfernteste Ähnlichkeit hatten. Die Straßen der deutschen Städte befanden sich noch bis in das 14. Jahrhundert hinein in einem schauderhaften Zustande. Sie waren ungepflastert, von Pferdehufen zerstampft und wiesen tiefe, von breiten, ungefügen Rädern eingeschnittene Gleise auf. Unrat aller Art bedeckte sie, üble Düfte erzeugend; für Fußgänger waren sie lebensgefährlich. Hätte doch selbst Kaiser Friedrich III. im Jahre 1485, als die Straßenpflasterung in größeren Städten bereits allgemein geworden war, bei einem Besuche der freien Reichshauptstadt Reutlingen beinahe mit seinem Pferde im Schmutze ein unrühmliches Ende gefunden.
Nur zögernd entschlossen sich die deutschen Städte zur Pflasterung ihrer Straßen, und selbst dann beschränkte man sich in der Regel auf den Marktplatz und die Hauptstraßen.
Den Anfang machte Prag 1331. Nürnberg folgte erst 1368, Bern 1399, Regensburg 1400 und die Breslauer Sandinsel 1406. Zur Pflasterung wurden Kieselsteine verwendet, die ein sehr brauchbares Material abgaben, aber für Fußgänger sehr unangenehm gewesen sein sollen. Die große Reichs- und Handelsstadt Augsburg begann erst 1416 mit der Pflasterung, nachdem 1413 ihr vom Kaiser Sigismund ein von allen Fuhrwerken zu entrichtender Pflasterzoll bewilligt worden war. Daher wird man auch verstehen, daß es Aufsehen erregte, als Nürnberg im Jahre 1495 seinen Marktplatz vollständig neu pflasterte. Wien soll auch schon zu jener Zeit ein gutes Pflaster gehabt haben, und noch heute bezeichnet man mit „Wiener Pflaster“ Pflastersteine bester Art.
Erst am Ende des 15. Jahrhunderts gingen auch die kleineren deutschen Städte daran, ihre Straßen durch Pflasterung zu verbessern.
In vielen Fällen griffen die Städte zu ganz eigenartigen Mitteln, um möglichst billig zu dem notwendigen Steinmaterial zu gelangen. So erließen mehrere mitteldeutsche Stadtgemeinden Verordnungen, nach denen jede Person, die das Stadttor von außerhalb kommend durchschritt, der Torwache eine bestimmte Anzahl von Feldsteinen in der Größe von mindestens zwei Männerfäusten abliefern mußte. In Hamburg war die Anzahl der Steine für jeden Fußgänger auf 3, für jeden Wagen auf 8 festgesetzt. Daß sich in steinarmen Gegenden aus dieser Verordnung heraus ein neuer Handelszweig entwickelte, ist leicht zu verstehen. Vor den Stadttoren hatten schlaue Unternehmer ganze Steinlager aufgeschichtet und machten mit ihrem schweren Handelsartikel gute Geschäfte. Denn in der nächsten Umgebung der Städte war sehr bald kein Stein mehr zu entdecken, und die Leute sahen sich gezwungen, ihren Bedarf bei den Steinhändlern zu decken. In anderen Städten wieder wurden Übertretungen der Polizeiverordnungen Jahre hindurch nicht mit Geld- oder Freiheitsstrafen belegt, sondern durch den Befehl, eine bestimmte Straßenstrecke pflastern zu lassen.
Mit Granitbahnen belegte Bürgersteige wurden erst zu Anfang des 19. Jahrhunderts eingeführt. 1825 gab es z. B. in Berlin erst vier Straßen mit Fußsteigen. Die Granitbahnen waren damals eine teure Ware, und die Besitzer kleinerer Häuser konnten kaum die Mittel erschwingen, um sie, wie vorgeschrieben, zu legen. Das sahen die städtischen Behörden ein. Unter dem 26. Mai 1829 beschloß der Berliner Magistrat eine eigentümliche Verquickung von Bürgersteig und Hundesteuer; danach sollten die Hauseigentümer für die neuen Granitbahnen nur mit einem Drittel der Kosten herangezogen werden, zwei Drittel aber durch eine neu einzuführende Steuer, die Hundesteuer, aufgebracht werden. Im Jahre 1830 wurde zum ersten Male in Berlin die Hundesteuer eingeführt, und im Jahre 1833 eine eigene Verordnung erlassen, welche aus dem Ertrag dieser Steuer den Grundbesitzern die Zurückerstattung von zwei Dritteln des Kostenpreises zusichert. Durch Einführung dieser Kosten gelangt es, bis zum Jahre 1840 die meisten belebten Straßen des damaligen Berlin mit guten Bürgersteigen zu versehen. Diesem Beispiele Berlins folgten die meisten großen Städte Deutschlands, so besonders Stettin, Hamburg, Halle, Stuttgart und auch Wien. Wir verdanken also zum Teil unseren vierfüßigen Freunden die Bequemlichkeit unserer heutigen Bürgersteige.