Von Reinhold Hansche
Wen von uns fesselte nicht der Anblick eines Dorfkirchleins! Sei es, daß es aus den Kronen breitästiger Ulmen hervorluge, sei es, daß es von bewaldeter Höhe herniederschaue, immer wieder werden wir uns daran erfreuen. Denn gerade in den Kirchenbauten drückt sich die Eigenart von Land und Leuten am deutlichsten aus, insofern Klima und Bodenbeschaffenheit den Baustil bedingen und die Dörfler das ihrige dazu tun, dem Kircheninnern ihren Wesenszug aufzuprägen.
Im Rheinland und den angrenzenden Gebieten, wo viel Schiefer gebrochen wird, sind auch die Kirchen vorwiegend aus diesem Material hergestellt, dessen Dauerhaftigkeit uns eine ganze Reihe uralter Bauwerke bis heutigen Tages erhalten hat. Kriegesstürme sind im Laufe der Jahrhunderte über das Land dahingebraust, vieles ist zerstört worden, aber erhalten geblieben ist beispielsweise ein so eigenartiges Bauwerk wie die Kirche zu Schwarzrheindorf bei Bonn, deren romanische Formen uns in das elfte Jahrhundert zurückversetzen. Es ist eine Doppelkirche, denn sie enthält zwei Kirchenräume übereinander, in denen zu gleicher Zeit Gottesdienst stattfinden kann. Durch eine Öffnung im Estrich des oberen Raumes kann man in den unteren hinabschauen. Ihr Äußeres zeigt in der Höhe des oberen Geschosses einen von romanischen Rundbögen überwölbten Chorumgang. Wie wenige von all denen, die alljährlich vom Deck der Rheindampfer in die blühende Landschaft blicken, mögen den Weg zu der uralten Dorfkirche finden, deren Spitzturm sie von weitem grüßt!
Auch auf der Eifel und im Moseltale sind alte romanische Dorfkirchen erhalten geblieben. Eine der größten ist wohl die Kirche in Carden, die drei Türme aufweist.
Von ihrem Chorumgang aus schaut man weit über den Strom, der schnell dahinfließt und das Bild des alten Bauwerks in smaragdener Klarheit widerspiegelt. Von hier ist es gar nicht weit bis zum Kochemer Krampen, einer Krümmung der Mosel oberhalb der gleichnamigen Kreisstadt, an der sich Dorf an Dorf reiht. Fast alle diese Dörfer haben alte Kirchen mit schönen Turmhelmen, die aus dem Grün alter Nußbäume hervorschauen. Eine der schönsten ist die Kirche von Beilstein, welches Dorf zur Zeit der Romantiker ein Malernest war. Sie ist zwar nicht so alt wie die von Bruttig oder Aldegund, bildet aber einen Höhepunkt der Landschaft, mit der sie ganz wundervoll harmoniert. Von dem Grün der Weinberge hebt sie sich prächtig ab, zumal sie auf sanfter Anhöhe erbaut ist und, wie eine Glucke über die Küchlein, über den schiefergedeckten Winzerhäusern zu ihren Füßen hingelagert ist. Aus romanischer Zeit stammt auch die schlichte Kirche des Moseldorfes Müden, deren Turm noch völlig unversehrt ist.
Steigt man aus dem Moseltale über die Weinberge zur Höhe des Hunsrück empor und wandert über diese weiter zum Nahetale, so wird man auch dort manches Kirchlein aus alter Zeit antreffen. Romanische Formen treten hier aber seltener auf, und in Niedernhausen können wir eine rein gotische Dorfkirche bewundern, die aus einem Gewirr von Profanbauten emporsteigt. Spitzbogenfenster von ansehnlicher Höhe zieren ihre Wände, und das einfache Satteldach des Turmes wird von einem verschieferten Erkertürmchen gefällig unterbrochen. Gotische Formen zeigen sehr viele unserer Dorfkirchen, denn es wurde zu jener Zeit, da Wohlstand im Lande herrschte, viel gebaut. Nur am Rhein, der Pfaffengasse des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, ist der romanische Baustil noch häufiger anzutreffen. Am Oberrhein, da wo der Schwarzwald breite Strecken Landes bedeckt, tritt ein anderes Baumaterial zu dem bisherigen, dem Stein, hinzu, nämlich das Holz. Zwar sind die Kirchenschiffe auch hier aus Stein erbaut, aber man sieht viele geschindelte Dächer und Türme. Vornehmlich Kapellen, die einsam in den Weinbergen und Wäldern liegen, werden meist geschindelt. Ein eigenartiges Dorfkirchlein steht zu Herrischwand im Schwarzwald, es hat einen so beschränkten Innenraum, daß die Treppe zum Boden und Turm außen angebracht werden mußte. Von der kleinen Glockenstube aus schweift der Blick über Felder und Wälder, die sich in duftige Ferne verlieren, wo die schwäbisch-bayrische Hochebene zu den Allgäuer Alpen emporsteigt.
Die schlichte welsche Haube der mitteldeutschen Turmhelme, die, wie in Hessen, meist geschiefert oder geschindelt ist, wird in Bayern von dem Zwiebelturm abgelöst, der freilich mehr in Nieder- als in Oberbayern zu Hause ist. Wo sich als Hintergrund der Dörfer steile Bergwände erheben, hatte man das Bedürfnis nach strebenden Formen. So entstanden die Kirchen von Garmisch-Partenkirchen und Nieder-Grainau, die Spitztürme besitzen. Ihre hellschimmernden Wände heben sich prächtig vom Blau der Bergwände ab, und Gärten und saubere Häuser umgeben sie. Es ist ein Genuß, in dieser Gegend zu wandern und zu schauen. Wenden wir uns nun der Maingegend zu, so erwarten uns reizende Bilder, wie beispielsweise das Dorf Erlabrunn, das mit seinem Kirchlein wie in Grün eingebettet liegt. Den Main hinauf und hinab drängen sich die Eindrücke förmlich, so viele Dörfer mit altertümlichen Kirchen liegen dort. An den Ufern des Flusses schnattern die Enten, Fähren vermitteln den Verkehr, und wehrhafte Mauern umgeben zuweilen, wie in Frickenhausen, die Ansiedlungen. Nördlich des Frankenwaldes aber und jenseits des Thüringer Waldes treffen wir auf Dorfkirchen, die völlig aus Buntsandstein erbaut sind. Dieser Stein wird in ganz Mitteldeutschland gebrochen und hat sowohl in Hessen wie in Thüringen und einem Teile von Sachsen die Bauweise bestimmt. Die Kirchen liegen hier, auf der Hochebene, häufig frei und sind nicht immer von Bäumen umgeben wie in Niederdeutschland; aber sie machen mit ihren geschieferten Turmhelmen fast stets einen stattlichen Eindruck. –
Folgt man den alten Heerstraßen, die von Westen nach Osten unser Vaterland durchqueren, so findet man hier und da rheinische Bauformen wieder, so in Braunschweig und im Harz. Auch hier vereint sich das bodenständige Material, Bruchstein, Schiefer und Holz, zu einem malerischen Eindruck von hoher Schönheit, wie man an den alten Kirchen von Ilsenburg und Gernrode erkennen kann. In Niedersachsen, wo sich namentlich der Holzbaustil entwickelt hat, entstanden jene zahlreichen Sinnsprüche, wie man sie, in Kirchengestühle eingekerbt, in manchen Dorfkirchen der Lüneburger Heide noch heute finden kann. Wie selbstbewußt klingt es, wenn man an der eichenen Seitenwand eines Stuhles die Worte liest: „Dat is Hinrich Lüning sin Stool!“
Mitunter steht in jenen Gegenden ein hölzerner Glockenturm neben einer turmlosen, aus Findlingssteinen erbauten Kirche, die nur ein Dachreiter ziert, wie in Visselhövede. Andere niedere, aber feste Kirchen liegen völlig inmitten alter Eichenhaine versteckt, über die nicht einmal die massigen Türme hinausragen. Eine solche ist die Kirche von Meinerdingen, um die herum sich alte bildgeschmückte Leichensteine aus Sandstein gruppieren, die von Melde und Nesseln förmlich überwuchert sind. Wenn man einen solchen Denkstein näher betrachtet, findet man darauf Figuren eingemeißelt, deren Trachten auf das sechzehnte Jahrhundert hinweisen. Von jeher haben hier, zwischen Weser und Elbe, freie Bauerngeschlechter gesessen, ganz im Gegensatz zu den Gebieten östlich der Elbe, wo der Landadel sich mit den Städten in den Besitz der Dörfer teilte. Da wo Meer und Land zusammentreffen und sich meilenweite Marschen ausdehnen, liegen wie Inseln im grünen Meer der Saaten niedrige Hügel, die man in Vorväterzeiten künstlich aufgeschichtet hat, sogenannte Wurten, auf denen die einfachen Kirchen erbaut sind, und die zugleich als Kirchhöfe dienen. Die ältesten dieser Kirchen sind aus Findlingssteinen erbaut, und ihre Gründung darf in das elfte oder zwölfte Jahrhundert versetzt werden. Alle haben hochgelegene schießschartenähnliche Fenster, denn sie dienten in Kriegszeiten als Zufluchtsort der Bevölkerung, und ihre festen Türme bildeten oft die letzte Zuflucht bei feindlichen Einfällen. Von ihren Wurten blicken einige dieser uralten romanischen Kirchlein noch heute über Marsch und Deich hinweg auf das Meer hinaus, nur umgrünt von niedrigem Weidengebüsch und schiefgewehten Eschen. Die alten freien Friesen, die hier hausten, hatten eine Vorliebe für Seefahrt und Seeräuberei; in ihren Kirchen pflegten sie ihre Trophäen aufzuhängen. Jetzt sind dieselben verschwunden, nur die alten bildgeschmückten Taufsteine sind als Zeugen jener fernen Tage stehengeblieben. In späterer Zeit erbaute man auch Sandstein- und Backsteinkirchen, wie denn der Backstein nach und nach das wichtigste Baumaterial in Niederdeutschland wurde, das zur Zeit der Gotik einen ganz eigenen Stil hieraus entwickelte. Namentlich in der Mark Brandenburg, wo ihn die Zisterzienser einführten, kam der Backsteinbau zu höchster Blüte.
Es gibt wohl kaum eine reizendere Idylle als solch ein altes gotisches Kirchlein, das zwischen Kastanien und Linden versteckt liegt und nur wenig über die umgebenden Hausdächer und Scheunen emporragt. Oft spiegelt es sich in einem verschilften See oder einem Dorfteiche. Mitunter liegt es tiefer als die Dorfgasse, und der Kuckuck streicht im Mai mit hellem Rufe über den niedrigen hölzernen Kirchturm, dessen rostige Wetterfahne vom Westwinde schiefgedrückt ist.
Aber nicht überall haben sich diese altehrwürdigen Kirchlein erhalten. Was die Hussiten nicht vernichten konnten, ging oft genug in den Stürmen des Dreißigjährigen Krieges zugrunde. Die Wetterfahnen vieler märkischer Dorfkirchen zeigen eine Jahreszahl nach sechzehnhundertachtundvierzig.
Alle diese Kirchen sind bei der Armut des Landes aus Fachwerk neuerbaut worden, tragen schlichte hölzerne Türmchen und sind, wenn sie nicht einem Patronat unterstehen, auch im Innern bescheiden ausgestattet. An Stelle der ehemaligen Taufsteine hat man zuweilen bemalte schwebende Engel, die an einer Kette von der Decke herabgelassen werden können und das Taufbecken halten. An den Wänden hängen Totenkronen mit bunten Bändern, Gedächtnistafeln für die Gefallenen und deren Kriegsdenkmünzen; dazu eine barocke Kanzel und wolkenbemalte Holzdecke über der kleinen Orgel. Ist aber ein Patronatsherr ein Mann auf dem rechten Fleck gewesen, der ein Herz für seine Leute hatte, so drückt sich das auch in der Ausstattung der Kirche aus. Ein Musterbeispiel hierfür ist die Dorfkirche zu Wustrau in der Mark, welches Dorf Friedrichs des Großen Kampfgenosse, der General von Zieten, besaß. Umbuscht von mächtigen Linden liegt das Kirchlein bescheiden, doch anmutig zu seiten der breiten Dorfaue. In der Vorhalle Trophäen aus dem Siebenjährigen Kriege, im Innern ein hoher Chor mit Orgelwerk und Herrschaftsgestühl, darunter die Bänke für die Gemeinde. Hier ein Bild, da ein Spruch, sonst nichts, was auf des Ortes Bedeutung hinwiese. Draußen aber, im Schatten der Kirchenwand, trägt ein einfacher Feldstein, den man auf der Feldmark ausgrub und hier aufrichtete, die Inschrift: „Hier ruht Hans von Zieten, der Vater aller Husaren.“ Da ruht er, ein rechter Herr, mitten unter seinen Bauern, und unter einer der alten Linden ruht sein Sohn, der letzte seines Geschlechts. Im Grase aber picken die Hühner, und bunte Falter huschen von Blume zu Blume.
An warmen Sommertagen öffnet der Küster zuweilen die Kirche, um frische Luft einzulassen, dann kann man eintreten und den Turm besteigen, aus dessen Luken man einen weiten Rundblick über den Ruppiner See genießt. Das Dorfkirchlein von Gnevikow grüßt herüber, und seine Uhr schlägt die Mittagsstunde. Das kann die Wustrauer Uhr auch, und dröhnend schlägt der Klöppel an das Erz der alten Glocke. „Soli Deo Gloria“, so steht es auf vielen alten Glocken zu lesen, soweit sich das unter der fast stets vorhandenen Kruste von Schwalbendünger entziffern läßt. Auch hier sind diese niedlichen Vögelchen tätig gewesen. Im Gebälk haben sie ihre Nester angeklebt; ab und zu huscht ein Schwalbenpärchen durch die Schallöcher herein, um seine Nestjungen zu füttern. Die Gewichte des Uhrwerkes sind an Stricke geknotete Feldsteine von der Gemarkung, das ist althergebrachte Sitte.
In mancher märkischen Dorfkirche finden sich noch alte zerschlissene Fahnen, die von den Patronatsherren in den Türkenkriegen oder zur Schwedenzeit erbeutet und an den Pfeilern aufgehängt wurden, so in Klein-Machnow, das den Hakes gehörte. Rings um die Reichshauptstadt ist eine Anzahl schlichter Dorfkirchen zu sehen, deren Ursprung weit zurückliegt. Sie tragen fast alle das gleiche Gepräge, denn sie verdanken den Templern ihre Entstehung. Sie zeigen schießschartenähnliche Fensteröffnungen und sind durchweg von unten bis oben aus Findlingen erbaut. Die Kirche von Tempelhof ist die älteste, schön gelegen, aber mit später aufgesetztem zierlichem Turm. Die Kirche von Marienfelde wirkt schon echter, am markantesten aber die von Bukow. In Besitz dieser Templerdörfer kamen später die Johanniter, die ihre Fühler immer weiter nach Osten ausstreckten, was man in der Odergegend beobachten kann. Hier gründeten sie die Komturei Lietzen, deren Gebäude zum Teil noch wohlerhalten sind. Die Lietzener Komtureikirche liegt heute in Flieder und Linden fast vergraben zu seiten des Gutshofes. Wenn das Glöcklein den Abend einläutet und die blasse Mondsichel hoch am wolkenlosen Himmel steht, dann wandelt es sich schön im Schatten der grünen Linden. Ihre Zweige pochen, vom Abendwinde bewegt, an die erblindeten Scheiben, und die Spatzen begeben sich zur Ruhe in die Rüstlöcher der Chorwand. Die Lietzener Kirche ist ein gotischer Backsteinbau, ebenso wie die Kirche in Quartschen. Wir sehen, wie die Johanniter die Oder bald überschritten hatten, denn Quartschen liegt in der Neumark, und zwar an dem Flüßchen Mietzel, dessen versumpfte Ufer den bei Zorndorf geschlagenen Russen einst so verhängnisvoll wurden. Die Kirche ist von drei Türmchen flankiert und enthält Wandmalereien; sie ist hoch und geräumig, ein Beweis, daß sie viele Andächtige aufzunehmen bestimmt war. Wie klein und winzig wirken dagegen einige märkische Dorfkirchen, die im Laufe der Jahrhunderte förmlich in die Erde gesunken zu sein scheinen! In Alt-Rosenthal liegt solch ein Miniaturkirchlein im Schatten breitästiger alter Kastanienbäume, die es förmlich in ihren Schutz nehmen.
In den Weichselgegenden setzten die Deutschritter die Tradition des Backsteinbaues in zahlreichen Kirchen fort. Die Polenkriege haben nicht vermocht, mehr als die Türen zu beschädigen. Diese sind deshalb zuweilen in einem späteren Stil aufgesetzt. Manche schön gelegene Kirchen, wie die zu Pehsken, sind von großen Ausmaßen und von weither sichtbar. Sie zeigen gewöhnlich eine schön stilisierte Chorwand. – In Hinterpommern herrscht ebenfalls der Backsteinbau vor, und manches alte Dorfkirchlein drückt sich in die hohen Dünen, gleichsam Schutz vor dem Seewinde suchend. Im Spreewalde stehen nur Fachwerkkirchen. Der durchlässige feuchte Boden hat nicht genügende Tragfähigkeit, um steinerne Kirchen darauf zu erbauen. Wo man auch sein mag, im Süden oder Norden unseres Vaterlandes, die Dorfkirchen sind stets Dokumente der Zeit.
Es geht ein stiller Zauber aus von solchen Orten, sie sind Stätten des Gedenkens und der Sammlung, und wo man sie antrifft, sollte man verweilen, denn sie haben einem etwas zu sagen, das der laute Mund der Menschen verschweigt. Den Hauch der von ihnen ausgehenden Stimmungen in einer Skizze einzufangen, ist lohnend. Gerade jetzt ist es Zeit, zu solcher künstlerischen Andacht hinauszupilgern in die zu neuem Leben erwachte Natur. Alle Wege hat sie köstlich bereitet und wartet, daß wir sie beschreiten.