Von R. Hansche
Als tiefschwarze Silhouette hebt sich das Dörfchen vom azurblauen Abendhimmel ab, über den ein letztes Nachleuchten gleichsam hingehaucht ist. Seitlich von dem aus breitästigen Rüstern hervorlugenden niedrigen Kirchturm blinkt der Abendstern und spiegelt sich im Bache, der hinter dem Landrücken, auf dem das Dorf liegt, durch die Wiesen fließt. Weit und breit ist es still geworden; der laute Lärm des Tages ist verstummt, und nur die Grillen zirpen im Grase. Ernst und finster steht der Föhrenwald, der Wiesen und Felder in weitem Umkreis begrenzt. Am Seeufer raschelt der Wind im Röhricht, aus dem das Gezwitscher der Schilfrohrsänger zu hören ist, dem sich schüchtern die ersten Froschstimmen beimischen. Hier und da schimmert ein erleuchtetes Fenster und bringt einen warmen rötlichen Farbton in die kühlen Töne der Landschaft. Mitunter huscht ein großer Vogel lautlos an mir vorüber, vermutlich eine Eule, die ihren Schlupfwinkel verlassen hat, um auf Fledermäuse zu pirschen, die ihrerseits den Nachtfaltern und Käfern nachstellen. Unter den alten Föhren, die das ansteigende Seeufer umkränzen, ist es schon völlig dunkel geworden, und nur vom Wasser her dringt ein fahler Lichtschein. Auf der Blöße, wo nur junges Holz steht, unterscheide ich, da sich das Auge bereits an die Dunkelheit gewöhnt hat, bald Stubben und Wurzelwerk, Moospolster und Grasbüschel. – Die Nacht ist warm. Das ist so recht das Wetter für Abendpfauenaugen und Bären, Lindenschwärmer und Nachtmotten. Stellt man ein Taschenlaternchen ins Kraut, so umschwärmen sie es, und ihre zarten Farben heben sich prächtig vom dunklen Hintergrunde ab. Ihr Leben ist nur kurz, und der Gefahren, die sie umlauern, sind viele. Spitzmäuse, Frösche und Vögel, darunter die gefräßige Nachtschwalbe, stellen ihnen eifrig nach.
Jetzt knickt es im Unterholz, ein Rudel Rotwild zieht über die Blöße und verschwindet im Hochwalde; es zieht zur Tränke am Seeufer, wo seine Fährten im Uferschlamm tagsüber sichtbar sind. Langsam folge ich ihrem Wechsel und kann mit dem Fernglase beobachten, wie sie sich dunkel vom etwas helleren Wasserspiegel abheben. Die Stelle wo sie geweilt und ihre Losung gelassen haben, wird von den pfiffigen Fröschen gern besucht, denn dem Wild folgen Insekten, die zu erschnappen ihre Aufgabe ist.
Am Ufer liegt ein Kahn, den ich losmache und mit dem Handruder lautlos fortbewege. Bald treibe ich mitten auf dem See und lasse das Ruder ruhen. Der Wald ist nur als ein schmaler Saum am Horizont sichtbar, über mir aber flimmern Abertausende von Sternen am nächtlichen Firmament. Die Venus ist nicht mehr sichtbar, aber das schöne Sternbild des Orion leuchtet zu mir hernieder. Deutlich tritt der Aronsstab hervor und in seiner Achse der Sirius. Fast im Zenit steht der Polarstern, der seit uralten Zeiten dem Seefahrer die Nordrichtung angibt. Wie ein zarter Schleier wirkt die Milchstraße, jenes Trümmerfeld zersprengter Welten, von der sich klar und hell das Sternbild der Kassiopeia abhebt. – Leise gluckst das Wasser am Kahnboden und mahnt mich, daß ich nicht zu weit abtreibe. Also langsam und lautlos wieder zurück zum Ufer und zwischen den vorgelagerten Rohrkampen festgemacht. Hier ist ein ausgezeichneter Standort, wenn man Beobachtungen anstellen will! Nicht einmal nachts geben die Rohrsperlinge Ruhe; schon von weitem kann man ihre plärrenden Stimmen deutlich unterscheiden. Sie verdrängen sich gewiß gegenseitig von den Schlafplätzen, oder unterhalten sich darüber, wie man heuer der zahllosen Mücken Herr werden soll, die sich im Röhricht umhertreiben. Ja, das Röhricht, es bietet allerlei Getier Schutz und Zuflucht. Soeben fällt schnatternd eine Kette Enten ein, die fröhlich gegründelt hatten, bis sie ein Fischotter vertrieb. Er ist nicht der einzige Räuber, der hier haust; auch die Wasserratten holen allsommerlich eine ganze Anzahl Junger aus den schwimmenden Nestern der Haubentaucher und Wasserhühner. Am Ufer aber schleicht das große Wiesel entlang, um zu sehen, ob nicht ein Wasserspitzmäuschen zu erbeuten sei. Die Sommernacht ist immerhin so hell, daß man die plumpen Leiber der Frösche auf den Mummelblättern gerade noch erkennen kann, während die Blüten sich deutlich von ihrer Umgebung abheben. Sehr graziös wirken die dunkel gegen die Nachtluft stehenden Schilfhalme mit ihren breiten strebenden Blättern und zitternden Blütenbüscheln, desgleichen die blühenden Binsen. – Das Froschkonzert ist jetzt in vollem Gange und wirkt so aufreizend, daß selbst ein paar Dorfköter einfallen, deren Gekläff von ferne herüberklingt. Die Frösche lassen sich dadurch aber durchaus nicht stören, erst als mein Kahn, den ich zum Ufer lenke, die Mummelblätter streift, plumpsen die Sänger kopfüber ins Wasser. Verträumt wandre ich nach Hause, werfe im Vorbeigehen einen Blick in den Wirtshausgarten, wo noch eine Schar Wandervögel lärmt, und trete in meine Kammer. Durch das geöffnete Fenster blicke ich noch einmal zum gestirnten Himmel empor, dann lege ich mich zur Ruhe nieder und wiege mich in den schönsten Sommernachtstraum.