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Warum?

 

»Warum?«

Eine Betrachtung von R. Hansche

 

Wie mannigfaltig erscheint uns das Spiel der Formen und Farben in der Natur, scheinbar regellos, und doch ist alles nach ganz bestimmten Grundsätzen und aus innerer Notwendigkeit gebildet und entstanden. Der Kunstschüler, den die Gründe aller Erscheinungen interessieren müssen, wird durch eingehende Beobachtung den Dingen näher zu kommen suchen, indessen manches mag ihm entgehen, auf das hier hingewiesen sei, denn nur die innere Wahrheit einer Darstellung macht diese zu einem Kunstwerk. Bei herbstlich gefärbten Blättern wird man beispielsweise beobachten, daß die Verfärbung zuerst an den Rändern auftritt, während die Stiele und das Geäder noch grün erscheinen. Woran liegt das? Das rührt daher, daß der Pflanzensaft sich aus den feinsten Blattadern bereits in die größeren, dem Stiele näher liegenden, zurückgezogen hat, die deshalb noch saftgefüllt erscheinen. Nach und nach verläßt der Saft auch sie und tritt durch die Blattstiele in die Zweige zurück. Dann fallen die Blätter, denn die Stiele geben ihnen keinen Halt mehr. Im Verlaufe des Herbstes tritt der Saft aus Zweigen, Ästen und Stamm in das Wurzelwerk des Baumes zurück, von wo er erst im Februar wieder emporzusteigen beginnt. Während also die Rinde eines Baumes über Winter stumpf erscheint, leuchtet sie im Frühling in satter Färbung und sieht ganz blank aus, denn sie strotzt von Saft. Unsere Weide, die an feuchten Orten wächst, läßt das gerade am deutlichsten erkennen, wenn sie jung und die glatte Rinde noch nicht borkig geworden ist.

Daß Moose und Flechten ihre Formen bei Feuchtigkeit zu größter Fülle entwickeln, ist bekannt; auch ihre Farben sind dann am schönsten. Man breite einmal ein Stückchen graues Flechtenmoos, wie es an unseren Kiefern wächst, auf einem weißen Papier aus, und man wird finden, daß es sehr schöne Muster bildet, die sich zu ornamentalen Entwürfen benutzen lassen. Wie sehr Moos von Feuchtigkeit abhängig ist, zeigt der Umstand, daß es stets an der Wetterseite der Bäume, bei uns also an der Nordwestseite, auftritt, während die andere frei davon ist. Aus demselben Grunde wächst es auch unter der Traufkante der Baumwipfel am dichtesten. Die Wetterseite hat aber noch eine andere Bedeutung, und zwar für den Baumwuchs als solchen. In dichten Schonungen wachsen erfahrungsgemäß alle Bäume gleichmäßig gerade in die Höhe, weswegen man ja Schonungen anlegt. In freierer Lage geben sie dem vorherrschenden Winde nach, der sie etwas in seiner Richtung zur Seite drückt. Ganz deutlich wird das am Meeresstrande, wo der Wind eine solche Gewalt hat, daß er die Bäume mitunter bis zu einem Winkel von 45 Grad niederdrückt. Junge Stämme, die dem Winde schutzlos preisgegeben sind, wachsen oft genug erst einige Meter fast wagerecht am Erdboden dahin, ehe sie emporzukommen vermögen. Schützt dagegen ein Dünenzug eine Waldung, so wächst diese bis zur Kammhöhe fast senkrecht empor, um erst dann seitlich abzuweichen, wenn sie der volle Winddruck trifft. An der mecklenburgischen Küste findet man Buchenwälder dieser Art, zum Beispiel bei Doberan und Heiligendamm, oder auch in Vorpommern bei dem Dörfchen Ahrenshoop, das Kunstschülern zu empfehlen ist. Hier umgeben noch uralte Weißdornhecken mit baumartigen Stämmen alte strohgedeckte Häuser mit tief herabgezogenen Dächern, die beweisen, daß wir uns in einer regenreichen nordischen Zone befinden. Je mehr Regen eine Landschaft zu verzeichnen hat, um so spitzgiebliger sind die Dächer der Häuser, damit das Regenwasser schnell ablaufen kann. In den Alpenländern dagegen sind die Dächer flacher, denn sie sollen eine Schneelast tragen, die das Haus wärmt. Es wäre also grundfalsch, einen landschaftlichen Entwurf, der eine solche Gebirgsgegend darstellt, mit spitzgiebligen Häusern zu staffieren. Das flache Schindeldach der oberbayerischen und Tiroler Häuser ragt außerdem so weit vor, um dem Obergeschoß Schatten zu gewähren, was diese Häuser sehr malerisch erscheinen läßt.

Wenn wir schon an unseren heimischen Küsten beobachten können, welchen Einfluß Wind und Wetter auf den Pflanzenwuchs ausüben, so wird das an solchen Gestaden, die den Nordweststürmen ganz besonders ausgesetzt sind, noch sinnfälliger. Es gibt da an der schwedischen Westküste ein Naturschutzgebiet; es befindet sich auf der der Provinz Halland vorgelagerten Insel Väderö, in dem uralte, aber schief und flach gewachsene Eichen stehen, wie man sie sonst wohl nirgends erblicken dürfte. Hier schützt keine Düne Sträucher und Bäume, mühselig haben sich diese in jahrhundertelangem Kampfe mit dem Winde emporgerungen von dem felsigen Strande, den die Wogen umbranden. Wo die Bäume hoch aufs Gebirge hinaufsteigen, oder auch im hohen Norden, werden sie nur klein und bilden die sogenannten Latschen oder das Knieholz. Auf Dünensand können sich wegen seiner außerordentlichen Sterilität Pflanzen ebenfalls nur bis zu einem gewissen Grade entwickeln. Während die Dünen auf der Seeseite nur mageren Strandhafer und Immortellen tragen, wachsen auf der Leeseite auch fettere Gräser, namentlich am Fuße derselben. Dort bilden sich infolge des aus der Düne sickernden Wassers Wiesen, die als Viehweiden benutzt werden. Die Dünen selbst steigen von der Seeseite allmählich an, fallen vom Kamme nach der Landseite aber jäher ab. Das liegt daran, daß die Sandkörner, die vom Winde bis auf den Kamm geweht werden, ein Stück weit frei durch die Luft fliegen, um dann erst weiter unten niederzufallen. Das alles ist bei entsprechenden Entwürfen wohl zu beachten. Daß sich unsere Vögel nur unter ganz bestimmten Bedingungen zu ernähren vermögen, ist bekannt. Also kann ein Eichelhäher, dessen Heimat der Wald ist, niemals auf gänzlich waldlosem Gelände vorkommen. Solche Darstellungen würden falsch sein, ebenso wie ein Bild, das eine Lerche, die auf dem Acker lebt, im Walde darstellte. So viel sei gesagt, um den Kunstschüler zur Erkenntnis von Ursache und Wirkung anzuregen. Nur die völlige Beherrschung des Stoffes führt zu jener künstlerischen Freiheit, die wir alle erstreben.