Von Reinhold Hansche
Aus dem Tal heraus führt ein schmaler Pfad auf die Höhe eines Bergzuges, der, sich von Norden nach Süden erstreckend, das Bruchland in sanfter Schwingung umfaßt. Er ist mit dem verschiedensten Baumwuchs bestanden. Hoch- und Niederwald wechseln untereinander ab, Waldblößen geben den Blick frei und finstere Dickichte nehmen ihn völlig gefangen. Es entsteht dadurch eine Reichhaltigkeit an Formen und Farben, die der Maler kurzweg „Gegensätze“ nennt. Ohne sie kein wirksames Bild, sei es nun, daß sie stark oder zart sind. Das Malerauge sieht die Natur unwillkürlich auf jene Werte an, die ein Bild ausmachen, und ebenso wird der Kunstschüler handeln müssen. Indem wir uns dies vor Augen halten, steigen wir den verschwiegenen Pfad weiter empor, der uns zunächst an eine verlassene Sandgrube führt, deren Ränder von Bärlappgewächsen und jungen Birken überhangen sind. Prächtig kontrastiert der gelbe Sand mit dem Grün einer darunterliegenden Waldwand, die im Schatten liegt und violette Töne zeigt. Wäre die Waldwand nicht beschattet, so würde sie zwar ebenfalls einen starken Gegensatz zu dem beleuchteten Sand bilden, der aber schreiender und wenig wohltuend wäre.
Aus der Helligkeit treten wir in ein dichtes Tannicht[1] ein, das in tiefem Schatten liegt; nur wenige Sonnenlichter, die fast weiß erscheinen, finden den Weg bis zum nadelbedeckten Erdboden. Hier herrscht das starke tieftonige Violett der Stämme vor, das nur hier und da vom Silbergrau der Flechten unterbrochen wird; wo aber ein Sonnenstrahl einen Stamm streift, da leuchtet er in sattem Goldton auf. Nach kurzer Wanderung treten wir auf eine freiliegende Höhe hinaus, die eine weite Fernsicht gewährt. Die schräg abfallende Höhe ist mit niederen Tannen bestanden und von Buchenschößlingen besäumt, alte und malerische Buchen stehen nahebei im Hochwalde. Den Abschluß der Fernsicht bildet eine blaue Bergwand, deren ruhige Fläche von den senkrechten Linien der zu unseren Füßen wachsenden Tannen angenehm unterbrochen wird. Hier sind es also nicht nur die Gegensätze der Farben Grün und Blau, die zur Wirkung beitragen, sondern auch die der Formen.
Weiter führt der Pfad durch Buchenwald. Hier herrscht ein tiefgrüner Grundton vor, denn Schatten lagert unter dem Gezweig. Nur wenige, förmlich metallisch glänzende grüngoldene Sonnenkringel zittern am Boden. Der Pfad wird immer schmaler und durchquert ein tief eingeschnittenes Tal, das von Wasserfäden durchrieselt wird und völlig von wildem Hopfen überwuchert ist. An den wenigen Stellen, die Sonne empfangen, haben sich Falter und Waldbienen gesammelt, um vom Saft einzelnstehender Birken zu naschen, der als Harz austritt. Wie Sterne leuchten dazwischen die Blüten der Brombeeren, und die Blumen der Waldrebe geben durch ihr zartes Violett eine vermittelnde Note in die Gesamttönung.
Auf der jenseitigen Höhe nimmt uns ein wirres Tannicht auf, das in eine Waldblöße übergeht, die über und über mit halbmannshohem Adlerfarn und Krüppeltännchen bestanden ist. Eine einheitliche Gesamttönung ist aber erst wieder zu bemerken, als der Pfad einen raumen Kiefernbestand kreuzt. Hier herrscht Sonnenbeleuchtung, überall hin flutet das Licht, umspielt dichte Himbeerhecken, deren rote Früchte aus dem Blattgewirr hervorlugen, überhaupt eingesprengte Tannenorte mit warmem Schimmer und regt die Vögel in den Wipfeln zum Wettgesang an. Und in diesem Akkord von Grün die weißen Stämmchen junger Birken und die zartrosigen Blüten des Weidenröschens.
Ein erfrischender Duft flutet uns von einer kleinen Waldwiese entgegen, die soeben gemäht wird. Noch steht die eine Hälfte voll blühender Luzerne; die einzelnen Blüten schimmern wie zierliche Krönchen im Sonnenlicht.
Der Weg ist zum Kammweg geworden, er führt immer auf dem Grat des Bergzuges hin und läßt den Blick nach beiden Seiten ins Land schweifen, Während er sich nach links über andere Waldhöhen und Täler verliert, dringt nach rechts in Violett, Kobalt und Ultramarin[2] der Fluß bis zu meilenweit entfernten Bergzügen, die sich in Dunst hüllen. Nach links also alle Abstufungen in Grün, nach rechts in Violett, Kobalt und Ultramarin. Der Vordergrund spielt nur noch als untergeordneter Gegensatz eine Rolle, bestimmend wirken die Farben von Mittelgrund, Ferne und Luft.
Nach einiger Zeit senkt sich der Weg und lenkt durch ein Gebüsch wilder Rosen in eine sandige Schlucht ein, die von Kiefern bestanden ist. Ihre phantastisch geformten, vom Regen bloßgelegten Wurzeln halten den lockeren Erdboden zusammen, den bunte Kiesel und Feuersteine bedecken. Auch eine Grasart tritt hier auf mit roten Stengeln und silbergrauen Blütenrispen, ein entzückender Gegensatz im kleinen. Hier und da liegen erratische Blöcke herum und geben der Landschaft einen anderen Charakter als bisher. Heidekraut wächst bis über den Weg, der sich auf eine sandige Halde absenkt. Schiefgewehte junge Birken sind außer dem Heidekraut die einzigen Ansiedler, und es entsteht der in allen Heidegegenden wiederkehrende Gegensatz von kräftigem Purpurrot, leuchtendem Weiß und Grün der Birken und dem duftigen Blau der Ferne.
Alle diese Gegensätze lassen sich mit verhältnismäßig wenigen Farben erreichen. Dunkler Krapplack und Ultramarinblau sowie Kobalt dienen in allen möglichen Mischungen zur Darstellung der Ferne. Lichter und gebrannter lichter Ocker sind Farben des Mittelgrundes, wohlverstanden nicht unvermischt. Womit man sie zu mischen hat, ergibt die Beobachtung. Als Grün sei immer wieder Permanentgrün und Chromoxyd empfohlen, als leuchtendes Gelb zur Aufhöhung Kadmium hell und dunkel. Es empfiehlt sich, beim Malen mit Wasserfarben auch Zinkweiß zu führen, mit dessen Beimischung man Guasch[3] malen kann, welche Technik der nordischen Natur mit ihren duftigen nebelgeschwängerten Tönen sehr nahe kommt.
Anmerkungen: