Von Reinhold Hansche
Es macht auf den Maler stets einen komischen Eindruck, wenn er Ausflügler rastlos einer berühmten schönen Aussicht zustreben sieht; keine Mühe scheuen sie, um nur ja so schnell wie möglich das Ziel ihrer Sehnsucht zu erreichen. Sind sie dann auf solch einem Aussichtspunkt angelangt, so brechen sie in Rufe des Entzückens aus, die der Maler seinerseits wohl versteht, aber nicht unbedingt anzuerkennen vermag. Ganz abgesehen davon, daß derartige Orte nur allzu häufig im Zeichen der Fremdenindustrie stehen, hat er an einer sogenannten schönen Aussicht noch etwas anderes auszusetzen, das ihm viel wichtiger erscheint, nämlich den Mangel eines allmählichen Überganges vom Vordergrunde zur Ferne, der für eine günstige Bildwirkung unerläßlich ist. Wie würde sich der Laie wundern, wenn er eine schöne Aussicht, für die er sich begeistert hatte, bildlich dargestellt sähe. Er würde sie ja wohl auch schön finden, zu guter Letzt aber in die bei Laien allgemein gebräuchlichen Worte ausbrechen: „Ja – aber – ich weiß nicht!?“ Sehr richtig, denn er weiß wirklich nicht, woran es liegt, daß er keine restlose Befriedigung empfindet. Es ist eben der Mangel eines Überganges, den er instinktiv empfindet, ohne sich dessen bewußt zu werden.
Hieraus kann nun der Künstler folgendes entnehmen. Uns alle spricht eine schöne Fernsicht gleichermaßen an; es kommt hierin die Wesensart des menschlichen Geistes, ins Schrankenlose zu schweifen, zum Ausdruck. Daß hochgelegene Punkte diesem Drange in etwas Genüge leisten, liegt auf der Hand. Es werden also Bilder, die eine schöne Fernsicht erkennen lassen, beim Publikum immer Anklang finden; es handelt sich nur darum, solche Aussichtspunkte zu wählen, die eine gute Linienentwicklung nicht vermissen lassen. Diese ist gewährleistet, wo sanft geneigte Ebenen vom Vordergrunde zur Ferne hinüberleiten. In den Vorbergen der Hochgebirge, noch mehr im gewellten Hügelgelände finden sich solche Übergänge in Hülle und Fülle. Es klingt sonderbar und ist doch wahr, daß die Flachlandschaft reicher an solchen Linien ist als das Bergland. Hier genügt schon eine verhältnismäßig kleine Erhebung, um einen weiten Gesichtskreis zu gewinnen. Man denke nur an die sanften Bodenwellen der Lüneburger Heide oder an die langgestreckten Dünenrücken der Mark Brandenburg, wo stets schöne Linien vorhanden sind und der Reiz der Ferne durch das Zusammentreten von Wald und Wasser noch erhöht wird.
In der Natur wirkt alles durch den Gegensatz der Dinge zueinander. So würde die bildliche Darstellung einer Felsplatte, hinter der unvermittelt die Ferne erscheint, zwar wirksam sein, aber einen unausgeglichenen Eindruck machen. Dieser Ausgleich würde sich einstellen, sobald im Mittelgrunde verbindende Formen auftreten, so daß der Eindruck eines leeren Luftraumes zwischen Vordergrund und Ferne aufgehoben wird. Also anstatt des Vorbeiziehens von Linien am Auge des Beschauers, ein Hineinführen von solchen in das Bild. Dadurch wird der Eindruck vermieden, den Künstler kurzweg „ein Loch in der Natur“ nennen. Dem Kunstschüler sei also hiermit Vorsicht gegenüber den sogenannten schönen Aussichten angeraten; vielleicht steigt er nicht allzu hoch, um dadurch um so sicherer zu fliegen. Führt ihn sein Weg aber ins Hochgebirge, so wird er den Reiz der Firnen und Grate auch in ihrem organischen Zusammenhange suchen.
Verbindungen zwischen Vordergrund und Ferne sind in solchen Höhen mitunter nur durch geschickte perspektivische Anordnung von Wolkenzügen herzustellen.
Ganz besonders sei vor panoramaartigen Aufnahmen von Fernsichten gewarnt, solche wirken als Bild stets langweilig, es sei denn, daß sie ein Panorama zur Anschauung bringen sollen. Namentlich der Anfänger will es niemals glauben, wie wenig Elemente zu einem Bilde gehören, und doch ist das so einleuchtend. Des Menschen Auge kann eben nur einen beschränkten Gesichtskreis umfassen, und es empfindet vollste Harmonie nur dann, wenn ihm kein Zwang angetan wird, was bei Vereinigung allzuvieler weit auseinander liegender Gegenstände im Rahmen eines Bildes geschehen würde.