Von Reinhold Hansche
Mit 4 Abbildungen
Wer Gelegenheit hat, sich in unserem Vaterlande umzuschauen, wird hier und da auf ehrwürdige Zeugen einer großen Vergangenheit stoßen, die sich bis heutigen Tages erhalten haben. Es sind das die Burgen und festen Edelsitze.
Aus der Not der Zeit entstanden, sowohl zum Angriff wie zur Abwehr eingerichtet, suchte man sie möglichst sturmfrei anzulegen. In bergigem Gelände war das leicht zu erreichen, indem man vorspringende Felskuppen oder isolierte Bergkegel benutzte; im Flachlande behalf man sich mit geringen Bodenerhebungen, zog dafür aber Wassergräben rings um die zu befestigenden Orte; ja, man errichtete Burgen selbst inmitten von Strömen und Seen, wenn die Bodenverhältnisse es erlaubten. Wir haben also zwischen Höhenburgen und Wasserburgen zu unterscheiden. Erstere sind fast immer malerisch gelegen. Das Sichanpassen an die natürlichen Bodenverhältnisse, das Ausnutzen der oft kleinsten Grundfläche hatten eine Gruppierung der einzelnen Bauten zur Folge, die ebenso zweckmäßig wie eindrucksvoll war.
Da wo Flußtäler das höhere Land durchschneiden, finden wir die meisten Burgen. Entwickelte sich doch auf und an den Flußläufen in jenen alten Zeiten zuerst ein reger Verkehr, den es zu schützen galt. So entstand auf den Uferbergen nach und nach eine stattliche Anzahl von Burgen, deren Insassen für die Sicherung der Verkehrsstraßen zu sorgen hatten. Das war der Grundgedanke, der zur Errichtung von Burgen führte. Eine Burg bestand im wesentlichen aus dem Haupthause oder Pallas und Nebengebäuden. Umgürtet war sie von einem Mauerringe und überragt von dem Turm oder Bergfried. Im Haupthause lagen die Wohn-, Schlaf- und Prunkräume der Burgherrschaft, die Kapelle und der Rittersaal. In den Nebengebäuden waren die Waffenkammern, die Wohnungen für die Knappen und das Gesinde sowie die Stallungen untergebracht. Die Mauern waren von beträchtlicher Höhe, oft bis zu sieben Fuß dick und mit Zinnen, d. h, Brustwehren für die Verteidiger, gekrönt. An der Innenseite der Mauer lief der meist überdeckte Wehrgang hin, auf dem sich die Verteidiger aufhielten. Ein wichtiger Bauteil war das Burgtor, das wie eine kleine Festung für sich ausgebaut war und über den Torflügeln sogenannte Pechnasen trug, durch die man siedendes Pech auf die Angreifer träufeln konnte. Der Bergfried endlich gewährte einen weiten Rundblick ins Land, und der Türmer, der unter dem Dachhelm wohnte, hielt scharfe Ausschau, denn er war für die Sicherheit der Burg verantwortlich. War es den Feinden aber gelungen, eine Burg zu erstürmen, dann diente der Bergfried als letzte Zuflucht. Er war deshalb mit Mundvorrat versehen, und es führte zu ihm eine Tür, die so hoch über dem Boden lag, daß sie nur mittels einer Leiter erreicht werden konnte. Diese zog man auf, wenn es den Turm zu verteidigen galt. Im Kellergeschoß befand sich das Burgverlies.
Falkenstein
War die Burg zugleich Sitz eines regierenden Fürsten, wie z. B. die Wartburg, so ist auf die Ausstattung des Pallas mehr Gewicht gelegt, während sich ein armer Ritter mit einem oft recht bescheidenen Pallas beschied. Die wehrhaften Teile waren aber bei großen und kleinen Burgen in gleich gutem Zustande. Aus dem „Götz von Berlichingen“ wissen wir auch, welche Sorgfalt die Burgfrau ihrem Krautgärtchen, das fast immer vorhanden war, angedeihen ließ. Hier zog sie außer Gemüse und Küchengewächsen auch blutstillende und heilsame Kräuter. Vor den Burgen aber und zu Füßen derselben entstanden die Burgfreiheiten, deren Bewohner den Schutz der Burgherrschaft und Steuerfreiheit genossen, wofür sie zum Lehndienst verpflichtet waren. Musterbeispiele hierfür sind Burghausen an der Salzach und Runkel an der Lahn.
Aber nicht nur die Landesfürsten und die Ritterschaft bauten feste Schlösser, nein, auch geistliche Würdenträger und städtische Patrizier. Dies geschah aber erst in späterer Zeit, als die Ritterschaft, ihres edlen Berufes uneingedenk, aus einem Beschützer des Verkehrs ein Zerstörer desselben zu werden drohte. Begünstigt durch die bevorzugte Lage ihrer Burgen, die es ihnen ermöglichte, herannahende Reisende und Wagenzüge schon von weitem zu erkennen, überfielen die Ritter die Kaufleute und beraubten sie sowohl der Freiheit wie ihrer Waren. Die Erpressung von Lösegeldern galt bald als eine durchaus ritterliche Handlung. Willig hatten die Reisenden den Rittern den Wegezoll gezahlt, solange sie deren Schutz genossen; aber ein Sturm des Unwillens brach aus, als die adligen Räuber in ihren Missetaten immer rücksichtsloser wurden. Die Landesherren und namentlich die Erzbischöfe traten gegen die Ritterschaft auf und bekämpften sie. Das Volk aber atmete auf, wenn wieder ein Raubnest gefallen war. So erklärt es sich, daß wir so viele Burgruinen besitzen, die versonnen und umsponnen im Lande liegen. Nicht kümmert uns mehr das Wohl und Wehe vergangener Geschlechter, aber wir denken daran, und es entsteht in uns jene eigentümlich wehmütig-frohe Stimmung, mit der wir derartige Sturmzeugen betrachten. Es ist auch durchaus nicht alles ruinenhaft, was auf uns gekommen ist, sondern es gibt noch eine ganze Anzahl wohlerhaltener oder zum mindesten wieder instandgesetzter Burgen.
Sehen wir uns nun in den einzelnen Landesteilen um! Der Rhein und seine Nebentäler sind besonders reich an Burgen, deren viele allbekannt sind. Was uns aber vornehmlich anzieht, ist der malerische Eindruck, dem zuliebe man selbst längere Fußwanderungen nicht scheut. Nachdem wir auf der Eifel die aus dem 13. Jahrhundert stammende Genovevaburg bei Mayen besichtigt haben, steigen wir in ein Waldtal hinab, das vom Elzbach durchflossen wird. Hier schlummert wie ein Dornröschen inmitten grüner Wälder Burg Elz, eine Perle unter den deutschen Burgen. Bereits zu Beginn des 10. Jahrhunderts auf einsam aus der Talsohle aufragender Felsplatte gegründet, führt dieser älteste Bau noch heute den Namen Plattelz. Im Laufe der Zeit entstanden die vielen Anbauten, die das Gesamtbild so reizvoll erscheinen lassen und die selbst die Zerstörung aller Moselschlösser beim Einfall der Franzosen unter Ludwig dem Vierzehnten nicht berührte. Auch Fehden und Belagerungen unter dem Erzbischof von Trier, Balduin, hatten der Burg schon in früheren Zeiten nichts anhaben können. So erfreuen wir uns denn des herrlichen Bauwerks, das, man mag es sehen von welcher Seite man will, stets neue, reizvolle Bilder aufweist. Ganz wundervoll ist der Zugang zum Schlosse. Ein Waldweg schwingt sich leicht bergab und mündet auf einen Steindamm, der zum Tore führt. Nach Durchschreiten desselben befinden wir uns auf einem Vorhofe, wo ein Brunnen plätschert und der Sitz des Torwächters in Stein gehauen ist. Hier an einem sonnigen Herbsttage zu rasten, wenn die Berghänge wie Purpur und Gold schimmern, ist köstlichster Genuß. Durch das Innentor gelangt man auf den Burghof, wo große Steinkugeln aufgehäuft liegen, wie sie früher als Artilleriegeschosse gebraucht wurden. Hier unten ist’s düster, während hoch oben flinke Mauerschwalben um die sonnenbeglänzten Zinnen huschen. Die Inneneinrichtung ist stilrein durch und durch und wird von den Grafen von Elz, die seit dem 12. Jahrhundert ununterbrochen im Besitz dieses stolzen Herrensitzes sind, so erhalten. In der Gemäldesammlung befinden sich unter anderen Bilder von Dürer, Holbein und Kranach; die Wände schmücken bunte Arabesken und Gobelins.
Das feste Haus Vischering in Westfalen
Schwer ist es, sich loszureißen von so viel Schönheit, aber es gibt des Schönen noch mehr zu sehen, darum hinab und mit dem munter plaudernden Bache der Mosel zu. Hier thronte so manche stolze Feste, deren Mauern längst zerfallen sind, die aber als Ruinen einen vielleicht noch prächtigeren Anblick gewähren als zu ihrer Glanzzeit. Unter ihnen ragt besonders die Ehrenburg hervor, von deren Turm man weit über die Hochflächen des Hunsrück und der Eifel blickt. – Die Eifel trägt auf ihren vulkanischen Bergkegeln eine Fülle von Burgen. Einige, wie das Renaissanceschloß Bürresheim, sind noch in Benutzung, während die Mehrzahl höchst malerische Trümmerreste bilden. Hier Kyllburg und Gerolstein, dort die Schwesterburgen von Monreal und das über einem Wasserfalle sichtbare Schloß Pyrmont. Vor allem aber die in grüne Waldwildnis eingebetteten Burgen bei Manderscheid, die Ober- und die Niederburg. Damit nähern wir uns wieder der lieblichen Mosel, an deren rechtem Ufer über dem alten Weinnest Beilstein die Ruinen der ehemaligen Gräflich Metternichschen Burg zu sehen sind. Die Burg beherrschte einst die Fahrstraße vom Hunsrück zum Kochemer Krampen, erhob den Moselzoll und unterhielt selbst regen Weinhandel und Schiffsverkehr bis zum Rhein hinab, wo ein anderes Metternichsches Weingut, der berühmte Johannisberg, liegt. Burg Kochem, auf steilem Bergkegel malerisch gelegen, beherrscht auf eine weite Strecke hin die Landschaft. Wer Sinn für einen guten Tropfen hat, der blicke aus den Laubenfenstern der gegenüberliegenden Weinschenke auf das schöne Bild, das namentlich bei Sonnenuntergang wundervoll ist. Kochem wird schon im 9. Jahrhundert erwähnt; die heutige Burg ist völlig renoviert. Leider sind solche Wiederherstellungen nicht immer von gutem Geschmack getragen, und auch bei Kochem ist die Grenze des künstlerisch Einfachen zum Teil überschritten, aber die Natur, besser gesagt die Luftperspektive, löst das auf, wenn man nicht allzu nahe kommt. Auch am Rhein gibt es viele Beispiele hierfür. Burg Lahneck, im vorigen Jahrhundert erneuert, macht dennoch einen guten Gesamteindruck. Durchaus künstlerisch einwandfrei erscheint die Wiederherstellung der aus dem 14. und 15. Jahrhundert stammenden Marksburg bei Braubach. Diese ehemals im Besitze der Grafen von Eppstein befindlich gewesene Feste war ebenso wie die weiter rheinabwärts gelegene Pfalz bei Caub[1] als Rheinzollstätte errichtet worden. Ihre trutzigen gotischen Formen sind schon von weitem sichtbar, wogegen die zierlichen Formen der im 17. Jahrhundert umgebauten Pfalz erst ganz allmählich beim Näherkommen auftauchen. Die Pfalz ist im Gegensatz zu den bisher betrachteten Burgen eine Wasserburg, denn sie ist auf einer Felsklippe mitten im Rhein erbaut worden. Noch sieht man die großen Maueröffnungen, aus denen die Sperrketten heraustraten, deren Enden an den Ufern befestigt waren und mit deren Hilfe man den Strom absperren konnte. Die Gründung dieser Pfalz erfolgte im Jahre 1327 unter Ludwig dem Bayer. Von westdeutschen Wasserburgen wären noch das feste Schloß Vischering (Kreis Lüdinghausen in Westfalen) und Millendonck[2] bei München-Gladbach[3] hervorzuheben. Namentlich das aus dem 16. Jahrhundert stammende Schloß Vischering ist eine ungemein feste und dennoch zierliche Anlage. Über wuchtigen Quadermauern erheben sich geputzte Giebel und ein mit reizendem Helmdach gedeckter Turm. Eine hölzerne Bohlenbrücke, deren einer Teil aufgezogen werden kann, führt über das stille Wasser zum Tore, und Holunderbüsche grüßen mit weißen Doldenblüten über die Mauern. –
Was am Rhein Sitte war, nämlich die Erhebung des Zolles für freie Schiffahrt, traf auch anderwärts zu.
Eine uralte Anlage ist die Feste Marienberg bei Würzburg, die von den Bischöfen beherrscht wurde, denen die Schiffahrt auf dem oberen Main zinspflichtig war. Den unteren Main hielt der kurmainzische Bischof von seinem festen Schlosse Aschaffenburg aus unter Aufsicht. Der heutige Bau stammt aus dem 17. Jahrhundert und weist ein herrliches Ebenmaß der Formen auf. Sein Erbauer war der Straßburger Baumeister Georg Ridinger. Ältere Burganlagen am Mainufer sind, um nur einige herauszugreifen, die beiden im Dreißigjährigen Kriege zerstörten Festen Burgprozelten und Wertheim. Erstere gewährt, von der dahinterliegenden Berglehne aus gesehen, einen prachtvollen Eindruck. Um das alte, wuchtige Gemäuer wuchern Hauslaub und Steinbrech; auf den verfallenen Ringmauern und vor denselben haben Obstbäume Wurzel gefaßt, und wilde Rosenbüsche wuchern dazwischen. Dahinter aber zieht sich das silberne Band des Flusses durch das fruchtbare Gelände hin. Die aus dem 13. Jahrhundert stammende Burg hat mehrfach ihren Besitzer gewechselt. Zuerst war sie Klingenbergisch, dann Mainzisch, endlich Wertheimisch, nachdem sie eine kurze Zeitlang Deutschordensburg gewesen. Die Burg Wertheim erhebt sich als ausgedehnte Ruine über dem Städtchen gleichen Namens und bietet dem Beschauer in ihrer an den Tannenwald gelehnten Höhenlage reizvolle Bilder; sie gehörte den Fürsten Löwenstein.
Schloß Aufseß
Ja, es waren herrliche Sitze, die sich die deutschen Fürsten erkoren hatten. Wie stattlich erhebt sich nicht Burg Nürnberg über dem Dächermeer der heutigen Großstadt, wie kühn ihre Anlage, wie weit der Blick ins Land! Wie in sich abgeschlossen liegt die Kadolsburg hingestreckt! Wie eigenartig wirkt Schloß Parsberg in der Oberpfalz; es zeigt über trutzigen Mauern aus Felssteinen als Bekrönung die so gemütlich wirkenden bayrischen Zwiebeltürme. Diese kommen übrigens nicht nur in Bayern, sondern auch in Thüringen vor, verlieren sich aber in der Richtung nach Hessen zu allmählich, wo auch eine andere Art der Schieferdeckung, die sogenannte rheinische, auftritt. Im allgemeinen machen die bayrischen Burgen einen breiteren, behäbigeren Eindruck als die hochstrebenden Burgen West- und Mitteldeutschlands. Es stand eben mehr Bodenfläche für ihre Erbauung zur Verfügung. Oft nehmen sie ganze Höhenrücken ein wie die Harburg bei Donauwörth oder das vom Pfalzgrafen Otto-Heinrich dem Zweiten im Jahre 1582 erbaute Schloß Sulzbach in der Oberpfalz. Dieses im 17. Jahrhundert umgebaute Schloß ist sehr umfangreich, es wirkt mit den zu seinen Füßen geschmiegten Häuserchen sehr malerisch zusammen. – Das Baumaterial ist in Bayern vielfach der Backstein, der ebenso wie der Bruchstein im Lande gewonnen wird. Man verwandte ihn zum mindesten für die oberen, feindlichen Angriffen nicht so sehr ausgesetzten Geschosse der Burgen. Niemals ließ man ihn, wie in Niederdeutschland, als Rohziegel stehen, sondern überputzte die Mauerflächen. Gleichsam als Wächter an wichtigen Grenzpässen hat man sich die Burgen zu Füssen im Allgäu und die zu Passau vorzustellen. Beide Stellen sind von der Natur gleich verschwenderisch ausgestattet. Die Passauer Anlagen zerfallen in eine obere und niedere Burg. Beide Festen sind durch einen Wehrgang verbunden und waren imstande, die Ilz, den Inn und die Donau, an deren Zusammenfluß sie liegen, gleichermaßen zu beherrschen. Die bayrischen Burgen machen, so wuchtig sie auch sein mögen, einen mehr heiteren Eindruck, weil ihre Mauerflächen meist abgeputzt sind.
In Franken ist das weniger der Fall, und die in Hessen, Thüringen und Sachsen liegenden Burgen sind aus ungeputztem Bruchstein erbaut, der roh, aber dauerhaft vermörtelt wurde.
Wenn wir uns nun nach dem am Bodensee gelegenen ehemalig bischöflich-Konstanzer Schlosse zu Meersburg wenden, das gleichsam wie eine Glucke schirmend über den Häusern zu ruhen scheint, so haben wir den äußersten Süden unseres Vaterlandes erreicht und kehren über Württemberg und Baden nach Norden zurück. Hier treffen wir nicht auf so alte Burgen wie in Mitteldeutschland, wenigstens äußerlich zeigen dieselben meist die Formen der Renaissancezeit, wie Hellenstein bei Heidenheim oder die Schlösser Liebenstein und Tübingen. Älter und ungleich malerischer wirkt Burg Zwingenberg am Neckar, die aus dem 15. Jahrhundert stammt. Ihre einzelnen Bauteile wie die ganze Zusammenstellung der Türme und Gebäude sind ein Kabinettstück alter Baukunst und bieten sich dem Auge des Beschauers um so vorteilhafter, als sie ganz von Grün umgeben sind, – Je mehr wir fortschreiten, desto schöner wird es. Wie reizvoll wirken nicht die Überreste der alten Kaiserpfalz zu Wimpfen am Berg! Im 13. Jahrhundert errichtet, zeigt das alte Bauwerk noch unter anderem eine ganze Saalwand, durch deren romanische Säulenfenster der blaue Himmel blickt. Grün rankt sich um die Mauern, und Vögelchen fliegen aus und ein. Hier ist gut Weilen für den, der die Natur mit liebevollen Augen anschaut, ebenso wie in den Wäldern am unteren Laufe des Neckar, aus deren Grün sich eine der schönsten Ruinen, das Heidelberger Schloß, erhebt. Oben grüne Bergwildnis, unten die lebhafte Stadt, wahrlich, ein Gegensatz von ganz eigenartigem Reiz! Wer hier nicht gesessen und gebechert, der hat den Reiz dieser Örtlichkeit nicht ganz erfaßt Die Studenten haben das von jeher verstanden, aber auch ältere, gesetzte Männer sollen hier sozusagen wieder jung geworden sein.
Burg Runkel an der Lahn
Hier und im Odenwald liegt noch manch verträumtes feste Schloß, von dessen Existenz der moderne Reisende keine Ahnung hat. Es lohnt sich darum in solchen wenig begangenen, halbvergessenen Gebieten, die abseits von der großen Heerstraße liegen, Fußwanderungen zu unternehmen, wobei einem unerwartete Schönheiten begegnen. Auch der rechtsrheinische hochgelegene Westerwald ist ein solches Gebiet. Unten das lebhafte Rheintal, hier oben waldige Höhen und Täler, murmelnde Bäche und hier und da eine malerische Ruine aus grauer Vorzeit, wie die aus dem dreizehnten Jahrhundert stammende Burg Greifenstein[4].
Von den an der Lahn gelegenen Burgen sind einige noch wohlerhalten, andere dagegen teilweise oder völlig Ruinen. Als besonders eigenartig und malerisch wirksam sind das schon erwähnte Schloß Runkel sowie Hohlenfels und Burgschwalbach anzusprechen. Namentlich Runkel, dessen feste Türme über eine niedere Burgfreiheit aufragen, wirkt ungeheuer wuchtig, zumal davor die von einer uralten Steinbrücke überquerte Lahn über ein Wehr braust. Diese wehrhafte Stirnseite läßt kaum die zierlichen Bauten vermuten, die sich ihr auf der Rückseite angliedern. Reizende Giebel mit verbleiten Fensterchen blicken weit ins Land, und wilder Wein rankt sich um die noch in Gebrauch befindlichen Nutzgebäude. Hier saßen und sitzen noch heute alte Geschlechter. Runkel ist eine Fürstlich Wiedsche Herrschaft, während die nahegelegenen Schlösser Schaumburg und Braunfels den Fürsten von Waldeck und von Solms gehören. Alle eben genannten Anlagen stammen aus der Zeit der fränkischen Fürsten, deren einer, König Konrad der Erste, zugleich Graf des Lahngaues war. Er war es, der sterbend Heinrich von Sachsen Krone und Herrschaft übertrug. Wie dieser, der Finkler, dieselbe aufgefaßt und ausgeübt, ist bekannt. Er gründete im Herzen Deutschlands und an seinen Grenzen Städte und Pfalzen, besiedelte sie mit deutschen Mannen und errichtete einen starken Grenzschutz gegen Osten in Gestalt fester Burgen, welche Tätigkeit sein Sohn Otto der Große erfolgreich fortsetzte. Es entstanden um jene Zeit die Pfalz Goslar und viele feste Häuser in Sachsen, wie die Welfenfeste Dankwarderode, die mitten in der Stadt Braunschweig gelegen ist. Die Ruine Rothenburg auf dem Kyffhäusergebirge ist dagegen eine Schöpfung aus späterer Zeit und Schauplatz einer der schönsten Sagen unseres Volkes, der Sage vom Kaiser Barbarossa.
Im Harzgebirge grüßen noch viele Ruinen aus jener Zeit von waldbestandenen Bergesgipfeln. Um nur eine herauszugreifen: die völlig verwachsene Feste Hohnstein bei Neustadt. Aber auch eine wohlerhaltene Burg ist uns überkommen in dem Falkenstein, der sich hoch über dem grünen Selketal erhebt. Im Grenzgebiete gegen die Slawen entstanden, nach Süden fortschreitend, die Rudelsburg, Schloß Nossen und der feste Sitz Rochlitz an der Mulde, sowie der Kriebstein an der Zschopau. In späterer Zeit lagerten sich die Moritzburg zu Halle, die Albrechtsburg bei Meißen und Schloß Hartenfels in Torgau vor die eben genannten älteren Burgen, woran man ein stetiges Vordrängen nach Osten erkennt. Hartenfels ist namentlich in der Architektur des Innenhofes hervorragend und gut erhalten.
Hiermit nähern wir uns dem vielumstrittenen Lande zwischen Elbe und Oder, das, ehemals von Semnonen bewohnt, infolge der Völkerwanderung in die Hände der Slawen fiel und von den Deutschen in zähem, Jahrhunderte währendem Kampfe zurückerobert wurde, der Mark Brandenburg.
Hier ist von Burgen wenig übriggeblieben, obgleich es auch hier solche in großer Anzahl gab. Waren doch die märkischen Raubritter im ganzen Reiche berüchtigt und die Mark als durch und durch unsicher verrufen.
Es ist zu begreifen, daß solch Treiben von der Landesherrschaft nicht geduldet werden konnte, und wie im alten Reiche die Raubnester an Rhein und Donau, an Werra und Leine gebrochen werden mußten, so mußten auch die in der Mark zerstört werden. Daß dies so gründlich geschehen konnte, liegt einesteils an ihrer weniger festen Bauart, andererseits daran, daß man bereits Belagerungsgeschütz besaß. Ein solches war es, vor dessen Steinkugeln die Mauern der Quitzowburgen Friesack, Plaue und Golzow in Trümmer sanken, die den Hohenzollern den Eintritt in die Mittelmark verwehren sollten und von deren Dasein nur einige unter Blumen und Gräsern verborgene Fundamente noch Kunde geben. Will man sich jedoch eine Vorstellung davon machen, wie eine märkische Burg aussah, so besuche man die auf dem Fläming gelegene Burg Rabenstein, die teilweise noch gut erhalten ist. Ist westlich der Elbe, wie im Schlosse Bernburg, das Baumaterial aus bodenständigem Fels gebrochen, so treten hier die Findlinge in ihr Recht. So nannte man die auf den Feldern ausgepflügten oder frei herumliegenden erratischen Granitblöcke, aus denen man den Unterteil der Burgen sowie Mauern und Türme erbaute. Wo sie in genügender Menge vorhanden waren, baute man ohne jede Verwendung von Ziegeln, die man sonst für die Obergeschosse verwandte. Ja, selbst Lehmfachwerk oder Lehmziegel wurden verwandt, was natürlich nicht so haltbar war als Stein. Im Bewußtsein dieser Minderwertigkeit des Materials umgürtete man tiefliegende Burgen mit Wassergräben und machte sie dadurch widerstandsfähiger. Es sind nur noch wenige feste Schlösser oder Burgen in Brandenburg vorhanden, die uns ein Bild ihrer Wesensart geben. So Burg Tangermünde, wo Kaiser Heinrich IV. residierte, und der Eisenhardt bei Belzig, der heute als Landratsamt benutzt wird. Die wohlerhaltenen und renovierten Schlösser zu Wiesenburg auf dem Fläming und zu Boytzenburg in der Uckermark sind Beispiele dafür, wie der wohlhabende märkische Hochadel sich einrichtete, während der einfache Landedelmann ein äußerst schlichtes Haus sein eigen nannte, wie ein solches noch in Klein-Machnow bei Berlin zu sehen ist. Sonst ist alles verschwunden, und wo noch ein paar alte Mauerreste unter Holunder und Heckenrosen träumen, da weiß das Volk nichts oder fast nichts mehr von ihrer Bedeutung. –
Anders im äußersten Osten unseres Landes. Hier wandeln wir auf den Spuren einer großen Vergangenheit, hier kämpften und kolonisierten die Deutschritter. Ihr Wirken ist nicht nur wohlbekannt, nein, auch die Burgen, die sie errichteten, haben den Stürmen der Zeiten getrotzt und sind entweder sinngemäß erneuert oder als malerische Ruinen auf unsere Tage gekommen.
Von Mitteldeutschland ausgehend, wo das Deutschordensschloß in Mergentheim noch heute steht, zogen die Ritter nach Pommerellen, der Kassubei und Masovien. Hier gründeten sie an Weichsel und Nogat die festen Ordensschlösser Marienburg, Mewe, Marienwerder und Kulm, während an der Drewenz und im Ermlande die Schlösser Gollub, Rheden und Allenstein entstanden. Am frischen Haff finden wir die Spuren ihrer Tätigkeit in den Ruinen des Schlosses Balga und endlich im fernen Estland im Schlosse Narwa wieder, das bis zum Jahre 1558 im Besitz des Ordens war. Seit dieser Zeit datiert der Verfall des Ordens. Seine Schlösser wurden teilweise zerstört oder fielen in die Hand der Polen, der unversöhnlichsten Feinde der Deutschritter.
Noch manches kleinere Ordensschloß steht in West- und Ostpreußen, aber alle werden an Bedeutung und Schönheit von der Marienburg überragt. Von den Ufern der schnellströmenden Nogat oder von der Eisenbahnbrücke aus hat man den besten Überblick über die Gesamtanlage. Über dem graugelben Wasser erheben sich die dunklen, aus Backstein aufgeführten Gebäude, deren Gründung um das Jahr 1280 erfolgte. Seit 1390 war die Burg auch Sitz des Hochmeisters, der einen eigenen Bau, das Hochmeisterschloß, bewohnte. Ebenso interessant wie das Äußere der Burg malerisch ist, sind Höfe und Innenräume, die stilrein renoviert worden sind.
Man mag die Marienburg unter den verschiedensten Lichtverhältnissen sehen, stets macht sie einen ernsten, überwältigenden Eindruck auf den Beschauer, sie wirkt wie ein aus dem Erdboden gewachsener Felskoloß, und das um so mehr, als sich zu ihren Seiten das Städtchen mit seinen gichtbrüchigen Fachwerkhäusern hinzieht.
Heute stehen diese alten Wahrzeichen deutscher Kultur und Tatkraft wie erstarrte Wächter inmitten einer sie umtobenden feindlichen Flutwelle. Heute wie ehedem schon oft ist eine Anzahl von ihnen in fremden Besitz übergegangen, ebenso wie es bei den Burgen des Elsaß der Fall ist. Klar liegt wieder vor unseren Augen die alte Bestimmung der Burgen: „Dem Feinde zu wehren, das Reich zu mehren.“ Ja, namentlich die Grenzburgen hüteten das Reich und schützten es gegen feindliche Einfälle. Wer weiß, ob die herrliche Wartburg noch stände, wenn nicht die Grenzburgen bis ins östliche Schlesien hinein dem Feinde gewehrt hätten.
Wir Nachfahren dürfen uns der uns überkommenen Schätze an stolzen Bauwerken dieser Art von Herzen freuen; kein anderes Land besitzt deren eine solche Anzahl. Darum, wenn wir Gelegenheit haben, auf stillen Wanderwegen solche Stätten zu besuchen, so fällt es wie grauer Nebel von unseren Augen, und wir schauen tief hinein in die Vergangenheit. Die Ruinen beleben sich, Kämpfe umbranden die Mauern und mannhafte Vorfahren sitzen beim schäumenden Becher. Damit berühren wir eine Seite, die wir mit ihnen gemein haben, denn einen guten Tropfen wissen auch wir zu schätzen. Wie gemütlich bechert sich’s in den offenen Erkern der Rudelsburg oder im traulichen Gemäuer der Moselaner Marienburg! Wer das Glück hat, an einem solchen Orte selige Stunden zu verträumen, der trägt einen Schatz davon, den ihm niemand zu nehmen vermag.
Anmerkungen: