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Die Schönheit des Eisens

 

Die Schönheit des Eisens

Von Reinhold Hansche

Mit 3 Illustrationen vom Verfasser

Als Adolf von Menzel sein Bild „Eisenwalzwerk“ ausstellte, erhob sich ein Streit darüber, ob man derartige Stoffe malen solle oder nicht. Wie sonderbar mutet uns das heutzutage an, da die damals noch junge Eisenindustrie sich längst den Weltmarkt erobert hat und wir ihren Erzeugnissen auf Schritt und Tritt begegnen. Es hat immerhin eine ganze Zeit gedauert, bis sich die Geister beruhigt hatten. Schließlich sah man aber ein, daß hier ein Großer etwas gesehen hatte, das der Mehrzahl bisher nicht aufgefallen war, nämlich die Schönheit des Eisens. Es ist uns ja allen bekannt, daß wir in Vorurteilen befangen sind, und es gibt noch immer genug Leute, die in profanen Eisen-Erzeugnissen keine Schönheit zu sehen vermögen, und doch ist eine solche vorhanden; sie ergibt sich aus der Zweckmäßigkeit des hergestellten Gegenstandes.

Wer jemals Gelegenheit hat, in den Maschinensaal einer größeren Druckerei zu kommen, sollte das nicht versäumen. Er wird erstaunt sein über die Knappheit der Formen, die ein so kunstvolles Machwerk, wie es eine Rotations-Druckmaschine darstellt, auszeichnet. All die glattpolierten Einzelteile sind einstmals rohe Erzklumpen gewesen, ehe sie Geist und Hand zu dem umformten, was sie nun sind. Damit kommen wir zur Betrachtung der Hüttenwerke und der Gegenden, in denen sie liegen und die sie in jeder Hinsicht beherrschen.

Wo Eisen ist, ist auch Kohle; eins hängt vom andern ab. Wer in ein Eisengebiet eindringt, wird auch auf Zechen stoßen, deren Schlote und Fahrstühle als scharf begrenzte Silhouette in die Luft ragen. Und noch etwas fällt auf, das sind trichter- und wellenförmige Bodenvertiefungen, die sich oft mitten in bestellten Ackerflächen zeigen. Da ist der Erdboden über darunter hinführenden Kohlenschächten zu Bruche gegangen. Wirft man noch einen Blick auf die riesigen Schlackenhalden der Hüttenwerke und auf die überall den Horizont begrenzenden Schornsteine, so hat man ungefähr ein Bild solcher Gegenden, wozu noch die düstere Farbe des geschwärzten Erdbodens kommt. Nachts zeigt die Landschaft noch eine weitere Eigenart. Es ist das der Feuerschein, der aus zahlreichen Hochöfen dringt und einen überraschenden Anblick gewährt. Ein riesiges Netz von Schienensträngen umspannt derartige Hüttengebiete, und das Fauchen und Dampfen der Lokomotiven bringt eine weitere malerische Note in das Gesamtbild.

 

 

Man kann vom Eisen nicht sprechen, ohne den Namen Krupp zu nennen. Was auf dem weiten Gebiet der Kruppwerke Mustergültiges geschaffen worden ist, hat auf das ganze Land, namentlich aber auf die heimische Provinz, befruchtend gewirkt. In der Friedrich-Alfred-Hütte sehen wir ein modernes Werk von gewaltigen Ausmaßen vor Augen. Alles greift da organisch ineinander. Aus den auf dem Strome liegenden Schiffen gelangt das Erz mit Hilfe von Hebezeugen und Loren direkt in die Hochöfen, um sofort verhüttet zu werden. Gelbe, weiße und bräunliche Dämpfe umhüllen das Ganze und teilen der Luftströmung einen trüben Beisatz mit. Die Sonne scheint wie durch einen Schleier, der Strom liegt in mattem Silberglanz, und schwer und düster ragen die Eisenteile in die Luft. Auf den Wiesen jenseits nebelt es leicht, und die Bäume verschwinden in der Ferne, wo es nach Holland hinabgeht.

Es ist eine Eigentümlichkeit des rheinischen Hüttengebietes, daß es inmitten einer reizvollen Natur entstanden ist. Die Höhenzüge, in deren Tiefe Erz und Kohle lagern, tragen zum Teil schönen Hochwald, und liebliche Flüsse, wie Ruhr und Wupper, die erst in ihrem Unterlaufe von den Abwässern der Industriewerke verunreinigt werden, durcheilen die Täler. Wer also beim Wandern die Augen aufmacht, wird gerade in diesen Gegensätzen unvergleichliche Reize finden, Ein kernfester Menschenschlag ist dort zu Hause, zwar etwas zurückhaltend, aber dafür verläßlich. Wer Land und Leute noch nicht kennt, der lese Rudolf Herzogs bodenständige Romane, namentlich ,,Die Stoltenkamps“, die ihm ein anschauliches Bild vom Leben und Treiben im Hüttengebiet geben.

Wenden wir uns der Erzeugung des Eisens wieder zu, so können wir nicht umhin, den Anstich eines Hochofens als etwas besonders Packendes zu empfinden. Das Herausschießen des flüssigen Eisens in die Gußformen und die damit verbundenen Farbeneffekte suchen ihresgleichen. Ähnliche Wirkungen zeigen sich auch in den Walzwerken, wo Stahlblöcke zu Panzerplatten umgeformt werden. Hier ist die Schönheit im Kampfe des Menschen mit dem widerstrebenden Stoff zu suchen. Schwer atmend und schweißtriefend sind die halbentblößten Arbeiter am Werk; umsprüht von Feuerfunken, umwallt von Dämpfen, bieten sie ein höchst malerisches Bild, das sich aus blendender Lichtfülle und breiten Schatten zusammensetzt. Hinter einer Gießbrücke im Vordergrunde, die kräftig emporragt, zeigt sich eine aus lasurblauen Tönen gemischte Luftperspektive; wo aber ein Gießtiegel seinen Inhalt entleert, da leuchtet es auf in allen möglichen feurigen Farben.

Wenn dann die Arbeiter beim Schichtwechsel die Werke verlassen, um der Ablösung Platz zu machen, sind alle Wege schwarz von Menschen. Unter dem Druck der Ermüdung gehen die Leute schweren Schrittes nach Hause. Darüber ein regenschwerer Himmel, ein grelles Licht am Horizont, das ist die Stimmung, die zu dem Ernst dieses Bildes paßt. –

Unendlich vielseitig sind die Eisengießereien, deren Erzeugnisse man in aller Welt antrifft. Ganz besonders sinnfällig wird das in den Großstädten. Hier ist auch die Pflegestätte eines guten Geschmackes, der es anstrebt und in neuerer Zeit auch verstanden hat, dem Eisen alles abzugewinnen, was es hergeben kann. An Stelle des Steines ist vielfach das Eisen getreten, man hat sogar eiserne Türme von ungeheurer Höhe, wie den Pariser Eiffelturm. In der Reichshauptstadt sind infolge der Errichtung der Hoch- und Untergrundbahnen ganz neuartige, reizvolle Bilder entstanden. So die Überquerung der anhaltischen Eisenbahnbrücke und der Straßenbrücke durch die Eisenbrücke der Hochbahn. Die Hochbahnhöfe hat man ganz aus Eisen und Eisenblech erbaut und daran gezeigt, bis zu welchem Grade diese Materialien gestaltungsfähig sind. Die Brückengeländer sind reizvoll stilisiert, ebenso die Beleuchtungskörper. Vornehmster Grundsatz bleibt stets, die Eigenart des Eisens gegenüber dem Stein zu betonen, das ist seine scheinbare Leichtigkeit und luftige Wirkung. Diese kommt ganz besonders bei Brückenbauten zur Geltung.

Unter den vielen Brücken, die während der letzten Jahrzehnte entstanden sind, so bei Trarbach, Düsseldorf, Köln und Bonn, ist mir besonders der Bau der Bonner Brücke in Erinnerung geblieben. Diese Brücke zeigt eine sehr glückliche Verbindung von Stein und Eisen. Sie wirkt, vom Rhein aus gesehen, zierlich und ebenmäßig, vom Ufer aus, durch den engen Zusammenfluß ihrer Formen, wuchtig. Die Gründung der Pfeiler litt verschiedentlich unter Hochwassergefahr, ebenso war das Einfahren der einzelnen Brückenteile eine schwierige, öfters unterbrochene Arbeit. Es war ein höchst malerisches Treiben, das sich hierbei entwickelte und in kleineren Verhältnissen eine Ahnung von den Schwierigkeiten gab, die sich bei der Errichtung von Riesenbrücken, wie denen zu Neuyork, ergeben haben müssen. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß die aus Winkeleisen zusammengefügten, Drachenköpfe darstellenden Wasserspeier der Bonner Brücke, aus einiger Entfernung gesehen, rund erscheinen, eine Wirkung der Luftperspektive. Um wieviel gefälliger wirken solche, unter neuzeitlichen Gesichtspunkten entstandenen Brücken gegenüber den älteren Gitterbrücken, die sich schwer und ungefüge über den Strom legten.

 

 

Die obenerwähnten Hebezeuge spielen, wie ohne weiteres einleuchtet, eine äußerst wichtige Rolle. Sie sind verschiedener Art. Während das Schiffshebewerk bei Henrichenburg hydraulisch betrieben wird, setzt man die Kräne meist durch Dampfkraft in Bewegung. Unglaublich ist es, was alles ein solcher Kran zu heben vermag! Er packt Autos und setzt sie fein säuberlich an Bord eines Ozeandampfers, ebenso verfährt er mit beladenen Eisenbahnwagen. Ein Riesenkran versetzt einen kleineren Kran, als ob das nichts wäre. Aber das Zischen des Dampfes, die aufmerksamen Augen des Kranführers sowie ein gelegentliches Knirschen der Ketten lassen die verborgene Kraft ahnen. So etwas ist schön! Es spricht sich unermüdliche Arbeitsfreudigkeit darin aus. Ein Eldorado in dieser Hinsicht ist für uns Deutsche der Hamburger Hafen, der wie eine Welt für sich erscheint und den sich jeder ansehen sollte, der es möglich machen kann. Auf seinen hochaufragenden eisernen Hellingen werden die Ozeanriesen erbaut, deren Gerippe aus dem Hüttengebiet anlangt und hier montiert wird. Die scheinbar so leichten Masten und Rahen einer großen Fünfmastbark sind aus Eisen gegossen, ebenso wie sämtliche Schwimmdocks aus Eisenkästen bestehen. Letztere haben das alte hölzerne Trockendock völlig verdrängt, wie es Wenkes Werft auf Steinwärder[1] vor dreißig Jahren noch besaß. Im Laufe der Zeiten sind auch Leichter und Jollen, wo nötig, durch eiserne ersetzt worden. Sind doch die Boote der Rettungsstationen an den Seeküsten alle aus Eisen mit eingebauten Luftkammern hergestellt. Vor dem Zerschellen an anderen Schiffskörpern sichert sie ein Korkgürtel. Leuchttürme, Bojen und Baken sind vielfach aus Eisen hergestellt. Widerstandsfähig sind sie, das haben sie in manchem Sturm bewiesen. Die Leuchttürme auf den Molenköpfen von Warnemünde oder Swinemünde sind äußerst gefährdet, wenn schwere See einsetzt, und halten dennoch aus. Wundervoll ist der Anblick der anstürmenden Wogen, wie ich ihn dort mehrmals zu beobachten Gelegenheit hatte. Im fahlen Mondlicht rauschten sie heran, übersprangen die Prellsteine, überschwemmten die Mole, zischten am Leuchtturm empor und brachen gurgelnd zusammen. Und ruhig strahlend darüber in unveränderter Klarheit das rote Leuchtfeuer.

Im Hinterlande aber, auf den Strömen, ist wieder eine eigene Spezies von Eisenschiffen zu sehen, nämlich die Bagger. Wir, die wir Triebsände und Lehm mitführende Ströme haben, sind gezwungen, dieselben zu baggern, das heißt, ihre Sohle stets auf eine gewisse Tiefe zu bringen. Ein auf ruhigem Wasser schwimmender Baggerprahm ist durchaus nicht unmalerisch, wenn er in Tätigkeit ist und seine Maschine dicke Rauchschwaden ausstößt. Ebenso malerisch sind die Trockenbagger, die man bei Ausschachtungsarbeiten benutzt, und die mit ihren eisernen Schaufeln tief in den gelockerten Boden hineingreifen, um ihn, emporgewunden, in Wagen zu entleeren. Das Getriebe von Arbeitern, Kutschern und Pferden, das dabei entsteht, ist von sehr malerischer Wirkung, zumal wenn es sich beim Lichte von Bogenlampen abspielt. Dann huschen die Schatten der Arbeiter durch den weißlichen Dampf, die Ketten rasseln, und der schwere Bagger schwingt sich pendelnd aus der Baugrube empor.

 

 

Auch auf dem Lande treten uns die Erzeugnisse der Eisenindustrie entgegen, beispielsweise die Dampfpflüge. Es ist nicht zu streiten, daß wir uns hier, wo alles unberührte Natur ist, erst an eine solche Neuerscheinung gewöhnen müssen. Denn wenn man auch die Schwebebahn, die zwischen Elberfeld und Barmen über der Wupper dahinfährt, innerhalb des gegebenen Rahmens schön finden kann, so mutet es doch widersinnig an, eine Drahtseilbahn über ein stilles Waldtal geführt zu sehen. Aber das Auge gewöhnt sich schließlich daran.

Zum Schlusse sei noch jener eigenartigen eisernen Bauwerke gedacht, die dem Städter von Kindesbeinen an vertraut sind, der Gasometer. Aus kleinen Anfängen heraus haben sich hier Maße entwickelt, die ins Riesenhafte gehen, und die modernen Gasometer geben einer Stadtsilhouette ebenso wie Türme und Kuppeln eine beherrschende Note. Auch in dieser Form wird man die Schönheit sehen, wenn man sich darum bemüht. Wie massig stellt sich der gefüllte Gasometer dem Beschauer dar; wie zierlich steht sein Eisengerüst gegen den Abendhimmel, wenn der Behälter nur wenig gefüllt ist! Die sofort erkennbare Zweckmäßigkeit der Konstruktion löst auch hier ein Schönheitsempfinden aus.

So erkennen wir denn, daß wir nur nötig haben, alte Vorurteile fallen zu lassen, um bisher Übersehenes schätzen zu lernen.

 

 

Anmerkung:

  1. Steinwerder (Schreibweise bis 1946: Steinwärder).