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Das Eiland der schwarzen Diamanten (1. Auflage)

 

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

(Nachdruck, auch im Auszuge, verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 14. 1916.)

 

Das Eiland der schwarzen Diamanten.

 

W. Belka.

 

„Wieder vorbei! – Ungeschick läßt grüßen!“ rief Fritz Prestat dem um ein Jahr älteren Bruder zu, der soeben mit der kleinen Harpune, die ihm der Obermatrose Jochem vor ein paar Tagen zurechtgezimmert hatte, einen dicht an der Backbordwand vorbeischwimmenden Haifisch gefehlt hatte.

Heinrich warf dem Jüngeren, der drei Schritt entfernt an der Reling der Bark lehnte und vorhin einen der gierigen Meeresräuber regelrecht aufgespießt hatte, einen wütenden Blick zu und zog dann die Harpune an der langen, dünnen Leine wieder empor.

Jochem Spalding, der Obermatrose, wollte gerade seinem kleinen Freund einige Lehren über die Kunst des Harpunierens geben, als Kapitän Meller aus der Tür des Kajütenaufbaues heraustrat und Jochem grob anfuhr:

„Wär’ auch besser, du drücktest jedem der Bengels einen Farbentopf und einen Pinsel in die Hand, damit sie für das geringe Passagiergeld wenigstens sich so etwas nützlich machen.“ –

„Allons – rein in die Jolle und die große Kratzstelle übergestrichen, wo uns letzten am Bug der ver… Eisberg schrammte. Die Flaute hält sicher noch den Tag über an, und bei solchem Wetter ist’s die einzige Möglichkeit, unseren alten Kasten außenbords etwas herauszustaffieren.“

Wenige Minuten später standen die beiden Knaben, die noch die Lederanzüge ihrer brasilianischen Heimat trugen und darin recht abenteuerlich aussahen, in dem dicht am Bug angebundenen, leise auf und ab wogenden Boot und arbeiteten mit weißer Farbe und Pinsel eifrig darauf los. Zunächst machte ihnen die ungewohnte Tätigkeit Spaß. Dann aber erlahmte ihnen bald der rechte Arm und sie setzten sich ein Weilchen auf die Ruderbank.

Die drückende Hitze dieses völlig windstillen Vormittags ließ zunächst Heinrich Prestat herzhaft gähnen. Jochem hatte ihnen in der vergangenen Nacht bis gegen zwei Uhr wieder seine berühmten Seespukgeschichten erzählt, und nun kam die Müdigkeit nach. Da auch an Deck des Segelschiffes sich nichts rührte, wagten beide schließlich ein Nickerchen, indem sie sich auf den Boden der Jolle niederließen und sich mit dem Rücken an die Ruderbank lehnten.

Die Bark „Malwine“ schaukelte träge auf der langen Dünung, und ebenso träge torkelte die an ihrem Bug befestigte Jolle hin und her. Trotzdem genügten diese geringen Bewegungen, um langsam den Knoten zu lockern, mit dem der Jüngere der Brüder vorhin die Kette des kleinen Bootes mit einem von der Reling herabhängenden Tauende vereinigt hatte. An dem verknoteten Ganzen zerrte und ruckte es beständig, bis die Kette sich von der hänfenen Gefährtin mit leisem Klirren verabschiedete, ins Wasser plumpste und dort nun mit dem losen Ende die Pendelbewegungen der Jolle mitmachte.

Ohne daß jemand an Bord etwas merkte, entfernten sich das größere und das kleinere Fahrzeug allmählich voneinander. Die Jolle geriet auch bald in eine Meeresströmung, die sie dann in beschleunigtem Lauf entführte.

Eine Stunde später kroch der Schiffskoch faul aus seiner Kombüse hervor. Das Essen war fertig, und er wollte der Wache zurufen, daß das Mittag geholt werden könne. Aber auch der wachhabende Matrose war dem Beispiel der übrigen Besatzung gefolgt, hatte sich im Schatten des langen Bootes auf das Deck gestreckt und schnarchte fürchterlich.

Der Koch bückte sich gerade nach einem halbgefüllten Eimer, um den Schlafenden durch eine bei der Gluthitze sicher recht erfrischenden Dusche zu wecken, als sein Blick auf den östlichen Horizont fiel. Dort lagen die öden Felseilande der Barga-Inseln mit ihren stumpfen, toten Bergkuppen und den zerrissenen, steilen Ufern. Über der Silhouette der kleinen, unwirtlichen und unbewohnten Inselgruppe aber türmte sich am Himmel eine schwarze Wolke auf, die zusehends nach oben sich verlängerte und in deren Mitte es wie gelbliche Streifen schillerte.

Der Eimer blieb stehen. Dafür brüllte der dicke Koch desto lauter:

„Alle Mann an Deck …! Gleich haben wir den Sturm hier!“ –

Doch bevor noch die schlaftrunkenen Matrosen oben erschienen, hatte sich schon mit Zauberschnelle der ganze Himmel verfinstert.

In der ersten Aufregung dachte niemand an die beiden Knaben. Und als Jochem dann das Fehlen der Jolle bemerkte, war es zu spät. Windstöße fuhren über die sich kräuselnde Wasserfläche hin, und urplötzlich brach der Sturm mit furchtbarer Gewalt los und trieb die Bark trotz der beschlagenen Segel mit der Schnelligkeit einer Rennjacht gen Süden. – – –

Erst um Mitternacht legte sich der Sturm.

Aber um die Ufer der Barga-Inseln tobte noch eine haushohe Brandung bis gegen Morgen. Die Sonne stieg dann empor und beschien mit unbarmherziger Deutlichkeit die neun kleinen Felseilande, die so merkwürdig gruppiert sind, daß acht davon einen weiten Kreis bilden, während das neunte als Mittelpunkt dieses Kreises anzusehen ist.

Auf einer der wenigen flachen Uferstellen des mittelsten Eilandes hob sich von dem grauschwarzen Gestein ein schmutziggelber Fleck ab. Jetzt regte sich dieser Fleck, streckte sich lang und nahm die Gestalt eines Menschen an, eines noch sehr jungen Menschenkindes, das in einem schmutziggelben Lederanzug gekleidet war. Dann ein Ruck, und der mit dem Gesicht auf dem Boden liegende Knabe richtete sich auf und starrte wild um sich.

Es dauerte lange, ehe er sich darauf besann, was geschehen war. Und so verwirrt war sein Hirn noch nach den überstandenen Schrecken und der langen Ohnmacht, daß es selbst die Vorgänge vor der Seereise in seiner Erinnerung wieder auftauchen ließ und schließlich auch das Gegenwartsbild als das letzte einer langen Kette seinem geistigen Auge zeigte.

In den Urwäldern Brasiliens hatte der aus Hamburg ausgewanderte Tischler Friedrich Prestat sich eine kleine Farm erworben. Dort wurden dann auch seine beiden Söhne Fritz und Heinrich geboren, wuchsen als echte Naturkinder in der Wildnis auf und besuchten nachher die deutsche Dorfschule, die einige sechs Meilen entfernt war, stets zu Pferde, wie sie überhaupt recht abgehärtete und in allerlei Fertigkeiten geübte Körper besaßen. Alle die Einsiedler in der Nähe waren Deutsche, die hier in Brasilien zahlreich vertreten sind, wo es sogar viele rein deutsche Niederlassungen gibt. Dann verunglückten die Eltern beim Fischen in dem gerade vom Hochwasser angeschwollenen Tocantins-Fluß, und ein Vierteljahr später schrieb der Onkel Albrecht Prestat seinen verwaisten Neffen aus Hamburg, sie sollten sich sofort nach Pernambuco begeben, wo sein Freund Kapitän Meller sie an Bord seiner Bark „Malwine“ nehmen und mit in die deutsche Heimat bringen würde. Aber der altersschwache Segler wurde von schweren Stürmen weit nach Süden verschlagen, schaukelte dann wieder bei völliger Windstille tagelang auf der langsam sich beruhigenden See, bis wieder plötzlich der Sturm aufkam, der den beiden in der Jolle eingeschlafenen Knaben zum Verhängnis, aber auch insofern zur Rettung wurde, als das kleine Boot mit den vor Angst zitternden Brüdern durch die Meeresströmung unweigerlich wieder von der Inselgruppe entfernt worden wäre, wenn nicht die Windstöße die Jolle durch die Wasserrinne zwischen zweien der Eilande hindurchgetrieben und dann an der mittelsten Insel hätten scheitern lassen, wo eine mitleidige Woge den Jüngeren schließlich halbtot auf den felsigen Strand warf. Andernfalls würden beide auf dem offenen Meer ohne Zweifel sehr bald ein trauriges Ende gefunden haben. – – –

Nun wußte der arme Fritz, wo er sich befand und wie er hierhergekommen war. Ängstlich schaute er sich um: Ringsum nichts als kahle, wilde Felsen, vor ihm die Brandung und weiterhin das unruhige Wasserbecken, das von drei ihm jetzt nur sichtbaren, gut zwei Meilen entfernten Eilanden begrenzt wurde.

Ein Gefühl grenzenloser Verlassenheit überkam ihn da. Bitterlich fing der dreizehnjährige Junge an zu weinen. Er dachte an den Bruder, der jetzt sicherlich irgendwo als Leiche in den Wassern trieb und dessen Körper vielleicht gefräßigen Haien zum Opfer fiel.

Doch das Leben in der brasilianischen Wildnis hatte Fritz Prestat über seine Jahre hinaus reif und willensstark gemacht. Sehr bald beruhigte er sich wieder, und der Hunger, der ihn plötzlich zu quälen begann, trieb ihn von dieser Stelle fort, um anderswo nach etwas Eßbarem zu suchen. Am Ufer konnte er jedoch nicht entlang gehen, da schroff in das Wasser abfallende Felsen nach beiden Seiten den Weg versperrten. Auch das Innere des Eilandes war nicht leicht zu erreichen, kostete vielmehr eine anstrengende Kletterpartie von gut einer Stunde über viele durcheinander geworfene Felsmassen. Als Ziel dieser mühseligen Wanderung hatte Fritz Prestat sich eine allmählich ansteigende Ebene gesetzt, in deren Mitte ein hoher Felskegel mit stark abgestumpfter Spitze sich erhob.

Endlich war die Region der zerklüfteten Granitblöcke überwunden, und der wie in Schweiß gebadete Knabe betrat die Ebene, deren Boden aus einem eigentümlichen, glatten und grauschwarzen Gestein bestand, das eine gewisse Ähnlichkeit mit geschmolzenem, dunklen Glas hatte. Es war erkaltete Lava, die aus einem längst erloschenen Vulkan herausgeflossen war. Und diesen Vulkanberg hielt der arme, verlassene Knabe für einen harmlosen, kegelförmigen Felshügel.

In der Lavamasse befanden sich viele Risse und stellenweise auch gähnende, meterbreite Spalten von einer Tiefe, die von oben mit dem Auge gar nicht zu ergründen war. Fritz Prestat, der sich noch nie auf einem solchen, durch unterirdische Feuergewalten geschaffenen, gefährlichen und doch eigenartigen Boden bewegt hatte, mußte so bemerken, daß die von weitem ganz glatt erscheinenden Oberfläche dieser geneigten Ebene doch ihre Tücken besaß. Oft mußte er die Spalten, die ihm den Weg versperrten, in weitem Sprunge überwinden. Jedenfalls war er genötigt, seine Aufmerksamkeit völlig diesen Hindernissen zu schenken, und achtete deshalb wenig auf das, was um ihn herum vorging.

Am jetzt wieder vollkommen wolkenlosen Himmel war nämlich vor kurzer Zeit ein dunkler Punkt aufgetaucht, der nun schnell an Größe zunahm und sich schließlich als ein riesiges Exemplar von einem Kondor entpuppte, jenes geflügelten Bewohners der südamerikanischen Anden, dem kein anderer Vertreter der Vogelwelt an Flügelspannweite und Stärke gleichkommt.

Der Kondor trug in den Fängen ein totes Schaf, das er soeben auf einem Beuteflug von den Viehweiden Argentiniens geraubt und mit Leichtigkeit von der im Westen liegenden Küste Südamerikas bis hierher mit sich geführt hatte. In weiten Kreisen ließ der Riesenvogel sich immer tiefer gleiten. Seine hellumränderten, scharfen Augen verfolgten jede Bewegung des kleinen Menschengeschöpfes, das es gewagt hatte, hier in sein ureigenstes Reich einzudringen.

Nun erst, als der Schatten des Kondors auf ihn fiel, blickte der Knabe mehr neugierig als erschreckt empor. Das gewaltige Tier schwebte kaum fünfzig Meter über ihn …

Fritz prallte zurück, so jäh griff ihm das Entsetzen ans Herz.

Gewiß – in Brasilien hatte er auch größere Vögel gesehen, – Fischadler, Reiher, den schwarzen Riesenfalken und andere mehr. Aber noch nie war ihm ein geflügeltes Tier von derartiger Größe begegnet. Daher dachte er auch sofort an Flucht oder an irgend ein Versteck, wo er sich verbergen konnte. Er war jetzt dem erloschenen Vulkan bis auf dreißig Meter nahe gekommen.

Verzweifelt suchend blickte er sich um. Fliehen war unmöglich bei den zahlreichen Spalten, in denen er bei einem unvorsichtigen Sprung unfehlbar den Tod finden mußte. Also galt es sich schnell irgendwo zu verbergen – irgendwo, wie die Maus vor der verfolgenden Katze in ihr Loch schlüpft.

Vor ihm zog sich eine dieser Spalten bis an den Fuß des erloschenen Vulkanes hin. An einer Stelle zeigten ihre Wände Vorsprünge und Zacken, die aus erstarrter Lava bestanden. Mit ein paar Sätzen hatte er diesen Zufluchtsort erreicht. Da – neben ihm plötzlich ein lauter Krach: Der Kondor hatte seine Beute fallen lassen und schickte sich an, auf den wehrlosen Knaben herabzustoßen. Wie ein Pfeil, die mächtigen Schwingen dicht an den Körper gedrückt, sauste er abwärts.

Fritz Prestat hörte das Rauschen über sich, stieß einen gellenden Schrei aus und sprang waghalsig vom Rande des Spaltes auf eine zwei Meter unter ihm liegende starke Zacke hinab, griff gleichzeitig mit den Händen zu und … war geborgen. –

Keinen Bruchteil einer Sekunde zu spät! Fühlte er doch noch im Nacken einen harten Gegenstand seine Haut streifen und gleichzeitig einen kräftigen, kühlen Luftzug, den die von dem wie eine Bombe niedersausenden Kondor in Bewegung gesetzten Luftschichten erzeugten. Ganz tief duckte er sich zusammen, schmiegte sich an die Felswand und wagte nicht, auch nur einen einzigen Blick nach oben zu werfen. –

So verging eine geraume Weile. Über sich hörte er den Riesenvogel am Rande des Spaltes schwerfällig sich hin und her bewegen. Da packte ihn neue Angst. Wie, wenn der Kondor den Versuch machte, einen Stein auf ihn herabfallen zu lassen …?! Wußte er doch, daß der südamerikanische Schopfadler, der ein gefährlicher Schaf- und Ziegenräuber ist, häufig Steine und Feldstücke aus großer Höhe mitten in eine Herde wirft, um das getroffene Opfer dann leichter entführen zu können. Der Lehrer in der deutschen Dorfschule hatte den Kindern diese Tatsache oft genug als Beweis für die Intelligenz der Tiere erzählt. –

Nein – wenn er sicher sein wollte, mußte er noch tiefer in den Spalt hinunterklettern. Vorsichtig begann er auch sofort den weiteren Abstieg, wobei ihm seine körperliche Gewandtheit sehr zu statten kam. Die Spalte verengte sich kaum merklich, und nach weiteren sechs Metern befand sich der Knabe glücklich auf ihrem Grund. Dieser war, soweit Fritz in dem Halbdunkel erkennen konnte, ebenfalls mit erkalteter Lava bedeckt und bildete eine Art Hohlweg, in dem man ganz bequem vorwärtsdringen konnte. Und das tat der kleine Schiffbrüchige auch. Langsam schritt er in der Richtung auf den Vulkan zu. Der Boden war zunächst ganz eben, wölbte sich dann aber plötzlich zu einer Erhebung auf, die bis zur halben Tiefe des Spaltes reichte. Ohne Zweifel waren hier bei einer von einem Erdbeben begleiteten Eruption des Vulkanes die tieferen Gesteinsschichten mit großer Gewalt wie eine Teigmasse emporgedrückt worden. Als der Knabe nun genauer hinschaute und diesen aus Felsbrocken bestehenden Hügel auf seine Ersteigbarkeit hin prüfte, sah er, daß das Hindernis aus schwarzen, glänzenden Steinkohlenstücken bestand, durch die sich goldig schimmernde Glimmerfäden als willkürliches Muster hindurchzogen. Diese Entdeckung war ihm im Augenblick jedoch völlig gleichgültig.

Nachdem er das Hindernis glücklich überwunden hatte, verfolgte er seinen Weg weiter auf dem jetzt wieder glatten Boden des Spaltgrundes und gelangte sehr bald an eine dunkle, gähnende Öffnung, die anscheinend in das Innere des Vulkans hineinführte.

Zögernd blieb Fritz hier stehen. Als sich seine Augen aber erst etwas an die Dunkelheit gewöhnt hatten, glaubte er im Hintergrund dieses vielleicht zwei Meter hohen und einen Meter breiten Felsenganges etwas wie einen helleren Lichtschimmer zu bemerken. So wagte er es denn mutig, in den Gang einzudringen. Behutsam tastete er sich Schritt für Schritt vorwärts. Bald sah er, daß der ungewisse helle Schein vor ihm tatsächlich keine Täuschung gewesen war. Der mit erkalteter Lava förmlich tapezierte unterirdische Gang stieg allmählich an und endete schließlich in einer geräumigen Höhle, in deren unregelmäßig gewölbter Decke ein Loch von etwa vier Meter Durchmesser gähnte, durch das das Sonnenlicht in breitem Strom hereindrang.

Neugierig schaute Fritz sich um und betrachtete alle Einzelheiten dieses prächtigen Zufluchtsortes, der sicher nur im Inneren des stumpfen Felshügels sich befinden konnte. Daß das der Krater eines erloschenen Vulkanes war, erkannte der aufgeweckte Knabe erst später.

Der Boden dieser natürlichen Grotte war einigermaßen eben, senkte sich aber nach der Mitte zu ein wenig und bildete hier eine Mulde, die gerade unter der Öffnung in der Decke lag. Was aber Fritz am meisten fesselte, war das Wasser, das diese Mulde füllte. Es war in steter Bewegung, wallte auf, stieg ein wenig und sank wieder bis zu der alten Wasserstandslinie zurück, ein Spiel, das sich in ganz regelmäßigen Zwischenräumen wiederholte. Das Merkwürdigste jedoch: über dem Wasserspiegel lagerte eine feine Dampfschicht wie über einem Kessel, dessen Inhalt gerade ins Kochen kommt. Die Dampfentwicklung nun brachte den Jungen, der jetzt seinen geflügelten Feind ebenso wie den Hunger völlig vergessen hatte, auf die naheliegende Vermutung, daß es sich hier um eine heiße Quelle handle. Er kniete sich auf den Boden hin und tauchte vorsichtig einen Finger in das brodelnde Wasser, zog ihn aber mit einem unterdrückten Schmerzensruf schnell wieder zurück: Der Inhalt der Mulde war siedend heiß. –

Noch eine geraume Weile betrachtete er dann den kleinen Teich, in dem das Wasser nie zur Ruhe kam, um etwa einen halben Meter stieg und gleich darauf wieder zurücksank, als ob es sich vergebliche Mühe gebe, in stets wiederholter Kraftanstrengung einmal die ganze Grotte zu überfluten.

Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Höhle zu, die bei einem Durchmesser von etwa vierzehn Meter ziemlich gleichmäßig rund war und mit dem Loch in der gewölbten Decke einer riesigen Butterglocke ähnelte, bei der durch einen kleinen Unfall der Griff und ein Teil des umliegenden Glases abgesplittert worden war. –

Dieser Vergleich stimmte jedoch insofern nicht ganz, als sich durch die Wand der Grotte an einer Stelle ein unregelmäßiger Riß hindurchzog, der bis zu der gewölbten Decke hinaufreichte und auch diese gespalten hatte. Die Butterglocke besaß also außer dem einen Schaden noch einen regelrechten Sprung.

Kritisch musterte der abenteuerlustige Junge jetzt diesen Felsspalt, der von jedem Bergsteiger als „Kamin“ bezeichnet worden wäre. Fritz Prestat überlegte sich, daß er vielleicht auf diesem Weg die Spitze des Felskegels erreichen könne, von wo er eine gute Aussicht über die ganze Inselgruppe gehabt hätte.

Nun – ein Versuch konnte ja nicht schaden! Und – seine Unternehmungslust wurde reich belohnt, reicher, als er erwartet hatte. Der Aufstieg in den Kamin war gar nicht einmal so schwer. Bald hatte er den überhängenden Teil des Felsspaltes in der Höhlendecke erreicht. Hier nun hieß es doppelt vorsichtig sein. Doch zum Glück zog der schmale Riß sich jetzt nicht ganz gerade, sondern in schräger Richtung nach oben, was die Gefahr eines Absturzes wesentlich verringerte.

Nun hatte er die Spitze, besser die ringförmige höchste Erhebung des Felskegel erreicht und schob langsam den Kopf ins Freie. Mußte er doch damit rechnen, daß der Kondor noch in der Nähe war. Aber bald hatte er sich überzeugt, daß ihm hier augenblicklich keine Gefahr drohe. So richtete er sich denn auf und stieg vollends aus den Kamin heraus. –

Der Ring der Kraterhöhle hatte etwa drei Meter Durchmesser und war mit Felsbrocken und erkalteten Lavastücken bedeckt, zwischen denen dicke Schichten Bimsstein lagerten. Letzterer ist bekanntlich ein rein vulkanisches Produkt, das nur in der Nähe feuerspeiender Berge gefunden wird und die Eigenschaft besitzt, sich im Wasser schwimmend auf der Oberfläche zu halten.

Zunächst warf Fritz einen Blick in die Runde. Von hier sah er deutlich die acht Eilande, die seine kleine Insel im Kreis umgaben. Auch diese vermochte er jetzt in ihrer Gesamtheit zu überschauen: Sie hatte eine eiförmige Gestalt, und die Felskuppe lag so ziemlich in der Mitte seines unwirtlichen Reiches, auf dessen Westseite ihn die Wellen ans Ufer geworfen hatten. Die Spitze dieses rauhen Felseneies erstreckte sich nach Osten zu. Dort schien aber der Boden ebener zu sein, und der Knabe glaubte an einigen Stellen des flachen Ostrandes sogar helle, sandige Flecken zu bemerken.

Nach diesem Überblick über das vielleicht dreiviertel Meilen lange, eine halbe Meile breite Eiland begann er die ringförmige Kraterspitze zu umwandern. An manchen Stellen fiel der Felskegel steil ab, anderswo wieder ermöglichten erstarrte Lavaströme ein Erklettern auch von der Außenseite. Plötzlich prallte der Knabe zurück und duckte sich: Auf einer etwa vier Meter unter ihm liegenden, breiten Felsplatte hatte er das riesige aus dicken Ästen, Zweigen und Moosstücken hergestellt Nest des Kondors entdeckt.

Darin hockte einer der Riesenvögel, sicherlich das Weibchen, während etwas tiefer auf einer Felszacke ein zweiter saß. Das geraubte Schaf aber lag noch unberührt neben dem Nest, welches wie ein mächtiger Haufen von Treibholz aussah.

Im einen Moment hatten Fritz Prestats Augen diese Einzelheiten erfaßt. Jetzt kniete er zusammengekauert hinter einem Felsblock. Sein Herz pochte in schnellen Schlägen, und sein erster Gedanke war, schleunigst wieder in das Innere des Kraters zurückzuklettern.

Dann aber siegte bei dem in der Wildnis groß gewordenen und daher für sein Alter ebenso kaltblütigen wie außerordentlich kräftigen Knaben die ruhige Überlegung: Wenn er hier auf seinem Eiland nicht verhungern wollte, so mußte er unbedingt zuerst die beiden Riesenvögel beseitigen. –

Bisher hatten diese ihn nicht bemerkt, da sie die Augen nach der Seeseite gerichtet hatten. Blitzschnell erwog er nun einen Plan, wie er trotz jeder fehlenden Waffe – denn sein Taschenmesser zählte hier nicht – den Kampf mit ihnen aufnehmen könne. Schwere Felsbrocken lagen genügend umher, und auf seine Treffsicherheit im Werfen konnte er sich ziemlich verlassen. Hatte er doch von klein auf sich schon mit der Bola geübt, jener gefährlichen Schleuderwaffe der südamerikanischen Indianer, die aus einem geflochtenem Ledergriff und mehreren, an kürzeren Riemen befestigten Bleikugeln besteht und mit der man sogar den galoppierenden Reiter zu Fall bringt.

Schnell hatte er sich zwei handliche, gut einen halben Zentner schwere Steine herausgesucht und schlich nun unhörbar wieder zu dem Außenrand des Kraters vor, richtete sich auf, zielte bedächtig nach dem Kopf des Weibchens und schleuderte den Felsbrocken mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft. Ganz gelang der Wurf nicht. Er traf den Riesenvogel dicht unterhalb des Kopfes gegen den Hals, immerhin aber mit dem Erfolg, daß das Tier einige Minuten völlig betäubt wurde. Sofort hatte er dem ersten Stein den zweiten gegen das Männchen folgen lassen.

Doch in demselben Augenblick, wo dieses Felsstück seinen Flug begann, prallte unten das andere mit lautem Krach auf, und der Kondor reckte sich neugierig vor, um die Ursache dieses Geräusches in der Tiefe zu ergründen. So kam es, daß der zweite Stein sein Ziel wieder halb verfehlte und nur mit dumpfem Anprall das rechte Flügelgelenk traf. Wie ein Blitz fuhr der Kondor herum, erspähte gerade noch die sich eiligst duckende Gestalt des Knaben und wollte sich sofort auf ihn stürzen … wollte!

Er suchte die mächtigen Schwingen auszubreiten, setzte gleichzeitig von der Felszacke ab und … sank infolge des durch den Steinwurf verletzen Flügelgelenkes wild um sich schlagend an der Außenwand des Kraters bis auf den Boden hinab.

Fritz Prestat hatte sich inzwischen in einen engen Spalt zwischen zwei flache, aufrecht stehende Felsstücke geklemmt und erwartet hier, wo ihm der Kondor kaum viel anhaben konnte, mit einem dritten Stein in der Hand einen Angriff.

Doch dieser erfolgte nicht. Und das machte den Knaben waghalsig. Er schlüpfte aus seinem Versteck hervor und blickte auf das Nest hinab. Dort lag noch das Weibchen, bisweilen leicht zusammenzuckend, mit herabhängendem Kopf da, und am Fuße des Kraters wieder hüpfte das Männchen in fast komisch anzusehenden Sprüngen hin und her und versuchte vergeblich, sich mit seinem lahmen Flügel in die Lüfte zu schwingen.

Kaum hatte der Knabe diesen halben Sieg richtig erkannt, als er sofort, zunächst gegen das offenbar nur betäubte Weibchen den Kampf fortsetzte. In seiner Aufregung traf er jedoch erst mit dem dritten Felsbrocken den Kopf dieses Riesenvogels, dafür aber auch so nachdrücklich, daß sofort das Gefieder um den gefährlichen Hakenschnabels blutrot zu werden begann.

Jetzt erst nahm er auch das Männchen aufs Korn. Er eröffnete ein förmliches Steinbombardement, und als er dem Kondor dann auch den einen Fuß halb zerschmettert hatte – es war ein Zufallstreffer nur! – und der Vogel daher nicht mehr von der Stelle konnte, raffte er sogar Felsbrocken auf, die er nur mit beiden Händen bewältigen konnte. Und eins dieser schweren Geschosse sauste dem geflügelten Räuber endlich derart gegen die Brust, daß er mit wütendem Krächzen auf die Seite fiel. Noch ein richtiger „Kopfschuß“ dann, und auch dieser Feind war besiegt.

Der Knabe stieß einen lauten Jubelruf aus. Erst nach einer geraumen Weile legte sich seine Erregung. Und nun, wo er nicht mehr um seine Sicherheit besorgt zu sein brauchte, meldeten sich bei ihm auch wieder recht eindringlich der Hunger und der … Durst. Für ersteren gab es leichte Abhilfe: Lag doch noch das von dem Kondor geraubte Schaf neben dem Nest. Und rohes Fleisch hatte Fritz Prestat schon häufiger gegessen, ebenso wie er sich auf das Ausweiden eines Stückes Vieh sehr gut verstand.

Aber der Durst …?! –

Von einer trinkbaren Quelle war auf der Insel nicht zu bemerken. Dann fiel ihm plötzlich die Kratergrotte und die Mulde mit dem heißen Wasser ein. Vielleicht war dieses, nachdem man es abgekühlt hatte, genießbar.

Der Abstieg zu dem Kondornest war nicht allzu schwierig. Der Knabe besaß zum Glück noch sein Taschenmesser, – kein harmloses Kinderspielzeug, sondern eines mit einer einzigen aufklappbaren, starken Klinge, so daß das Aufbrechen des Schafes schnell und kunstgerecht vor sich ging. Das Kondorweibchen regte sich nicht mehr und lag mit halb ausgebreiteten Flügeln in dem großen Nest. Plötzlich aber hörte der kleine, tapfere Robinson, der mit dem Rücken nach dem Nest zu auf dem Felsgrat kniete, hinter sich ein Geräusch.

Blitzschnell fuhr er herum, das Messer stoßbereit erhoben. Dachte er doch nicht anders, als der Riesenvogel sei wieder zu sich gekommen. Doch die Angst war überflüssig, und jetzt huschte sogar ein Lächeln über Fritz’ braungebranntes Gesicht. Unter dem Leib der toten Kondormutter arbeitete sich nämlich ein junger Vogel hervor, der trotz des nur eben erst fertig gewordenen Federkleides doch schon die Größe einer gut gemästeten Gans, im übrigen jedoch ein weit weniger harmloses und appetitanregendes Aussehen hatte. Das Junge litt entschieden an demselben Gefühl der Magenleere wie sein menschliches Gegenüber, sperrte immer wieder den Schnabel auf und stieß dazu recht unmelodisch Laute aus.

Nachher, als der Knabe dann die eine Hammelkeule ausgelöst hatte, schob er ihm daher auch eine ganze Menge Fleischbrocken in den Hals, die sofort gierig verschlungen wurden. Nebenbei sättigte Fritz sich selbst, und so kam es, daß er die erste Mahlzeit auf seinem Eiland nicht allein einzunehmen brauchte, sondern einen Gesellschafter, wenn auch einen aus der Raubvogelwelt, hatte.

Während er das rohe, leider recht zähe Fleisch des schon etwas überalterten Schafes verzehrte, dachte er nochmals eingehend über seine Lage nach. Er wußte, daß die Barga-Inseln unbewohnt waren und außerhalb jedes Dampferweges lagen. Das hatte Jochem Spalding ihm und seinem armen Bruder Heinrich erzählt, als die Bark infolge der Flaute in der Nähe der Gruppe tagelang stillag.

Mithin mußte er sich darauf gefaßt machen, hier vielleicht längerer Zeit den Robinson zu spielen. Seinem abenteuerlichen Sinn war dieser Gedanke gar nicht so sehr unangenehm. Wenn nur noch Heinrich hier gewesen wäre …! Dann hätten sie gemeinsam sich ganz gut auf diesem öden Eiland weitergeholfen.

Gewiß – zwischen ihm und dem Bruder hatte es häufig Streit und Zank gegeben. Das würde aber jetzt alles so anders sein, wo sie nunmehr vollständig auf sich allein angewiesen gewesen wären. Heinrich war ja nur ein Jahr älter, aber weit, weit klüger, wenn auch vielleicht nicht ganz so praktisch veranlagt wie er. –

Der bedauernswerte Bruder …! –

Und wieder rannen Fritz ein paar ehrliche Tränen über die Wangen.

Dann aber meldete sich der Durst immer stärker. Er kletterte also auf dem gefahrlosen Weg an der Außenseite des Kraters hinab und begab sich durch den Felsenspalt in die Grotte, wo er in Ermangelung eines anderen Schöpfgerätes mit seiner Lederjacke etwas von dem siedendem Wasser in eine am Rand des Beckens befindliche Vertiefung hineingoß, indem er die Ärmel zuknotete und so zwei Schläuche erhielt, die sich schnell füllten und auch leicht entleert werden konnten.

Während er dem Wasser Zeit zum Abkühlen ließ, schaute er sich genauer in der Kraterhöhle um. Hierbei entdeckte er neben dem Felsspalt, in dem er vorhin nach oben geklettert war, eine Ausbuchtung in der Wand, die ihm sofort recht geeignet als Schlafraum erschien.

Das Wasser der heißen Quelle schmeckte zwar leicht bitter, war aber recht gut genießbar. Nachdem Fritz seinen Durst gelöscht hatte, gedachte er als erstes sich ein Lager für die Nacht herzurichten und das Fell und Fleisch des Schafes sowie die Eingeweide an einer kühlen Stelle aufzubewahren. Er hatte schon gemerkt, daß die Luft am kältesten in dem Gang war, der durch die Wand des Kraters von dem Felsspalt aus hindurchführte. Dort legte er sich seine Speisekammer an, die freilich nur in einem breiten Riß des Ganges bestand, den der an diesem mit den Händen gefunden hatte. Nur das Fleisch tat er an diesen kühlen Platz. Das Fell und die Eingeweide brachte er in die Grotte, um beide später zu verwenden. Hierauf machte er sich sofort an die bedeutend schwierigere Arbeit, die beiden Kondore ihres Federkleides zu berauben. Wußte er doch, daß ein Tier am leichtesten abzuhäuten ist, bevor die Leichenstarre eintritt.

Als er auch dies erledigt hatte, mußte, nach dem Stand der Sonne zu urteilen, die Mittagszeit gerade vorüber sein. Die großen Federbälge, die er auf der Innenseite sauber abschabte, mit heißem Wasser und kleingestampften Bimsstein wusch und mit dem Gehirn des Schafes einrieb, um ein Brüchigwerden der Haut zu verhüten, ergaben eine weiche Unterlage für sein Bett. Ebenso wurde das Hammelfell präpariert, welches er als Decke zu benutzen gedachte.

Auch die Därme reinigte er sorgfältig, tränkte sie mit Hammeltalg, drehte sie zu Schnüren fest zusammen und hing sie zum Trocknen auf. Er wußte, daß er auf diese Weise bei häufigem Nachfetten geradezu unzerreißbare, dünne Stricke erhalten würde. Oft genug hatte er bei dieser Art von Seilerarbeit auf der väterlichen Farm mit Hand anlegen müssen.

Bisher war er noch nicht schlüssig darüber geworden, was mit dem jungen Kondor geschehen solle. Das Tier zu töten widerstrebte ihm. Anderseits wußte er selbst noch nicht einmal, ob er auf der unwirtlichen Insel nur für sich allein genügend Nahrungsmittel finden würde. Schließlich beschloß er, den Kondor vorläufig mit in die Grotte zu nehmen und ihm dort aus Steinen und Felsplatten eine Art Käfig zu bauen. Dies war bald getan. Material gab es ja auf dem Eiland beinahe zu reichlich in der gewünschten Art.

Schwieriger war, den widerspenstigen Vogel in das Innere des Kraters zu schaffen, da das kräftige Tier sich ängstlich wehrte und mit dem Schnabel wütend um sich hackte. Als der kleine Robinson den gefiederten Gefangenen aus dem Nest holte und dabei in dieses hineinklettern mußte, dachte er an den Nutzen, den ihm die Äste und Zweige dieses Vogelhorstes auf der jeder Vegetation entbehrenden Felsinsel noch bringen könnten.

Nachdem daher der Kondor glücklich in seinem Steinkäfig eingesperrt war, begann der Knabe das Nest auseinanderzureißen. Manchen Tropfen Schweiß kostete das. Dafür hatte er aber auch nachher die Genugtuung, einen Haufen Holz zu besitzen, den er zu mancherlei Dingen verwenden wollte. Am wichtigsten für ihn war, daß er unter dem von dem Kondorpaar zusammengetragenen Baumaterial auch zwei Bretterstücke fand, in denen mehrere Nägel steckten und außerdem die eine Hälfte einer starken Türangel eingelassen war. Letztere mußte, wenn man sie etwas zurechtschmiedete, ein ganz leidliches Beil ergeben, da man unschwer in das Zapfenloch einen Stiel einfügen konnte. Der Kondorhorst enthielt aber noch so manches andere, was Fritz Prestat sofort als recht wertvoll erkannte. Zunächst eine dicke Schicht Guano, vermischt mit Moos und Laub. Sodann zwei der riesigen Eier, aus denen sich trotz einiger Löcher in der Schale Trinkgefäße herstellen ließen. Und endlich einige dreißig gerade reife Roggenhalme, die prächtige Ähren besaßen und deren Samen sicher aus dem unverdauten Mageninhalt eines Beutetieres stammten.

Ein blinder Zufall hatte diese Samenkörner gerade am Rand des Nestes zwischen weit auseinanderragenden Ästen auf eine Stelle der Felsplatte fallen lassen, wo mit der Zeit aus Guano, verfaultem Moos und mürber Rinde ein Fleckchen fruchtbaren Bodens entstanden war. Und nun sollten sie für einen armen, einsamen Jungen in ihren Früchten noch von so großem Nutzen werden. Hatte Fritz sich doch sofort gesagt, daß es ihm unschwer gelingen müsse, auf gleiche Weise ein größeres Stück ertragsfähiger Erde zu gewinnen, in die er die Körner der reifen Ähren säen und so den Grund für einen späteren Getreideanbau schaffen wollte.

Mittlerweile hatte sich die Sonne immer mehr dem Horizont genähert, und der fleißige Knabe fühlte sich jetzt auch so müde, daß er nun für heute die Arbeit einzustellen gedachte. Wie er dann abermals seinen inzwischen wieder rege gewordenen Hunger mit rohem Fleisch stillen wollte, fiel ihm noch zur rechten Zeit ein, daß er ja die Möglichkeit besaß, sich das Fleisch zu kochen. Freilich – auf Bouillon mußte er verzichten, da der Kochtopf die heiße Quelle sein sollte. Er spießte ein tüchtiges Stück Fleisch auf einen zugespitzten Ast und befestigte diesen am Rand des Beckens mit Feldstücken derart, daß das Fleisch stets in dem siedenden Wasser hing.

Der Versuch glückte. Die Mahlzeit schmeckte, da sie ohne Salz zubereitet war, recht nüchtern. Aber besser als in rohem Zustand mundete sie dem kleinen Robinsone doch. Dann fütterte er noch den Kondor mit Stücken der Hammellunge und streckte sich, nun vollständig ermattet, auf sein Lager hin.

Der Tröster Schlaf kam dem Einsamen sehr bald. Seine letzten Gedanken, bevor er in das Reich der Träume hinüberglitt, galten seinem Bruder und – der Frage, auf welche Weise es ihm wohl gelingen könnte, sich Feuer zu beschaffen, – Feuer, mit dem er imstande sein würde, die entdeckten Steinkohlen weiterhin als Brennmaterial zu benutzen.

Nachdem er am nächsten Morgen recht erfrischt aufgewacht war, bereitete er sich wieder ein Stück Hammelfleisch in der heißen Quelle zu, fütterte den Kondor und machte sich dann auf den Weg nach der Ostseite der Insel, um auch diesen ebeneren Teil seines kleinen Reiches kennen zu lernen. Aber auch hier gab es nur felsigen Boden.

Erfreulicher war dann jedoch für den Knaben der Anblick des Strandes, wo es wirklich viele sandige Uferstellen gab und auf diesen sonnten sich eine Unmenge von großen Schildkröten, deren Eier Fritz nachher im Sand verscharrt fand. Er wußte, daß Schildkrötenfleisch sehr wohlschmeckend und kräftig ist. Und doch nützten ihm die gepanzerten Tiere insofern nicht viel, als er ohne Feuer sie zwar kochen konnte, aber gerade die vielgerühmte Brühe verlor. –

Als er dann vom Oststrand, immer am Ufer entlang schreitend, das sich dem nördlichen Teil des Eilandes zu streckte, fand er an einer felsigen Stelle in den Vertiefungen des Gesteins hier und da eine weißliche, glänzende Schicht. Er kostete von der kristallisierte Masse und – spie sie sofort wieder aus, freilich mit hocherfreutem Gesicht. Die weiße Schicht war Salz, das sich nach dem Verdunsten des Meereswassers hier niedergeschlagen hatte.

Er schabte sich eine ganze Menge der Salzkristalle ab und tat sie in die Tasche seiner Jacke. Einen größeren Vorrat wollte er erst später in seiner Grottenwohnung ansammeln. –

Bereits als er die weißen, für die Schmackhaftmachung der Speisen so notwendigen Niederschläge hier auffand, war ihm ein zischendes Geräusch aufgefallen, das hinter einer noch mehr nach Norden zu gelegenen Felsengruppe hervorzudringen schien. Es klang so, als ob fortgesetzt glühendes Metall in Wasser gehalten wurde.

Bald entdeckte er dann auch die Ursache dieser Töne, die ihn zunächst etwas erschreckt hatten. Aus der Spalte eines von erkalteter Lava fast gänzlich umgebenen Felsens drang eine dickflüssige, graufarbige Masse hervor, die über eine einen Meter breite Felsplatte hinwegfloß und dann über das steil abfallenden Ufer in die See hinabstürzte, wo sie unter geringer Dampfentwicklung und begleitet von dem zischenden Geräusch sofort erstarrte und unter Wasser allerlei seltsame Gebilde schuf.

Fritz Prestat wurde sich nicht klar über die Natur dieser Quelle. Was er in der Schule über Vulkane gehört hatte, genügte nicht, um ihm die richtige wissenschaftliche Erklärung für diese merkwürdige Erscheinung zu geben. Es handelte sich hier um eine sogenannte Glasquelle, bei der eine glühend-flüssige, glasähnliche Masse aus den Tiefen der Erde in der Nähe von Vulkanen hervorgetrieben wird. Derartige Glasquellen sind zum Beispiel auf den Großen Antillen und in Mexiko entdeckt und auch für industrielle Zwecke – Herstellung von Gefäßen, Dachpfannen, Mauerziegeln usw. – ausgenutzt worden. –

Für den kleinen Robinson war vorläufig das die Hauptsache, daß die dickflüssige Masse offenbar einen sehr hohen Hitzegrad besaß. Versuchsweise warf er nun ein paar ans Ufer gespülte Seepflanzen oben auf den Glasfluß, wo diese sofort trockneten und auch bald ins Glimmen kamen.

Beim Anblick der glühenden Pünktchen faltete der Knabe unwillkürlich dankbar die Hände. Er brauchte ja jetzt nur genügend Moos von den Resten des Kondornestes mit der Glasmasse in Berührung bringen, um durch nachheriges vorsichtiges Hineinblasen in die Glut eine offene Flamme zu erzeugen. Diese wieder konnte er durch Zweige und Äste weiter nähren und dann unschwer bis in das Kraterinnere tragen.

Ganz erfaßt von diesem Gedanken eilte er nun seiner Felsenbehausung zu und baute dort sofort aus Felsstücken und Steinen dicht am Rande des kleinen Wasserbeckens einen Herd, holte dann aus dem Felsspalt, der ihn vor dem Angriff des Kondors geschützt hatte, eine Menge Kohlen herbei und machte sich dann wieder, versehen mit einigem Brennholz, auf den Weg nach der Glasquelle zum Nordufer des Eilandes.

Eine Stunde später stand er schon vor seinem neuen Herd und betrachtete wohlgefällig die leckenden Flammenzunge, die aus dem „schwarzen Diamanten“ – so hatte der Lehrer die Steinkohlen wegen ihres hohen Wertes für die Menschheit oft bezeichnet – immer weiter um sich griff. Jetzt fehlt ihm nur noch ein Kochtopf, um sich eine prächtige Mahlzeit zubereiten zu können. Doch auch dieser Mangel war bald beseitigt. Draußen am Fuß des Kraterkegels lagen ja überall eine Unmenge von seltsam geformten Lavastücken herum. Und darunter mußte er wohl eines finden, das ungefähr die Form einer Mulde hatte und nicht allzu dickwandig war. Nach längerem Suchen nahm er drei Lavagebilde mit in sein geräumiges Haus, die ihm für seine Zwecke durchaus geeignet erschienen. Das größte davon, das die Form einer länglichen Bratenschüssel hatte, setzte er sorgsam ausgewaschen auf die Glut, tat Wasser, Fleischstücke und Salz hinein und bemerkte bald zu seiner hellen Freude, wie der Inhalt lustig zu kochen begann.

Nachdem er gegessen hatte, kletterte er auf die Kraterspitze hinauf, um dort an der höchsten Stelle eine Art Flaggenstock zu errichten. Dieser Gedanke war ihm vorhin bei der Wanderung nach der Südseite der Insel gekommen. In der Nähe zufällig vorüberfahrende Schiffe mußten durch die weithin sichtbare Fahne, die er aus seinem Hemd zurechtschneiden wollte, notwendig darauf aufmerksam gemacht werden, daß hier ein Schiffbrüchiger auf Errettung wartete. –

Den Flaggenstock stellte er aus den stärksten Ästen her, die er mit den selbstgefertigten Darmschnüren aneinanderband. Da hierbei der größte Teil der Schnüre draufging, suchte er sich sofort durch die Därme der beiden toten Riesenvögel Ersatz zu schaffen. Appetitlich war diese Arbeit gerade nicht. Aber dafür besaß er nachher auch einige zwanzig Meter starken Fadens, der so gut wie unzerreißbar war.

Die nächsten drei Tage mußte der kleinen Robinson notwendig in der Grotte zubringen, da es draußen wie mit Eimern vom Himmel heruntergoß. Dieser Regen zeigte ihm, daß er seinen Herd recht unpraktischer Weise gerade unter der Deckenöffnung des Kraters, also an einer Regen zugänglichen Stelle, angelegt hatte. Er baute also schleunigst eine neue Feuerstelle an der seiner Lagerstatt gegenüberliegenden Wand und richtete sich hier eine Art Küche ein.

Außerdem benutzte er diese Regentage dazu, sich eine Lanze sowie Bogen und Pfeile aus geeigneten Ästen und Zweigen herzustellen. Als Lanzenspitze benutzte er einen zugespitzten Knochen des Kondormännchens, und ebenso setzte er starke Knochenstücke der glasharten Vogelskelette als Pfeilspitze auf. Auch die Fiederung vergaß er bei den Pfeilen nicht, um deren Treffsicherheit zu erhöhen. Federn besaß er ja übergenug.

Die dritte Waffe, die er, wie schon überlegt, sich zurechtschmiedete, war ein kleines Beil, zu dessen Eisenteil er die im Kondornest gefundene Türangel, die er im glühenden Zustand durch Behämmern mit Steinen eine entsprechende Form und leidliche Schärfe gegeben hatte, vorzüglich verwenden konnte. –

Alle diese Gegenstände gelangen dem geschickten und ausdauernden Knaben über Erwarten gut. Besonders der große, aus einem Ast der elastischen und sehr zähen südamerikanischen Rotbuche geschnitzte Bogen mit der starken Darmsehne war eine nicht zu verachtende Schußwaffe. Später versah Fritz dann auch noch einige Pfeile mit eisernen Spitzen. Letztere gewann er aus den im Kondornest in den Plankenstücken gefundenen Nägeln.

Am fünften Tag seiner Anwesenheit auf der Insel, als schon wieder die Sonne vom wolkenlosen Himmel herablachte, sollte er dann eine Überraschung erleben, die ihn zuerst ganz närrisch vor Freude machte.

Es war um die Mittagszeit, als er gerade die Reste der Kadaver der beiden Riesenvögel in einer kleinen Felsspalte mit Geröll zudeckte. Plötzlich hörte er hinter sich eine bekannte Stimme …: „Fritz – Fritz!“ rufen.

Er fuhr herum: Es war sein älterer Bruder Heinrich! –

Weinend sanken sich die Wiedervereinten in die Arme. Und dann ging’s ans erzählen.

Heinrich Prestat hatte sich nach dem Scheitern der Jolle an ein Stück des zertrümmerten Bootes geklammert und war schließlich nach stundenlangem Kampf mit den Wellen an das Ufer eines der Eilande des Außenringes der Barga-Inseln geworfen worden.

Hier hatte er es jedoch lange nicht so gut wie sein Bruder angetroffen. Er mußte im Freien schlafen, von Muscheln und rohem Schildkrötenfleisch sich nähren und aus Regenpfützen den Durst löschen. Dann bemerkte er am Nachmittag des zweiten Tages auf dem mittelsten Eiland die weiße Flagge. Eine innere Stimme sagte ihm, daß nur Fritz dieses Notsignal, welches er vordem nicht gesehen hatte, errichtet haben könne. Aus Planken eines gescheiterten Schiffes, die er an der Außenseite seiner Insel am Strand entdeckte, stellte er sich daher mühselig ein sehr primitives Floß her, dessen Teile er untereinander durch aus Seetang geflochtene dicke Taue notdürftig verband.

In den windigen Regentagen wagte er die Überfahrt jedoch nicht. Erst heute bei dem ruhigeren Wetter hatte er sein Eiland frühmorgens verlassen und sein kleines Floß Schritt für Schritt mit Hilfe eines aus einem Brett der angespülten Jollenreste gefertigten Ruders auf die mittelste Insel zugetrieben.

Jedenfalls waren Fritz’ Erlebnisse bedeutend aufregender und auch wertvoller. Staunend lauschte Heinrich dem Bericht über den Kampf mit dem Kondorpärchen, und weit riß er die Augen auf, als er die Grotte betrat und hier die heiße Quelle, den Herd mit den brennenden Kohlen und all die anderen Dinge erblickte, die der jüngere Bruder zur Verfügung hatte.

Jetzt, wo die beiden Knaben gemeinsam für ihre weitere Zukunft sorgen konnten, war auch ihr alter Frohsinn zurückgekehrt. Heinrich, der belesenere von ihnen, war es, der allerlei gute Ideen zur behaglichen Ausgestaltung ihres Robinsondaseins hatte, während Fritz mehr die praktischen Anweisungen zu ihrer Durchführung gab.

Tag für Tag arbeiteten sie nun nach einem bestimmten Plan, indem sie zuerst, solange es hell war, die notwendigsten Dinge erledigten und abends beim Schein des Kohlenfeuers sich mit häuslichen Vorbereitungen abgaben. Mußten sie doch daran denken, sich für die Regenzeit, die hier den Winter vertrat, und die spätestens in zwei Monaten einsetzen würde, sich genügend Fleischvorräte zu besorgen.

Heinrich hatte am Strand seines Eilandes nach der offenen See hin eine große Anzahl Robben bemerkt. Auf diese gedachten die Brüder Jagd zu machen, da ihnen alles von diesen Tieren, Fell, Fleisch und Tran, von größtem Nutzen sein konnten. Nachdem daher auch für den Älteren eine Lanze, Bogen und Pfeile geschnitzt waren und man auch das in einer kleinen Bucht an der Rückseite der Insel verankerte Floß durch Auflage von starken Ästen dauerhafter gemacht, ebenso einen Mast darauf errichtet hatte, der mit den daran befestigten zwei Flügelpaaren des erlegten Riesenvogels dem Fahrzeug einen recht abenteuerlichen Anstrich verlieh, stachen die Brüder am Morgen des sechsten Tages nach ihrer Wiedervereinigung in See und steuerten auf das von Heinrich bezeichnete Eiland zu. Die Kondorflügel gaben, wie sich jetzt herausstellte, ganz vortreffliche Segel ab. Die zwei Meilen nach der Robbeninsel waren bald durchmessen, und glühend vor Jagdeifer und neugierig darauf, wie sich ihre Waffen bewähren würden, eilten die Knaben quer durch diese genau so unwirtliche, felsige Insel der Seeseite zu, wo sich an dem flachen Gestade gut hundert der walzenförmigen, auf dem Land so schwerfälligen Tiere sonnten.

Mühelos hätten die Brüder hier ein furchtbares Gemetzel anrichten können, da die Robben vor ihnen nicht die geringste Scheu zeigten. Aber sie töteten zunächst nur vier der stärksten Tiere, häuteten sie ab und banden Speckstücke in die Felle ein. Dann mußte noch ein halbes Dutzend jüngerer Robben das Leben ihres zarten Fleisches wegen lassen. Diese wurden jedoch nicht abgehäutet, sondern sollten so wie sie waren auf dem Floß verladen werden, dessen Tragfähigkeit die Knaben noch durch Einfügen weiterer Schiffstrümmer erhöht hatten.

Kurz vor Sonnenuntergang landeten sie dann wieder auf ihrem Eiland und trugen ihre reiche Beute nach dem Felskegel, wo sie sie zunächst in einer kühlen, tiefen Bodenspalte niedergelegten.

Die folgenden Tage benutzen sie dazu, auch die jungen Robben abzuhäuten und zu zerlegen, die Felle zu reinigen und besonders die Gedärme mit Fett zu Schnüren und zu Stricken zu präparieren, das jetzt bei dem großen Tranvorrat besser als früher gelang. Gleichzeitig wurden auf Vorschlag Heinrichs eine Menge von Gefäßen hergestellt, in denen das eingesalzene Robben- und Schildkrötenfleisch und der Tran aufbewahrt werden sollten. Lange hatte der ältere der Brüder sich den Kopf darüber zerbrochen, wie man die Glasquelle zur Fabrikation von Töpfen und größeren Behältern ausnutzen könnte.

Dann kam ihm ein ebenso einfacher wie praktischer Gedanke, dem sofort ein Versuch im Kleinen folgte. Ein Stück Holz wurde an einem Ende sorgfältig rund geschnitten und mit einer platten Spitze versehen. Dann schlug Fritz, der auch hier die Ausführung übernahm, in den gerundeten Teil eine ganze Anzahl von kurzen, dünnen Pflöcken ein, die etwas herausragten und aussahen wie die Stifte auf der Walze eines Musikapparates. Das dergestalt zu einer Form für Trinkbecher zurechtgearbeitete eine Ende des Holzstückes wurde nun in die flüssige Glasmasse eingetaucht, schnell darin herumgedreht und wieder herausgezogen. Die kleinen Pflöcke bewirkten, daß die zähe Masse sich um das Holz wie eine Teigschicht herumlegte und es mit einer vollständigen Glasspitze versah. Gleichzeitig brannte aber auch das glühende Glas die kurzen Zapfen der Holzform weg und verringerte deren Durchmesser gerade so weit, daß man das Holz nach dem Erkalten der äußeren Schicht bequem herausziehen konnte. Selbst einen Fuß erhielten diese Trinkbecher, indem man sie mit dem geschlossenen Ende so lange in die Glasmasse hielt, bis ein wenig davon unten festgeklebt war, und sie dann schnell auf einen flachen Stein aufdrückte, wodurch die anhaftende Masse sich unten abplattete. –

Gewiß – auf Schönheit und gefällige Formen konnten diese Trinkbehälter, die etwa zehn Zentimeter Durchmesser und eine nicht ganz gleichmäßige Höhe hatten, keinen Anspruch erheben. Später, als Fritz auf dieses eigenartige Töpferhandwerk mehr eingeübt war, gerieten die Gefäße schon besser und es gelang ihm sogar, selbst Henkel daran anzubringen. –

Nach dem glücklichen Erfolg dieser Probegüsse gingen die Knaben unverweilt an die Verfertigung größerer Krüge heran, indem sie als Form in derselben Weise dickere und längere Hölzer benutzten. So lieferte ihnen ein dicker Schiffsbalken, der freilich nach jedem Guß etwas an Umfang abnahm, ein Dutzend schlanke Behälter von einem Meter Höhe und etwa vierzig Zentimeter Durchmesser. Auch Kochtöpfe in verschiedener Größe entstanden so, und die Küche der beiden Knaben besaß nach einiger Zeit sogar Teller und mehrere Bratpfannen. Dabei zeigte die Glasmasse keinerlei Neigung, über dem Feuer zu springen, was darauf zurückzuführen war, daß ihre chemischen Bestandteile doch ganz andere als die des reinen Glases waren.

Das Einpökeln des Robbenfleisches und einer ganzen Anzahl von Schildkröten in die großen Krüge war in einigen Tagen erledigt. Als Vorratsraum wurde jetzt eine Erweiterung der Zugangsspalte benutzt, die man mit Hilfe von zusammengelesenen Schiffstrümmern, Robbenfellen und darauf geschichteten flachen Lavastücken überdachte, ohne daß ein Fremder von oben her bemerken konnte, das hier Menschenhände sich eine reich gefüllte Speisekammer geschaffen hatten.

Genau eine Woche nach ihrem ersten Ausflug nach der Robbeninsel statteten die Brüder dieser einen zweiten Besuch ab, um noch eine größere Anzahl von Fellen zu erbeuten und gleichzeitig den Strand nach angetriebenen Planken abzusuchen.

Dieser Ausflug verlief ebenso wie mehrere später unternommene ohne jeden Zwischenfall. Die Knaben besaßen jetzt reichlich zwei Dutzend Robbenhäute und ferner einen großen Haufen Treibholz, den sie in der Nähe des Kraters als Erfolg mehrerer Floßfahrten aufgestapelt hatten.

Inzwischen war der ältere der beiden Robinsone auf zwei neue Ideen gekommen: mittels einer Angel in der Bucht, wo sich ständig eine Menge von Fischen aufhielt, mehr Abwechslung in den etwas eintönigen Speisezettel zu bringen und den Versuch zu machen, einen Teil der als genießbar gefundenen Fische einzusalzen und dann zu räuchern – die aus Nägeln geschmiedeten Angelhaken und die festen Darmschnüre förderten dann auch wirklich manchen zappelnden Meeresbewohner aus der Tiefe heraus.

Doch mit dem Räuchern wollte es zunächst nicht gehen, bis Fritz auf den Gedanken kam, den inzwischen erbauten Räucherofen mit einer Flechtenart, die auf der Robbeninsel in Massen auftrat, zu füllen und dadurch den konservierenden Rauch zu erzeugen. Dieser neue Versuch gelang. Die Fische schmeckten zwar etwas scharf, aber nicht unangenehm.

Ebenso gut schnitten die Brüder bei dem Proberäuchern eines Robbenviertels ab, und nun hing dauernd der stark qualmende Ofen, der neben dem Holzstapel stand, voller Stücke Robbenfleisch. – – –

Bald nahte nun auch die rauhe, stürmische Regenzeit, die die Brüder mit kurzen Unterbrechungen drei endlose Monate an ihre Grotte fesselte und ihnen das Ausgehen unmöglich machte.

Die Langeweile lastete bald mit niederdrückender Schwere auf ihnen. Gewiß – sie erledigten sowohl am Tage als auch abends beim Schein einer Anzahl von Tranlampen, deren Dochte sie aus ihren wollenen Unterkleidern gewannen, allerlei kleine Arbeiten, fertigten sich aus den weich gegerbten Robbenfellen Anzüge an, wobei ganz dünn gedrehte, durch gebohrte Löcher hindurch gezogene Schnüre die Stelle von Nähten vertraten, bauten sich vor ihrem Schlafraum eine aus Holz und darüber gespannten Fellen bestehende Wand, in der sich ein Eingang mit einem Fellvorhang befand, schnitzen sich aus Holz Löffel und zweizinkige Gabeln, brachten ihrem gefiederten Hausgenossen, dem Kondor, allerlei Kunststücke bei und schossen mit dem Bogen nach der Scheibe, die ein halb verfaultes Brett vorstellte …

Aber drei Monate sind eine endlose Zeit, und nur zu bald wußten die Knaben nicht mehr recht, was sie anfangen sollten, um sich die Tage zu verkürzen. Da war es Heinrich wieder, der ein dem Halma ähnliches Spiel erdachte und dazu allerlei schwierige Spielregeln erfand. Mit Eifer gaben die Brüder sich dieser neuen Zerstreuung hin, die ihre Gedanken wohltätig von ihrem ihnen jetzt erst so recht zum Bewußtsein kommenden traurigen Schicksal ablenkte.

Endlich hatte auch die Regenzeit ein Ende. Wieder schien die Sonne mit ihren erwärmenden Strahlen vom blauen, wolkenlosen Himmel herab, und die Brüder konnten sich wieder munter in ihrem kleinen Reich umhertummeln.

Dann merkte der Jüngere eines Tages, daß Heinrich stets sehr nachdenklich herumging. Als er ihn über die Ursache dieser recht auffälligen Veränderung befragte, erwiderte Heinrich mit einem tiefen Seufzer:

„Weißt du auch, Fritz, daß hier auf diesem Eiland zwei Millionäre sich dauernd von Fischen, Robbenfleisch und Schildkrötensuppe sättigen müssen?!“

Der jüngere tippte sich mit dem Zeigefinger lachend an die Stirn.

„Millionäre …!! Du hast wohl den Sonnenstich …!!“

Doch Heinrich blieb völlig ernst. „Du wirst mich bald verstehen. Ich bin in den letzten Tagen in all den Bodenspalten umhergeklettert, die sich von dem Krater meist strahlenförmig nach allen Seiten hin erstrecken und von denen einige eine Tiefe bis zu zwanzig Meter haben. Mit Hilfe von Stricken ließ ich mich, während du angeltest, in die Schlünde hinab und habe ihre Wände in einer ganz bestimmten Absicht mit einer unserer Lampen genau untersucht. Und so stellte ich fest, daß hier ziemlich dicht unter der Oberfläche sich ein Steinkohlenflöz hinzieht, welches außerordentlich dick und dabei sehr leicht abzubauen, das heißt transportfähig nach oben zu schaffen ist. Millionen ruhen hier, und wir sind ihre rechtmäßigen Besitzer, da wir das Vorhandensein der schwarzen Diamanten entdeckt haben. Und – gelangen wir einmal wieder glücklich in bewohnte Gegenden zurück, so ist mein erstes, daß ich mir das Anrecht auf dieses Kohlengebiet sichere.

Wie man das tut, weiß ich nicht. Ich weiß jedoch, daß es besondere Gesetze gibt, die dem Entdecker solche Mineralienfunde schützen.“

Fritz starrte jetzt den Bruder mit wahrer Hochachtung an.

„Donnerwetter – also Millionäre!! Das ließe ich mir gefallen. Leider gibt es dabei ein großes Wenn und Aber: wenn wir in die bewohnten Gegenden zurückkehren, – aber wie soll das geschehen …?! –

Bisher haben wir noch nicht ein einziges Schiff hier in der Nähe zu Gesicht bekommen, und Jochem Spalding sagte uns doch leider ausdrücklich, daß die Barga-Inseln die gottverlassensten Gegenden im ganzen Atlantik seien und daß selbst Robbenfänger dort keine lohnende Tätigkeit fänden.“

Heinrich nickte zerstreut – und dann ließen sie dieses Thema fallen und kamen auch nicht wieder darauf zurück.

Die Wochen, Monate gingen dahin. Wieder war der 2. August da, derselbe Tag, an dem der Sturm sie auf die Barga-Inseln verschlagen hatte. Heinrich hatte auch sein Notizbuch damals mitgerettet, und in diesem befand sich vorn ein Kalender für die Jahre 1909 und 1910.

Am 2. August 1909 begann ihr Robinsondasein, und nun waren es schon volle zwölf Monate. Die Lebensführung der Brüder hatte sich nur insofern geändert, als sie sich immer mehr Bequemlichkeiten geschaffen hatten, durch die sich ihr eintöniges Dasein behaglicher gestalten ließ. Floßfahrten, Angelsport, Robbenfang und häusliche Arbeiten bildeten ihren Lebensinhalt.

Im Frühjahr hatten sie auch ein kleines Feld sich angelegt und die sorgfältig aufbewahrten Roggenkörner – es waren genau 768 – ausgesät, begossen es genügend und erlebten auch die Freude, daß die Saat infolge des kräftigen Guanodüngers schnell aufging und das Feld Anfang August schnittreif war.

Zur Ernte benutzten sie den 2. August, den traurigen Jahrestag ihres Einsiedlerdaseins. Mit dem Messer wurden die Halme einzeln abgeschnitten und die Ähren zur Nachreife auf die Felsen ausgebreitet. Mit landwirtschaftlichen Arbeiten in tropischem Klima wußten sie ja Bescheid. Vierzehn Tage später säten sie das gewonnene Korn zum zweiten Mal aus. Bis zum Beginn der Regenzeit mußte es sicher wieder reif sein. Und auch diese zweite Ernte von dem bedeutend vergrößerten Feld übertraf ihre kühnsten Erwartungen, so daß sie es wagen konnten, einen Teil des Roggens zu Mehl zu zerreiben und sich daraus Brot zu backen.

Dann war auch schon der traurige Tropenwinter, – Regen und Stürme ohne Unterlaß, zum zweiten Mal da. Langsam schlichen die Tage hin. Aber dieses Mal waren die Brüder bereits an das Eintönige ihrer Lebensweise mehr gewöhnt.

Heinrich beschäftigte sich mit dem Gedanken, aus den Holzvorräten ein seetüchtiges Floß zu bauen, um die argentinische Küste damit zu erreichen, berechnete genau die dazu vorhandenen Holzvorräte und zeichnete in sein Notizbuch verschiedene Entwürfe ein, wie das Floß am praktischsten herzustellen wäre. –

Inzwischen hatten sich die Brüder durch den steten Aufenthalt in der freien Luft zu recht stattlichen Burschen entwickelt, und besonders der Ältere besaß in seinem Äußeren und seine ganzen Auftreten geradezu schon etwas Männliches.

Sie trugen jetzt ihre selbstgefertigten Fellanzüge, die rauhe Seite nach außen, dazu Mützen mit vorspringender Krempe aus demselben Stoff. Wenn sie, bewaffnet mit Lanze, Bogen und Pfeilen, auf die Robbenjagd auszogen, sahen sie mit ihren braungebrannten Gesichtern wie nordamerikanische Indianer aus, zumal sie sich auch bequeme Fellschuhe hergestellt und diese ebenso wie ihre Anzüge in den langen Wintertagen mit bunten Muscheln reich verziert hatten.

So brach das Jahr 1911 an. Ende Februar ließ der Regen nach, zeitweilig lugte schon die Sonne zwischen dem Gewölk hervor und dann wurde es wirklich wieder Frühling. –

Es war am 5. März nachmittags. Die Brüder hatten gerade das Umpflügen ihres Feldes, wobei Fritz den primitiven Pflug zog, beendet und wollten nun am nächsten Morgen mit der Aussaat des Roggens beginnen. Heinrich begab sich in die Grotte, um den inzwischen völlig herangewachsenen, aber auch ganz zahm gewordenen Kondor zu füttern, während der Jüngere von außen den Felskegel erklomm, um oben Bimsstein einzusammeln, den man zum Reinigen frischer Robbenfelle notwendig brauchte.

Auf der Spitze angelangt, warf Fritz zunächst einen Blick nach der Robbeninsel hin, wo sich schon im Vorjahr ganze Scharen von Seevögeln angesiedelt hatten, die früher aus Furcht vor dem Kondorpaar die Barga-Inseln ängstlich mieden. Dann wandte er sich nach Westen zu – nach dorthin, wo das nächste Festland, die Küste Südamerikas lag.

Plötzlich zuckte er freudig erschreckt zusammen und rief dann, nachdem er die erste Überraschung überwunden hatte, durch die trichterähnliche Deckenöffnung des Kraters dem Bruder zu:

„Hallo – Heinrich – ein Segelkutter und ein Motorboot ganz dicht am Südwestufer der Insel. Komm sofort herauf! Die Männer haben unser Notsignal sicherlich schon gesehen.“

Der Ältere war in wenigen Minuten bei ihm. Auch ihn hatte die Aufregung gepackt, und mit klopfenden Herzen verfolgten sie nun den Kurs der beiden Fahrzeuge, die in Kiellinie mit etwa dreihundert Meter Abstand dem Eiland sich näherten. Von der Höhe des Kraters aus waren die Boote bei der durchsichtig klaren Luft ganz deutlich zu sehen.

Jetzt holte die schlanke Motorjacht, die als solche an dem Fehlen eines Schornsteines zu erkennen war, mächtig auf, beschrieb dann einen Bogen und steuerte parallel mit dem Ufer hin.

Heinrich hatte dieses Manöver mit gespanntester Aufmerksamkeit verfolgt. Mit krampfhaften Griff packte er nun des Bruders Arm.

„Fritz, – das Motorboot verfolgt den Segler“, keuchte er förmlich. „Sieh, es sucht ihm den Weg nach der kleinen Bucht abzuschneiden, in der unser Floß liegt. –

Wer weiß, was wir noch hier erleben werden …“

Und wie als Bestätigung dieser Voraussage trug der Wind jetzt deutlich den scharfen Knall mehrerer Schüsse herüber.

Gleich darauf sahen die Knaben, daß das Motorboot offenbar steuerlos seine Fahrt fortsetzte, indem es in einer auffallenden Zickzacklinie weiterlief, während der Kutter unter vollen Segeln und eine weiße Bugwelle aufwerfend nunmehr auf das führerlose Fahrzeug zuhielt.

Dann wurden beide Boote den Brüdern leider durch die in jener Richtung gerade recht hohen Uferfelsen verdeckt. Eine ganze Weile starrten Heinrich und Fritz noch auf den Punkt hin, wo sie die Fahrzeuge zuletzt erblickt hatten.

Jetzt abermals ein paar Schüsse … dann blieb alle still.

„Was mag da nur vorgegangen sein?“ meinte Heinrich mit deutlicher Besorgnis in der Stimme. „Denk dir, wenn es nun böse Menschen wären, die hier an Land kämen! Das würde keine geringe Gefahr für uns bedeuten!“

Der stets zu jedem waghalsigen Unternehmen aufgelegte Fritz nickte eifrig.

„Sehr richtig! Und deshalb müssen wir uns überzeugen, mit was für Leuten wir es zu tun haben und wo die Boote geblieben sind. Ich werde daher auf Kundschaft gehen. Du kannst inzwischen hier alles beseitigen, was darauf hindeutet, daß wir die Bodenspalte als Zugang zu dem Krater benutzt haben. Besonders beseitige die Taue, an denen wir uns immer der größeren Bequemlichkeit halber hinabgelassen haben.“

Heinrich war sofort einverstanden. Für die gefährliche Aufgabe, den Späher zu spielen, besaß der Jüngere ja bei weitem die besseren Fähigkeiten. Fritz holte also eiligst seinen Bogen und einige Pfeile sowie das selbstgefertigte Beil aus der Felsenwohnung und schlich dann, vorsichtig stets Deckung nehmend, in der Richtung auf die Bucht zu davon.

Inzwischen war die Sonne untergegangen, und sofort brach auch die Abenddämmerung mit der tropischen Gegenden eigentümlichen Schnelle an. Diese konnte Fritz Prestat nur lieb sein. Er fand sich hier in dem Felsenlabyrinth ebenso gut im Dunkeln wie bei Tage zurecht, brauchte aber jetzt nicht zu fürchten, von denen fremden Männern vorzeitig bemerkt zu werden. Er gelangte denn auch wirklich unangefochten bis an das nördliche Ufer der kleinen Bucht, kauerte sich im Schutze eines Felsen nieder und schob langsam den Kopf vor.

Etwa fünfhundert Meter rechts von ihm lagen, nur noch undeutlich zu erkennen, auf dem Wasserspiegel der Bucht zwei Boote dicht nebeneinander kaum einige Schritte vom Land entfernt. Er hörte auch Stimmen, vermochte aber nicht zu verstehen, was gesprochen wurde. Dicht an den Boden geschmiegt wagte er sich daher noch weiter vor, bis er den Fahrzeugen bis auf zehn Meter ungefähr nahegekommen war.

Auf dem Hinterdeck der kleinen Motorjacht saßen um einen Klapptisch drei Männer herum und schienen ihre Abendmahlzeit einzunehmen. Dabei unterhielten sie sich ganz laut über die Ereignisse dieses Tages, lachten zuweilen schadenfroh auf und stießen frohlockend mit den gefüllten Gläsern an. Dann verschwand einer von ihnen unter Deck und holte eine Windlampe herauf, bei deren Schein Fritz jetzt bemerkte, daß es Mulatten waren, die ein wohlgelungenes Verbrechen feierten. Mehr als einmal überlief es den Knaben heiß und kalt bei den rohen Bemerkungen dieser Schurken, die jenes verdorbene Küstenenglisch sprachen, das Fritz leidlich verstand, wenn ihm auch manche Wortbildungen fremd waren. –

Dann erschienen die Sterne am Firmament. Die drei farbigen Verbrecher wurden immer lustiger. Ein riesiger Bursche in einem hellen Leinenanzug schien der Haupträdelsführer zu sein und entwickelte jetzt allerlei Zukunftspläne. Der Knabe konnte sie nunmehr genau beobachten. Immer neuen Weinflaschen brachen sie den Hals, bis der in dem Leinenanzug endlich Einhalt geboten, indem er erklärte, sie müßten nüchtern bleiben, da es der Gefangenen wegen notwendig sei, abwechselnd bei diesen die Wache zu übernehmen.

Da hielt es Fritz für angebracht, nach dem Krater zurückzukehren und seinem Bruder Bericht zu erstatten.

Heinrich war schon sehr in Sorge um ihn, da der Jüngere volle drei Stunden für den Kundschaftergang gebraucht hatte. Freilich brachte er nun auch so viele wertvolle Nachrichten mit, daß es eine ganze Zeit dauerte, bis er alles dem Bruder ausführlich erzählt hatte.

Aus der Unterhaltung der drei Mulatten ließ sich folgendes entnehmen: Die Farbigen waren Arbeiter der Plantage eines Holländers namens Plüter. Diese lag ganz einsam an der argentinischen Küste weit südlich von Buenos Aires. Die Mulatten waren schon seit langem mit der Absicht umgegangen, den Plantagenbesitzer, der zuweilen größere Geldsummen im Hause hatte, zu berauben und mit dem Segelkutter, auf dessen Bedienung sie sich gut verstanden, nach den Barga-Inseln zu fliehen, wo sie so lange zu bleiben gedachten, bis man ihre Verfolgung als aussichtslos aufgegeben hätte. Den Kutter, der ebenso wie die elegante Motorjacht Eigentum des Holländers war und in einem kleinen Hafen unweit des Wohnhauses Plüters seinen Liegeplatz hatte, entführten sie dann in einer dunklen Nacht vor etwa zwei Wochen und schafften ihn in einen Bach hinein, der einige Meilen nördlich der Plantage in die See mündete und sich als Versteck für das Boot vorzüglich eignete. Der Holländer ließ natürlich nach dem Kutter suchen, fand ihn jedoch nicht und kam schließlich zu der Überzeugung, daß ein Walfischfänger, der in jener Nacht gerade vor der Plantage ankerte und seine Wasservorräte ergänzte, den hatte mitgehen heißen.

In der verflossenen Nacht hatten die drei Schurken dann ihr Vorhaben ausgeführt, die Kasse Plüters geraubt und das versteckte Boot aufgesucht, welches sie inzwischen reichlich mit Proviant versehen hatten.

Der Diebstahl war jedoch bereits zwei Stunden später bemerkt worden, und der Holländer, der den Verlust einer bedeutenden Summe zu beklagen hatte, entschloß sich daher mit seiner Motorjacht die nächste Hafenstadt aufzusuchen, um dort die Polizei zu alarmieren, was mit Hilfe der Telephonleitung nicht möglich war, da die Spitzbuben so schlau gewesen waren die Drähte zu zerschneiden. Gleichzeitig schickte Plüter aber auch seine Angestellten in mehreren berittenen Trupps landeinwärts, damit diese ebenfalls auf die Räuber fahnden sollten. –

Auf der Fahrt nach dem Hafenstädtchen war die kleine Benzinjacht den Kutter mit den dreien Mulatten begegnet – ein Zufall, den diese bei ihrem Plan nicht in Rechnung gezogen hatten. Bei dem hellen Mondlicht erkannte der Holländer das verschwundene Boot sofort wieder, rief es an, erhielt als Antwort jedoch nur ein paar Flintenschüsse, die zum Glück niemanden auf der Jacht verletzten. Diese hatte außer Plüter noch dessen Oberinspektor, einen Maschinisten und den Negerburschen als Schiffsjungen an Bord.

Plüter ahnte sofort den richtigen Zusammenhang und nahm unverzüglich die Verfolgung des Kutters auf, unter dessen Bemannung er einen seiner in derselben Nacht verschwundenen Arbeiter, den auffallend großen und breitschultrigen Mulatten Dumastelle, erkannt hatte.

Leider standen ihm jedoch keine Schußwaffen zur Verfügung, so daß es den Räubern gelang, sich die bedeutend schneller fahrende Jacht stets vom Leibe zu halten.

Die beiden Boote nahmen Kurs auf die nördlich der Falkland-Inseln liegende Barga-Gruppe, liefen stets im Abstand von einigen hundert Metern hintereinander her und langten nachmittags innerhalb des Kreises der felsigen Inseln an, wo die Mulatten dann versuchten, in die kleine Bucht des mittelsten Eilandes hineinzusteuern, die ihnen einen günstigen Landungspunkt versprach … Plüter suchte dies um jeden Preis zu verhindern und ließ den das Steuer führenden Oberinspektor einen Bogen beschreiben, um den Kutter vom Land abzudrängen. Doch die Mulatten, die ihre Verfolger absichtlich bis hierher gelockt hatten, schossen den Angestellten des Holländers einfach nieder und jagten auch Plüter und den Schiffsjungen durch ihre Kugeln unter Deck, enterten dann die Jacht und nahmen die drei Überlebenden gefangen.

Ihr Streich war also meisterhaft geglückt. Sie wollten daher jetzt einige Wochen auf dem Eiland bleiben – daß die Barga-Gruppe ganz unbewohnt war, wußten sie nur zu gut – und nachher in dem Motorboot den Hafen von Montevideo im Staat Uruguay zu erreichen suchen, wo sie gute Freunde hatten, die ihnen schon weiterhelfen würden. –

Aus ihrer Unterhaltung hatte Fritz ferner noch entnommen, daß die Schurken das Notsignal auf dem Felskegel sehr wohl bemerkt haben mußten, ihm aber weiter keine Bedeutung beizumessen schienen. Ihre Gefangenen wollten sie nachher einfach auf dem Eiland ihrem Schicksal überlassen. – – –

Mit dem Schlafen wurde es nicht viel in dieser Nacht. Schon bei Tagesanbruch legten sich die Knaben oben am Rand der Kraterspitze gut versteckt auf die Lauer. Doch erst als die Sonne schon ziemlich hoch stand, sahen sie den Mulatten Dumastelle mit einem seiner Genossen von der Bucht her auf den Felskegel zuschreiten. Die beiden Verbrecher trugen ihre Büchsen am Riemen über der Schulter und näherten sich recht unbesorgt.

Erst als sie dann den gepflügten Ackerstreifen und anderen Merkmale der Anwesenheit von Menschen bemerkten, wurden sie vorsichtiger, nahmen die Gewehre zur Hand und musterten argwöhnisch die ganze Umgebung.

Jetzt verschwanden die Brüder schleunigst von ihrem Lauscherposten, krochen auf den Spalt zu, der in den Krater hinabführte, und begaben sich auf diesem Weg in ihre Felsenwohnung hinab, wo sie sich dann dicht an den Wänden hielten, um nicht von oben durch die Deckenöffnung gesehen zu werden. Klugerweise hatten sie schon vorher alles aus der Mitte des Kraters weggeschafft, was darauf hindeuten konnte, daß das Innere des erloschenen Vulkanes bewohnt sei.

Bange Minuten durchlebten sie nun, bis über ihren Köpfen eine rauhe Stimme erschallte, die drohenden Tones fragte, ob sich da unten Menschen befänden.

Bleichen Antlitzes stierten die Knaben in die Höhe und … schwiegen. Leider sollte ihnen jedoch in dem Kondor ein Verräter entstehen, mit dem sie nicht gerechnet hatten. Der Riesenvogel, den sie Max getauft hatten, war seinen beiden Herren sehr zugetan und gewöhnt, ein freudiges Krächzen auszustoßen, wenn sie nach längerer Abwesenheit zurückkehrten oder ihn von der Kraterspitze aus anriefen.

Als er nun die Stimme des Mulatten vernahm, stieß er aus alter Gewohnheit dieselben Töne aus und schlug auch lebhaft mit den mächtigen Schwingen. Sicher wäre er auch der Mitte der Grotte zugehüpft, wenn Fritz ihn nicht am Morgen mit einem starken Strick an die Wand gefesselt hätte.

Eine Weile war es nun still. Die Knaben hörten ihre beiden Feinde miteinander flüstern. Dann wieder des Riesen Dumastelles dröhnende Stimme:

„Wenn ihr euch da unten nicht sofort meldet, drehen wir euch den Hals ab!!“ –

Gleichzeitig flog ein mächtiges Felsstück herunter und fiel in die hochaufspritzende heiße Quelle.

Aber die Brüder hüteten sich, einen Laut von sich zu geben. Hofften sie doch, daß die Banditen es nicht wagen würden, durch den Kamin in den Krater hineinzusteigen und daß ihnen auch der zweite Zugang durch die tiefe Bodenspalte verborgen bleiben würde. –

Leider zeigte sich sehr bald, wie böse sie sich hinsichtlich der ersten Annahme verrechnet hatten.

Dumastelle war es, der seinem Gefährten zurief, er wolle sich Gewißheit verschaffen und in die Höhle hinabkriechen. Gleich darauf hörten die Knaben ihn auch schon den Abstieg in den Kamin beginnen, und da tauchten auch schon seine Füße auf, die er geschickt auf die Zacken des Felsspaltes aufsetzte.

Alles schien verloren.

Da raffte sich Fritz zu einem verzweifelten Entschluß auf. Er brüllte dem Mulatten, der mit dem Oberkörper noch in der Biegung des Kamins steckte, ein warnendes: „Halt, oder wir schießen!“ entgegen, worauf der Riese sich zusammenduckte, um einen Blick in die Tiefe werfen zu können.

Als er jedoch nur die beiden Knaben in ihren Fellanzüge und mit Bogen und Pfeil in der Hand ängstlich an die Wand gedrückt dastehen sah, stieß er ein höhnisches Lachen aus, zog einen Revolver aus der Tasche, hielt sich mit der Linken fest und zielte auf Heinrich, der ihm wohl als der größere und auch gefährlichere erschien.

Zum Abdrücken kam er nicht mehr. Fritz machte seine Drohung zur Tat, spannte blitzschnell den Bogen und jagte als vortrefflicher Schütze dem Verbrecher den eisenbewehrten Pfeil in die Brust.

Der Mulatte fluchte greulich, ließ vor Schmerz und Schreck den Revolver fallen, der auf den Boden der Grotte hart aufschlug und sich donnernd entlud.

Vergeblich bemühte der schwer verwundete Bandit sich jetzt, nachdem er den Pfeil mit einem Ruck aus der Wunde gezogen hatte, in der engen Spalte wieder nach oben zu kriechen. Schließlich rief er, schon mit recht matter Stimme, seinem Gefährten zu, dieser solle ihm zu Hilfe kommen. Der tat’s auch wirklich, kletterte ein Stück in den Kamin bis zu der Biegung abwärts und reichte Dumastelle die Hand, um ihn emporzuziehen.

Aber der Riese, dessen Kräfte zusehends schwanden, vermochte nicht mehr genügend mitzuhelfen und war für seinen Genossen daher viel zu schwer. So sehr der andere Mulatte sich auch anstrengte, er konnte den gewaltigen Körper nicht hochzerren. Dabei hielt Dumastelle dessen Handgelenk schon halb im Todeskampf mit schraubstockähnlicher Kraft umschlossen.

Da verlor er plötzlich den Halt mit den Füßen, seine Beine rutschten aus dem Spalt heraus, hingen lose senkrecht herab. Und ebenda brüllte der zweite Mulatte unter gotteslästerlichen Flüchen, Dumastelle solle seine Hand freigeben, sonst würden sie beide abstürzen.

Mit bang klopfendem Herzen starrten die Knaben auf dieses furchtbare Schauspiel hin. –

Nun ein gellender Schrei höchster Todesnot, und gleich darauf sausten zwei menschliche Körper aus der Höhe herab und fielen mit dumpfem Krach dicht am Rand des Wasserbeckens nieder.

Von wildem Entsetzen gepackt wollte Heinrich durch den Bodenspalt davonstürzen. Doch der Bruder ließ ihn nicht fort, schalt ihn einen Feigling und erreichte schließlich, daß zunächst die beiden Mulatten untersucht wurden, ob noch Leben in ihnen sei.

Regungslos, mit zertrümmerten Schädeln lagen die Banditen da. Sie waren tot. –

Zwei von den Verbrechern hatte so das wohlverdiente Schicksal ereilt. Und mit dem letzten hofften die Knaben – denn auch Heinrich hatte inzwischen seinen Mut wiedergefunden – auch noch fertig zu werden, zumal ihnen jetzt ja die Büchsen der beiden toten Banditen, die diese oben auf den Krater zurückgelassen hatten, als bessere Waffen zur Verfügung standen.

Auf den Vorschlag Fritz’ hin schlichen sie nun, die geladenen Flinten in der Hand, nach der Bucht. Immer zwischen den Felsen entlang kriechend kamen sie unbemerkt den Booten bis auf vierzig Schritt nahe. Der als Wache zurückgelassene Mulatte saß auf dem Hinterdeck der kleinen Jacht an dem Tischchen. Das Gewehr lehnte neben ihm. Vor sich aber hatte er eine dickbauchige Flasche stehen, die er in kurzen Zwischenräumen immer wieder zum Mund führte. Er trank reinen Rum, wie die Knaben später feststellten, und die Wirkung konnte daher nicht ausbleiben. Nach einer halben Stunde begann er zu singen, wurde bald stiller und stiller und kämpfte offenbar schwer gegen die zunehmende Schlafsucht an.

Und dann schlief er wirklich. Sein Kopf lag auf den über den Tisch gebreiteten Armen, und wie Musik klangen den Brüdern die rasselnden Schnarchtöne, die der Trunkene bald lauter, bald leiser ausstieß.

Vorsichtig huschten die beiden näher. Vom Ufer führte ein Brett zu der Jacht hinüber. Und Bord an Bord mit dieser lag der Kutter vertäut. Schnell und lautlos wurde dem Schlafenden die Büchse fortgenommen.

Während dann Fritz bei ihm als Wache zurückblieb, suchte der ältere der Brüder nach den Gefangenen. Er fand sie in der Kajüte des Kutters, gebunden und mit einem Knebel im Mund. Einige Messerschnitte und der Holländer, der Maschinist und der Negerbursche waren frei. Dafür ging es dem Mulatten auf dem Deck der Motorjacht wenige Minuten später gerade umgekehrt. Bevor er noch recht zu sich kam, war er gefesselt und lag als unschädliches Bündel eng mit Stricken umschnürt im Vorschiff des Bootes zwischen Benzinkannen und Schmierölfässern.

Der Holländer, ein dicker, blondbärtiger Herr, konnte seinen Rettern vor Dankbarkeit gar nicht genug die Hände drücken. Staunend nahm er dann die Grottenwohnung der beiden Robinsone in Augenschein, deren praktischen Sinn er das höchste Lob spendete.

Bis zum nächsten Morgen blieb man noch auf dem Eiland, scharrte die Leichen der beiden Mulatten ein und suchte nach der des armen Oberingenieurs, die die Verbrecher einfach in die See geworfen hatten. Doch dieser Tote, dem Plüter gern in Argentinien ein ehrliches Begräbnis hätte zuteil werden lassen wollen, wurde nicht gefunden, obwohl mit der Jacht an den Ufern der Insel sorgfältig nachgeforscht wurde.

Am Nachmittag packten die Knaben dann alles das zusammen, was sie als Erinnerung an ihr Robinsondasein mitzunehmen gedachten: Bogen, Pfeile, Lanzen, Gläser, Felle, die Anzüge aus ihnen, die Federkleider des Kondorpärchens, deren Flügel und noch manches andere. –

Was sie mit „Max“, ihrem geflügelten Freund, anfangen sollten, wußten sie nicht recht. Plüter schlug ihnen vor, das mächtige Tier dem zoologischen Garten in Buenos Aires zu verkaufen.

Doch dem widersprach Fritz als der eigentliche Eigentümer sehr energisch. Auf seine Veranlassung hin wurde der zahme Kondor zunächst einmal mit Stricken gefesselt und dann an einem Tau durch die Deckenöffnung oben auf den Krater gehißt. Max, der sein Felsengefängnis noch nie seit seiner Gefangennahme verlassen und auch niemals einen Fluchtversuch gemacht hatte, schaute sehr neugierig die ihm unbekannte Welt an und blieb auch noch eine Weile still sitzen, nachdem ihm Fritz die Fesseln abgenommen hatte.

Plötzlich breitete er dann wie versuchsweise die Schwingen aus, erhob sich in die Lüfte und umkreiste einige Male den Krater, ließ sich dann aber wieder dicht neben seinen beiden Herren nieder.

Als am nächsten Morgen die Motorjacht mit dem Kutter im Schlepptau die Insel verließ, folgte der Kondor noch eine weite Strecke hoch in der Luft den beiden Booten, als ob er sich von den Knaben nicht trennen könne. Schließlich aber entschwand er den Blicken, als die Küste Südamerikas in Sicht kam. Der Freiheitsdrang war in ihm erwacht, und vielleicht hat er später als Familienvater auf einer Bergspitze der Anden seinen Kindern von den merkwürdigen Abenteuern berichtet, die er in seiner Jugend hatte durchmachen müssen.

Der Holländer sorgte dann dafür, daß die mittelste der Barga-Inseln, die zu Argentinien gehören, mit ihren Kohlenschätzen für die Brüder als einzig Bergbauberechtigte rechtsverbindlich in die Schürfrolle eingetragen wurde. Und schon ein halbes Jahr später begann Heinrich mit einem von Plüter ihm vorgeschossenen Kapital den Abbau des Steinkohlenflözes.

Das stille Eiland ist noch heute von einer starken Kolonie farbiger Arbeiter bewohnt, die den Reichtum der Brüder Prestat vermehren helfen.

 

Ende.

 

Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.