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Bernhard Saltome

 

Bernhard Saltome.

Die Geschichte eines Sprengstoff-Erfinders.

(Nachdruck [auch im Auszuge] verboten.)

In einer englischen Fachzeitschrift veröffentlichte unlängst der Physiker Shelterhouse eine beachtenswerte Abhandlung, die für die Geschichte der Sprengstoffe insofern von Interesse ist, als darin wertvolle Aufschlüsse über die Person eines unglücklichen Erfinders gegeben werden.

Im Jahre 1851 wurde der in einer staatlichen Pulverfabrik in Paris beschäftigte 40jährige Chemiker Bernhard Saltome wegen politischer Umtriebe zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, entfloh jedoch nach England, wo er in dem Londoner chemischen Laboratorium der Fabrik Barmey & Co. bald eine Anstellung fand. Direktor des Laboratoriums war damals der später als Erfinder vieler pharmazeutischer Präparate berühmt gewordene Dr. Mattison. Diesem vertraute Saltome nach einiger Zeit an, dass er sich seit längerem mit der Vervollkommnung eines von ihm erfundenen Sprengstoffes beschäftige, der dem Pulver an Explosivkraft unendlich überlegen sei. Dr. Mattison, der wohl fürchten mochte, dass Saltome in dem Laboratorium irgend welche nicht ganz ungefährliche Versuche anstellen könnte, verbot seinem Untergebenen jede private Beschäftigung innerhalb der Fabrikräume aufs strengste, zeigte aber sonst für Saltomes Experimente ein lebhaftes Interesse und wusste ihm auch von einigen Grossindustriellen eine regelmässige Geldunterstützung zu verschaffen, so dass der Franzose in der Lage war, sich in dem Orte Greenford westlich von London ein eigenes kleines Laboratorium, das auf offenem Felde ziemlich entfernt von allen menschlichen Behausungen stand, anzulegen, wo er sich dann in seiner freien Zeit ständig aufhielt und an seiner Erfindung weiterarbeitete.

Woraus Saltome den neuen Sprengstoff herstellen wollte, verriet er niemandem. Nur dass er viel mit dem 1847 von Sobrero entdeckten, überaus gefährlichen Nitroglyzerin arbeitete, das damals als Sprengmittel noch nicht in die Praxis eingeführt war, erfuhr Dr. Mattison zufällig, was ihm Gelegenheit gab, den Franzosen nochmals zur grössten Vorsicht zu ermahnen. Wie recht er mit diesen seinen Warnungen gehabt hatte, zeigte sich bereits kurze Zeit darauf. Im Mai 1852 wurde London von überaus schweren Gewittern heimgesucht, und am 22. Mai schlug dann während der Nacht ein Blitz in Saltomes kleines Laboratorium ein und steckte das Häuschen in Brand, so dass der Franzose, der dort gerade wieder übernachtete, kaum Zeit fand, in dürftiger Kleidung ins Freie zu flüchten. Als er etwa 200 m weit geflüchtet war ‒ er wusste nur zu gut, dass jeden Augenblick eine Explosion erfolgen musste, da in dem Laboratorium bedeutende Mengen seines neuen Sprengmittels lagerten, erfolgte eine furchtbare Detonation. Saltome wurde eine Strecke weit fortgeschleudert, flog gegen einen Baum und blieb bewusstlos liegen. Die ganze Ortschaft Greenford geriet in Aufregung. Alle Leute verliessen ihre zum Teil zerstörten Häuser, da man allgemein annahm, dass es sich um ein plötzliches Erdbeben handelte. Erst am Morgen vermochte man aber den ganzen Umfang der Verheerungen, die die Explosion angerichtet hatte, zu übersehen. Das Laboratorium war vollkommen vom Erdboden fortgefegt. Die Stelle, wo es gestanden hatte, kennzeichnete nur noch ein mehrere Meter tiefes Loch im Erdboden. Alle dem Laboratorium zunächst liegenden Baulichkeiten waren schwer beschädigt, und in ganz Greenford gab es auch nicht eine einzige unversehrte Fensterscheibe. Erst nach Stunden fand man den noch immer bewusstlosen Franzosen auf, dem mehrere Rippen eingedrückt waren. Zwei Monate lang lag Saltome in einem Londoner Krankenhaus schwerkrank darnieder. Inzwischen hatten die Hausbesitzer Greenfords gegen ihn Klage auf Schadenersatz angestrengt. Da er nichts besass, konnte er die berechtigten Forderungen der Kläger nicht befriedigen. Ausserdem griff auch noch der Strafrichter ein und erhob gegen ihn Anklage wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, und nur der Vermittlung seiner Gönner hatte Saltome es zu verdanken, dass er nicht ins Gefängnis wandern musste.

Ein halbes Jahr darauf finden wir den Franzosen im Besitze eines neuen Laboratoriums, das er sich auf der winzigen, ganz unbewohnten Insel Meltertin im Kanal errichtet hatte, und zwar wieder mit Hilfe derselben Londoner Grosskaufleute, die ihn schon bisher mit Geld unterstützt hatten und gerade durch die furchtbaren, von dem Explosivstoff angerichteten Verheerungen zu der Überzeugung gelangt waren, dass Saltomes Sprengstoff, wenn er erst genügend verbessert wäre, eine grosse Zukunft haben müsse. Auf Meltertin hauste der Franzose ein ganzes Jahr allein, fortwährend unermüdlich mit den lebensgefährlichen Stoffen experimentierend. Nur bisweilen empfing er den Besuch Dr. Mattisons, der ihm seine Freundschaft bewahrt hatte. Saltome lebte in der anspruchslosesten Weise. Alles Geld, das man ihm freiwillig spendete, ging für seine Chemikalien und die nötigen Apparate drauf. Am 5. Januar 1854 hat Dr. Mattison den Franzosen dann zum letzten Mal lebend gesehen. Saltome war zu ihm nach London gekommen und hatte ihm freudestrahlend mitgeteilt, dass er jetzt am Ziel sei. Er habe einen festen Sprengstoff hergestellt, der das wegen seiner allzu leichten Explosionsfähigkeit für die Praxis unverwendbare Nitroglyzerin noch bedeutend in der Wirkung übertreffe, sich dabei aber nur unter bestimmten Bedingungen entzünden, vollständig gefahrlos handhaben und transportieren lasse. Weiter erklärte der Franzose, dass er seinen neuen Sprengstoff nunmehr einer wissenschaftlichen Kommission zur Begutachtung vorlegen und dann im grossen herstellen lassen wolle. Er machte auch einige Andeutungen über die Bestandteile des Sprengmittels, ohne Dr. Mattison jedoch völlig in die Einzelheiten einzuweihen. Vier Tage später hörten Fischer, die abends in der Nähe von Meltertin an der englischen Küste ihre Netze auswarfen, einen lauten Knall. Am nächsten Morgen war von einer menschlichen Behausung auf der kleinen Insel keine Spur mehr zu entdecken. Saltome war mitsamt seinem Laboratorium in die Luft geflogen. Von seinem Leichnam wurde auch nicht der kleinste Fetzen gefunden. Durch welchen unglücklichen Zufall der Franzose umgekommen war, konnte natürlich nie festgestellt werden.

Professor Shelterhouse sagt zum Schlusse seines Artikels: „Für mich unterliegt es keinem Zweifel, dass Saltome bereits im Jahre 1854 das Geheimnis der Herstellung des später Dynamit genannten Sprengmittels durch Mischung von Nitroglyzerin mit einem, dieses völlig aufsaugenden und gebunden haltenden Stoffe entdeckt hat und somit der Vorläufer Alfred Nobels gewesen ist, der zwölf Jahre später auf dieselbe Weise das erste Dynamit bereitete. Denn aus den nachgelassenen Aufzeichnungen Dr. Mattisons lässt sich unschwer entnehmen, dass die Andeutungen, die der Franzose diesem gegenüber hinsichtlich des neuen Explosivstoffes machte, einzig und allein auf eine in seiner Zusammensetzung dem heutigen Dynamit ähnliche Mischung hinzielen sollten. Saltomes Name und tragisches Geschick ist schnell vergessen worden. Die Welt weiss nichts mehr von diesem Manne, der vielleicht einst ebenso von Reichtümern und Ehren geträumt haben mag wie jeder einer besonderen Idee nachjagende Erfinder, und dessen endliches Los es war, den eigenen Körper durch seine Erfindung in Atome zu zerstäuben.“

W. K. Bell.

 

 

Anmerkung:

  1. Mit einer anderen Einleitung, aber sonst fast wortgleich erschienen unter dem Titel: Ein Vorläufer des Dynamitkönigs in der Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1914, Band 6, S. 215–219.