Da alles auf Erden Sohn, Tochter und Enkel ist und unser leidiges Wissen uns immer gleich an die Genesis der Dinge denken läßt, statt daß wir uns am Objekt recht objektiv erfreuen, so belästigt uns beim ersten Anblick eines Künstlerphänomens der Gedanke an dessen Elternschaft, Abkunft, Stammbaum. Der genealogische Sparren sitzt uns im Kopf. In der Musik haben ihn die Reminiszenzenjäger. In der Literatur tritt er als Plagiatäsie auf. In der bildenden Kunst bläst er auf denselben Flöten, aber hier kommt noch eine Nuance hinzu: das bildnerische Vortänzertum. Wenn man solcher Art Hofballelemente ins Gebiet der Abstraktionen überpflanzen darf.
Wenn ich eine Mappe mit den berückend grazilen, schlanken und geistdurchleuchteten Zeichnungen Franz Christophes durchblättere, so wird mir so ein gelbsüchtiger Haarspalter lang und breit zu erzählen beginnen, was doch die Bekanntschaft mit den japanischen Holzschneidern für fruchtenden Samen im deutschen Kunstland ausgestreut hat, und wie Beardsley die Brücke ist, über die sie sich alle drängen. Aber das trifft heute schon jedes Kind, beim Anblick solcher Blätter zu rufen: „O, die Japaner! O, du gepudertes Rokoko!“
Franz Christophé. Zeichnung.
Franz Christophe ist, über Th. Th. Heine[1] hinaus, der eminenteste Japanist. Aber bei wem der ganze Stil so vollkommen Kunstausdruck des eigensten Wesens wird wie bei Christophe, der mag, angeregt durch die gelbe Welle des Ostens, seine Anlagen zwar erst bewußt entwickelt haben, – im Grunde wäre aber die Physiognomie seines Oeuvre nicht viel anders geworden, wenn er vor der Zeit unserer Japanbekanntschaft geschaffen hätte. In dem schlanken, schmalen, geschmeidig-kantigen Künstler klingt ein starkes Echo aus den Glanztagen des französischen Rokoko; die Schatten getanzter Gavotten und Menuetts huschen mit kinematographischer Deutlichkeit durch das Unterbewußtsein dieser subtilen Künstlerpsyche, und der Geist der gestutzten Alleen, der theatralischen Lyrik und des leis aufklärerischen Sarkasmus hätte den feinen, schlanken, fest den Griffel führenden Fingern die bizarr-drollige Note diktiert, auch ohne die Verschwisterung mit der stilisierten Impressionistik der Männer von Nippon. Aber eine glücklichere Berührung hat es wohl selten gegeben als die des bewußt zitierten Rokokogeistes mit der japanischen Formenseele. Die mit Varietéparfüms durchdüftete Neuromantik, nuanciert mit der krausen Drôlerie des Biedermeiertums, hat bei Christophe einen entzückend ironischen Stil geschaffen, der in gewollten Verkünstelungen, in pantomimischen Mummereien, in grotesken Attitüden, in Späßen kichernder Burlesken sich köstlich überlegen auslebt. Christophe ist ein Zeichner, wie wir wenige haben und hatten. Das abgeschabte Wort „meisterlich“ wäre vielleicht doch anzuwenden, aber es drückt zu viel Akademisches aus. Christophe ist aber so gar nicht Akademiker. Er hat die volle, rechte Freude am Linearen und doch an der Verzerrung, er benützt die reife Kunst der Ausführung, aber er liebt doch zu sehr die Andeutung; er ist ganz vom Reiz des Hinweises durchprickelt und er liebt die Fixierung des huschendsten Moments. Das, was die andern so gern umgehen, teils weil sie es gar nicht sehen, teils weil sie es nicht lebendig festzuhalten vermögen. Er hat eben auch das Leben studiert, wie nur irgend ein Naturalist. Den Reichtum naturalistischen Könnens hat er fest angelegt, wie ein Kapital, das man Zinsen schwitzen läßt, ohne sie zu verzehren. Und er transponiert die Lebensdokumente in lineare Bizarrerien; daß sie nicht dekadent, nicht morbid wirken, daß sie so frisch, bei aller gespielten Entartung so keckgesund sind, das bewirkt eben sein Fonds von Naturschätzen. Das lebendige Detail ist aber nicht zusammengetragen, nicht bei Gelegenheit aus der Botanisier-Trommel ausgepackt und hingesetzt; was sein raubvogelscharfes Auge gesehen hat, das gräbt sich in sein Bewußtsein. Und im Moment des Schaffens taucht es auf und ist im Wege der Umstilisierung haarscharf da. Nicht aus dem Nebeneinandersetzen von sorgsam in kunst- und kulturhistorischen Museen mit dem Stift studierten Details aus dem 18. Jahrhundert ergibt sich ein professoraler Echtheitseffekt; in Christophe lebt die Zopfzeit, die er so liebt, und die ihm seiner graziös-eleganten, aber gänzlich unsüßen, bei allem Spielerischen doch männlichen Art so formenreich entspricht. Es ist in ihm etwas vom chevaleresken Wesen der Galants im Pompadourkreis; er hat die Alkoven-Amouren belauscht, von denen uns die Novellisten und Biographen erzählen, er sah die grell geschminkten Bajaderen der Wanderbühnen, sah die Junker zur Jagd reiten, sah sie fechten und spielen, sah die geschnürten Frauen im rauschenden Reifrock und die schlanken Kavaliere im hohen Stöckelschuh. Sah die galonierten Mohren, die kniend der in dem Seidenfauteuil hingelehnten Schönen ein Billetdoux auf dem Silbertablett überreichen, sah die aufhorchenden Windspiele, sah die sinnlich-koketten Damen, die hochgeschürzt im Schäferspiel auftreten und mit grazil-pathetischer Geberde[2] aus Füllhörnern Rosen streuen. Und ihn fesselten die pittoresken Silhouetten, die Flimmer und Pünktchen, die Jabots und Spitzenguipüren, die Linie der vom prallen Seidenstrumpf umspannten Wade, die Masche des Zopfs, die weißgepuderte Haarkrone, der befiederte Dreispitz, die schmale, erregte Marquisenhand, der spitz, wie ein weißes Zünglein vorlugende Seidenschuh. Und Christophe hat die Rhythmik des ancien régime, und er hat sie nicht in der dekadenten Note der Mitlebenden, sie klingt in ihm im hellen Klang des verliebten Beobachters, der bei all seiner Neigung nicht die Schärfe des Ironikers verliert. Und eben diese Ironie – Ferment der Romantik! – ist es, die ihn frei werden läßt von aller Schwere des Stoffes. Er ist über den Dingen, und mit fester Hand fügt er das wahre Leben in die Geometrie seiner souveränen Linienführung. Wie entzückend akkurat, wie sauber ist doch bei aller Regelfreiheit seine Arbeit. Es ist alles gesehen, im Leben oder visionär, gekannt und hingesetzt. Ein Fanatiker der feinen Linie, des nadelscharfen Strichs ist doch bei ihm alles wieder weich und fleischig rund. Stets hat er den Ton, der dem Gegenstand adäquat ist. Wie trifft er die Chinoiserie in der Vision des knienden Mädchens, das den gespenstischen Reiter daherstürmen sieht! Und wie niederländisch kräftig und nervengesund ist die prächtig in der Bewegung innehaltende Frau vor dem Vorhang. Eines seiner schönsten Blätter gibt eine Situation, in der der Geist des galanten Jahrhunderts in einer ungemein feinen künstlerischen Komprimierung erscheint. Die pikante Frau, die auf der Chaiselongue ruht, ist eben beim Stelldichein mit ihrem Liebhaber gestört worden. Der Gatte erscheint hoch zu Roß vor der Balustrade, die eine Loggia oder Gartenveranda graziös abschließt. Mit der Reitpeitsche deutet der unwillkommene Kömmling, mißtrauisch lauernd auf einen verdächtigen Punkt. Und während die junge Frau dem Gatten ein gleichgültig-ruhiges Gesicht mit echt Christophe’sch spitz vorspringendem Kinn zukehrt, schürzt sie geschickt die geblümten Röcke bis über die Knien hoch, so daß der Liebhaber eine vorzügliche Deckung erhält und in kriechender Stellung entwischen kann. Der ganze Vorgang ist höchst bildhaft und in meisterlich sicherer Komposition in ein Oval gefügt. Und wie einen Kulissenabschluß setzt der Künstler in den rechten Hintergrund dieses Theaters von 1750 eine Art gerader, steilgeschorener Laubwand mit einem fensterartigen Ausschnitt, in den er einen stehenden weiblichen Akt fügt, der halb verzückt, halb in schreckhafter Vorsicht ein Bein hochzieht. Diese mitspielende Statuette ist voll sinnreicher Beziehung zu dem ganzen Vorgang und macht das Buffoterzett zum voller tönenden Quartett. Das ganze Bild klingt. Wie ja die ganze Art Christophes auf eine musikalische Formel zu bringen wäre. Kontrapunktik der Linienkunst. Alles löst sich ihm zu einem wundersamen Linienspiel voll intimer Beziehungen. Und wieder aus dem Musikalischen ins Bildnerische übersetzt: Das Leben – ein Ornament. In buntem Spiel läßt Christophe gern entartete Empfindungen die hingezeichneten Körper, die verfeinerten Glieder beseelen; das innerste Ich seiner Kunst wird aber frei, wenn sich, so bekennt er: die reiche Linienverknäuelung im richtig abgewogenen Verhältnis zu großen, ruhigen Flächen aufbaut. Den höchsten künstlerischen Reiz machen für ihn dann die sinnreichen Beziehungen der Figuren und Dinge untereinander aus. Seelische Korrespondenz. Am charakteristischsten für ihn ist die Zeichnung, die „bei Vermeidung malerischer (im Sinne unzeichnerischer) Effekte, die den besten Arbeiten immer eignende lyrische und doch gleichzeitig ironische Note voll ausdrückt“. In diesem Satz ist der ganze Christophe umschrieben. Der bewußte, sichere Könner, der subtile Empfinder und überlegene, kühl vornehme Belächler …
NORBERT FALK[3].
Franz Christophé – Berlin. Radierung.
Anmerkungen: