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Die Gold-Insel

 

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

(Nachdruck, auch im Auszuge, verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 14. 1916.)

 

Die Gold-Insel.

 

W. Belka.

 

Nach dem Begräbnis nahm Herr Aumonier, der Besitzer der größten Maschinenfabrik in Melbourne, den langaufgeschossenen Jungen mit in seinem Wagen nach seiner Wohnung, führte ihn in sein Arbeitszimmer und begann hier in seiner so überaus freundlichen Art, hinter der sich doch so viel kalte, berechnende Selbstsucht verbarg:

„Mein lieber Charles“ – Aumonier bediente sich wie immer der englischen Sprache, obwohl er Franzose war – „wir haben soeben Deinen wackeren Vater, der mir sechs Jahre lang treu als Werkführer gedient hat, zur ewigen Ruhe gebettet. Du stehst nun ganz allein da. Deine Mutter hast Du wohl kaum gekannt, da sie bereits starb, bevor Dein Vater nach Australien auswanderte. Wie gedenkst Du nun Deine Zukunft zu gestalten? – Du könntest doch hier die Schule weiter besuchen und …“

Karl Degner, der in seinem neuen, schwarzen Traueranzug noch dünner und magerer als gewöhnlich aussah, erlaubte sich schon an dieser Stelle den bisherigen Brotherrn seines plötzlich verstorbenen Vaters zu unterbrechen.

„Ich werde nach meiner Heimat zurückkehren“, sagte er kurz, denn er liebte den süßlichen Herrn Aumonier keineswegs. „Bitte zahlen Sie mir also die Ersparnisse aus, die mein Vater gemacht und Ihnen zur Verwaltung übergeben hat. Dann werde ich allein weiter für mich sorgen. Wenn ich auch erst sechzehn Jahre bin, so besitze ich doch schon genügend Erfahrungen, um meine Zukunft selbst in die Hand nehmen zu können.“

Herr Aumonier kniff die Lippen zusammen.

„Wie Du willst“, meinte er kühl, wobei er seine Enttäuschung doch nicht ganz verbergen konnte. „Nach deutschem Gelde hat Dein Vater bei mir ein Guthaben von … von 6500 Mark ungefähr. Ich werde Dir eine Anweisung auf meine Kasse geben, und dann magst Du tun und lassen, was Du willst. Hoffentlich bereust Du es nie, meine Hilfe so unfreundlich zurückgewiesen zu haben.“

Der hagere Knabe mit den blauen Augen und dem blonden, sauber gescheitelten Haar schaute den Fabrikbesitzer seltsam durchdringend an. Dann erklärte er mit jener Bestimmtheit, die er sich durch den Aufenthalt in dieser australischen Handelsstadt, in der die Jagd nach leichtem Gewinn die Menschen früh reif werden läßt, angeeignet hatte:

„6500 Mark? – Das dürfte ein Irrtum sein. Ich habe in den Papieren meines Vaters die Quittungen über sein Guthaben bei Ihnen gefunden. Dieses beträgt 9250 Mark, nicht mehr, nicht weniger.“

Herr Aumonier entschuldigte sich wortreich. Irren könne sich jeder einmal – und so weiter. Aber er war recht rot geworden, und man merkte ihm die innerliche Wut nur zu deutlich an, weil es ihm nicht gelungen war, diesen schlauen jungen Burschen zu übervorteilen. – –

* * *

Eine halbe Stunde später hatte Karl Degner das Geld in der Tasche, das er dann sofort auf das deutsche Konsulat trug. Dort schien es ihm am sichersten aufgehoben zu sein. Nur gegen zweihundert Mark behielt er bei sich für die Ausgaben der nächsten Zeit. Dann schritt er der kleinen Wohnung zu, in der er bisher gemeinsam mit seinem Vater gehaust hatte. Diese befand sich am Hafen in einem Hause, in dessen Erdgeschoß eine deutsche Bierstube lag, die von Seeleuten viel besucht wurde. Ein großes Pappschild, das an der Tür der Kneipe befestigt war und mit Kreidebuchstaben die Vorübergehenden auf die heute Nachmittag fünf Uhr hier stattfindende Versteigerung einer Anzahl von Matrosenkisten aufmerksam machte, erregte unwillkürlich seine Neugierde. Matrosenkisten enthalten zuweilen merkwürdige Dinge, die die Besitzer in fremden Ländern gesammelt haben. Und derlei Kleinkram war Karl Degners einzige Schwärmerei. Besonders Waffen von Naturvölkern suchte er sich zu beschaffen, wo und wie es nur irgend ging. Seine Altersgenossen in der Schule sammelten zumeist Briefmarken. Er aber hatte eben eine andere Liebhaberei. – –

Die deutsche Bierstube gehörte einem geborenen Württemberger namens Kaltmeier, der vor einiger Zeit einen seiner zahlreichen Neffen hatte nach Melbourne herüberkommen lassen, damit dieser bei ihm das Kellnerhandwerk und gleichzeitig fremde Sprachen lerne.

Fritz Grotius war ein schmächtiger, blasser und sehr schüchterner Junge, der mit dem in demselben Hause wohnenden Sohne des Werkführers Degner sich schnell angefreundet hatte. Der angehende Kellner fühlte sich unter dem wilden Schiffsvolk der Kneipe recht unglücklich, zumal sein Onkel Kaltmeier – dieser Name war für die Backofenhitze Melbournes der reine Hohn! – selbst sein bester Gast war und in der Trunkenheit sehr roh mit dem etwas ungeschickten Knaben umsprang. – –

* * *

Am dritten Tage nach der Auktion in der deutschen Bierstube nahm Karl Degner seinen gleichaltrigen Landsmann heimlich bei Seite und redete lange und eindringlich auf ihn ein. Fritz Grotius’ Augen weiteten sich immer mehr vor Erstaunen, je länger der andere sprach. Dann sagte er ganz fassungslos und doch in einem Ton, in dem die Bewunderung für den unternehmungslustigen Freund deutlich zum Ausdruck kam:

„Wie – das willst Du wirklich wagen?! Und ich – ich soll Dich begleiten?! – Wie gern täte ich’s! Aber der Onkel wird mich nicht weglassen – sicherlich nicht!“

„Dann gehst Du eben ohne seine Erlaubnis auf und davon“, erklärte Karl Degner kurz. „Gestern hast Du wieder ein ganzes Brett mit Geschirr zerschlagen. Du schadest Deinem Oheim mehr als Du ihm nützt. Er wird Dir daher keine Träne nachweinen, glaube mir! Überhaupt – der Kellnerberuf ist nichts für Dich. Du wirst jeden Tag elender von der rauchigen Luft. – Freilich – besser wäre es ja, wenn Du im guten von ihm schiedest. Er hat immerhin Dein Bestes gewollt, als er Dir das Reisegeld schickte und Dich herüberkommen ließ. Hm – vielleicht spreche ich mal ganz offen mit ihm, sobald er in geeigneter Stimmung ist. Vorläufig halte jedenfalls über das, was ich Dir mitgeteilt habe, reinen Mund.“ –

Am nächsten Tage nahm Karl Degner dann eine günstige Gelegenheit wahr und bat den dicken Herrn Kaltmeier, dieser möge seinem Neffen doch gestatten, ihn auf einer Vergnügungsfahrt nach den neuentdeckten Goldminen von Mildura am Murray-Fluß zu begleiten. Die Reise würde vielleicht acht Tage in Anspruch nehmen, und sämtliche Kosten werde er allein tragen. – Kaltmeier lächelte schlau.

„Junge, mich machst Du nicht dumm! Vergnügungsfahrt – he he …!! Nach Gold wollt Ihr buddeln, Ihr Taugenichtse[1]! – Na – meinen Segen habt Ihr! Fürs Geschäft ist der Fritz doch nicht zu brauchen, und die frische Luft wird ihm guttun.“ Dann fügte er nach einer kleinen Pause hinzu: „Eigentlich muß man vor Dir Respekt haben, Junge! Ich habe schon längst gemerkt, daß Du aus dem richtigen Holze geschnitzt bist, um Dich überall durchzuschlagen. Wenn doch der Fritz auch so wäre! Na – vielleicht rüttelt ihn das Leben in den Goldminen da draußen so etwas zurecht!“ – –

* * *

Eine Woche später verließen die beiden Jungen dann wirklich Melbourne mit der Eisenbahn, die über Ballaarat nach Hopetown führt. Von Ballaarat aus schrieb Fritz Grotius seinem Onkel einen kurzen Brief des Inhalts, daß sie ihre Reisepläne geändert hätten und sich zunächst einmal Adelaide ansehen wollten. –

Adelaide, am St. Vinzent-Golf[2] gelegen, ist neben Melbourne die wichtigste Hafenstadt der australischen Südküste. Hier blieben die Knaben, die alle nötigen Ausweispapiere bei sich hatten, vierzehn Tage, in denen Karl Degner sehr tätig war. Bald gehörte er in den Kneipen am Hafen zu einer wohlbekannten Erscheinung. Der langaufgeschossene, blonde Junge mit dem braungebrannten, in jeder Linie bereits eine außerordentliche Willensstärke verratenden Gesicht rührte nie einen Tropfen Alkohol an. Bei einem Glase Eisfruchtwasser saß er da und beobachtete die ein und aus gehenden Seeleute. Dann glaubte er gefunden zu haben, was er suchte. Ein alter, verwitterter deutscher Matrose war’s, an den er sich heranmachte und dem er, als er sich von seiner Ehrlichkeit überzeugt zu haben glaubte, mit allerlei Vorschlägen nähertrat.

Der alte Sturgat, ein geborener Ostpreuße, war vor kurzem erst nach einem bösen Malariaanfall aus dem Lazarett entlassen worden und daher froh, einen so bequemen Dienst gefunden zu haben. Der große Segelkutter, den er dann im Auftrage Karl Degners auf seinen Namen kaufte, war bald ausgerüstet, ebenso auch zwei Kanaken[*1] angeheuert, die einen leidlich zuverlässigen Eindruck machten. Der seetüchtige, gedeckte Kutter wurde „Hoffnung“ getauft und bei den Hafenbehörden in Adelaide als Fischereifahrzeug angemeldet. Gegen viertausend Mark betrugen die Unkosten der abenteuerlichen Fahrt, die der Sohn des verstorbenen Werkführers ins Ungewisse hinein anzutreten gedachte. Aber ihn reute das Geld nicht. Er hatte Vertrauen zu seiner Sache, die er selbst seinem Freunde Fritz Grotius in ihrer wahren Bedeutung geheimhielt.

Am 2. Mai 1904 stach die „Hoffnung“ in See, fuhr durch die Investigator-Straße zwischen der York-Halbinsel und der Känguruh-Insel in die Große Austral-Bucht hinein und wandte sich dann nach Südwesten. Verfolgte sie diesen Kurs unentwegt weiter, so mußte sie die Kerguelen-Inseln, die auf dem 70. Längengrad und dem 50. südlicher Breite liegen, erreichen. Und dies war auch die einzige Fahrtanweisung, die der jugendliche Eigentümer des seetüchtigen Kutters seinem Kapitän, dem alten Sturgat, gab. Dieser hatte vorläufig nichts weiter zu tun, als auf einer zwischen Kap Borda, der Westspitze der Känguruh-Insel, und den Kerguelen gedachten Linie haarscharf Kurs zu halten. Das Fragen hatte der zum Kutterkapitän beförderte Matrose sich längst abgewöhnt. Seine eigentlichen Absichten verriet Karl Degner auch ihm nicht.

Mit günstigem Winde setzte der Kutter drei Tage lang die Reise fort. Die Meeresgegend, die er durcheilte, gehört mit zu den einsamsten der ganzen Erde. Keine Insel, keine Gruppe von Eilanden verzeichnet die Karte hier. Früher war der Walfisch in diesen Breiten noch recht häufig, und Schiffe, die den Fang dieser Riesentiere betrieben, belebten das weite Meer. Diese Zeiten sind längst vorüber. Eine unvernünftige Raubjagd hat den Wal fast ausgerottet.

Daher kam es auch, daß die „Hoffnung“ bisher auch nicht einem einzigen Fahrzeug begegnet war, nachdem sie die Küstengewässer hinter sich hatte. An Bord herrschte Frieden und Eintracht und eine heitere, sorglose Stimmung. Die Knaben ließen sich von dem alten Sturgat nach Möglichkeit in die Geheimnisse der Führung eines Segelschiffes und in die Handhabung der nautischen Instrumente einweihen. Langeweile kam so auf dem Kutter nie auf. Nur die beiden Kanaken, die bei dem stetigen Winde und dem klaren Himmel kaum etwas zu tun hatten, waren einmal aus Mangel an Beschäftigung über das Rumfäßchen gegangen und hatten sich einen bösen Rausch angetrunken, wofür Sturgat ihnen ein paar gelinde Hiebe mit dem Tauende überzog. Dann wurde der Alte krank. Die Malaria, dieses heimtückische Fieber, meldete sich wieder. Und als der Kapitän der „Hoffnung“ am Morgen des fünften Tages besinnungslos in der kleinen Kajüte auf dem schmalen Bett lag, näherte der ältere der Kanaken sich Karl Degner, der gerade am Steuer saß, und erklärte ihm frech grinsend und offenbar abermals angetrunken, daß er hier jetzt allein zu befehlen habe und daß der Kutter daher sofort den Kurs ändern werde, um den Recherche-Archipel an der Südwestküste Australiens anzulaufen, wo es reiche Perlenmuschelbänke geben solle.

Karl merkte sofort, wie die Dinge lagen. Die Kanaken hofften mit den beiden Jungen allein leichtes Spiel zu haben, wollten sich offenbar des Kutters bemächtigen und die drei ihnen unbequemen Weißen wahrscheinlich irgendwo aussetzen. Scheinbar fügte er sich in das Unvermeidliche, zumal die braunen Burschen auch zwei geladene Revolver heimlich aus der Kajüte an sich genommen hatten, mit denen sie in beängstigender Weise herumfuchtelten. Der jugendliche Eigentümer des Kutters rechnete eben mit Bestimmtheit auf eine weitere, ihm günstige Wirkung des Alkohols, nämlich die, daß die beiden Meuterer sehr bald dem geliebten Rum noch mehr zusprechen und dann vom Schlafe übermannt werden würden.

So kam es auch. Gegen Mittag waren die Kanaken bereits unfähig sich zu rühren und schliefen auf dem Verdeck ein. Ihre Überwältigung war unter diesen Umständen eine Kleinigkeit. Sehr bald lagen sie fest mit Stricken gebunden im Vorschiff. Nun brachte Karl Degner die „Hoffnung“ schleunigst wieder auf den alten Kurs. Nach seiner Berechnung mußten sie ihrem Ziele schon recht nahe sein. Wirklich tauchte am Nachmittag dann auch vor ihnen aus dem Meere eine einsame Insel auf, die mit lautem Jubelruf von dem jungen, unternehmungslustigen Abenteurer begrüßt wurde.

Die Insel war stellenweise dicht bewaldet. Über das Grün der Bäume ragten auch einige kahle Felshöhen hinaus, und weite, grüngelbe Flecken in ihrem südlichen Teil ließen auf ausgedehnte Grassteppen schließen. Ihre Gestalt schien, wenigstens von Nordosten gesehen, woher der Kutter sich ihr näherte, kreisförmig zu sein. Als Fritz Grotius, dessen blasse Gesichtsfarbe die Seeluft bereits in ein kräftiges Braun verwandelt hatte, sich in diesem Sinne dem Freunde gegenüber äußerte, lächelte der nur eigentümlich und erwiderte, der Schein trüge auch leicht. Sehr bald merkte Fritz dann, daß Karl Degner offenbar die Küstenbildung der Insel recht gut kennen müsse, da dieser mit großer Sicherheit jetzt nach Süden steuerte und plötzlich wieder auf eine in der Mitte der Ostküste gelegene Bucht zuschwenkte, in die die „Hoffnung“ nach Überwindung der nur leichten Brandung glücklich einlief. Sie verengerte sich im Hintergrunde dann schnell zu einem engen, von Bäumen und Sträuchern umsäumten Kanal, der in weitem Bogen sich nach Nordosten weiter erstreckte und in eine zweite, fast kreisrunde Bucht von gut einer halben Meile Durchmesser einmündete. Diese machte vollständig den Eindruck eines Binnensees. Mit ihren grünen Ufern und ihrer stillen, in Sonnenlicht gebadeten Wasserfläche bot sie ein so hübsches Bild dar, daß Fritz Grotius einen Ausruf des Entzückens nicht unterdrücken konnte.

„Dir gefällt es hier also?“ fragte Karl mit einem Gesicht, das ebenfalls vor Freude strahlte. „Nun, ich gebe zu, auch meine kühnsten Vorstellungen übertrifft die Wirklichkeit.“

Forschend blicke auf diese Bemerkung hin der Freund ihn an.

„Du wußtest also schon vorher, daß wir diese Bucht vorfinden würden?“ meinte er unsicher. „Natürlich mußt Du es gewußt haben!“ fügte er schnell hinzu. „Wie hättest Du sonst mit solcher Sicherheit in den Kanal eindringen können! Du kennst die Insel bereits, das ist klar! Nun sage mir doch endlich, auf welche Weise Du …“

Doch der andere unterbrach ihn lachend.

„Später, Fritz, – später …! Noch ist die Stunde der Aufklärungen nicht gekommen.“ –

* * *

Bald hatten sie den Kutter in einem kleinen, natürlichen Hafen an dem felsigen Südwestufer des Salzwassersees festgemacht. Auch in diesen winzigen Hafen war Karl Degner ohne langes Zögern eingelaufen. – Nachdem sie dann nochmals nach dem Kranken gesehen hatten, der inzwischen wieder zur Besinnung gekommen war, aber noch völlig matt und gleichgültig dalag, suchten sie sich jeder aus dem Schranke der Kajüte ein Gewehr heraus, steckten sich eine Anzahl Kugelpatronen in die Tasche und machten sich auf den Weg, um in der Nähe einen geeigneten Ort zum Aufschlagen des mitgebrachten Zeltes zu suchen.

Das mit Strauchgruppen und einzelnen Fieberbäumen[*2] bedeckte, felsige Gelände stieg langsam nach Südosten zu einer Hügelkette an, aus der sich deutlich vier flache Kuppen abhoben, auf denen neben verkrüppelten Nadelbäumen auch einige Buchen standen. Die höchste der Kuppen konnte vielleicht hundert Meter über die sonst ebene Insel hinausragen. Absichtlich führte Karl den Freund zunächst nach diesem bescheidenen Berge hin, um ihm von dessen Spitze aus einen Anblick zu verschaffen, der ihn sicherlich überraschen mußte. Sie brauchten doch eine gute halbe Stunde, ehe sie den Gipfel erreicht hatten, da wildzerklüftete Stellen sie zu weiten Umwegen zwangen. Dann aber erlebte Karl Degner auch die Genugtuung, daß sein Gefährte staunend das zu ihren Füßen sich ausbreitende Rundgemälde betrachtete. In der Tat besaß die Insel ja auch eine so eigenartige Gestalt, wie man dies von der See aus nie vermuten konnte. Der südliche Teil war ungefähr eiförmig, und darüber spannte sich nach Norden zu eine schmale, dicht bewaldete Halbinsel in großem Bogen aus, die im Osten durch den Kanal von dem Südteil abgetrennt war. Das Ganze sah wie ein riesiges, farbiges Vorhängeschloß aus, bei dem man vielleicht die Kuppe, auf der die Freunde gerade standen, als den im Schlüsselloch steckenden Schlüssel bezeichnen konnte. Der größte Durchmesser der Insel betrug von Norden nach Süden etwa drei Meilen.

Während Fritz Grotius noch seiner Verwunderung über die merkwürdige Gestalt dieses entlegenen Fleckchens Erde beredten Ausdruck gab, hatte Karl nach den Liegeplatz des Kutters ausgeschaut, der trotz der sich dazwischen schiebenden Baumkulisse an der Mastspitze des kleinen Fahrzeugs zu erkennen war, die man deutlich gegen den Wasserspiegel des Binnensees als feinen Strich bemerken konnte.

Plötzlich packte Karl Degner mit hartem Griff den Arm des Freundes, und fast keuchend preßte er die Worte hervor:

„Dort unten – – unser Kutter – – er bewegt sich … Der sichtbare Teil des Mastes wird länger und länger … – – Fritz, die Kanaken haben ihre Fesseln abgestreift – – sie entführen uns die „Hoffnung“ …!!“

Da schoß auch schon mit leicht geblähten Segeln das Boot aus dem engen Felsenhafen hervor. Bei der klaren Luft waren die in gestreifte Leinenanzüge gekleideten Gestalten der beiden braunen Meuterer nur zu gut zu erkennen, von denen der eine am Steuer saß, während der andere soeben die Vordersegel hißte.

Einen Augenblick standen die Freunde ganz sprachlos vor Schrecken da. Dieser galt weniger der Tatsache daß die Kanaken sich zu Herren des Kutters gemacht hatten, als dem Umstande, daß der kranke Sturgat, den jeder wegen seines biederen, treuherzigen Wesens schnell lieb gewinnen mußte, sich nun in der Gewalt der rachsüchtigen farbigen Gesellen befand.

Sehr bald hatte dann aber Karl Degner die Sachlage richtig erfaßt. Wer den engen Kanal nicht kannte, war gezwungen, diesen Ausgang aus der runden Bucht, der sich als solcher erst aus nächster Nähe kennzeichnete, zu suchen. Die Kanaken hatten nun aber seit ihrer Überwältigung im Vorschiff gefesselt gelegen und daher auch nicht mit angesehen, wie der Kutter vorsichtig durch die schmale Durchfahrt gesteuert wurde. Sie mußten jetzt also am Ufer des Binnensees notwendig entlangsegeln, bis sie den Kanal entdeckten. – Hierauf stützte Karl seinen Plan, den er mit fliegender Hast dem Freunde mitteilte, worauf beide eiligst die Bergkuppe hinabstiegen und nach Osten auf jene Stelle zuliefen, wo die zum Halbkreis gekrümmte Spitze der Halbinsel und der Nordweststrand der Insel den Kanal bildeten. Hier wollten die beiden Knaben dem Kutter auflauern und nötigenfalls die Meuterer durch Schüsse in den Binnensee zurücktreiben, um ihnen zunächst einmal ein Entwischen auf die hohe See unmöglich zu machen.

Keuchend und schweißtriefend langten sie nach etwa fünfzehn Minuten dicht an der Mündung der Einfahrt in die innere Bucht an. Inzwischen hatten sie hin und wieder durch offene Stellen des Ufers, an dem sie in einiger Entfernung entlanggeeilt waren, den Kutter erspäht, der tatsächlich, wie Karl vorausgesehen hatte, die Bucht von Süden nach Norden zu in langsamer Fahrt umrundete und den nicht ganz leicht auffindbaren Ausgang suchte. Jedenfalls hatten die Freunde noch genügend Zeit sich etwas zu verschnaufen und sich schußfertig zu machen, bevor die „Hoffnung“ in der Kanalmündung auftauchte.

Etwas kleinlaut hatte jedoch Fritz, nachdem sie hinter einigen Bäumen Deckung genommen hatten, dem ihm geistig und körperlich weit überlegenen Gefährten eingestanden, daß er noch nie in seinem Leben aus einem Gewehr einen Schuß abgefeuert habe. Und Karl merkte ihm auch deutlich an, wie ängstlich er die doppelläufige Kugelbüchse in der Hand hielt, die er vergeblich zu laden versuchte.

Zu langen Belehrungen über die Handhabung der Schußwaffe war jetzt keine Zeit. Und so mußte der Besitzer des Kutters dann allein zusehen, wie er mit den Kanaken fertig wurde.

Das Boot war mittlerweile in den Kanal eingelaufen und noch einige achtzig Meter von dem Versteck der Freunde entfernt. Mit wenigen Worten gab Karl seinem Kameraden, dessen Miene ein gewisses Unbehagen vor diesem nicht ganz ungefährlichen Abenteuer verriet, nochmals die notwendigen Verhaltungsmaßregeln. Dann trat er, das Gewehr im Arm, hinter den Bäumen hervor und rief den beiden Meuterern, die nebeneinander am Steuer saßen, mit lauter, drohender Stimme auf englisch den Befehl zu, augenblicklich am Ufer anzulegen, widrigenfalls er auf sie feuern würde.

Die Kanaken, die wohl gehofft haben mochten, daß die Knaben sich weiter in das Innere der Insel begeben hätten, fuhren entsetzt empor. Erst schien es, als wollten sie dem Befehl nachkommen. Dann aber verschwand einer von ihnen blitzschnell unter Deck und schleppte den zu jeder Gegenwehr unfähigen alten Sturgat nach oben, den die schlauen Schufte nun als Kugelfang gegen einen Schuß benutzten, indem sie ihn festhielten und sich hinter seinem breiten Rücken zusammendrückten. Unglücklicherweise herrschte auch gerade ein Wind, der in günstigster Weise die Segel des Kutters traf, so daß dieser mit ziemlicher Geschwindigkeit den kaum dreißig Meter breiten Kanal durchfuhr.

Karl Degner drohte den ein Hohngelächter ausstoßenden Meuterern in ohnmächtiger Wut mit der Faust. Auch Fritz hatte sich jetzt zu ihm gesellt, und tatenlos mußten sie zusehen, wie die flinke „Hoffnung“ mit all ihren Vorräten an ihnen vorüberglitt und der äußeren Bucht und damit auch dem freien Meere zustrebte. Auf die Kanaken zu schießen, war ja unter diesen Umständen ausgeschlossen. Das hätte nur ein guter Schütze mit einer ihm vertrauten Waffe wagen dürfen, nicht aber der blonde Junge, der bisher eigentlich nur mit einer Vogelflinte sich gelegentlich geübt hatte.

Die Gefühle, mit denen Karl jetzt seinen Kutter kaum zwanzig Meter entfernt vorbeifahren sah, sind schwer zu schildern. Die Hälfte der Erbschaft seines Vaters hatte er für die Expedition aufgewendet, von der er sich so großen Erfolg versprach und die so recht nach seinem auf alles Außergewöhnliche gerichteten Sinne war. Ausgestattet mit für sein Alter ganz außergewöhnlichen Fähigkeiten, deren Entwicklung das anregende Leben und Treiben in der australischen Hafenstadt wesentlich begünstigt hatte, glaubte er es sich wohl zutrauen zu dürfen, ein Unternehmen glücklich mit Hilfe treuer Gefährten zu Ende führen zu können, das ihm, wenn nicht alle Anzeichen trügten, große Reichtümer einbringen mußte. Nun aber kam alles so anders! Gleich nach der Landung auf dieser Insel, deren jetzt erwiesenes Vorhandensein seine Zuversicht auf einen guten Erfolg seiner Pläne wesentlich gesteigert hatte, erlebte er den schwersten Fehlschlag, der ihn treffen konnte. Nicht nur der Kutter ging ihm verloren, sondern mit diesem und den darin aufgestapelten Lebensmitteln und Werkzeugen büßte er auch in der Person des wackeren Sturgat einen Gehilfen ein, dem er das größte Vertrauen entgegenbringen durfte. Und schließlich: wie sollten er und Fritz Grotius jetzt je wieder die Insel verlassen, nachdem das Boot ihnen geraubt war …?!

Kein Wunder, daß der kräftige, hochgewachsene Knabe unter dem Ansturm dieser blitzschnellen Erwägungen jetzt einen gellenden Schrei ausstieß, der den alten, von den Kanaken festgehaltenen Matrosen aufmerksam machen sollte, und dann nicht minder laut brüllte:

„Sturgat – schütteln Sie die Schufte ab und springen Sie ins Wasser! Wir holen Sie schon heraus!“

Der brave Seemann hatte bereits vorher die verzweifeltsten Anstrengungen gemacht, die braunen Burschen wegzudrängen, deren Absicht er schnell durchschaute. Doch gegen die Riesenkräfte dieser halbzivilisierten Wilden kam er nicht auf. Auch er ließ jetzt seine Baßstimme erschallen und belegte die Meuterer mit Schmeichelnamen, wie sie nur in einem Matrosenwörterbuch zu finden sind.

Inzwischen waren die beiden Jungen, am Ufer der Durchfahrt entlanglaufend, ungefähr auf gleicher Höhe mit dem Kutter geblieben. Nun aber versperrte ihnen dichtes Gestrüpp den Weg und nötigte sie zu einem weiten Bogen. Diesen Verlust vermochten sie nachher nicht wieder einzuholen. Außerdem frischte der Wind auch mehr und mehr auf, so daß die „Hoffnung“, einen leichten Schaumstreifen hinter sich lassend, das Wasser des Kanals mit erhöhter Geschwindigkeit durchpflügte.

Matt und abgehetzt warf sich Karl Degner jetzt mit einem Mal in das Gras. Er gab die nutzlose Verfolgung auf. Mit ängstlichem Gesicht stand der Freund neben ihm. Und beide sahen nun, wie die weißen Segel ihres schönen Bootes immer weiter sich hinter die grünen Bäume der nächsten Biegung des Kanals schoben und bald ganz ihren Blicken entschwanden.

Eine ganze Weile verging so in bedrücktem Schweigen. Dann erhob Karl sich, nahm seine Büchse auf und sagte leise und schuldbewußt:

„Ich habe Dich zu diesem Abenteuer verführt, Fritz! Und meine Aufgabe ist es daher jetzt auch, dafür zu sorgen, daß wir auf dieser Insel, die weitab von jedem Verkehr liegt und die sicherlich unbewohnt ist, uns weiterhelfen, so gut es geht. – Komm, laß uns zunächst auf die Bergkuppe zurückkehren, damit wir feststellen ob die Kanaken wirklich auf und davon segeln oder ob sie vielleicht irgendwo an einem anderen Punkte der Insel anlegen. Wenn sie letzteres vielleicht aus dem Grunde täten, um den zur Neige gehenden Trinkwasservorrat des Kutters zu ergänzen, bevor sie ihre Flucht fortsetzen, bestände für uns noch eine geringe Aussicht, daß wir das Boot wieder in unsere Gewalt brächten. – – Beeilen wir uns aber. Die Sonne muß jeden Augenblick untergehen, und dann überrascht uns vielleicht die Dunkelheit, ehe wir uns einen geeigneten Lagerplatz gesucht haben.“ –

* * *

Von der Kuppe aus war von der „Hoffnung“ nichts zu sehen. Diese mußte also ganz dicht irgendwo am Strande entlangfahren, wo die bewaldeten Ufer sie verbargen. Trotzdem harrten die Freunde geduldig aus. Dann, als die Sonne gerade im Westen in feuriger Bahn unter dem Horizont verschwand, bekamen sie sie plötzlich wieder zu Gesicht. Wie groß war aber ihre Enttäuschung! Der Kutter eilte mit nordöstlichem Kurs in das weite Meer hinaus, eine Richtung, aus der er vor kaum vier Stunden auf die Insel zugelaufen war. Immer kleiner wurde der weiße Fleck seiner Segel, bis er in einer fernen grauen Nebelwand ganz untertauchte.

„Nun ist unser Schicksal entschieden!“ sagte Karl Degner dumpf. „Doch zum Verzweifeln liegt kein Grund vor. Mangel werden wir hier nicht leiden. Und alles übrige müssen wir einer gütigen Vorsehung überlassen. – Komm Fritz, die Dunkelheit nimmt zu. Sehen wir uns nach einem Orte um, wo wir die Nacht verbringen können.“

Fritz Grotius schlich müde, hungrig und im stillen bereits seine Abenteuerlust verwünschend, hinter dem Freunde drein. Anders sah es in Karl Degners Herzen aus. Jetzt, wo er sich der neuen Pflicht bewußt war, für sie beide denken und handeln zu müssen, da ja sein Gefährte nur allzu sehr jeder Tatkraft entbehrte, suchte er sich in das Unabänderliche mit jener ruhigen Entschlossenheit hineinzufinden, die das beste Erbteil von seinem Vater her war.

Schon beim ersten Aufstieg auf die Kuppe hatte er unweit des kleinen Hafens, in dem der Kutter leider nur für so kurze Zeit einen vorzüglichen Liegeplatz erhalten hatte, zwischen den Fieberbäumen auch ein Exemplar jener verwandten Eukalyptusart bemerkt, die die ersten Ansiedler in Australiens dankbar Mannabaum[*3] getauft haben, weil dessen Blätter einen süßen Saft in den Monaten Dezember bis März ausschwitzen, der nach dem Eintrocknen gelbliche Körner bis zur Größe einer Haselnuß bildet, die auch von den Eingeborenen als nahrhafte Leckerei verzehrt werden. Dieser Mannabaum besaß aber außer der einen guten Eigenschaft, den Knaben eine bequeme Mahlzeit zu spenden, auch noch die vielen seiner Gattung anhaftende Eigentümlichkeit, daß seine Rinde sich zur Hälfte losgelöst und nun wie ein natürliches Schutzdach schräg vom Stamme abstand.

Das Rindenstück dieses Riesenbaumes, der eine Höhe von gut 32 Meter hatte, war genügend groß, um daraus eine Hütte mit Leichtigkeit herstellen zu können, der der Stamm als Rückwand dienen mußte. Durch schwere Steine, die die beiden Freunde dann nach außen um diesen vorläufigen Schlupfwinkel anhäuften, gaben sie dem Ganzen einen so festen Halt, daß sie sich darin ganz geborgen fühlen durften. Ein zweites, kleineres Rindenstück sollte nachher als Tür dienen und von innen durch Äste festgeklemmt werden.

Nachdem sie sich an der Manna vollauf gesättigt hatten, sammelten sie sich noch in der Nähe Gras für ihre Lagerstätten und auch trockene Zweige, um sich vor ihrer Hütte ein Feuer anzünden zu können. Streichhölzer besaßen sie jeder eine noch halbvolle Schachtel, ebenso wie sie auch jeder über ein Taschenmesser und andere Kleinigkeiten verfügten, die sie gerade bei sich getragen hatten, als sie den Kutter – vielleicht für immer! – verließen.

Beim Scheine des knisternden Feuers saßen sie dann vor ihrer Hütte und besprachen ganz eingehend ihre Lage, die Karl Degner in möglichst rosigen Farben zu malen suchte, um den Freund einigermaßen aufzuheitern. Allmählich gelang ihm das auch. Die Reize des Robinsondaseins auf einer von der Natur offenbar so reich versorgten Insel wie der ihrigen mußten auf das leicht empfängliche Gemüt jedes heranwachsenden Knaben notwendig verlockend wirken, zumal die Freunde sowohl im Besitze von Schußwaffen als auch von anderen Dingen waren, die ihnen ihre Lebensführung wesentlich erleichterten.

Die milde Abendluft, das auf dem Wasser des nahen Binnensees in breiter Bahn schimmernde Mondlicht, die in den Büschen schwärmenden Leuchtkäfer und das Rauschen der kleinen Wellen der runden Bucht schufen eine zauberhafte Stimmung, der sich auch Fritz Grotius, der bisher vom Schicksal recht stiefmütterlich behandelte Junge, nicht entziehen konnte. Der leise Groll gegen den Freund, welcher ihn nur in bester Absicht aus der für ihn in jeder Beziehung verderblichen Umgebung, dieser mit lärmendem Schiffsvolk angefüllten Hafenkneipe, entführt hatte, war längst dahingeschwunden. Doch das gute Herz Karl Degners lernte er dann erst ganz kennen, als dieser nun die stille, nächtliche Stunde dazu benutzte seinen Gefährten über den Grund und den Zweck dieser Reise nach der einsamen Insel völlig aufzuklären.

„Wenn ich Dir bisher scheinbar nicht das rechte Vertrauen entgegengebracht habe“, begann Karl seine Eröffnungen, „so mußt Du mir das nicht weiter verargen. Ich habe Dich nur deshalb stets mit unklaren Andeutungen abgespeist, weil ich nicht Hoffnungen in Dir erwecken wollte, die vielleicht nie in Erfüllung gehen würden. Anderseits aber solltest Du als der einzige Mensch, an den ich mich in Melbourne näher angeschlossen habe, auch die Reichtümer mitbesitzen, die zu erwerben ich einigermaßen begründete Aussicht zu haben glaubte. – Höre jetzt, wie ich dazu veranlaßt wurde, einen Teil des ererbten Geldes für diese Expedition aufzuwenden.

In Deines Onkels Bierstube fand kurz nach meines Vaters Tode eine Versteigerung von Schiffskisten einiger im Krankenhause verstorbenen Matrosen statt, die ihre Habseligkeiten bei Deinem Onkel untergestellt hatten. Du besinnst Dich, daß ich aus Vorliebe für seltene Waffen eine dieser Kisten erwarb, die außer Waffen und Geräten von Südseeinsulanern auch mehrere abgetragene Kleidungsstücke sowie ein schmutziges Heftchen enthielt, in das der frühere Besitzer, ein bejahrter deutscher Seemann namens Heinrich Pötter, allerlei unwesentliche Dinge eingetragen hatte. Bei näherer Besichtigung meiner neuerworbenen Schätze fand ich nun unter den Kleidungsstücken auch ein verwaschenes Wollhemde, das auf der Brust und auf dem Rücken mit schwarzem Zwirn ausgeführte merkwürdige Stickereien zeigte, aus denen ich zunächst nicht klug wurde, die aber doch meine Neugierde derart reizten, daß ich immer wieder die Bedeutung dieser seltsamen Zeichnungen zu ergründen suchte. Die auf der Brustseite stellte, wie ich dann mit Hilfe einer Karte herausbekam, die Südküste Australiens dar. Von der Hafenstadt Adelaide lief eine punktierte Zwirnlinie zunächst nach Kap Borda auf der Känguruh-Insel und von hier aus weiter in südwestlicher, schnurgerader Richtung auf die Kerguelen-Gruppe zu. Auf dieser langen, das Meer durchschneidenden Linie war nun an einer Stelle und zwar genau südlich der Hafenstadt Eukla, die in der Mitte der Küste der Großen Australischen Bucht liegt, ein eigenartiges, kleines Ornament eingestickt, das die Form eines Hängeschlosses hatte. Als Abschluß besaß diese Bruststickerei unten ein breites Wellenmuster, das wohl nur dazu dienen sollte, den wahren Zweck der Gesamtzeichnung mehr zu verhüllen. – Die Rückenstickerei wieder, die leichter zu entziffern war, sollte unzweifelhaft eine Insel vorstellen, und zwar eine Insel, deren Gestalt genau dem kleinen Ornament auf der Kap Borda und die Kerguelen verbindenden Linie entsprach. Mit einem Wort: die Rückenzeichnung war nichts anderes als eine Karte der Insel, auf der wir jetzt wohl für längere Zeit leben müssen. Daher fand ich auch so schnell den Kanal, deshalb wußte ich auch von dem Vorhandensein des kleinen Hafens, aus dem uns unser Kutter nur zu schnell geraubt worden ist. – Auch in dieser gestickten Karte bemerkte ich nun eine punktierte Linie, die vom Hafen auf das Bild eines Baumes, der dicht an der Ostküste der Insel stehen muß, zulief. Genau in der Mitte dieser Linie war oder besser ist ein schwarzes Kreuz eingezeichnet, unter dem die Buchstaben DLOG zu sehen sind. Über deren Bedeutung blieb ich zunächst im unklaren. Und nur ein Zufall, das gebe ich zu, ließ sie mich dann einmal von rückwärts lesen. So erhielt ich das Wort „Gold“. In demselben Augenblick wurde mir der Zweck dieses gestickten, alten Hemdes klar. Meine Erregung kannst Du Dir denken. Immer wieder nahm ich es zur Hand und studierte die beiden Zeichnungen, durch die der deutsche Matrose ein wertvolles Geheimnis der Nachwelt hatte überliefern wollen. Ich sagte mir, daß er sich nie diese Arbeit, sein Wollhemde auf so merkwürdige Art zu verzieren, gemacht haben würde, wenn nicht wirklich etwas Wahres an der Sache wäre. Das Nächste, was ich unternahm, war ein Besuch in dem Krankenhause, in dem Heinrich Pötter an Wechselfieber nach schweren Leiden gestorben war. Hier erfuhr ich, daß eine holländische Bark ihn bereits halb bewußtlos in einem Rindenboot in der Großen Australischen Bucht treibend aufgefunden und mit nach Melbourne genommen habe, wo er erst bei Deinem Onkel Wohnung bezog, bis man ihn in das Krankenhaus schaffen ließ. Woher er in dem Rindenboot gekommen war, und was er in den letzten Monaten getan hatte, darüber schwieg er beharrlich. Nur in seinen Fieberphantasien soll er immer von Goldlagern und einer Insel gesprochen haben. Acht Tage nach seiner Einlieferung in das Krankenhaus war er tot. Ich nehme nun an, daß er die beiden Stickereien angefertigt hat, während er sich bei Deinem Onkel in Kost befand. Vielleicht ahnte er sein Ende voraus und wollte sein Geheimnis auf diese Weise dem hinterlassen, der klug genug war, mehr in den Stickereien zu sehen als einen müßigen Zeitvertreib. Diese Absicht geht auch aus der letzten Eintragung in das Heftchen hervor, wo es mitten auf einer sonst leeren Seite heißt: „Verwandte besitze ich nicht. Meine Unterwäsche mag der, der sie erwirbt, falls ich sterben sollte, mit gutem Nutzen tragen.“ –

So, lieber Fritz, nun habe ich Dir alles Nötige mitgeteilt. Das wertvolle Wollhemde aber trage ich seitdem tatsächlich hier unter meiner Weste, wo es am besten geborgen ist.“ – –

* * *

Noch eine gute halbe Stunde lang ergingen sich die beiden Freunde in allerlei Zukunftsplänen, bei denen das lockende Gold die Hauptrolle spielte. Dann löschten sie das Feuer aus und zogen sich in ihre Rindenhütte zurück, deren Eingang sie für alle Fälle sorgsam versperrten.

Gegen Mitternacht war es, als Fritz Grotius durch ein kratzendes Geräusch erwachte, das dicht neben der Hütte zu hören war. Schnell munter geworden, vernahm er nun auch das leise Tappen zahlreicher Füße, hin und wieder dumpfes Knurren und das keuchende Atmen irgend welcher Tiere, die offenbar versuchten, die um die Rindenwand aufgehäuften Steine zu entfernen. Vor Angst sträubten sich ihm die Haare, und mit bebender Hand tastete er nach dem Lager des fest schlafenden Freundes hinüber. Dieser fuhr empor und suchte schleunigst die Schlaftrunkenheit abzuschütteln, als sein Gefährte ihn flüsternd auf das Treiben draußen vor ihrem Schlupfwinkel aufmerksam machte.

Behutsam schob Karl Degner dann das Rindenstück vor dem Eingang etwas bei Seite und lugte durch den schmalen Spalt hinaus. Der Mond, der jetzt gerade über dem runden Wasserbecken stand, verbreitete genügend Licht, um ein Dutzend Tiere von der Größe eines kräftigen Hundes erkennen zu lassen, die ohne Zweifel die Insassen der Hütte gewittert hatten und ihnen zu Leibe gehen wollten. Im Zoologischen Garten in Melbourne war Karl nun oft genug vor dem Käfig der einzigen, in Australien heimischen Raubtiere, der Beutelwölfe, stehen geblieben, um diese besonders auf der Insel Tasmania sehr zahlreichen, als sehr kräftig und raubgierig bekannten, zu der Familie der Beutelmarder gehörigen Tiere anzustaunen, denen man selbst in der Gefangenschaft ihre Wildheit deutlich an ihrem ganzen Verhalten anmerkte.

Der Beutelwolf wird, den Schwanz mitgerechnet, eineinhalb Meter lang, ist graubraun gefärbt und besitzt auf dem Rücken dunklere Querstreifen, die an die Zeichnung eines Tigers erinnern. Sein starkes Gebiß, seine Schnelligkeit und Angriffslust machen ihn den Schafherden auf Tasmania besonders gefährlich. Zu mehreren vereint, greifen die Zebrahunde, wie sie auch genannt werden, selbst Menschen an, besonders einsame Hirten, die ihnen häufig zum Opfer fallen.

Kein Wunder, daß Karl Degner beim Anblick dieser Tiere, die hier gleich in solcher Menge auftraten, sein Herz schneller schlagen fühlte. Aber das Bewußtsein, eine Büchse bereit zu haben, mit der er leidlich umzugehen wußte, gab ihm bald seine Ruhe zurück. Ganz gleichgültig tuend, teilte er dem Freunde nun das Geschaute mit, indem er hinzufügte, ein paar Schüsse würden schon genügen, um die Bestien zu vertreiben.

Leise schob er dann den Lauf seines Gewehrs durch den Spalt hindurch und wartete, bis einer der Beutelwölfe dicht vor ihm auftauchte. Aus kaum zwei Meter Entfernung feuerte er nun, worauf die Zebrahunde ein wildes Geheul ausstießen und das offensichtlich schwer getroffene Tier sich mühsam seitwärts schleppte.

Durch den Schuß zur Vorsicht gemahnt, vermieden die beutelüsternen Bestien es jetzt, dem Eingang zu nahe zu kommen. Das blieb aber auch der einzige Erfolg der gutgezielten Kugel.

Eine Stunde verging. An Schlaf war für die beiden Freunde nicht mehr zu denken. Das Scharren und Kratzen, das Keuchen und Winseln der Beutelwölfe hörte nicht auf. Diese Belagerung weckte nur zu schnell wieder Fritz Grotius’ ängstlichen Kleinmut. Die tiefe Dunkelheit in der niedrigen Hütte vergrößerte noch seine Furcht. Allerlei Geschichten fielen ihm ein, die er einst drüben in der deutschen Heimat von Leuten gelesen hatte, die in den verschneiten russischen Steppen von Wölfen auf einem Baume umzingelt und schließlich von ihnen zerrissen worden waren. In scheuem Flüsterton erinnerte er den Freund an derartige Vorfälle, bis dieser, schon ganz ärgerlich, ihm mit wenig freundlichen Worten seine Feigheit vorhielt und erklärte, er würde lieber allein auf der Insel den Robinson spielen wollen als in Gemeinschaft eines Altersgenossen, der alles andere nur kein rechter Junge sei.

Was gutes Zureden nicht vermocht hatte, das erreichten diese ungeschminkten Vorwürfe. Fritz schwieg erst eine Weile, und dann nahm er plötzlich sein starkes Taschenmesser hervor und begann an der Seite der Hütte in die Rinde ein Loch zu schneiden, ohne dem Freunde etwas von seiner Absicht mitzuteilen. Karl wurde auch erst durch das Knirschen der Klinge in dem Holze aufmerksam und fragte, was sein Leidensgefährte da eigentlich tue. Gekränkt gab Fritz zur Antwort, daß er jetzt beweisen werde, wie unrecht der Freund gehabt habe, ihn einen Feigling zu schelten.

Der Gedanke, in die Seitenwände Schießscharten einzuschneiden, war so vortrefflich, daß auch Karl sein Messer hervorzog und sich an dieselbe Arbeit machte. Da die Rinde zwar dick, aber nicht allzu hart war, hatte Fritz als erster ein genügend großes Loch fertig, um seine Büchse handhaben zu können. Inzwischen hatte er schon gelernt, wie sie gespannt werden mußte, und als er nun dicht vor seiner Schießscharte einen der Beutelwölfe erblickte, gab er dem Lauf die ungefähre Richtung, drückte ab und erlebte auch wirklich die Freude, das Tier mitten in die Brust zu treffen. Nachdem er erst einmal seinen ersten Schuß abgefeuert hatte, war die Scheu vor seiner Büchse geschwunden. Noch zwei Mal feuerte er mit ebenso gutem Erfolg und auch Karl Degner kam noch zum Schuß.

Diese empfindlichen Verluste genügten jetzt doch, um die Zebrahunde zu verscheuchen. Außerdem begann auch bereits der Morgen zu dämmern, der diese ausgesprochenen Nachttiere ohnehin in ihre Verstecke zurücktrieb.

Nachdem draußen Ruhe eingetreten war, stellte sich das Schlafbedürfnis bei den Freunden mit so zwingender Macht ein, daß sie sich erschöpft auf ihr Lager warfen, sogleich einschlummerten und erst erwachten, als bereits die Sonne hoch am Himmel stand. Als erster wurde Fritz munter, der sofort neugierig nach den erlegten Beutelwölfen durch die Schießscharten ausspähte. Vier der toten Bestien lagen nur wenige Schritte entfernt im Grase. Zu seinem nicht geringen Erstaunen bemerkte er auf einem der Kadaver zwei große, papageienähnliche Vögel mit wenig gekrümmtem, langem Schnabel, weißem Kopf, rote Kehle und grünem Federkleid, die eifrig von dem von ihnen bloßgelegten Fleische fraßen. Wie ihn Karl dann zu belehren wußte, waren es Nestorpapageien und zwar die auf Neuseeland hauptsächlich vorkommende, Kea[3] genannte Art, die merkwürdigerweise aus Pflanzen- Fleischfresser geworden ist und unter den Schafen der genannten Insel dadurch viel Unheil anrichtet, daß sie diesen in den Rücken große Löcher einhackt und die überfallenen Tiere dann elend verbluten. –

Als die Knaben ihre Rindenhütte verließen, flogen die Papageien eilends davon. Auch der fünfte, in der Nacht nur verwundete Beutelwolf wurde im Gebüsch verendet aufgefunden, und sofort machten sich die Freunde nun an die Arbeit, die Bestien ihres schönen, seltenen Felles zu berauben, die Karl mit Hilfe der als Gerbstoff viel benutzten Rinde einer anderen Eukalyptusart[*4] dauerhaft zubereiten wollte. Beim Abhäuten konnten die Knaben dann auch das besondere Merkmal aller zur Gattung der Beuteltiere zählenden Tiere[*5], die zumeist auf die australische Zone beschränkt und deren bekannteste Vertreter die Känguruhs sind, sich genauer ansehen. Es ist dies eine am Bauche befindliche Tasche, in der die noch nackten und blinden, wenig entwickelten Jungen gleich nach der Geburt hineingetan werden und dort bleiben, bis sie sich selbst ihre Nahrung suchen können.

Die Felle wurden dann vorläufig an der Hüttenwand ausgespannt, nachdem die Innenseite sorgfältig gereinigt war. Inzwischen hatten die Knaben auch wieder eine Mahlzeit, die lediglich aus Manna bestand, zu sich genommen. Aber diese weichliche Nahrung sagte ihnen so wenig zu, daß sie beschlossen, eine Streife auf andere eßbare Früchte und Tiere zu unternehmen, wobei sie auch gleich nach dem Baume suchen wollten, der auf der Zeichnung des alten Seemannes besonders vermerkt war.

Sie schulterten also ihre Büchsen und schlugen etwa um die Mittagszeit die Richtung nach Südost ein. Vorher hatte Karl Degner dem Freunde das merkwürdige Wollhemde gezeigt und nochmals die die Insel darstellende Rückenstickerei sorgfältig betrachtet, auf der er verschiedene Anhaltspunkte dafür fand, wo der betreffende Baum ungefähr stehen mußte.

Zunächst führte sie ihr Weg über die Ostausläufer der Hügelkette hinweg, wo sie außer verschiedenen Buchen- und Nadelbaumarten auch kleinere Eukalyptushaine vorfanden, in denen sie zahlreiche Kakadus sowie Paradiesvögel mit ihren gelblichen, langen Flügelfedern, ferner auch große, pfauenähnliche Leierschwänze und kleinere Vögel bemerkten. Dann senkte sich das Gelände zu einer flachen Ebene herab, deren Baum- und Strauchwuchs, kleine grüne Inseln bildend, völlig der Flora des südlichen Australiens entsprach. So gab es hier riesige Baumfarne, schachtelhalmähnliche, mächtige Kasuarinen und die seltsamen Grasbäume, deren kurzer, dicker Stamm oben einen Kranz langer, schilfartiger Blätter trägt. Die Sträucher waren zumeist Akazien mit sichelförmigen bläulichgrünen Blättern, während das den Boden bedeckende Gras an manchen Stellen nur aus den sogenannten „Salzbüschen“ bestand, die auch in den dürrsten Einöden des wasserarmen fünften Kontinents gedeihen.

Nach Durchquerung dieser Steppe, durch die ein im Bogen von Nordwesten kommender Bach mit klarem Wasser floß, stieg das Gelände etwas an, wurde kahl und steinig und bildete weiterhin eine mit Felsgeröll und hellen Sandflecken angefüllte Rinne, die bei einer Länge von vielleicht 200 Meter und einer Breite von 30 Meter genau von Norden nach Süden verlief. Dieses Tal konnte nur ein früheres Flußbett sein, worauf auch die angeschwemmten Sandmassen mit Sicherheit hindeuteten. Hier nun gelang es Karl Degner ein Baumkänguruh zu erlegen, das auf einem am Rande des ausgetrockneten Flußbettes wachsenden Bunya-Bunya-Baume saß und sich an dessen großen Nüssen, die einen Geschmack ähnlich dem der Walnuß haben, ergötzte. Beim Anblick der beiden Freunde floh das äußerst geschickt kletternde, etwa 1 Meter lange Tier in die obersten Äste, wurde dann aber durch einen gutgezielten Schuß doch heruntergeholt. Das Fleisch der Baumkänguruhs ist zart und wohlschmeckend, und daher gedachten die Freunde die Jagdbeute nachher auch mit nach ihrer Hütte zu nehmen. Vorläufig verbargen sie es im Schatten eines größeren Felsstückes und häuften Steine darüber.

Jenseits der kahlen Rinne begann wieder die Steppe, die sich bis zum Südostufer hinzog, von dem sie nur durch einen breiten Urwaldgürtel getrennt war. In jener Richtung erblickten die beiden Freunde nun schon aus der Ferne einen jener gigantischen Eukalyptusbäume, die zu der Art Euk. kolossea gehören und bis 120 Meter hoch werden. Die Einwanderer nennen diesen in Südaustralien recht häufigen Baum „Karri“ und machen von seinem elastischen, dauerhaften Holz den mannigfachsten Gebrauch.

Kaum hatte Karl Degner diesen Riesen[*6], der weit über all seine Genossen hinausragte, bemerkt, als er auch schon jubelnd ausrief:

„Fritz – dort, schau hin, – das ist ohne Zweifel der Baum, den Heinrich Pötter auf seiner Stickerei wiedergegeben hat. – Ja, er muß es sein! Da vor uns macht ja auch der Küstenwald die tiefe Ausbuchtung, die auf der Zeichnung angedeutet ist …!“ –

Bald hatten die Knaben den Karri erreicht, und in freudiger Aufregung überlegten sie nun, wie sie den durch das Kreuz auf der Stickerei bezeichneten Punkt finden könnten, unter dem die vielsagenden Buchstaben standen und der genau auf der Mitte einer zwischen dem Riesenbaume und dem kleinen Hafen gezogenen Linie lag. Auf welche Weise sie diese Aufgabe dann glücklich lösten, sei hier nur kurz geschildert. Als Merkzeichen befestigten sie nachher an einem der äußersten Äste eines dicht am Hafen stehenden Eukalyptusbaumes Fritz Grotius’ weißleinene Unterbeinkleider, und ähnlich legten sie dann auf der Zwischenstrecke noch andere Punkte fest, die sie immer wieder verbesserten, bis sie tatsächlich die gerade Linie herausbekommen hatten, deren Länge sie durch Schritte abmaßen. Die Hälfte der gefundenen Zahl mußte sie schließlich an den gesuchten Platz führen.

Inzwischen war der Nachmittag herangekommen. Gerade als die Sonne sich bereits dem westlichen Horizont zuneigte, war der durch das Kreuz auf der Zeichnung hervorgehobene Punkt anscheinend gefunden. Er lag etwa in der Mitte des von Norden nach Süden sich hinziehenden, ausgetrockneten Flußbettes an einer Stelle, wo der Boden weithin mit seinen, vom Wasser rundgeschliffenen Kieseln bedeckt war.

Eifrig wühlten die Freunde in den Steinen mit ein paar abgebrochenen Ästen herum. Glaubten sie doch bestimmt, daß sie hier auf eine Ansammlung von Körnern gediegenen Goldes stoßen würden, auf das sogenannte Waschgold[*7], wie sich dieses in den Talniederungen Australiens, Kaliforniens, Alaskas und auch Sibiriens vorfindet, weit spärlicher im Sande des Rheins und der Oder. Zu ihrer herben Enttäuschung brachten sie jedoch auch nicht das geringste gelbblinkende Körnchen zum Vorschein.

Schließlich zwang sie die hereinbrechende Abenddämmerung zur Heimkehr nach ihrer Hütte. Nachdem sie noch von dem Bunya-Bunya-Baume eine ganze Menge Nüsse gepflückt hatten, nahmen sie auch das erlegte Känguruh mit und eilten ihrer Behausung zu, vor der dann bald ein lustiges Feuer flackerte, über dem eine Keule des wohlschmeckenden Beuteltieres briet. Diese Abendmahlzeit mundete ihnen schon bedeutend besser, zumal Karl versuchsweise einige Nüsse in die heiße Asche gelegt hatte, die dadurch recht mehlig wurden und als Ersatz für Kartoffeln gelten konnten. –

Die erste Enttäuschung über ihren Mißerfolg beim Goldgraben hatten sie schnell überwunden. Karl meinte, sie würden sicher die Richtung nicht genau eingehalten haben, und es wäre daher nötig, gleich morgen früh die Merkzeichen der Linie zwischen dem Hafen und dem Eukalyptusbaum nochmals abzuvisieren. Ferner beschlossen sie, sich eine neue Hütte in der Nähe des trockenen Flußbettes zu bauen, damit sie ihrer zukünftigen Arbeitsstätte, der erhofften Goldmine, näher wären. Dieser Umzug würde ihnen außerdem den Vorteil bieten, meinte Karl, daß sie es nicht so weit nach dem Bache hätten, aus dem sie sich das Trinkwasser schöpfen müßten und der ihnen auch Gelegenheit zu einem erfrischenden Bade gäbe.

Die Nacht verlief ruhig. Die Beutelwölfe hatten offenbar die Lust verloren, nochmals eine Belagerung zu wagen. Der frühe Morgen fand die beiden Freunde bereits munter. Nach einem kräftigen Imbiß begannen sie ihr Tagewerk damit, daß sie nochmals genau feststellten, ob die von ihnen angelegten Merkzeichen auch wirklich eine gerade Linie bildeten. Dieses war nicht der Fall. Sie hatten eben in der Eile am vergangenen Tage einen kleinen Fehler gemacht, so daß der nun gefundene Punkt einige vierzig Meter südlich von dem ersten und mehr nach der östlichen Seite des Flußtales zu liegen kam. An dieser Stelle gab es kein Kieselgeröll, sondern eine breite Sandablagerung, deren Oberfläche noch deutlich anzusehen war, daß der Sand vor nicht allzu langer Zeit hier und da umgegraben worden sein mußte. Diese Entdeckung steigerte die frohe Erwartung der Knaben aufs höchste. Sie legten ihre Büchsen neben sich, knieten nieder und begannen mit den Händen den groben Schwemmsand aufzuwühlen. Sehr bald stieß dann Fritz Grotius einen lauten Jubelruf aus: er hatte das erste Goldkörnchen gefunden! – Mit leuchtenden Augen betrachteten die Freunde das gelbe, linsengroße Kügelchen. Es war reines Gold – das unterlag keinem Zweifel. Oft genug hatten sie ja in Melbourne bei Goldgräbern diese wertvollen Körnchen gesehen und angestaunt. –

Nach einer halben Stunde hatte dann jeder von ihnen etwa ein halbes Dutzend dieser Kügelchen aus dem Sande herausgesucht. Vorläufig waren sie mit diesem Ergebnis zufrieden. Das Geheimnis des armen Heinrich Pötter gehörte jetzt ihnen. Und die weitere Gewinnung des edlen Metalls wollten sie in aller Ruhe vorbereiten und durchführen.

Zunächst verlegten sie nun ihre Behausung nach einem Hain von Eukalyptusbäumen, der kaum 200 Meter von der Mine entfernt im Ostteil der nahen Ebene lag. Zwei dicht nebeneinander stehende Stämme gaben die Rückwand der neuen Hütte ab, die im übrigen aus Baumrinde hergestellt und durch in die Erde eingegrabene Äste gestützt wurde. Die einzelnen Rindenstücke verbanden sie mit Stricken, die sie aus Bast flochten und durch eingeschnittene Löcher hindurchzogen und verknoteten. Das Dach bildete ein großes, gewölbtes Stück Rinde, das sie mit ihren Messern einigermaßen passend zuschnitten. Dort, wo die Hüttenwände den Grasboden berührten, schichteten sie von außen wieder Steine auf, während sie die Tür und die von innen verschließbaren Laden zweier Fensteröffnungen durch Gelenke aus starken, biegsamen Zweigen beweglich machten.

Immerhin ging über dieser Arbeit fast der ganze Tag drauf. Nachdem die Hütte endlich fertig war, hatten sie gerade noch Zeit, in dem Bache ein Bad zu nehmen, ihren Vorrat an Nüssen zu ergänzen und sich einen Haufen trockener Zweige zu sammeln. Dann brach auch schon der Abend an. Kurz vor Dunkelwerden wurden sie noch Zeugen, wie drei Beutelwölfe, die die Dämmerung aus ihren Schlupfwinkeln hervorgelockt hatte, ein Schnabeltier[*8] jagten, das sie am Bachufer außerhalb seines Röhrenbaus angetroffen haben mußten. Das rotbraune, kurzbeinige Geschöpf mit dem an einen Entenschnabel erinnernden, mit horniger Haut überzogenen Maule versuchte vergebens, seinen Verfolgern zu entwischen. Kaum hundert Meter von der Hütte entfernt wurde es von dem einen der Zebrahunde gepackt. Aber dieser sollte sich seines zappelnden Opfers nicht lange erfreuen. Karl Degner hatte schnell seine Büchse ergriffen, lief, gedeckt durch einige Sträucher, im Bogen auf die drei Beutelwölfe zu und streckte zwei davon aus nächster Nähe nieder. Der dritte entfloh leider, bevor der glückliche Schütze eine neue Patrone in den Lauf schieben konnte.

Das Schnabeltier lebte noch, hatte aber ein paar böse Bißwunden im Rücken. Trotzdem schleppte es sich mühsam wieder dem Bache zu, wo es am Ufer in einer der zu seinem Kesselbau laufenden Schlupfröhren verschwand. – –

* * *

Am nächsten Morgen wurden die beiden Beutelwölfe abgehäutet und deren Felle sowie die der vorher erlegten Tiere von Karl Degner so gut es ging durch Gerben geschmeidig gemacht und an einem schattigen Platze wieder aufgespannt. Inzwischen gab es für Fritz Grotius andere Arbeit. Er mußte in der Nähe auf die Suche nach großen Eukalyptusrindenstücken gehen, die Karl bei der trockenen Goldwäsche benutzen wollte. Ferner lag ihm die Aufgabe ob, mit dem Schnitzen zweier Schaufeln zu beginnen, die ebenfalls zur Goldgewinnung dienen sollten. Gegen Mittag waren dann sowohl die Schaufeln, bei deren Herstellung Karl nachher mitgeholfen hatte, als auch zwei aus Rindenstücken gearbeitete, große, flache Mulden fertig. Letztere hatten die Freunde innen möglichst geglättet und mit Querkerben versehen. Nach der Mahlzeit begaben sie sich dann in das Flußtal, um hier mit der Goldwäsche zu beginnen, die sie, da es ihnen an Wasser zum Auswaschen des goldhaltigen Sandes fehlte, auf trockene Weise vornehmen mußten. In die flachen Mulden schaufelte jeder von ihnen einen Haufen Sand hinein, der dann durch Hinundherschütteln verteilt wurde, wobei die schweren Goldkörnchen sich am Boden der Mulde ansammelten und schließlich in den Kerben liegen blieben, wenn der durchgearbeitete Sand an einer bestimmten Stelle seitwärts der Mine vorsichtig ausgeschüttelt wurde. Daß bei dieser trockenen Goldwäsche, von der Karl Degner einmal in einem Buche etwas gelesen hatte, manches Goldkörnchen verloren ging, war unausbleiblich. Aber eine bessere Art gab es für die Knaben nicht, denen es an allen Geräten fehlte[4]. Diese waren von den Kanaken leider zugleich mit der Jacht entführt, auf der Karl sie in einen festen Verschlag eingeschlossen gehabt hatte, damit seine Gefährten nicht etwa vorzeitig durch die Drahtsiebe von verschiedener Maschenweite, durch die eisernen großen Spaten, Spitzhacken und was sonst noch zum Handwerkszeug eines Goldgräbers gehört, den eigentlichen Zweck der Reise erraten sollten.

Alle Stunde machten die Freunde eine Pause, um sich ein wenig auszuruhen. Am Abend hatten sie dann nach siebenstündiger Arbeit jeder ungefähr vier Dutzend Körnchen von verschiedener Größe[*9] ausgewaschen. Aber keines dieser Kügelchen war größer als eine Linse, die meisten sogar kleiner. Trotzdem erklärte Karl Degner, daß diese Ausbeute, die zusammen vielleicht 120 Gramm wiegen mochte, die Arbeit mehr als reichlich lohne. Freilich fügte er auch sofort hinzu, daß sie in Zukunft diese ermüdende Arbeit notwendig mehr einschränken müßten, da ihre Kräfte derartigen Anstrengungen nicht gewachsen sein würden.

Wie recht der Freund mit dieser Bemerkung gehabt hatte, fühlte Fritz erst am nächsten Morgen, wo ihm alle Muskeln weh taten und er sich kaum von seinem Lager erheben konnte. Besonders der Rücken schmerzte ihn derart, daß er den ganzen Tag sich nicht zu bücken vermochte, ohne sofort leise aufzustöhnen.

Damit sie nun das Schütteln der Mulden im Stehen vornehmen konnten, bauten sie sich aus festen Ästen und gerade gebogenen Rindenstücken jeder einen Tisch an der Arbeitsstelle, dessen Füße sie tief in den Sand eingruben. Auf diese Weise erleichterten sie sich das Goldwaschen ganz wesentlich, dem sie nun täglich am Vormittag drei und am Nachmittag vier Stunden widmeten. Das gewonnene Edelmetall wurde in einen Lederbeutel getan, den Karl Degner aus einem von den Haaren befreiten Fell eines Zebrahundes hergestellt hatte. Die ihnen verbleibende freie Zeit benutzten sie einmal zu häuslichen Verrichtungen, dann aber auch zur Jagd, zu Ausflügen in die anderen Teile der Insel, zum Einsammeln von Nüssen und Räuchern des erlegten Wildes. Letzteres, hauptsächlich Baumkänguruhs, machten sie deswegen durch Räuchern mit Nadelholzzweigen haltbar, weil das Fleisch bei der auf der Insel herrschenden Wärme sehr schnell in Verwesung überging und sie gezwungen waren, mit ihrer Gewehrmunition sehr sparsam umzugehen. Hatten sie doch im ganzen nur 42 Patronen besessen, die sich bald in erschreckender Weise verringerten, da sie zu ihrer eigenen Sicherheit jeden Beutelwolf, den sie aufstöberten, niederschossen. Nach einem Monat sah Karl Degner dann ein, daß sie sich notwendig andere Waffen anfertigen müßten, um die ihnen noch verbliebenen 25 Patronen für Fälle dringendster Not zurücklegen zu können. Es gelang ihnen denn auch, sowohl Lanzen wie auch Bogen und Pfeile herzustellen, in deren Handhabung sie es zu großer Geschicklichkeit brachten. Als Spitzen für diese Waffen benutzten sie zugespitzte Knochen, da ihnen kein geeignetes Metall zur Verfügung stand. – Bei ihren Ausflügen hatten sie im westlichen Teil der Insel auch einen kleinen Süßwassersee entdeckt, der von dichten Waldungen umgeben war und aus dem der Bach heraustrat. An dessen Ufern fand Karl eine große Menge jener Wasserfarne, deren stärkemehlhaltigen[5] Früchte, Nardu genannt, in Australien zur Brotbereitung benutzt werden. Ein Versuch, Brot zu backen, hatte guten Erfolg, so daß der Speisenzettel der beiden Robinsons eine weitere Ergänzung erhielt. –

So gingen drei Monate in ungestörtem Frieden dahin. In der frischen, trockenen Luft der Insel, über die sich nur hin und wieder Gewitter und Platzregen entluden, und bei der regelmäßigen Lebensweise gediehen die Freunde körperlich sehr gut. Besonders Fritz Grotius war ein völlig anderer geworden. – Die Goldgewinnung hielt sich stets in denselben Grenzen. Mitunter war die Ausbeute eines Tages reicher als gewöhnlich, dafür gab es aber auch wieder Arbeitsstunden, die gar nichts einbrachten.

Am 14. August war es dann, als Karl Degner in seinem inzwischen ausgehobenen tiefen Sandloch auf felsigen Boden stieß, der eine trichterförmige Vertiefung von etwa drei Meter Durchmesser bildete. Und in diesem Trichter machte er nun den ersten bedeutenderen Fund. Hier hatte das Gold sich auch in größeren Körnern abgesetzt, so daß der Felstrichter an einem Tage nicht weniger als gut zehn Pfund Edelmetall lieferte.

Die Freude der beiden Gefährten kann man sich leicht vorstellen. Aber leider sollte dieser Tag ihnen auch ein anderes Ereignis bringen, an das sie auch nicht im entferntesten gedacht hatten.

Es war gegen Abend, und Fritz Grotius hatte sich soeben nach der Hütte begeben, um dort ein vorhin mit dem Bogen erlegtes Großfußhuhn[*10] als Abendmahlzeit am Spieße zu braten. Karl wollte erst später nachkommen, da er den aus dem Trichter ausgehobenen Sand nochmals durchzuwaschen gedachte, dessen Reichtum an Gold diese Arbeit sicherlich zu einer lohnenden machen würde. Plötzlich vernahm er hinter sich dann Schritte. In der Meinung, daß es sein Gefährte sei, fragte er ohne sich umzublicken, weshalb Fritz denn so schnell wieder zurückkehre.

Eine Antwort blieb aus. Dafür fühlte er sich von mehreren Fäusten gepackt und blitzschnell zu Boden gerissen. Doch ehe die beiden Männer, verwildert aussehende Europäer, dem Überfallenen noch einen Knebel in den Mund zu zwängen vermochten, stieß er mit rascher Geistesgegenwart ein paar laute Hilferufe aus, obwohl es mehr wie zweifelhaft war, ob sein Freund diese hören würde. Außer den beiden Weißen bemerkte er jetzt auch weiter zurück in dem Flußtale die Gestalten von drei Kanaken, unter denen er die beiden mit dem Kutter entflohenen Meuterer zu erkennen glaubte. Bald war er völlig wehrlos und lag nun fest mit Stricken gebunden und mit einem Zeugfetzen im Munde auf dem wertvollen Sandboden, dem er seine Reichtümer auch weiterhin in mühsamer Tätigkeit abzuringen gehofft hatte.

Einer der Weißen, ein Mann mit einem fuchsroten Bart und blatternarbigem Gesicht, hatte inzwischen den auf einem der Tische liegenden Goldbeutel erblickt, öffnete ihn mit gierigen Fingern und hielt ihn dann mit triumphierendem Lächeln seinem Genossen hin.

Der aber winkte ungeduldig mit der Hand und sagte befehlend in englischer Sprache:

„Laß das jetzt, Tom! Erst müssen wir auch den zweiten Burschen festnehmen. Das Gold entgeht uns nicht. Daß die braunen Schufte das Richtige vermutet haben, ist ja schon festgestellt.“ – –

Fritz Grotius, der sich auf dem Wege nach der Hütte dadurch etwas aufgehalten hatte, daß er vor einem Ameisenhügel stehen geblieben war, über den sie am Tage vorher das frischabgehäutete Fell eines Beutelwolfes gebreitet hatten, damit die Insekten ihnen die Arbeit des Entfernens der letzten Fleischreste abnahmen, waren jedoch die Hilferufe seines Gefährten nicht entgangen. Sein erster Gedanke war, daß Karl von Zebrahunden überfallen sein könnte. So eilte er denn in schnellem Lauf nach der Mine zurück, indem er gleichzeitig seine Büchse spannte. Erschreckt prallte er dann aber zurück, als er, oben am Rande der Felsrinne angelangt, die fremden Männer und den am Boden liegenden Freund erblickte. Unschlüssig blieb er stehen. Da hatten ihn die Kanaken auch schon erspäht und machten die Weißen durch lautes Geschrei auf ihn aufmerksam. Schleunige Flucht schien ihm jetzt das beste zu sein. Später würde er dann schon Mittel und Wege finden, irgend etwas für die Befreiung Karls zu tun.

In wilder Hast jagte er über die Ebene hin und gelangte auch glücklich bis zur Hütte, wo er schnell die dort aufbewahrten Patronen zu sich steckte und dann weiter rannte. Stets Gebüsch als Deckung benutzend, strebte er dem Kanal zu, den er an einer flachen Stelle, wo ihm das Wasser nur bis unter die Arme reichte, durchwatete und so auf die bogenförmige Halbinsel gelangte, wo sie gelegentlich eines Ausfluges eine versteckt stehende, hohle Riesenbuche gefunden hatten, in der er sich für die Nacht zu verbergen beabsichtigte. Am Außenstrande der Halbinsel entlangeilend, wurden seine Schritte plötzlich durch den Anblick eines Bootsmastes gehemmt, der zwischen den Uferbäumen einer kleinen Bucht sichtbar war. Diesmal war sein Schreck ein freudiger. Sofort entstand in ihm der Plan, das dort festgemachte Fahrzeug, auf dem ohne Zweifel die Fremden nach der Insel gekommen waren, um jeden Preis in seine Gewalt zu bringen. Vorsichtig näherschleichend erkannte er dann bald den geraubten Kutter in dem Boote wieder, auf dessen Hinterdeck zwei Kanaken saßen und laut miteinander schwatzten.

Ohne sich lange zu besinnen trat Fritz unter den Bäumen hervor, legte seine Büchse an und rief den braunen Gesellen ein lautes: „Springt ins Wasser, oder ich schieße!“ zu. Daß die Kanaken diesen Befehl verstanden hatten, war kaum anzunehmen, da der Knabe sich in der Aufregung der deutschen Sprache bedient hatte. Jedenfalls schnellten sie empor und starrten entsetzt auf die drohende Büchse, aus deren einem Lauf nun ein Feuerstrahl hervorschoß, während gleichzeitig eine Kugel dicht über ihren Köpfen hinwegpfiff. Diese nicht mißzuverstehende Mahnung genügte. Mit einem Satz waren sie im Wasser und schwammen dann mit langen Stößen quer über die kleine Bucht deren anderem Ufer zu.

Der Kutter lag etwa zehn Meter vom Strande entfernt vor Anker. Trotzdem konnte Fritz zu ihm hinüberwaten, schwang sich nun an Bord und durchsuchte erst einmal die Innenräume, da er nicht wissen konnte, ob sich dort nicht noch einer der Feinde verborgen hatte. Die Kajüte und der hintere Verschlag beherbergten kein lebendes Wesen. Nun hob er die Luke zum Vorschiff auf, bückte sich und schaute hinab. Das erste, was er sah, waren ein Paar in derben Schuhen und blauen Hosen steckende Beine, um deren Fußgelenke ein Strick geknotet war. Eine frohe Hoffnung durchzuckte da den Knaben. Sich noch tiefer herablassend, fragte er laut:

„Sturgat – sind Sie es etwa?“

Als Antwort klang ein lautes „Natürlich – wer sonst …?!“ zurück. Und wenige Minuten später verließ bereits der Kutter, während die Dunkelheit immer mehr zunahm, unter vollen Segeln die Bucht und steuerte bei leichtem Winde in die offene See hinaus. Am Steuer aber saß der alte Sturgat, grinste vergnügt und meinte:

„Mit den Schurken, die mich so lange gefangen gehalten haben, und die dann, als sie als Verbündete diese beiden verkommenen englischen Perlenfischer gefunden hatten, hierher zurückkehrten, werden wir jetzt schon abrechnen. Die Kanaken, die mit dem Kutter damals vor ungefähr drei Monaten auf und davon fuhren, haben nämlich den Verschlag, in den dieser Teufelsjunge, der Karl Degner, die Geräte für die Goldwäscherei eingeschlossen hatte, nachher geöffnet und sich sofort das Richtige zusammengereimt, da sie sehr gut wußten, wozu die Siebe und die anderen Sachen gebraucht werden sollten.“ – –

* * *

Drei Stunden später näherte sich der Kutter dann wieder von Osten her der Insel und gelangte glücklich durch den Kanal in den runden Binnensee, wo der alte Matrose ihn, nachdem man eine Weile in die Nacht hinausgehorcht hatte, ohne ein verdächtiges Geräusch zu vernehmen, am Westufer im Schatten einiger weit überhängender Bäume festmachte. Dann begaben sich die beiden wiedervereinten Gefährten, nachdem Sturgat sich mit einem Beile in Ermangelung einer Büchse bewaffnet hatte, langsam vorwärts schleichend unter Fritz Grotius’ Führung nach der Behausung der beiden Freunde. Schon von weitem bemerkten sie, daß vor der Hütte ein Feuer brannte. Um dieses herum saßen zwei Kanaken und der rothaarige Weiße. Dieser schien sehr erregt zu sein. Seine scheltende Stimme durchdrang weithin die nächtliche Stille, und so hörten die beiden Deutschen aus seinen Worten bald heraus, daß der andere Weiße mit den übrigen Kanaken nach der Halbinsel geeilt sei, um nach dem Kutter Ausschau zu halten, dessen Verlust die entflohenen braunen Matrosen soeben gemeldet hatten.

Der überraschende Angriff, den Sturgat und Fritz Grotius nun auf die drei Leute am Feuer unternahmen, gelang vollständig. Den Rothaarigen und einen der Kanaken schlug der wütende Alte blitzschnell mit dem Beil nieder, ehe sie noch an Gegenwehr denken konnten. Der dritte Feind aber wurde durch die Büchse so lange in Schach gehalten, bis Sturgat ihn gefesselt hatte. –

In der Hütte fand man wie erwartet Karl Degner liegen, der seine Befreier mit unterdrücktem Jubel begrüßte, dann schnell die Waffen des Rothaarigen, darunter auch seine eigene Büchse, an sich nahm und sofort die gebundenen und geknebelten Gegner in das Gebüsch schleppen half, wo diese, um vor ihnen ganz sicher zu sein aufrecht an Bäume gefesselt wurden.

Nach kurzer Beratung verbargen sich die drei Gefährten in der Rindenhütte, um auch die übrigen Feinde, mit deren baldiger Rückkehr man rechnete, zu überwältigen. Doch reichlich eine Stunde verging, ehe man in der Ferne Stimmen vernahm, die sich schnell näherten.

Die Leute waren sichtlich beunruhigt, als sie ihre Genossen nicht mehr vorfanden. Dann steckte der Weiße, nachdem er umsonst ein paar Mal laute Rufe ausgestoßen hatte, den Kopf in die Hütte hinein, um sich zu überzeugen, ob wenigstens der Gefangene noch da sei. Ein Schlag mit dem flachen Beil von des alten Matrosen kräftiger Hand genügte. Lautlos brach der Mann zusammen. Und über ihn hinweg sprangen nun Karl Degner und Fritz ins Freie und richteten ihre Büchsen auf die vor Schreck förmlich zu Salzsäulen erstarrten drei Kanaken, die aus Furcht vor den Kugeln, denen sie bei der hellen Beleuchtung durch das Feuer kaum entgehen konnten, gar nicht an Flucht dachten und sich gutwillig ergaben.

Der Sieg war errungen, und er hatte nicht ein einziges Todesopfer gekostet, denn die von Sturgat Niedergeschlagenen waren bald wieder zu sich gekommen. –

* * *

Da man die Gefangenen nicht ständig bewachen und gleichzeitig die Mine weiterabbauen konnte, beschlossen die drei Gefährten auf des alten Matrosen Vorschlag hin, die Verbrecher nach einem der kleinen, im Westteil der Australischen Bucht gelegenen Eilande zu schaffen und dort auszusetzen.

Dies geschah denn auch. Eine Fahrt von drei Tagen brachte den Kutter nach einer winzigen Insel der Recherche-Gruppe, die unbewohnt ist, aber für Menschen immerhin ein bescheidenes Leben gestattet. Daß die auf diese Weise recht empfindlich bestraften sieben Leute, falls es ihnen später gelingen sollte, das Festland von Australien zu erreichen, je wieder den Goldgräbern gefährlich werden könnten, war kaum zu befürchten. Außerdem war ihnen auch angesagt worden, daß sie ohne Erbarmen niedergeschossen werden würden, sobald sie die Goldinsel nochmals zu betreten wagten. – –

* * *

Der Kutter erreichte nach diesem Ausflug glücklich wieder den kleinen Felsenhafen der runden Bucht, und ein ganzes Jahr lang arbeiteten die drei Gefährten dann unermüdlich, um aus dem wertvollen Sande das edle Metall herauszuwaschen. Dies taten sie jetzt mit Hilfe der Geräte, die noch unversehrt in dem Kutter sich vorgefunden hatten. Eines Tages aber war die goldhaltige Anschwemmung erschöpft, und alles Suchen nach einer neuen zeigte sich als nutzlos. –

Nach einer Abwesenheit von sechzehn Monaten kehrte man nunmehr nach Adelaide zurück, wo das gewonnene Gold verkauft und der Erlös – gegen 700 000 Mark – gleichmäßig unter die drei Freunde, die so treu zusammengehalten hatten verteilt wurde.

Aus Karl Degner und Fritz Grotius sind dann drüben im deutschen Vaterlande tüchtige Männer geworden. Der alte Sturgat aber hat sich am Strande seiner ostpreußischen Heimat in einem Badeort ein hübsches Haus gekauft, wo er den Rest seiner Tage in beschaulicher Ruhe verbringen durfte.

 

Ende.

 

Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

 

Anmerkungen des Verlages:

  1. ↑* Die Eingeborenen der Hawai[6]-Inseln, kräftige, aber träge Leute, die sich viel außerhalb ihrer Heimat als Arbeiter, Matrosen usw. verdingen.
  2. ↑* Eine Eukalyptus-Art, deren Blätterabguß als Heilmittel gebraucht wird.
  3. ↑* Es gibt in Australien noch einen zweiten Mannabaum, aus dessen Blättern sich in Krusten der sog. Lerg bildet. Erwähnt sei, daß der Eukalyptus in Australien und den dazu gehörigen Inseln in 134 Arten vorkommt, deren Rinde und Holz sehr wertvoll sind.
  4. ↑* Dieses ist der sog. rote Gummibaum. Die meisten Eukalyptusbäume enthalten außerdem in Hohlräumen des Holzes einen roten Saft, das sog. Kino, welches an der Luft schnell hart wird und sowohl in der Arzneikunde als zum Gerben benutzt wird.
  5. ↑* So die Beutelbären, -mäuse, -dachse und -eichhörnchen. Einige dieser Tiere besitzen nur eine große Hautfalte, in der sie die Jungen mit sich herumtragen.
  6. ↑* Die höchsten Bäume Deutschlands, die Schwarzwaldkiefern, messen nie über 40 Meter.
  7. ↑* Gediegenes, reines Gold kommt außerdem in jüngeren vulkanischen Gesteinen in Kieselform vor, sog. Bonanzas, ferner als Berggold in vereinzelten Blättchen in verschiedenen Gesteinen. Als Legierung (Verbindung) mit Silber, Eisen, Kupfer, Platin usw. ist es ebenso häufig, muß dann aber erst von diesen Beimengungen befreit werden. Gold findet sich auch im Meerwasser. 1000 Kilogramm des Meerwassers von Neusüdwales enthalten 30 Milligramm Gold.
  8. ↑* 50 bis 60 Zentimeter lang. Es gehört zu den eierlegenden Säugetieren. Die mit pergamentähnlicher Schale versehenen Eier brütet das Weibchen in dem unterirdischen Nest aus. Die Jungen werden wie bei den Beuteltieren in einer besonderen Hauttasche großgezogen. Es besitzt Schwimmhäute und taucht vortrefflich.
  9. ↑* Der größte Goldklumpen wurde in Chile gefunden. Er wog 153,16 Kilogramm. In Australien sind Klumpen von 50 Kilogramm Gewicht häufiger gewonnen worden.
  10. ↑* Große Hühnervögel, die nur in Australien, auf den Sunda-Inseln und den Philippinen vorkommen. Sie lassen ihre Eier in eigens dazu hergerichteten Düngerhaufen sich selbst ausbrüten.

 

 

Anmerkungen:

  1. In der Vorlage steht: „Taugenichse“.
  2. Veraltete Schreibweise für „St. Vincent-Golf“.
  3. In der Vorlage steht: „Keo“. Siehe auch Wikipedia: Kea.
  4. In der Vorlage steht: „fehlt“.
  5. In der Vorlage steht: „stärkemehlhaltige“.
  6. „Hawai“ (mit einem „i“) – In Mayers Blitz-Lexikon von 1932 steht dazu: „Hawai(i) …“ – Die zeitgenössische Schreibweise war uneinheitlich. Selbst in Lexika finden sich Hawai (Lueger 1904), Hawaii (Brockhaus 1911) und Hawaï (Mayer 1907). Daher wurde die Schreibweise der Vorlage unverändert übernommen.