Von W. Belka.
Hasenjagd vom Aëroplan aus.
(Der Schütze im Anschlag.)
Das modernste aller Beförderungsmittel, die Flugmaschine, ist auch bereits mehrfach zu Jagdzwecken benutzt worden. In Frankreich hat man Hühner und Hasen vom Aëroplan aus geschossen (s. d. Abbildungen), in Amerika sogar die windschnellen Steppenhirsche von dem luftigen Sitz des motorratternden Riesenvogels aus erlegt. Aber der Ehrgeiz eines mindestens ebenso modernen Fabrikationszweiges, der Kinematographie, ist noch weiter gegangen. Eine Pariser Filmfabrik hat es möglich gemacht, sogar den König der Tiere in der Freiheit vom Aëroplan aus jagen zu lassen. Über diese gewiss sehr eigenartige Jagd plaudert der englische Aviatiker Patterson in einer in Kapstadt erscheinenden Zeitung folgendermaßen: „Der Besuch meiner aviatischen Vorführungen in Kapstadt war so massig, dass mein Impresario, der mir goldene Berge versprochen hatte, es vorzog, mit den geringen Einnahmen schleunigst zu verschwinden, ohne mir auch nur eine einzige Rate der vereinbarten Gage zu zahlen.
Ich sah mich daher genötigt, zumal die Gläubiger des Impresarios meine Maschine mit Beschlag belegt hatten und mir ein langwieriger Prozess um Freigabe des Flugzeuges drohte, das Angebot des Vertreters einer Pariser Filmfabrik anzunehmen, der mir eine hohe Summe für die Ausführung einer Löwenjagd im Aëroplan zusagte. Ich zögerte nicht lange, unterzeichnete den Vertrag und erhielt sofort die Hälfte des Honorars ausgezahlt, löste damit meine Maschine aus und reiste mit dem Vertreter der Firma, einem Herrn Levallier, und dem englischen Kolonialleutnant Crosse, einem vorzüglichen Jäger, ins Innere ab. Als wir mit der Eisenbahn auf der Station Vrijburg in Betschuanaland anlangten, sah ich erst, in welch vorzüglicher Weise Levallier alles vorbereitet hatte. Am Bahnhof erwarteten uns drei mächtige Ochsenwagen, mit denen wir die Fahrt in die Ausläufer der Kalahari-Wüste antreten sollten. Auf zweien von den geräumigen Gefährten wurden das auseinandergenommene Flugzeug, das notwendige Reparaturmaterial, Ersatzteile und Benzinbehälter verstaut. Der dritte Wagen diente uns Europäern als Wohnung. Die Begleitung der Ochsenwagen bestand aus einigen vierzig Kaffern und sechs Buren. Letztere, die mit der Löwenjagd genau Bescheid wussten und schon vorher das günstigste Jagdgebiet ausgesucht hatten, waren rauhe, wenig zugängliche Gesellen, die für alles, was Engländer hiess, eine offene Abneigung bezeigten.
Auf dem Wege durch die von Waldstücken durchschnittene Steppe nahm Levallier, wo sich ihm nur ein dankbares Objekt bot, fleissig kinematographische Bilder auf ‒ Negertänze, Götzenfeste, Straussenjagden und ähnliches.
Nach vierzehntägigem Marsche erreichten wir den Fluss Mologo, ein Gewässer, das in der trockenen Jahreszeit nur aus sumpfigen Wasserlachen besteht. Hier am Ufer des Mologo wurde das Lager aufgeschlagen. Schon in der ersten Nacht hörten wir deutlich das Brüllen einiger Löwen, die sich sicher um den von uns auf einer flachen Grasebene angebundenen Zugochsen stritten. Durch das Opfer dieses Ochsen hofften wir die Löwen, die oft beim Nahen einer Karawane sich weit in die Einöde zurückziehen, an Ort und Stelle festzuhalten.
Als wir am nächsten Morgen den etwa zwölf (englische) Meilen entfernten Platz besuchten, wo der arme Ochse zurückgelassen worden war, fanden wir von ihm nur noch den ziemlich unversehrten Schädel und einige weit umhergestreute Knochen auf. Levallier photographierte diesen Platz ebenfalls, nachdem er dazu noch ein paar wirkungsvolle Bilder gestellt hatte. ‒ Als der Abend anbrach, musste ein zweiter Ochse den Todesgang nach jener Stelle antreten. So opferten wir im ganzen vier Tiere, erreichten dadurch aber auch, dass sich im Laufe der Zeit nicht weniger als sieben Löwen zusammengefunden hatten, wie die Buren aus den Fährten feststellten.
Die Löwen hatten sämtlich in einer dornbewachsenen, etwa drei Kilometer entfernten Schlucht ihr Quartier aufgeschlagen, was ebenfalls durch die Buren ausgekundschaftet wurde. Unter diesen Umständen konnten wir endlich daran denken, an die Ausführung des eigentlichen Zweckes dieses Jagdausfluges zu gehen.
Inzwischen hatte ich meine Maschine mit Hilfe meines Technikers Lossam fertig montiert und auch einen kurzen Probeflug unternommen, der zu vollster Zufriedenheit ausfiel. Leutnant Crosse sass dabei vor mir auf dem eigentlichen Führersitze meines Eindeckers, wo er mehr Bewegungsfreiheit hatte, während ich die Lenkung von dem Passagiersitze aus besorgte, eine nicht gerade leichte, weil sehr unbequeme Aufgabe.
Der wichtige Tag war da. Gegen fünf Uhr, als eben die ersten hellen Streifen am östlichen Horizonte sichtbar wurden, verliessen vier von den Buren mit den zumeist mit alten Steinschlossflinten bewaffneten Treibern, etwa achtzig an der Zahl, das Lager, um jene Dornenschlucht zu umstellen. Zwei Stunden später brachen wir anderen auf. Zehn Kaffern zogen an langen Seilen die Maschine, die in dem hohen Grase nur schwer vorwärts kam. Endlich, es waren indessen zwei weitere Stunden vergangen, langte unser Trupp in der Nähe der Schlucht an. Den Ort, wo das Flugzeug bequem anlaufen konnte, hatten wir schon Tags vorher ausgesucht. Es war ein sandiger, ebener Fleck ohne hindernden Graswuchs, für unsere Zwecke also wie geschaffen. Dorthin wurde die Maschine dirigiert.
Mit kräftigem Handschlag verabschiedeten wir, Crosse und ich, uns dann von Levallier, der mit dem kinematographischen Aufnahmeapparate in einem Gebüsch ziemlich dicht vor der Schlucht Aufstellung nahm. Als Bedeckung sollten ihm zwei der Buren, mein Monteur und die zehn mit guten Hinterladern bewaffneten Kaffern, die vorher den Aëroplan gezogen hatten, dienen. Der Motor wurde nun, nachdem wir auf dem Eindecker Platz genommen, angekurbelt, und nach kurzem Anlauf stiegen wir tadellos auf. Nach unserer Verabredung schlug ich in etwa hundert Meter Höhe die Richtung nach unserem Lager ein, um zunächst zu probieren, ob der Motor auch sicher funktionierte. In weitem Bogen kehrten wir dann zurück.
Jetzt begannen die Treiber ihre Tätigkeit. Während wir über der Schlucht enge Kreise zogen, vollführten unter uns die Schwarzen einen wahren Höllenlärm. Schüsse knallten, Feuerwerkskörper zischten, Steine prasselten in die Dornen hinein, Negerkehlen brüllten ihre schrillen Schlachtrufe, ‒ kurz, selbst der taubste und faulste Löwe musste vor dem Spektakel die Flucht ergreifen.
Die Treiberkette war so aufgestellt worden, dass die Löwen nur nach der Seite hin, wo Levallier stand, ausbrechen konnten. Sehr bald erschien denn auch ein Löwenpaar am Rande der Schlucht und flüchtete in weiten Sätzen auf das schirmende Gebüsch zu, in dem Levallier Deckung gefunden hatte.
Als die Tiere bis auf 50 m herangekommen waren, trat Levalliers Schutzgarde unter den Zweigen hervor und stimmte gleichfalls ein mörderisches Gebrüll an. Die Löwen stutzten. Indessen hatte ich den Eindecker umgelenkt und wir flogen nun in etwa 30 m Höhe über den Tieren hinweg. Crosse ergriff seine Selbstladebüchse und feuerte in kurzen Zwischenräumen dreimal, traf aber nicht. Die Löwen standen wie angewurzelt. Der Lärm des surrenden Propellers hatte sie förmlich betäubt. Ich wendete. Wieder schwebten wir seitlich an den Löwen vorbei, die unschlüssig, mit den Schweifen das Gras hin- und herpeitschend, auf ihrem Platze blieben. Der Leutnant schoss abermals und traf. Die Löwin zeichnete durch einen gewaltigen Satz und jagte davon. Ihr nach der Löwe. Wir hätten die Tiere bequem weiter verfolgen können, mussten aber davon Abstand nehmen, da wir sonst aus dem Gesichtsfelde von Levalliers Apparat gekommen wären.
Die Treiberschar hatte sich, durch Signale mit weissen Tüchern verständigt, nach dem Austreten der ersten Löwen ruhig verhalten. Jetzt begann der zweite Trieb. Wieder knallten die Flinten, pufften die Feuerwerkskörper. Minuten vergingen. Dann erschienen gleichzeitig drei Löwen vor der Schlucht und trabten ohne sonderliche Eile in der Richtung auf Levallier davon. Das alte Spiel wiederholte sich. Crosse, der inzwischen völlig ruhig geworden war, hatte dieses Mal mehr Glück. Keine zwanzig Meter vor dem Aufnahmeapparate brachte er einen Löwen durch einen tadellosen Kopfschuss zur Strecke. Die beiden anderen brachen nach seitwärts aus. Damit war die Jagd beendet. Denn obgleich noch zwei weitere Löwen aus ihrem Verstecke hervorgetrieben wurden, kam der Leutnant nicht mehr zum Schuss. Die Löwen kehrten plötzlich um, durchbrachen die Treiberkette und verschwanden.
Ich war froh, als Levallier mit seinem roten Tuche uns zuwinkte und wir landen konnten. Denn diese Jagd war für meine Nerven doch etwas reichlich viel gewesen. Auch Crosse war total erschöpft. Die rechte Backe war ihm beim Rückschlage des Gewehres, das er in der Eile einmal nicht fest eingesetzt hatte, ganz blau geschlagen und schwoll später stark an.
Levallier drückte uns, als wir kaum unsere luftigen Sitze verlassen hatten, begeistert die Hände. Er hatte alle Hoffnung, dass die Aufnahmen glänzend gelungen waren, und das blieb ja die Hauptsache.
Jetzt nach beendeter Hauptarbeit wurden erst in aller Ruhe die einleitenden Szenen für den sensationellen Film gestellt: Das Anrücken der Jagdgesellschaft, in der Mitte der Aëroplan, die Aufstellung der Treiberkette usw. Dann kamen die Schlussbilder, Marsch nach dem Lager mit dem erlegten Wilde und das Siegesfest im Lager, heran. So ein bisschen Schwindel ist eben bei jedem Kinofilm dabei.
Der zur Strecke gebrachte Löwe war ein recht stattlicher Bursche. Das Fell durfte ich als Extrabelohnung behalten. Schon am nächsten Tage kehrten wir dann in kultivierte Gegenden zurück. Crosse und ich hätten allerdings noch allzugern eine zweite Jagd veranstaltet, da wir mittlerweile doch Geschmack an dem aufregenden Vergnügen gefunden hatten. Aber Levallier wollte nicht. Er musste den Geldbeutel seiner Firma schonen, der diese Expedition täglich ein nettes Sümmchen kostete.
Als wir wieder auf der Station Vrijburg angelangt waren, gab es einen herzlichen Abschied. Levallier und Crosse fuhren mit der Bahn nach Kapstadt zurück, ich selbst begab mich mit demselben Beförderungsmittel nach Mafeking, um dort einige Schauflüge zu veranstalten. Hoffentlich habe ich drüben in Europa später einmal noch Gelegenheit, mich selbst in einem Kinematographen-Theater bewundern zu können. Während ich dies schreibe, sitze ich in der alten Burenstadt Johannesburg, wohin mich ein ‒ Gott geb’s ‒ ehrlicher Impresario verpflichtet hat.“
Hasenjagd vom Aëroplan aus.
(Die Auseinandersetzung mit dem Feldhüter.)
Anmerkung: