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Physische und psychische Leistungen beim Schiessen

 

Physische und psychische Leistungen beim Schiessen.

Von K.

 

Das Schiessen bedingt körperliche Bewegung, in welcher Form es auch vor sich gehen und zu welchem Zweck es auch unternommen werden mag, und deshalb gehört zu dieser Tätigkeit ein gewisser Aufwand von Kraft. Einen schwächlichen Jäger kann sich namentlich das grosse Publikum nur schwer vorstellen, während der Praktiker sich mit Lächeln so manches Riesen erinnert, welcher nach kaum vierstündiger Hühnersuche am Stamm eines schattenspendenden Baumes zusammensank. Zur Ausübung der Jagd ist also, wenn sie einigermassen intensiv betrieben werden soll, ein normal kräftiges Gangwerk ganz unumgänglich nötig, aber diese an sich feststehende Tatsache hat in manchem Jäger ganz falsche Vorstellungen erweckt. „Wie schön,“ so denkt er, „hat es dir gegenüber doch der Sportschütze! Du musst dich abrackern in mächtigen Kartoffelschlägen, musst oft in glühender Hitze Meilen zurücklegen, um auch nur zwei oder drei Dutzend Hühner an den Galgen zu bekommen, und wenn der Tag köstlich war, so war er Mühe und Arbeit gewesen. Unter alledem braucht dein glücklicher Kollege auf dem Sportplatz nicht zu leiden, er verspürt nichts von der Hitze, denn er kann im Schatten warten, bis an ihn die Reihe kommt. Er braucht sich auch nicht halbe Stunden lang durch Hindernisse zu arbeiten, bis endlich die zwar erwünschte und ersehnte, aber meistens doch ganz unerwartete Gelegenheit zum Schuss sich bietet. Er tut ein paar Schritte auf das Laufbrett, befiehlt selbst, wann ihm der Augenblick zum Schuss genehm ist und hat nach ein paar Schüssen mehr als genügende Gelegenheit zum Ausruhen!“ ‒ Das klingt alles recht triftig, um so mehr, als ja jeder Zuschauer sich von diesem Gang der Dinge überzeugen kann, und doch hat diese Beweisführung ein Loch, wie später noch erörtert werden soll. Auch der Sportschütze hat sich physischen Anstrengungen zu unterziehen, wenn sie auch nicht so in die Augen springen wie bei der Tätigkeit des Jägers. Von letzterem weiss jeder Laie, dass er die Hühner suchen muss, weil sie nicht zu ihm kommen und der Praktiker entsinnt sich mit nicht ganz reiner Freude mancher Strapazen, welchen er sich einem schliesslich an Erfolg recht kümmerlichen Jagdtag zu Liebe unterzog. Und er würde die Zumutung, dieselbe Tour, aber ohne Flinte gegen eine recht achtbare Entschädigung zurückzulegen, entrüstet von sich weisen; nicht weil es sich um schnöden Mammon handelt, sondern nur aus dem Grunde, weil tatsächlich nur die Jagd für jene enormen Strapazen einen angemessenen Entgelt bot.

Abgesehen von den Unbequemlichkeiten, welchen sich der Jäger in solchen und ähnlichen Situationen unterziehen muss, interessiert hier vor allem die Frage, ob und in welcher Weise die körperliche Anstrengung, sich fortzubewegen, auf die Leistungen des Schützen Einfluss hat. Im Prinzip lässt sich die Antwort leicht geben, denn es steht fest, dass selbst der sicherste Schütze nur aus Zufall treffen kann, wenn seine Lungen gleich einem Blasebalg arbeiten. Genauere Angaben über diesen nachteiligen Einfluss zu machen, ist jedoch naturgemäss sehr schwer. Eine Skala lässt sich eben in dieser Beziehung nicht aufstellen. Wohl aber merkt der Jäger am eigenen Leibe oft recht deutliche Unterschiede bei dem steten Wechsel, wie ihn die Jagdausübung mit sich bringt. Wir alle wissen, dass es sich nicht nur am bequemsten, sondern auch am besten schiesst, wenn der Schütze, an seinem Stande angelangt, gemächlich vom Wagen steigt und nun in aller Ruhe die anlaufenden Hasen erwartet. Ungleich schwieriger und daher schlechter gestaltet sich das Schiessen, wenn man gezwungen ist, in hohen Kartoffeln oder Lupinen, welche bis an die Brust reichen, herumzuwaten oder bei der Suche in den Rüben ständig über deren glitschrige Köpfe fortzubalancieren. Diese, wie jedermann zugeben wird, gewiss nicht weit hergeholten oder seltenen Beispiele aus der Praxis sprechen für sich. Es ist ganz klar, dass auch der Mann, welcher unter so schwierigen Verhältnissen, dank seiner kräftigen Körperkonstitution selbst nach Stunden noch nicht auszuspannen braucht, doch in seinen Schiessleistungen durch die körperliche Anstrengung stark benachteiligt wird.

Ähnlich, aber noch schlimmer, liegen die Verhältnisse bei der Wasserjagd im Sumpf, Bruch und Moor. Mancher sonst recht gute Schütze traut sich in solches Gelände erst gar nicht hinein, weil er im voraus weiss, dass seine Kräfte der Aufgabe einfach nicht gewachsen sind, sich durch solchen Teufelsboden hindurchzuarbeiten und, wohlverstanden, dabei auch noch Flugwild zu treffen. Hier versagt die physische Leistung oft so weit, dass der Schütze, welcher sich zuviel zumutete, nicht mehr imstande ist, sich allein herauszuhelfen. Das Schiessen hat er unter solchen Umständen natürlich schon längst aufgeben müssen. Wohl dem, dessen Kräfte noch nicht so weit geschwunden sind, sondern noch genug hergeben, um auch unter den erschwerendsten Verhältnissen den Schützen positive Schussleistungen erzielen zu lassen. Erinnert sei hier an die Entenjagd bei strenger Kälte und hohem Schnee. Die Kälte schadet dem das Wasserwild anbirschenden Jäger freilich nichts, denn er merkt sie sehr bald nicht mehr. Aber um so fühlbarer, d. h. saurer, wird ihm das Waten durch den hohen Schnee. So mancher Fehlschuss, welcher unter solchen Umständen am vereisten Schilfwasser auf Enten getan wird, ist nicht auf die mangelnde technische Fertigkeit des Jägers, sondern auf seine physische Schwäche, die Erschöpfung, zurückzuführen. Die körperliche Leistung des Mannes war außergewöhnlich gross, so gross, dass sie die von ihm sonst erreichten Leistungen im Schiessen nachteilig beeinträchtigte.

Alle die hier angeführten, dem Jäger nachteiligen Einflüsse waren äusserer Art und müssen von ihm mit in Kauf genommen werden, wenigstens so lange, wie er ernstlich noch das angestrebte Ziel zu erreichen trachtet. Wer eines guten Trunkes oder der lieben Bequemlichkeit wegen die Sache aufsteckt, hat bei weitem noch nicht sein äusserstes hergegeben; aber die Grenzen physischer Kraft sind beim Menschen ebenso verschieden gesteckt wie z. B. die der technischen Schiessfertigkeit. Wo der eine am Ende angelangt ist, beginnt der andere erst, und mancher Jäger preist aus voller Überzeugung die herrliche Winterluft, während sein Genosse der erstarrten Finger wegen nicht mehr imstande ist, das Gewehr richtig zu halten. Manche physische Leistung wird vergebens auf der Jagd vollbracht, aber derartige meistens unverschuldete Misserfolge nimmt der wahre Jäger gelassen in Kauf. Er versteht aber, aus welchem Grunde die Alten verlangten: „Ein Jäger solle nach seiner Person nicht zu alt, auch nicht gar zu jung, sondern ein wackerer Mann eines mittleren Alters, behend, hart und starker Gliedmaßen sein. Er solle Hitze und Kälte, Regen und Schnee vertragen …“

Einer gleichen Summe von physischer Kraft, man darf bisweilen wohl sagen von roher physischer Kraft, wie sie der Jäger gebraucht, bedarf der Sportschütze nicht. Selbstverständlich wird es auch seinen Leistungen nicht schaden, wenn er baumstark ist, aber vonnöten dürfte auf dem Schiessplatz nur eine vergleichsweise geringe Körperkraft sein. Worin sollte sie sich auch betätigen? Das Laufen auf dem Platz ist doch nicht der Rede wert und das Gewicht der Flinte ist fast ganz belanglos, da sie immer nur für wenige Minuten in die Hand genommen wird.

Bliebe also in physischer Beziehung nur eine Leistung zu bewältigen, und das wäre die Abgabe einer oft recht grossen Zahl von Schüssen an einem resp. mehreren aufeinanderfolgenden Tagen. Dass hierin eine recht achtbare Leistung zu erblicken ist, weiss jeder, sobald er selbst einmal die Probe auf das Exempel gemacht hat. Und doch ist die Sache auch in diesem Fall nicht so schlimm, wie es anfangs den Anschein hat. Übung und technische Geschicklichkeit tun manches, um die Folgen des Rückstosses auf ein erträgliches Maß herabzumindern, so dass zum Sportschützen, was physische Kraft anbelangt, jeder Mensch veranlagt ist, welchen die Natur nicht ganz besonders stiefmütterlich behandelt hat. Um so grösser sind dagegen die psychischen Leistungen, welche der Schütze im Rennen vollbringen muss, wenn anders er nicht jeder Gewinnchance von vornherein verlustig gehen will. Denn gesetzt den Fall, dass er die schiesstechnische Fertigkeit besitzen sollte, es mit „jedem“ aufzunehmen, so ist damit an sich noch gar nichts gewonnen. Die Forderung, dass der Sportschütze sein Licht nicht unter den Scheffel stellen darf, sondern es vielmehr recht hell leuchten lassen muss, klingt freilich ungeheuer selbstverständlich und ist es doch nicht. An den bösen Klippen des Examens ist z. B. schon mancher nur aus dem Grunde gescheitert, weil er im kritischen Augenblick aus dem Stoff, welchen er tatsächlich beherrschte, nichts zu machen wusste. Die Mehrzahl scheitert freilich aus einem anderen Grunde, aber Tatsache ist es, dass manche Menschen Können, Besonnenheit und Selbstbewusstsein gerade dann verlieren, wenn es darauf ankommt. Das ist auch auf dem Gebiete des Schiesswesens der Fall, denn wie viele Jäger z. B. schiessen draussen gerade dann schlecht, wenn sie so recht mit Glanz bestehen wollen. Es fehlt ihnen die Praxis, unter den kritischen Augen des Zuschauers zu bestehen, und auch der Sportschütze besitzt sie von vornherein nicht, wenn man von wenigen ganz besonders begünstigten Ausnahmen absieht. Sie will vielmehr erst erlernt sein, und die Fähigkeit, zu gewinnen, sich so in seine Aufgabe zu vertiefen, dass im übrigen die Welt rund herum versinkt, erfordert viel Lehrgeld. Ist sie aber erworben, so hat der Schütze sein Augenmerk auf zwei Feinde zu richten: die Nerven und die Gegner. Wie er sich mit dieser Aufgabe abfindet, ist seine eigenste Angelegenheit, aber Tatsache ist, dass er zwei psychische Leistungen vollbringt, wenn er sie erfolgreich löst.

Hat nun der Jäger in geistiger Beziehung ähnliche Kämpfe siegreich durchzufechten, um Leistungen zu erzielen, oder wird ihm die Sache leichter gemacht? Ein objektives Urteil hierüber abzugeben, dürfte schwierig, wenn nicht unmöglich sein, da eine vergleichsweise Schätzung dieser Leistungen wegen der Verschiedenheit der Individualitäten sich nicht aufstellen lassen wird. Wohl aber lehrt die Praxis, dass es um die Psyche so manchen Jägerleins nur schwach bestellt sein muss, denn wer hätte es nicht schon mit angesehen, dass starke Hirsche und Sauen auf lächerlich kurze Entfernung gefehlt wurden? Das berühmte, allbekannte Jagdfieber ist also eine psychische Leistung, wenn auch nur negativer Art.