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Aus der Geschichte der Höllenmaschinen

Aus der Geschichte der Höllenmaschinen.

Von Walther Kabel.

 

Der Name Höllenmaschine, infernal machine, findet sich zum erstenmal in alten Geschichtswerken, die sich mit der Belagerung der Seefestung St. Malo durch die Engländer im Jahre 1693 beschäftigen. Der Engländer Masters war es, der gegen die Mauern von St. Malo ein mit Schiesspulver, Eisenstücken und Brandbomben bis ans Deck gefülltes Schiff losliess, um den Platz durch die von der Höllenmaschine erhofften Zerstörungen zur Übergabe zu zwingen. Doch der erwartete Erfolg blieb aus. Seitdem hat man allen Vorrichtungen, die in ihrem Äusseren gewöhnlichen Gebrauchsgegenständen gleichen, aber mit Sprengstoffen gefüllt sind, die durch mechanische Vorrichtungen, z. B. Uhrwerke, zur Explosion gebracht werden, ganz allgemein den Namen „Höllenmaschinen“ gegeben. Die Bezeichnung „Brander“ für mit Explosionsstoffen gefüllte Schiffe ist erst weit später aufgetaucht.

Als der eigentliche Erfinder der Höllenmaschinen hat Archimedes, jener genialste Physiker des Altertums, zu gelten. Als seine Vaterstadt Syrakus 210 v. Chr. von den Römern belagert wurde, brachte er, wie alte Schriftsteller berichten, der den Hafen sperrenden römischen Flotte empfindliche Verluste durch Flösse bei, auf denen Brennmaterialien angehäuft waren, und die von opferwilligen Leuten dann in dunklen Nächten bis in die Linie der feindlichen Kriegsfahrzeuge gerudert wurden, wo sie diese infolge besonderer Beschaffenheit der auf den Holzflössen liegenden, sich aber bald über die ganze Wasserfläche im weiten Umkreise verbreitenden brennenden Stoffe unfehlbar in Brand setzten. Nach dem Vorbilde des Archimedes benutzten dann bald alle schiffahrttreibenden Völker des Altertums ähnliche Höllenmaschinen. Besonders in den Kreuzzügen wurden sie vielfach bei Belagerungen türkischer Hafenstädte mit bestem Erfolg verwandt. Berühmt geworden ist der Brander, den Gianibelli im April 1585 zur Sprengung der vom Herzog von Parma erbauten Scheldesperre herstellte und den auch Schiller in seiner „Geschichte des Abfalls der Niederlande“ erwähnt. ‒ Nur geringe Erfolge hatten die Catamarans, ähnlich konstruierte Höllenmaschinen, aufzuweisen, die die Engländer 1804 gegen die von ihnen belagerte Hafenfestung Boulogne benutzten. All diese Zerstörungsmaschinen beruhten auf demselben Prinzip: durch eine ungeheure, möglichst in der Nähe der feindlichen Befestigungen erfolgende Explosion diese zu zerstören und in die belagerte Stadt selbst eine möglichst grosse Zahl von Feuersbrünste erzeugenden Brandbomben, zumeist mit Pech, Talg und Lumpen gefüllte Tonnen, zu schleudern. ‒ Zum letztenmal bewährte sich diese Art von Höllenmaschinen in dem Befreiungskampfe der Griechen, über dessen Ausgang ich in diesem Blatte in dem Artikel „Ein Kanonenlager auf dem Meeresgrunde“ einiges Interessante berichten durfte.

Ein bedeutend traurigeres Kapitel in der Geschichte der „infernal machines“ bilden jene oft mit grösstem Raffinement erdachten Explosionsvorrichtungen, mit denen verbrecherische Köpfe Anschläge gegen das Leben ihrer Mitmenschen unternahmen. Die erste derartige Höllenmaschine stellten Arena und Cerachi in Frankreich her. Diese bestand aus einem eisernen Kasten, der mit Eisenstückchen gefüllt war. Die Pulverladung und die selbsttätige Zündung waren in der Mitte untergebracht. Am 24. Dezember 1800 explodierte sie vor dem Louvre in Paris und tötete viele Menschen, von denen die Mehrzahl harmlose Frauen und Kinder waren, auf die die Verbrecher es gar nicht abgesehen hatten.

Eine andere Höllenmaschine konstruierte im Jahre 1835 der Korse Joseph Fieschi, ein Abenteurer schlimmster Sorte, um damit König Louis Philipp von Frankreich zu beseitigen, auf den bekanntlich nicht weniger als fünf Attentate verübt wurden. Zu diesem Zweck schmiedete er 24 Flintenläufe durch eiserne Bänder zu einem Ganzen zusammen und brachte daran eine Vorrichtung an, die es möglich machte, alle diese Läufe gleichzeitig abzuschiessen. Als der König dann am 28. Juli 1835 mit grossem Gefolge den Boulevard du Temple passierte, brachte Fieschi diese Höllenmaschine zur Explosion, durch die der Marschall Mortier und dreizehn weitere Personen, die dicht hinter Louis Philipp ritten, getötet wurden, während der König selbst mit leichten Verwundungen davonkam. Der Attentäter und seine Mitschuldigen Pepin und Morey wurden nach kurzer Gerichtsverhandlung öffentlich guillotiniert. Dieser verbrecherische Anschlag hat französischen Waffenkonstrukteuren die Anregung zum Bau der Mitrailleusen gegeben, auf die Frankreich bei Ausbruch des Krieges 1870/71 so grosse, aber wie sich nachher zeigte, recht trügerische Hoffnungen gesetzt hatte.

Das furchtbarste Verbrechen, das mit Hilfe einer Höllenmaschine jemals verübt worden ist, passierte 1875 in Bremerhaven. Ein gewisser Thomas hatte ‒ aus welchen Gründen, ist nie recht aufgeklärt worden ‒ eine Höllenmaschine hergestellt, die aus einem Fass bestand, in dessen einer Abteilung sich ein unhörbar gehendes Uhrwerk von acht Tagen Gangzeit befand, das bei seinem Ablauf durch den Schlag eines Hahnes ein Zündhütchen entzünden sollte, um eine bedeutende Menge Dynamit in der andern Abteilung des Fasses zur Explosion zu bringen. Thomas liess diese Höllenmaschine als Frachtgut für ein Schiff annehmen, das nach Amerika bestimmt war. Beim Verladen gingen die Hafenarbeiter jedoch so unvorsichtig mit dem Fasse um, dass es durch Hinabfallen von der Verladeplanke vorzeitig explodierte. Nicht weniger als 105 Menschen wurden getötet und auf den am Quai verankerten Fahrzeugen enormer Materialschaden angerichtet. Allein drei Schiffe gingen in wenigen Minuten unter. Die Gewalt der Explosion war so gross, dass ein in der Nähe lagernder, dreissig Zentner schwerer Schiffsanker siebenhundert Meter weit durch die Luft geschleudert wurde und in einem dreietagigen Speicher das Dach und sämtliche Decken durchschlug. Thomas büsste sein Verbrechen auf dem Schafott.

In gewissem Sinne kann man unter die Höllenmaschinen auch all die verschiedenen Arten von Sprengbomben rechnen, mit denen die zahlreichen anarchistischen Attentate in den Ausgangsjahren des vorigen Jahrhunderts unternommen wurden, ebenso wie die heutigen Torpedos die modernen Nachfolger jener primitiven Brander darstellen, mit denen Archimedes die römischen Kriegsfahrzeuge angriff.