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Aus der Entwicklungsgeschichte der Panzerschiffe

 

Aus der Entwicklungsgeschichte der Panzerschiffe.

Von Walther Kabel, Halensee.

(Nachdruck, auch im Auszug, wird strafrechtlich verfolgt.)

Unlängst berichteten die Zeitungen von der Erprobung der neuen 13,5-zölligen Geschütze, mit denen das jüngste englische Panzerschiff „Orion“ ausgerüstet ist. Die Resultate dieser Schiessübungen sind natürlich völlig geheimgehalten worden. Was die Tagespresse darüber brachte, dürfte nur unsichere Kombination sein. Gerade alle Angelegenheiten, die seine Flotte betreffen, hüllt England aus leicht begreiflichen Gründen mehr noch als jedes andere Land in den Schleier tiefsten Geheimnisses. Und doch ist es einmal einem tollkühnen Manne geglückt, unter Einsetzung seines eigenen Lebens den Engländern gerade die wichtigsten Ergebnisse eines Probeschiessens auf ein Panzerschiff zu entreissen.

Nachdem der französische Schiffsbaumeister Dupuy de Lôme 1858 auf Betreiben Napoleons III. die erste mit einem 120 mm dicken Eisenpanzer versehene Panzerfregatte „Gloire“ erbaut hatte, sah man in England die Notwendigkeit ein, ebenfalls mit dem Bau von durch Eisengürtel geschützten Kriegsschiffen zu beginnen. Da man jedoch auf diesem Gebiete bisher so gut wie gar keine Erfahrungen hatte, wollte die Regierung zunächst die von verschiedenen Fabriken angebotenen Panzer auf ihre Festigkeit prüfen lassen, bevor man sich endgültig für ein Fabrikat entschied. Gleichzeitig hoffte man durch Schiessversuche auf ein zur Probe gepanzertes Schiff auch die Wirksamkeit der schweren Artilleriegeschosse auf die in dem Schiffe befindliche Besatzung und die Dampfmaschine feststellen zu können. Zu diesen Versuchen wurde in Portsmouth der grosse Schraubendampfer „Triton“ provisorisch zu einem Kriegsschiff umgebaut. Er erhielt eine Panzerung, die aus den von mehreren Fabriken gelieferten und nach verschiedenartigen Methoden hergestellten Eisenplatten von ungleicher Stärke bestand. In den Batterien wurden an den Geschützen Schafe angebunden, die die Bedienungsmannschaften vorstellen sollten.

Diese Vorbereitungen, die hier nicht bis in die kleinsten Details aufgezählt werden sollen, waren in aller Heimlichkeit betrieben worden. Der Ankerplatz des Versuchsschiffes wurde Tag und Nacht durch Polizeiboote umschwärmt, die jede Annäherung unmöglich machten. Denn man argwöhnte in England nicht mit Unrecht, dass die fremden Mächte sich gar zu gern einen Einblick in die Einzelheiten dieses überaus kostspieligen und für die fernere Entwicklung des Panzerschiffbaues so wichtigen Experiments verschaffen würden, und traf danach seine Vorsichtsmassregeln. Am 2. Oktober 1858 dampfte der „Triton“ dann nach der Westküste der Insel Wight, wo die Beschiessung durch mehrere englische Fregatten stattfinden sollte. Die Nacht vom 3. zum 4. Oktober war äusserst stürmisch, dunkel und regnerisch. Der inmitten der Fregatten vor Anker liegende, infolge seiner schweren Panzerung unter dem Anprall der Wogen gefährlich schlingernde „Triton“ wurde auf Befehl des Geschwaderchefs gegen 10 Uhr abends von der Besatzung geräumt, da man seinen plötzlichen Untergang befürchtete. Am Vormittag des 4. Oktober klärte das Wetter jedoch so weit wieder auf, dass das Probeschiessen abgehalten werden konnte. Bevor der leitende Admiral jedoch den Befehl zum Beginn des Feuers auf das fünf Seemeilen vom Strande verankerte Versuchsschiff gab, spielte sich noch ein zunächst wenig beachteter Zwischenfall ab. In der Nähe des vor der Insel liegenden Geschwaders hatte schon am Abend des 3. Oktober eine unter französischer Flagge segelnde Dampfjacht „L’Esperance“ gekreuzt, die jetzt, wo die Beschiessung ihren Anfang nehmen sollte, sich der Linie der englischen Fregatten immer mehr näherte. Die argwöhnischen Engländer schickten daher ein Boot zu der Jacht hinüber und liessen den Besitzer, der sich als Kaufmann Charlatier aus Rouen legitimierte, auffordern, einen andern Kurs einzuschlagen, da man für einen durch verirrte Geschosse angerichteten Schaden nicht aufkommen würde. Daraufhin entfernte sich die Vergnügungsjacht auch wirklich so weit, dass man von ihr aus selbst mit den besten Fernrohren die Wirkung des Feuers auf den „Triton“ nicht hätte beobachten können.

Erst jetzt begann man mit der Beschiessung des gepanzerten Versuchsschiffes. Im ganzen gaben die den „Triton“ in Kiellinie in verschiedener Entfernung passierenden Fregatten hundert Schuss ab. Des öfteren wurde mit dem Feuer innegehalten, um das Versuchsschiff zu besichtigen und genaue Aufzeichnungen über die vorgefundenen Zerstörungen zu machen. Erst bei Dunkelwerden war das Schiessen beendet. Am nächsten Morgen sollte der übel zugerichtete „Triton“ dann zur genaueren Untersuchung in den Hafen von Portsmouth zurückgeschleppt werden, da seine eigene Dampfmaschine nicht mehr gebrauchsfähig war. Während der Nacht lag das Versuchsschiff wieder unter dem Schutze der Fregatten, die in weitem Bogen bis dicht an die Küste vor Anker gegangen waren. Dem „Triton“ am nächsten befand sich die Fregatte „India“. Kurz nach Mitternacht bemerkte die Steuerbordwache der „India“ ein Boot, dass offenbar mit umwickelten Riemen lautlos auf den „Triton“ zusteuerte. Das Boot wurde angerufen, antwortete jedoch nicht, war auch schon im nächsten Augenblick hinter dem Versuchsschiff verschwunden. Bevor dem Kapitän der „India“ Meldung erstattet und auf dessen Befehl dann ein Boot zu Wasser gelassen war, vergingen kostbare zehn Minuten. Inzwischen tauchte das geheimnisvolle Ruderboot noch einmal auf, verschwand aber bald in der Dunkelheit nach dem offenen Meere hin. Die sofort aufgenommene Verfolgung blieb resultatlos. Es wurde nur festgestellt, dass ein unbekannter Dampfer sich dem englischen Geschwader mit abgeblendeten Lichtern bis auf zwei Seemeilen genähert und offenbar jenes Boot aufgenommen hatte. Am nächsten Morgen war weit und breit kein verdächtiges Fahrzeug mehr zu erblicken. Die Engländer beruhigten sich daher schnell in der Hoffnung, den Versuch jenes fremden Dampfers, den „Triton“ zu besichtigen, völlig vereitelt zu haben.

Die Erfahrungen, die man durch die Beschiessung des „Triton“ gesammelt hatte, wurden aufs strengste geheimgehalten und bei dem schon im Januar begonnenen Bau des ersten englischen Panzers „Warrior“, dessen Konstruktionspläne der Schiffsbauingenieur Watts entworfen hatte, praktisch verwertet. Da erschien zum Entsetzen ganz Englands genau einen Monat nach der Kiellegung des „Warrior“ in einer Pariser Fachzeitschrift für Schiffsbau ein Artikel, der bis ins Kleinste über die Ergebnisse der Beschiessung des „Triton“ berichtete. Es war darin sogar die Zahl der in den Batterien getöteten Schafe und die der zerstörten Geschütze genau angegeben. Die englische Admiralität sah sich so um die Früchte ihres mühseligen Experiments vollkommen betrogen. Eine scharfe Untersuchung wurde eingeleitet, um den Verräter, den man nur unter den Beamten der Admiralität suchen zu müssen glaubte, herauszufinden. Alles umsonst. Es schien für alle Zeiten unaufgeklärt bleiben zu sollen, auf welche Weise Frankreich, das inzwischen die der „Gloire“ völlig ähnlichen Panzerfregatten „Magenta“ und „Solferino“ auf Stapel gelegt und bei ihrer Konstruktion die von den Engländern mit so grossen Geldopfern erkauften Erfahrungen über Stärke, Befestigung und Grösse der Panzerung benutzt hatte, in den Besitz der wertvollen Geheimnisse gelangt war.

Und doch brachte die Zähigkeit eines englischen Polizeibeamten, des Inspektors Burnell, die Wahrheit an den Tag, allerdings erst ein ganzes Jahr später. Burnell, der zusammen mit zwei Kollegen die Ermittlungen in der mysteriösen Angelegenheit geleitet hatte, war nämlich jene französische Vergnügungsjacht „L’Esperance“, die in so auffälliger Weise in der Nähe des „Triton“ gekreuzt hatte, weit verdächtiger vorgekommen, als den englischen Marineoffizieren. Er begann, nachdem der Fall in England selbst nicht aufgeklärt werden konnte, mit vorsichtigen Recherchen zunächst in Rouen, wo die „L’Esperance“ beheimatet gewesen sein sollte. Hier erfuhr er zweierlei: Erstens, dass die „L’Esperance“ wirklich einem steinreichen Kaufmann namens Charlatier gehörte, und zweitens, dass dieser Charlatier einen Sohn besass, der als Marineoffizier im Frühjahr 1858 wegen tätlichen Angriffs auf einen Vorgesetzten degradiert und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, dann aber im November desselben Jahres mit einem Male ohne jeden ersichtlichen Grund begnadigt und sogar zum Kapitän befördert worden war. Nach diesen Feststellungen machte der Beamte sich an einen früheren Matrosen der „L’Esperance“ heran. Durch Bestechung wusste er diesen zum Reden zu bringen und bekam so heraus, dass Charlatier im September 1858 urplötzlich die ganze Besatzung seiner Jacht entlassen und dafür eine neue Mannschaft, die aus altgedienten und daher verschwiegenen Unteroffizieren der französischen Kriegsmarine bestand, an Bord genommen hätte. ‒ Weiteres vermochte aber auch Burnell nicht zu ermitteln.

In den Londoner Zeitungen erschienen dann im Februar 1861 offenbar von der englischen Regierung lancierte, vollkommen gleichlautende Artikel, in denen der den „Triton“ betreffende Spionagefall eingehend besprochen wurde. Und der Inhalt dieser Artikel dürfte mit den Tatsachen bis auf Kleinigkeiten übereingestimmt haben. André Charlatier, wegen des schweren Verbrechens wider die militärische Disziplin zu Gefängnis verurteilt, hatte sich ‒ ob aus eigener Initiative oder auf Anraten seiner Vorgesetzten, wird man niemals erfahren ‒ bereit erklärt, die Resultate der Schiessversuche auf den „Triton“ auf irgend eine Weise auszukundschaften. Zu diesem Zweck fuhr er auf der mit zuverlässigen Marineunteroffizieren neu bemannten Jacht seines Vaters bis in die Nähe der Ankerstelle des „Triton“ bei der Insel Wight, liess sich in der regnerischen Nacht vom 3. zum 4. Oktober nach dem „Triton“ rudern oder erreichte ihn durch Schwimmen, verbarg sich dort in den unteren Schiffsräumen und stellte in den Pausen der Beschiessung die notwendigen Beobachtungen an. In der folgenden Nacht gelangte er dann durch jenes von der Fregatte „India“ aus bemerkte Boot wieder an Bord der „L’Esperance“ zurück. Als Lohn für diese verwegene Tat, die ihn sein Leben hätte kosten können, zugleich aber auch seinem Vaterlande so bedeutungsvolle Kenntnisse verschaffte, wurde er nicht nur in die Marine wieder eingestellt, sondern auch unter Überspringung mehrerer Vorderleute zum Kapitän befördert.

So schilderten die englischen Blätter damals den Sachverhalt. Die französische Presse hat diese Kombinationen, die sich auf so klares Material stützten, stets nur als „schamlose Verdächtigungen“ bezeichnet. Die Pariser Regierung äusserte sich überhaupt nicht dazu. Und das war das klügste, was sie tun konnte. Denn ein Abstreiten dieser in ihren Einzelheiten so interessanten Spionageaffäre wäre selbst für das Kabinett des dritten Napoleon eine zu starke Unverfrorenheit gewesen, besonders da jener Artikel in der Pariser Zeitschrift für Schiffbau nur mit Wissen und Willen der französischen Admiralität veröffentlicht sein konnte, wahrscheinlich um dem stolzen Glauben der Engländer an ihre Überlegenheit in Dingen der Schiffspanzerung einen Stoss zu versetzen.

 

 

Anmerkung:

  1. Dieser Artikel erschien auch etwas gekürzt unter dem Titel Ein berühmter Spionagefall in der Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Band 7, S. 203–208.