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Der Schatz der Azteken

 

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

(Nachdruck, auch im Auszuge, verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 14. 1916.)

 

Der Schatz der Azteken.

 

W. Belka.

 

„Holla, Reuter, – das wäre hier so etwas für Sie …!“

Einer der drei Herren, die an einem kleinen Tischchen auf der Terrasse des Hotels Hamburger Hof in San Franzisko bei einer leichten, eisgekühlten Bowle saßen, faltete die Riesennummer einer amerikanischen Zeitung zusammen, reichte sie dem mit Reuter Angeredeten über den Tisch hin und wies mit dem Finger auf eine gesperrt gedruckte, aber nicht gerade auffällige Anzeige hin, indem er mit einem beinahe nachsichtigen Lächeln sagte:

„Da, lesen Sie, Sie unternehmungslustiger Jüngling, der fortwährend mit seiner Neigung für das Außergewöhnliche prahlt.“

Hans Reuter, der bei seiner Körperlänge und dem mageren Gesicht mit den scharfen Zügen ebenso gut auf dreißig wie auf zwanzig Jahre geschätzt werden konnte, in Wirklichkeit aber eben erst das achtzehnte vollendet hatte, nahm die Zeitung ziemlich gleichgültig entgegen. Kaum hatte er jedoch die Anzeige überflogen, als der Ausdruck seines Gesichtes sich sofort änderte. Dann erklärte er nachdenklich:

„Hm – vielleicht ließen sich diese 3000[1] Dollar wirklich verdienen! Und die Geschichte sieht in der Tat ganz so aus, als wäre sie nach meinem Geschmack.“

Der, der die Anzeige zufällig entdeckt hatte, lachte laut auf.

„Sagte ich’s nicht – er beißt wahrhaftig darauf an! Dieses Greenhorn (unerfahrener Mensch) wird sich noch mal ordentlich die Finger an seiner Liebhaberei verbrennen, die man am besten mit Seltsamkeiten-Fimmel bezeichnet.“

Der dritte am Tisch, der genau so wie die beiden anderen zur großen Armee der Zeitungsreporter gehörte, tat nun auch seinerseits den Mund auf.

„Ihr macht mich wirklich neugierig Kinder. – Lesen Sie also mal vor, Reuter.“

„Gern“, erwiderte der. „Also hier steht:

„Gesucht wird ein gebildeter, tatkräftiger jüngerer Herr, der für die Lösung einer ungewöhnlichen Aufgabe sich eignet. Honorar 3000 Dollar. Nähere Auskunft bei Maxwell u. Sveidler, Oxfordstraße 16, Agenturen.““

Reuter faltete dann die Zeitung wieder auseinander, sah nach dem Datum ihrer Ausgabe und fuhr fort:

„Die Nummer ist vom 17 Mai 1908, also von gestern. Wenn Sie hier warten wollen, meine Herren, – ich bin in einer Stunde spätestens wieder zurück.“

„Halt – halt – nicht so eilig, lieber Reuter!“ rief der dicke, kleine Graßner. „Ich komme mit. Das verlangt schon das Berufsinteresse. Vielleicht läßt sich dabei wenigstens so ein kleiner Artikel herausschlagen, etwa unter der Überschrift: „Was hinter merkwürdigen Zeitungsannoncen steckt“ – oder so ähnlich.“

Aber Hans Reuter hörte den letzten Satz gar nicht mehr, eilte schon mit dem Hut in der Hand auf die Straße und sprang in ein gerade vorbeikommendes Auto.

Bei Maxwell u. Sveidler wurde er in ein kleines Zimmer geführt, in dem ein älterer Herr in Hemdsärmeln am Schreibtisch saß und einer kurzen Holzpfeife dicke Rauchwolken entlockte.

„Natürlich wegen der 3000 Dollar?“ fragte Herr Maxwell – denn dieser war es in höchst eigener Person – kurz und unfreundlich.

Als der junge Deutsche bejahte, schaute der Mitinhaber des Agenturengeschäftes ihn prüfend an.

„Sie sind der neunzehnte, der sich meldet“, brummte er. „Äußerlich wäre gegen Sie nichts einzuwenden. Bitte nun um Namen, Staatsangehörigkeit, Alter, Stand des Vaters, Bildungsgang, jetzige Beschäftigung und die Gründe, weswegen gerade Sie sich für geeignet halten, die 3000 Dollar zu verdienen.“

Diese Knappheit der Rede gefiel Hans Reuter außerordentlich. Auch er liebte Weitschweifigkeiten nicht. Und so erwiderte er in demselben Depeschenstil:

„Hans Reuter, Preuße, achtzehn Jahre, Amtsgerichtsrat, vor zwei Jahren verstorben, Gymnasium in Kiel bis Unterprima, dann aus Mangel an Geldmitteln ein Jahr lang aus Neigung Anwärter in einer Zeitungsredaktion, darauf Reporter für das selbe Blatt acht Monate lang, schließlich Überfahrt nach New York als blinder Passagier mit Lloyddampfer „Bayern“, hierüber Artikelserie geschrieben, gut bezahlt bekommen, Geschmack an der Sache gewonnen, durch Vereinigte Staaten mit Eisenbahn stets ohne Fahrkarte bis Frisko (San Franzisko), wieder Artikel über diese Erlebnisse und dadurch Reporter bei der hiesigen deutschen Zeitung.“

Maxwell nickte befriedigt und hüllte sich förmlich in Dampfwolken.

„Gefallen mir“, meinte er dann. „Bevor ich Sache näher erläutere, fordere ich Ihr Wort für unverbrüchliches Schweigen gegen jedermann. – Erzählt, daß zu uns gehen wollen wegen der Anzeige?“

Hans Reuter antwortete der Wahrheit gemäß, daß seine Kollegen Zeisig und Graßner ihn auf der Hotelterrasse erwarteten, um von ihm zu erfahren, was an der Geschichte dran sei.

Das faltige, glatte Gesicht Maxwells wurde lang.

„Schade! Zu viele Mitwisser“, erklärte er, die Füße auf den Bücherständer neben dem Schreibtisch legend.

Doch Reuter wollte sich den fetten, gerade für ihn so schmackhaften Bissen nicht entgehen lassen.

„Wenn ich Schweigen verspreche, halte ich’s auch. Zeisig und Graßner könnten mich foltern. Wäre umsonst“, sagte er eifrig.

„Gut – scheinen wirklich unser Mann zu sein.“ Er dämpfte jetzt seine Stimme beträchtlich. „Aufgabe besteht darin, drei Monate mindestens allein auf einsamer Insel zu leben und alles tagebuchartig aufzuzeichnen, was geschieht. Proviant, Waffen und so weiter gratis und franko. Ebenso Überfahrt dorthin. – Einverstanden?“

Hans Reuter saß ganz starr auf seinem Stuhl. Aber seine Gedanken eilten dafür mit blitzartiger Geschwindigkeit durch sein Hirn. – Was sollte diese Aufgabe? Für drei Monate Sommerfrische auf einer Insel noch 3000 Dollar extra?! Mehr als seltsam! – Aber wo[2] lag diese Insel? – Vielleicht im Eismeer?! Dann wurde die Sache schon ungemütlicher. – Ob er nicht mal danach fragte? – Aber – – dieser Maxwell lehnte ihn dann womöglich als Bewerber ab. – Wozu überhaupt das lange Besinnen?! Für ihn, Hans Reuter, war das ja unter allen Umständen etwas …! – Und daher entgegnete er jetzt nach kaum sekundenlangem Zögern:

„Einverstanden.“

Worauf der Amerikaner ihm die Hand hinstreckte und seinerseits erklärte: „Abgemacht. – Und übermorgen früh 6 Uhr sind Sie so, wie Sie hier sitzen, am Hafen vor dem Geschäftshaus der Reederei Blaker u. Cie., – verstanden?“

„Verstanden.“ –

Zwei Minuten später befand sich der jugendliche Reporter der deutschen San Franziskoer Zeitung wieder auf dem sonnendurchglühten Bürgersteig der Oxfordstraße.

Ihm schwirrte der Kopf. Das, was er eben in dem rauchgefüllten Geschäftszimmer erlebt hatte, war denn doch selbst für seine Abenteuerlust etwas reichlich rätselhaft. Langsam klärten sich dann seine Gedanken. Wieder grübelte er darüber nach, was diese ganze Geschichte wohl zu bedeuten haben könne. Bald aber gab er es auf. Er fand auch nicht eine Lösung, die den ganzen Umständen so etwas gerecht wurde. –

Als er die Hotelterrasse betrat, rief ihm Graßner schon von weitem zu: „Na, wie war’s, Kollege Greenhorn?“

Hans Reuter winkte ärgerlich mit der Hand ab. „Alberne Sache!“ knurrte er. „Schade um das Geld für das Auto nach der Oxfordstraße. Natürlich alles Schwindel. Die Anzeige ist nichts als ein verkapptes Angeln nach Teilnehmern für eine Expedition zur Entdeckung einer angeblich sehr reichen Goldmine, die in der Sonora (nordwestlichster Staat von Mexiko) in einem Flußtale liegen und jedem mindestens 3000 Dollar einbringen soll, der sich persönlich und mit einer Kapitaleinlage von 50 Dollar der Expedition anschließt.“

Die beiden Reporter lachten schallend. Mit einem Mal aber wurde der blonde Zeisig schnell wieder ernst und sagte, indem er Hans Reuter so merkwürdig prüfend ansah:

„Maxwell u. Sveidler machen für gewöhnlich keine so faulen Geschäfte mit. Im Gegenteil – sie sind als hochreell bekannt. – Hören Sie, Reuter, stimmt die Sache mit der Goldmine wirklich?“

„Gehen Sie doch hin und fragen Sie! – Mich aber lassen Sie mit der Geschichte fortan in Ruhe. Gießen Sie mir lieber den Rest Bowle ein. Die Kehle ist mir ganz trocken geworden nach diesem Besuch in der Oxfordstraße – wahrhaftig!“

* * *

Zwei Tage später wartete Hans Reuter noch vor 6 Uhr morgens an der angegebenen Stelle. Mit dem Glockenschlage 6 erschien auch Herr Maxwell in seinem Auto, sprang heraus, schickte den Motorwagen nach Hause und trat auf den jungen Reporter zu.

„Morgen!“ – Noch gleichen Sinnes?“

„Allerdings. Nur Vorschußgedanken“, erwiderte Reuter keck.

„Teilweise Vorausbezahlung selbstverständlich. Erinnern war überflüssig. – Kommen Sie.“

Er führte Reuter dann zur Anlegestelle eines jener mittelgroßen Seedampfer, die den Fracht- und Personenverkehr zwischen Frisko und den Hafenorten des südlichen Teiles der kalifornischen Küste vermitteln. Das Schiff hieß „Präsident Lincoln“, machte dem Namen aber wenig Ehre. Es war ein alter, eiserner Kasten, dessen Maschine aus dem allerletzten Loch pfiff. Aber die Verpflegung an Bord war gut. – Drei Tage dauerte die Fahrt südwärts. Während dieser Zeit erwähnte Maxwell den Zweck der gemeinsamen Reise nicht mit einer Silbe. Im übrigen war er viel mit dem jungen Deutschen zusammen, und sie sprachen über alles Mögliche – nur über das nicht, was Hans Reuter am meisten am Herzen lag.

In der dritten Nacht nach dem Verlassen des Friskoer Hafens wurde Reuter dann gegen 1 Uhr morgens geweckt, mußte sich schnell anziehen und in einen Motorkutter hinübersteigen, der an der Schiffstreppe des „Lincoln“ angelegt hatte. Maxwell befahl, die Trosse loszuwerfen, und schnaubend und pustend wie ein asthmatischer Greis verschwand der Dampfer in der Dunkelheit, während das Benzinboot knatternd in entgegengesetzter Richtung davonlief.

Der Amerikaner winkte Reuter unter Deck in die winzige Kajüte und hieß ihn Platz nehmen.

„Bei Morgengrauen sind wir am Ziel“, begann er, indem er seine Pfeife zu stopfen begann. „Hier sind 1500 Dollar Anzahlung. Unterschreiben Sie dafür diesen Schein.“

Auf dem Papier stand: „Ich erkläre hiermit, freiwillig den Auftrag von Maxwell u. Sveidler übernommen zu haben, ungeachtet der damit vielleicht verknüpften Gefahren, und mit der Hälfte des Honorars, 1500 Dollar, heute bezahlt worden zu sein.“

Reuter wollte etwas sagen, ergriff dann aber hastig die Feder und schrieb seinen Namen unter das Papier. Das Geld steckte er in seine Brieftasche.

Hierauf ließ Maxwell von einem der drei Matrosen des hübschen, großen Kutters einen Morgenimbiß und eine Flasche Wein bringen und begann über die deutschen Kolonien in Afrika zu sprechen, wobei er dem jungen Reporter wiederholt das Weinglas füllte.

„Trinken Sie. Sie werden eine kleine Auffrischung nötig haben“, meinte er.

Draußen wurde es bald heller und heller. Die See war ruhig wie ein Teich. Und doch vernahm Reuter jetzt immer lauter das Geräusch einer starken Brandung, die in der Fahrtrichtung irgendwo donnerte und tobte.

Maxwell erhob sich. „An Deck! Wir sind da. – Das letzte Glas auf glückliches Wiedersehen. – Prosit! – Und nochmals: auch die geringste Kleinigkeit führen Sie im Tagebuch auf. Ihr Wort darauf.“

„Mein Wort darauf.“

Sie stiegen die Treppe empor. – Im Osten, dort, wo das Festland von Nordamerika liegen mußte, begann der Horizont sich rötlich zu färben. Die Sonne bereitete sich zum Aufgang vor. Über dem Meere lagerten feine Dunstschichten, die die Fernsicht versperrten. Und doch sah Hans Reuter nach vorwärts eine schmale, langgestreckte Insel liegen, die offenbar von niedrigen Riffen in breitem Gürtel umgeben war, da sich ringsum der weiße Brandungsgischt deutlich von der grüngrauen Oberfläche der See abhob. Dann merkte er, daß eine außerordentlich scharfe Strömung der Nordspitze des Eilandes, dessen dichte Waldbestände mit hellerem Laub- und dunklem Tannengrün herüberwinkten, zulief, auf die wohl auch die Brandung zurückzuführen war. Diese Strömung war durch kleine Kreisel und Strudel, die das Wasser bildete, scharf gekennzeichnet. Ihre Geschwindigkeit wuchs zusehends, so daß der Maschinist jetzt die Schraube des Benzinbootes rückwärtsschlagen ließ, da dieses sonst wohl mit unheimlicher Geschwindigkeit auf die gefährlichen Untiefen zugeschossen wäre.

Maxwell erteilte einige Befehle, woraufhin die Leute eine große Holzkiste, die bisher mit einer Ölplane bedeckt gewesen war, mit festen Stricken umwickelten, an die sie wieder ein langes Tau befestigten, dessen anderes Ende in einen scharfen Anker auslief.

Jetzt war der Kutter, dessen an dem Geländer des Hinterdecks befestigte Rettungsringe den Namen „Alice, San Franzisko“ zeigten, der Insel bis auf zweihundert Meter nahegekommen und befand sich nun schon mitten in dem schäumenden Gicht der Brandung. Die Matrosen mußten aber offenbar das Fahrwasser sehr gut kennen, da sie das Motorboot trotz der reißenden Strömung und der überall drohenden Riffe unbeschädigt an die Ostseite des Eilandes heranbrachten.

Daß dieses Wagnis, sich in einem kaum neun Meter langen Boot in diesen Wogenschwall hineinzugetrauen, recht bedenklich war, merkte Hans Reuter an den ernsten, gespannten Mienen der Matrosen. Trotz der rückwärts wirkenden Kraft des Motors flog der Kutter wie ein Pfeil dahin. Oft genug schäumte der weiße Gischt über Bord, und einmal schrammte der Kiel auch mit fühlbarem Ruck über eine verborgene Klippe hin. In vielleicht zwanzig Meter Entfernung von dem flachen, felsigen Ufer wurde der Kutter von der Strömung mitgerissen. Dann drückte der Mann am Steuer das Boot plötzlich dichter an den Strand heran, und gleichzeitig wurde ein an einer Stahltrosse befestigter Anker vom Heck aus ins Wasser geworfen, der sofort sich am Grunde festhakte und die Trosse straff wie eine Bogensaite spannte.

Die hier im kurzen Halbkreis dem Strande sich bis auf vier Meter nähernde Strömung brachte das Boot, dessen Heck tief ins Wasser gepreßt wurde, einer weit vorragenden Felsplatte so nahe, daß einer der Matrosen nun das an die große Kiste gebundene Tau mit dem Anker weit auf das Land schleuderte, worauf die Kiste selbst kurzer Hand über Bord geworfen wurde, die sofort davonschoß, aber bald durch Tau und Anker festgehalten wurde, und nun in dem Gischt der Strömung wie eine Boje auf und ab tanzte. Vorsichtig die Trosse des Heckankers nachlassend, versuchten die Matrosen dann das Boot mit der Spitze der Felsplatte noch mehr zu nähern. Ohne Frage war dies der bedenklichste Augenblick der ganzen Landung. Riß die Trosse oder machte der Anker sich frei, so mußte der Kutter notwendig gegen die Küste geworfen werden, was unfehlbar seinen Untergang bedeutet hätte. Aber die Trosse hielt.

Und jetzt rief Maxwell dem jungen Deutschen kurz zu: „Springen Sie …!“ Auf andere Weise ist noch niemand auf die Insel gelangt.“

Hans Reuter sprang. Die zwei Meter waren ein Nichts für seinen kräftigen, geschmeidigen Körper. Nun stand er auf der Felsplatte, schaute sich nach dem Kutter um. Der holte schnell seinen Anker ein und trieb dann, von der Strömung erfaßt, wieder weiter vom Strande ab und längs der Küste nach Süden zu.

Maxwell winkte zum Abschied herüber, und auch Reuter schwenkte seinen leichten, hellen Filzhut. Bald verschwand das Boot hinter einer bewaldeten Spitze, und der freiwillige Robinson war allein.

„Bringen wir zunächst die Kiste in Sicherheit“, sagte Reuter halblaut zu sich selbst. „Ich hoffe, daß ich Waffen darin vorfinden werde. Ganz ungefährlich scheint meine Insel ja nach dem Inhalt der von mir unterzeichneten Erklärung nicht zu sein.“

Aber er mußte alle seine Kräfte anspannen, um den gut zwei Meter langen, ein Meter hohen und breiten Holzkasten mit Hilfe des Taues an Land zu ziehen. Dann wälzte er ihn immer weiter aufs Trockene.

Die Kiste war so schwer, daß Reuter sich nicht gleich erklären konnte, weshalb sie nicht untergesunken war. Der Deckel, der durch vier Eisenklammern, die sich leicht öffnen ließen, festgehalten wurde, flog bei Seite. Nun sah der junge Deutsche, daß in einer dicken Verpackung von Korkstücken, die den Kasten hatten über Wasser halten sollen, eine zweite Kiste aus Zinkblech ruhte, auf deren Oberseite eine Blechschere befestigt war. Mit Hilfe dieser waren die oberen, verlöteten Ränder schnell aufgeschnitten.

Nebeneinander breitete Reuter nun den Inhalt auf dem feinen Felsgeröll aus. Er war mehr als gespannt, was er vorfinden würde.

Obenauf lagen ein Jagdanzug aus gegerbtem Wildleder, daneben Wollwäsche, Strümpfe und zwei Paar Segeltuchschuhe mit Ledersohlen. Weiter waren vorhanden ein Fernglas, eine doppelläufige Kugelbüchse, ein Revolver, reichlich Munition für beide, ein Dolchmesser, Papier, Tinte, Halter und Federn; an Werkzeugen eine Säge, Hammer, Beil, Nägel in verschiedenen Größen, Bohrer, Schrauben, Meißel und Stemmeisen. Weiter dann vier Pakete Schwarzpulver, zehn Pakete dicke Lichte, Zündhölzer, acht Kisten Zigarren, Rauchtabak, zwei kurze Holzpfeifen und ganz unten eine einfache Lampe, vier verlötete große Blechgefäße, auf denen Zettel mit dem Aufdruck „Petroleum“ aufgeklebt waren, und sechs an einem Ringe vereinigte große Schlüssel.

Kritisch musterte Hans Reuter jetzt seine Schätze. Seiner Ansicht nach hätte die Ausrüstung etwas vollständiger sein können. Besonders vermißte er Eßwaren und ein Zelt. Daran hatte der wortkarge Maxwell oder dessen Auftraggeber offenbar nicht gedacht.

Inzwischen war die Sonne siegreich durch die Dunstschleier hindurchgedrungen. Der junge Deutsche hielt es für am richtigsten, jetzt sofort sich auf der Insel etwas genauer umzusehen. Mußte er doch auch daran denken, sich möglichst bald eine Hütte oder dergleichen zu bauen, um einen Unterschlupf für die Nacht zu haben. Er steckte sich daher den Revolver in die Tasche, ebenso Patronen, warf die geladene Büchse über die Schulter, hing das Fernglas um und schob das Dolchmesser in die linke Brusttasche seiner blauen Jacke. Ebenso versorgte er sich mit Zigarren und Zündhölzern und schritt dann, nachdem er die sämtlichen anderen Sachen wieder in die Blechkiste hineingetan hatte, dem Innern der Insel zu. Der Strand war an dieser Stelle durch Wachholderbüsche, Kreosotsträucher und einzelne Baum-Yuccas, die eine förmliche Wildnis bildeten, begrenzt. Die letztgenannte Pflanze wird bis drei Meter hoch und bietet mit ihren pergamentähnlichen, schmalen, aber ein Meter langen Blättern und mit ihren glockenförmigen, hellgrünen Blüten besonders im Mondlicht, wo die Blätter prachtvoll silberfarben leuchten, einen selten schönen Anblick dar.

Nach Durchquerung des Stranddickichts gelangte Reuter auf eine sanft ansteigende, bewaldete Ebene, die von mächtigen, wirr durcheinander liegenden Felsblöcken im Hintergrunde überragt wurde. Zwischen diesen Sandsteinfelsen wuchsen drei Exemplare jener riesenhaften Koniferen, die in der Sierra Nevada in Nordamerika 100 Meter Höhe bei 10 Meter Stammdurchmesser erreichen, aber nur noch in einzelnen Hainen, so besonders dem Mariposahain, anzutreffen sind. Auch diese drei Bäume waren gut 50 Meter hoch und streckten ihre Wipfel so weit über die unter ihnen stehenden Eichen hinaus, daß der junge Reporter beschloß, eine der Koniferen womöglich zu erklettern, um von diesem natürlichen Aussichtsturm einen Überblick über das Eiland zu gewinnen. Nach einiger Mühe schwang er sich zunächst in das Astgewirr einer Eiche, das es ihm dann erleichterte, auch die eine der Riesensequoien[3] zu erreichen. Seine Büchse hängte er vorher über einen Aststumpf weit über dem Erdboden, da sie ihn bei der nicht ungefährlichen Kletterpartie, die an seine Gewandtheit nicht geringe Anforderungen stellte, zu sehr behindert hätte. Bald merkte er, daß er es gar nicht nötig hatte, die Konifere bis in ihren höchsten Gipfel zu ersteigen. Bereits einige 40 Meter über den Felsblöcken angelangt, öffnete sich ihm ein weiter Fernblick, der für seine Zwecke völlig genügte. Mit einem Arm sich an einem starken Ast festhaltend, nahm er das Fernglas aus dem Futteral heraus und vermochte so, nachdem er zweimal seinen Standort gewechselt hatte, alles festzustellen, was ihm fürs erste nötig schien.

Die Insel lag fernab von der Küste Kaliforniens einsam im Stillen Ozean. Nirgends war ein Nachbareiland zu sehen. Nur die endlose Wasserfläche zog sich ringsum in die Unendlichkeit hinaus.

Ihre Größe war recht beträchtlich. Freilich bildete sie dabei ein sehr schmales Band. Die Länge mochte eineinhalb Meilen betragen, die Breite jedoch kaum 3000 Meter. Haarscharf war von hier aus die Strömung zu erkennen, die, von Norden auf die Nordspitze zukommend, dann in zwei Armen zu beiden Seiten entlangschoß, überall weiße Brandungsstreifen erzeugte und sich hinter der Südspitze wieder vereinigte, wo ganz besonders umfangreiche weiße Flecke darauf schließen ließen, daß dort die Untiefen noch zahlreicher waren. Jedenfalls bildete diese Strömung, deren mächtige Kraft sicherlich auf irgend eine besondere Ursache zurückzuführen sein mußte, einen Schutzwall um die Insel, der sie gar nicht besser von der See abschließen konnte und der eine Landung, wie Hans Reuter ja schon selbst erlebt hatte, zu einem recht waghalsigen Unternehmen machte.

Nach diesen mehr allgemeinen Beobachtungen begann der auf alles Außergewöhnliche so sehr erpichte jugendliche Reporter mit dem Fernglase die einzelnen Teile der Insel zu betrachten, – die niedrigen, kahlen Felsrücken, die grasbedeckten Steppen und die offenen Buschsavannen, die hauptsächlich die Mitte der Insel bildeten. Hierbei versperrten ihm die bewaldeten Stellen nur zu sehr die Aussicht. Trotzdem erkannte er aber die schillernde Wasserfläche einer Bucht zwischen den Baumkronen hindurch. Und diese Bucht lag kaum 2000 Meter weiter südlich von dem Koniferenhügel, wie er diesen höchsten Punkt der Insel zu bezeichnen beschloß. Als er nun noch mit Hilfe des Glases die Form dieses Einschnittes, der das Eiland fast in zwei Teile zu trennen schien, genauer verfolgte, trat plötzlich vor die Linsen ein grauschwarzes Etwas, das sich bei genauem Hinsehen als das Dach eines dicht am Nordufer der Bucht stehenden Hauses entpuppte.

Ganz sprachlos vor Staunen ließ Hans Reuter das Fernglas sinken. Ein Irrtum seinerseits war ausgeschlossen. Es war das Dach eines Hauses. Daran ließ sich nichts ändern. Und eiligst kletterte er nun wieder abwärts, nur von dem einen Gedanken getrieben, dieses Gebäude schleunigst in Augenschein nehmen zu können. Während er von Ast zu Ast turnte, fiel ihm ein, daß seine Vorratskiste ja auch sechs Schlüssel enthielt, über deren Zweck er vorhin beim Auspacken seiner Habe gar nicht weiter nachgedacht hatte. Ob diese Schüssel etwa zu den Türen des Hauses paßten?! – Die größte Wahrscheinlichkeit sprach dafür. – Nun war ihm auch klar, weshalb man ihm weder ein Zelt noch Eßwaren gespendet hatte. Maxwell oder der Unbekannte, der den Agenten mit der Erledigung dieser Sache beauftragt hatte, wußte eben, daß es hier auf der Insel ein Gebäude gab, das – hiervon war der Reporter jetzt fest überzeugt, auch Nahrungsmittel in genügender Menge beherbergte.

Nachdem er sich noch die Schlüssel geholt hatte, eilte er, um schneller vorwärtszukommen, am Strande entlang nach Süden zu, bis er an die Bucht gelangte, vor deren Mündung die Strömung eine große Sandbank aufgehäuft hatte, so daß zwei Fahrrinnen auf den Klippengürtel zu führten.

Das Nordufer der Bucht bildete mit dem Oststrande genau einen rechten Winkel, war sandig, weiterhin aber mit dornigen Sträuchern, Kreosotbüschen und kräftigen Pfirsich-, Aprikosen- und hier und da auch mächtigen, breitästigen Walnußbäumen bedeckt. Dazwischen wuchsen die hohen Stauden des kalifornischen Mohnes, riesige Sonnenblumen und andere farbenprächtige Pflanzen und hohes Gras, ein Beweis, daß der Boden hier sehr fruchtbar sein mußte. Bald lugten dann auch die weißgestrichenen Wände des Hauses und das dunkle, mit Schiefer gedeckte Dach durch diese üppige Vegetation hindurch, bei deren Anblick der freiwillige Robinson zufrieden lächelnd daran dachte, daß er sich die einsame Insel sehr überflüssiger Weise als in der Polargegend liegend einst vorgestellt hatte.

Das Haus erhob sich auf einem ausgerodeten, runden Platz. Es war nur klein und aus Steinen erbaut. Auf der nach der Bucht zu liegenden Vorderseite ragte das Dach so weit über, daß es einer die ganze Frontseite entlanglaufenden offenen Veranda Schutz gegen Regen bot. Eine Steintreppe, von einem Eisengeländer eingefaßt, führte zu der Veranda empor, wo eine breite Tür aus starkem Eichenholz den Eingang in die Innenräume bildete. Neben dieser gab es in der Vorderwand je zwei mit engen, starken Ziergittern verwahrte Fenster, hinter deren Scheiben gelbe Leinenvorhänge vorgezogen waren.

Der Holzboden der Veranda war mit trockenem Laub hier und da bedeckt. Auf der Westseite standen ein Gartentisch und zwei Stühle. Unter diesem Tisch aber lag zusammengeringelt in der Sonne eine graubraune, schwarzgestreifte Klapperschlange, die Hans Reuter sofort an der an der Spitze des Schwanzes befindlichen Hornklapper erkannte. Diese besteht aus 15 bis 18 übereinander gestülpten Hohlkegeln aus Hornmasse, die, sobald das Tier erregt ist, ein rasselndes Geräusch hervorbringen. Die Klapperschlangen gehören zu der Familie der sehr giftigen Grubenottern und werden bis zwei Meter lang. Als der junge Reporter sich jetzt vorsichtig dem Reptil näherte, hob dieses den mit Schildern bekleideten Kopf und funkelte den Eindringling mit blinkenden Augen drohend an. Gleichzeitig drang Reuter auch ein häßlicher Geruch in die Nase, der ihm jedoch insofern nichts Neues war, als er ihn bei seinen Ausflügen in die kalifornischen Berge schon zweimal bei dort getöteten Reptilien dieser Art wahrgenommen hatte, die nach einer starken Mahlzeit stets eine übelriechende Ausdünstung verbreiten.

„Dieses kriechende Gewürm ist gerade keine angenehme Beigabe zu meiner hübschen Insel“, dachte Hans Reuter und zog den Revolver. „Versuchen wir, wie die Waffe schießt.“

Er zielte nach dem regungslos aufgerichteten Kopf, fehlte aber. Auf den Knall des Schusses hin ringelte die Schlange sich blitzschnell auf und suchte nach der mit Ziereinschnitten versehenen Holzbrüstung zu entwischen. Aber die zweite Kugel traf besser und zerschmetterte ihr das Rückgrat dicht unterhalb des Kopfes. Ein Schlag mit dem Flintenkolben sollte ihr den Rest geben. Aber die erhobene Waffe verharrte starr in dieser Lage.

Aus dem Hause nämlich war deutlich das Zuschlagen einer Tür vernehmbar geworden. Der laute Krach, der in dem Gebäude die Fenster klirren machte, lähmte Hans Reuter für einen Augenblick förmlich. Das Reptil war vergessen. Und unsicher glitten seine Blicke nun über die Fenster hin, als ob sich da sofort die geschlossenen Vorhänge bewegen müßten und ein menschliches Gesicht erscheinen würde. – Ein unbehagliches Gefühl überkam den jungen Deutschen, der fest geglaubt hatte, auf dem Eiland allein zu sein. Das Zuschlagen der Tür im Innern des kleinen Gebäudes war aber der beste Beweis dafür, daß er sich in dieser Beziehung geirrt hatte. Und unwillkürlich dachte er jetzt wieder an das Papier, das er unterzeichnet hatte, an die Gefahren, von denen darin kurz die Rede war. – Nun – so ganz harmlos war die Insel entschieden nicht. Erst das giftige Reptil, dann dieses Geräusch aus dem Innern des Hauses – –, da hieß es doch wohl vorsichtig sein. So nahm er denn die Büchse schußfertig in den Arm, verließ die Veranda, ohne sich um die in Todeszuckungen wild sich krümmende Schlange weiter zu kümmern, und umschritt zunächst einmal das Haus, um auch die Rückfront sich anzusehen.

Auch hier führte aus dem einzigen, hochgelegenen Stockwerk von einer Mitteltür eine Treppe in einen verwilderten Garten hinab, auch hier gab es vier vergitterte Fenster. Als er jetzt diese Hintertür zu öffnen versuchte, fand er sie verschlossen. Zögernd stand er nun eine ganze Weile da. So lächerlich es ihm auch selbst vorkam, aber er empfand tatsächlich etwas wie Angst davor, in das Gebäude einzudringen.

Dann klopfte er. Erst leise, dann schlug er mit der Faust gegen das feste Eichenholz, daß es nur so dröhnte.

Doch im Innern regte sich nichts. Da schalt er sich selbst einen Toren, zog die Schlüssel hervor und probierte, bis er den richtigen herausgefunden hatte. Nun stieß er die Tür auf, und das helle Tageslicht flutete in einen breiten Gang hinein, der bis an den Vordereingang weiterlief. Langsam trat er ein, bewegte sich bis zu der Stelle vorwärts, wo von diesem Mittelgang rechts und links ein zweiter sich rechtwinklig abzweigte, so daß das Haus durch die beiden Flure in vier gleich große Teile zerschnitten wurde. Da die in den Längsgang aus den Zimmern, von denen drei sowie eine Küche und ein Vorratsraum vorhanden waren, mündenden Türen breite Glasscheiben besaßen, war auch dieser Flur bis in den äußersten Winkel bequem zu übersehen. Die linke Seite war leer. Auf der rechten standen an den Wänden zwei große Schränke. Jedenfalls machte dies alles eher einen freundlichen als einen irgendwie unheimlichen Eindruck. Und mit schnell zurückgewonnener Ruhe begann Hans Reuter jetzt sich die Zimmer nacheinander zu betrachten. Die verschiedenen Türen öffnete er mit den Schlüsseln.

Nach vorn heraus lagen zwei durch den Mittelgang getrennte, große, hohe Gemächer, von denen eines als Wohn-, das andere als Schlafraum vollständig und nicht ohne einen gewissen Luxus eingerichtet war. In dem Schlafzimmer stand ein einzelnes Bett, über dessen Kissen eine seidene, lichtblaue Decke gebreitet war. Verschiedene Dinge, so besonders ein Frisiertisch mit beweglichen Spiegeln, verrieten, daß hier einmal eine weibliche Person gewohnt oder doch hatte wohnen sollen.

Die andere, rückwärtige Hälfte des Hauses enthielt ein Zimmer mit zwei Betten, dessen Möbel bedeutend einfacher waren und das gleichzeitig noch als Wohngemach bestimmt zu sein schien, ferner die Küche und den Vorratsraum. Aus diesem führte eine in dem Boden angebrachte Falltür in einen kleinen Keller, in dem eine Unmenge von Eßvorräten sowohl in Form von Konserven als auch in anderen Behältern, so besonders Kaffee, Tee, Kakao, Mehl usw., aufgestapelt waren, während oben in der Vorratskammer nur noch eine Anzahl steinhart zusammengetrockneter Dauerwürste hing.

Von einem lebenden Wesen war nirgends eine Spur zu entdecken. Freilich mußte das Haus noch einen niedrigen Bodenraum besitzen, ebenso wie es wohl ganz unterkellert war, da das einzige Stockwerk gut eineinhalb Meter über der Erde lag. Daß es zu dem Boden keinerlei Zugang gab, stellte Hans Reuter bald fest. Ebenso fand er dann auch unter der Hintertreppe eine kleine Tür, die offenbar den Eingang zu den Kellern bildete. Nachdem er sich aus dem Damenschlafzimmer einen Leuchter geholt hatte, durchsuchte er auch die Kellergelasse, aus denen nur enge Luftschächte, die mit durchlöcherten Blechen verschlossen waren, durch die Hauswände nach außen gingen. Auch hier gab es außer einem Stapel von Brettern und einigen Gartengeräten nichts Besonderes zu sehen.

Nach dieser ersten oberflächlichen Besichtigung machte sich der junge Deutsche die Mühe, in den Zimmern sämtliche Behältnisse, die alle unverschlossen waren, – Schränke, Schubladen und so weiter, zu durchsuchen, um herauszubekommen, ob das Haus schon einmal bewohnt gewesen war. Auf andere Weise ließ sich dies nämlich schwer ergründen, da alles einen guterhaltenen, fast neuen, aber unbenutzten Eindruck machte. Die kleinen Gartenanlagen vor und hinter dem Gebäude brauchten ja nicht notwendig von den Bewohnern, sondern konnten auch von denselben Arbeitern geschaffen sein, die das Haus gebaut hatten. Nun – die Behälter waren leer. Nicht die geringste Kleinigkeit befand sich darin. Nur in der Küche, die einen eisernen Herd besaß, entdeckte Reuter in der Schublade des Tisches ein paar Messer, Gabeln und Löffel, weiter in dem weißgestrichenen Schrank einige Teller, Schüsseln, Kochtöpfe und eine Bratpfanne. Das war aber auch alles. Trotzdem hatte er durch diese Besichtigung die Überzeugung gewonnen, daß das Gebäude einst drei Bewohner beherbergt haben müsse, wenn auch nur für kurze Zeit.

Soweit war er mit dem Ergebnis seiner Forschungsreise durch das Haus ganz zufrieden. Die Zimmer gefielen ihm sehr gut, und ohne Frage mußte es sich hier ganz behaglich leben lassen, falls nicht eben dieser dumpfe Knall gewesen wäre, der, wie er inzwischen ausprobiert hatte, nur durch das Zuschlagen der hinteren Eingangstür entstanden sein konnte. Daß sich also Menschen hier befanden, war erwiesen, wenn nicht mehrere, so doch mindestens einer. Und diese Leute waren im Besitz des passenden Schlüssels, denn er hatte ja die Tür verschlossen gefunden. Der Gedanke, daß außer ihm noch dritte Personen das Haus jeder Zeit betreten könnten, war ihm am unangenehmsten. Wußte er, ob diese Menschen ihm nicht vielleicht feindlich gegenübertreten und ihm nachstellen würden?!

Nachdenklich lehnte er sich an den einen Verandapfeiler neben der Treppe und überdachte seine Lage. – Wer mochte das Haus hier auf dem entlegenen Eiland haben erbauen lassen und zu welchem Zweck? Als Laune eines reichen Mannes, der auf der Insel zuweilen in der Zurückgezogenheit zu leben wünschte, war es sicherlich nicht entstanden. Denn welche unendliche Mühe und welche Kosten mußte es verursacht haben, die Arbeiter, das Material und die Einrichtung hierher zu schaffen! Da gab es an der Küste Kaliforniens doch genug andere einsame Inseln, die weniger gefahrvoll zu erreichen waren. – – Und wieder tauchte jetzt in der Reihe seiner Gedanken wie schon so oft die Frage auf, zu welchem Zweck er hier drei Monate hausen und ein Tagebuch, und zwar ganz eingehend, führen sollte. Daß eine bestimmte Absicht von seinem Auftraggeber mit dieser Robinsonade verfolgt wurde, war selbstverständlich. Niemand trifft derartige Vorbereitungen, zu denen die Anzeige in der Zeitung, die Beorderung des Motorkutters nach einer bestimmten Stelle und schließlich die Vorratskiste mit dem Zinkeinsatz gehörten, ohne Grund, niemand wird 3000 Dollar opfern, nur um einem „gebildeten, tatkräftigen, jüngeren Herrn“ Gelegenheit zu einer Sommerreise zu geben. Nein – hier spielten besondere Umstände mit, die vorläufig allerdings völlig dunkel und rätselhaft blieben.

Die Fruchtlosigkeit seines Grübelns einsehend, beschloß Hans Reuter jetzt, zuerst sich durch ein Frühstück zu stärken und dann den Inhalt der Vorratskiste nach dem Hause zu schaffen. Er hatte auch schon eine Idee, wie er den Leuten, die außer ihm Schlüssel zu dem Gebäude besaßen, das Wiederkommen verleiden wollte. – –

Die Kiste fand er noch genau so vor, wie er sie verlassen hatte. Der Deckel des Zinkeinsatzes lag lose über den schnell wieder eingepackten Sachen. Aber als er ihn nun hochhob, stieß er unwillkürlich einen Schreckensruf aus und fuhr zurück: in dem weichen, ledernen Jagdanzug hatte eine Klapperschlange es sich bequem gemacht, von der nur der Kopf zu sehen gewesen war, der oben auf dem Rückenteil der Jacke ruhte, wo er sich zum Glück recht deutlich abgehoben hatte. Wäre auch der Kopf des Reptils in den Falten verborgen gewesen, so hätte der ahnungslose junge Reporter, sobald er in die Kiste hineingegriffen haben würde, nur zu leicht gebissen werden können.

Die in ihrem Schlupfwinkel gestörte Schlange glitt jetzt auf das Felsgeröll hinab und suchte sich nach dem Ufergebüsch hin zu entfernen. Aber Hans Reuter, bei dem der Schreck schnell in helle Wut übergegangen war, machte ihr schnell durch ein paar Steinwürfe den Garaus. Dann packte er alles bis auf die schweren Petroleumgefäße zu einem Bündel zusammen und trug es wieder am Strande entlangwandernd, nach dem verlassenen Hause, dessen beide Eingangstüren er verschlossen hatte, bevor er fortgegangen war.

Erst überzeugte er sich, ob nicht etwa inzwischen jemand sich in das Gebäude eingeschlichen hatte. Aber diese Sorge war überflüssig. Dann war das erste, was er tat, die Sicherung der beiden Eingänge gegen ungebetene Gäste. Dies erreichte er dadurch, daß er die Hintertür zunagelte und außerdem noch Bretter, die er aus dem Keller holte, so mit Schrauben in dem Türrahmen befestigte, daß es ganz unmöglich war, dieses Hindernis geräuschlos zu entfernen. Die nach innen schlagende Vordertür wieder versah er mit vier starken Holzriegeln und brachte ebenso Stützen an, die selbst der stärkste Druck von außen nicht zerbrechen konnte, wenn er sie zwischen die auf dem Fußboden des Ganges und seitwärts des Schlosses angeschraubten Leisten einklemmte.

Inzwischen war es Mittag geworden. Während er sich nun in der Küche bei gut verrammelter Vordertür eine reichliche Mahlzeit zubereitete, überlegte er sich, daß es das praktischste wäre, wenn er das der Küche gegenüberliegende, als Wohnzimmer eingerichtete Gemach zur dauernden Benutzung für sich ausstattete. Dies besorgte er auch gleich nach dem Essen, indem er einige überflüssige Möbel hinausschaffte und dann dafür das Bett und den Waschtisch aus dem Schlafzimmer hineinstellen wollte.

Als er nun, um die Kissen und die Matratze aus dem Bett des leichteren Transportes wegen zu entfernen, die blaue Seidendecke zurückschlug, fand er darunter zu seinem nicht geringen Ärger – denn dieser verdrängte den ersten gelinden Schreck sehr schnell – den Körper der inzwischen verendeten Klapperschlange vor, die er durch einen Schuß auf der Veranda noch vor dem Betreten des Hauses unschädlich gemacht hatte.

Dieser Schabernack konnte ihm nur gespielt worden sein, als er die Sachen aus der Kiste holen gegangen war. Also hatten doch die unbekannten Personen – vielleicht war es auch nur ein einzelner Mensch! – das Haus inzwischen wieder betreten. – Nun – zum zweiten Male würde man nicht gegen seinen Willen hier eindringen. Dafür wollte er schon sorgen …! – –

Sein zukünftiges Wohn- und Schlafgemach war bald fertig eingerichtet. An der Wand neben dem einen Fenster standen jetzt das Bett und der Waschtisch. Beide Fenster versah er noch mit aus Brettern hergestellten Laden, die sich von innen leicht befestigen ließen. Auf diese Weise schützte er sich am besten gegen einen heimtückischen Schuß von außen. Hiermit aber nicht genug, stellte er auch für die Tür, die zwei breite, matte Glasscheiben besaß, eine dritte Lade her, die er auf der Innenseite der Tür festschraubte. Nachdem er diese durchaus geboten erscheinenden Vorsichtsmaßregeln getroffen hatte, wollte er nun auch die Petroleumbehälter vom Strande nach dem Hause bringen. Um sich aber überzeugen zu können, ob während seiner Abwesenheit abermals jemand dem Hause einen Besuch abgestattet habe, klemmte er oben in die Vordertür drei trockene Blätter unauffällig fest, die herausfallen mußten, sobald man erstere öffnete. Doch bei seiner Rückkehr fand er die Blätter genau in derselben Lage vor. Er konnte also sicher sein, daß man keine neue Überraschung für ihn vorbereitet hatte.

Den Rest dieses ersten Tages brachte er damit zu, die Veranda zu säubern, den Garten vor dem Hause, dessen Beete nur mit niedrigen Ziersträuchern bepflanzt waren, etwas in Stand zu setzen und mit der Niederschrift seiner Erlebnisse zu beginnen. Mit Anbruch der Dämmerung zog er sich in sein Zimmer zurück, nachdem er die Vordertür durch Riegel und Stützen versperrt hatte. Bei geschlossenen Fensterladen und von innen verriegelter Zimmertür (außerdem ließ er auch den Schlüssel stecken) streckte er sich angekleidet auf die Matratze aus, indem er die Seidendecke als Zudecke benutzte. Griffbereit lag der Revolver da, und ebenso stand auch die geladene gesicherte Büchse in Reichweite. In dem Bewußtsein, so aufs beste gegen jede Überraschung geschützt zu sein, schlief er sehr bald ein. Aber sein Schlummer war kein ruhiger. Wilde Träume ängstigten ihn. Oft erwachte er und lauschte dann in die Dunkelheit hinaus, ob nicht irgendein verdächtiges Geräusch zu hören war. Einmal glaubte er auf der Veranda leise Schritte zu vernehmen. Doch sicher war er seiner Sache nicht. – Abermals fielen ihm die Augen zu. Nur für kurze Zeit. Dann fuhr er plötzlich in seinem Bett hoch. Ein polterndes Geräusch im Zimmer selbst hatte ihn aufgeschreckt. Sein Herz jagte, daß er dessen Schläge bis in die Fingerspitzen spürte. – Jetzt in der Mitte des Raumes, in dem es völlig finster war, ein Laut, als ob jemand mit der Hand über den dort liegenden Bastteppich hinstrich. Vorsichtig tastete Hans Reuter nach den Streichhölzern und dem Revolver auf dem Nachttischchen. Dann strich er schnell gleich drei Hölzchen auf einmal an. Bei dem ungewissen Lichtschein glitten seine Augen suchend durch das Zimmer. Nichts Verdächtiges – nichts! Doch halt – da auf dem Teppich … das lange, dünne Etwas, und daneben ein ähnlicher dunkler Strich, der sich krümmte, sich bewegte …

Also das waren die Störenfriede: Schlangen – zwei Ottern, die hin und her huschend irgend eine Beute suchten. – Jetzt brannte das Licht, jetzt auch die Petroleumlampe. Dann knallte der Revolver. Die ganzen sechs Patronen verfeuerte Reuter, und mit gutem Erfolge. Der Büchsenkolben besorgte das übrige.

Aufs sorgfältigste suchte er darauf das Zimmer ab, ob nicht irgendwo noch weitere Klapperschlangen sich verkrochen hatten. Daß man ihm dieses Gewürm absichtlich in das Gemach eingeschmuggelt hatte, wo es sich, so lange es noch hell war, unter den Schränken verborgen haben mochte, unterlag keinem Zweifel. Tatsächlich fand er unter dem kleinen Damenschreibtisch noch eine dritte Grubenotter, die auch sehr bald das Schicksal der beiden anderen teilte. Die drei halb zerfetzten Schlangenleiber warf er vorläufig in einen Schrank.

Dann setzte er sich auf den Bettrand und überlegte sich eingehend dieses nächtliche Erlebnis. Die feindselige Gesinnung der Leute, die ebenfalls die Schlüssel zum Hause besaßen, war jetzt erwiesen. Die Ottern konnte man nur in das Zimmer gebracht haben, als er sich das erste Mal nach dem Strande begab, um den Inhalt der Vorratskiste nach dem Gebäude zu schaffen. Bei dieser Gelegenheit war ja auch die tote Klapperschlange unter die Seidendecke getan worden. – Aber – woher wußten seine Feinde damals schon, daß er gerade diesen Raum sich als Wohngemach einrichten wollte?! Dieser Gedanke war ihm doch erst später gekommen – nach dem Mittagessen! Und als er dann nach Vernagelung der Hintertür und nachdem er die trockenen Blätter in die Vordertür eingeklemmt gehabt hatte, sich zum zweiten Mal die Petroleumbehälter holen gegangen war, da hatte doch anscheinend inzwischen niemand das Haus betreten …

Die Folgerungen, die sich hieraus ziehen ließen, waren einfach genug: Hatten seine Widersacher nur in dieses eine Zimmer, um ihn auf heimtückische Weise zu beseitigen, die Ottern eingeschmuggelt, dann waren sie doch während seines zweiten Ganges nach dem Strande in dem Gebäude gewesen, das mithin einen dritten Zugang besitzen mußte, sie hatten gesehen, wo er dauernd zu wohnen beabsichtigte, und in diesen Raum die Schlangen eingesperrt in der Hoffnung, er würde von einer von ihnen während der Nacht gebissen werden. – Die Annahme dieses dritten Eingangs wurde anderseits hinfällig, wenn auch die übrigen Räume zu dem gleichen Zweck mit den unheimlichen kriechenden Gästen besetzt worden waren. Dann handelte es sich nicht um einen Mordversuch in seinem Wohngemach allein, und dann waren die Klapperschlangen sicherlich in das Haus geschleppt worden, während er den ersten Gang nach dem Strande machte. – Nun, hierüber würde der Morgen, wo er sofort das ganze Gebäude absuchen wollte, ja Klarheit bringen.

Mit der Nachtruhe war es für heute vorbei. Seine erregten Nerven ließen ihn keinen Schlaf mehr finden, und er war froh, als dann der erste hellere Schimmer sich draußen zeigte und bald auch die Sonne erschien und die Schrecken der nächtlichen Dunkelheit ganz beseitigte.

In den Stunden, wo er auf die Rückkehr des Tageslichtes gewartet hatte, war ein Gedanke in ihm aufgetaucht, wie er es anstellen konnte, seine Feinde auch zu Gesicht zu bekommen. Er verhielt sich daher im Hause jetzt ganz still, ließ auch die Laden vor seinen Fenstern und bewegte sich völlig geräuschlos hin und her. Hierdurch hoffte er bei seinen Gegnern den Glauben zu erwecken, daß ihr Anschlag geglückt und er in der Nacht durch die Giftzähne der Ottern getötet sei. – Die Durchsuchung der Räume förderte dann tatsächlich noch ein ganzes Dutzend Klapperschlangen zutage. Selbst in dem Kellergelaß entdeckte er hinter den Kisten ein Reptil. Da er sie jetzt durch Schüsse nicht töten wollte, um sich nicht zu verraten, ging er ihnen mit einem langen Besenstiel zu Leibe, an den er sein Dolchmesser befestigt hatte. Diese Schlangenjagd, bei der auch nicht der kleinste Winkel unbeachtet blieb, nahm reichlich zwei Stunden in Anspruch. Dann frühstückte er und bezog hierauf einen Beobachtungsposten hinter den geschlossenen Vorhängen des Hinterzimmers, in dem die beiden Betten standen. Doch vergeblich harrte er auf das Erscheinen irgend eines Menschen. Nichts regte sich in den Büschen des Gartens. Friedlich flatterten buntschillernde Vögel hin und her, sonnten sich ein paar große Eidechsen auf dem Vorplatz.

So kam die Mittagszeit heran. Hans Reuter begnügte sich mit einem Stück der harten Dauerwurst als Mahlzeit, da er sich ein warmes Essen auf dem Herde nicht zuzubereiten wagte. Der aus dem Schornstein aufsteigende Rauch hätte seine Absichten ja zunichte gemacht. Wieder saß er vor dem schmalen Spalte in den Vorhängen und wartete. Irgend etwas mußte sich ja ereignen, wenn er nur die nötige Geduld bewies. Die Stunden schlichen träge hin. Dann – es war gegen fünf Uhr nachmittags – stob plötzlich eine Schar kleiner Vögel, die sich eben noch lustig in einer Baum-Yucca getummelt hatte, eilends davon. Gleich darauf erschien zwischen den Sträuchern, tief gebückt auf das Haus zuschleichend, eine menschliche, nur mit einem breiten Fellschurz bekleidete Gestalt. Jetzt blieb der braune Geselle stehen, hob den Kopf und schaute prüfend nach den Fenstern des Gebäudes hin. Er war klein und abschreckend mager, und das Gesicht mit der zurücktretenden Stirn und dem nach hinten spitz zulaufenden Schädel, auf dem ein Wust verfilzten Haares saß, wirkte infolge der riesigen Nase und der weit hervorquellenden Augen geradezu abstoßend. Dieses Äußere entsprach genau den Abbildungen, die der junge Reporter in einem wissenschaftlichen Werke gelegentlich von den Azteken, den früheren Bewohnern Mexikos, gesehen hatte. Die Mediziner haben ja auch bei der Benennung einer bestimmten Art von körperlicher Mißbildung, die mit geistiger Verblödung verbunden ist, den Ausdruck „Aztekentypus“ wegen der seltsamen Schädelform dieses alten Kulturvolkes gewählt. Nun, die Azteken waren seiner Zeit freilich keineswegs geistig irgendwie minderwertig. Im Gegenteil, das von ihnen gegründete Reich, das erst der Eroberer Cortez im Jahre 1519 vernichtete, blühte bis dahin aufs beste. Ihre Baukunst und ihre Fertigkeit in der Herstellung von Gebrauchs- und Kunstgegenständen erregt noch heute die Bewunderung der Forscher. Es war auch ein selten reiches Volk. Die Schätze an Gold und Edelsteinen, die Cortez ihnen raubte, beliefen sich auf viele Millionen. Dabei hatten sie noch den weitaus größten Teil ihrer Kostbarkeiten vor der Eroberung der Hauptstadt Mexiko in sichere Verstecke geschafft. Umsonst ließ der spanische Eroberer die gefangenen Azteken aufs grausamste martern. Sie verrieten die Orte nicht, wo die wertvollsten Erzeugnisse ihrer vielseitigen Goldschmiedekunst verborgen lagen.

Hans Reuter wußte, daß angeblich noch geringe Reste des einst so mächtigen Stammes in den unwegsamsten Gebirgsteilen Nordmexikos hausen sollten. Daß er nun hier einen Vertreter dieses Volkes vor sich sah, überraschte ihn aber doch derart, daß er fast vergaß, daß das Auftauchen dieses Menschen einen schnellen Entschluß nötig machte, um den Azteken womöglich in seine Gewalt zu bekommen. Denn bevor er seine Feinde nicht unschädlich gemacht hatte, würde er ja doch keine Ruhe auf der Insel finden.

Jetzt raffte er sich auf. Das, was er im Falle des Erscheinens eines seiner Gegner zu tun sich vorgenommen hatte, führte er nun wirklich aus. Leise eilte er nach der Vordertür, schob die Holzriegel bei Seite, entfernte die Stützen und zog den Schlüssel ab. Dann legte er sich lang in den Flur, verbarg die rechte Hand mit dem gespannten Revolver unter seinem Körper und nahm eine Stellung an, als ob er in heftigen, durch das Schlangengift erzeugten Krämpfen verschieden sei.

Minuten vergingen. Jetzt wurde vorsichtig der Schlüssel in das Schloß der Vordertür eingeführt, jetzt knarrte diese. Dann blieb es eine Weile still. Reuter öffnete ganz wenig die Augenlider. Er durfte das bei dem in dem Gange herrschenden Dämmerlicht wohl wagen.

Der Azteke stand, jetzt mit einer langen Holzkeule bewaffnet, an deren Spitze scharfe Steinsplitter eingefügt waren, in der halb offenen Tür. Abermals verstrich eine kleine Ewigkeit, bis er behutsam näherkam. Dann beugte er sich über den regungslos Daliegenden.

Da schnellte der junge Reporter ganz plötzlich empor und schmetterte gewandt und sicher dem entsetzt zurückprallenden Indianer den Kolben des Revolvers gegen die Schläfe.

Wenige Minuten später war der Bewußtlose gefesselt und in den Kellerraum unter der Vorratskammer geschafft. Hierauf bezog Reuter abermals seinen Beobachtungsposten, nachdem er die Vordertür wieder versperrt hatte. Er sagte sich, daß, falls der Azteke nicht allein, sondern zusammen mit anderen Stammesgenossen auf dem Eiland hauste, diese durch das Ausbleiben ihres Gefährten vielleicht beunruhigt werden und daher ebenfalls nach dem Gebäude kommen würden. Auf diese Weise konnte er zum mindesten feststellen, mit wie vielen Gegnern er es ungefähr zu tun hatte.

Drei Stunden verstrichen. Dann geschah das, was der Deutsche erwartet hatte. Zwei Indianer waren es, die sich mit aller Vorsicht der Rückseite des Hauses näherten. Einer davon war ein alter, weißhaariger Mann, der sich auf einen langen Stock stützte, trotzdem aber die Hauptwaffe seiner Väter, die Kriegskeule, in der Linken trug. Sein von tiefen Runzeln durchschnittenes Vogelgesicht hatte trotz aller Häßlichkeit etwas Würdiges, Ehrfurchtgebietendes an sich. Jetzt stieß sein Begleiter einen eigentümlichen Schrei, wohl die Nachahmung irgend eines Vogelrufes, aus. Lauschend standen die beiden eine Weile still. Als keinerlei Antwort erfolgte, schienen sie miteinander sich leise zu beraten. Dann setzte sich der Alte auf die untere Treppenstufe, nachdem der andere scharf die vernagelte Tür gemustert hatte. Wieder wechselten sie einige Worte, wonach der jüngere um das Haus herumschritt.

Hans Reuter wiederholte nun genau dasselbe Spiel, durch das sich schon der erste Azteke hatte überrumpeln lassen. Auch dessen Genosse fiel auf die List herein, auch er wurde niedergeschlagen, gebunden und in den Vorratskeller gebracht, wo der vorher Gefangengenommene inzwischen die Besinnung wiedererlangt hatte und den weißen Mann nun mit haßerfüllten Blicken betrachtete, wie dieser sein menschliches Bündel ablud.

Dann schlich der junge Deutsche sich wieder in das Zimmer und spähte durch die Vorhänge nach dem Greise aus. Dieser saß noch immer auf der Treppe und starrte wie weltentrückt ins Weite.

Hans Reuter kam beim Anblick des gebrechlichen Alten ein neuer Gedanke. Wenn er die Vordertür abschloß, so konnte, da er beide Schlüssel, – denn den, den der erste Azteke bei sich trug, hatte er ebenfalls an sich genommen, jetzt besaß, der Greis nicht in das Haus hineingelangen und mußte schließlich nach seinem und seiner Gefährten Schlupfwinkel zurückkehren. Folgte der Reporter ihm dann heimlich, so wurde er auf die einfachste Art und Weise zu dem Versteck der Indianer hingeführt, das kennenzulernen für ihn von größtem Vorteil war.

Eine halbe Stunde später erschien der Alte vor der Vorderseite des Hauses und erstieg langsam die Veranda. Hans Reuter lag jetzt hinter Gebüsch versteckt etwa fünfzig Meter vom Gebäude entfernt, so daß er den Azteken genau beobachten konnte. Dieser versuchte nun vergeblich die Vordertür zu öffnen, ebenso durch die Fenster in das Innere der Zimmer zu sehen, und ließ dann denselben, einem Vogelschrei ähnlichen Ruf ertönen wie vorhin sein jüngerer Gefährte. Man merkte ihm deutlich an, daß seine Unruhe von Minute zu Minute sich steigerte. Jetzt probierte er sogar die Festigkeit der eisernen Gitter, indem er daran rüttelte und mit der Keule sie zu lockern trachtete. Aber die fest in die Steine der Hauswand eingelassenen Stäbe hielten nur zu gut.

Inzwischen war die Sonne hinter den Baumkronen im Westen längst verschwunden. Endlich gab der Greis mit der zunehmenden Dämmerung seine Versuche, in das Haus einzudringen, auf und entfernte sich, zunächst am Ufer der Bucht bis zu deren äußerstem Ende entlangschreitend und dann nach Süden zu abbiegend. Sorgfältig mied er alle Stellen, wo seine nackten Füße Spuren zurücklassen konnten. Daß ihm jemand nachschleichen könnte, auf den Gedanken kam er nicht. Und doch blieb der junge Deutsche stets ziemlich dicht hinter ihm. So ging es wohl eine halbe Stunde dem Südteil der Insel entgegen, der, wie Reuter sah, stellenweise Felsbildungen aufwies, die auf das frühere Vorhandensein eines Vulkanes schließen ließen. In weitem Bogen umging der Alte nun ein von einem dichten Walde von Zuckerkiefern umgebenes tiefes Tal mit einem kraterähnlichen Loche in der Mitte, aus dem mit zischendem Geräusch Wasserdampf und scharf riechende Gase hervortraten, die die Gesteine der Nachbarschaft mit einem gelben Überzuge bedeckt hatten. Es war dies eine sogenannte Solfatara, eine Schwefelquelle, die stets das letzte Stadium vulkanischer Tätigkeit eines Vulkanes darstellt, schweflige Säure und Schwefelwasserstoff ausstößt, die Felsen in der Nähe völlig zersetzt und mit einer dicken Schwefelschicht überzieht. Die bekannteste Solfatara ist die von Pozzuoli bei Neapel. Außerdem gibt es solche aber auch auf Island und in Mexiko.

Beim Durchschreiten des Zuckerkiefern-Forstes entdeckte der junge Reporter an vielen dieser mächtigen Bäume die merkwürdige Ausschwitzung, die die Rinde hervorbringt und die, zu einer weißen, süßen Masse an der Luft erhärtet, dem Baume den Namen gegeben hat und unter der Bezeichnung „kalifornische Manna“ als Zuckerersatz gesammelt wird und in den Handel gelangt. Weiter stieß er hier aber auch auf die ebenfalls in Südkalifornien sehr häufige Nußkiefer, deren eiförmige, bis fünf Pfund schwere Zapfen zwei Zentimeter lange, nußartig schmeckende Samen enthalten, die sowohl als Nahrungsmittel wie zur Ölgewinnung sehr gesucht sind.

Der Alte bog jetzt auf eine kleine Hochebene ab, die dicht mit Dornen-, Brombeer- und Wacholderbüschen bedeckt war. Aus dieser undurchdringlichen Wildnis ragten hier und da einzelne Felsblöcke und mächtige, uralte Buchen heraus. Jedenfalls schien es ganz unmöglich zu sein, in dieses stellenweise drei Meter hohe, eine in sich verwachsene Masse bildende Pflanzengewirr einzudringen. Und doch tat der Greis es, freilich auf eine Weise, die nur zu gut verriet, daß man dem Schlupfwinkel der Azteken nahegekommen war.

Eine am Rande dieser Wildnis vom Sturm entwurzelte Nußkiefer ragte, parallel zum Erdboden liegend und sich auf ihre Krone stützend, wie eine Brücke gut fünfzig Meter weit in das Gestrüpp hinein. Auf diesen Baum schwang sich der Alte, ging auf dem Stamm entlang und ließ sich dann an einem der letzten starken Äste in die üppig wuchernden Sträucher hinab, die ihn sofort den Blicken seines Verfolgers entzogen. Dieser wartete eine Weile, erkletterte dann gleichfalls die Kiefer und folgte dieser natürlichen Brücke bis an die Stelle hin, wo der Greis an dem Ast herabgeturnt war. Unterhalb dieses fand der kühne, junge Reporter nun einen in das Dickicht offenbar von Menschenhand eingeschnittenen Pfad, der in vielfachen Windungen auf eine durch Blitz ihrer Krone beraubte und von Feuer geschwärzte Buche zulief, die mitten auf einem kahlen Felshügel sich erhob. Nach einigem Suchen entdeckte Hans Reuter dann auch etwa drei Meter über dem Erdboden in dem zweifellos hohlen Stamm ein mächtiges Loch, zu dem er ohne besondere Mühe emporzusteigen vermochte. Von hier führte eine besondere Holzleiter innerhalb des eine enge Röhre bildenden Stammes nach unten. Und Reuter zögerte auch nicht einen Augenblick, dem Alten auch hier weiter zu folgen. Seine Büchse, die ihm nur hinderlich gewesen wäre, verbarg er unter dem Gestrüpp am Fuße der Buche und kletterte dann die Leiter abwärts. Bald umfing ihn tiefe Dunkelheit. Jetzt stand er, nachdem er seiner Schätzung nach gut fünf Meter hinuntergestiegen war, auf hartem Gestein. In der Ferne bemerkte er einen rötlichen Lichtschimmer, auf den er, jeden Fußbreit des Bodens vorher abtastend, langsam zustrebte. Dann merkte er, daß der Lichtschein nicht etwa stille stand, sondern auf ihn zukam. Nun unterschied er auch bereits die Gestalt des Greises, der mit einer brennenden Kienfackel in der Linken der hohlen Buche wieder zuschritt. Weiter sah Reuter jetzt, daß er sich in einem breiten, aber niedrigen Felsengange befand, der sich allmählich senkte und nach hinten zu in eine größere Höhle einzumünden schien.

Schnell legte er sich lang an die Wand des Ganges, hielt den Revolver schlagbereit und wartete, bis der Alte, der, von dem flackernden Schein der rauchenden Fackel geblendet, ihn kaum erblicken konnte, an ihm vorüber war. Dann ein Sprung, ein Schlag, und der Greis fiel Hans Reuter bewußtlos in die Arme. Nachdem dieser ihm mit dem Taschentuche die Hände gefesselt hatte, hob er die Fackel auf und betrachtete den Gegenstand, den der Greis in der anderen Hand getragen hatte. Es war eine eiserne Brechstange, die die Azteken wahrscheinlich den beim Bau des einsamen Hauses beschäftigten Maurern gestohlen hatten. Die Absicht des Greises, mit Hilfe dieses schweren Werkzeuges sich Zutritt zu dem verschlossenen Gebäude zu verschaffen, war klar zu durchschauen.

Der Alte kam sehr bald zur Besinnung, da Reuter mit nur geringer Kraft zugeschlagen hatte. Dieser zwang ihn aufzustehen und voranzugehen, wobei der Reporter ihn jedoch vorsichtigerweise an einem Arm festhielt. So gelangten sie nach kurzer Zeit in die Höhle, in der der Deutsche dann einen Lagerplatz mit einem offenen Herde und drei Grasbetten entdeckte. Hier fand er auch einige Lederriemen, die vollauf genügten, um dem Greise jeden Fluchtversuch unmöglich zu machen. Nun erst konnte er ungehindert die Felsgrotte weiter durchforschen. Hierbei gelangte er auch in eine kleinere Nebenhöhle, in der ein Feuer brannte, an dem zwei menschliche Gestalten hockten. Zu seinem größten Erstaunen sah er, vorsichtig näherschleichend, daß er Weiße vor sich hatte, eine Frau und einen Mann, beides ältere Leute, die sich in traurigster Verfassung zu befinden schienen.

Als er sie jetzt anrief, hoben sie kaum die Köpfe. Dann aber hatten sie den Europäer in ihm erkannt, schnellten empor und starrten ungläubig auf den schlanken, jungen Menschen, der so plötzlich vor ihnen aufgetaucht war.

Fragen und Antworten flogen hin und her, bis die beiden glücklich Befreiten vor innerer Aufregung laut zu weinen begannen. Aber es waren Tränen der Freude, die ihren Augen entrannen. – Der Mann faßte sich zuerst und berichtete nun seinem Retter kurz folgendes:

Sie waren ein Ehepaar, hießen Tomsen und standen seit vielen Jahren im Dienst der Familie Palwell, die zu den reichsten San Franziskos gehörte. Vor vier Jahren hatte der junge Palwell, das einzige Kind seiner Eltern, sich nach dem Tode dieser mit der bildschönen Tochter eines armen mexikanischen Farmers verheiratet. James Palwell liebte seine Gattin über alles. Doch das Glück dieser Ehe sollte nur von kurzer Dauer sein. Bald zeigten sich bei der jungen Frau die ersten Spuren beginnender Geistestrübung. Die Ärzte rieten James Palwell, seine Gattin rechtzeitig in einer Anstalt unterzubringen. da zu befürchten stände, die Krankheit könnte urplötzlich in bösartige Wutanfälle ausarten. Aber der vielfache Millionär vermochte sich nicht von seiner Frau zu trennen, bis bei einem Ausfluge nach Nordmexiko das Unglück eintrat: Frau Palwell schoß ohne jeden Grund drei indianische Diener mit ihrem Revolver nieder. – Die Sache wurde nach Möglichkeit vertuscht. Immerhin hatte sie jedoch zur Folge, daß Palwell den Entschluß faßte, seine unglückliche Frau auf der ihm gehörigen Insel Kazinta, die schon sein Vater zur Ausbeutung der Schwefelquellen erworben hatte, von aller Welt unter der Obhut des ihm treu ergebenen Ehepaares Tomsen abzuschließen. Nur auf diese Weise vermochte er die kalifornischen Behörden, die die gemeingefährliche Kranke einer Heilanstalt überweisen wollten, zur Änderung ihres Beschlusses zu bewegen. So entstand vor einem Jahre das einsame Haus, das dann von Frau Palwell und dem Ehepaar Tomsen bezogen wurde, während der Millionär jeden Monat einmal nach seiner Gattin sehen kommen wollte. Kaum aber waren die drei Personen allein in dem Gebäude, als auch schon ähnliche Nachstellungen unsichtbarer Feinde begannen, wie Hans Reuter sie durchgemacht hatte. Und schon vierzehn Tage nach der Abfahrt James Palwells und der letzten Arbeiter fiel dessen Frau dem Gifte einer heimtückisch in das Haus geschmuggelten Klapperschlange zum Opfer. Am Abend dieses Unglückstages aber wurde auch das Ehepaar von den drei Azteken überfallen und in die Höhle geschleppt, in der es nun über elf Monate hauste, stets streng bewacht von den Indianern, die einen grimmen Haß gegen alle Europäer zu hegen schienen. Gewiß – Tomsen hatte auch gelegentlich zu fliehen versucht, aber den Ausgang aus dem weitverzweigten Höhlenlabyrinth[4] nicht gefunden. Schließlich hatten die Ärmsten sich dann in ihr Schicksal ergeben. – –

Vieles, was Hans Reuter an seinem seltsamen Abenteuer unklar und dunkel erschienen war, hatte durch die Erzählung Tomsens eine Lösung gefunden. Der Hauptpunkt aber blieb unentwirrbar: weshalb James Palwell durch Vermittlung der Agenturenfirma den jungen Deutschen nach Kazinta geschickt hatte. – Dieser drängte jetzt zu schleuniger Rückkehr nach dem Hause, bevor noch die Nacht anbrach. Der greise Indianer mußte die Wanderung mitmachen. Wohlbehalten langte man in dem Gebäude an, wo Reuter und Tomsen dann sofort den großen Keller für die Aufnahme der drei Gefangenen herrichteten, indem sie die vorn am Eingang liegenden Bretter und Gartengeräte daraus entfernten und eine Menge Gras hineinwarfen, das den Azteken zur Lagerstätte dienen sollte. Nach diesen Vorbereitungen wurden die drei in die festen Gewölbe eingesperrt.

Jetzt, wo die unheimlichen Feinde unschädlich gemacht waren, durften die Bewohner des einsamen Hauses in Ruhe, auf der Veranda sitzend, den schönen Abend genießen. Frau Tomsen sorgte für eine gute Mahlzeit, und schnell verstrichen ein paar Stunden in lebhafter Unterhaltung, in deren Verlauf Reuter noch viele Einzelheiten über die Gefangenschaft des Ehepaares und den schrecklichen Tod der armen Frau Pawell erfuhr.

Dann, als man gerade zu Bett gehen wollte, drangen plötzlich aus dem großen Keller einige gellende Schreie hervor. Diese klangen so vernehmlich durch die stille Nacht, daß Frau Tomsen jäh erblaßte.

Gleich darauf eilten Tomsen und der junge Deutsche, jeder mit einer der Schußwaffen in der Hand, um das Haus herum nach der unter der Hintertreppe befindlichen Kellertür.

Jetzt wieder ein Schrei, wie ihn nur ein Mensch in höchster Todesnot ausstößt. – Hans Reuter wollte die Tür, die sie durch vorgenagelte Bretterstützen doppelt gesichert hatten, öffnen. Aber sein Begleiter riet entschieden davon ab. Er traute der Heimtücke der Azteken nicht, die vielleicht die beiden Weißen nur dazu bewegen wollten, ihnen Gelegenheit zur Flucht zu geben, wie er wiederholt erklärte.

So blieb denn die Tür verschlossen. Und, da sich dahinter nichts mehr regte, begaben sich die drei nun wirklich zur Ruhe. Ein ungestörter Schlaf war ihnen beschieden, und der Morgen fand sie dann wieder auf der Veranda bei einem Trunk köstlich duftenden Kaffees vereint.

Bei der Erörterung der Frage, wie man die Gefangenen ernähren solle, meinte Tomsen, daß es vollständig genüge, wenn man ihnen durch eines der engen Luftlöcher, dessen Blecheinsatz man entfernen könne, Zapfen der Nußkiefer, kalifornische Manna der Zuckerkiefer und Wasser hineinreiche. An andere Nahrung seien die Indianer ohnehin nicht gewöhnt.

Die Versorgung der Azteken, die sich in ihrem Kerker jetzt völlig ruhig verhielten, geschah denn auch in der von Tomsen vorgeschlagenen Art. Aber merkwürdigerweise vergingen drei Tage, und die Gefangenen hatten von den Nahrungsmitteln, die ihnen in den Luftschacht hineingelegt wurden, noch nicht das geringste weggenommen.

Auch Tomsen beunruhigte dies etwas. Am Morgen des vierten Tages, als abermals der ganze Vorrat unberührt dalag, rief Tomsen daher durch den Schacht die Namen der drei Azteken, die er während seiner eigenen Haft in der Grotte aussprechen gelernt hatte, in den Keller hinein. Niemand meldete sich. – Mittags wiederholte man diese Anrufe mit dem gleichen Mißerfolg.

Das kam Reuter verdächtig vor. Vielleicht hatten die Indianer doch irgendwo einen Ausgang aus ihrem Gefängnis gefunden. Jedenfalls mußte die Sache schleunigst aufgeklärt werden.

Unter Vorsichtsmaßregeln, die eine Überrumpelung durch die hinterlistigen Feinde unmöglich machten, wurde gleich nach dem Mittagessen die Kellertür geöffnet. Aber entsetzt prallten Tomsen und der junge Deutsche bei dem Anblick zurück, den das durch die Tür einfallende Tageslicht ihnen enthüllte.

Starr und steif lagen die Azteken mit aufgedunsenen Leibern und Gesichtern dicht hinter der Tür. – Wie sich bald herausstellte, waren sie ihrer eigenen Heimtücke zum Opfer gefallen. Alle Räume des Hauses hatte der junge Reporter damals nach Schlangen durchsucht. Nur an den großen Keller hatte er nicht gedacht. Und doch hatten seine Feinde auch in diesen drei Ottern hineingebracht, denen sie nun, in denselben Keller als Gefangene eingesperrt, selbst ihren Tod zu danken hatten. – Jetzt wußte man auch über die gellenden Angstschreie Bescheid: die Azteken hatten sie ausgestoßen, als die Klapperschlangen, in der Dunkelheit der Gewölbe ausgehungert auf Raub ausgehend, auf die Indianer stießen und ihre Giftzähne in deren Beine einschlugen. – –

Die Toten wurden schleunigst weit ab von dem Hause verscharrt. Nun erst konnte man ohne jede Sorge die Schönheiten des Eilandes auf Ausflügen nach allen seinen Teilen hin genießen, nun erst wurde dieses Abenteuer für Hans Reuter das, was er nie zu hoffen gewagt hatte, – eine wirkliche Sommerfrische. Frau Tomsen war eine vorzügliche Köchin, die stets die wohlschmeckendsten Gerichte auf den Tisch brachte, während ihr Mann und der junge Deutsche häufig genug als Jäger und Angler die Küche mit frischem Fleische und Fischen versahen.

Von jagdbaren Tieren gab es auf der Insel außer wilden Tauben, Rebhühnern und Enten auch Wildschafe, die in Nieder-Kalifornien, der großen Halbinsel zwischen dem Golf von Kalifornien und dem Stillen Ozean, sehr häufig sind und ihrer Wolle und ihres Fleisches wegen sehr geschätzt werden. An Raubtieren stellte man mit der Zeit die Seeotter, die in vielen Exemplaren die Ufer der Bucht bewohnte, ferner das Katzenfrett und den amerikanischen Luchs fest, – leider aber auch eine Unmenge von Klapperschlangen.

Die Tage verstrichen den Bewohnern der Kazinta-Insel in ungestörter Harmonie. Seiner Verpflichtung gemäß führte Hans Reuter die Aufzeichnung seiner Erlebnisse weiter, obwohl es kaum noch etwas Aufregendes niederzuschreiben gab. – So vergingen sechs Wochen. Dann beschlossen Tomsen und der junge Deutsche, einmal jenes Höhlengebiet genauer zu erforschen, das den Schlupfwinkel der Azteken gebildet hatte. Ausgerüstet mit einer ganzen Menge von Harzfackeln, Stricken und einer zusammenklappbaren Leiter, die Tomsen gezimmert hatte, brachen sie eines Morgens nach dem Südteil der Insel auf, überschritten auf der Baumbrücke das undurchdringliche Gestrüpp und kletterten in die hohle Buche hinab, die den Eingang zu den Felsengrotten darstellte.

Diese erstreckten sich, untereinander durch teilweise schwer passierbare Spalten verbunden, von Norden nach Süden in einer Ausdehnung von vielleicht einer halben Meile unter der Insel hin. Die Luft in diesen unterirdischen Räumen war außerordentlich trocken, dabei aber so frisch, daß die Höhlen notwendig auch andere Ausgänge haben mußten, die den Luftwechsel begünstigten. Bei der Suche nach weiteren Zugängen stießen die beiden Gefährten dann auf eine lange, schmale Seitengrotte, in der sie gegen dreißig in hockender Stellung am Boden sitzende und gegen die Wand angelehnte Mumien von Azteken fanden, deren Körper, wie Reuter feststellte, nicht etwa einbalsamiert, wie dies die alten Ägypter taten, sondern lediglich infolge der trockenen Luft völlig ausgedörrt waren. Auch im sog. Bleikeller des Doms zu Bremen verwesen Leichen aus demselben Grunde nicht, trocknen vielmehr zu Mumien zusammen.

Und hier entdeckte Tomsen auch die Leiche seiner unglücklichen Herrin, der schönen Frau Palwell – ebenfalls als Mumie noch mit denselben Kleidern angetan, die sie am Tage ihres Todes getragen hatte. – Aber noch mehr fanden die beiden Männer in dieser Nebengrotte, zu der sie mühsam mit Hilfe der Leiter emporgeklettert waren. Ganz im Hintergrunde stand ein Götzenbild aus Ton, den altmexikanischen Feuergott Ixcozauhqui[5] darstellend. Um den Sockel der Figur aber waren lederne Säcke aufgehäuft, neun an der Zahl, deren Inhalt Tomsen und den Deutschen längere Zeit fast zu leblosen Körpern erstarren ließ: goldene Geräte aller Art, prunkvoller Schmuck, edelsteinbesetzte Kriegskeulen und Schwerter waren es, die hier verborgen lagen. Ein ganzer Schatz von sicher bedeutendem Werte funkelte und gleißte im Lichte der Fackelglut. – –

Frau Tomsen wollte den beiden Höhlenforschern ihre Schilderung des reichen Fundes erst gar nicht glauben, bis man sie dann mit in die Höhle nahm und ihr all die Kostbarkeiten zeigte, die die Anwesenheit der drei Azteken auf der Insel ebenso wie ihr feindseliges Verhalten gegenüber den verschiedenen Bewohnern des einsamen Hauses genügend erklärten. Ohne Zweifel hatte sich schon vor längerer Zeit eine Anzahl Azteken auf dieses Eiland mit den wohlbehüteten Schätzen ihrer Ahnen geflüchtet und war dann allmählich weggestorben, bis nur noch drei übrig blieben. Die Toten wurden, wie dies sowohl bei den alten Mexikanern als auch den Bewohnern Perus Sitte war, nicht beerdigt, sondern man ließ sie zu Mumien zusammentrocknen. Mithin war es nur die Angst vor einer Entdeckung ihrer Kostbarkeiten gewesen, die die drei letzten Azteken dazu veranlaßt hatte, jedes Mittel aufzubieten, um die Weißen wieder von der Insel zu vertreiben. – Jetzt konnte sich Hans Reuter auch schon zusammenreimen, weshalb der Millionär Palwell ihn durch die gute Belohnung zu diesem dreimonatigen Aufenthalt auf dem Eiland bestimmt hatte.

Als James Palwell sich dann wirklich pünktlich nach Ablauf der vereinbarten Zeit mit dem Motorkutter einfand, um den Robinson persönlich abzuholen, bestätigte er die Ansicht, die der junge Reporter über die Gründe dieses ganzen Abenteuers sich gebildet hatte, in jedem einzelnen Punkte.

Er hatte bei seinem ersten Besuche, den er seiner armen, auf Kazinta zurückgelassenen Gattin abstatten wollte, das Haus leer gefunden. Alle Türschlüssel waren abgezogen, und so eifrig er und seine Begleiter auch nach den drei Verschwundenen suchten, sie entdeckten nicht die geringste Spur von ihnen. Dann hatte das unheimliche Spiel mit den Klapperschlangen, die wie von Geisterhänden in das Haus hineingetragen wurden, begonnen. Zwei Diener Palwells starben an den giftigen Bissen, er selbst entging nur wie durch ein Wunder dem Tode. Seine Leute, die von abergläubischem Entsetzen gepackt waren, zwangen ihn schon nach einer Woche, die Insel zu verlassen. Drei Monate später kehrte er mit anderen gutbezahlten Begleitern zurück, um die Suche nach seiner Gattin und dem Ehepaare Tomsen wieder aufzunehmen. Abermals ereigneten sich die geheimnisvollen Vorfälle, abermals war man seines Lebens vor den Giftschlangen keine Minute sicher, abermals kostete der Aufenthalt auf der Insel drei Leuten das Leben, und man mußte unverrichteter Sache auch dieses Mal fluchtartig abfahren. Da beschloß Palwell, durch die Zeitung einen beherzten, vorurteilsfreien, abenteuerlustigen Mann aufzutreiben, der den Geheimnissen der Insel nachspüren sollte, ohne daß man ihn vorher auf die Gefahren, die ihm drohten, im einzelnen aufmerksam zu machen brauchte, da sich sonst wohl niemand dazu hergegeben hätte. Von Zeit zu Zeit rückte er jene Anzeige in die Blätter ein. Aber alle Bewerber, die sich meldeten, erschienen durchaus ungeeignet, bis der mit dem Millionär befreundete Agent schließlich in der Person Hans Reuters den rechten Mann gefunden zu haben glaubte. Daß er sich hierin nicht getäuscht hatte, zeigte die weitere Entwicklung der Dinge. – –

Palwell brachte die Mumie seiner Gattin und die Schätze der Azteken wohlbehalten nach San Franzisko, wo die altertümlichen Kostbarkeiten von der Regierung für das Völkermuseum angekauft wurden. Den Erlös teilten sich Tomsen und der junge Deutsche –, die auf diese Weise zu großer Wohlhabenheit gelangten, zumal der Millionär beide ebenfalls aufs freigebigste beschenkte. – –

Das einsame Haus auf Kazinta wird heute von einem Chemiker bewohnt, der mit Hilfe einer Anzahl von Arbeitern die Schwefellager im Südteile der Insel ausbeutet.

 

Ende.

 

Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

 

Verlagswerbung:

 

Urteile maßgebender Personen über die „Erlebnisse einsamer Menschen“.

Herr Prof. Dr. V. in M. schreibt:

„… Ich halte sie für durchaus geeignet, den weitesten Kreisen des Volkes, besonders auch der Jugend, in die Hand gegeben zu werden … Die Erzählungen sind auch sehr geeignet, die Charakterbildung der Kinder günstig zu beeinflussen …“

Herr Pfarrer und Ortsschulinspektor H. in B.:

„… Der Inhalt, völlig einwandfrei, ist geeignet, die Persönlichkeit namentlich der jugendlichen Leser zu selbständiger, ernster Betätigung anzuregen und die Lebensanschauung sittlich zu heben und zu fördern. Ich würde daher die Hefte ohne Bedenken der hiesigen Jugend- und Volksbibliothek einverleiben.“

Herr Rechtsanwalt H. in F.:

„… Die von mir gelesenen Robinsonaden stellen meines Erachtens eine durchaus einwandfreie Lektüre dar, die man getrost der Jugend in die Hand geben kann. Sie haben noch den Vorteil, reichlich belehrenden Stoff zu bringen …“

Herr Direktor G. in W.:

„… Sie sind unterhaltend und belehrend. Der richtige Lesestoff in der Hand der ernstgerichteten Jugend.“

Herr Lehrer B. in B.:

„Die mir zur Beurteilung übersandten Bändchen sind eine einwandfreie Unterhaltungslektüre für Knaben von 12 Jahren an.“

Herr Landrichter V. in B., früher Untersuchungsrichter in S.:

„… Die Erzählungen habe ich mit großem Interesse gelesen. Als Unterhaltungsschriften für die Heimat sowohl als auch für das Feld würde ich die billigen und dabei guten Heftchen empfehlen können …“

 

 

Anmerkungen:

  1. In der Vorlage steht: „300 Dollar“, im weiteren Verlauf der Erzählung ist aber immer von „3000 Dollar“ die Rede. Daher geändert auf „3000 Dollar“.
  2. Fehlendes Wort „wo“ ergänzt.
  3. Siehe auch Wikipedia: Mammutbäume.
  4. In der Vorlage steht: „Höhlenlabirinth“.
  5. In der Vorlage steht: „Ixcozaukqui“, siehe auch Wikipedia: Xiuhtecuhtli.