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Ein Aufklärungsflug

 

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

(Nachdruck, auch im Auszuge, verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 14. 1916.)

 

Ein Aufklärungsflug.

 

W. Belka.

 

1. Kapitel.

Über dem Mittelländischen Meere.

Als der blutjunge, schmale Unteroffizier damals zur Fliegerschule nach Gotha auf sein eingehend begründetes Gesuch hin abkommandiert wurde, empfing man ihn bei seiner neuen Truppe, die so stolz das Fliegerabzeichen auf den Achselklappen trägt, mit vorwurfsvollem Kopfschütteln.

Ein so schwächliches Kerlchen, das noch vor einem halben Jahre die Schulbank gedrückt hatte, Flugzeugführer …?! Das war ja ein Unding!! – Dieser Dienst erforderte einen anderen Körper, der eben allen Anstrengungen, aber auch allen, gewachsen war.

Freilich – Fritz Krastka hatte es als Kriegsfreiwilliger in fünf Monaten nicht nur zum Unteroffizier gebracht, sondern trug auch schon trotz seiner eben erst vollendeten achtzehn Jahre das Eiserne Erster auf der Brust. Also mußte er doch wohl etwas leisten, wenn’s drauf ankam.

Und das war in der Tat der Fall, wie die Offiziere, die „das Kerlchen“ – so hieß er bald allgemein – in Gotha ausbildeten, sehr schnell merkten. Dieser schlanke junge Mensch mit dem rosigen Kindergesicht, in dem doch um den Mund bereits zwei tief eingeschnittene Falten bewußter Willenskraft lagen, besaß alle die Eigenschaften, die gerade von dem Flugzeugführer verlangt werden, in einem Maße, wie ihm dies auf den ersten Blick niemand zutrauen konnte: einen durch Sport trainierten Körper, tadellose Augen, Entschlossenheit, leichte Auffassungsgabe, frischen Draufgängermut, der beinahe etwas zu sehr nach der Seite Tollkühnheit ausschlug, und jene Geistesgegenwart, die sozusagen angeboren sein muß und die wieder aus einer Summe von verschiedenen besonderen Eigenschaften sich zusammensetzt.

Nach acht Wochen war das „Kerlchen“ einer der besten Flieger in Gotha. Niemals hatte er „Bruch“ gemacht, d. h. eine Maschine „zu Kleinholz gefahren“, niemals eine Notlandung vornehmen müssen.

Dann wurden für die Türkei erstklassige Flugzeugführer und Beobachter gesucht. Fritz Krastka meldete sich, da er gerade auch das zweite Examen theoretisch und praktisch vorzüglich bestanden hatte, und – wurde genommen.

Drei Tage Urlaub noch nach Hause zu den Eltern, um Abschied zu nehmen. Dann brachte der Orientexpreß das neu zusammengestellte Kommando durch den Balkan nach der Türkei, nach Asien. Beirut, die Hafenstadt am Mittelländischen Meere zu Füßen des berühmten Libanon-Gebirges, war das Endziel.

Hier war bereits seit kurzem durch deutsche Energie und Arbeit ein Flugplatz entstanden, erhoben sich niedrige, lange Schuppen, in denen ein Dutzend Maschinen stand.

Das „Kerlchen“ blieb mit dem ihm bereits von Gotha her bekannten Beobachter Leutnant Martens bis auf weiteres in Beirut.

Ende Juli waren sie hier eingetroffen, und am Morgen des 4. August 1915 startete der von dem inzwischen zum Vizefeldwebel beförderten Kriegsfreiwilligen gelenkte Doppeldecker zum erstenmal zu einem Fluge über das Mittelländische Meer, um festzustellen, ob englische Seestreitkräfte in der Nähe seien.

Beobachter war Leutnant Martens, der sich niemandem lieber als gerade dem „Kerlchen“ anvertraute. Martens, selbst erst zweiundzwanzig Jahre alt, packte soeben ein Dutzend Bomben unter seinen Sitz in den mit zwei kahnähnlichen Schwimmkörpern versehenen Doppeldecker, der daher gleichzeitig als Wasserflugzeug benutzt werden konnte.

In der Nähe ritten die Bedienungsmannschaften hin und her, und etwas abseits stand das „Kerlchen“ mit einem deutschsprechenden türkischen Major, der dem jungen Deutschen auf einer Karte den Kurs zeigte, den er einschlagen sollte.

„Also genau auf die Nordostspitze von Zypern, auf Kap St. Andreas zu“, sagte der Major. „Wir vermuten, daß sich dort eine feindliche Transportflotte irgendwo aufhält, und müssen herausbekommen, welche Bestimmung sie hat.“ –

Fritz Krastka maß jetzt mit dem Kilometermesser die Entfernungen nach.

„Das dürften für Hin- und Rückflug so einige vierhundert Kilometer werden, Herr Major. Da muß ich noch mehr Benzin mitnehmen. Und wegen dieser stärkeren Belastung kann ich das Maschinengewehr dem Doppeldecker nicht auch noch zumuten. Es muß hier bleiben.“

Er gab die nötigen Befehle, ließ aber anstatt der „Kaffeemühle“, wie der Kunstausdruck für die knatternden Maschinengewehre lautet, zwei Karabiner nebst einigen fünfzig Patronen im Flugzeug verstauen. Dann sah er nochmals alles genau nach, prüfte den Motor, die Spanndrähte, die Steuerung, schlüpfte schließlich in die Lederjacke und setzte den Fliegerhelm und die -brille auf.

Inzwischen hatte der Major auch Martens nochmals genau über die zu lösende Aufgabe unterrichtet. Und zwei Minuten später rollte der Doppeldecker an und erhob sich langsam in die Lüfte, um sofort in größere Höhen zu gehen. Schnell verschwanden die weißen Häuser und grünen Haine von Beirut. Unter den Fliegern dehnte sich das leicht bewegte Mittelmeer aus, und über ihnen am durchsichtig klaren Himmel stand die Morgensonne in leuchtender Pracht, segelten einzelne kleine Wölkchen mit dem Winde von Ost nach West.

Der Motor zog tadellos. Kerlchens geschulte Ohren vernahmen mit Genugtuung die gleichmäßige Musik der acht Zylinder.

Höher und höher kletterte die starke, große Maschine. Martens suchte, nach rechts sich über den Rand der Gondel beugend, von Zeit zu Zeit mit seinem vorzüglichen Prismenglas das Meer ab.

Ein Dampfer kam in Sicht, – Kurs nach Alexandria in Ägypten offenbar. – Den Burschen mußte man sich doch mal genauer ansehen. Wozu schleppte man denn die Bomben mit?!

Der Leutnant warf schnell ein paar Worte auf den Notizblock und reichte den Zettel dem Führer nach vorn.

Fritz Krastka nickte zum Zeichen des Einverständnisses, gab Tiefensteuer, und langsam ging’s im Gleitfluge auf den Dampfer zu abwärts.

Martens hatte bald die italienische Flagge erkannt, sah auf Deck ein Gewimmel von Menschen, auf dem Vorschiff, dicht zusammengedrängt, dunkle Tierleiber – Pferde! Also ein Transportschiff ohne Frage, vielleicht mit einem Kavallerieregiment unterwegs nach Ägypten – Kavallerie oder Artillerie. – Ja – es war ein Transporter. Jetzt erkannte er auch die Uniformen, die Tropenhelme.

Wieder wanderte ein Zettel nach vorn, wieder nickte „das Kerlchen“ eifrig.

Noch tiefer ging’s … Da blitzte es unten von Deck des Dampfers auf, und weit vor dem Doppeldecker erschien gleich darauf ein weißes Wölkchen in der Luft: Schrapnell!

Die Italianos hatten die schwarzen Kreuze auf den unteren Tragflächen erkannt und begannen zu feuern! Mochten sie! Schießen und Treffen ist zweierlei!

Jetzt war man noch einige dreihundert Meter vor dem Dampfer, über den Fritz Krastka der Länge nach hinwegsteuern wollte. Der lief jetzt plötzlich aus Angst vor bitteren Pillen Zickzack-Kurs. – Sollte ihm nicht viel helfen.

Obwohl die Schrapnellwölkchen sich mehrten, obwohl jetzt auch noch ein Hagelschauer von Kugeln den Doppeldecker umpfiff, senkte der sich immer mehr. – Nun war der Augenblick gekommen. Hintereinander ließ Martens drei Bomben fallen. Sie beschrieben nach vorn gebogene Kurven; die erste ging fehl. Aber die beiden anderen saßen im Ziel.

Zwei dumpfe Krache, die selbst das Rattern des Motors und den Lärm des Propellers übertönten, – zwei aufzuckende gelbliche Wolken auf Deck des Schiffes bewiesen, daß die Pillen gut eingegeben waren.

Das Deck des Italieners war plötzlich menschenleer. Nur ein paar zerfetzte Leichen lagen noch umher. Und die Pferde im Vorschiff drängten wild durcheinander, rissen sich los und jagten bald hierhin, bald dorthin.

„Kerlchen“ hatte den Doppeldecker schon in scharfem Bogen kehrt machen lassen. Noch tiefer hinab …! Die Sache war ja jetzt ungefährlich. Dann wieder zwei Bomben. Der Schornstein sank nach der einen Seite um, und in der Kommandobrücke klaffte ein Loch. Abermals eine Pille … Nun hatte der verräterische einstige Bundesgenosse genug. Genau auf die Schornsteinöffnung war sie aufgeschlagen und im Innern explodiert. Dicker Qualm hüllte den Dampfer ein, Feuerzungen leckten hoch.

Die nächste Bombe gab dem Italiener den Rest. Reling und ein Stück der Bordwand des Hinterschiffes auf Steuerbord gingen zum Teufel. Immer schräger lag das Schiff, dessen Maschine längst zu arbeiten aufgehört hatte. Es mußte ein ordentliches Leck entstanden sein, und – das weitere konnte man dem Meere überlassen. Von den Rettungsbooten war wohl kaum noch eins unbeschädigt geblieben.

Stolz zog der Doppeldecker davon. Und hinter ihm versank der „König Viktor Emanuel“ in den Fluten. (Eine Woche später meldete Reuter, diese Piraten, diese verabscheuungswürdigen deutschen U-Boote hatten im Mittelmeer wieder ohne Warnung einen harmlosen italienischen Passagierdampfer versenkt, wobei auch drei Amerikaner, zwei Norweger und fünfzehn griechische Untertanen den Tod gefunden hätten!!!) – –

Die Insel Zypern kam in Sicht. Deutlich waren die beiden von Osten nach Westen verlaufenden Gebirgsketten zu erkennen, von denen sich wieder die höchste Erhebung, der Monte Croce, der Olymp der Alten, scharf abhob. Dazwischen zog sich das Silberband des Pedia, des Hauptstromes der Insel, entlang, zeigten grüne Flecken in allen Schattierungen Wälder, Felder und Wiesen an.

Wieder hatte Martens das Glas an den Augen. Er suchte die Südküste ab. Aber die Luft war nicht mehr so klar wie vorher. Die Sonne hatte sich versteckt, Nebelschleier kamen mit dem Winde herangeschlichen …

Trotzdem – dort in jener tief einschneidenden Bucht – das waren Schiffe – eine ganze Menge. – Abermals ein Zettel für „das Kerlchen“, dann steuerte das Flugzeug auf die Bucht zu.

Ah – zehn Transportschiffe, vier Kreuzer und ein gutes Dutzend Torpedoboote …! Also hatte der türkische Major doch recht gehabt.

Bald begann’s höllisch ungemütlich zu werden. Die Schrapnellwölkchen pufften immer zahlreicher auf. Aber Martens wollte auch die letzten Bomben noch loswerden.

Es kam nicht dazu.

Plötzlich war’s, als habe eine Riesenfaust von oben dem Doppeldecker einen Stoß versetzt. Er sauste einige fünfzig Meter abwärts, und nur Fritz Krastkas Geistesgegenwart rettete den Apparat vor einem jähen Sturz ins Meer.

Der hellgraue Vogel empfahl sich jetzt. Es war doch ratsamer, umzukehren, ehe die Geschichte ganz schief ging. Hatten doch die Tragflächen von dem genau über ihnen explodierenden Schrapnell ein paar böse Löcher abbekommen, und waren doch auch ein paar Spanndrähte gerissen.

Doch der Feind feuerte wie wahnsinnig hinter dem abziehenden Deutschen drein. „Kerlchen“ gab Höhensteuer, und eigentlich hätte der brave Apparat ganz schnell steigen müssen. Er tat’s aber nicht. Das Schrapnell war ihm schlecht bekommen.

Dann – wieder ein Schlag von oben, wieder der beängstigende Sturz in die Tiefe … Aber dieses Mal hatte der Motor daran glauben müssen. Seine Tourenzahl nahm immer mehr ab, und Fritz Krastka sah ein, daß … sie die Partie verspielt hatten. In flachem Gleitflug mußte er niedergehen – hinein in eine dicke Nebelwand, die jetzt die See verhüllte und bald auch den Feind erreicht haben mußte, der sicherlich seine Torpedoboote ausschickte, um das lahmgeschossene Flugzeug einzufangen.

„Kerlchen“ war dem Nebel außerordentlich dankbar. Da konnten die Brüder da drüben lange suchen, ehe sie den Doppeldecker fanden, der sich inzwischen vielleicht wieder zurechtflicken ließ – vielleicht …

 

2. Kapitel.

Auf Naxara.

Südöstlich des langen Landstreifens, den Zypern wie ein Horn gegen die asiatische Küste nach Nordost ausstreckt, liegt eine winzige Insel, die sich nur in Seekarten großen Maßstabes eingezeichnet findet. Sie heißt Naxara, ein Name, der noch aus jener Zeit herrührt, wo das alte Griechenland weit über seine heutigen Grenzen hinaus Kolonien besaß. Auch Zypern gehörte einst den Hellenen, hat häufig den Herrn gewechselt, bis dann England seine gierige Hand auch nach dieser reichen Insel ausstreckte, die der berühmte englische König Löwenherz schon einmal im Jahre 1191 erobert und den Tempelrittern für 25 000 Silberlinge verkauft hatte.

Naxara ist vulkanischen Ursprungs und eigentlich nichts weiter als ein riesiger, schroff aus dem Meere aufsteigender Fels, der, an der Südseite durch die Naturmächte gespalten, nach der Mitte zu wie eine Schüssel ausgehöhlt erscheint und hier eine reiche Vegetation auf dem zermürbten Steinboden angesetzt hat, die durch uralte Guanoschichten (Vogeldünger) aufs günstigste beeinflußt wird.

Ihr Durchmesser mag bei ziemlich runder Gestalt vielleicht anderthalb Kilometer betragen. Das ganze Innere ist mit einem üppigen Walde von Zedern, Zypressen, Kastanien, Buchen und Eichen bedeckt. In den kleinen Lichtungen wieder gedeihen Johannisbrotsträucher, wilder Tabak, Apfelsinen- und Zitronenbäume.

Trotzdem ist dieses Eiland seit Jahren unbewohnt. Früher diente es als Leprastation, das heißt, England schaffte von Zypern alle mit Aussatz behafteten Personen dorthin. Nachdem die Lepra infolge dieser strengen Maßnahmen auf Zypern erloschen war, wurde die Insel, als dort der letzte Aussätzige gestorben war, für zehn Jahre der Ansteckungsgefahr wegen gesperrt. Das Betreten von Naxara war aufs strengste verboten, und englische Polizeidampfer sorgten durch häufige Patrouillenfahrten dafür, daß dieser Befehl nicht umgangen wurde. Bei Beginn des Weltkrieges hörte diese Überwachung zwar auf, dafür wurde aber später der einzige Zugang zu dem Eiland von Süden her durch Minen gesperrt, damit dort nicht etwa deutsche oder österreichische Unterseeboote in der kleinen, geschützten Bucht, die von der die Felsmassen durchziehenden Spalte gebildet wurde, einen Stützpunkt fänden. – –

Fritz Krastka wollte sich also mit dem beschädigten Doppeldecker auf die See niederlassen. Um jedoch die Verfolger hinsichtlich der Richtung zu täuschen, in der das Flugzeug zu suchen war, beschrieb er, sobald die Nebelschicht erreicht war, einen scharfen Bogen nach rechts und ging dann in flachem Gleitflug abwärts. In den tieferen Schichten war der Nebel jedoch so dicht, daß er zu spät wahrnahm, daß sich unter ihm die Kronen eines ausgedehnten Waldes plötzlich befanden.

Kurz entschlossen ließ er, nachdem er Martens warnend zugewinkt hatte, den Doppeldecker gerade in den Wipfeln eines Kastanienhaines landen.

Rauschend und splitternd nahmen die Zweige den Riesenvogel verhältnismäßig sanft auf. Noch ein paar Rucke, dann lag er regungslos zwischen den Ästen festgekeilt, ohne daß die beiden Flieger irgend welchen Schaden erlitten hätten. Vollständig heil waren sie davongekommen, zu ihrer eigenen Überraschung.

„Das heißt Dusel haben!“ meinte Martens lachend, um dann schnell wieder ernst werdend hinzuzufügen: „Wo wir uns wohl befinden mögen? Auf Zypern – das ist doch ausgeschlossen.“

„Allerdings, Herr Leutnant. Es kann daher nur das Inselchen sein, welches wir auf der Hinfahrt links von uns liegen ließen. Die Karte wird ja darüber Aufschluß geben, ob es dieses Eiland sein kann.“

„Sehr richtig, Kerlchen. – Aber, was fangen wir jetzt zunächst an? – Daß die Bande wie eine Meute Hunde mit ihren Torpedobooten hinter uns her ist, darauf nehme ich jede beliebige Dosis Strychnin. Es dürfte sich also empfehlen, daß wir schleunigst unsere gestrandete Luftkutsche verlassen, auf den Erdboden hinabkrabbeln und uns so dünne wie möglich machen, d. h. uns irgendwo verkriechen, bis die Herren Feinde wieder abgezogen sind, denn – in Gefangenschaft zu geraten, dazu haben wir beide wohl nicht viel Lust.“

Auch hier zwischen den Bäumen hing der Nebel in dicken Schwaden. Als die beiden Flieger auf der Erde angelangt waren, vermochten sie von ihrem Doppeldecker nichts mehr zu erspähen. Die grauen, feuchten Schleier hüllten die Baumkronen vollständig ein.

Auf der Suche nach einem sicheren Versteck gerieten Martens und Krastka zufällig an die Bucht, hörten vor sich die See rauschen und gingen bis zum Strande hinab, wo sie eine verfallene kleine Landungsbrücke entdeckten, von deren Geländer jetzt kreischend eine Menge Möwen aufflog.

Kaum zehn Schritte weit vermochte man zu sehen. Aber das Gehör verriet jetzt den beiden Kameraden, daß ein Dampfer sich in langsamer Fahrt nähere. Das Stampfen von Schiffsmaschinen durchdrang selbst diese dichten, ziehenden Massen von feinen Wasserteilchen.

Plötzlich verstummte das Geräusch. Eine ganze Weile blieb es still. Nur das leise Brandungsgeräusch erklang weiter wie ein unaufhörliches Brausen eines unsichtbaren Wasserfalles.

Der Leutnant wandte sich wieder dem Inneren zu.

„Vorwärts, Kerlchen, verduften wir von hier! Die Sache wird windig …!“

Also ging’s eilig auf gut Glück zurück in den Wald.

Nach einigen Minuten meinte Fritz Krastka dann, indem er auf eine uralte Buche deutete, an der sie gerade vorübergingen:

„Wär’s nicht am einfachsten, wir stiegen auf diesen Baum, Herr Leutnant? Dort oben in dem Astgewirr dürften wir kaum bemerkt werden, selbst wenn der Nebel sich verzieht.“

Martens war sofort einverstanden.

In dem dichten Laube verborgen warteten sie volle zwei Stunden. Nichts regte sich. Es war jetzt elf Uhr vormittags. Auch der Nebel wurde lichter und lichter. Dann brach die Sonne durch, die schon eine Zeitlang sich hinter den feuchten Schleiern wie ein heller, rötlicher Fleck abgezeichnet hatte.

„Kerlchen“ bemerkte jetzt nicht allzu weit entfernt einen wahren Riesen von Eiche, der alle anderen Bäume um ein beträchtliches überragte. Diese Eiche wollte er erklettern und Ausschau halten.

Martens meinte, er solle ja recht vorsichtig sein. Man könne nicht wissen, ob der Feind nicht Leute gelandet habe, die sich bis jetzt absichtlich ruhig verhalten hätten, um die beiden Flieger, falls diese sich hier befänden, aus ihrem Versteck herauszulocken.

Aber Fritz Krastka vermochte auch aus der Krone der Eiche nichts Verdächtiges zu erspähen. Nach Süden zu erblickte er in der Öffnung der Randhöhen, die diesen weiten Wald einschlossen, die Bucht und die verfallene Anlegebrücke, dahinter die jetzt nebelfreie Fläche des Mittelländischen Meeres, von dem er ein erhebliches Stück überschauen konnte. In der Ferne aber erkannte er vier Torpedoboote, die in weitem Halbkreis die See offenbar nach irgend etwas absuchten. Aus ihren Bewegungen ging dies deutlich hervor. Dann näherten sich die zu einer Linie auseinandergezogenen Kriegsfahrzeuge der Bucht, verschwanden hinter den Randbergen, die dem jungen Kriegsfreiwilligen die weitere Aussicht versperrten, tauchten wieder auf, kamen bis auf dreihundert Meter an den kleinen natürlichen Hafen heran und dampften nach fünf Minuten, nunmehr in vollster Fahrt, nach Norden, also auf Zypern zu, davon.

Wieder eine Stunde später hatten die beiden Deutschen die Überzeugung gewonnen, daß sie nichts mehr zu fürchten brauchten, verließen den Wald und erklommen unter Vermeidung jeglichen Geräusches und mit den schußfertigen Karabinern in der Hand, die sie bisher umgehängt getragen hatten, die nördlichen Uferberge, die sich bis zu zweihundert Meter Höhe stellenweise auftürmten und nach beiden Seiten zu, nach dem Meere und dem Inneren, in hohen, zerklüfteten Terrassen abfielen.

Von dem höchsten Gipfel aus erblickten sie im Norden am Horizont einen dunklen Strich – Zypern. Die Hauptsache aber: sie sahen jetzt, daß sie sich wirklich auf einer Insel befanden und daß das Meer ringsum frei von Schiffen war.

Dies letztere beruhigte sie sehr, wenn sie sich auch nicht erklären konnten, weshalb der Feind keine Abteilung zum Durchsuchen der Insel gelandet hatte.

Martens zog nun auch die ihm mitgegebene Seekarte, die den östlichsten Teil des Mittelmeeres und die Küstenstriche, auch die Insel Zypern noch, darstellte, zu Rate, fand hier die kleine Insel Naxara mit eingezeichnet und daneben, offenbar von der Hand eines deutschen, zu den türkischen Streitkräften kommandierten Generalstabsoffiziers eingetragen, die vielsagende Bemerkung: „Unbewohnt. Einzige Einfahrt von Süden durch Minen von England gesperrt.“ Dahinter noch in Chiffreschrift einige ihm unverständliche Worte.

Jetzt war dem Leutnant auch klar, aus welchem Grunde die Torpedoboote es für überflüssig erachtet hatten, das Eiland nach den deutschen Fliegern zu durchforschen. Daß der Doppeldecker auf der Insel niedergegangen sei, hatten sie wohl für ausgeschlossen gehalten, ebenso, daß das Flugzeug vielleicht, auf seinen Schwimmkörpern durch die Kraft des Propellers auf der See sich fortbewegend, die Minensperre vor der Bucht glücklich passiert haben könne und die Insassen dann nach Zerstörung des Apparates auf das Eiland geflüchtet seien.

Als er dies seinem Gefährten mitteilte, meinte „Kerlchen“ eifrig:

„Sicherlich sind die Herren Briten der Ansicht, durch ihr rasendes Geschützfeuer auch die Schwimmkörper derart durchlöchert zu haben, daß unser Doppeldecker schnell weggesackt ist. Von dem Hergang der Schlußszene unseres Erkundungsfluges machen sie sich also ein erheblich falsches Bild. Zu unserem Glück! Auf diese Weise bleiben wir unbelästigt!“

„Vorläufig!“ fügte Martens hinzu. „Jedenfalls haben wir nicht nur unsere Flügeldroschke, sondern uns selbst hier festgefahren. Und ganz schleierhaft ist es mir, wie wir von hier fortkommen werden.“

Er hatte sich umgedreht und wies jetzt mit der Hand nach dem Westrand des Waldes hin. Dort gab es eine längliche Lichtung, auf der zwischen hochgeschossenem Buschwerk undeutlich die Dächer einiger langgestreckter, niedriger Gebäude zu erkennen waren.

„Da haben wir den Beweis, daß die Insel früher einmal bewohnt war, liebes Kerlchen. – Los denn, schauen wir uns die Prachtbauten mal an. Ich rechne bestimmt, dort ein paar komfortable Zimmer mit allem Zubehör – Klubsessel, Klavier, Billard und so weiter vorzufinden.“

Martens verlor nie seine gute Laune, oder es mußte denn schon ganz, ganz schlimm kommen.

Zehn Minuten später hatten sie die barackenähnlichen, halb verfallenen Holzbauten erreicht. Die Fenster fehlten, und die Türen hingen schief in den Angeln. Im Innern wucherten zwischen den vermoderten Dielen Gras und Pilze.

An dem Haupteingang der ersten Baracke, die sie von außen besichtigten, hing eine große Tafel mit verwaschenen Schriftzeichen in schwarzer Ölfarbe.

Martens buchstabierte daran herum.

Dann trat er unwillkürlich einen Schritt zurück.

„Kerlchen – fort von hier! Dies ist eine frühere Leprastation! – Nicht zehn Pferde kriegen mich hier wieder in die Nähe dieser Holzbuden …!“

Ziellos gingen sie in den Wald zurück.

„Was nun?!“ fragte der Leutnant. „Wir werden doch so langsam daran denken müssen, uns hier häuslich einzurichten. Zunächst dürften wir ja auf dieser schönen Leprainsel einen nicht beantragten Erholungsurlaub von unbestimmter Dauer durchmachen müssen. – Aber wo ist das Kurhotel, das uns aufnimmt, wo der fürstliche Koch, der für unseres Leibes Ernährung sorgt? – Kerlchen, Kerlchen, – ich fürchte, die ganze Sache steht für uns oberfaul!“

„Durchaus nicht, Herr Leutnant …“

„Tun Sie mir einen Gefallen, Kerlchen“, unterbrach Martens ihn in komischer Verzweiflung, „und lassen Sie den „Herrn Leutnant“ hier hübsch begraben sein. Nennen Sie mich Martens – und damit basta!“ Bei diesen Worten streckte er ihm herzlich die Hand hin.

Auch Fritz Krastka lächelte vergnügt. „Ohne Frage ist diese Bewilligung einer formlosen Anrede eine … „Verkehrserleichterung“. – Herzlichen Dank jedenfalls! – Im übrigen aber: die Sache steht für uns durchaus nicht oberfaul – durchaus nicht! Ich wette, daß wir schon abends im Besitz einer ganz behaglichen Hütte sind!“

„Da bin ich neugierig …!! Doch nicht etwa … Leprastation …?!“

„Bewahre! – Kehren wir jetzt aber mal zunächst zu unserer gestrandeten Luftkutsche zurück.“

 

3. Kapitel.

Doch nicht unbewohnt …?!

Es war gar nicht so einfach, die Stelle des Waldes wiederzufinden, wo der Doppeldecker in den Kronen der Kastanien lag.

Eine genaue Besichtigung der einzelnen Teile des Flugzeuges ergab, daß es durch die Notlandung besonders an den Tragflächen stark gelitten hatte. Besser stand es um den Motor, der ohne Frage mit den vorhandenen Werkzeugen (jeder Apparat führt einen Reparaturkasten mit sich) wieder betriebsfähig zu machen war. Auch der Propeller wies keinerlei Beschädigungen auf.

Inzwischen hatte sich bei den beiden Fliegern ein recht starker Hunger eingestellt. Als sie nun wieder auf den Erdboden hinabgeklettert waren, schlug Kerlchen vor, ein paar Wildtauben zu schießen und über einem offenen Feuer zu braten. Diese Vögel kamen auf Naxara in großer Menge vor, ebenso wie auf den Abhängen der Küste Möwen und andere Seevögel nisteten, während man vorher in den Klüften der Randberge Nester von Steinadlern und kleineren geflügelten Räubern bemerkt hatte.

Um sich nun aber nicht durch den lauten Knall der Karabiner etwa vorbeifahrenden Schiffen zu verraten, fertigte Martens aus einigen Patronen seiner Mauserpistole durch Zerkleinern des Mantelgeschosses mit einer Kneifzange Schrotpatronen mit geringer Pulverladung an, die für die Taubenjagd genügen mußten. Tatsächlich hatten die beiden Deutschen dann in einer Viertelstunde fünf Tauben erlegt, die bald darauf am Spieß über den Flammen brotzelten. Die Tauben waren recht fett, und Kerlchen, der den Koch spielte, bemühte sich eifrig, mit einem großen, aus einem Stück Blech geformten Löffel das herabträufelnde Fett aufzufangen und die Braten damit zu begießen, so daß bei dem appetitlichen Duft Martens schon vorher das Wasser in Vorahnung einer wohlschmeckenden Mahlzeit im Munde zusammenlief.

Fritz Krastka sah jetzt so recht ein, wie gut es gewesen war, daß er dem Wandervogel-Bunde angehört hatte, wo er bei längeren Ausflügen so manchen Kunstgriff für die Zubereitung von Speisen mit primitiven Mitteln gelernt hatte.

Als Nachtisch gab es ein paar Apfelsinen, die sich durch besonderen Wohlgeschmack auszeichneten. Mittlerweile war es vier Uhr nachmittags geworden, und man mußte nun daran denken, einen Platz für das zukünftige Heim zu suchen. Während des Essens hatte Fritz dem Leutnant im einzelnen seine Idee entwickelt, wie man die Tragflächen, die doch nicht mehr zu gebrauchen waren, zum Bau einer Hütte verwenden könne.

Martens ging darauf aus, für die neue Behausung einen möglichst versteckten und auch schwer zugänglichen Ort zu finden. Sagte er sich doch, daß man stets mit der Möglichkeit des Erscheinens englischer Matrosen auf der Insel rechnen müsse.

Nachdem sie jetzt den Ostteil des Eilandes, hauptsächlich die schmalen, steilen Terrassen der Innenseite, durchstreift und vier Plätze entdeckt hatten, die ihnen recht geeignet schienen, entschieden sie sich für eine mit drei niedrigen, aber sehr breitästigen Buchen und einigem Gebüsch bestandene, kleine Terrasse, auf die man nur mit Hilfe einer dicht an der Felswand wachsenden Eiche hinaufgelangen konnte.

Dann wurde sofort mit allem Eifer das Abmontieren des Doppeldeckers begonnen, eine Arbeit mit der man erst bei einbrechender Dunkelheit fertig war. Die zusammengebundenen Spanndrähte benutzte man zum Hinablassen der einzelnen Teile. Die Tragflächen waren gleich oben in den Baumkronen mit Beil und Säge in vier gleich große Stücke zerschnitten worden. Alles kam glücklich unten an, auch der schwere Motor, mit dem man recht sorgfältig verfuhr, da Martens vielleicht eine Gelegenheit zu finden hoffte, ihn irgendwie auf das Festland hinüberschaffen zu können, damit er wieder seiner wahren Bestimmung zugeführt würde.

Die erste Nacht verbrachten die Gefährten in einer Nothütte unter den Kastanien inmitten der Bestandteile ihres braven Doppeldeckers. Dieser Unterschlupf wurde einfach genug hergestellt, indem man die Stücke der Tragflächen wie ein Kartenhäuschen aneinander lehnte.

Mit Sonnenaufgang waren sie bereits wieder munter. Abermals gab es Taubenbraten, und dann begann der Transport der verschiedenen Gegenstände nach der Terrasse. Diese war selbst von der Höhe der Randberge schwer zu überblicken, da die drei Buchen so dichte Kronen hatten, daß es kaum möglich war, durch dieses Blätter- und Astgewirr hindurchzusehen. Außerdem besaß sie aber auch im Hintergrunde eine flache Grotte, die sich vorzüglich als Aufbewahrungsort für die Überbleibsel des Flugzeuges eignete. Sogar die langen Schwimmkörper hatten darin Platz.

Dicht vor den Eingang dieser Aushöhlung des Gesteins kam das Hüttchen zu stehen, welches sehr bald fertig wurde, da man die vier Teile der Tragflächen nur durch Schrauben miteinander zu verbinden brauchte. Die Vorderfront wurde durch die öltuchüberspannten Teile des Schwanzstückes des Apparates gebildet. Hier wurde auch eine Tür angebracht, während man in die Seitenwände Fensteröffnungen einschnitt, die gleichfalls Laden in Form von Öltuchrahmen erhielten.

Abgedichtet wurden die noch vorhandenen Spalten durch Moos. Dieses bedeckte auch wie ein Teppich den steinigen Boden der kleinen Behausung, in der außer zwei Lagerstätten aus Moos und Gras gerade noch ein selbstgezimmerter Tisch mit einer Platte aus Baumrinde sowie die beiden zu Stühlen umgewandelten Sitze der Flugzeuggondel Platz hatten.

Abends stand das Hüttchen fix und fertig da. Die Arbeiten daran hatten den beiden Fliegern viel Freude gemacht. Das Abenteuerliche ihrer Lage besaß einen großen Reiz für diese durch den Dienst mit mancherlei praktischen und technischen Erfahrungen ausgestatteten jungen Menschen.

Am Nachmittag hatte Kerlchen, als er Moos aus dem Walde holte, auf der Nordseite der inneren Bergabhänge eine heiße Quelle entdeckt, die jedoch sehr bald wieder in einer Felsspalte verschwand. Das Wasser schmeckte leicht bitter, löschte aber abgekühlt sehr gut den Durst.

Diese Quelle hatte nun an beiden Seiten ihres Abflusses eine rötliche Schlammschicht abgesondert, die an den Außenrändern zu einer steinharten Masse zusammengetrocknet war.

In verschiedenen vulkanischen Gegenden gibt es Felsöffnungen, denen in dickem Strahl ähnliche Schlammassen, die aus einer besonderen Art von eisenhaltigem Ton bestehen, entsteigen. Der Auswurfstoff dieser Schlammgeiser hat die Eigentümlichkeit, sich durch starke Hitze an der Oberfläche mit einer lavaähnlichen Schicht zu überziehen. Als die Gefährten am nächsten Tage aus diesem Ton nun Ziegel formten, in der Sonne erst etwas trocknen ließen und dann in der Grotte hinter ihrer Hütte daraus einen Herd errichteten, bemerkten sie sehr bald die besonderen Eigenschaften dieses vulkanischen Produktes, als sie in dem Herde ein Holzfeuer längere Zeit unterhalten hatten, um die Ziegel zu härten. Ein Versuch, aus der rötlichen Masse Töpfe und Schüsseln zu brennen, gelang über Erwarten gut, so daß sie nun auch die Tauben in anderer Form, gekocht, verspeisen konnten.

Der vierte Tag brachte schlechtes Wetter, – Regen und Sturm. Aber am Spätnachmittag klärte sich der Himmel wieder auf, und der Wind und die warme Luft sorgten dafür, daß der Boden und die Sträucher schnell trockneten. Bisher hatten die Gefährten, die von ihrer Terrasse aus die kleine Bucht, den einzigen Zugang zu der Insel, bequem überblicken konnten, die Randberge nicht wieder erklettert. Jetzt wollten sie, nachdem sie stundenlang in der Hütte gesessen hatten, sich etwas Bewegung machen und erklommen daher die Höhen, um zugleich Ausschau auf das Meer zu halten. Martens hatte ein Prismenglas mitgenommen, so daß man mit Hilfe dieses heute recht deutlich die Südküste Zyperns erkennen konnte. Die See war im übrigen wenig belebt. Nur in der Ferne zeigten einige Rauchfahnen den Kurs von Dampfern an, die offenbar aus Ägypten kamen.

Während Martens so den Horizont mit dem Glase absuchte, hatte Kerlchen mit bloßem Auge – und diese Augen waren vorzüglich! – das Innere der Insel aufs Korn genommen. Wie ein grüner See lag das waldige Eiland vor ihm. Zur Linken bemerkte er die Terrasse mit der Hütte. Unwillkürlich durchzuckte es jetzt Fritz Krastka wie ein leichter Schreck. Erst jetzt wurde er gewahr – und hieran hatten weder Martens noch er gedacht! – daß die hellgrauen, stoffüberzogenen Wände ihres Häuschens nur allzu auffallend durch die Büsche und die tieferen Zweige der Buchen hindurchschimmerten. Dieser Übelstand mußte unbedingt baldigst beseitigt werden.

Tatsächlich geschah dies dann schon am nächsten Morgen. Farbe besaß man nicht. Aber Kerlchen fand bald Ersatz. Er mischte den roten Ton mit Wasser, tat Ruß aus dem Ofen hinzu und verwandelte, einen Ballen Moos als Pinsel benutzend, das Dach und die Außenwände ihrer Behausung ganz geschickt in einen zerklüfteten Felsblock. Diese Malerei gelang so gut, daß Mertens versicherte, jetzt würde keine Seele herausfinden, daß hier auf der Terrasse Menschen hausten, so großartig hätte Fritz die Farbe des umliegenden Felsens getroffen. –

Von der Ostseite wanderten Kerlchens scharfe Augen weiter über den kleinen natürlichen Hafen nach Westen hin.

Dort lagen die halb verfallenen Baulichkeiten der einstigen Lepra-Station.

Martens wollte gerade Fritz das Fernglas reichen, als dieser ganz erregt rief:

„Täusche ich mich, oder steigt dort wirklich ein dünner Rauchfaden aus dem einen Schornstein empor …?! – Ganz rechts, Martens, – der vorletzte Schornstein ist’s …!“

Der Leutnant kniff die Augen zusammen und blickte hinüber. Dann nahm er mit hastiger Bewegung den Feldstecher hoch.

„Wahrhaftig, Kerlchen, – Sie haben recht …! Es ist Rauch! – Zum Henker – was hat das zu bedeuten …?!“

Auch er war sichtlich beunruhigt.

„Es bleibt uns nichts anderes übrig, Kerlchen, – wir müssen der Sache auf den Grund gehen!“ fügte er hinzu. „Vorwärts! Aber – mit der nötigen Vorsicht, und – wie die Indianer auf dem Kriegspfade …!“

Ihre Karabiner hatten sie in der Hütte gelassen. Aber die Pistole, die bei keinem Flieger fehlt, trugen sie in den braunen Ledertaschen am Feldriemen bei sich. Und die genügten als Waffe.

Sehr behutsam näherten sie sich der betreffenden Holzbaracke. Inzwischen war es bereits recht dämmerig geworden. Sie hatten sich aber genau gemerkt, daß es der zweite Rauchfang von der rechten Ecke des Gebäudes gewesen war, aus dem der dünne Qualmfaden kerzengerade in die Luft stieg. Jetzt freilich war davon nichts mehr zu bemerken. – Sollten sie sich doch geirrt haben …?! – Aber Martens wollte um jeden Preis sich Klarheit verschaffen.

Mit einer gewissen Scheu betraten sie das Haus. Hier war es bereits so dunkel, daß man alles nur noch in verschwommenen Umrissen sah. Die Räume waren leer. Nur ein paar große Eidechsen huschten eilends davon. Hin und wieder brach der morsche Fußboden unter den Stiefeln der beiden Flieger mit dumpfem Splittern. Dann schreckten sie stets leicht zusammen.

„Scheußlich ungemütlich, diese Leprabude!“ meinte Martens leise.

Jetzt hatten sie die Küche gefunden, aus der der betreffende Schornstein durch das Dach als breite, gemauerte Esse hindurchführte. Auf dem Herde keine Spur von Feuer, – nichts – nichts!

„Daraus mag ein anderer klug werden!“ brummte der Leutnant, der ebenso wie Kerlchen die Pistole entsichert in der Hand hielt. „Es war Rauch – ohne Frage!! Und …“

Er verstummte plötzlich.

Von irgend woher drangen seltsame Geräusche zu ihnen – ein unheimliches Sausen, Klopfen und Kreischen – jedenfalls ein Gemenge von Tönen, die nicht in Einzelheiten zu zerlegen waren und nach einigen Minuten plötzlich wieder verstummten.

Martens und Fritz Krastka waren bleich geworden. Ganz regungslos standen sie noch eine ganze Weile in der Küche, in der ein gräßlicher Modergeruch die Luft erfüllte, und lauschten atemlos. Aber nichts ereignete sich mehr, nichts …

„Kerlchen, haben Sie gehört? – Was war das?! – Das klang ja wie die Begleitmusik aus der Wolfschluchtszene im „Freischütz“!“

„Natürlich habe ich’s gehört …! – Woher kamen die Geräusche eigentlich? – Scheinbar dort aus dem Nebengebäude, das wie ein Vorratsspeicher aussieht.“

„Heiliger Aeolus (altgriechischer Gott der Winde, den die Flieger scherzend ihren Schutzpatron nennen), – und wenn es mich das Genick kosten sollte: die Geschichte muß aufgeklärt werden! Los – hinein in den Schuppen da … Vorher wollen wir uns aber trockene Reiser sammeln und sie als Fackeln benutzen.“

Mit Hilfe ihrer Benzinfeuerzeuge hatten die Gefährten bald ein Bündel Zweige in Brand gesteckt. – Sie hätten sich diese Mühe sparen können: auch das Nebengebäude war leer. Nur in einer Ecke lag ein Haufen altes Gerümpel, – Gartengeräte, eine Schiebkarre, ein paar leere Tonnen und ähnliches.

Nach einer halben Stunde machten die beiden Flieger sich ziemlich still auf den Heimweg.

„Unsere ganze Insel ist mir verleidet!“ brummte Martens unterwegs. „Mein Bedarf an Außergewöhnlichem ist durch das Robinsonleben, das wir hier zu führen gezwungen sind, reichlich gedeckt – reichlich! Ich habe keine Sehnsucht nach etwas Geheimnisvollem – wirklich nicht! Und die Qualmfahne sowie das Wolfschluchtkonzert deuten auf Vorgänge hin, die nicht recht geheuer sind.“

Am nächsten Vormittag, während Kerlchen die Hütte künstlerisch anpinselte und Martens nebenbei auf einem Stein saß und Schrotpatronen anfertigte, bildete das Erlebnis vom Abend vorher noch immer das Gesprächsthema. Von der Terrasse aus waren die Baracken nicht zu sehen. Der Leutnant stieg dann aber in die Krone einer der drei Buchen hinauf, unter denen das Häuschen stand. Nun konnte er die Rauchfänge wirklich zwischen den Wipfeln des Waldes erspähen. Aber heute war nichts von aufsteigendem Qualm zu bemerken.

Das Bewußtsein, daß auf der Insel sich doch vielleicht noch Menschen befänden, die sich ängstlich verborgen hielten, war den beiden jungen Deutschen keineswegs angenehm. Der Leutnant meinte, es sei wohl möglich, daß hier noch ein paar Aussätzige hausten, die auf irgend eine Weise sich der Aufsicht der englischen Behörden entzogen hätten. Jedenfalls müsse man alles versuchen, um dieses Geheimnis aufzuklären.

Am Nachmittag desselben Tages – das Wetter war klar und es wehte ein sehr heißer Südwind von den Sandwüsten Nordafrikas herüber – beobachteten die Gefährten dann einen Vorgang, der den reichen Gefilden des gesegneten Zyperns schon oft unendlichen Schaden gebracht hat.

Die beiden Robinsons waren gerade nach dem Strande der Bucht hinabgegangen, um hier von Kerlchen angefertigte lange Angelschnüre mit zahlreichen Haken auszulegen, als im Süden eine dichte Wolke auftauchte, die sich schnell näherte. Sehr bald hörte man dann auch ein starkes Brausen.

Es war ein Zug Wanderheuschrecken. Diese Tiere sind im Orient tatsächlich ein Schrecken der ackerbautreibenden Bevölkerung, treten aber zum Glück in größerer Menge nur nach 3 bis 4 trockenen Frühjahren auf. Auch in Deutschland waren die Zugheuschrecken einst gefürchtete Gäste. 1803 erschienen sie zum letzten Mal in Schwärmen von Millionen in Süddeutschland, wo sogar Artillerie aufgeboten wurde, um die gierigen Pflanzenfresser durch den Knall der Kanonenschüsse zu vertreiben. Auch dieses Mittel soll jedoch nicht viel genützt haben. Interessant ist es, daß einige Naturvölker, so die Senegalneger, diese Insekten trocknen, zerreiben und das Pulver wie Mehl benutzen. Auf der Insel Zypern wurde 1889 ein Schwarm von Millionen von Heuschrecken durch starke Regengüsse und Kälte zum Absterben gebracht. Der Gestank, den die haufenweise umherliegenden, verwesenden Insekten hervorriefen, war so furchtbar, daß in dem betreffenden Landstrich eine pestähnliche Krankheit ausbrach.

Zum Glück zog der Schwarm, den Martens und Fritz Krastka hier zu Gesicht bekamen, westlich der Insel vorüber auf Zypern zu.

„Alles Gute mit auf den Weg!“ sagte der Leutnant ingrimmig. „Freßt der englischen Brut auf Zypern das Getreide bis auf die Stoppeln ab …! Uns will die Bande ja verhungern lassen! Da helft Ihr großen Grashüpfer wenigstens ein bißchen mit, daß den edlen Briten eine ihrer Kornkammern etwas geschröpft wird …!“

Kerlchen mußte lachen. – Dann kletterte er in die runde Luke des einen, aus Zinkblech bestehenden Schwimmkörpers des einstigen Doppeldeckers. Dieses bootähnliche Gehäuse ließ sich sehr gut als Nachen in ruhigem Wasser benutzen. Fritz hatte sich auch ein Paddelruder angefertigt und fuhr nun ein Stück in die kleine Bucht hinaus, wo er die Angelschnüre heute zum ersten Mal auslegte. Die Tauben hatten die beiden Robinsons sich inzwischen bereits übergegessen und hofften nun auf ein paar Fische als Bereicherung ihres Küchenzettels.

Martens hatte inzwischen einen erhöhten Felsvorsprung erstiegen und paßte auf etwa sich nähernde Schiffe auf, obwohl man eine solche Überraschung kaum zu fürchten brauchte.

Plötzlich hörte er dann Kerlchen laut rufen und sah nun, daß sein Gefährte aufgeregt auf einen Gegenstand in der Nähe des Zinkblechbootes deutete, der sich ruckartig hin und her bewegte und den der Leutnant mit Hilfe des Glases als ein gebogenes Brett, eine Bootsplanke erkannte, aus der etwas wie eine Lanzenspitze herausragte.

Kerlchen formte jetzt die Hände zum Sprachrohr und brüllte Martens zu:

„Ein Schwertfisch ist’s, der seine Stoßwaffe durch eine Planke getrieben hat. Ganz ermattet ist das Tier. Wer weiß, wie lange er dies Anhängsel schon mit sich herumschleppt.“

Dieser Vertreter der vielformigen Familie der Makrelen ist im Mittelmeer besonders häufig, wird 4 bis 5 Meter lang, hat einen spindelförmigen, oben dunkelbläulichen, unten silberweißen Leib und besitzt in dem zu einer schwertartigen Spitze verlängerten Oberkiefer, die stets dreiviertel der Körperlänge mißt, eine sehr gefährliche Waffe, die er nicht nur Walen in den Leib rennt, sondern auch selbst in gereiztem Zustande gegen Fischerfahrzeuge gebraucht. Das Fleisch der Jungen ist sehr schmackhaft, weiß und zart und gelangt eingesalzen von Sizilien aus in den Handel.

Es war klar, daß dieses Tier, das sich hier in die Bucht verirrt hatte, infolge der Bootsplanke, die es mit sich trug und nicht loswerden konnte, bereits sehr erschöpft sein mußte. Martens sah denn auch, daß Fritz offenbar diesen Umstand ausnutzen und den Schwertfisch erlegen wollte. Kerlchen hatte nämlich seine Pistole zur Hand genommen und trieb seinen Nachen nun nur mit der Linken langsam näher an das noch immer ruckartig sich bewegende Brett heran. Dann zielte er und feuerte, – ein – zwei – drei Schüsse hintereinander, worauf die Planke verschwand, um jedoch sehr bald wieder zugleich mit der weißen Bauchseite des etwa vier Meter langen Tieres wieder aufzutauchen.

Die Nickelmantelkugeln hatten sämtlich den Schädel getroffen und den Schwertfisch schnell abgetan. Fritz brachte ihn nun an Land, indem er ihn mit dem kleinen Boote mühsam vor sich herschob.

Martens war nicht ganz einverstanden damit, daß Kerlchen drei der kostbaren Patronen geopfert hatte. Aber Fritz erklärte darauf, so ein Schwertfisch gäbe eine ganze Menge Tran und Fleisch her, und beides könne man gut gebrauchen. Ersteren als Mittel, um die Bemalung der Hütte gegen den Regen haltbar zu machen und als Brennmaterial für eine Lampe, das Fleisch wieder, um es zu räuchern.

„Alle Wetter – also so etwas Ähnliches wie geräucherter Lachs …!! Großartig! Nächstens können wir einen Delikatessenladen aufmachen …! – Aber – im Ernst, der Schwertfisch ist, von diesen Gesichtspunkten betrachtet, gar nicht zu verachten. Salz gibt es ja als Rückstände des verdunsteten Meereswassers genug in Felsenritzen an der Küste, und Kiefernnadeln als Räuchermittel ebenfalls so viel wir haben wollen von den Nadelbäumen auf den nördlichen Terrassen.“ –

Noch an demselben Tage wurde neben dem Herde in der Grotte noch ein Räucherofen errichtet, der Fritz Krastkas ureigenste Erfindung war und später sehr gute Räucherfische lieferte.

 

4. Kapitel.

Maros Aristopulos.

Vierzehn Tage vergingen nun ohne besondere Ereignisse.

Dann, am 25. August war’s, erschien um die Mittagzeit ein mittelgroßer Dampfer vor der Bucht, der die englische Kriegsflagge führte.

Rechtzeitig hatten die Gefährten das Näherkommen des unerwünschten Gastes bemerkt und sich auf ihre Terrasse zurückgezogen. Klopfenden Herzens beobachteten sie nun das Schiff, das bald ein Boot aussetzte, welches offenbar prüfen sollte, ob die Minen noch in Ordnung waren, die den Zugang zu der Insel versperrten.

Der Dampfer war inzwischen vorsichtig noch weiter auf die äußere Grenze des Minenfeldes zugefahren.

Plötzlich stieg an seiner Steuerbordseite eine riesige Wassersäule empor. Fast gleichzeitig hörten die Gefährten einen dumpfen Knall, der in dem weiten Felsenkessel der Insel ein lärmendes Echo weckte.

Das Schiff war mehrere Meter hochgeflogen, riß jetzt in zwei Teile auseinander und verschwand gleich darauf in der Tiefe.

Daß es auf eine Mine geraten war, unterlag keinem Zweifel. Aber auch dem ausgesetzten Boote wurde diese Katastrophe verhängnisvoll. Eine ungeheure Welle, fast ein Wasserberg, wälzte sich dem Ufer zu, riß das Boot mit und warf es auf den steinigen Strand der Bucht, wo es in Trümmer ging. – Martens sah durch das Glas, daß die zurückflutende Woge drei von den sechs Insassen des Fahrzeuges wieder in die See spülte, wo die Leute, die vielleicht bei der Zerschmetterung ihres Bootes mit verletzt worden waren, nicht wieder auftauchten. Die anderen drei standen erst noch eine Weile, lebhaft mit den Armen umherfuchtelnd und sicherlich diesen verhängnisvollen Unglücksfall erörternd, am Ufer und schritten dann, während der eine sich mühsam auf seine Kameraden stützte, dem Walde zu.

Martens meinte jetzt zu Fritz, daß diese Einwohnerzunahme ihn alles andere als freue. „Natürlich müssen wir die drei Engländer gefangennehmen und irgendwo einsperren“, fügte er hinzu. „Sonst ist’s mit der Gemütlichkeit hier ganz vorbei. Halb haben mir schon der Schornsteinrauch und das Wolfschluchtkonzert diesen Erholungsurlaub verdorben, der nun baldigst von mir aus beendet sein könnte.“

Während sie dann noch berieten, wie man am besten die drei Matrosen überwältigen könne, hörten sie von der Mitte der Insel kurz hintereinander drei Schüsse schwach herüberschallen.

Martens, der im Gebüsch neben Fritz Krastka am Rande der Terrasse lag, schnellte förmlich empor.

„Was war das, Kerlchen …?! – Drei Schüsse, ausgerechnet drei – also je einen für jeden Engländer, wenn man Phantasie hat …?! – Was bedeuten die Schüsse – was?! Taubenjagd? – ausgeschlossen! Gewehre hatten die Leute nicht bei sich, und das eben waren Detonationen einer Flinte …! Ein Revolver oder eine Pistole wäre kaum bis hierher zu hören gewesen …!“

Der junge Kriegsfreiwillige mußte zugeben, daß Martens mit dieser Bemerkung recht hatte.

Nach kurzer Beratung kamen sie dann überein, sofort einen Aufklärungsgang nach jener Stelle hin zu unternehmen, wo die Schüsse gefallen waren. Ernste Gefahr liefen sie dabei kaum, da sie gut bewaffnet waren. Mit zwei Karabinern und zwei Mauserpistolen läßt sich schon etwas ausrichten.

Sehr langsam und sehr vorsichtig schlichen sie durch den Wald, den sie nun bereits in allen seinen Teilen genau kannten. Martens vermutete, daß die Schüsse auf einer Lichtung abgegeben waren, die unweit des Kastanienhaines lag, den der Doppeldecker seiner Zeit als Landungsplatz sich ausgesucht hatte. Auf diese Lichtung hielten sie zu.

Der Leutnant hatte das richtige vermutet. Aber daß sich ihnen dieses Bild bieten würde, wie sie es jetzt, am Rande der kleinen Waldblöße angelangt, vor sich sahen, hatte Martens doch nicht geahnt.

Mitten auf der Lichtung stand, auf ein Gewehr sich stützend, ein in seltsame Kleider gehüllter, graubärtiger Mann, der ihnen das Gesicht zugekehrt hatte. Mit leicht gesenktem Kopf schaute er auf die regungslosen Körper der drei Engländer herab, die dicht vor ihm in den hier üppig blühenden wilden Veilchen lagen.

Das Antlitz des Alten aber war durch einen Ausdruck ungezügelten Hasses geradezu abschreckend entstellt.

Ganz regungslos hielt sich der Unbekannte. Nur in seinem Gesicht veränderte sich jetzt der Ausdruck.

Ein Lächeln wahrhaft teuflischer Befriedigung umspielte nunmehr seine Lippen. Dann wandte er sich um und wollte nach Westen zu im Walde verschwinden.

Da hielt ihn ein scharfes, befehlendes Halt aus Martens’ Munde zurück.

Der Graubärtige fuhr herum. Im Augenblick hatte er sein Gewehr hochgerissen. Aber der Leutnant fügte seinem ersten Anruf auch schon hinzu: „Sie haben von uns nichts zu fürchten – gar nichts! Bitte setzen Sie das Gewehr ab. Wir sind gleichfalls bewaffnet und möchten nicht gern gezwungen werden, von unseren Karabinern Gebrauch zu machen.“

Er hatte sich der deutschen Sprache bedient, eigentlich ohne daran zu denken, ob der Unbekannte ihn auch verstehen würde.

Die Sache nahm jedoch eine ziemlich unerwartete Wendung.

Der Alte ließ seine Flinte sinken, lachte halblaut vor sich hin und sagte:

„Ah – also wirklich meine beiden deutschen Mitbewohner von Naxara …! Das ändert alles. – Bitte, treten Sie ruhig hinter den Bäumen hervor. Sie brauchen vor mir nicht Angst zu haben, meine Herren, – Sie nicht!“ – Er sprach ein etwas gebrochenes Deutsch. Sein Gesicht war freundlich, und durch seine Stimme klangen Aufrichtigkeit und Wohlwollen hindurch.

Martens und Kerlchen verließen ihre Deckung. Ersterer wollte dann dem Graubärtigen erklären, wie sie auf die Insel gelangt seien, wie sie hießen, und so manches andere.

Doch der alte Mann wehrte ab. Jetzt erst bemerkte der Leutnant, daß jener ein Paar seltsam unruhige, flackernde Augen hatte, die bisweilen einen völlig geistesabwesenden Ausdruck annahmen.

„Lassen Sie – lassen Sie …!“ sagte er mit einem überlegenen Lächeln. „Ich weiß alles von Ihnen, was ich wissen muß, habe Sie oft genug belauscht, ohne daß Sie es ahnten. – Ich heiße Maros Aristopulos und bin von Geburt Grieche, aber ein großer Verehrer Ihres schönen Vaterlandes, dem ich meine Ausbildung als Ingenieur und Chemiker verdanke.“ Dann wies er auf die drei toten Engländer. „Sie haben ein Recht darauf zu erfahren, was hier vorgegangen ist. Ich hatte von den Fenstern meines Laboratoriums aus die Vernichtung des Dampfers durch eine meiner Minen beobachtet, bemerkte, daß drei Leute des Bootes sich gerettet hatten, und wollte diese nun schleunigst in sicheren Gewahrsam bringen. Sie widersetzten sich mir anfänglich nicht, unternahmen dann aber einen heimtückischen Angriff, wobei mir das Messer des einen dieser Vertreter des mir bitter verhaßten Volkes beinahe den Tod gebracht hätte. Nur meine Gewandtheit rettete mich noch. Nun – die Schurken haben schnell gebüßt.“

Sein Gesicht war wieder förmlich zur Fratze verwandelt vor grimmigster Genugtuung. – Martens merkte schon jetzt, daß der Grieche offenbar nicht mehr ganz zurechnungsfähig sei. Was dieser da von den Laboratoriumfenstern faselte, war ja natürlich der bare Unsinn. Auch die Augen des Mannes verrieten die geistige Störung, an der er litt. – Da fuhr Aristopulos schon fort:

„Gut, daß wir uns nun auf diese Weise kennen gelernt haben. Ich hätte mich Ihnen auch ohne diesen Zwischenfall hier bald gezeigt, nachdem ich eingesehen hatte, daß Sie beide aus sich selbst heraus nicht imstande waren, sich die Freiheit zu verschaffen. – Haben Sie denn nie daran gedacht, daß Sie sich mit Hilfe der Schwimmkörper und des Motors ein Fahrzeug bauen konnten, welches Sie wieder an die asiatische Küste zurückbringen konnte …? – Freilich – dazu mögen ja vielleicht mehr technische Kenntnisse gehören, als Sie sie besitzen. – Mit einem Wort: ich wollte Ihnen forthelfen, damit Sie wieder an dem Kampfe gegen den Welttyrannen England teilnehmen könnten. Sagen Sie mir bitte kurz, aus welchem Anlaß dieser Krieg überhaupt entstanden ist. Daß Krieg ist, weiß ich ja. Aber nähere Einzelheiten fehlen mir. Sie dürfen nicht vergessen, daß ich hier seit fünfundzwanzig Jahren hause und seit zehn Jahren keinerlei Verbindung mehr mit der übrigen Welt habe.“

Martens kam diesem Wunsche des Griechen gerne nach.

Mehr als einmal unterbrach Aristopulos ihn mit einem Ausruf des Staunens.

„Also die Zentralmächte im Kampf gegen die halbe Welt!“ rief er, als der Leutnant seine knappen Angaben beendet hatte. „Und ich habe geglaubt, es ginge nur gegen England! Ah – das ändert die Sache. Ich sehe, Deutschland kann mich brauchen, mich und meine Erfindung. – Doch nun lassen Sie uns zunächst diese Toten einscharren. In den Leprabaracken finden wir schon ein paar alte Spaten. Dann will ich Sie beide nach meiner Behausung führen. Vielleicht werden Sie ein wenig erstaunt sein, was Sie hier noch zu sehen bekommen. Die Geheimnisse dieser Insel bestehen nicht nur in Schornsteinrauch und allerlei Geräuschen.“

Die Engländer waren bald in einer gemeinsamen Grube bestattet. Martens sprach dann noch über den Toten ein lautes Vaterunser, obwohl der Alte hiervon zunächst nichts wissen wollte.

Dann schritt Aristopulos voran. Es ging nach Norden auf eine glatte, hohe Felswand zu, die die Vorderseite einer ausgedehnten, aber gänzlich unersteigbaren Terrasse bildete. Unterwegs erzählte der Grieche dann auch ganz unaufgefordert seine Lebensgeschichte.

Diese klang derart abenteuerlich, daß man wohl berechtigt war, an der Wahrheit dieser Angaben zu zweifeln. Später zeigte sich aber, daß Aristopulos in nichts übertrieben hatte.

„Wie ich schon erwähnte“, begann der Grieche, „bin ich von Beruf Ingenieur und Chemiker. Meine Eltern waren, als ich gerade zehn Jahre zählte, nach Zypern ausgewandert. Dort wurde mein Vater durch ein paar gute Weinjahre – er besaß ausgedehnte Weingärten bei Famagusta – schnell reich. Nachdem ich meine Studien in Deutschland beendet hatte, kehrte ich, sechsundzwanzigjährig, nach Hause zurück, den Kopf voller Pläne und großer Ideen. Ich wurde Erfinder. Mein Vater richtete mir eine Werkstatt ein, und hier entdeckte ich die Zusammensetzung eines Sprengstoffes von so ungeheurer Wirkungskraft, daß Dynamit dagegen ein harmloses Brausepulver ist. Inzwischen hatte ich mich mit einem reizenden Mädchen verlobt. Aber nie sollte ich die Geliebte als Gattin heimführen. Der englische Gouverneur von Zypern hatte von meiner Erfindung gehört und wollte sie für sein Vaterland erwerben. Ich weigerte mich, auf seine Vorschläge einzugehen. Schon damals haßte ich die Engländer insgeheim. Ich hatte diese kaltherzige, lügnerische, selbstsüchtige und gewissenlose Nation längst durchschaut. Der Gouverneur wurde immer zudringlicher. Er drohte mir mit Zwangsmitteln. Ich lachte ihn aus. Aber ich kannte diese Schurken doch noch nicht genügend. Eines Tages wurde ich von der Polizei festgenommen, von einem englischen Arzt zum Schein untersucht und für leprakrank erklärt. Meine Werkstatt durchstöberte man dann vergeblich, um hinter mein wertvolles Geheimnis zu kommen. Mich selbst schleppte man hier nach Naxara als angeblich Aussätzigen. Die Engländer hofften, mich auf diese Weise gefügig zu machen.

Gleich nach der Landung hier entfloh ich in die nördlichen Randberge, verkroch mich, nachdem ich erst lange vergeblich nach einem Versteck gesucht hatte, in eine Felsspalte, da die Verfolger dicht hinter mir waren. Sie fanden mich nicht. Ich aber gelangte mit Hilfe dieser Spalte, die zunächst meinen Körper kaum durchließ, in den Besitz eines Schlupfwinkels, in dem ich noch heute hause.

Die Spalte führte als enger Schlund, der allmählich breiter wurde, ziemlich steil abwärts und mündete in eine Höhle, die nicht allzu hoch, dafür aber sehr ausgedehnt war und verschiedene Seitengänge hatte, die zum Teil in große Tiefen führten. Die Höhle war nicht völlig dunkel, da die eine Wand nach dem Innern der Insel zu hier und da durch Löcher und längliche, kleine Öffnungen Licht hineinließ.

Ich will mich bei den Einzelheiten, wie es mir gelang dort unter der Erde zunächst recht kümmerlich mein Leben zu fristen, nicht aufhalten. Jedenfalls nährte ich mich zunächst von den Früchten der Insel, die ich nachts heimlich sammelte, – von Kastanien, Bucheckern und anderem, auch von Möweneiern und Tauben. Letztere fing ich in Schlingen, die ich in den Kronen der Bäume neben den Nestern anbrachte. Aber bald änderte sich mein einsames Dasein. Ich fand in den Tiefen der Erde, in die ich bei Fackellicht eindrang, eine Menge von Mineralen, – Eisenerze, Kupfer, Blei, auch Schwefel, Kohle und vielerlei andere Stoffe, die mir als Chemiker genügten, um mir im Laufe der Jahre in der Höhle eine reich ausgestattete Werkstatt anzulegen. Alles, was Sie dort vorfinden, jedes einzelne Stück habe ich selbst gearbeitet. Und nur die Arbeit war es, die mich vor dem Wahnsinn schützte, obwohl ich an allerlei Wutanfällen zeitweise trotzdem leide, die eine Folge meines bis ins Krankhafte gesteigerten Hasses gegen die Engländer sind. – Gewiß – mehr wie einmal habe ich an Flucht gedacht. Aber es war unmöglich, von hier zu entweichen.

So verstrichen fünfzehn Jahre. Dann wurde die hiesige Lepra-Station aufgelöst. Kurz vorher hatte ich ein paar englische Ärzte belauscht, darunter auch den, der mich seiner Zeit für leprakrank erklärt hatte, und aus der Unterhaltung dieser Schurken erfuhr ich, daß meine Eltern inzwischen gestorben seien und meine Braut einen anderen geheiratet hätte. Nun gab es nichts mehr für mich, was mich wieder in die Welt hinauslocken konnte. Ich blieb, wo ich war. Durfte ich mich doch auf der jetzt verlassenen Insel freier bewegen. Die Arbeit in meinem Laboratorium und in meiner Maschinenwerkstatt bildete fortan meine einzige Lebensfreude. Ich hatte inzwischen abermals einen Sprengstoff zusammengestellt, der vielleicht noch furchtbarer als meine erste Erfindung war, arbeitete dann an allerlei anderen Problemen, so auch dem einer Flugmaschine, ohne zu ahnen, daß in der Welt künstliche Riesenvögel bereits die Lüfte durchzogen. Als Ihr Apparat hier landete, sah ich die erste Maschine dieser Art in der Nähe.“

 

5. Kapitel.

Die große Katastrophe und Heimkehr.

Der Grieche unterbrach jetzt seine Erzählung. Man war vor der schroffen Vorderwand der großen Terrasse angelangt, und Aristopulos kletterte nun auf ein paar Felsblöcke hinauf, die sich an die Wand anlehnten. Hier war in den Stein eine unsichtbare Tür aus der gleichen Felsart eingelassen, durch die man bequem eine weite, sich in die Randberge hinein erstreckende Höhle betreten konnte. Durch gemauerte Wände waren gleich vornean ein paar Gemächer abgeteilt worden, die ihr Licht von oben durch matte Glasfenster erhielten. Diese Räume dienten dem Griechen zur Wohnung und als Laboratorium.

Martens und Fritz Krastka kamen nicht aus dem Staunen heraus. Es erschien ihnen geradezu unglaublich, daß ein einzelner Mensch all diese Instrumente, Gefäße, Flaschen, Schmelzöfen und so weiter geschaffen haben sollte. Sogar eine richtige Leuchtgasanlage gab es hier, die sich mit ihrem Röhrensystem bis in die tiefsten Tiefen der Seitengänge hineinerstreckte. Unzählige Flammen brannten auch jetzt hier, so daß man diese Wunderwelt bequem in allen ihren Teilen in Augenschein nehmen konnte.

Aristopulos’ Wohnraum war recht behaglich ausgestattet. Alles besaß er – Tische, Stühle, Schränke, Papier, Tinte – kurz, es fehlte nichts – nichts. Sogar Teppiche hatte er sich aus Pflanzenfasern gewebt, ebenso wie auch seine Anzüge aus diesem Stoff hergestellt waren.

Dann geleitete der Grieche seine Gäste in den nach Westen zu verlaufenden Seitengang, an dessen Ende er sich seine Maschinenwerkstatt eingerichtet hatte. Hier standen neben einem Gasmotor, der Drehbänke und viele andere zur Bearbeitung von Stahl und anderen harten Metallen notwendige Maschinen antrieb, verschiedene Modelle von Flugzeugen, die alle auf das sauberste ausgeführt waren. In einer Ecke wieder ein Ofen zum Schmelzen von Eisen. Auf diesen deutete der Grieche jetzt und sagte:

„Der Rauchfang dieses Ofens mündet in den Schornstein der Baracke, die Sie beide damals durchsuchten, um festzustellen, wie die Rauchsäule entstanden sei. Wir befinden uns hier unter den verfallenen Gebäuden. Ein Meter Erde und ein halbes Meter Gestein trennen uns von dem Boden der Insel. Das Geräusch, das Sie damals hörten, war durch das Arbeiten meiner Maschinen entstanden.“

Martens und Kerlchen erwiderten nichts. Sie waren noch immer im vollsten Sinne des Wortes sprachlos.

Dann führte Aristopulos sie in einen anderen Seitengang. Hier lagen eine Menge Tonnen übereinander geschichtet.

„Mein Sprengstoff!“ erklärte der Grieche stolz. „Er würde genügen, um diese Höhle in einen Trümmerhaufen zu verwandeln. Ich werde ihn Deutschland zur Verfügung stellen. Wie er wirkt, haben Sie ja schon an dem englischen Dampfer gesehen, den ich in die Luft fliegen ließ. – Kommen Sie – auch dieses Geheimnis sollen Sie kennen lernen.“

Eine Steintreppe führte aus der Höhle auf eine Galerie, wo ein kleiner Raum abgeteilt war. Dieser hatte nach Süden zu ein durch den Fels gehendes großes, mattes Fenster, in dem wieder ein breiter Sehschlitz sich befand. Hier stand ein Tisch mit einer Anzahl von elektrischen Druckknöpfen. Drähte liefen in einem dicken Bündel in die Höhle hinab. Sie gingen, wie der Grieche erläuterte, später unter der Erde bis nach der Bucht, wo Aristopulos außerhalb des englischen Minenfeldes selbst noch ein zweites angelegt hatte, dessen einzelne Minen er durch einen Druck auf den betreffenden Knopf zur Entzündung bringen konnte. Eine Zeichnung an der Wand stellte genau die Lage des Minenfeldes dar, und, da durch den Sehschlitz die Bucht bequem überblickt werden konnte, war es ein leichtes, jedes Schiff, das ahnungslos dem Ufer sich näherte, zu vernichten.

„Zwei Torpedojäger habe ich bereits auf diese Weise spurlos verschwinden lassen“, sagte der Grieche mit einem grausamen Lächeln. „Schade, daß kein Panzer hierherkommt …!!“

Aus seiner ganzen Art, wie er sprach, aus seinen wild flackernden Augen und hastigen Bewegungen ging deutlich hervor, daß sein Haß gegen alles, was Engländer hieß, bei ihm ins Krankhafte gesteigert war. Im übrigen bewies ja schon das, was er allein hier unter der Erde nur mit Hilfe einer außerordentlichen geistigen Regsamkeit und seiner beiden Hände geschaffen hatte, daß er ein Mann von geradezu glänzenden Geistesgaben sein mußte.

Dies zeigte sich nun auch, als er mit den beiden jungen Deutschen auf bequemen Stühlen in seinem Wohngemach saß und seinen Gästen bei einem Glase eines von ihm selbst gekelterten, eigenartigen Weines den Plan entwickelte, wie man gemeinsam Naxara verlassen könne.

„Daß ich Deutschland, kurz den Gegnern Englands meinen Sprengstoff zur Verfügung stellen will, habe ich bereits betont. Es ist das aber nicht die einzige Erfindung, mit der ich helfen werde, diesem elenden Britenvolke die Lust zu ähnlichen Störungen des Weltfriedens für alle Zeit zu benehmen. Mein Einsiedlerleben soll jetzt also aufhören. Ich kehre zurück als Rächer der Schandtaten, die an mir verübt worden sind. – Sie besitzen noch den Motor des Flugzeuges, auch die beiden Schwimmkörper. Hieraus muß sich ein Boot mit Luftschraubenantrieb herstellen lassen, dem ich noch durch eine besondere Vorrichtung, die sich auch an meinen Flugmaschinenmodellen befindet, eine erheblich größere Geschwindigkeit als gewöhnlich geben werde. Lassen Sie uns gleich morgen mit den nötigen Arbeiten beginnen. Selbstverständlich ziehen Sie jetzt hier zu mir in meine Behausung. Wir drei werden in einer Woche etwa, schätze ich, das Boot fertig haben.“

Wer war froher als die beiden Flieger, die nun endlich die sichere Aussicht hatten, baldigst wieder dem Vaterlande dienen zu können, nachdem sie hier zu einer ihnen höchst unwillkommenen Muße gezwungen worden waren.

Fester Handschlag besiegelte diesen soeben geschlossenen neuen Dreibund. Und dann tranken sie die Gläser aus mit dem Ruf: „Hoch Deutschland – nieder mit England!“ – –

Arbeitsreiche Tage folgten nun. Aber mit welcher Freude griffen Martens und Kerlchen mit zu, und wie staunten sie jetzt immer mehr über das ungeheure Wissen, diese Summe von Intelligenz, die Maros Aristopulos in sich vereinigte.

Eine Probe mit dem Motor befriedigte den Griechen nicht ganz, weil ihm die Zugkraft zu gering war. Die ganze Nacht blieb er dann auf, zeichnete und berechnete, bis er morgens seinen Gästen strahlend mitteilen konnte, daß er den Motor durch Anbringen von drei weiteren Zylindern derart verstärken werde, daß dieser zwei Propeller antreiben könne. Freilich würde sich die Abreise hierdurch um eine weitere Woche verzögern. Dafür hätte man dann aber auch die Gewißheit, daß das zu erbauende Wasserfahrzeug selbst von dem schnellsten Torpedozerstörer nicht eingeholt werden könne.

Während Aristopulos mit dem Umbau des Motors beschäftigt war, mußten Martens und Fritz Krastka unter seiner Anleitung aus dünnen Eisenplatten einen bootsförmigen Oberbau für die beiden Schwimmkörper herstellen. Jedenfalls gingen die Tage den beiden Fliegern so schnell dahin, daß sie selbst erstaunt waren, daß das Werk fast zusehends der Vollendung näherkam.

Am 15. September konnte man zum erstenmal den Motor zur Probe laufen lassen. Der Grieche änderte noch einiges und gab sich dann mit seiner Arbeit zufrieden. Inzwischen hatten die beiden Deutschen auch einen zweiten Propeller fertig bekommen, desgleichen zwei Schraubenwellen, die von dem in der Mitte des neuen Bootes angebrachten Motor nach dem Bug und dem Heck oben auf dem leicht gewölbten Deck entlang gingen und an die die Propeller befestigt waren.

Das ganze Fahrzeug war so eingerichtet, daß es nachher wieder auseinander genommen und am Strande der Bucht abermals zusammengesetzt werden konnte. Je näher nun die Stunde der Abreise rückte, desto aufgeregter wurden Martens und Krastka. Die Angst, daß der Fluchtplan noch im letzten Augenblick durch einen unglücklichen Zufall vereitelt werden könne, stieg bei ihnen fast von Stunde zu Stunde. Nur Aristopulos blieb völlig ruhig.

Am Abend des 18. Septembers stand eine mondhelle, sternenklare Nacht in Aussicht. Die einzelnen Teile des Bootes wurden nach Dunkelwerden auf Tragbahren nach der Bucht geschafft und hier auf einer schon vorher vorbereiteten Gleitbahn, die ins Wasser hinablief, zusammengesetzt, verschraubt und vernietet und das fertige Fahrzeug gegen vier Uhr morgens endlich seinem Element übergeben. Eine kurze Probefahrt bis zur Innengrenze der Minensperre und zurück bewies, daß alles nach Wunsch geraten war, mehr noch, daß das eigenartige Boot eine Schnelligkeit entwickelte, die noch größer war, als der Grieche ungefähr berechnet hatte. Nachdem dann noch Proviant und Wasser, die Schußwaffen und ein Dutzend von Aristopulos’ Minen, die etwa nur die Größe eines Fußballes hatten, verstaut worden waren, begann man beim Morgengrauen verschiedene der englischen Minen zu entfernen, um eine bequeme Durchfahrt durch die Sperre zu erhalten.

Bei dieser Arbeit nun trat eine höchst unliebsame Störung ein. Aus den leichten Morgennebeln, die zusehends lichter und lichter wurden, tauchte plötzlich ein englischer kleiner Kreuzer auf, der auf die Bucht zulief. Alles schien verloren. Aber der Grieche wußte Rat. Eiligst wurde das Luftschraubenboot hinter einer kleinen, vorspringenden Halbinsel versteckt. Martens und Krastka mußten an Bord bleiben, während Aristopulos nach der Höhle zurückkehrte, um das feindliche Kriegsschiff gegebenen Falles mit Hilfe der elektrisch zur Entzündung zu bringenden Minen zu versenken und auf diese Weise den Gegner zu beseitigen.

In atemloser Spannung warteten die beiden Flieger auf die weitere Entwicklung der Dinge. Alles hing davon ab, daß der Kreuzer sich nahe genug an Land heranwagte. Sehr vorsichtig näherte er sich, warf dann Anker und setzte eine Barkasse aus, die nicht minder vorsichtig dem Innern der Bucht zustrebte.

Den beiden Deutschen hämmerte das Herz jetzt in rasenden Schlägen. Geschah nicht bald etwas, so mußten sie das Boot preisgeben und gleichfalls in die Höhle flüchten. Schon hatte Martens beschlossen, den Rückzug anzutreten, als das Verhängnis über dem Engländer hereinbrach. Urplötzlich wallte genau mittschiffs des Kreuzers ein Wasserberg auf, dem wenige Sekunden später in seiner Nähe sechs weitere Riesenfontänen, aufgeworfen durch die explodierenden Minen, folgten.

Der Kreuzer eingehüllt in eine ungeheure Brandung, sank sehr schnell. Mächtige Wogen rollten dem Lande zu, überschwemmten es weithin. Hätte das Luftschraubenboot nicht hinter der Halbinsel gelegen, so wäre es wahrscheinlich ebenso in Trümmer gegangen, wie dies mit der Barkasse geschah, von deren Besatzung nur vier Mann lebend den Strand erreichten.

Jeden Augenblick mußte jetzt der Grieche erscheinen, und Martens und Krastka, die von den vier Engländern längst bemerkt waren, hielten ihre Karabiner bereit, um nötigenfalls die Feinde durch Schüsse zu vertrieben.

Da ereignete sich etwas, wofür die beiden Flieger nie eine Aufklärung fanden. Im Norden der Insel erhob sich plötzlich eine enorme Wolke Erd- und Felsmassen, ein furchtbarer Knall ertönte, eine turmhohe gelbe Flamme zuckte aus der Richtung der Höhle gen Himmel, die ganze Insel erzitterte, und ein Luftstoß, der ungeheure Mengen von Bäumen entwurzelte, fuhr über das Eiland hin. Kein Zweifel: des Griechen Sprengstofflager war aufgeflogen, die Grotte unter den zusammenstürzenden Felsmassen begraben.

Aristopulos kam nicht. Er mußte bei dieser Riesenkatastrophe mit den Tod gefunden haben. –

Zwei Stunden später machte eine englische Torpedobootflottille auf das merkwürdige, windschnelle Fahrzeug, diesen letzten glänzenden Gedanken des unglücklichen Griechen, Jagd. Die Lage war für die Flüchtlinge recht verzweifelt. Von Nordost näherten sich jetzt noch zwei Zerstörer, verlegten ihnen den Weg. Da entschloß sich Martens die mitgenommenen Minen zu opfern. Sie wurden im Fahrwasser des Luftschraubenbootes ausgestreut, und als nun einer der Zerstörer ihnen erst zum Opfer gefallen war, gab der Feind die Hetze auf. Die Deutschen waren gerettet. Aber leider war auch Aristopulos wichtige Erfindung, der neue Sprengstoff, für alle Zeiten verloren gegangen.

 

Ende.

 

Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

 

Verlagswerbung:

 

Urteile maßgebender Personen über die „Erlebnisse einsamer Menschen“.

Herr Prof. Dr. V. in M. schreibt:

„… Ich halte sie für durchaus geeignet, den weitesten Kreisen des Volkes, besonders auch der Jugend, in die Hand gegeben zu werden … Die Erzählungen sind auch sehr geeignet, die Charakterbildung der Kinder günstig zu beeinflussen …“

Herr Pfarrer und Ortsschulinspektor H. in B.:

„… Der Inhalt, völlig einwandfrei, ist geeignet, die Persönlichkeit namentlich der jugendlichen Leser zu selbständiger, ernster Betätigung anzuregen und die Lebensanschauung sittlich zu heben und zu fördern. Ich würde daher die Hefte ohne Bedenken der hiesigen Jugend- und Volksbibliothek einverleiben.“

Herr Rechtsanwalt H. in F.:

„… Die von mir gelesenen Robinsonaden stellen meines Erachtens eine durchaus einwandfreie Lektüre dar, die man getrost der Jugend in die Hand geben kann. Sie haben noch den Vorteil, reichlich belehrenden Stoff zu bringen …“

Herr Direktor G. in W.:

„… Sie sind unterhaltend und belehrend. Der richtige Lesestoff in der Hand der ernstgerichteten Jugend.“

Herr Lehrer B. in B.:

„Die mir zur Beurteilung übersandten Bändchen sind eine einwandfreie Unterhaltungslektüre für Knaben von 12 Jahren an.“

Herr Landrichter V. in B., früher Untersuchungsrichter in S.:

„… Die Erzählungen habe ich mit großem Interesse gelesen. Als Unterhaltungsschriften für die Heimat sowohl als auch für das Feld würde ich die billigen und dabei guten Heftchen empfehlen können …“