Sie sind hier

Die Kolonie Hoffnungskap

 

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

(Nachdruck, auch im Auszuge, verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 14. 1916.)

 

Die Kolonie Hoffnungskap.

 

W. Belka.

 

1. Kapitel.

Der Überfall auf die „Pallonia“.

Die deutschen Familien, die sich von dem englischen Auswanderer-Bureau zur Ansiedlung in Australien hatten anwerben lassen, waren nur zu bald gewahr geworden, daß die meisten der ihnen gegebenen Zusicherungen in keiner Weise eingehalten wurden. Schon der Dampfer, auf dem sie in Dover eingeschifft worden waren, stellte sich als ein alter, halbwracker Kasten heraus, der kaum acht Knoten lief und bei unruhiger See derart schlingerte, daß die Seekrankheit dann stets eine Anzahl von Opfern forderte, was den Aufenthalt in den engen Räumen noch unerträglicher machte.

An Bord befanden sich außer 92 Deutschen, Männern, Frauen und Kindern, auch einige hundert englische Familien, meist dem Arbeiter- und Handwerkerstande angehörig, die gleichfalls in dem kleinsten Erdteil ihr Glück versuchen wollten. Das Verhältnis zwischen den Zugehörigen der beiden Nationen war von Anfang an kein besonders gutes. Englische Rücksichtslosigkeit und Anmaßung trachteten auch auf der „Pallonia“ danach, sich die bessere Kost und die größeren Bequemlichkeiten zu verschaffen. So kam es bald zu Reibereien, da auch die vielbespöttelte deutsche Gutmütigkeit ihre Grenzen hatte.

Nach endlosen, martervollen sechs Wochen lief der Dampfer in den Hafen von Sydney an der Ostküste Australiens ein, wo er eigentlich nur Kohlen einnehmen sollte, da er erst in Adelaide an der Südküste sein Ziel erreicht hatte.

Aber die meisten Familien, sowohl Deutsche wie Engländer, hatten von der Seereise so übergenug, daß sie ihre Verträge umändern ließen und von Sydney aus nach anderen Gebieten, als ursprünglich bestimmt, reisten, um sich dort Farmland anweisen zu lassen. Auf der „Pallonia“ blieben nur sechs deutsche und zwei englische Familien zurück. Der Kapitän nahm daher in Sydney noch schnell achtzig chinesische Kulis an Bord, die ein Agent für einen Distrikt nördlich von Adelaide angeworben hatte, außerdem eine Menge Fracht, da der Laderaum nach Entfernung des Gepäcks der meisten Auswanderer wieder genügend Platz bot.

Am 15. Oktober 1900 ging die „Pallonia“ mit südlichem Kurse wieder in See. War der Aufenthalt auf dem jämmerlichen Kasten schon vorher kein Genuß gewesen, so gestaltete er sich jetzt durch die Anwesenheit der schmutzigen, stinkenden und frechen Chinesen zu einer reinen Tortur, zumal der englische Kapitän nichts tat, um die Kulis von Belästigungen der Weißen zurückzuhalten.

Fünf Tage später näherte man sich der Baßstraße, die die Südostecke Australiens von der Insel Tasmanien trennt. Zu allem Unglück geriet hier die Maschine in Unordnung, so daß der Dampfer von der nach Süden gehenden Ostaustralischen Strömung bei völlig windstillem Wetter weit über die Südspitze Tasmaniens hinaus entführt wurde.

Eine ganze Woche lang hatten die Maschinisten der „Pallonia“ sich nun bereits vergeblich bemüht, den Schaden wieder auszubessern. Man war inzwischen in eine Meeresgegend gelangt, die von keiner einzigen Schiffsroute durchschnitten wurde. Hier konnte man höchstens durch Zufall einem Walfischfänger begegnen, der den riesigen Meeressäugetieren, die jetzt um Australien herum infolge unvernünftiger Verfolgung sehr selten geworden sind, nachstellte.

Am Morgen des 28. Oktober kam zur Überraschung aller Leute auf der „Pallonia“ jedoch ein merkwürdiges Fahrzeug in Sicht, das nichts anderes als ein großes, aus Baumstämmen gefertigtes Floß war, auf dem man zwei Masten mit Mattensegeln angebracht hatte. – Eine Stunde, nachdem der Ausguckmann das Floß gemeldet hatte, war es so weit nahe gekommen, daß man auch mit bloßem Auge die Menschen darauf erkennen konnte, die mit langen, plumpen Rudern ihr Fahrzeug vorwärtstrieben, da der Wind auch heute zu schwach war, um die Mattensegel zu füllen.

An der Reling des Hinterschiffes des Dampfers standen die sechs deutschen Familien beieinander. Es war eine buntzusammengewürfelte Gesellschaft. Die verschiedensten Berufsstände waren vertreten, ebenso alle Altersstufen, vom zweijährigen, unbeholfenen Kinde, das sich noch ängstlich am Rocke der Mutter festklammerte, bis zu einem sechzigjährigen, weißbärtigen Tischler, der seine einzige verheiratete Tochter begleitete, da er sonst keine Angehörigen mehr in Deutschland besaß. Im ganzen waren es einundzwanzig Personen, die hier in einiger Entfernung von den Engländern neugierig das Floß beobachteten, das in dem eintönigen Einerlei der letzten Tage eine angenehme Abwechslung bot.

„Es sind offenbar Schiffbrüchige“, sagte Klinke, ein junger Berliner Bautechniker, der mit seiner Frau die alte Heimat verlassen hatte, weil ihn die Abenteuerlust und die Hoffnung auf leichten, besseren Verdienst in die Ferne trieb. Er war ein Mensch, der sich gern reden hörte, dabei aber ein heller, anschlägiger Kopf und ein gutmütiger Charakter.

Auf dem Floß befanden sich vierzehn Männer, alles kräftige, sonngebräunte Gestalten, die zum größten Teil recht spärlich bekleidet waren. In der Mitte des gut fünfzehn Meter langen Fahrzeugs war aus Zweigen eine große Hütte errichtet, neben der große Mengen Früchte, Kokosnüsse und Bananen, ferner zwei große Wasserfässer und ein paar Kisten lagen.

Der Kapitän der „Pallonia“ schien über diese Begegnung nicht sonderlich erfreut. Soeben hatte ihm der erste Maschinist gemeldet, daß die Maschine wieder in Ordnung sei, worauf er den Mann grob anfuhr und meinte, nun sei es leider zu spät, um dem Floß auszuweichen, und man müsse notgedrungen die unnützen Fresser da an Bord nehmen.

Das plumpe Fahrzeug wurde jetzt an der Backbordseite festgemacht, nachdem die Fremden sich als die Besatzung eines französischen Frachtdampfers ausgegeben hatten, der vor vierzehn Tagen südwestlich von Neu-Seeland in einem Sturm untergegangen sei.

Gleich darauf betraten zehn von den angeblichen Schiffbrüchigen das Deck.

Die Szenen, die dann folgten, spielten sich so blitzschnell ab, daß die Besatzung der „Pallonia“ keine Zeit fand, irgendwie sich zur Wehr zu setzen. Im Nu hatten die Fremden den Kapitän, den Steuermann und die an Deck befindlichen Matrosen mit kurzen Holzkeulen niedergeschlagen und die Bewußtlosen gefesselt. Den Auswanderern und den Kulis erklärten die nebenbei noch mit Revolvern bewaffneten Piraten, daß ihnen nichts geschehen würde, wenn sie sich streng an die Anordnungen der neuen Herren der „Pallonia“ hielten.

Klinke, der Berliner, der etwas Englisch radebrechte, trat als Sprecher der deutschen Familien auf und erklärte, man würde sich bereitwilligst in alles fügen. – Dies war ja auch das einzig Richtige, wie sich bald zeigte. Als nämlich einer der englischen Auswanderer, ein verheirateter Mann, dem Banditenführer mit der englischen Justiz drohte und gegen die Vergewaltigung der Dampferbesatzung lärmend protestierte, war die Antwort des Piratenkapitäns ein Keulenhieb, der den Engländer wie einen Klotz umsinken ließ.

Klinke sorgte dann auch dafür, daß das Jammern und Weinen der deutschen Frauen schnell aufhörte, indem er einigen gut zuredete, andere wieder ziemlich scharf behandelte. Die jetzigen Herren des Dampfers benutzten denn auch später den Berliner als Mittelsperson, um ihre Befehle den Auswanderern und den Chinesen zukommen zu lassen.

Eine halbe Stunde nach dem nur zu gut geglückten Überfall wurde das Maschinenpersonal gezwungen, die Kessel anzuheizen. Die „Pallonia“ schlug dann einen westlichen Kurs ein. Noch an demselben Tage erfuhr Klinke von dem Piratenanführer, daß die Fremden Sträflinge seien, die von der französischen Verbrecherkolonie Neu-Kaledonien vor sechs Wochen entwichen waren. Es waren zumeist politische Gefangene, Opfer von Machthabern, die ihnen unbequeme Elemente auf diese Weise für immer unschädlich machen wollten, und fast sämtlich gebildete Leute, die nur aus Not gegen die englische Besatzung so rücksichtslos vorgegangen waren, da sie sich um jeden Preis des Dampfers bemächtigen wollten, dessen sie zur Fortsetzung ihrer Flucht notwendig bedurften. Aus diesem Grunde wurden auch die Auswanderer in keiner Weise belästigt, und besonders zwischen den Deutschen und den Sträflingen entwickelte sich ein ganz freundschaftlicher Verkehr. Trotzdem waren die Franzosen jedoch außerordentlich mißtrauisch, um nicht etwa durch die Kulis überrumpelt zu werden, die ebenso wie die Besatzung im Vorschiff eingesperrt worden waren, das sie nicht verlassen durften.

Nach zwei Tagen kam dann im Westen eine Reihe hoher Klippen in Sicht, die wie Mauern aus dem Meere herauswuchsen und stellenweise eine Höhe von vierzig und mehr Meter hatten. Vorgelagert waren ihnen zwei deutlich zu unterscheidende Gürtel von Riffen, die stets von einer wütenden Brandung umtobt waren.

Klinke hatte inzwischen schon herausbekommen, daß sich unter den Sträflingen auch zwei frühere Seeleute befanden, die jetzt die Führung der „Pallonia“ übernommen hatten. Offenbar war einem von diesen diese entlegene, unbewohnte Inselgruppe, der man sich jetzt näherte, bekannt gewesen.

Gegen Mittag am 1. November 1900 ließ der Kapitän der Sträflinge, ein früherer Pariser Advokat, den Berliner zu sich rufen und teilte ihm folgendes mit:

„Unsere Sicherheit verlangt es“, sagte er, „daß niemand erfährt, daß wir jetzt im Besitze der „Pallonia“ sind. Wir sehen uns daher gezwungen, Sie und Ihre Landsleute sowie die Chinesen und die beiden englischen Familien hier auszusetzen. Jene Klippen dort drüben umgeben wie eine endlose, eirunde Umfassungsmauer zwei größere und einige kleinere Inseln, die so gut wie unzugänglich sind und höchstens einmal zufällig von einem Walfischfahrer besucht werden, der dort Trinkwasser einnehmen will. Sie und Ihre Landsleute müssen sich nun durch einen Schwur verpflichten, die Ihnen zugewiesene Insel nicht vor Ablauf eines Jahres zu verlassen. Sie sollen das größte der Eilande bewohnen, auf dem es eine reiche Tier- und Pflanzenwelt gibt. Die Chinesen und die beiden englischen Familien wieder müssen sich mit der kleineren Insel begnügen, die lediglich Gestrüpp und einige Nutzpflanzen enthält, so daß die Leute keine Möglichkeit haben, etwa ein Floß zu bauen und zu entweichen. Dieser zweiten Gruppe trauen wir nämlich nicht, während wir von Ihnen und Ihren Landsleuten annehmen, daß Sie Ihren Schwur halten und auch darauf achten werden, daß Ihre Nachbarn nicht doch auf irgend eine Weise entwischen. Sie werden also gezwungen sein, hier eine Ansiedlung zu gründen, was Ihnen bei der Beschaffenheit der Insel nicht schwer fallen kann. Leider sind wir nicht imstande, Ihnen Waffen mitzugeben. Diese brauchen wir selbst. Dagegen sollen Sie Ihr Gepäck ausgeliefert erhalten und auch einiges Handwerkszeug, eine Rücksicht, die den Engländern gegenüber fortfällt. Diese und die Kulis erhalten nur das Allernotwendigste. Sie sehen also, daß wir vollauf Ihr verständiges Benehmen hier an Bord anerkennen. Nach einem Jahr dürfen Sie tun und lassen, was Sie wollen. – Wie stellen Sie sich nun zu meinen Absichten?“

„Wir werden auf alles eingehen. Das kann ich jetzt schon zugleich im Namen meiner Gefährten erklären“, erwiderte der Berliner rasch, dem dieser Entschluß der Sträflinge bei seiner Abenteurernatur wirklich durchaus gelegen kam.

Tatsächlich gelang Klinke dann, seine Landsleute davon zu überzeugen, daß Nachgiebigkeit in diesem Falle das einzig Ratsame sei. Die unter den deutschen Auswanderern befindlichen Männer, sieben an der Zahl, mußten hierauf den geforderten Eid ablegen, und bereits nachmittags zwei Uhr wurden zuerst die sechs Familien ausgebootet und mit einiger Schwierigkeit durch die Riffe und eine schmale Einfahrt zwischen den Basaltklippen an Land geschafft. Dies geschah in den beiden größten Rettungsbooten[1] der „Pallonia“. – Kein Wunder, daß die Deutschen mit unruhiger Spannung dem Gestade entgegenblickten, das sie mindestens für ein Jahr beherbergen sollte.

 

2. Kapitel.

Die Gründung der Kolonie.

Schon vom Dampfer aus hatte man jenseits der Basaltfelsen, die von zahllosen Scharen von Seevögeln bewohnt wurden, über diese riesigen vorgelagerten Klippen die Kronen einzelner Bäume hinwegragen sehen. Als nun die Boote die schmale Einfahrt zwischen den mehr als haushohen, eigenartigen Mauern passierten, sah man die Inselgruppe vor sich. Die Durchfahrt lag im Osten, so daß man jetzt zur Rechten, also nördlich, eine dichtbewaldete Insel vor sich hatte, die eine lange Halbinsel sozusagen dem sich nähernden Boote entgegenstreckte. Südlich davon, getrennt durch einen 500 Meter breiten Sund, lag das zweite größere Eiland, das nur ganz wenige Bäume, dagegen weite Gestrüppflächen aufwies. Ferner gab es in dem großen, von den Basaltklippen eingeschlossenen Wasserbecken noch mehrere kahle, felsige Eilande, die unregelmäßig zerstreut waren und auf denen ebenfalls Möwen, Albatrosse und auch Pinguine hausten.

Einer der beiden Seeleute, die sich unter den Sträflingen befanden, steuerte das vorderste Boot. Neben ihm saß der Berliner, der seine junge Frau immer wieder auf den farbenreichen Baum- und Pflanzenwuchs der Insel aufmerksam machte, auf die man jetzt zuhielt.

Der Seemann erklärte Klinke dann, daß dieser riesige Binnensee, dessen salzhaltige Wasser die Ufer der Inseln umspülten, äußerst fischreich sei, aber auch eine große Anzahl jener höchst gefährlichen Streifenruderschlangen und Zauberfische enthalte, die beide giftig seien und durch Bisse oder Stiche schon manchen Schwimmer getötet hätten. Hierauf seien auch, fügte er hinzu, die Kulis und die Engländer aufmerksam gemacht worden, so daß die Deutschen kaum zu fürchten brauchten, daß ihre Nachbarn einmal den Sund schwimmend durchquerten und sie belästigten. Außerdem habe er auch festgestellt, daß von den Chinesen nur einige des Schwimmens kundig seien.

Diese Mitteilung diente sehr zur Beruhigung der Deutschen, denen der Gedanke an die Nähe der Chinesen nicht gerade angenehm gewesen war. Hatten diese doch ebenso wie die beiden englischen Auswandererfamilien auf die Deutschen eine schlecht verhehlte Wut, weil die Sträflinge mit ihnen weit weniger rücksichtsvoll verfuhren als mit den verd… Germans (Deutschen).

Der Berliner benutzte diese Gelegenheit, um den Seemann auch ein wenig darüber auszuhorchen, was eigentlich mit der Besatzung der „Pallonia“ geschehen sollte, worauf er die Antwort erhielt, diese würde erst später irgendwo ausgesetzt werden, da man das Maschinenpersonal vorläufig noch gebrauche. Dann unterrichtete der Seemann den Deutschen auch in großen Zügen über die Gestalt ihrer zukünftigen Wohnstätte, die, wie er erwähnte, von ihm vor Jahren einmal zufällig besucht worden sei.

Eine halbe Stunde später waren die Deutschen an der Spitze der Halbinsel mit ihren Habseligkeiten und den ihnen von dem Anführer der Sträflinge mitgegebenen Gegenständen allein. Dieses äußerste Ende der gleichfalls bewaldeten, etwa fünfhundert Meter breiten Landzunge wurde durch eine kahle Felsplattform gebildet, die steil in das Wasser des Beckens abfiel.

Unter den sechs Familien befand sich auch ein Ehepaar mit einem zehnjährigen Töchterchen. Der Mann war in Stettin längere Zeit Agent für eine Lebensversicherungsgesellschaft gewesen, hatte es aber zu nichts gebracht, da er dem Trunke nur allzu ergeben war. Er hieß Ernst Himmelrot, besaß einen schwächlichen Körper und dazu ein verkniffenes Schauspielergesicht. Da er einmal das Gymnasium bis Obertertia besucht hatte, spielte er sich gern seinen Landsleuten gegenüber als den Gebildeten auf. Er war kein angenehmer Charakter, drängte sich überall vor, obwohl er als ziemlich einfältiger Prahlhans wenig Ansehen unter den Auswanderern genoß.

Auch jetzt hielt er sich für verpflichtet, die Landung auf der Insel durch eine Ansprache zu feiern. In dieser taufte er die Spitze der Halbinsel „Hoffnungskap“, ein Name, der sehr bald allgemein auch für die Kolonie gebraucht wurde. Diese ganz glücklich gewählte Bezeichnung war aber auch der einzige gute Gedanke seiner Rede. Der Rest waren hochtönende Phrasen, die derart in die Länge gereckt wurden, daß der alte weißbärtige Tischler Frohwart schließlich ungeduldig wurde und erklärte, man hätte jetzt wohl besseres zu tun, als hier von „goldenen Zukunftsaussichten“ zu schwatzen, da man noch nicht einmal wisse, wo man für die Nacht sein Haupt zur Ruhe niederlegen solle.

Fritz Klinke hatte sich inzwischen schon mit dem Schwiegersohne Frohwarts, einem Schlossermeister mit einer richtigen Hünengestalt, heimlich entfernt. Als der jetzt so rücksichtslos unterbrochene Festredner verletzt schwieg und sich mit einem hochmütigen Achselzucken auf seine Reisekiste setzte, sagte Frau Klinke, daß ihr Mann und Schlosser Grosse bereits unterwegs seien, um einen Lagerplatz für die erste Nacht zu suchen.

Die Auswanderer ließen sich daher in der Nähe unter den ersten Bäumen nieder und warteten die Rückkehr der beiden ab. Sie hatten, mit Ausnahme von Himmelrot, zu Klinke volles Vertrauen. – Während man auf dem Hoffnungskap noch gespannt auf den Berliner und den Schwiegersohn des alten Frohwart harrte, wurde in den Booten der „Pallonia“ die erste Ladung Kulis nach der südlichen Insel geschafft. Boot folgte nun auf Boot, bis die ganze Chinesengesellschaft und auch die beiden englischen Familien, letztere acht Köpfe stark, sich an ihrem neuen Bestimmungsort befanden.

Mittlerweile war es fünf Uhr nachmittags geworden. Nun stellten sich auch die beiden Männer wieder ein. Sie berichteten, daß die Insel, soweit sie sie bisher durchstreift hätten, ganz der günstigen Beschreibung entspreche, die der Seemann von ihr gegeben hatte. Auch habe man an der Südecke einer tief in das Land einschneidenden Bucht eine große Waldblöße und ein Felsental entdeckt, die sich zur Gründung einer Niederlassung sehr gut eigneten, da es dort einen Bach mit klarem Wasser gebe und der Platz auch sonst allerlei Vorteile gewähre.

Sofort begann man nun die gesamten Habseligkeiten nach dem Tale zu schaffen. Die Deutschen, die hier zum erstenmal eine tropische Landschaft durchwanderten, waren nicht wenig erstaunt über die seltsamen Bäume und Pflanzen, die sie hier antrafen.

Die Wälder der Insel waren zumeist lichte Gehölze und bestanden größtenteils aus verschiedenen Eukalyptusarten, von denen es in Australien und den zu diesem Kontinent gehörigen Inseln nicht weniger als 134 gibt. Hier waren in der Hauptsache die sog. Fieberbäume, deren Blätterabguß als Heilmittel gebraucht wird, vertreten, ferner Mannabäume, die auf den Blättern einen süßen, schnell hart werdenden Saft in erbsengroßen Klümpchen ausschwitzen, und auch in einigen Exemplaren der Eukalyptus robusta oder kolossea, der bis 120 Meter hoch wird und dessen hartes, rötliches, schön geadertes Holz wie Mahagoni benutzt werden kann. – Das Wort Eukalyptus stammt aus dem Griechischen und bedeutet Schönmütze. Die Blütenkelche dieser Bäume ähneln nämlich einer hohen Mütze mit geschlossenem Saume, sind sehr farbenprächtig und riechen scharf aromatisch.

Außer diesen Eukalyptusarten, den für Australien charakteristischen Bäumen, kamen hier aber auch Buchen in kleinen Hainen vor, ebenso riesige Baumfarne, schachtelhalmähnliche, mächtige Kasuarinen, Grasbäume mit kurzem, dickem Stamm und oben mit einem Kranz langer, schilfartiger Blätter und Bunya-Bunya-Bäume, die das ganze Jahr über große Nüsse mit einem Fleisch von walnußartigem Geschmack tragen. Die Sträucher waren zumeist Akazien mit sichelförmigen, blaugrünen Blättern, während am Bache wieder zahlreiche Wasserfarne wuchsen, auf deren stärkemehlhaltige, zur Brotbereitung benutzte Früchte, die die Eingeborenen Nardu nennen, der Seemann den Berliner besonders aufmerksam gemacht hatte, ebenso wie er ihm auch die anderen nützlichen Bäume beschrieben hatte.

Die Flora (Pflanzenwelt) entsprach also vollkommen der des südlichen Australiens, während, wie sich später herausstellte, die Fauna (Tierwelt) der der Insel Tasmanien glich.

Jedenfalls gab es für die Auswanderer so viel Neues zu sehen, daß der Transport der Kisten und sonstigen Gepäckstücke sich sehr verzögerte und Klinke immer wieder die Säumigen zur Eile antreiben mußte. Es war daher auch sieben Uhr geworden, bevor das letzte Stück in dem Felsentale anlangte. Dieses hatte die Form eines länglichen Dreiecks und zog sich in eine kurze Hügelkette hinein, die die Südecke der von Norden nach Süden verlaufenden Bucht begrenzte. Es lag ziemlich hoch, so daß man erst über einige flache Terrassen hinwegsteigen mußte, ehe man den kaum fünf Meter breiten Zugang erreicht, der zwischen hohen Steinwänden hindurchführte. Auch die Seitenwände stiegen recht steil an, während es im Hintergrunde ein Felsplateau gab, das nur durch eine enge, steile Spalte zu erklimmen, sonst aber ganz unzugänglich war. In dem Tale, dessen größte Länge vielleicht hundert Meter betrug, entsprang an der Ostwand der Bach aus einer kräftigen Quelle, die hier einen kleinen Teich bildete, um dann ihre klaren Wasser durch den engen Eingang diesem Felskessels als schmales Rinnsal in bescheidenen Wasserfällen abwärts zu schicken. Der Talboden war stellenweise mit dichtem Grase bedeckt; ferner wuchsen hier einige mächtige, alte Buchen und kiefernähnliche Nadelbäume, auch mehrere Bunya-Bunya, deren Zweige sich unter der Last der großen Nüsse weit herabbogen.

Zunächst wurden nun unter drei dicht nebeneinander im Dreieck stehenden Buchen für die Frauen und die Kinder aus der dicken, korkhaltigen Rinde des Eukalyptus obliqua, die von selbst sich abschält und um die mächtigen Stämme in riesigen Stücken herumhängt, einige Hütten errichtet. Aber schon hierbei zeigte es sich, wieviel Zeit dadurch unnütz vergeudet wurde, daß die Kolonisten keinen Führer hatten, der jedem die Arbeit zuteilte.

Als die sieben Männer – sechs verheiratete und der alte Frohwart, der Witwer war – daher nach der Abendmahlzeit um das Feuer herumsaßen und berieten, welche Arbeiten man am nächsten Morgen zuerst in Angriff nehmen solle, machte Frohwart den Vorschlag, sofort einen „Gemeindevorsteher“ zu wählen, wie er sich ausdrückte.

Diesen Gedanken griff der redelustige Agent sofort auf und hielt abermals eine Ansprache, in der er versuchte, seine Person nach Möglichkeit herauszustreichen, bis der Schlosser Grosse ihm das Wort mit der Bemerkung abschnitt, Wahlbeeinflussungen seien hier streng verboten. Alles lachte, und Himmelrot, der sich durchschaut sah, änderte nun plötzlich seine Ansicht und meinte, die Kolonie würde auch ohne ein Oberhaupt bestehen können. Dies half ihm jedoch wenig. Was er gefürchtet hatte, trat ein. Fünf Stimmen erklärten sich für Klinke, während der alte Frohwart zwei erhielt, nämlich die des Berliners und die des Agenten.

Fritz Klinke bedankte sich kurz für das ihm entgegengebrachte Vertrauen und fügte hinzu, er wolle sich alle Mühe geben, dieses Vertrauen auch zu rechtfertigen.

„Was nun die Arbeitseinteilung anbetrifft“, sagte er dann, „so muß folgendes berücksichtigt werden. Erstens: die uns feindlich gesinnten Engländer und die achtzig Kulis auf der Nachbarinsel. Zweitens die Tatsache, daß unsere Insel selbst nicht so harmlos ist, wie sie scheint. Der Seemann hat mich vor Beutelwölfen gewarnt, die im Norden der Insel sehr zahlreich sein sollen. Ich hatte bisher noch nie etwas von diesen Raubtieren gehört. Sie werden auch Zebrahunde genannt, da ihr graubraunes Fell auf dem Rücken dunklere Querstreifen besitzt. Ihr starkes Gebiß und ihre Frechheit sollen sie, da sie stets zu mehren vereint auftreten, dem Menschen sehr gefährlich machen. Den Namen Beutelwolf führen sie deswegen, weil sie ihre neugeborenen Jungen in einer Hauttasche am Bauche mit sich herumtragen. – Wir haben also nicht nur mit der Nähe menschlicher, sondern auch vierfüßiger Feinde zu rechnen. Mithin muß es unsere Hauptsorge sein, uns bessere Waffen anzufertigen, als unsere Messer, die beiden Beile und die eine Axt sind. Schußwaffen stehen uns nicht zur Verfügung. Ich habe daher daran gedacht, daß Sellert, der von Hause Drechsler ist, zusammen mit Grosse die Herstellung von Lanzen, Pfeilen und Bogen übernimmt. Zwei eiserne Stangen hat uns der Führer der Sträflinge mitgegeben. Aus diesen Stangen müssen die Spitzen für die Lanzen und Pfeile geschmiedet werden.“

Hier wurde Klinke von dem Drechsler Sellert, einem älteren, ruhigen Manne, unterbrochen, der erklärte, er verstehe sich auch auf die Anfertigung von Armbrüsten und wolle zusehen, ob er nicht ein geeignetes Holz finde, um recht elastische, starke Bügel für diese arbeiten zu können. Eine gut gebaute Armbrust gebe doch jedenfalls eine bessere Waffe als ein Bogen ab.

Nach dieser mit Beifall aufgenommenen Zwischenbemerkung entwickelte Klinke dann sein weiteres Programm, bei dem er bereits zeigte, wie praktisch er die einzelnen Männer der kleinen Kolonie je nach ihren Fähigkeiten anzustellen wußte. Ebenso ließ er es auch nicht an den nötigen Maßregeln zur Sicherheit der Ansiedler fehlen, indem er schon heute bestimmte, daß man abwechselnd jede Nacht wachen solle, und zwar sollte der Posten immer alle Stunde abgelöst werden, so daß dieser Dienst nicht allzu anstrengend ausfiel.

Nachdem dann noch allerlei Einzelheiten, was den Bau der Wohnungen anbetraf, besprochen waren, legten sich die Männer gleichfalls zur Ruhe nieder, indem sie sich im Freien neben dem aufgestapelten Gepäck in ihre Decken und Mäntel wickelten. Die erste Wache übernahm der alte Frohwart. – Die Nacht verlief jedoch ohne Störung.

Begünstigt von schönstem Wetter, gelang es den Ansiedlern dann im Verlaufe einer Woche, nicht nur für jede Familie ein eigenes Häuschen herzustellen, zu dessen Wänden und Bedachung die leicht zu bearbeitende Eukalyptus-Korkrinde benutzt wurde, sondern auch die notwendigsten Einrichtungsgegenstände, ferner auch die geplanten Waffen und zum Schluß noch einen großen Vorratsspeicher, dessen eine Hälfte gleichzeitig als Werkstatt diente. Einige Pakete Nägel in allen Größen hatte man ja ebenso wie eine große Blatt- und eine kleinere Stichsäge, Hammer, Zange und Meißel aus den Vorräten der „Pallonia“ mitbekommen, desgleichen verschiedene Kochtöpfe, Schüsseln, Teller, Kannen und manches andere, alles freilich nur in beschränkter Zahl, so daß Klinke ständig auf der Jagd nach geeigneten Rohmaterialien war, um mehr Werkzeuge und Gefäße herstellen lassen zu können.

Erst als die Waffen fertig waren, wagte man es, auch weitere Ausflüge zu unternehmen, damit man auch die anderen Teile der Insel genau kennen lernte. Der Drechsler Sellert hatte mit den Armbrüsten wahre Meisterstücke geliefert, da er für die Bügel eine rohrartige Baumart verwendet hatte, die sehr lange, gerade Schößlinge trieb. Diese Schußwaffen sahen nicht nur recht gefällig aus, sondern schleuderten ihre langen, gefiederten Pfeile bis auf siebzig Meter und entwickelten bei fünfzig Meter noch eine Durchschlagskraft, die recht erheblich war.

Sellert besaß nun einen vierzehnjährigen, kräftigen Jungen, der sehr bald der beste Armbrustschütze der Kolonie wurde. Da der Knabe nur mit den Händen die Waffe nicht zu spannen vermochte, brachte sein Vater für ihn an seiner Armbrust eine besondere Hebelvorrichtung zu diesem Zwecke an. Karl Sellert, ein sehr flinker, munterer kleiner Bursche, wurde Klinkes ständiger Begleiter auf dessen Streifzügen durch die Insel, die gleichzeitig dazu dienten, um die Kolonie mit Fleisch zu versorgen. Ein Versuch, aus den Nardu-Früchten Brot zu backen, war sehr gut gelungen. Als erstes Wild erlegten die beiden ein Baumkänguruh, ein etwa ein Meter langes Tier, das hauptsächlich von den Früchten des Bunya-Bunya-Baumes lebt und dessen Fleisch sehr zart und wohlschmeckend ist. Es gehört ebenfalls zu den auf Australien beschränkten Beuteltieren. Außerdem traf man auch noch als weitere Vertreter dieser merkwürdigen Tiergattung Beutelbären, -mäuse, -dachse und -eichhörnchen an, die jedoch nur eine weite Hautfalte zur Unterbringung der Jungen besitzen. Die Fauna der Insel umfaßte ferner noch das eierlegende Schnabeltier, eine große Menge von Vögeln der verschiedensten Familien, darunter als besonders eigenartige den fleischfressenden Kea-Papagei[2] und das Großfußhuhn, welches seine Eier in zusammengescharrten Düngerhaufen ausbrüten läßt, schließlich verschiedene Eidechsen und Insekten.

Einen Beutelwolf bekam man erst am zwölften Tage im Nordteile der Insel zu Gesicht, vermochte ihn jedoch nicht zur Strecke zu bringen. Inzwischen war man auch über die Größenverhältnisse der Hoffnungsinsel ins Klare gekommen. Diese hatte die ungefähre Gestalt einer Pfanne, wobei die nach Osten gerichtete schmale Halbinsel den Stiel darstellte. Ihr Durchmesser betrug vielleicht sechs Kilometer. Die Bodengestaltung war recht abwechslungsreich. Ebene Lichtungen und bewaldete Hügel kamen überall vor, während es im Norden einen wildzerklüfteten, mit Gestrüpp bestandenen felsigen Höhenzug gab, von dem noch mehrere Bäche herabrieselten.

Das Leben in der Niederlassung verlief zunächst ohne irgend welche Vorfälle, die die Eintracht oder die Ruhe der Ansiedler gestört hätten. Da reichlich Arbeit vorhanden war und der fruchtbare Boden und der Tierreichtum keine Nahrungssorgen aufkommen ließen, fühlten sich die Deutschen hier durchaus glücklich und zufrieden. Nur Himmelrot mußte zuweilen durch energische Vorhaltungen daran erinnert werden, daß Müßiggang aller Laster Anfang sei und daß er ebenso dem erwählten Oberhaupte zu gehorchen habe wie die anderen.

 

3. Kapitel.

Die Beutelwölfe und ein Späher von drüben.

Bis zum 21. November ereignete sich nichts von Wichtigkeit. Das Wetter war zumeist angenehm warm, und gelegentliche Regenfälle sorgten auch dafür, daß der Boden stets die nötige Feuchtigkeit erhielt. Inzwischen hatten die Kolonisten noch mancherlei geschafft was zur Erhöhung ihrer Bequemlichkeit beitrug. So hatte der alte Frohwart zufällig in einer etwas sumpfigen Niederung, wo sehr zahlreiche Nardu-Farne vorkamen, ein Tonlager entdeckt, das sofort zur Herstellung von Kochgefäßen und Geschirr benutzt wurde, eine Arbeit, die der Drechsler Sellert zu aller Zufriedenheit mit Hilfe eines Töpferofens ausführte, in dem die vorher getrockneten Tonfabrikate gebrannt wurden. Außerdem konnte man jetzt aber auch in den Hütten praktische Kochöfen aus Ziegeln errichten, so daß das bisherige gemeinsame Zubereiten der Mahlzeiten, welches manche Unzuträglichkeiten mit sich gebracht hatte, in Zukunft fortfiel. Die Rindenhäuschen hatten jetzt sämtlich kleine Vorgärten mit Knüppelzäunen erhalten, und manche Familienväter erbauten sich auch inmitten der üppigen Blumenpracht hübsche Lauben, die sie mit Klettergewächsen berankten. Selbst an Haustieren fehlte es nicht, da es gelungen war, junge Großfußhühner und Papageien einzufangen, die sich schnell an den Umgang mit Menschen gewöhnten und völlig zahm wurden. Die Niederlassung hatte daher von Tag zu Tag ein immer freundlicheres Aussehen angenommen. Vieles verdankte man den Anregungen des praktischen Oberhauptes Klinke, der sich geradezu als Universalgenie herausstellte.

Dann aber brachte der 21. November die ersten bedenklichen Aufregungen. Am Morgen waren vier von den Kolonistenkindern in den nahen Wald gegangen, um Bunya-Bunya-Nüsse zu pflücken. Klinke und Karl Sellert hatten sich gleichzeitig nach dem Südstrande begeben, um festzustellen, was die Engländer und die Chinesen trieben, von denen man bisher wenig bemerkt hatte. Der Berliner hielt diese gelegentlichen Kundschaftergänge nach dem Südufer für durchaus nötig, da er den Nachbarn auf der Kuli-Insel, wie man das zweitgrößte Eiland getauft hatte, durchaus nicht traute. Aber auch heute erblickten die beiden nur einige Chinesen, die im flachen Wasser mit selbstgefertigten Fischspeeren nach einer in dem Becken sehr zahlreichen Fischart stachen, die einige Ähnlichkeit mit dem Lachs hatte und auch von den deutschen Kolonisten in der Bucht unweit der Niederlassung mit der Angel gefangen wurde.

Karl Sellert wunderte sich darüber, daß die Kulis sich trotz der giftigen Streifenruderschlangen und der mit Giftstacheln bewehrten, überaus häßlichen Zauberfische bis zu den Hüften in das Wasser wagten, worauf der Berliner ihn darauf aufmerksam machte, daß die Chinesen, wie trotz der weiten Entfernung zu erkennen war, sich zum Schutz Rindenstücke um die Beine gewickelt hätten.

Der Knabe beobachtete eine Weile schweigend die Fischer und meinte dann, wenn die Chinesen schlau wären, würde es ihnen doch wohl gelingen, nach der Hoffnungsinsel überzusetzen, da sie sich ja einen Nachen aus Baumrinde herstellen könnten, wozu ihre Messer als Werkzeuge wohl genügen dürften.

Diese Bemerkung stimmte Klinke sehr nachdenklich. Karl hatte nur zu recht mit diesem Hinweis auf eine ständige Gefahr, die von Seiten der feindlich gesinnten Nachbarn drohte. Auf dem Rückwege nach der Ansiedlung entwickelte der Berliner daher seinem jungen Begleiter einen schon seit einiger Zeit gehegten Plan, wie man sich auf einen immerhin doch möglichen Angriff von Seiten der Kulis vorbereiten könne. Der Knabe war für die Idee sofort Feuer und Flamme und meinte, die anderen Männer würden sicherlich auch einsehen, daß diese Vorsichtsmaßregeln durchaus nötig seien.

Sie hatten heute zur Abwechslung einen anderen Weg als sonst eingeschlagen, nämlich am Weststrande entlang, wo es eine kleine, nur mit Gras bestandene Ebene gab, die von zahlreichen Beutelmäusen bewohnt wurde. Als sie diese Steppe durchschritten, fiel Klinke ein niedriger Felsblock auf, der deswegen die Aufmerksamkeit des Kolonistenführers erregte, weil er vollständig rostrot war. Sie blieben vor dem merkwürdigen, zackigen Steine stehen, der offenbar noch ein gutes Stück in die Erde hineinragte. Klinke kratzte ganz unabsichtlich mit dem Schaftende seiner Lanze auf der Oberfläche des vermeintlichen Felsens hin und her, so daß sich davon blättchenartige Stücke loslösten, die wie rostzerfressene Eisenteilchen aussahen. Der Berliner bückte sich dann plötzlich und begann den Stein genauer zu untersuchen. Als er sich wieder aufrichtete, schüttelte er verwundert den Kopf und erklärte, so unglaublich es auch scheine, – dieser Block hier bestehe aus Eisen. – Er war über diese Entdeckung ganz erregt. In Gedanken sah er schon unter den geschickten Händen des Schlossers Grosse allerlei eiserne Geräte entstehen, deren Mangel täglich recht unangenehm empfunden wurde.

Bald hatten sie dann auch einen Stein gefunden, mit dem sie eine Zacke von dem Block losschlagen konnten, um sie mit nach der Ansiedelung zu nehmen. – Daß es sich hier um einen Wanderer aus dem Himmelsraum, einen auf die Erde gefallenen Meteoriten, also um sog. Meteoreisen handelte, wußten sie beide nicht. Meteoreisenstücke sind in allen Weltgegenden gefunden worden. Sowohl ihre Zusammensetzung als auch die Fundorte selbst – diese deswegen, weil sie beweisen, daß es sich nicht etwa um auf der Erde selbst entstandenes Eisen handeln kann – haben den Gelehrten verraten, woher diese Teile größerer Himmelskörper stammen. Das schwerste, bisher entdeckte Stück wog gegen vierzig Zentner. Aus einem kleineren, außerordentlich nickelhaltigen wurde für Kaiser Alexander 1. von Rußland ein Degen geschmiedet, dem das Volk allerlei übernatürliche Kräfte zuschrieb.

Als die beiden Kolonisten jetzt eiliger als bisher ihren Weg fortsetzten, hörten sie plötzlich vor sich aus einem kleinen Hain von Bunya-Bunya-Bäumen helle Kinderstimmen laut um Hilfe rufen. Im Laufschritt rannten sie nun weiter, bogen dann um ein paar dichte Sträucher und sahen ein Bild vor sich, das ihnen das Blut förmlich in Adern gerinnen ließ.

Auf einem krumm gewachsenen, dicken Bunya-Bunya, dessen Stamm fast parallel mit dem Erdboden in etwa anderthalb Meter Höhe verlief, hockten in den obersten Ästen die vier Kolonistenkinder, die sich gegen den ausdrücklichen Befehl Klinkes allzu weit von der Ansiedlung ohne Begleitung entfernt hatten. Rund um den Baum aber standen neun Beutelwölfe, die gierig nach ihrer menschlichen Beute hinaufspähten, während zwei andere Zebrahunde auf den schrägen Stamm gesprungen waren und versuchten, noch höher zu klettern, um die Kinder herabzerren zu können.

Im Nu hatten Klinke und Karl Sellert ihre Armbrüste gespannt, Pfeile in die sauber geglätteten Holzläufe geschoben und mit langen Sprüngen, gedeckt durch Gesträuch, eine Stelle erreicht, wo sie nur noch etwa acht Meter von dem Bunya-Bunya entfernt waren. Nach kurzer Verständigung jagten sie den beiden gestreiften Beutelwölfen oben auf dem Stamm ihre Armbrustpfeile in den Leib. Die Tiere heulten auf, verloren den Halt und stürzten mit dumpfem Krach kopfüber in das Gras hinab, wo sie wütend nach den in ihrem Körper steckenden Geschossen schnappten. Inzwischen hatten die beiden Schützen sich längst selbst auf den Baum hinaufgeschwungen, wo sie nun, mit den Füßen zwischen den Ästen sicheren Halt suchend, die Lanzen als Stoßwaffen gegen die blutgierig nach ihnen hochspringenden Zebrahunde gebrauchten, und dies mit so gutem Erfolg, daß schon nach wenigen Minuten vier der Bestien mit tödlichen Stichen am Boden lagen. Trotzdem ließen die anderen Beutelwölfe nicht von der Belagerung ab, zogen sich nur, vorsichtiger geworden, einige Meter zurück. Jetzt war es an der Zeit, wieder die Armbrüste ein entscheidendes Wort mitsprechen zu lassen. Da deren Schüsse ganz lautlos erfolgten, und nur die getroffenen Tiere vor Schmerzen aufheulten, konnten Klinke und Karl allen Zebrahunden bis auf drei die mit langen, scharfen Eisenspitzen versehenen Pfeile in die Weichteile des Bauches als die empfindlichsten Stellen jagen. Plötzlich erfaßte das Rudel dann aus unbekannter Ursache ein panischer Schrecken. Mit eingeklemmten Schwänzen rannten die noch lebenden Tiere davon und verschwanden unter den Bäumen. Vier tote Bestien blieben auf dem Kampfplatz zurück, während zwei andere nur mühsam den anderen sich nachschleppten.

Diese wurden bald eingeholt und ohne Mühe abgetan. Bei der weiteren Verfolgung der deutlich erkennbaren, durch reichliche Bluttropfen gekennzeichneten Fährte des Rudels fanden die beiden Jäger noch zwei Tiere, die ebenfalls niedergestoßen wurden, so daß von diesen Bestien jetzt nur noch drei, eben die unverletzten, übrig waren.

Nachher wurden die Pfeile aus den Kadavern wieder herausgezogen und die Wölfe an Ort und Stelle sofort abgehäutet, da die Felle zu allerhand Zwecken gut zu gebrauchen waren.

Dieses Abenteuer und die glückliche Errettung der Kinder erregte in der Niederlassung eine solche Erbitterung gegen die vierbeinigen Störenfriede, daß die Männer beschlossen, gleich am folgenden Tage mit dem Bau von Raubtierfallen zu beginnen, um die Beutelwölfe auszurotten.

Dieser Gedanke sollte jedoch erst später verwirklicht werden, da inzwischen Ereignisse eintraten, die andere Arbeiten als dringender erscheinen ließen.

Nachdem die erste Aufregung über das Erscheinen eines so zahlreichen Wolfsrudels in diesem Inselteil sich etwas gelegt hatte, zeigte Klinke dem Schlosser Grosse das mitgebrachte Eisenstück vor. Dieser erklärte, es sei tatsächlich Eisen, und wenn man ihm einen Schmiedeofen zum genügenden Erhitzen des Stückes baue, wolle er gern beweisen, daß es sich zu allerhand Werkzeugen umformen lasse.

Inzwischen war es Mittagszeit geworden. Gleich nach dem Essen begaben sich dann Klinke, Frohwart, Sellert und Karl nach der Fundstelle des Eisenblockes, um zu versuchen, ob sie diesen nicht mit Hilfe einer Trage nach dem Tale schaffen könnten. Es stellte sich nun auch heraus, daß der Block nicht sehr tief in der Erde lag und vielleicht acht Zentner wog. Der Transport war daher nicht ganz einfach, gelang aber schließlich doch. Unterwegs besprach Klinke dann auch mit den beiden Männern dieselbe Angelegenheit, die er bereits am Vormittag mit dem Knaben erörtert hatte.

Die Absicht des Berliners ging dahin, sowohl das Tal als auch die im Hintergrunde desselben liegende Terrasse in Verteidigungszustand zu setzen, um für alle Fälle gegen einen Angriff der Chinesen gerüstet zu sein. – Frohwart und Sellert stimmten dem Führer der Kolonisten eifrig bei. Schon in Rücksicht auf die Frauen und Kinder sei man verpflichtet, nichts zur allgemeinen Sicherheit außer acht zu lassen, meinte der alte Tischler.

Als die Sache dann nachher auch den anderen Männern vorgetragen wurde, hatte nur der Agent Himmelrot an Klinkes Vorschlägen etwas auszusetzen, indem er erklärte, die feigen Kulis würden sich hüten die Niederlassung anzugreifen, und man mache sich nur unnötig Arbeit, wenn man all das ausführe, was Klinke beabsichtige.

Da man längst wußte, daß der Agent dem Oberhaupte der Kolonie stets nur aus Neid um dessen leitende Stellung widersprach, wurde er von dem Schlosser Grosse derart mit Spott überhäuft, daß er ganz blau vor Wut wurde und drohte, sich an einer anderen Stelle allein anzusiedeln, eine Bemerkung, die nur allgemeines Gelächter hervorrief.

Man ging dann auch sofort an die Vornahme der nötigen Arbeiten heran, errichtete vor dem Eingang zu dem Talkessel einen hohen Zaun mit einem verschließbaren Tor, das mit starken Dornenzweigen eng durchflochten wurde. Hiermit war man auch bis zum Abend fertig. Das Tal war, wie schon erwähnt, nur von einigen Stellen aus zu betreten. Diese Zugänge wollte man am nächsten Tage ebenfalls auf dieselbe Weise versperren. Dann gedachte man die Terrasse, deren hohe Rückwand weit überragte und die nur durch die schmale Felsspalte zu erklimmen war, im übrigen aber schroff abfiel, zu einer kleinen Festung auszubauen, Lebensmittel dort aufzuhäufen und auch eine künstliche Zisterne anzulegen.

Während die Männer nach dem Abendessen, in Sellerts großer Laube sitzend, alle Einzelheiten dieser Arbeiten genau durchsprachen (Himmelrot hielt sich grollend abseits), hatte Karl Sellert sich auf den Höhen östlich des Taleinganges mit seiner Armbrust vor dem Schlupfloch eines Marderbaues auf den Anstand gesetzt, um einem dieser kleinen Räuber, die den Hühnern der Niederlassung nachts des öfteren nachstellten, abzuschießen.

Es war gerade Vollmond, so daß der Knabe die zu seinen Füßen liegende Urwaldblöße weithin überschauen konnte. Plötzlich schien es ihm, als ob er einen dunklen Schatten bemerke, der sich langsam auf das bereits verschlossene, neue Tor zubewegte. Erst hielt er ihn für einen anschleichenden Beutelwolf. Dann aber wurde er gewahr, daß es nur ein Mensch sein konnte. Da sich nun von den Kolonisten niemand mehr außerhalb des Tales befand, mußte es einer von den Kulis oder von den Engländern sein.

Karl überlegte nicht lange, was er unter diesen Umständen zu tun habe. So schnell er konnte kletterte er in den Felskessel hinab, erzählte den Männern das Beobachtete und beteiligte sich dann selbst an der Jagd auf den Chinesen. Dieser wurde von Klinke, Sellert und dem Knaben, die auf Umwegen den Späher in den Rücken gekommen waren, gerade dabei überrascht, als er in die Dornenzweige des Tores ein Loch einschnitt, um so einen Einblick in das Tal zu gewinnen.

Der Kuli versuchte sehr schlau den Harmlosen zu spielen. In schlechtem Englisch erklärte er, nichts Böses im Schilde zu führen. Gefragt, wie er denn auf die Hoffnungsinsel gelangt sei, verwickelte er sich bei seinen Antworten in allerlei Widersprüche, behauptete erst, er habe den Sund zwischen den beiden Inseln durchschwommen und änderte dann seine Aussage dahin ab, daß er auf einem angeschwemmten Baumstamm hinübergerudert sei.

Jedenfalls schenkte man ihm keinen Glauben, fesselte ihn und beschloß, die Nacht über drei Posten aufzustellen, da man nicht wissen konnte, ab der Chinese nicht die ganze Bande seiner Landsleute hinter sich habe.

In leicht begreiflicher Erregung warteten die Kolonisten, ohne daß einer von den Männern Schlaf fand, den Morgen ab. Es ereignete sich jedoch nichts, so daß Klinke und Karl als die beiden mit der Örtlichkeit am vertrautesten sich sofort nach Sonnenaufgang unter allen möglichen Vorsichtsmaßregeln nach dem Südstrande schlichen, um nach dem Fahrzeug zu suchen, mit dem der Kuli herübergekommen sein mußte. Allerdings bestand ja auch die Möglichkeit, daß mehrere Chinesen auf der Hoffnungsinsel gelandet waren, die inzwischen wieder abgefahren sein konnten.

Es zeigte sich, daß der Kuli, ein noch junger, sehr verschmitzt aussehender Bursche, doch wohl als einziger Kundschafter ausgeschickt worden war. Verborgen im Gebüsch fanden Klinke und Karl dicht am Strande ein sauber gearbeitetes Rindenboot, dessen Fugen mit Baumharz verschmiert waren. Das Boot konnte bei seinen geringen Abmessungen höchstens zwei Leute tragen. Es war so leicht, daß Klinke es bequem allein auf die Schulter nehmen konnte.

Der Kuli, nochmals ins Verhör genommen und zum Schein mit dem Tode des Erhängens bedroht, legte jetzt ein volles Geständnis ab. Er schilderte das Leben auf der steinigen, gestrüppbedeckten Nachbarinsel in einer Weise, daß es begreiflich schien, wie gern die beiden englischen Familien und die Kulis die begünstigtere Hoffnungsinsel sich angeeignet hätten. Er wäre als einziger Späher hinübergeschickt worden, und man besäße vorläufig nur dies eine Boot, da Baumrinde dort sehr knapp sei und es auch an Werkzeugen fehle. Die Engländer hätten allerdings die Absicht, sich in Besitz der Insel der Deutschen zu setzen, dies sei aber vorläufig undurchführbar, da eben keine Fahrzeuge zum Passieren des Sundes vorhanden seien, in dem bereits vier Chinesen das Wagnis einer Schwimmtour nach der Hoffnungsinsel mit dem Leben gebüßt hätten.

Diese Angaben des Chinesen machten durchaus den Eindruck der Wahrheit. Trotzdem erklärte Klinke ihm, daß man ihn erbarmungslos baumeln lassen würde, falls sich herausstellte, daß er auch nur im geringsten gelogen habe. – Der Kuli, der sich Kung-Schiao nannte und mit einem Messer und einer Lanze mit Steinspitze bewaffnet gewesen war, wurde in ein bisher als Keller benutztes Felsloch eingesperrt, das eine feste Tür aus starken Ästen besaß. Ein Entweichen des Gefangenen von hier war ausgeschlossen.

Noch an demselben Vormittag unternahmen Klinke und Karl Sellert dann in dem Rindenboot einen Ausflug nach der Kuli-Insel, umruderten diese vollständig und überzeugten sich, daß dort am Strande keine weiteren Fahrzeuge vorhanden waren. Sie wurden natürlich bemerkt und von einem Haufen Chinesen am Ufer ständig verfolgt. Um der bezopften Gesellschaft zu zeigen, daß die Deutschen über recht weittragende Waffen verfügten, näherten sie sich dem Strande bis auf fünfzig Meter und schossen dann gleichzeitig ihre Armbrüste, möglichst auf die Beine der Gelben zielend, ab. Der Erfolg blieb auch nicht aus, wie das Wutgeschrei und der eilige Rückzug der Feinde bewies, die zwei ihrer in die Waden getroffenen Landsleute mit sich fortschleppten.

 

4. Kapitel.

Drechsler Sellert-Geschütze.

Mit der friedlichen Ruhe in der Ansiedlung war es nun vorbei. Alles arbeitete fieberhaft, um die leicht zugänglichen Stellen der Talwände durch Dornenverhaue zu sperren und die Terrasse zu einer Festung auszugestalten. Dieses Felsplateau hatte ungefähr die Gestalt eines Kreisabschnittes, war etwa achtzig Meter lang und besaß eine größte Breite von einigen zwanzig Metern. Während ein Teil der Kolonisten am Rande der Terrasse eine Steinmauer aufführte, bei der Ton als Bindemittel benutzt wurde, waren der Drechsler Sellert, der Schlosser Grosse und der alte Frohwart in der Werkstatt damit beschäftigt, nach den Angaben Sellerts große Wurfmaschinen und Armbrüste von solchen Abmessungen zu bauen, daß man diesen Waffen getrost den Namen Geschütze geben konnte.

Sellert hatte nämlich einmal in einem Völkermuseum altrömische Belagerungsmaschinen dieser Art gesehen und war jetzt auf den Gedanken gekommen, die kleine Festung mit ähnlichen Wurfinstrumenten zu versehen.

Zunächst hatte er mit Hilfe Grosses und Frohwarts zwei Probegeschütze fertiggestellt. Beide ruhten auf festen Holzgestellen, die mit Rädern versehen waren. Das eine bestand in der Hauptsache aus einem dünnen, elastischen Eukalyptusstamm, der, auf dem Gestell aufrecht angebracht und oben mit einem nach vorn offenen Kasten versehen, durch einen dicken Lederriemen nach rückwärts umgebogen und plötzlich wieder losgeschnellt werden konnte, so daß ein in dem Kasten befindlicher Stein in hohem Bogen fortschleudert werden mußte. Die zweite Art der Sellertschen Geschütze waren wie schon angedeutet nichts anderes als Armbrüste von riesigen Abmessungen, deren ebenfalls aus einem elastischen Stamm hergestellter Bügel sich wie bei den Schleudern mit Hilfe einer Winde spannen ließ.

Diese den römischen Katapulten und Ballisten nachgebildeten Wurfmaschinen bestanden bei einem Probeschießen so gut, daß Klinke den Bau von sechs weiteren Schleuderinstrumenten dieser Art anordnete. Sellert brachte bei diesen neuen Geschützen dann noch verschiedene Verbesserungen an, die die Tragweite der Geschosse noch wesentlich erhöhten.

Inzwischen hatte Grosse nebenbei auch aus dem gefundenen Meteoreisen allerlei Werkzeuge, Nägel und anderes geschmiedet, daß man in der Lage war, die Geschütze nicht nur äußerst dauerhaft herzustellen, sondern für die fahrbaren Armbrüste auch eisenbeschlagene Pfeile von eineinhalb Meter Länge anzufertigen, die im Stande waren, noch auf hundert Meter Entfernung ein starkes Brett zu durchschlagen.

Nach einer Woche emsigster Tätigkeit waren die Schleudermaschinen sämtlich fertig und wurden nun auf die Terrasse geschafft, wo inzwischen im Schutze der überhängenden Felswand auch drei Häuschen errichtet worden waren, ebenso wie man hier auch eine Menge Proviant aufgestapelt und eine Zisterne angelegt und gefüllt hatte.

Während dieser Woche, die ausschließlich nur der Ausrüstung der Festung gewidmet war, hatten Klinke und der Knabe in dem Rindenboot verschiedentlich nachts die Kuli-Insel besucht und waren dabei auch kühn in die Mündung eines Baches eingedrungen, an dem unweit des Strandes auf einer Lichtung nach Aussage des Gefangenen die Zweighütten der Engländer und der Chinesen stehen sollten. Der Kuli Kung-Schiao hatte nicht gelogen. Die Niederlassung der Feinde lag wirklich an der angegebenen Stelle, und die beiden kühnen Kundschafter, die auf die Dunkelheit der Nacht und die Sorglosigkeit der Gegner rechneten, konnten sich überzeugen, daß die Bewohner der Nachbarinsel jetzt drei größere Kähne in Angriff genommen hatten, die aus einem Gerippe von Zweigen und einem Rindenüberzug bestanden. In einer regnerischen Nacht – es war die, die dem Tage folgte, an dem man die Sellertschen Geschütze mühsam auf die Terrasse hinaufgezogen hatte – gelang es Klinke und Karl sogar, die bereits so gut wie fertigen Boote des Gegners vollständig durch Beilhiebe zu zerstören, so daß man wieder für einige Zeit vor den gefährlichen Nachbarn sicher war.

Der Führer der deutschen Kolonisten ließ dann sofort am nächsten Tage am Ufer der Bucht, die bis auf zweihundert Meter an die kleine Festung heranreichte, mit dem Bau eines größeren Fahrzeuges beginnen, das, einer Arche ähnlich, dazu dienen sollte, den Feind fortdauernd zu belästigen. Mit den neuen Beilen und Äxten schritt das Behauen der gefällten Bäume und das Zurechtsägen in Planken von der nötigen Länge so schnell vorwärts, daß die plumpe Arche nach zehn Tagen vom Strande der Bucht aus, wo man die Schiffswerft eingerichtet hatte, ihrem Element übergeben werden konnte. Sie war nichts anderes als ein zehn Meter langer und vier Meter breiter Kasten mit einer hohen, starken Reling und einem viereckigen Kajütaufbau, in den überall Schießscharten eingeschnitten waren. Zur Fortbewegung sollten vier lange Ruder dienen, deren Bedienungsmannschaften durch die Holzreling völlig geschützt waren. Zu allem Überfluß wurden die Bordwände ringsum noch mit starken Dornenästen benagelt, so daß sich um das Fahrzeug, das etwa anderthalb Meter aus dem Wasser herausragte, ein stachliger Kranz herumzog, der ein Erklettern der Arche so gut wie unmöglich machte. Die Fugen waren durch in flüssiges Harz getauchtes Moos so vortrefflich abgedichtet worden, daß nirgends ein Tropfen Wasser eindrang.

Die Arche wurde vor dem Stapellauf von Klinke nach einer kurzen Ansprache „Germania“ getauft, und gleich am folgenden Tage unternahmen sechs der Kolonisten, darunter auch Karl Sellert, eine Erkundungsfahrt nach der Kuli-Insel. Auf Vorschlag des Knaben hatte man auch für die „Germania“ vier Schleudermaschinen hergestellt, die auf Deck postiert wurden und für die eine ganze Menge passender Steine als Geschosse mit verladen wurden.

Nachdem man die Bucht verlassen hatte, ruderte man um die Westseite der Hoffnungsinsel herum und drang dann kühn in die breite Bachmündung ein, hinter deren erster Biegung die Niederlassung des Feindes sich befand. Nachmittags gegen drei Uhr waren die Hütten des Gegners erreicht. Ein starker Trupp Chinesen, unter den sich auch die beiden Engländer gemengt hatten, eilte schreiend am Ufer hin und her, getraute sich aber nicht, einen Angriff auf die Arche zu unternehmen, auf der sich keiner der Insassen zeigte.

Gegenüber der Niederlassung legte sich die „Germania“ dicht an das Ufer und begann dann mit den vier Wurfmaschinen die Stelle zu bombardieren, wo der Feind mittlerweile bereits wieder drei neue Boote halb fertiggestellt hatte.

Die Überraschung der Chinesen ist schwer zu schildern, als der erste Stein von Kopfesgröße im Bogen angeflogen kam und eine leere Hütte umriß, die unweit des Bauplatzes stand. Die Kulis stoben kreischend auseinander und wagten sich jetzt nicht mehr in die Reichweite der Sellertschen Geschütze, die ihre Steinbomben nach den ersten Fehlschüssen mit ziemlicher Sicherheit auf die halbfertigen Rindenboote schleuderten, da sie ja mit einer Vorrichtung versehen waren, die auch ein Zielen leidlich ermöglichte. Jedenfalls ereilte diese drei Boote genau dasselbe Schicksal wie die früheren: sie wurden soweit zerstört, daß der Feind wieder Tage dazu brauchte, um sie zurechtzuflicken, falls dies überhaupt noch anging. Die Besatzung der „Germania“ sah deutlich, daß die Engländer die Kulis immer von neuem zu einem Angriff auf die Arche zu bewegen suchten. Damit der Feind nun einen noch größeren Respekt vor den Waffen der Deutschen erhielte, legte Sellert in den Kasten einer der Maschinen einen nur etwa zwei Fäuste großen Stein, richtete das Geschütz dann auf einen Fernwurf ein und zog den Hebel zurück. Dieses bedeutend leichtere Geschoß flog denn auch mitten unter die auf einem kleinen Hügel stehende Kulischar und schlug einem der Gelben die Lanze aus der Hand, ohne jedoch weiteren Schaden zu verursachen. Trotzdem genügte diese Warnung. Im Nu war die ganze Bande verschwunden, und hochbefriedigt gab Klinke nun den Befehl zur Rückkehr nach der Ansiedlung.

Diese so glänzend geglückte Expedition zu Wasser hob das Selbstvertrauen der deutschen Kolonisten ganz bedeutend. Abends wurde sogar eine kleine Feier veranstaltet, bei der es zum erstenmal ein von der Frau des Schlossers Grosse hergestelltes, leicht berauschendes Getränk gab, das aus dem gegorenen Saft des Mannabaumes und dem Aufguß einiger gewürziger Pflanzen bestand. Leider sollte aber der Agent, der den Alkohol so lange hatte entbehren müssen, die allgemeine Fröhlichkeit dadurch stören, daß er Unmengen des Grosse-Bieres, wie Klinke es taufte, trank und dann halb bezecht mit dem Führer der Kolonisten Streit anfing, wobei er den Berliner, dem alle zu großem Dank verpflichtet waren, durch grobe Redensarten schwer beleidigte, bis der alte Frohwart ihn am Arm packte und gewaltsam nach seiner Hütte brachte.

Daß der Agent trotz seines friedlichen, sanften Namens ein ganz unüberlegter Hitzkopf war, bewies er noch in derselben Nacht, als er von drei bis vier Uhr morgens die Wache hatte.

Grosse sollte ihn um vier ablösen, fand ihn aber nirgends. Da er annahm, daß der pflichtvergessene Agent sich vielleicht in seiner Hütte zum Schlafe niedergelegt habe, klopfte er an die Tür, erhielt jedoch keine Antwort. Selbst Frau Himmelrot, eine bescheidene, kränkliche Person, die vor ihrem Manne in steter Angst schwebte, meldete sich nicht.

Da wurde der Schlosser unruhig, pochte nochmals stärker gegen die Tür und eilte dann zu Klinkes Behausung hin, um diesem Meldung zu erstatten. Beide drangen jetzt in des Agenten Häuschen ein, fanden es aber leer und halb ausgeräumt vor.

Nun erst begriffen Klinke und der Schlosser, was geschehen war: Himmelrot hatte seine frühere Drohung wahrgemacht und mit den Seinen unter Mitnahme des meisten Hausgeräts und seiner Waffen die Ansiedlung verlassen, um allein sich irgendwo anzubauen.

Diese Absicht war nun ebenso leichtsinnig wie gewissenlos. Der Agent war nicht der Mann, um ohne fremde Hilfe etwas durchführen zu können. – Daher beschlossen die beiden Kolonisten auch, zumal es inzwischen ziemlich hell geworden war, der Familie nachzueilen und Himmelrot im Interesse seiner Frau und seines Kindes zur Rückkehr zu bestimmen. Weit konnten die mit dem Hausgerät Beladenen ja noch nicht gekommen sein.

Auf diese Weise entdeckte man nach etwa einer Stunde, daß der Agent nicht etwa zu Fuß abgezogen war, sondern vielmehr die Arche zum Verlassen der Ansiedlung benutzt hatte. Inzwischen waren auch die anderen Männer alarmiert worden, und Klinke und Frohwart bestiegen nun schleunigst das Rindenboot, um den leichtfertigen Menschen, der sicherlich eine der kleineren Inseln anlaufen wollte, zurückzuholen.

Doch von der „Germania“ war zunächst keine Spur zu bemerken. Wer beschreibt dann aber den Schreck der beiden Kolonisten, als sie, von bösen Ahnungen getrieben, nach der Kuli-Insel hinruderten und sich ein Stück in die Bachmündung hineinwagten. Dort trieb die Arche dahin, dem Wohnplatze der Feinde zu, und auf dem Dache des Kajütaufbaus tanzten ein paar Chinesen wie die Wahnsinnigen umher, winkten Klinke und Frohwart höhnisch zu und deuteten durch Gebärden an, daß sie den Deutschen jetzt den Hals abschneiden würden.

Eiligst kehrten die beiden nun in recht niedergeschlagener Stimmung nach der Hoffnungsinsel zurück, wo die Nachricht von dem Verluste der Arche ebenfalls die größte Bestürzung hervorrief. Niemand konnte ja darüber im Zweifel sein, daß man jetzt jeden Augenblick mit einem Angriff des Feindes rechnen müsse, der nunmehr die Möglichkeit besaß, ganz nach seinem Belieben über den Sund zu setzen.

Darüber, ob der Agent etwa absichtlich zum Gegner übergegangen oder nur durch einen unglücklichen Zufall dorthin gelangt sei, vermochten die Kolonisten sich untereinander nicht recht zu einigen. Klinke traute Himmelrot eine solche Schurkerei nicht zu, und auch die meisten anderen Männer stimmten ihm bei und nahmen an, daß es dem Agenten und seiner Frau nicht geglückt sei, mit den Rudern gegen die Strömung anzukämpfen, die an der Spitze der Halbinsel, also am Hoffnungskap vorüber nach Südwesten lief – gerade auf die Kuli-Insel zu. Im übrigen war diese Frage jetzt auch von untergeordneter Bedeutung. An der Tatsache war nichts zu ändern, daß der Feind die Arche in seiner Gewalt hatte und jeden Augenblick erscheinen konnte.

In größter Eile wurde daher alles nach der Festung geschafft, was irgendwie von Wert war, ebenso wie auch Karl Sellert als Kundschafter nach dem Südstrande laufen mußte, um dort von einem hohen Baume aus die Nachbarinsel scharf zu beobachten und das Anrücken des Gegners gegebenen Falles zu melden. Die Kinder wieder mußten unter dem Schutze zweier Männer in dem nahen Walde Bunya-Bunya-Nüsse sammeln gehen, während Klinke und Frohwart noch schnell ein Wild zu schießen versuchen wollten, um den Proviant zu vermehren. Jedenfalls war es in der Niederlassung ein so lebhaftes Hin und Her wie nie zuvor. Alles arbeitete fieberhaft, um die kleine Festung für längere Zeit in Verteidigungszustand zu setzen. So wurden auch große Mengen von Steinen als Geschosse für die Wurfmaschinen gesammelt, während Grosse und Sellert noch ein paar junge Stämme fällten, damit man Feuerungsmaterial und Holz zum Anfertigen neuer Pfeile für die Riesenarmbrüste habe, die man scherzend Raketenapparate nannte, weil sie Geschosse von so erheblicher Länge schleuderten.

Klinke hatte mit dem mutigen Knaben vereinbart, daß dieser auf seinem Beobachtungsstand, einem am Südstrande stehenden Rieseneukalyptus, der weit über die anderen Baumwipfel hinwegragte und von der Terrasse deutlich zu sehen war, ein an einer Stange befestigtes weißes Bettuch schwenken solle, sobald die Arche auf die Hoffnungsinsel zukomme.

Stunden vergingen jedoch, ehe das vereinbarte Signal erfolgte. Erst gegen zwei Uhr nachmittags bemerkte man die weiße Fahne, und eine Viertelstunde später erschien Karl dann auch selbst und meldete, daß die Barke, dicht besetzt mit Chinesen, den Sund überquere.

 

5. Kapitel.

Heiße Kämpfe.

Inzwischen waren sowohl die Jäger mit vier Baumkänguruhs als auch die Nußsammler längst zurückgekehrt so daß man noch Zeit gefunden hatte, ebenfalls noch die stärkemehlhaltigen Nardu-Früchte in großen Säcken einzuernten. Klinke meinte, die vorhandenen Vorräte müßten für etwa vierzehn Tage reichen. Was dann freilich werden sollte, wußten die Kolonisten nicht. Aber sie vertrauten auf den gerechten Gott, der sie schon Mittel und Wege finden lassen würde, um den rachgierigen Feinden zu entgehen. In letzter Minute ließ der Berliner dann noch eine der Buchen fällen und zur Ergänzung des Holzvorrates eilig ihrer Äste berauben, die ebenso wie der Stamm auf die Terrasse gezogen wurden. Außerdem besaß man Eukalyptusharz und das aus den Nüssen ausgepreßte Öl in großen Mengen, so daß es möglich war, auch nachts für genügende Beleuchtung zu sorgen, damit der Feind nicht im Schutze der Dunkelheit einen Sturm unternehme.

Gegen drei Uhr nachmittags tauchten dann die ersten als Späher vorausgeschickten Kulis auf der Waldblöße auf, näherten sich sehr vorsichtig dem Taleingang, erkletterten die umliegenden Höhen und gaben rückwärts Zeichen, als sie die Ansiedelung verlassen fanden.

Nun erschien der Feind in einem dichten Haufen und drang durch das absichtlich offen gelassene Tor in das Tal ein, hielt sich aber vorsichtig von den leeren Hütten fern, die noch in Reichweite der Schleudermaschinen lagen. Die Entfernung von der Festung bis zum Taleingang betrug etwa hundertunddreißig Meter, und als nun die Chinesen Miene machten sich dort häuslich einzurichten, befahl Klinke eine erste Salve aus allen vorhandenen vierzehn Geschützen. Die Schleudermaschinen waren nur mit kleineren Steinen geladen worden, so daß auch diese das Ziel erreichten. Die Wirkung der sieben langen Pfeile und der sieben Steinbomben war denn auch derart, daß der Feind unter Zurücklassung von mehreren Schwerverletzten eiligst wieder zum Tal hinausflutete und hinter den Felshügeln Aufstellung nahm. Eine Viertelstunde darauf schritt einer der Engländer, einen weißen Zeugfetzen schwingend, auf die Festung zu. Er kam, um die Deutschen zur Übergabe aufzufordern und versicherte, daß das Leben aller geschont werden solle, falls jeder Widerstand sofort aufgegeben werden würde. – Das ganze Auftreten dieses Unterhändlers war derart, daß niemand seinen Worten Glauben schenkte. Klinke lehnte daher die Bedingungen rundweg ab und forderte sofortige Rückgabe der Arche, Auslieferung der Familie des Agenten und Räumung der Hoffnungsinsel. Absichtlich trat er sehr selbstbewußt auf, um den Glauben in dem Engländer zu erwecken, daß die Kolonisten der Zukunft mit größtem Vertrauen entgegensähen.

Nachdem der Parlamentär unter Flüchen und Drohungen abgezogen war, beobachteten die Belagerten, daß ein Teil der Kulis nach dem Südufer zu verschwand. Und wieder eine Stunde später legte dann die Arche im äußersten Winkel der langen Bucht an, worauf zum nicht geringen Schrecken der Deutschen die Chinesen die vier Wurfmaschinen der „Germania“ an Land schafften und auf die Anhöhen brachten, wo der Feind sie zunächst stehen ließ.

Klinke berief sofort einen Kriegsrat, machte auf die neue, schwere Gefahr aufmerksam, die ihnen durch die vier Geschütze drohe, die der Gegner sicherlich in der Dunkelheit näher an die Festung heranbringen und mit deren Bedienung die beiden Engländer schnell vertraut werden würden. War doch das Gelände unterhalb der Terrasse nicht lediglich von dem Hintergrunde des Tales eingenommen. Es befand sich vielmehr zu beiden Seiten noch genügend Raum, um hier hinter Felsen die Wurfmaschinen in Stellung bringen und die Festung wirksam beschießen zu können. – Nach längerer Beratung erklärten sich Grosse und Karl Sellert freiwillig dazu bereit, nach Eintritt der Dunkelheit den Versuch zu wagen, die Geschütze womöglich durch Feuer zu zerstören. Da hiervon ohne Zweifel das Wohl und Wehe der Deutschen abhing, wurde dieses Anerbieten angenommen.

Bis zum Abend hielt der Gegner sich völlig ruhig. Kaum war es aber finster geworden, als plötzlich aus den Hütten im Tale die Flammen hochschlugen und die Umgebung wieder für gut eine halbe Stunde taghell erleuchteten. Nur auf den Anhöhen zu beiden Seiten des Tales lagerte tiefe Dunkelheit. Als der Schlosser Grosse und der Knabe jetzt ihren gefährlichen Gang antreten und sich an Stricken von der Höhe der Terrasse, deren Vorderwand gut acht Meter hoch war, herablassen wollten, wurde man noch zur rechten Zeit gewahr, daß der Gegner überall Beobachtungsposten aufgestellt hatte, so daß ein Durchschlüpfen durch diese Linie unmöglich schien. Das war ein böser Strich durch die Pläne der Deutschen …! – Aber auch jetzt fand sich einer von ihnen, der Rat wußte. Und dies war der alte Frohwart.

Die überhängende Rückwand der Terrasse wies in ihren höheren Teilen überall Risse und Spalten auf, so daß es einem gewandten Kletterer vielleicht gelang, von der Seite her diese Wand zu erklimmen. Ob der Betreffende dann freilich auch einen Weg an anderer Stelle wieder nach unten finden würde, war zweifelhaft. Bisher hatte man jedenfalls angenommen, daß die Wand völlig unzugänglich sei.

Nachdem das Feuer der brennenden Hütten erloschen war und alles ringsum wieder in tiefer Dunkelheit dalag, wurde der Buchenstamm lautlos aufgerichtet und von der Seite her gegen die Felsen gelehnt. Als erster kletterte Karl Sellert hinauf. Nach einer Weile folgte ihm Klinke, der nach dem Knaben der beweglichste und geschickteste der Kolonisten war.

Die Vorsehung wachte über die beiden mutigen Deutschen. Nach der Buchtseite hin fanden sie einen Felskamin, in dem der Abstieg gelang. Nun schlichen sie in weitem Bogen von rückwärts auf den Ort zu, wohin die vier Schleudermaschinen am Nachmittag von den Chinesen geschafft worden waren. Das Glück war ihnen günstig. Der Feind befand sich jetzt offenbar in dem Tale und hatte nicht einen einzigen Mann als Wache zurückgelassen. Während Karl Sellert mit gespannter Armbrust aufpaßte, daß niemand sie überrasche, suchte Klinke in der Nähe eiligst trockene Flechten und Zweige von ein paar hier stehenden Nadelbäumen zusammen, lehnte die Wurfmaschinen aneinander, häufte nach der Windrichtung hin das Brennmaterial an und setzte es in Brand. Gerade als ersten Flammen hochzüngelten und, vom Nachtwind angefacht, schnell hochleckten, bemerkte der Knabe drei Gestalten, die langsam durch die Hügel vom Tale her sich näherten.

Klinke, von Karl auf die unliebsame Störung aufmerksam gemacht, flüsterte diesem zu, man müsse versuchen, die drei Leute möglichst lautlos unschädlich zu machen, denn wenn sie Lärm schlügen, würde das Feuer allzu schnell gelöscht werden.

Der Berliner nahm einen Stein auf und drückte sich in eine Vertiefung hinein. Karl tat dasselbe, und als die Chinesen nun, angelockt durch die Flammen, im Laufschritt herbeikamen, schnellte sich Klinke wie ein Blitz zwischen sie und erreichte auch durch gutgezielte Schläfenhiebe, daß zwei lautlos umsanken. Dem dritten war der gewandte Junge wie eine Katze auf den Rücken gesprungen und drückte ihm die Kehle zusammen, so daß der Berliner auch diesen Feind ohne Mühe erledigen konnte. Bewußtlos lagen die drei am Boden, während die beiden Kolonisten nun hastig noch weitere Äste in die Glut warfen und dann den Rückzug antraten. Das harzreiche, trockene Eukalyptusholz der Wurfmaschinen geriet im Umsehen in Brand, und als nach einigen Minuten jetzt ein ganzes Dutzend Kulis herbeigestürzt kam, waren die Sellertschen Geschütze schon so weit zerstört, daß sie nicht mehr zu benutzen waren.

Die enttäuschten Chinesen brüllten vor Wut wie die Teufel und suchten dann auf Befehl der Engländer die ganze Umgebung ab, freilich vergeblich.

Klinke und der Knabe waren mittlerweile längst wieder in die Nähe der Bucht gelangt und wollten schon den Aufstieg in dem engen Felskamin beginnen, als sie um fünfzig Schritte entfernt dicht am Ufer die Arche liegen sahen. Mit wenigen Worten hatten sie sich darüber verständigt, daß man unbedingt versuchen müsse, sich des wichtigen Fahrzeuges wieder zu bemächtigen.

An Bord befand sich anscheinend keine Seele. Schnell wurde die Arche an dem Tau, mit dem sie an einem einzeln stehenden Baume befestigt war, ganz an Land gezogen, worauf die beiden Wagehälse an Deck kletterten. In der Kajüte fanden sie jedoch zu ihrem Erstaunen einen gefesselten Mann liegen. Es war der Agent Himmelrot. Nachdem dessen Stricke durchschnitten waren, wurde das plumpe Fahrzeug schleunigst in die Bucht hinaus und weiter nach Norden zu in die Mündung des Flüßchens gerudert, in der die Wasserfarne so hoch und dicht wuchsen, daß sie die Arche vollständig verbargen und auch wie mit tausend zähen Armen festhielten. In dem flachen Wasser wateten die beiden nun nach dem Ostufer hinüber und eilten dann am Inselstrande wieder der Festung zu. Mittlerweile hatte der von seinen Absonderungsgelüsten völlig geheilte und sehr zerknirschte Agent den beiden Landsleuten berichtet, daß die Arche tatsächlich gegen seinen Willen auf die Kuli-Insel zugetrieben sei, da er und seine Frau das Fahrzeug in der Strömung nicht hätten lenken können. Er war dann von den Feinden aufs roheste geschlagen und zu genauen Angaben über die deutsche Niederlassung und die Verteidigungsmöglichkeiten des Tales gezwungen worden, habe aber absichtlich alles so dargestellt, als ob ein Angriff auf die Kolonie wenig Aussicht auf Erfolg habe. Daß er noch am Leben sei, habe er nur den Bitten seiner Frau zu verdanken. Der Strick, mit dem er hatte aufgehängt werden sollen, habe ihm schon um den Hals gelegen.

Die drei Landsleute gelangten wirklich ohne weitere Abenteuer wieder in die Festung, wo Klinke und dem Knaben ein jubelnder Empfang bereitet wurde. Die Zerstörung der in die Hände des Feindes geratenen Wurfmaschinen hatte die Zuversicht der Kolonisten sehr erhöht.

Um dem Feinde zu beweisen, daß die Ansiedler alle Zeit auf ihrer Hut seien, ließ Klinke hin und wieder noch während der Nacht eine Steinbombe in das Tal schleudern, in dem man jetzt beim Sternenlicht eine Menge Gestalten umherhuschen sah. Daß auch des öfteren Treffer erzielt wurden, bewiesen laute Schmerzensrufe und gellendes Wutgeschrei.

Klinke richtete jetzt einen regelmäßigen Wachtdienst ein. Ständig mußten zwei der Männer an der Randmauer der Terrasse auf und ab gehen und auf jede Bewegung beim Feinde achten. – Doch die Nacht verging, und es ereignete sich nichts. Die Kulis waren offenbar zu feige, um einen Angriff zu wagen.

Auch die nächsten drei Tage brachten keine Änderung der Lage. Der Gegner ließ sich kaum blicken, und häufig sah man Trupps der Chinesen nach dem Walde wandern. Ohne Zweifel zeigten die Kulis wenig Lust, die kleine Festung regelrecht zu belagern. Wagten sich einige von ihnen einmal zu nahe heran, so erhielten sie sofort ein paar steinerne Grüße zugesandt, vor denen sie schleunigst Reißaus nahmen. – Am fünften Tage jedoch wurde es ernst. Jetzt erst stellte sich heraus, daß der Feind aus jungen, zähen Stämmchen sich große, tragbare Schutzschilde angefertigt hatte, hinter denen verborgen gut die Hälfte der Chinesen in dem Tale dicht unterhalb der Terrasse eine Unmenge Strauchwerk aufhäuften. Die Schutzschilde, die schon mehr beweglichen Holzwänden glichen, wurden von den Kulis so geschickt gehandhabt, daß man gegen sie nicht viel ausrichten konnte, zumal hinter den stärksten der Schilde sich Bogenschützen eingenistet hatten, die mit ihren selbstgefertigten Waffen ganz gut umzugehen wußten. Daß diese Angriffsmethode in den Köpfen der beiden Engländer entstanden war, unterlag keinem Zweifel. Umsonst schleuderten jetzt die Wurfmaschinen ihre Steinbomben und langen, eisenbeschlagenen Pfeile. Traf einmal ein Stein wirklich eine der Schutzwände, so mochten die sie festhaltenden Chinesen wohl einen tüchtigen Stoß abbekommen, – das war aber auch alles. Und die Pfeile der Riesenarmbrüste wieder bohrten sich zwar in das Holz ein, taten den Menschen dahinten jedoch nicht das geringste.

Die Absicht des Gegners war klar. Der Wind kam heute genau von Süden, strich das Tal entlang und mußte die Hitze und den Rauch notwendig auf die Terrasse drücken.

Erst als die Strauchhaufen bereits recht bedrohlich angewachsen waren, kam Karl Sellert auf den glücklichen Gedanken, den Feind mit seiner eigenen List zu schlagen. Plötzlich flogen von oben eine ganze Menge brennende Bündel herab. Die Sträucher fingen Feuer, lohten auf und trieben die Kulis schnell zurück. Dicke Qualmmassen entwickelten sich, da in die trockenen Sträucher absichtlich frische Zweige gemengt worden waren. Die Deutschen mußten sich in der äußersten rechten Ecke der Terrasse eng zusammendrängen, da es nur hier auszuhalten war. Auch die Hühner, die Papageien und den Gefangenen, der jetzt schon eine gewisse Freiheit genoß und überall mithelfen mußte, nahm man an dieses einzige rauchfreie Plätzchen mit.

Die Rauchentwicklung war so stark, daß sich über der Insel bald eine förmliche Wolke bildete, die langsam nach Norden sich mit dem Winde weiterzog.

Eine Stunde war vergangen.

Da stieß der Drechsler Sellert plötzlich einen lauten Jubelruf aus, deutete mit der Hand nach der Südecke der Bucht, die man von hier aus überblicken konnte, und brüllte – ja, er brüllte! – mit vor Freude überschnappender Stimme:

„Ein Boot – ein Boot!“

Eine Menge Köpfe reckte sich sofort über die Mauer hinweg. – Es war ein großes, hellgrau gestrichenes Rettungsboot. Sechs Matrosen saßen auf den Ruderbänken, und auf dem Steuersitz vier Marineoffiziere in weißer Tropenuniform. Am Flaggenstock am Heck aber hing eine Fahne, die ein Windstoß jetzt lang aufbauschte.

„Deutsche – Landsleute – !!“ rief Klinke. „Es ist die Flagge unserer Kriegsmarine!“

Das Boot hielt sich vorsichtig ein Stück vom Ufer ab, um erst festzustellen, was hier vorging. Hurtig turnte nun Karl Sellert trotz Rauch und Hitze an dem Baumstamm hoch, kletterte über die Steilwand in den Kamin hinein und winkte das Boot heran. – –

Die Kolonisten waren gerettet. Das Boot gehörte zu dem deutschen Vermessungsschiff „Albatros“, welches durch den Rauch herbeigelockt war.

Am nächsten Tage wurden durch eine Landungsabteilung die Engländer und die Kulis in den Wäldern aufgestöbert und auf den „Albatros“ gebracht, dessen Kapitän den Ansiedlern, die auf der Hoffnungsinsel zu bleiben sich entschlossen hatten, noch eine ganze Menge nützlicher Gegenstände überließ, und dann nach Australien dampfte, um in Melbourne seine lebende Ladung wieder loszuwerden. Von den Chinesen waren außer Kung-Schiao noch vier andere auf ihre Bitten hin als Arbeiter von den Deutschen dabehalten worden.

Die Kolonie blühte von Jahr zu Jahr mehr auf. Im dritten Jahre wurde, nachdem man sich bis dahin mit einem großen Kutter zum Versand der gewonnenen Erzeugnisse – Öl, Harz, Eukalyptus-Mahagoniholz und allerlei inzwischen angepflanzte Getreide- und Nutzsträucherarten – begnügt hatte, ein Frachtdampfer angeschafft, der besonders die wertvollen Hölzer nach Australien ausführte. Der Wohlstand der Ansiedler war nach einem Jahrzehnt so groß geworden, daß die älteren Leute sich zur Heimkehr in das deutsche Vaterland entschlossen.

Fritz Klinke blieb jedoch auf der Insel, an der er mit allen Fasern seines Herzens hing. Und unter seiner Leitung setzte die jüngere Generation mit demselben Eifer und derselben Eintracht die Ausnutzung der Reichtümer der freundlichen Insel fort.

 

Ende.

 

Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

 

Anmerkungen:

  1. In der Vorlage steht: „Rettungsböten“.
  2. In der Vorlage steht: „Keo-Papagei“. Siehe auch Wikipedia: Kea.