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Steuermann Restraaten

 

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright by Verlag mod. Lektüre G. m. b. H., Berlin.

 

Steuermann Restraaten.

 

W. Belka.

 

Eine Regenbö war eben vorübergegangen. Eine von der verschwenderischen Sorte, wie man sie nur in den Tropen kennt. Richtig mit Eimern hatte es gegossen, und jetzt standen überall in den Felsvertiefungen der vier kleinen, kahlen Inseln große Pfützen, die grauen Granitmassen glänzten wie lackiert und zahllose kleine Eintagsbächlein rieselten murmelnd zu Tale.

Auf einem der Eilande hatten zwei Europäer vor den stürzenden Wassermassen unter einer weit vorspringenden Felswand Schutz gesucht. Neben ihnen lagen fünf große Schildkröten, die sie vorhin am Strande erbeutet hatten, sog. Lederschildkröten, die keinen Panzer, sondern nur eine dicke, faltige Haut besitzen.

Jetzt trat der eine, ein kräftiger Knabe von etwa vierzehn Jahren, ins Freie hinaus und schaute der schwarzen Wolke nach, die nur noch mit einzelnen Tropfen die Erde besprengte.

„Kommen Sie, Herr Gerling, – die Bö ist vorüber“, sagte er zu seinem Gefährten, einem kleinen, verwachsenen Manne mit sehr langen Armen, der mit seinem verwilderten blonden Bartwuchs in dem sonnverbrannten Gesicht recht wenig vertrauenerweckend ausgesehen hätte, wenn nicht ein Zug von Offenheit und Gutmütigkeit deutlich in seinem Antlitz ausgeprägt gewesen wäre.

Heinrich Gerling nahm drei der mit einem Strick zusammengebundenen Schildkröten auf den Rücken, ergriff sein Gewehr und verließ den Schlupfwinkel.

Nach einigen Minuten hatten die beiden das Ufer der Insel erreicht. Hier lag ein leichter Nachen, der aus einem mit Öltuch bespannten Holzgerippe bestand.

Erst mußte das Regenwasser ausgegossen werden, das sich in dem Nachen angesammelt hatte, dann wurde dieser flott gemacht und mit Hilfe zweier Riemen (Ruder) auf ein seltsames Bauwerk zugelenkt, das sich keine zweihundert Meter vom Strande des Eilandes entfernt aus dem Wasser erhob.

Die vier kleinen Inseln schlossen ein Wasserbecken ein, das ganz den Eindruck eines Binnensees machte, obwohl es durch vier zwischen den Eilanden hindurchlaufende, gewundene Kanäle mit dem offenen Meere in Verbindung stand. Das merkwürdige Gebäude lag mitten in diesem Binnensee auf niedrigen Felsen. Seine Mauern wurden vom Wasser bespült und stiegen steil bis zu acht Meter Höhe an. Es war länglich viereckig, und in den Ecken wuchsen Türme mit flachen Dächern empor, die dem aus Steinquadern errichteten Bau ein burgähnliches Aussehen gaben.

In diesem Radschaschloß (Radscha, Fürst), das fernab von den Küsten der großen Sunda-Inseln einsam und geheimnisvoll von längst vergangenen Zeiten träumte, hausten seit Wochen sechs Leute, die ein wunderbares Spiel des Zufalls hier zusammengeführt hatte.

Zwei von ihnen kennen wir bereits, Gerling, den Buckligen, und den Knaben, der Karl Heller hieß. Außer diesen beiden Deutschen befanden sich noch zwei andere als Flüchtlinge hier in dem Radschaschloß, Ernst Menke und August Strina. Diese vier gehörten insofern zusammen, als sie, früher in Sarawak in Britisch-Borneo ansässig, nach Kriegsausbruch von dort in einer ehemaligen Piratenprau (Prau gleich Segelfahrzeug, von sehr verschiedener Größe) entflohen, gemeinsam recht gefährliche Abenteuer erlebt und schließlich notgedrungen mit ihrem „Rächer“ getauften Kutter die einsamen Eilande aufgesucht hatten, um den Nachstellungen englischer Kriegsschiffe zu entgehen. Hier entdeckten sie zu ihrer großen Überraschung das Radschaschloß in dem ein Holländer namens Restraaten mit seinem malaiischen Freunde Mikaua seit Monaten nach einem Schatze suchte, der in dem jahrhundertealten Steingebäude verborgen liegen sollte. Dies ist in den beiden vorhergehenden Bändchen mit den Titeln „Die Geisterprau“ und „Das Radschaschloß“ eingehend geschildert worden.

Als sich das Stoffboot dem einzigen Eingang des alten Bauwerks näherte, erschien auf dem flachen Dache ein dicker, in einen früher mal weiß gewesenen Leinenanzug bekleideter Mann, der, die Hände zum Sprachrohr vor dem Munde formend, den beiden Insassen des Nachens zurief:

„Ihr werdet Euch wundern, welche Neuigkeit ich für Euch bereithalte. Denkt Euch: Menke hat vor kaum einer Viertelstunde den Schatz gefunden!“

Gerling und der Knabe machten eiligst ihren Nachen an dem Kutter fest, der dicht neben dem Eingang des Radschaschlosses vertäut war. Dann schwangen sie sich in die viereckige Maueröffnung hinein, die früher durch zwei zu einer geheimen Tür verbundene große Steinplatten so gut verschlossen gewesen war, daß ein Uneingeweihter lange suchen mußte, ehe er herausfand, daß dies die Zugangspforte zu dem mächtigen Steingebäude darstellte. Wie ein Tunnel ging die Maueröffnung durch den Westflügel hindurch und mündete auf einen ovalen Hofraum, der in der Mitte durch einen Springbrunnen aus verwittertem Marmor geschmückt war und in dem auch einige Kokospalmen kümmerlich ihr Dasein fristeten.

Als der Bucklige und Karl Heller den Hof betraten, kam ihnen schon der kräftige, schlanke Malaie entgegen, um ihnen gleichfalls die freudige Botschaft mitzuteilen. Auch der dicke August Strina erschien jetzt ganz atemlos, da er gegen seine sonstige Gewohnheit sich sehr beeilt hatte, um vom Dache wieder über die Treppen des Nordturmes in den Hof hinabzugelangen.

„Sahib (Herr) Menke und Restraaten sind noch in den Mumienkammern“, erklärte der Malaie. „Gehen wir hinab zu ihnen. Sie erwarten uns.“

Das Radschaschloß, einst von den Fürsten von Pakanir (auf Sumatra gelegenes Sultanat) zu einem unbekannten Zwecke erbaut, besaß in seinen vier Flügeln eine fortlaufende Reihe hoher, leerer Gemächer, in die man vom Hofe aus durch zwei Türen gelangte. Diese Räume lagen im Oberstock. Das Erdgeschoß, das nur nach dem Wasser zu schmale, schießschartenähnliche Mauerschlitze hatte, enthielt ähnliche, nur niedrigere und weniger helle Räumlichkeiten, verfügte jedoch über keinen sichtbaren Eingang. Dieser war vielmehr unter der beweglichen Steinfigur eines in dem Bassin des Springbrunnens aufgestellten Elefanten verborgen. Eine schmale Treppe lief hier in einen Felsengang hinab, der wieder zu einem der Gemächer des Erdgeschosses führte. Diese Räume hatte nun Ernst Menke mit einer gewissen Berechtigung Mumienkammern getauft. Befanden sich doch darin an den Wänden in aufrechter Haltung befestigte Mumien vornehmer Malaien, sämtlich sehr gut erhalten und in verblichene gestickte Überwürfe gekleidet.

Als die vier Gefährten jetzt die Treppe zu dem Felsengange einer hinter dem anderen hinabstiegen, sagte Gerling etwas geringschätzig zu dem dicken Strina:

„Ich begreife Euch alle nicht! Ihr macht von dem Schatze ein Aufhebens, als ob uns hier selbst alle Reichtümer der Welt auch nur im geringsten nützen könnten. Mir wäre ein Berg Konservenbüchsen lieber! Denn mit unserem Proviant sieht es faul aus. Und woher sollen wir uns den für eine längere Seereise, wie unser Anführer Menke sie beabsichtigt, beschaffen, wo wir es kaum wagen dürfen, selbst einen noch so kleinen Hafen anzulaufen …! Schildkrötenfleisch, Fische und Möweneier habe ich mir bereits derart übergegessen, daß ich gern einmal tagelang von trocken Brot mich sättigen würde, wenn wir welches hätten …!“

August Strina, der in Sarawak ein gutgehendes Exportgeschäft besessen hatte, in dem Gerling als Kassierer, Menke als Prokurist und Karl Heller als „Stift“ angestellt gewesen waren, erwiderte nichts darauf. Irdische Güter erschienen ihm in jedem Falle höchst erstrebenswert, und hierin stimmte er ganz mit dem Holländer Restraaten überein, der ebenso der Ansicht war, durch Gold und Edelsteine könne man alle Hindernisse beseitigen, was in kultivierten Gegenden in gewissem Maße zutreffen mochte, nicht aber auf die augenblicklichen Verhältnisse paßte, wo man sich mitten in dem Teile der Sundasee befand, der von den Inseln Sumatra und Java im Süden und Westen, von der Halbinsel Malakka im Norden und Borneo im Osten eingeschlossen wird.

Im übrigen tat der Verwachsene aber sowohl Menke als auch dem Knaben und Mikaua bitter unrecht. Diesen dreien waren die Schätze, die einst einer der Vorfahren der Radschas von Pakanir hier aus unbekannten Gründen versteckt haben sollte, recht gleichgültig. Und eigentlich hätte Strina das bereits wissen müssen, da die vier Deutschen ja schon vor ihrem Zusammentreffen mit Restraaten und seinem braunen Freunde ein ganzes Lager zusammengeraubter Piratenbeute in der sogenannten Geisterprau in einem geheimen Raume gefunden und nachher mit auf ihrem Kutter verfrachtet hatten, ohne daß es außer Strina jemandem eingefallen wäre, über diese leicht erworbenen Reichtümer sich einer den Umständen nicht recht angepaßten Freude hinzugeben.

Menke und Restraaten befanden sich in einer der ersten Mumienkammern, wo sie die durch einen Zufall endlich entdeckten Kostbarkeiten auf einem niedrigen Steinaltar neben einer bronzenen Buddhafigur aufgehäuft hatten.

Der Holländer war noch ganz bleich vor Erregung. Und mit leise zitternder Stimme erzählte er nun Gerling und Karl Heller, ohne Menke zu Worte kommen zu lassen, wie dieser das Versteck aufgespürt hätte – besser die Verstecke, denn der aus antikem Goldschmuck, Perlen und Edelsteinen bestehende Schatz war auf fünfundvierzig einzelne Verstecke verteilt gewesen. Genau so viele Mumien enthielten nämlich die Räume des Erdgeschosses, und in jeder der Mumien in der leeren Brusthöhle (beim Einbalsamieren werden alle inneren Organe entfernt. Anders bei den sog. natürlichen Mumien, die in Gräbern mit sehr trockener Luft oder in kieselsäurehaltiger Erde auch ohne künstliche Zubereitung austrocknen und erhalten bleiben) hatte unter den um den Oberkörper gewickelten Binden ein starker Lederbeutel sich befunden, der die Kostbarkeiten zusammengehalten hatte.

Strina, der sehr wohl imstande war, Wertsachen abzuschätzen, traten fast die Augen aus dem Kopf, als er den Haufen von Goldsachen, Perlen und Edelsteinen erblickte. Freilich – die Perlen waren zum größten Teil tot, wie der Fachmann zu sagen pflegt, hatten ihren matten Glanz eingebüßt und zeigten eine schmutzig gelbliche Farbe. Ist es doch eine eigentümliche Eigenschaft dieser Erzeugnisse der Perlenmuschel, daß sie nur ihre volle Schönheit bewahren, wenn sie dauernd oder doch häufiger als Schmuck getragen oder, wo dies nicht möglich, in besonderer Weise aufbewahrt werden. Hier muß man unwillkürlich an die Geschichte jener berühmten Perlenkette[1] denken, die, einst Eigentum der Herzogin von Alencon, nachher in den Besitz der Kaiserin Elisabeth von Österreich gelangte, die eine Schwester der bei dem großen Lazarettbrande in Paris umgekommenen Herzogin war. Auch diese Perlenschnur erblindete, da die unglückliche, später in Genf ermordete Kaiserin sie nie anlegte. Um den Perlen ihre alte Schönheit wiederzugeben, versenkte die Gemahlin des allverehrten Kaiser Franz Joseph sie in einem durchlöcherten Kästchen an der Küste von Korfu ins Meer, das einzige Mittel, um ihnen den früheren Glanz wieder zu verleihen. Niemand kannte den Platz, wo der Schmuck seinem ursprünglichen Element anvertraut worden war. Die Kaiserin fiel einem wahnwitzigen Mordbuben bald darauf zum Opfer, und die Perlen der Herzogin von Alencon schlummern noch heute in den Fluten der Adria und träumen von ihren seltsamen Schicksalen.

August Strina streckte jetzt dem Holländer die Hand hin.

„Ich gratuliere Ihnen! Millionenwerte liegen hier – tatsächlich – Millionen – Millionen!!“ Ganz verzückt sprach er diese Worte, um sofort gierig forschend hinzufügen: „Freilich – ein Teil davon gehört wohl auch uns vier Deutschen, da einer von uns doch der Finder ist. Meinen Sie nicht auch?“

Restraaten zögerte mit der Antwort. In sein Gesicht war jetzt eine flammende Röte gestiegen. Habgier blinkte in seinen Augen, und seine zitternden Hände breiteten sich wie schützend über dem gleißenden Haufen aus.

Menke fühlte, wie ihm ein Würgen des Ekels in der Kehle hochstieg. Er hatte bisher Restraatens Charakter doch zu günstig beurteilt.

Kurz befehlend sagte er daher jetzt:

„Laßt diesen in unserer Lage so wertlosen Tand vorläufig liegen. Es ist Zeit, daß wir an unser Mittagessen denken.“

Restraaten jedoch erwiderte heiser: „Ich habe keinen Hunger. Gehen Sie nur nach oben. Ich komme später nach.“

Menke schritt schon dem Ausgange des Erdgeschosses zu. Als letzter folgte August Strina. Er konnte sich nicht losreißen von dem sinnverwirrenden Anblick des leuchtenden Goldes und der funkelnden Edelsteine. Auch Mikaua schloß sich den Deutschen an. Er begriff seinen weißen Freund nicht; diesem Naturkinde war die Habgier fremd.

* * *

Die Bewohner des alten Radschaschlosses hatten sich im Oberstock zwei Gemächer als Wohnräume hergerichtet. In einem dritten war ein Herd aus Steinen erbaut worden, auf dem der Malaie und Karl Heller jetzt das Mittagessen zuzubereiten begannen.

Absichtlich beschäftigte Menke am Nachmittag seine Gefährten recht angestrengt mit den Zurüstungen für die längst geplante Abreise. Fische und Schildkrötenfleisch wurden über einem starkqualmenden, mit Moosen und Flechten genährten Feuer gedörrt und in leere Konservenbüchsen verpackt, die Menke durch Leinwandstücke, die mit Ölfarbe bestrichen waren, luftdicht zu verschließen suchte. Diese Arbeit hatten die Gefährten schon einige Tage vorher in Angriff genommen, so daß sich in ihrer Küche, die gleichzeitig als Vorratsraum diente, bereits ein recht hoher Stapel von gefüllten Büchsen aufgehäuft hatte.

Heute nun beteiligte sich Restraaten, ein sonst sehr fleißiger Mensch, äußerst lässig bei dieser Konservenherstellung, so daß ihm Menke seine Unlust wiederholt vorhielt, was jedoch auch nichts half.

Abends hatte sich der bis dahin bewölkte Himmel wieder völlig aufgeklärt. Die Bewohner des Radschaschlosses blieben, wie es ihre Gewohnheit war, bis gegen zehn Uhr oben auf der Plattform des Nordturmes, von wo aus man die beste Aussicht über die in das Zwielicht der sternenklaren Tropennacht gehüllten Inseln hatte. Dann begab man sich zur Ruhe. Die Deutschen schliefen mit Ausnahme Karl Hellers in dem einen Gemach, die drei anderen in dem zweiten.

Der Knabe erwachte plötzlich, weil er einen starken Druck am Halse verspürte. Er wollte sich aufrichten, hörte aber nun eine leise Stimme, die ihm drohend zuraunte, er solle keine Bewegung machen, sonst bekomme er einen malaiischen Kris (Dolch) zu schmecken.

Ehe er noch recht wußte, was geschah, war er gefesselt und ihm auch ein Knebel in den Mund geschoben. In dem Gemach war es nicht völlig dunkel. Karl erkannte den Holländer als seinen Gegner, und sofort ahnte er auch, was Restraaten plante.

Jetzt schlüpfte dieser durch die Türöffnung in den Vorratsraum, ohne wieder aufzutauchen. Minute um Minute verstrich. Aus den Minuten wurde eine viertel, eine halbe Stunde. Karl Heller zerrte an den Stricken, die seine Handgelenke auf dem Rücken und auch seine Füßen zusammenschnürten, mit aller Kraft. Zu spät kam er auf den Gedanken, sich in den Raum hineinzuwälzen, in dem seine drei Landsleute schliefen. Türen gab es hier ja nicht. Die Türöffnungen waren früher einmal nur durch Vorhänge verschlossen worden. Daher gelang es ihm auch ganz leicht, sich bis zu Menkes Lagerstätte hinzurollen und diesen mit den Füßen anzustoßen. Inzwischen hatte er schon festgestellt, daß Mikaua mit dem Holländer nicht etwa gemeinsame Sache gemacht hatte. Im Gegenteil, der Malaie lag ahnungslos und tief und ruhig atmend in seiner Ecke, benebelt von dem Branntwein, den Restraaten ihm noch kurz vor dem Schlafengehen gespendet hatte. Auch dieses Umstandes erinnerte sich der Knabe jetzt. Das war ja überhaupt Mikauas schwache Seite, diese Vorliebe für den Alkohol, den der durchaus auch selbst nicht gerade mäßige Steuermann in einem Fäßchen mitgebracht hatte.

Menke war sofort munter. Im Augenblick hatte er den Knaben von den Fesseln und dem Knebel befreit. Strina und der Verwachsene wachten von selbst durch Menkes erstaunten Ausruf auf.

Dann eilten die vier, indem sie ihre Gewehre für alle Fälle mitnahmen, in den Hofraum hinab.

„Der habgierige Bursche will natürlich mit dem Schatze entfliehen“, hatte Menke nur geäußert. „Meinetwegen mag er’s tun! Aber ich fürchte, daß er sich auch an den Edelsteinen und Kostbarkeiten vergreifen wird, die wir unter der Piratenbeute fanden und die wir leichtsinnigerweise bisher im Kutter aufbewahrt haben.“

Karl Heller, der gegen den Holländer einen wütenden Grimm in sich kochen fühlte, war als erster durch den Torweg bis zu der Eingangspforte geeilt und hatte sich nach den Fahrzeugen umgeschaut, die stets dicht daneben vertäut lagen. Im ganzen hatten die Bewohner des Radschaschlosses drei zur Verfügung gehabt: den Kutter, den Stoffnachen und das Segelboot, mit dem Restraaten und Mikaua nach den vier Eilanden gekommen waren.

Jetzt war nicht mehr eines davon da. Der „Rächer“ trieb jedoch etwa fünfzig Meter entfernt von einem leichten Ostwind auf das Ufer der einen Insel zu. Das Segelboot und der leichte Nachen waren verschwunden.

Menke drängte sich jetzt an dem Knaben vorbei und spähte gleichfalls scharf nach dem Kutter aus. Ihm entging nicht, daß dieser auffallend starke Steuerbordschlagseite hatte, die Masten also schräg zum Wasserspiegel standen.

„Der Schuft – der gemeine Schuft!“ zischte er, indem er mit der Hand auf den „Rächer“ deutete. „Er hat ein Leck in die Bordwand geschlagen …“

Dann riß er sich förmlich die Schuhe und die ihm beim Schwimmen hinderlichen Kleidungsstücke herunter und sprang ins Wasser.

„Die Tour mache ich mit!“ rief Karl, ließ sich nur Zeit die Schuhe abzustreifen und folgte Menke.

Wenige Minuten später hatten sie den Kutter erreicht, schwangen sich an Bord und drangen durch die Mittelluke in den Laderaum ein, wo sie bald feststellten, daß der „Rächer“ in kurzem wegsacken mußte, wenn es ihnen nicht gelang, das Leck zu finden und es zu verstopfen.

Im Dunkeln war dies keine Kleinigkeit. Bis zur Brust im Wasser umherwatend tasteten sie die Bordwände ab, bisweilen mit dem Kopf dabei untertauchend. Da der Laderaum eine ganze Menge Kisten und Ballen enthielt, war es sogar nötig, einige von diesen beiseite zu rücken.

Endlich fuhr dann Menkes suchender Arm durch ein längliches Loch. Deutlich spürte er auch die Strömung des eindringenden Wassers.

Karl mußte jetzt einen der Ballen, die zumeist aus kostbarer chinesischer Seide bestanden, auseinander reißen, und mit einem großen Seidenpfropfen verstopfte Menke dann vorläufig das Leck. Hierauf setzten die beiden schnell ein paar Segel und steuerten den Kutter auf die nächste flache Uferstelle zu, wo er sanft sich festfuhr.

Menkes Brust entrang sich ein Seufzer der Erleichterung, als der „Rächer“ so mit genauer Not noch vor dem Wegsinken bewahrt worden war. Viel hätte nicht gefehlt, dann wäre der Kutter für immer verloren gewesen.

Sofort machten die beiden sich nun daran, einen wasserdichten Verschluß für das Loch in der Steuerbordwand herzustellen. Die Nacht war warm, so daß es sie nicht weiter belästigte, in nassen Sachen arbeiten und auch wiederholt ins Wasser steigen zu müssen. Auch dieser Verschluß konnte nur ein vorläufiger sein. Die Hauptsache war, daß man den Kutter sofort leerschöpfen konnte, um die wertvolle Ladung, besonders die ebenfalls im Raume verstauten drei Revolverkanonen und die Munition vor längerem Liegen im Salzwasser zu schützen.

Erst als der Morgen zu grauen begann, war der „Rächer“ wieder leer. Jetzt konnte man feststellen, daß Restraaten die Versenkung des Seglers sehr klug vorher durchdacht hatte. Er hatte die Eisenballaststücke sämtlich auf Steuerbordseite über dem Schiffsboden aufgehäuft, so daß der Kutter, je mehr er sich mit Wasser füllte, immer stärkere Schlagseite erhalten hatte und schließlich kentern mußte. Wären Menke und Karl auch nur einige Minuten später an Bord gekommen, so würde das wackere Fahrzeug jetzt auf dem Grunde des Binnensees gelegen haben.

Inzwischen hatten Strina und Gerling, kaum daß ihre beiden Landsleute in langen Stößen auf den Kutter zustrebten, den Ostturm bestiegen, um nach dem Boote des Holländers auszuschauen. Es war jedoch zu dunkel, um selbst ein weißes Segel auf See zu erkennen.

Strina belegte Restraaten jetzt mit Schmeichelnamen, die kaum kräftiger gewählt werden konnten.

„Am gemeinsten finde ich, daß er Mikaua, von dem er doch überhaupt erst etwas von dem Schatze hier gehört hat, um dessen Anteil betrogen hat, dieser Lump! Ich wünschte wirklich, wir bekämen jetzt gleich einen Orkan, der den Holländer zu den Fischen schickt …!“

Diese Sätze waren noch die zahmsten, die über Strinas Lippen kamen.

Gerling hatte das bestimmte Empfinden, daß der dicke Strina jedoch nur deshalb sich so ereiferte, weil er gehofft haben mochte, auch etwas von den Schätzen des Radschaschlosses für sich erbetteln zu können. – –

An demselben Vormittag wurde das Leck dann sorgfältig durch ein sauber eingefügtes Holzstück verschlossen. Am unangenehmsten für die fünf Zurückgebliebenen war, daß sie jetzt kein kleines Boot besaßen, um bequem nach den Inseln übersetzen zu können. Der Kutter lag bereits gegen Mittag wieder neben dem Eingang, und im Hofraume des alten Gebäudes waren in der Sonne die durchfeuchteten Seidenstoffe und vieles andere zum Trocknen ausgebreitet. Die Revolvergeschütze und die Munition hatten kaum durch das feuchte Bad gelitten. So war denn im großen ganzen dieser Schurkenstreich des Holländers noch recht glücklich abgelaufen. Was er damit bezweckt hatte, erschien klar: er wollte seine Verfolgung durch den Kutter unmöglich machen. Dies war ihm ja auch gelungen, ohne daß er freilich seine Absicht, den „Rächer“ zu versenken, erreichte. Nur einen Verlust hatten die vier Deutschen zu beklagen: die Juwelen des Piratenschatzes, die Restraaten gleichfalls hatte mitgehen heißen. Aber diesen Diebstahl verschmerzten alle bis auf August Strina leicht, der den Worten Menkes: „An dem gleißenden, zusammengeraubten Tand hätte doch kein Segen gehangen!“ in keiner Weise beipflichtete.

Was Mikaua anbetrifft, so nahm dieser den Raub der Kostbarkeiten, die so lange Zeit von den Mumien gut bewacht worden waren, mit großer Gelassenheit hin. Nur die Handlungsweise seines bisherigen weißen Freundes beurteilte er durch einen Luftstoß mit seinem langen Kris, eine Bewegung, die mehr sagte als viele Worte.

An diesem Tage, der auf die Flucht des Holländers folgte, gingen die fünf Gefährten früher als gewöhnlich abends zur Ruhe. Alle waren recht müde, da sie in der verflossenen Nacht nur wenig geschlafen hatten. Der einzige, der noch längere Zeit wach lag, war Karl Heller.

Seit dem Verschwinden Restraatens verfolgte ihn eine seltsame Unruhe. Und diese war nicht ganz grundlos, obwohl er sich scheute, seine Befürchtungen den anderen mitzuteilen. Wollte er doch nicht gern für überängstlich und für einen Schwarzseher gelten.

Schließlich wurde das Gefühl, daß etwas Besonderes bevorstünde, so stark in ihm, daß er sich leise von seinem Lager erhob und im Dunkeln durch die nächsten leeren Gemächer bis zur Treppe des Nordturmes tappte. Oben auf der Plattform angelangt, lehnte er sich an die Steinbrüstung und schaute gedankenverloren vor sich hin. Über ihm wölbte sich das sternbesäte Firmament wie eine riesige Glocke. Noch nie war ihm die Pracht des südlichen Sternhimmels so wundervoll erschienen wie heute, noch nie hatten die einzelnen Gestirne des Kreuzes des Südens so hell geflimmert. Die Eilande lagen als dunkle Massen unter ihm, und dort in der Ferne mußte die Horizontlinie verlaufen, wo Himmel und Meer zusammenstießen.

Er stand mit dem Gesicht nach Osten zu gewendet. Dort lagen weitab die Karimata-Inseln, dahinter die Küste von Borneo mit ihren wechselnden Uferpartien, bald steiler Fels, bald sumpfiges Mangrovendickicht.

Plötzlich zuckte er zusammen. – Wie – gab es einen Stern, der so schnell seine Stellung veränderte …?! Er schaute genauer hin. Erst war ihm der leuchtende Punkt nur aufgefallen, weil er einsam ganz tief am Himmel sich befand. Dann hatte dieser merkwürdige Stern sich jedoch immer weiter von den übrigen entfernt, so daß er nach des Knaben Schätzung bereits auf dem Meere seine Bahn beschreiben mußte. Und diese Bewegung war eine so schnelle, wie sie unmöglich einer der Planeten ausführen konnte.

Es war kein Stern. Es konnte nur eine große, hellbrennende Schiffslaterne sein …! Kaum war ihm diese Erkenntnis aufgegangen, als alle seine Befürchtungen mit erneuter Stärke wieder in ihm wach wurden. Und die liefen darauf hinaus, daß, wenn Restraaten in seinem Boot vielleicht einem englischen Kriegsschiff begegnete, er die vier so eifrig von den Briten gesuchten Deutschen verraten würde, um von den Engländern an Bord genommen und später irgendwo in der Nähe eines Hafens wieder ausgesetzt zu werden …

Karl Heller hastete die Turmtreppe abwärts und schlich in das Gemach zurück, wo seine Landsleute schliefen. Er wußte, an welcher Stelle das auf der Piratenprau seiner Zeit vorgefundene Fernrohr hing. Mit diesem kehrte er auf den Turm zurück, stellte es ein und spähte nach dem einsamen Licht hinüber.

Jetzt bemerkte er auch rings um den leuchtenden Punkt einen dunkleren Schatten, der sich verschwommen von der Umgebung abhob. Noch mehr sah er: noch zwei weitere Lichter, schwächer als das erste. Die drei bildeten ein Dreieck, bewegten sich weiter, ohne ihre Lage zueinander zu verändern.

Also wirklich ein Schiff dort auf See – ein Schiff in voller Fahrt mit dem Kurse auf die vier Eilande hin …! Das konnte kein Zufall sein, das war der Beweis einer Verräterei des Holländers …!!

* * *

Die Gefährten waren schnell alarmiert. Menke wollte erst nicht recht an des Knaben Bericht glauben. Aber bald hatte er sich überzeugt, daß es ein Schiff sein mußte und nichts anderes. Auch er war jetzt der Ansicht, daß man diesen Besuch lediglich Restraaten zu verdanken habe.

„Kameraden“, wandte er sich an seine vier Gefährten, „unsere Schicksalsstunde hat geschlagen. Ich halte es für gewiß, daß es ein englisches Kriegsschiff ist. Sollen wir uns nun ohne Kampf ergeben? Aufgeknüpft oder erschossen werden wir von den Briten ohnehin, weil wir es früher gewagt haben, unsere Revolverkanonen zur Verteidigung gegen sie zu gebrauchen, ohne daß wir ein deutscher Hilfskreuzer sind. Ist es nicht echt deutsch gehandelt, wenn wir dem verhaßten Feinde vorher noch so viel Schaden als irgend möglich zufügen?“

Selbst August Strina stimmte begeistert zu. Er wollte sein Leben recht teuer verkaufen.

Dann wandte Menke sich an den Malaien, dem er es freistellte, auf eine der Inseln hinüberzuschwimmen und sich den Engländern dann anzuschließen, die ihm kaum etwas anhaben konnten, da ja gegen Mikaua nichts vorlag. Aber dieser lehnte kurz ab.

„Sahib Menke kennt Mikaua schlecht. Mikaua liebt die Engländer nicht. Und wenn Restraaten wirklich an Bord jenes sich nähernden Schiffes ist, so wird er irgend eine falsche Beschuldigung gegen mich erheben, um mich aus dem Wege zu räumen. Mit braunen Malaien machen die Engländer nicht viel Umstände. Mikaua bleibt bei den Germans, die es ehrlich mit ihm meinten von Anfang an.“ –

Vorbereitungen für den Angriff des Feindes waren nicht gerade viele zu treffen. Aus dem Kutter wurde alles in den alten Steinbau geschafft, was nicht niet- und nagelfest war. Dann mußten Gerling und Karl Heller nach einer der Inseln hinüberfahren und alle verfügbaren Gefäße mit Trinkwasser aus einer Quelle nahe dem Ufer füllen. Inzwischen wurden die Revolverkanonen auf die Plattform des Nord-, West- und Südturmes gebracht und die nötige Munition bereitgestellt. Bei dieser Gelegenheit zählte Menke die vorhandenen Granaten durch. Im ganzen waren es noch 102, außerdem vierzig Signalkartuschen, die sich unschwer zu Kartätschen umwandeln ließen, indem man Blei- und Eisenstücke in die Hülsen pfropfte. Moderne Hinterladergewehre nebst ausreichenden Patronen standen 28 zur Verfügung. Die Bewaffnung war also keine schlechte; und bei der Bauart des Radschaschlosses mußte es einem Angreifer recht schwer fallen, in den starken Steinbau, der rings von Wasser umgeben war und nur den einen Eingang besaß, einzudringen.

In knappen zwei Stunden war alles erledigt, was Menke als Anführer der kleinen Schar für einen warmen Empfang der ungebetenen Gäste für nötig hielt. Die Geschütze waren geladen, die Gewehre überall da verteilt, wo sie am besten gebraucht werden konnten, und die Plätze der Besatzung angewiesen.

Menke und der Malaie befanden sich, als im Osten der Horizont sich lichter und lichter zu färben begann, auf dem nördlichen Turm, da man von dort aus die beste Fernsicht hatte. Von dem fremden Schiffe war jetzt nichts mehr zu sehen. Freilich konnte es sehr wohl dicht vor den Inseln vor Anker gegangen sein, wo es vom Turme aus nicht zu bemerken war, da die stellenweise recht hohen Felsenhügel es verdeckten.

Wieder war eine Stunde vergangen. Alles blieb ruhig. Die Sonne stand nun bereits ein Stück über dem Horizont. Das Warten ermüdete. Menke hatte mit den Gefährten auf den anderen Türmen gewisse Signale durch Winken mit schnell hergestellten verschiedenartigen Flaggen vereinbart. Jetzt fragte er an, ob man etwas Verdächtiges bemerkt habe.

Strina und Gerling winkten ein Nein zurück. Dann gab Menke durch die Flaggen den Befehl, daß Karl Heller für die Besatzung ein Frühstück zubereiten solle. Mikaua schickte er wieder aus, damit dieser aus den Segeln und Spieren des Kutters auf jeder Turmplattform ein niedriges Sonnendach herstellen solle, unter dem man am Tage einigen Schutz vor den sengenden Strahlen finden konnte.

Um die Mittagszeit war die Lage noch dieselbe. Dann sah Menke ein, daß er seine kleine Schar unmöglich durch den ständigen Wachdienst dauernd in Bewegung halten dürfe. So wurden denn die Turmbesatzungen bis auf einen einzelnen Posten auf dem Nordturm eingezogen.

August Strina, der in seiner Person ein seltsames Gemisch von allerlei Charaktereigenschaften vereinigte, gab bereits der Hoffnung Ausdruck, daß man sich wahrscheinlich unnötig des fremden Schiffes wegen aufgeregt habe. Dieses könne sehr wohl nur zufällig an den Inseln vorübergefahren sein. Aber Strina blieb der einzige Optimist.

Schließlich erbot sich Mikaua gegen zwei Uhr nachmittags freiwillig zu einer Erkundung. So wurde denn die Steinbarrikade vor dem Haupteingang teilweise weggeräumt, der Malaie schlüpfte hinaus, ließ sich ins Wasser gleiten und schwamm dem nächsten Eiland zu. Dort verschwand er bald hinter den Felsmassen.

Eine halbe Stunde darauf tauchte er wieder auf und kam nach dem Radschaschlosse zurück.

Er brachte sehr wichtige Meldungen mit. In einer tief in das Land einschneidenden Bucht der Südwest-Insel liege der kleine englische Kreuzer „Belfast“ vor Anker, der soeben eine Barkasse und zwei bemannte Boote ausgesetzt habe, die auf den Nordkanal zuhielten, dessen leichte Passierbarkeit nur Restraaten den Engländern mitgeteilt haben konnte.

Menke schickte jetzt alles auf die Gefechtsstationen, nachdem er nochmals genaue Verhaltungsmaßregeln gegeben hatte.

Bald darauf tauchte die Barkasse mit den beiden Booten an der Einmündungsstelle des Kanals in den Binnensee auf. Hier wurden die Schlepptrossen der Boote freigegeben, und diese ruderten dicht am Ufer entlang, um – das war klar ersichtlich – sich so aufzustellen, daß die Festung von drei Seiten zugleich berannt werden konnte.

Das sorglose Verhalten der Engländer, die doch wissen mußten, daß die Deutschen über sehr wirksame Verteidigungsmittel verfügten, war Menke vollkommen unverständlich. Zu seiner leisen Beunruhigung sah er aber, daß sowohl die Barkasse als auch jedes der Boote ein kleines Schnellfeuergeschütz an Bord hatte. Noch zögerte er, das Signal zur Eröffnung des Feuers zu geben.

Dann kam die Barkasse, die jetzt eine weiße Flagge gehißt hatte, langsam auf den Nordturm zu, und ein Offizier forderte Menke im Namen Seiner Majestät des Königs von England zur bedingungslosen Übergabe auf, indem er sich dabei eines Sprachrohres bediente.

Menke antwortete nicht, ließ sich auch nicht sehen. Noch zweimal wiederholte der Engländer sein Ansinnen, indem er zuletzt das „bedingungslos“ in die Zusicherung umwandelte, die Deutschen sollten in Singapore im ordentlichen Verfahren abgeurteilt werden. Als auch jetzt alles auf dem Turme still blieb, kehrte die Barkasse in die Kanalmündung zurück, ließ ihre Heulsirene drei gellende Signale geben und machte das Bordgeschütz feuerbereit.

Die Würfel waren gefallen. Menke schwenkte die rote Flagge, und gleich darauf sausten auch schon die ersten beiden Revolvergranaten von den Türmen herab.

Der Gegner war bei diesem Gefecht entschieden sehr im Nachteil. Die dicken Quadern der Steinbrüstungen der Turmplattformen, oben noch verlängert durch Felsstücke, zwischen den die Revolverkanonen wie aus Schießscharten feuerten, boten gegen Gewehrfeuer, das sehr bald einsetzte, vorzüglichen Schutz, während die Engländer in ihren Fahrzeugen den Geschossen ohne Deckung preisgegeben waren.

Dieser Angriff war ein so grober Fehler, daß Menke, wenn er Admiral des Indischen Geschwaders gewesen wäre, den Kommandanten des Kreuzers glatt „abgesägt“, das heißt seiner Stellung enthoben haben würde. Vielleicht hatten die Herren Briten damit gerechnet, daß die Deutschen keinen Widerstand wagen würden. Und sehr wahrscheinlich verbot es ihnen jetzt ihr Stolz als seebeherrschende Nation, mit den drei Booten unverrichteter Sache nach dem Kreuzer zurückzukehren.

Das Feuergefecht hatte denn auch für die Verteidiger den erwünschten Erfolg. Nachdem die Barkasse im Vorschiff sehr unangenehme nähere Bekanntschaft mit einer Granate gemacht und eines der Boote, durch einen Volltreffer seines halben Bodens beraubt, weggesunken war, dampfte die Barkasse in den Kanal hinein und verschwand hinter der nächsten Krümmung. So viel kameradschaftlichen Geist besaß sie nicht, sich um das zweite Boot zu kümmern, daß doch im feindlichen Feuer von der Nordwestecke des Beckens bis zum Nordkanal rudern mußte, um sich in Sicherheit zu bringen. Nun – dies gelang ihm nicht. Zwei von erhöhten Punkten feuernde Revolverkanonen und zwei moderne Gewehre (die Besatzung des Südturmes fiel bei dieser Aktion ja leider aus, da dieser Gegner nicht in den Bereich der dort vorhandenen Feuerwaffen kam) sind doch ein recht bedenkliches Hindernis. Jedenfalls sank das Boot sehr bald, und die noch lebenden Insassen retteten sich ebenso wie die des anderen auf eines der Eilande hinüber, wo sie schleunigst hinter den Felsen Schutz suchten.

Der erste Angriff war also glänzend dank britischer Dummheit (oder war es Tollkühnheit?!) abgeschlagen.

Eine Stunde später stellte Menke mit dem Fernrohr fest, daß sich auf einem Hügel der Südwestinsel, in deren Außenbucht der kleine Kreuzer lag, ein aus drei Matrosen bestehender Beobachtungsposten einnistete, der ein Telephon mithatte, welches fraglos mit dem Kriegsschiff die Verbindung zur schnellsten Nachrichtenübermittlung aufrecht halten sollte. Was dieser Posten, der sich hinter großen Felsstücken verschanzte und bequem die belagerte Wasserfeste überklicken konnte, eigentlich bezweckte, war Menke zunächst unklar. Immerhin hielt dieser es für angebracht, ihn unter Geschützfeuer zu nehmen und zu vertreiben. Kaum hatte er den entsprechenden Befehl gegeben, als auch schon August Strina mit seiner Revolverkanone hinüberfunkte. Der zweite Schuß saß bereits. Der Steinverhau flog auseinander, und der Telephontrupp riß mit seinem Apparat aus. Trotzdem tauchte er bald wieder, jetzt in besserer Deckung, auf einem anderen Hügel auf. Und nun wurde es den Deutschen auch klar, was die Fernsprechleitung eigentlich sollte.

Hinter der Südwestinsel hervor aus der Richtung des Kreuzers erklang plötzlich der rollende Knall eines Schusses aus einem größeren Schiffsgeschütz, und heulend und brummend kam das erste Geschoß angesegelt, fegte dicht über die Plattform des Ostturmes hinweg und schlug jenseits in die Felsen der Nordostinsel mit starkem Krach ein. Es war eine Granate gewesen, und Strina als Sachverständiger meldete ein voraussichtliches Kaliber von mindestens 10,5 Zentimeter.

Mit dieser Möglichkeit einer indirekten Beschießung des Radschaschlosses hatte Menke nicht gerechnet. Ehe er sich noch schlüssig wurde, was er in dieser höchst bedrohlichen Lage tun solle, entlud schon eine ganze Breitseite mit unheimlichem Sausen in kurzen Bogenschüssen ihren Eisenhagel über den alten Steinbau.

Man mußte es den Engländern lassen: sie hatten vorzüglich gezielt! Nicht eine Granate ging fehl. Das Radschaschloß erzitterte in seinen Grundfesten unter den Einschlägen der feindlichen Grüße. Selbst die Steinquadern waren dieser Behandlung nicht gewachsen. Flammen und Rauch, fliegende Sprengstücke, stürzende Steine überall. Am schlimmsten war der Nordturm weggekommen. Er hatte drei Treffer erhalten, einen dicht unter der Plattform; eine zweite Granate war sogar durch eine der Fensteröffnungen eingedrungen und riß einen Teil der Treppe weg.

Menke gab schleunigst Befehl, sich in die Räume des nordöstlichen Erdgeschosses zurückzuziehen. Dort war man noch am besten geschützt, wie er hoffte.

Kaum hatten die fünf Gefährten sich hier in einer der Mumienkammern versammelt, als eine neue Salve erfolgte, die ebenso gut saß. Noch eine dritte schickte der Engländer herüber; dann trat eine Pause ein.

Als zehn Minuten vergingen, ohne daß die Beschießung fortgesetzt wurde, wagten sich Menke und Karl Heller hinauf auf das Dach des Nordostflügels.

Ein Boot des Kreuzers mit einer weißen Fahne im Heck erschien gleich darauf in der nördlichen Durchfahrt. Wieder wurden die Deutschen zur Übergabe aufgefordert. Menke lehnte ab. Verloren war man ja ohnehin. Dann schon lieber durch das Feuer der feindlichen Geschütze ein Ende finden, als durch einen Strick.

* * *

Zwei Stunden später, gegen vier Uhr nachmittags, bildete der Steinbau, der Jahrhunderte stolz überdauert hatte, nur noch einen wüsten Haufen von Quadern. Auch im Hofraum waren ein paar Granaten geplatzt. Eine hatte die Steinfigur des Elefanten getroffen und zerschlagen. Die Kokospalmen lagen umgeknickt, zersplittert am Boden. Zwei Flügel des Gebäudes waren nach der Wasserseite hin eingestürzt. Ihre Trümmer ragten wie Klippen aus dem Binnensee heraus.

Nichts regte sich mehr in den Ruinen des Schlosses der Fürsten von Pakanir. Selbst die Mumien waren in den Erdgeschoßräumen zerfetzt und verschüttet worden. Der Kreuzer hatte gründliche Arbeit getan.

Zwei Boote näherten sich vom Nordkanale her dem mächtigen Trümmerhaufen, aus dem hier und da gelblicher Qualm von schwelendem Holz aufstieg. Viel Nahrung hatten die Brandgranaten nicht gefunden. Nur die Deckenbalken waren in geringem Umfange angebrannt. Aber sie bestanden aus einer tropischen Holzart, die nur bei starker Zugluft bis zu hellen Flammen sich entzündete.

In den Booten befanden sich mehrere Offiziere des Kreuzers; auch der Holländer Restraaten war mitgenommen worden. Die Engländer behandelten den Verräter mit kalter Höflichkeit. Wohl fühlte er sich unter ihnen nicht.

Noch bevor das vorderste Boot die Ruine erreicht hatte, fiel plötzlich ein einzelner Schuß. Restraaten, der gerade dem Kommandanten des Kreuzers die Bauart des Radschaschlosses erklärte, und soeben den geheimen Zugang zu den Erdgeschoßräumen hatte näher schildern wollen, sank ohne jeden Laut nach hinten über.

Eine Kugel hatte ihn mitten in die Stirn getroffen.

Der Schuß war aus dem zerstörten Nordflügel gekommen. Jetzt befahl der Kreuzerkapitän den Sturm. Aber es blieb ein harmloses Erklettern wüster Quadermassen. Keine Kugel hinderte die Matrosen, kein Laut wurde in den Ruinen vernehmbar, die nun aufs sorgfältigste abgesucht wurden.

Man fand nichts Lebendes mehr vor. Nur verkohlte menschliche Leichenteile lagen hier und da herum. Die Engländer hielten sie für die Reste der Besatzung. Von den Mumien hatte Restraaten nichts erzählt, ebensowenig von der kostbaren Ladung, die sein Boot trug, das der Kreuzer an Bord genommen hatte.

Und doch mußte einer der fünf Leute mit dem Leben davongekommen sein, – der, der den Holländer erschossen hatte. Aber so genau auch jeder Winkel durchstöbert wurde, man entdeckte keine Spur des Gesuchten. Die Ruinen enthielten kein lebendes Wesen mehr. Immerhin fanden die Engländer in den teilweise noch erhaltenen Räumen des nördlichen Erdgeschosses ein Gewehr, das keinerlei Beschädigungen aufwies. Schließlich erklärte man sich das Verschwinden des Mannes, der den verräterischen Holländer ins Jenseits befördert hatte, in der Weise, daß er schwimmend eines der Eilande erreicht habe. Dort wollte man ihn bald festnehmen. Aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Obwohl der Kreuzer noch drei Tage in der Bucht verblieb, waren alle Nachforschungen umsonst. Mittlerweile hatte man auch in Restraatens Segelboot die Juwelen gefunden. Nun erst ging den Engländern ein Licht auf, welch ein Charakter der Holländer gewesen war. Da der Kommandant sich nicht länger hier aufhalten konnte, zumal ein Funkspruch von Singapore aus ihm neue Befehle zukommen ließ, lichtete der Kreuzer am sechsten Tage nach seinem Erscheinen bei den Inseln die Anker und stach mit nördlichem Kurse in See.

* * *

Mittags war der Kreuzer davongefahren. Eine starke Rauchsäule bezeichnete den Weg, den er nahm.

Ernst Menke stand, gedeckt durch die übereinanderliegenden Quadern des Nordturmes, mit dem Fernrohr vor den Augen wohl eine Stunde auf diesem höchsten Punkte der Ruinen des Radschaschlosses und suchte die Inseln ab, ob nicht vielleicht von dem Kreuzer ein paar Mann zurückgeblieben waren. Die Rauchsäule dort drüben wurde schnell schwächer und schwächer. Das Kriegsschiff schien wirklich die Eilande endgültig verlassen zu wollen.

Dann kletterte er wieder in den Hofraum hinab, bewegte den Sockel des zerstörten Elefantensteinbildes nach rückwärts und legte so den Eingang zu der geheimen Treppe frei, die in den Gang hinabführte, der nach den Erdgeschoßräumen hinlief.

In diesem fünf Meter unter der Erde liegenden, durch dicke Felsschichten gestützten Gange hatten die fünf Verteidiger der kleinen Wasserfeste Zuflucht gefunden, hier hatten sie in der Eile allen vorhandenen Proviant, die Wasserfässer und anderes aufgehäuft, um einige Zeit in der Verborgenheit leben zu können. Bange Stunden kamen dann für die in den Felsengang Eingeschlossenen. Wenn Restraaten auf den Gedanken kam, daß die Verteidiger sich in dieses Versteck geflüchtet haben könnten, wenn er hiervon den Engländern Mitteilung machte, dann waren sie verloren. Das dumpfe Krachen der krepierenden Granaten, das Poltern des einstürzenden Mauerwerks, – alles war hier unten deutlich zu hören. Die zweite Treppe, die aus dem Gange in die Mumienkammern hinaufführte, wurde sehr bald verschüttet. Ein Teil der umliegenden Räume fiel zusammen. Das konnte den fünf Gefährten nur lieb sein, und damit hatten sie auch gerechnet. Nun gab es nur noch den einen Zugang zu ihrem Schlupfwinkel vom Hofe aus. Aber dieser bildete auch einen Gegenstand steter Angst für sie. Traf ein Geschoß nochmals den Sockel der zerstörten Elefantenfigur, so wurde die Treppe freigelegt und war leicht aufzufinden. Aber das Glück war ihnen hold. Auch die wiederholte Durchsuchung der Ruinen ging vorüber. Nur Mikauas Rachedurst hätte beinahe das Leben aller gefährdet.

Er war es, der den Holländer erschossen und sich dann wieder in das Versteck unbemerkt zurückgezogen hatte. Menke machte ihm die heftigsten Vorwürfe. Aber an dem Geschehenen ließ sich nichts mehr ändern. Wieder war die Vorsehung den Eingesperrten gnädig. Des Malaien vorschnelle Handlungsweise zeitigte keine bösen Folgen. –

Menke traute den Engländern nicht. Erst nach Einbruch der Dunkelheit wagten er und Mikaua sich wieder aus dem Schlupfwinkel heraus. Jetzt sahen sie auch nach, was aus dem Kutter geworden war. Sie ahnten, daß er der Beschießung gleichfalls zum Opfer gefallen sein würde. So war es auch. Er war durch eine Granate auseinandergerissen, und nur einzelne Planken trieben noch auf dem Binnensee herum, ebenso der ganze Kajütaufbau, wie man am nächsten Morgen feststellte.

Die beiden schwammen dann zum nächsten Eiland hinüber, suchten die vier Inseln beim Lichte des Vollmondes genau ab und überzeugten sich, daß kein Engländer sich mehr auf den Eilanden befand. Da erst fühlten sie sich sicher, kehrten nach der Ruine zurück und teilten den anderen mit, was sie erkundet hatten.

Mit einem innigen Dankgefühl gegen Gott, der sie so wunderbar behütet hatte, vereinigten die Gefährten sich in dem von Steintrümmern übersäten Hofraume, um wieder einmal in Ruhe frische Luft zu schöpfen und gleichzeitig zu beraten, was nun geschehen solle, wo man keinerlei Mittel besaß, den ursprünglichen Plan auszuführen und die Inseln zu verlassen, um sich irgendwie nach der Heimat durchzuschlagen. Der brave, den vier Deutschen so liebgewordene Kutter war nicht mehr. Und ein anderes Fahrzeug gab es nicht, auf dem man sich hätte einschiffen können.

Die ganzen Verhältnisse lagen so, daß den fünf kühnen Verteidigern des Radschaschlosses nichts anderes übrigblieb als hier vorläufig Robinson zu spielen, bis irgend ein Zufall ihnen Gelegenheit gab, wieder in bewohnte Gegenden zurückzukehren.

Menke ließ nun am nächsten Morgen sofort feststellen, was an Waffen und anderen Gegenständen gerettet worden war, ebenso, ob sich aus den Trümmern der kleinen Wasserfeste noch brauchbare Dinge herausholen ließen, die in der Eile nicht hatten mit geborgen werden können, als man sich in das unterirdische Versteck zurückzog.

Das Ergebnis war ein so befriedigendes, daß die infolge des Verlustes des Kutters recht gedrückte Stimmung unserer Helden sich sofort wieder aufbesserte.

Außer zehn Gewehren und reichlich Patronen war man noch im Besitz von allerlei Handwerkszeug, Eisenteilen, Kochgeschirren, Tauen, Segeln und manchem anderen, was man gut verwenden konnte. Dann aber brachten nachher Mikaua und Karl Heller, die in der Ruine recht waghalsigerweise überall umhergeklettert waren, auch noch die drei Revolverkanonen mit Hilfe Gerlings nacheinander triumphierend angeschleppt. Die Geschütze waren freilich böse zugerichtet, aber August Strina erklärte nach ihrer eingehenden Untersuchung, daß es ihm vielleicht gelingen würde, aus den noch brauchbaren Teilen wenigstens ein benutzbares zusammenzustellen, da die drei Revolverkanonen alle aus derselben belgischen Fabrik hervorgegangen waren und dieselbe Modellnummer trugen. Tatsächlich hatte er dann nach zwei Tagen eifriger Arbeit sein Ziel erreicht. Man verfügte jetzt auch wieder über ein Geschütz, für das noch Munition zu 32 Schüssen vorhanden war.

Die Wohnungsfrage bereitete den Gefährten auch weiter keine Schwierigkeiten. Menke hatte gleich beschlossen, in der Ruine zu bleiben, die den Vorteil der größten Sicherheit gegen unliebsame Überraschungen bot. Zu diesen mußte man besonders einen neuen Besuch eines englischen Kriegsschiffes rechnen, das vielleicht gelegentlich einmal nachsehen kam, ob der verschwundene Mörder des Holländers Restraaten doch noch am Leben war und auf den Eilanden sein Leben fristete.

Nachdem die Steintrümmer von der Treppe, die aus dem unterirdischen Felsengange in die Erdgeschoßgemächer führte, fortgeräumt waren, konnte man sich in den beiden noch leidlich erhaltenen ersten Mumienkammern wohnlich einrichten. Dies geschah am Nachmittag des ersten Tages nach der Abfahrt des Kreuzers „Belfast“. Inzwischen hatte Mikaua, der durch besonderen Eifer die vier Deutschen wegen seines von diesen hart verurteilten Meuchelmordes gern versöhnen wollte, nicht nur alle auf dem Binnensee schwimmenden Trümmer des Kutters geborgen, sondern auch durch Tauchen festgestellt, daß das eine der gesunkenen englischen Boote sich unschwer würde an Land ziehen lassen, da es in flachem Wasser auf einer glatten, leicht geneigten Felsplatte lag, die sich bis zum Strande der nächsten Insel hinzog und mit schlüpfrigen Wasserpflanzen dicht bewachsen war, über die das Boot leicht hinweggleiten mußte.

Als der Malaie diese Nachricht nach der Ruine brachte, hätte Menke am liebsten sofort den Versuch gemacht, mit der Bergung des Bootes zu beginnen, so sehr regte selbst ihn, den stets kühl Überlegenden, der Gedanke auf, vielleicht bald wieder in Besitz eines Fahrzeuges zu gelangen. Daß die Schäden des Bootes sich würden ausbessern lassen, daran zweifelte er keinen Augenblick.

Nachher aber, als die erste Freude über Mikauas wertvolle Feststellungen sich gelegt hatte, sah er doch ein, daß der Nachmittag bereits zu weit vorgerückt war, um noch mit den Vorbereitungen für das Heben des Fahrzeuges beginnen zu können. Man verschob die Sache daher für den nächsten Tag.

Als Menke nach einer fest durchschlafenen Nacht munter wurde, fand er den Malaien bereits draußen an der Nordseite der Ruinen, wo die eingestürzten Mauern einen flachen, von Klippen hier und da überragten steinigen Strand geschaffen hatten, in voller Tätigkeit vor. Mikaua war schon vor Morgengrauen aufgestanden und hatte aus den Trümmern des Kutters ein Floß hergestellt, mit dem man nun ganz bequem nach den Eilanden übersetzen konnte.

Menke lobte den braunen, schlanken Burschen, redete ihm bei dieser Gelegenheit aber auch nochmals ins Gewissen, indem er ihm vorhielt, daß der tödliche Schuß auf Restraaten ein Verbrechen gewesen sei, zu dem Mikaua sich selbst trotz der schuftigen Handlungsweise des Holländers niemals hätte hinreißen lassen dürfen. Der von der Kultur nur noch recht oberflächlich in seinen Anschauungen von Recht und Unrecht beeinflußte Insulaner vermochte sich jedoch in die Denkungsart eines Europäers so wenig hineinzufinden, daß er auch jetzt zu seiner Verteidigung wiederholte, Restraaten sei ein Dieb und ein Verräter gewesen und dafür nur in einer Weise bestraft worden, wie er es verdiente.

Darauf gab Menke jeden weiteren Versuch auf, den Malaien eines Besseren zu belehren, sah aber auch ein, daß man mit ihm nicht so streng ins Gericht gehen dürfe wie mit einem Weißen. Mikaua wurde daher nun wieder wie früher von allen freundlich und als Gleichberechtigter behandelt, wofür er besonders Menke durch geradezu hündische Treue und Anhänglichkeit dankte.

* * *

Nach der Morgenmahlzeit, die sehr hastig verzehrt wurde, bestiegen unsere fünf Robinsons unter Mitnahme aller vorhandenen Taue und Leinen das Floß und ruderten nach der Stelle hin, wo das Boot in etwa vier Meter Tiefe lag.

Hier wurde das Floß an zwei aus schweren Steinen hergestellten Ankern festgelegt, worauf Mikaua, der in seinem buntbewegten Leben auch einmal als Perlentaucher tätig gewesen war, wiederholt in die Tiefe sich hinabließ und drei starke Taue an den Ruderbänken des Bootes befestigte.

Die Entfernung bis zum Strande der nächsten Insel betrug etwa fünfzehn Meter, und nach dreistündiger Arbeit hatte man das Boot wirklich über den schlüpfrigen Seeboden aufs Trockene gezogen.

Nun sah man auch, welcher Art seine Beschädigungen waren. Eine Granate hatte es in der Mitte getroffen, die eine Ruderbank glatt durchschlagen und dann krepierend in den Boden ein Loch von gut einem halben Meter Durchmesser gerissen. Beim Untersinken hatte es sich ganz auf die Seite gelegt, so daß alles herausgefallen war, was nicht niet- und nagelfest war.

Dieses Kriegsschiffsboot mit seiner Länge von acht Metern, hergestellt aus bestem Eichenholz und offenbar ganz neu, besaß im Heck und Bug eingebaute große Luftkästen, die es sicherlich auch schwimmend erhalten hätten, wenn eben nicht Sprengstücke der Granaten die Wandung der aus Zinkblech gefertigten Kästen durchschlagen haben würden. Dieses Zinkblech wurde nun später dazu benutzt, die neu eingesetzten Plankenteile zu übernageln, so daß die Beschädigung des Bodens in durchaus zuverlässiger Weise ausgeflickt werden konnte, wobei wiederum Mikaua die Hauptarbeit leistete.

Die Freude der fünf Gefährten, als das Boot zum erstenmal wieder auf dem Binnensee schwamm, kann man sich leicht vorstellen. Es hatte eine so bedeutende Tragfähigkeit, daß Menke, um es seetüchtiger zu machen, beschloß, es mit einem richtigen Verdeck zu versehen. Die nötigen Bretter lieferte der Kajütaufbau, den Mikaua gleichfalls mit den anderen Trümmern nach den Ruinen bugsiert hatte. Sogar eine Kajüte mit erhöhtem Dach wurde in das Hinterschiff eingebaut, während man vorn einen Herd aus Steinplatten, die mit Zinkblech umgeben wurden, in einem Verschlage unter Deck aufstellte, um auch eine richtige Kombüse (Küche) zu haben.

Natürlich sollte dieser neu entstandene Kutter auch eine Segelausrüstung erhalten. Die Herstellung von zwei Masten erforderte allein eine halbe Woche Zeit, da man sie aus zugehauenen Stücken von Planken aus drei Teilen zusammensetzen mußte. Schließlich hielt es Menke auch für vorteilhaft, dem neuen Fahrzeug, das man auf den Namen „Hoffnung“ getauft hatte, eine Reling zu geben, in deren Schutz vorn im Bug die Revolverkanone aufgestellt wurde, für die man eine besondere, drehbare Lafette zimmerte, da die ursprünglichen zertrümmert waren und sich auch nicht ausbessern ließen.

Die mit sicher verstautem Steinballast versehene „Hoffnung“ entwickelte dann bei einigen Probefahrten bei kräftigem Winde unter dem Druck ihrer großen Segel eine solche Geschwindigkeit, daß die vier Deutschen zugeben mußten, der alte, brave „Rächer“ sei hier in neuer, besserer Form wieder auferstanden. Da außerdem alle Umbauten an dem einstigen Kriegsschiffsboot sehr sorgfältig und sauber ausgeführt waren, machte es auch äußerlich einen ganz schmucken Eindruck, zumal der findige Mikaua es verstanden hatte, alle Holzteile erst gleichmäßig mit feinem Steingrus zu glätten und dann mit einer aus Moosen ausgepreßten grünen Farbe, die in der Sonne sich in ein lichtes Braun verwandelte, dauerhaft zu beizen.

Über all diesen Arbeiten war doch ein voller Monat vergangen. Am 2. März 1915 bestimmte Menke dann, daß man am nächsten Morgen in See stechen solle, um zunächst die Karimata-Inseln anzulaufen und dort allerlei Früchte an Bord zu nehmen. Die „Hoffnung“ wurde also zur Abreise fertig gemacht. Von der einstigen Beute der Piratenprau waren jetzt nur noch einige Ballen wertvoller Seide vorhanden. Diese nahm man mit. Konnten die doch recht gut als Tauschartikel dienen, da Menke aus Vorsicht nur kleine Dörfer an der Küste auf der bevorstehenden langen Reise anzulaufen gedachte.

Der Abend vereinigte die fünf Gefährten zum letztenmal in dem Hofraum der Ruinen des Radschaschlosses. Alle waren heute stiller als sonst. Verhehlte sich doch niemand, daß diese Fahrt, die bis nach einem persischen Hafen gehen sollte, ein großes Wagnis darstellte und durch tausend Zufälligkeiten leicht mißglücken konnte. Außerdem fiel auch diesen fünf Einsamen, die hier auf den Eilenden manche ernste Stunde durchlebt hatten, der Abschied von dieser Stätte, die sie trotz alledem liebgewonnen hatten, recht schwer.

Die Nacht war mondhell, und deshalb verabredeten Mikaua und Karl Heller, als die anderen zur Ruhe gingen, noch einen kurzen Ausflug auf dem Floß nach dem nördlichen Eiland, um dort am Außenstrande nach Schildkröten zu suchen, die besonders gern nach Dunkelwerden an Land kamen. Lederschildkröten, manche davon von recht stattlicher Größe, fanden sich nämlich oft auf den Inseln ein, und ihr Fleisch lieferte stets eine kräftige Suppe und schmeckte auch zwischen heißen Steinen gebacken recht gut.

Als die beiden nächtlichen Schildkrötenjäger dann gerade einen Hügel des Eilandes erklettert hatten, von dem aus sie auch die südwestliche Insel überblicken konnten, packte der Malaie plötzlich mit hartem Griff des Knaben Arm und deutete mit der Linken auf die dunklen Umrisse eines größeren Fahrzeuges, das, wie aus der Bewegung seiner Laternen zu erkennen war, langsam in dieselbe Bucht hineinsteuerte, in der damals der Kreuzer „Belfast“ gelegen hatte.

„Kleiner weißer Sahib“, sagte Mikaua erregt, „ich wette, daß das da drüben unser alter Feind ist. Die Augen eines Malaien sehen scharf, auch wenn nur der Mond sein bleiches Licht der Erde schenkt.“

Auch Karl Heller zweifelte nicht, daß es der Kreuzer war. Eiligst kehrten sie daher nach den Ruinen zurück, weckten die ahnungslosen Gefährten und machten sofort den Kutter klar zur Abfahrt. Die Nacht war jedoch so windstill, daß sie die Ruder benutzen mußten, die bisher zur Fortbewegung des Floßes gedient hatten, und daher sehr lange brauchten, ehe sie durch den Nordkanal offenes Wasser erreichten.

Hier aber wartete ihrer eine neue böse Überraschung.

Von Westen her tauchte mit einemmal eine Barkasse auf, die offenbar den Befehl hatte, die Ruinen des Radschaschlosses anzulaufen. Dem flinken Dampfboot auszuweichen, war unmöglich. Es hieß also, sich auf irgend eine Weise aus der Klemme zu ziehen. Die Hauptsache war, daß man zunächst Zeit gewann.

Menke bewies auch jetzt, wie gut er sich zum Führer der kleinen Abenteurerschar eignete. Mit seltener Geistesgegenwart hatte er im Augenblick einen Plan entworfen, der einzig und allein Aussicht auf Rettung versprach.

Mikaua und Karl Heller wurden unter Deck geschickt, da sie die auffälligsten Mitglieder der einstigen Besatzung der Wasserfeste waren, bei denen ein Wiedererkanntwerden durch die Matrosen des Kreuzers nicht ausgeschlossen schien. Sie erhielten den Befehl, die unten verstaute Revolverkanone zu laden, so daß diese nur auf Deck geschafft zu werden brauchte, um einen entscheidenden Ton bei den weiteren Ereignissen mitzureden.

Während Strina und Gerling dann weiter die Ruder handhabten, steuerte Menke der Barkasse entgegen, rief sie schon von weitem in holländischer Sprache, die er fließend beherrschte[2], an und duldete es ruhig, daß das Beiboot des Kreuzers längsseit kam.

In der Barkasse befand sich außer acht Matrosen ein Schiffsfähnrich, der am Steuerruder stand und sich offenbar sehr wichtig vorkam. Vorn lagen mehrere Wasserfässer, die darauf hindeuteten, daß dem Kreuzer Trinkwasser zu fehlen schien.

Als die beiden Boote dicht nebeneinander lagen, stellte sich Menke dem Fähnrich als holländischer Offizier vor, der von den Karimata-Inseln zu seinem Vergnügen eine kleine Seereise unternommen und dabei diese Eilende hier besucht hätte, wo er jedoch durch einen bewaffneten Malaien am Landen und an der Ergänzung seines Wasservorrats verhindert worden wäre.

Gerade diese Erwähnung eines einzelnen, auf den Inseln hausenden Menschen war ein sehr kluger Gedanke von Menke. Der junge Engländer erzählte diesem nun sofort alles das, was sich hier vor etwa einem Monat abgespielt hatte und knüpfte daran die Bemerkung, wahrscheinlich sei jener Malaie der Mörder des Steuermannes Restraaten. Er erbot sich dann auch, den Kutter ins Schlepptau zu nehmen und nach der Bucht zu bringen,[3] da der Kommandant des Kreuzers „Belfast“ sich sicherlich sehr freuen würde, den holländischen Kameraden bei sich an Bord bewirten zu können. Seinen Auftrag, so meinte der harmlose Schiffsfähnrich weiter, könne er unter diesen Umständen doch nicht ausführen. Erst müsse er melden, was Menke ihm erzählt hätte.

Dieser glaubte das Anerbieten des Engländers nicht ablehnen zu dürfen, wenn er nicht Verdacht erregen wollte. Inzwischen war er aber auch schon zu einem Entschluß gelangt, wie er diese Begegnung zu seinem Vorteil ausnutzen könne. Er hatte gesehen, daß die Matrosen der Barkasse sämtlich unbewaffnet waren und daß nur der Fähnrich eine Pistole umgeschnallt trug.

Die Schlepptrosse der Barkasse wurde am Bug des Kutters befestigt, und beide Boote setzten sich dann nach Westen zu in Bewegung.

Menke ließ jetzt schleunigst die Gewehre auf Deck bringen und laden. Seine Anweisungen für die Gefährten waren kurz und klar.

Gerling mußte jetzt die Schlepptrosse unauffällig losbinden, so daß die Barkasse sich plötzlich von ihrem Anhängsel befreit fühlte. Sofort kehrte sie im Bogen zurück und Menke rief dem Fähnrich zu, der Knoten hätte sich gelöst. Ahnungslos steuerte der Engländer wieder ganz nahe heran. Dann änderte sich mit einem Schlage das Bild friedlicher Ruhe auf dem Kutter. Fünf Gewehre waren auf die Barkasse gerichtet, und Menke rief den völlig Überraschten zu, er würde sofort feuern lassen, wenn seine Befehle nicht auf das genaueste befolgt würden.

Die Matrosen mußten sich bis auf den Mann, der die Dampfmaschine bediente, neben dem Fähnrich auf dem Hinterschiff versammeln. Unter dem Zwange der Gewehre, durch deren Kugeln sie sich auf so kurze Entfernung bedroht sahen, gehorchten sie. Dann zwang Menke den Fähnrich, den Kutter mit östlichem Kurse von den vier Eilanden wegzuschleppen. Die Schlepptrosse wurde jetzt so verkürzt, daß man auf der „Hoffnung“ genau sehen konnte, was die Engländer trieben.

Der Fähnrich hatte zwar erst allerlei Drohungen ausgestoßen, wurde aber schließlich ganz zahm und ergab sich in sein Schicksal.

Nachdem die beiden Boote außer Sicht der Insel gekommen waren, ließ Menke die Barkasse stoppen und schickte Gerling und Mikaua an Bord, um festzustellen, wieviel Kohlen sie mithatte. Gerling meldete dann, daß der Vorrat wohl für acht bis zehn Stunden reichen würde. Mittlerweile hatte Strina die Revolverkanone auf dem Vorderdeck schußfertig gemacht, so daß Menke nun den Engländern bei der geringsten Widersetzlichkeit mit einem Granatschuß drohen konnte.

Die Barkasse behielt den Kutter dann notgedrungen bis zum Morgen im Schlepptau und hatte ihn bis in die Nähe der Insel Biliton mit nunmehr südlichem Kurse geführt. Jetzt gab Menke sie frei, nachdem der Fähnrich ihm ehrenwörtlich versprochen hatte, sofort den Kreuzer wieder aufzusuchen und nicht etwa auf Biliton zuzuhalten. Die Barkasse verschwand denn auch bald in voller Fahrt am nördlichen Horizont, während die frische Morgenbrise die „Hoffnung“ durch die Gaspar-Straße zwischen den Inseln Bangka und Biliton hindurch in die Java-See brachte.

Hier müssen wir unsere fünf Helden verlassen. Sie kamen nach vielen Mühsalen, die im nächstfolgenden Hefte geschildert werden sollen, wirklich in der deutschen Heimat an. Zähe Ausdauer, Mut und Geistesgegenwart ihres Führers halfen ihnen ein Unternehmen glücklich beenden, bei dem sie mehr wie einmal dem Tode nur mit genauer Not entrannen.

 

Ende.

 

Das nächste Heft enthält:

Eine Flaschenpost.

 

Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

 

Anmerkungen:

  1. Siehe hierzu auch die Erzählung: „Die Geschichte zweier Perlenschnüre“ von W. K.
  2. In der Vorlage steht: „beherrscht“.
  3. Die beiden Sätze gehören zusammen – deshalb Punkt durch Komma ersetzt.