Erlebnisse einsamer Menschen
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W. Belka.
Die drei Besitzer der deutschen Niederlassung auf der zu der Kwadjelinn-Gruppe[1] gehörigen Insel Meck saßen beim ersten Frühstück auf der schattigen Veranda des großen Wellblechhauses, das mitten in einem weiten Hain von Kokos- und Sagopalmen stand.
Es war ein sehr heißer, windstiller Tag, dieser fünfundzwanzigste August 1914. An der Ostküste der etwa eine Meile langen und halb so breiten Koralleninsel stand nur eine schwache Brandung, deren Rauschen bei den Gebäuden der Niederlassung, die an einer tief in das Land von Westen einschneidenden Bucht errichtet waren, nur ganz wenig vernehmbar wurde.
Die drei Deutschen waren etwa gleich alt, gegen Ende der Zwanzig. Äußerlich sehr verschieden, wiesen ihre Charaktere doch mancherlei verwandte Züge auf. Und diese Übereinstimmung war es auch gewesen, die sie vor nunmehr sechs Jahren zusammengeführt hatte. Drüben in Deutschland waren sie nicht recht vorwärtsgekommen, wahrscheinlich, weil jeder von ihnen so etwas vom Abenteurer an sich hatte. Da gedachten sie in den Kolonien ihr Glück zu machen. Und auf dem großen Dampfer während der Überfahrt nach Herbertshöhe wurden sie Freunde und beschlossen, mit vereinten Kräften sich eine neue Heimat zu gründen.
In Herbertshöhe (Haupthafen der zum Bismarck-Archipel gehörigen Insel Neu-Pommern) wurde ihnen vom deutschen Gouverneur der Vorschlag gemacht, sich auf der Insel Meck niederzulassen. In diesem Falle würde man ihnen sogar das nötige Kapital und auch einige Papuas als Arbeiter zur Verfügung stellen.
Für Leute, die zusammen genau über ein Vermögen von 623 Mark verfügten, hatte dieses Anerbieten so viel Verlockendes, daß sie ohne weiteres zugriffen. Ein Regierungsdampfer brachte sie dann samt ein paar auseinandernehmbaren Wellblechbaracken, einem großen Segelboot, zehn Papuas und einem Haufen von allerlei notwendigen Dingen nach Meck. Die Seereise ging nach Nordosten auf die Ralik-Inseln zu, die mit den Ratak-Inseln zusammen den nordöstlichsten deutschen Kolonialbesitz im Stillen Ozean darstellen.
Nach vier Jahren bereits waren die drei neuen weißen Bewohner und Herren von Meck „über den Berg“, wie man zu sagen pflegt. Das ihnen vorgeschossene Kapital hatten sie dank ihres Fleißes und ihres Unternehmungsgeistes längst abgezahlt, waren jetzt im Besitze eines großen Motorkutters, der die Erzeugnisse ihrer und der benachbarten Eilande zum Weiterversand brachte, und durften sich der frohen Hoffnung hingeben, in weiteren zehn Jahren genug erspart zu haben, um nach Deutschland zurückkehren zu können.
Unermüdlich arbeiteten sie weiter. Nach abermals zwei Jahren beschäftigten sie bereits 25 Eingeborene, und die einst so bescheidene Niederlassung hatte sich zu einer ausgedehnten Faktorei mit allem Zubehör ausgewachsen. Im Mai 1914 leisteten sich die Besitzer der kleinen Kolonie sogar den Luxus, sich einen Funkspruchapparat anzulegen, zu dessen Anschaffungskosten freilich die Kolonial-Verwaltung die Hälfte beisteuerte.
Die Ralik- und Ratak-Inseln, aus mehreren einzelnen Gruppen von Eilanden bestehend, sind nur zum kleinsten Teil bewohnt. Die Verbindung mit den nächsten größeren deutschen Niederlassungen war daher auch eine sehr schlechte. Es kam vor, daß man in der ersten Zeit monatelang ohne jede Nachricht von der Außenwelt blieb. Das änderte sich nun wesentlich durch die neue Funkspruchstation.
Diese hatte den Kolonisten denn auch rechtzeitig den Ausbruch des Weltkrieges gemeldet und sie bis zum 12. August mit allerlei Nachrichten versorgt. Dann waren aber weitere Depeschen ausgeblieben. Auch alle Anfragen halfen nichts. Man bekam keine Antwort mehr.
Kein Wunder, daß die drei Deutschen sich hierdurch auf ihrem verlorenen Posten stark beunruhigt fühlten.
England, Frankreich, Rußland und Serbien gegen die Zentralmächte …!! – Armes deutsches Vaterland!
Tagelang sprachen die drei Einsamen von nichts anderem als dem vermutlichen Ausgang dieses Völkerkampfes. Daß dieser auch für sie selbst nachteilige Folgen, eben die Zerstörung ihrer Existenz, zur Folge haben könnte, daran dachten sie nicht im entferntesten. Ihr Koralleneiland lag ja so weit entfernt von den nächsten größeren Kolonien des Feindes! Und Engländer und Franzosen würden sich wohl kaum die Mühe machen, die auf den Inselgruppen des Stillen Ozeans so weit verstreut wohnenden Deutschen zu belästigen.
So kam der 25. August heran. Am Tage vorher war von der Insel Kwadjelinn, der südlichsten und größten der gleichnamigen Gruppe, mit einem Segelkutter der vierzehnjährige Sohn des dort ansässigen verheirateten Landsmannes Rendler herübergekommen, um anzufragen, ob die Funkspruchstation auf Meck denn immer noch ohne weitere Nachrichten geblieben wäre.
Falk, der kleinste und dickste der drei Freunde, meinte jetzt zu den beiden anderen:
„Wo nur der Junge steckt? Er wollte doch nur zum Hafen hinab und seinen Leuten Befehl geben, den Kutter klarzumachen.“
Menke, der sehr lang und sehr mager war, erwiderte kurz:
„Der Erich wird schon kommen … Ein gutes Frühstück läßt der nie aus. Und ohne Abschied fährt er gewiß nicht nach Hause. – Oder – siehst Du schon wieder einmal Gespenster, Dicker?“
Da mischte sich der dritte Mitinhaber der Faktorei, ein mittelgroßer, breitschultriger Mann ein, der es mitunter liebte, aus alter Gewohnheit kräftig zu berlinern:
„Unser Dicker ist zwar ein richtiggehender Schwarzseher. Was aber unsere Arbeiter anbetrifft –, da glaube ich jetzt auch die Beobachtung gemacht zu haben, daß sie plötzlich auffallend frech und widerspenstig geworden sind.“
Falk nickte eifrig.
„Da hast Du’s, Menke …!! Also auch Reiter gibt mir recht. Ich möchte nur wissen, was in die braune Bande eigentlich gefahren ist?! – Ah da ist ja auch der Junge. – Hör’ mal, Erich, was hast Du denn nur so lange getrieben?! Du solltest längst nach Hause unterwegs sein! Die Deinen haben Dich doch schon gestern abend zurückerwartet.“
Erich Rendler war ein langaufgeschossener Junge. Der weiße Leinenanzug und der breitrandige Strohhut ließen sein von der Tropensonne gebräuntes Gesicht noch dunkler erscheinen.
Er blieb jetzt vor dem Tische stehen, schaute sich vorsichtig um, als fürchte er einen Lauscher, beugte sich dann zu den drei Landsleuten herab und flüsterte hastig:
„Der Towulu hat Sie belogen. Es sind seit dem 12. doch noch Depeschen eingegangen. Der Bursche unterschlug sie aber. Ich habe nie zu ihm Vertrauen gehabt. Er ist in einer englischen Missionsanstalt in Port Moresly (Hafen in Englisch-Neu-Guinea) erzogen worden. Das sagt genug. Jedenfalls hat er meine drei Kanaken (Sandwichinsulaner, alles recht brauchbare Seeleute) dazu verführen wollen, mit Ihren Papuas gemeinsame Sache zu machen. Zum Schein sind sie auch darauf eingegangen.“
Schon diese kurzen Mitteilungen wirkten auf die Besitzer der Meck-Faktorei wie eine Bombe.
Dann berichtete der Knabe näheres. Towulu, ein sehr intelligenter Bursche, der als Funkentelegraphist ausgebildet war, hatte bereits am 13. August einen englischen Funkspruch aufgefangen, in dem die eingeborenen Arbeiter der deutschen Kolonien des Stillen Ozeans aufgefordert wurden, um jeden Preis die deutschen Ansiedler auf den einzelnen Inseln festzuhalten. Für diese Verräterei war den Farbigen eine bestimmte Belohnung zugesichert worden. – Die Verbreitung dieser Nachricht war auch recht gut geglückt, da England überall in die deutschen Niederlassungen schon vor ein paar Jahren Geschäftsspione in Gestalt von braunen Arbeitern eingeschmuggelt hatte. –
Reiter als der energischste der drei weißen Bewohner von Meck begab sich jetzt sofort nach der nahen Funkspruchstation und zwang hier den ahnungslosen Towulu zur Auslieferung der unterschlagenen Depeschen. Der braune Bursche besaß jedoch nur noch zwei – die beiden letzten. Eine davon war vom Nachmittag des 23. August und besagte, daß der Krieg mit Japan unvermeidlich sei, da das von diesem gestellte Ultimatum, ihm Kiautschau ohne Schwertstreich auszuliefern, unbeantwortet bleiben würde.
Die allerletzte Depesche, vom 24. morgens, ebenfalls von Bord eines deutschen Regierungsdampfers aufgegeben, war für die verstreut liegenden Faktoreien noch wichtiger, weil darin die wehrfähigen Deutschen aufgefordert wurden, sich vor japanischen und englischen Kriegsschiffen, die die einzelnen Inselgruppen absuchten, auf neutrales Gebiet, am besten nach den Hawaii-Inseln, sofort in Sicherheit zu bringen.
Der schuftige Towulu wurde nun sofort gefesselt, während man die 24 übrigen farbigen Arbeiter mit der Waffe in der Hand an Bord des großen Motorkutters zu gehen zwang, der in kurzem für eine längere Seereise ausgerüstet wurde und dann, nachdem die Gebäude verschlossen worden waren, und an der Tür des Wohnhauses ein Zettel mit der Aufschrift: „Deutscher Besitz – neutralem Schutze anvertraut“ befestigt war, nach Süden zu in See stach und zwar mit dem Rendlerschen Boote im Schlepptau.
Die drei Freunde beabsichtigten, zunächst die Niederlassung auf Kwadjelinn anzulaufen, dort die Familie Rendler, die aus fünf Köpfen bestand, an Bord zu nehmen und dann die Fahrt nach den Hawaii-Inseln anzutreten, die als zu den Vereinigten Staaten gehörig, vorläufig den Flüchtlingen einen sicheren Aufenthalt boten. – Die Papuas hatte man deswegen nicht auf Meck zurückgelassen, damit die braune Bande die Ansiedlung nicht plündere. Diese Gefahr lag ja offenbar vor, da die Burschen bereits genügend Beweise ihrer auf die Hetzereien Towulus zurückzuführenden deutschfeindlichen Gesinnung gegeben hatten.
Erich Rendler zweifelte nicht daran, daß sein Vater sich den drei Bewohnern von Meck ohne weiteres anschließen würde, nachdem er gehört hätte, wie die Dinge hier lagen. Stand doch zu befürchten, daß die Engländer oder die Japaner auch diesen noch im besten Mannesalter befindlichen Mann mitfortführen würden.
Der Motorkutter, der stolz zu beiden Seiten des Bugs den Namen Germania in weißer Ölfarbe trug, machte bei der ruhigen See trotz seines Anhängsels, eben des Rendlerschen Segelbootes, gute Fahrt. Die Entfernung bis Kwadjelinn betrug etwa 45 Kilometer. Man konnte also bequem gegen 11 Uhr vormittags dort sein.
Auf dem kleinen Hinterdeck der „Germania“ standen Falk, Reiter und der Knabe beieinander. Erster bediente das Steuer, während der vierte Deutsche, der lange Menke, den Motor versah, den man dem bisherigen farbigen Maschinisten nicht anvertrauen konnte. Die Papuas wieder saßen vorn auf Deck, von wo sie sich nicht fortrühren durften. Towulu lag gefesselt in der Kajüte, die nur von achtern (hinten) zu betreten war.
Eine erregte Spannung lag über den gesamten Insassen des Motorkutters. Die Weißen besprachen immer wieder die Vorgänge dieses Tages, erörterten den schmählichen Beitritt der Japs zu der Gefolgschaft Englands und musterten des öfteren mit Ferngläsern die Horizontlinie, ob nicht etwa bereits irgendwo ein verdächtiges Fahrzeug auftauchte. Die braune Bande auf dem Vorschiff wieder schnatterte leise miteinander wie eine unruhige Herde Affen und fühlte sich offenbar nicht recht wohl in dem Gedanken, daß ihre Herren jeder Zeit die Revolver und Gewehre bereithielten, um Widersetzlichkeit sofort rücksichtslos zu ahnden.
So verging eine halbe Stunde. Der Motorkutter lief an der Innenseite der Kwadjelinn-Gruppe entlang, die mit ihren zahlreichen, wie Perlen an einer Schnur aneinandergereihten Eilanden etwa die Form einer Mondsichel hat, deren Inneres eine große, freie Wasserfläche wie einen Binnensee bildet.
Gerade als man sich gegenüber der Insel Ebeje befand, erspähte Erich durch das Glas an der Westseite der Gruppe, die so recht ein Beispiel für die charakteristische Form der meisten Koralleninseln ist, in der Richtung der sogenannten Süd-Passage einen größeren Dampfer, der offenbar auf Kwadjelinn Kurs hielt.
Das Erscheinen dieses Schiffes, das zwei Schornsteine hatte und nur zu sehr nach einem Kreuzer aussah, warf die ganzen Pläne der Deutschen um. Zunächst wurde der Motor auf halbe Fahrt gestellt und der Kutter dicht unter Land der Insel Ebeje gebracht, wo er weniger leicht von dem Dampfer aus bemerkt werden konnte und wo man abwarten wollte, bis man sich über die Natur des Schiffes völlig im klaren war.
Lange brauchte man nicht in ängstlicher Spannung auf die Entscheidung zu harren. Schon fünf Minuten später hatte man die Gewißheit, tatsächlich ein fremdes Kriegsschiff vor sich zu haben. Ein deutsches war es nie und nimmermehr. Die hier im Stillen Ozean stationierten deutschen Kreuzer kannte jedes Kind. Und ebenso wenig unterlag es nunmehr dem geringsten Zweifel, daß das fremde Kriegsfahrzeug die Insel Kwadjelinn anzulaufen beabsichtigte. Es konnte sich also nur um die von den Feinden Deutschlands beabsichtigte allgemeine Razzia nach wehrfähigen Männern handeln.
Während die Weißen an Bord der „Germania“ diesen störenden Zwischenfall noch erregt besprachen, löste sich plötzlich, wie der dicke Falk jetzt durch das Glas bemerkte, von dem Kreuzer ein dunkler Fleck ab, der sehr eilig auf die Insel Ebeje zukam.
Es war eine große Dampfbarkasse von erheblicher Geschwindigkeit. Und die Schlußfolgerung, daß sie auf den Motorkutter, der vom Kreuzer aus doch erspäht sein mußte, Jagd machen sollte, lag nur zu nahe.
Hier gab’s kein langes Überlegen. Den Gedanken, sich mit der Familie Rendler zu vereinen, mußte man aufgeben. Das einzige war hier schleunigste Flucht.
Der dicke Falk meinte, man solle die Papuas auf das Segelboot hinüberbringen und dieses dann seinem Schicksal überlassen. Doch Reiter widersprach. Das nehme viel zu viel Zeit in Anspruch. Hier handele es sich um Minuten. Und dabei wies er auf die Barkasse, die kaum noch viertausend Meter entfernt war.
Jetzt wurde das Segelboot freigegeben, und der Motorkutter jagte nach Norden zu davon, um die Nordspitze von Ebeje zu umfahren und die offene See zu gewinnen.
Die Papuas, die längst gemerkt hatten, daß hier etwas vorging, was den Deutschen nicht gerade günstig war, wurden jetzt plötzlich lebhaft. Die braunen, kräftigen Burschen, die sämtlich etwas deutsch und englisch sprachen, schickten einen Mann zu Reiter, der diesen im Namen aller bitten sollte, die 25 Arbeiter hier auf dem nahen Ebeje auszusetzen.
Reiter, vor dem die braune Bande stets den meisten Respekt gehabt und den sie nur den Boxmaster genannt hatten, weil er ein sehr loses Handgelenk besaß und sehr kräftig zuschlagende Fäuste, erklärte den Papuas, er hätte nichts dagegen, daß sie nachher über Bord sprängen, wenn die „Germania“ den schmalen Kanal zwischen Ebeje und der nördlicheren Insel passierte.
Die farbigen Arbeiter wagten dies dann jedoch nicht, weil in dem Kanal ein paar Haifische bemerkt wurden und die Insulaner vor diesen Meeresbestien eine wahre Heidenangst haben.
Die feindliche Barkasse, mit dem Fahrwasser hier in dem von Korallenriffen nur zu stark übersäten Archipel gar nicht vertraut, mußte die Geschwindigkeit notwendig verringern, um nicht irgendwo aufzulaufen. Dadurch gewann der Motorkutter einen starken Vorsprung, den das Kriegsschiffboot nur schwer wieder wettzumachen vermochte. Trotzdem gab es das Rennen nicht auf, und die Verfolgung zog sich nun durch die zu den Ratak-Inseln gehörige Likiep- und Wotja-Gruppe bis zum Spätnachmittag hin. Dann, als die Barkasse bereits in Schußweite war und ihr vorn postiertes Revolvergeschütz zu feuern begann, gelang es Reiter in einen ihm von früheren Fahrten her bekannten Kanal der Wotja-Inseln einzubiegen, der geradezu mit Korallenriffen gespickt war und wohl einem so flach gehenden Boote wie dem Kutter ein schnelles Hindurchjagen gestattete, nicht aber der weit größeren Barkasse.
Diese ließ jetzt endlich von der weiteren Verfolgung ab, während die „Germania“, um den Feind zu täuschen, erst nach Südost steuerte und dann nach Eintritt der Dunkelheit den richtigen Kurs einschlug.
Man befand sich jetzt in dem Teile des Stillen Ozeans, der, zwischen den Marschall- und den Hawaii-Inseln gelegen, nur etwa in der Mitte ein kleines Felseneiland besitzt, das für ein Aussetzen der lästigen Papuas in Betracht kam. Doch dies war eine spätere Sorge. Weit mehr beunruhigte die Deutschen der Gedanke an die knappen Wasservorräte und den geringen Proviant, über die man verfügte. Jedenfalls mußte man mit beidem äußerst sparsam umgehen, da die Reise bis zu dem Felseneiland allein schon gut sechs Tage dauern mußte.
Das Wetter blieb in den ersten drei Tagen günstig. Die Papuas benahmen sich recht verständig, nachdem man ihnen ein Segel überlassen hatte um sich daraus auf dem Vorderdeck ein Sonnendach herstellen zu können.
Die drei Kanaken, die zu der Rendlerschen Faktorei auf Kwadjelinn gehörten und sich von ihrem jungen Herrn nicht hatten trennen wollen, obwohl sie sehr gut schnell nach dem Segelboot hätten hinüberschwimmen können, als man dieses losmachte, erwiesen sich als goldtreu, halfen nachts mit Wache beziehen und hielten sich von den Papuas ganz fern, die sie als frühere Menschenfresser gründlich verachteten.
In der vierten Nacht nach der Abfahrt von Meck bezog sich der Himmel mit drohendem Gewölk. Eine furchtbare Schwüle lastete über der spiegelglatten See. Kein noch so kleiner Lufthauch regte sich. Die Atmosphäre war mit Elektrizität überladen. An allen vorspringenden Kanten und Ecken des Kutters trat die bekannte Erscheinung des St. Elms-Feuers auf.
Daß ein schweres Unwetter im Anzuge war, unterlag keinem Zweifel. Keiner von den Deutschen legte sich daher schlafen. Reiter rechnete mit einem Taifun. Geriet man in den Machtbereich eines solchen Sturmes hinein, so war der Kutter samt all seinen Insassen verloren.
Die Papuas kümmerten sich nicht um das, was die Natur an Warnungszeichen heute nacht spendete. Die meisten schliefen.
Gegen ein Uhr morgens wurde plötzlich ein fernes, rollendes Donnern vernehmbar. Gleich darauf machte sich auf der Oberfläche der See eine Wellenbewegung bemerkbar, die eine außergewöhnliche Ursache haben mußte. Es war noch immer vollkommen windstill. Und trotzdem kamen Wogen von erheblicher Größe auf den Kutter losgestürmt, der denn auch wild hin und her geworfen wurde.
Der in seemännischen Dingen erfahrenste an Bord war Reiter. Als jetzt abermals dasselbe dumpfe Rollen erklang, als die Dunkelheit immer mehr zunahm und dann gerade in der Fahrtrichtung der „Germania“ drei überaus heftige Knalle wie Donnerschläge ertönten, ohne daß man von einem Blitz bisher etwas wahrgenommen hätte, sagte er zu den Gefährten, die neben dem Steuer auf dem Achterdeck versammelt waren:
„Ich wette, daß es sich um ein Seebeben handelt, das heißt um Veränderungen des Meeresbodens infolge vulkanischer Einflüsse, wodurch eben auch die Wassermassen in Aufruhr versetzt werden, wie wir dies ja an der Wellenbildung sehen können.“
Kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, als wiederum vor dem Kutter ein geradezu ohrbetäubender Knall erfolgte, dem sich ein zischendes Geräusch anschloß, als würden die Dampfventile unzähliger Lokomotiven gleichzeitig geöffnet.
Wenige Sekunden später war der Kutter in einen warmen, dichten Nebel vollkommen eingehüllt. Nicht zwei Schritte weit vermochte man zu sehen.
Hier hatte sich soeben ein besonderer Vorgang eines Seebebens abgespielt: der Meeresboden hatte sich geöffnet, um die unter furchtbarer Spannung in Hohlräumen eingepreßte, feuerflüssige Lava herauszulassen, und dabei waren die Wassermassen mit der glühenden Lava notwendig in Berührung gekommen, hatten sich zum Teil in Dampf verwandelt und wie ein Sprengstoff gewirkt.
Die „Germania“ wurde jetzt wie ein armseliges Stückchen Kork hin und her geschleudert. Es war ein Wunder, daß sie nicht kenterte. Jeder an Bord klammerte sich irgendwo fest. Das Schreckliche dieses Unheils wurde noch dadurch erhöht, daß man sich tatsächlich wie in einem Dampfbade befand, nicht die Hand vor Augen sehen konnte und ringsum aus diesen grauen, warmen Schleiern ununterbrochen ein Getöse wie eine starke Kanonade ringsum ertönte.
Niemand an Bord des Kutters hatte in diesen entsetzlichen Augenblicken auch nur noch den kleinsten Hoffnungsschimmer, diesem Aufruhr der unterirdischen Gewalten heil zu entrinnen. In diesen geradezu lähmenden Lärm mischte sich noch das Angstgeheul der Papuas, die jetzt, wo es ihnen ans Leben ging, die Namen ihrer weißen Herren in allen Tönen brüllten, damit diese sie retten sollten.
Dann erhielt die „Germania“ einen starken Stoß. Gleichzeitig trat eine geradezu unheimliche Stille ein. Das Boot lag jetzt wie festgekeilt auf einer Klippe, den Bug hoch in der Luft, so daß das Deck eine schräge Fläche bildete.
Abermals ein Stoß – gerade als Reiter in der Kajüte die Fesseln Towulus durchschnitt, damit dieser nicht wie eine eingesperrte Ratte ertrinke.
Der Kutter hing jetzt ganz schief nach Steuerbord über, mußte jeden Augenblick umkippen. – Was eigentlich vorging, wußte niemand, da der warme Dampf noch immer in dicken Schwaden alles ringsum verhüllte.
Was sich an Menschen auf dem Boote befand, war auf die niedrige Backbordreling geklettert, die fast senkrecht emporragte.
Nun schien der Kutter ins Gleiten zu kommen; polternde Geräusche wurden vernehmbar. Dann kippte er ganz um.
Erich Rendler sprang nach vorwärts auf gut Glück in das Nichts hinaus, glaubte natürlich, er würde in der See landen, da er annahm, die „Germania“ sei auf ein Riff aufgelaufen.
Weit gefehlt … Seine Füße berührten harten Boden, er fiel vornüber, schlug mit dem Kopfe irgendwo auf und verlor für kurze Zeit das Bewußtsein.
Als er wieder zu sich kam, fühlte er sofort einen erfrischenden Luftzug, der die Dampfmassen allmählich verjagte. – Festzustellen, wo er sich eigentlich befand, vermochte er noch immer nicht. Nur mit den Händen konnte er fühlen, daß er auf feuchtem, schlüpfrigem Gestein saß.
Immer mehr zerteilten sich die grauen Wolken. Ein heller Schimmer wurde links von der Stelle sichtbar, wo der Knabe nach dem verzweifelten Sprung ins Ungewisse gelandet war.
Dieser stetig wachsende Lichtschein konnte nur von der aufsteigenden Sonne herrühren, die mit ihren Strahlen die Dampfwolken siegreich bekämpfte.
Nun erblickte Erich zu seiner Rechten ein paar genau so wie er auf dem Boden sitzende Gestalten.
Es waren die drei bisherigen deutschen Bewohner der Insel Meck. Unweit davon gab es einen stärkeren Haufen menschlicher Leiber – die Papuas und die Kanaken.
Der steinige Boden, auf dem die Schiffbrüchigen einen Halt gefunden hatten, fiel nach vorn steil ab. Ein Wunder mußte es genannt werden, daß man hier nicht ausgeglitten und abgestürzt war.
Schnell wurde es nun heller und heller. Auch der Wind frischte auf. Bald lag die Umgebung klar und deutlich vor den erstaunten Blicken der von all dem Furchtbaren noch immer halb betäubten Männer.
Reiter erhob sich jetzt, schaute sich um. Auch seine weißen Gefährten suchten sich in diese geradezu unfaßbare neue Lage hineinzufinden.
Noch hatte keiner von ihnen ein Wort gesprochen. Kein Laut der Freude, daß sie glücklich mit dem Leben davongekommen waren, drängte sich über ihre Lippen.
„Eine Insel“, sagte Reiter mit seltsam tonloser Stimme, die nach dem Entsetzlichen der letzten Stunden wie gebrochen klang. „Eine neue Insel …! Das Seebeben hat sie geschaffen. Wir stehen auf einem Stück des Meeresbodens, den die vulkanischen Kräfte über die Wasseroberfläche hinausgetrieben haben.“
Ja – es war eine Insel. Und welch’ merkwürdiges Eiland dazu!! Wie eine große, flache Kuppel ragte es aus den Fluten des Ozeans empor, mit einem Grunddurchmesser von gut zweitausend Meter. Wenigstens schätzte Reiter die Größe so. Und damit mochte er ziemlich das Richtige getroffen haben.
In der Mitte, also oben auf dem Scheitelpunkt, war diese Kuppel etwas abgeplattet und bildete einen großen See von vielleicht 500 Meter Durchmesser mit steilen Ufern. Und auf diesem Uferrande hoch oben standen jetzt die vier Deutschen. Unter ihnen lag der Binnensee … Hinter ihnen aber wölbte sich die Insel allmählich zum Meere abwärts. Doch nicht gleichmäßig! – Nein, gerade im Norden ragte ein einzelner, zerklüfteter Bergkegel empor, aus dem sich eine starke Rauchsäule gen Himmel erstreckte und sich in der Höhe zu einem breiten Wolkengebilde anhäufte, das der Ostwind langsam zu immer dünner werdenden Rauschschwaden nach Westen zu zerflattern ließ.
Eine ganze Weile blieben die vier weißen Gefährten stumm. Sie konnten noch immer nicht recht begreifen, daß all dies Wirklichkeit war, – daß sie nicht träumten.
Dann sagte Reiter wieder:
„Wir haben das Seltsamste erlebt, was wohl je einem Sterblichen beschieden sein dürfte. Als die unterirdischen Gewalten diese Insel schufen, als der Meeresboden an dieser Stelle emporgepreßt wurde, befand sich unser Kutter gerade über dem Uferrande dieses Binnensees; wurde mit hochgehoben, um, nachdem er seinem eigentlichen Element auf diese Weise entrissen war, hier das Gleichgewicht zu verlieren und in den See zu stürzen, auf dessen Grund er jetzt ruhen muß.“
Die drei Kanaken hatten sich jetzt den vier Europäern wieder zugesellt, während die Papuas noch immer stumpfsinnig am Boden hockten wie ein Volk verängstigter Hühner. Alle waren sie mit dem Leben davongekommen.
„Was nun?“ fragte der dicke Falk jetzt, der ewig bedachtsame, ängstliche.
„Sehr einfach“, meinte Reiter. „Finden wir Trinkwasser und genügend Genießbares, so werden wir hier vorläufig Robinson spielen müssen, wenn nicht, droht uns ein klägliches Ende. Aber zum Verzagen ist noch kein Grund vorhanden. Kommt, gehen wir zu dem Vulkan hinüber, der da drüben qualmt wie eine Riesenesse. Sehen wir uns dort genauer um. Denn sonst bietet unsere Insel nicht viel Beachtenswertes.“
Der feuerspeiende Kegel war mit der Insel durch eine Brücke von demselben Fels verbunden, der hier überall, zerrissen und zerklüftet und mit einem schleimigen Überzuge bedeckt, zutage trat. Hier und da gab es ganze Büschel merkwürdiger Tiefseepflanzen, die alle eine lederartige, grünbraune Farbe hatten und an ein paar Stellen sogar förmliche Wiesen bildeten.
Die Brücke nach dem etwa vierzig Meter hohen Vulkan war gut 100 Meter breit. Und hier stießen unsere Abenteurer auf das erste augenfällige Zeichen dafür, daß sie auf einem Boden sich befanden, unter dem noch die unheimlichen Kräfte des feuerflüssigen Erdinnern mit seinen seltsamen Nebenerscheinungen an der Arbeit waren.
Zwei stark fließende heiße Quellen kamen aus breiten Gesteinspalten hervor. Das Wasser war beinahe kochend. Die beiden Quellbäche vereinigten sich bald und füllten, bevor sie ins Meer abflossen, eine große Vertiefung, bildeten so einen Teich mit milchigem Wasser, der nie leer wurde, da Zu- und Abfluß gerade die Wage hielten.
Reiter schöpfte etwas von dem Wasser in die hohle Hand, roch daran und kostete es schließlich auch. Es schmeckte leicht bitter, war aber sonst genießbar.
„Wasser zum Trinken hätten wir“, sagte er kurz. „Nur mit den Nahrungsmitteln wird es hier schlecht bestellt sein, fürchte ich.“
Gleich darauf hatten sie den sich unten zu drei breiten Terrassen ausdehnenden Fuß des Vulkanes erreicht. Hier an der Südseite des Kegels war die Luft durch keinerlei Gerüche verunreinigt. Anders verhielt es sich auf der Nordseite. Dort hatte die Kraterwand oben einen gut zehn Meter langen Spalt, aus dem stark nach Schwefel riechende Dünste hervordrangen und längeres Verweilen unmöglich machte. – Nachdem die Gefährten den Vulkan einmal umschritten hatten – in seinen höheren Teilen war er ganz unzugänglich –, besichtigten sie nochmals die südlichen Terrassen, wo sie eine große Menge jenes vulkanischen Produktes fanden, das man Bimsstein nennt.
Erich Rendler war es, der hier außerdem dicht an der Kraterwand auf der obersten Terrasse eine neue Quelle entdeckte. Aus einer lochartigen Spalte drang eine glühend heiße, braunschwarze Masse heraus, die, an dem steilen Felsen hinabrinnend, bald erkaltete und so bereits ganz eigenartige, wulstige Gebilde geschaffen hatte, über immer mehr dieses glühenden, zähen Breis hinwegquoll und sich zu langen Säulen oder großen Klumpen schnell verhärtete. In erkaltetem Zustande schimmerte das Gemenge leicht glänzend, wie dunkles Glas. Es war auch tatsächlich etwas durchsichtig, aber weit weniger spröde als echtes Glas. Reiter hatte vorsichtig eine dünne erkaltete Stange, die einem braunschwarzen Eiszapfen glich, mühsam abgebrochen und näher untersucht.
Dieses vulkanische Produkt, das hier und da in der Nähe feuerspeiender Berge beobachtet worden ist, hat in seiner Zusammensetzung Ähnlichkeit mit dem Kunstglase, und man spricht daher geradezu von Glasquellen der Vulkane, wobei zu bemerken ist, daß es sich dabei nicht etwa um Lava handelt. Diese ist in ihren Bestandteilen gänzlich von jenem Glasgemenge verschieden.
Hatte Erich die Glasquelle gefunden, so war es wieder einer der Kanaken, der auf der untersten Terrasse die weißen Gebieter auf eine Stelle des Felsbodens hinwies, wo aus einem kaum fingerlangen Loche zischend ein scharf riechendes Gas entwich.
„Ob das Zeug wohl brennt?“ meinte Falk und holte eine Schachtel Zündhölzer hervor.
„Laß das bitte“, warnte jedoch Reiter. „Man kann nie wissen, was für Folgen es haben kann.“
Worauf der Dicke seufzend erklärte, es sei auch besser, sich jetzt nach etwas Eßbarem umzusehen. Er habe nämlich bereits einen grimmigen Hunger.
Ein anderer der drei Kanaken erklärte zu Falks großer Freude, daß er in den Spalten und Klüften der Kuppelinsel, die sämtlich noch mit Seewasser gefüllt waren, vorhin einige dort zurückgebliebene Fische bemerkt habe, die sich leicht würden fangen lassen.
Aber Falk hob abwehrend und sich vor Abscheu schüttelnd die Arme.
„Soll ich die Fische vielleicht roh essen …?! Das bringe ich nicht fertig.“
Reiter stand etwas abseits und schaute gedankenvoll nach dem Gasloche.
„Ob wir’s doch wagen?“ meinte er. „Brennmaterial gibt es hier nicht, überhaupt auch nicht ein Stückchen Holz – unsern Kutter ausgenommen! Und der liegt tief unten auf dem Grunde des Binnensees, der nichts anderes darstellt als eine mit Meerwasser gefüllte riesige Schüssel.“
Dann griff er in die Tasche, nahm seine Zündhölzer zur Hand, strich eines davon an und warf es geschickt nach dem Gasloche hin. Mit lautem Knall entzündete sich das Gasgemenge. Eine hohe Flamme schoß empor, die aber sofort wieder in sich zusammensank und dann nur mit bläulichem Licht etwa einviertel Meter hoch in breitem Büschel weiterbrannte.
„Unser Gasherd“, sagte Reiter lachend. Und dieses hoffnungsfrohe Lachen wirkte ordentlich ansteckend.
„Es fehlt also nur noch ein Kochtopf oder eine Bratpfanne“, meinte Erich Rendler. „Herr Reiter – zaubern Sie uns diese doch auch herbei.“
„Soll geschehen. Geht nur inzwischen auf Fischfang aus“, erwiderte der ganz vergnügt. „Erich, Du kannst bei mir bleiben und mir zaubern helfen“, fügte er hinzu.
Die anderen schritten der Kuppelinsel wieder zu. Reiter und der Knabe aber erkletterten die oberste Terrasse, nachdem sie aus den größeren Bimssteinstücken ein paar recht große und bereits halb ausgehöhlte herausgesucht hatten.
Mit der starken Klinge seines großen Taschenmessers bearbeitete Reiter dann den weichen Bimsstein so lange, bis er drei schüsselähnliche Gebilde fertig hatte. Diese tauchte er dann vorsichtig in die glühende Glasmasse, ließ diese sich an der Innen- und Außenseite verteilen und erhielt so, da sie schnell erkaltete, drei mit Glasur versehene Gefäße.
Erich konnte sich gar nicht genug über diesen „genialen Gedanken“ freuen. Später erlebte er aber noch so viele Beweise von Reiters Erfindungsgeist, daß er den breitschultrigen Landsmann bald für einen Menschen ansah, der aus „Steinen Pfirsiche machen könne“, wie er sich ausdrückte.
Als Falk, Menke und die drei braven Kanaken mit einer ganzen Anzahl von Fischen zurückkehrten, hatten Reiter und der Knabe aus Bimssteinstücken über dem Gasloche einen Herd errichtet, und eine halbe Stunde später konnte der stets hungrige Falk sich dann an einem sehr, sehr einfach zubereiteten Fischgericht sättigen, dem er nachsichtig das Prädikat gab: „Hunger ist der beste Koch“. – Es schmeckte eben so, wie in etwas bitterem Wasser ohne alle Zutaten gekochte Fische zu schmecken pflegen …
Nachdem man so die erste Mahlzeit auf der neuen Insel eingenommen hatte, wurde eine Beratung abgehalten, wie man sich zu den Papuas stellen solle.
Reiter erschien es sehr bedenklich, daß Towulu nun wieder mit seinen Landsleuten zusammen war und die beste Gelegenheit hatte, abermals zu wühlen und zu hetzen.
„Wir müssen die Burschen recht streng behandeln, damit sie nicht etwa auf den Gedanken kommen, auch hier aufsässig zu werden“, fügte er hinzu. „Wenn wir auch über drei Revolver mit zusammen achtzehn Schüssen verfügen, so will das doch nicht viel besagen gegenüber einem mehr als doppelt so zahlreichen Gegner. Ja, – besäßen wir Munition die Hülle und Fülle! Das wäre etwas anderes. Aber – wie gesagt, für jeden Revolver sechs Patronen, – da würde ich beinahe vor dem Gebrauch der Schußwaffen warnen.“
Alle waren sich darüber einig, daß diese Papua-Frage für die Entwicklung des Daseinskampfes auf der neuen Insel geradezu von entscheidender Bedeutung war. Nach längerem Überlegen wurden dann die drei Kanaken zu Towulu als dem geistig am höchsten Stehenden der Bande geschickt, damit dieser sich sofort auf den Terrassen am Südfuße des Vulkanes einfinde, wo man vorläufig zu bleiben beschloß.
Inzwischen mußten die Papuas sich aber von den Schrecken der Nacht sehr gründlich erholt haben. Schon als Falk und die anderen auf Fischfang ausgegangen waren, war diesen von den Insulanern zugerufen worden, man solle ihnen nicht alles an Fischen wegnehmen. Sie hätten ebenfalls Hunger. Und jetzt hatte die Bande unter Towulus Führung am Südufer des Sees, wo es eine vereinzelte Gruppe von Felsen gab, ein Lager bezogen und zeigte sich sehr rührig. Die Leute sammelten Tiefseepflanzen ein, Muscheln, Krebstiere und Fische und machten es sich hier mit der leichten Anpassungsfähigkeit der Naturmenschen bequem, so gut es die Umstände erlaubten.
Die drei Kanaken verschwanden jetzt drüben hinter den Felsen des Lagerplatzes der Papuas.
Die Deutschen sollten sie lebend nicht wiedersehen. Eine Stunde verging, noch eine. Die braven Burschen kehrten nicht zurück.
Reiter, den die anderen stillschweigend als Anführer oder besser gesagt als Oberhaupt der neuen Niederlassung anerkannt hatten, glaubte zunächst, die Kanaken hätten vielleicht mit den Papuas gemeinsame Sache gemacht.
Aber Erich redete ihm dies schnell aus. Ein solcher Verdacht beleidige diese treuen Menschen geradezu, die schon sechs Jahre dem Vater mit seltener Ergebenheit gedient hätten.
Da beschloß Reiter sich Klarheit zu verschaffen. Er und der lange Menke gingen nach dem Lager der Leute hinüber und wurden schon von weitem von Towulu mit so offenbar erheuchelten freudigen Zurufen begrüßt, daß man in fünfzig Meter Entfernung vor den Felsen haltmachte und von dem Verräter verlangte, daß die Kanaken sich zeigen sollten.
Dies geschah nicht. Vielmehr zog sich jetzt auch Towulu hinter die Felsen zurück.
Reiter ahnte, was jetzt folgen würde. Schnell riß er Menke mit sich fort, um aus der bedrohlichen Nähe der heimtückischen Bande wegzukommen. Und doch hatte er einen Augenblick zu lange gezögert. Ein Steinhagel der im Schleudern aller möglichen Wurfgeschosse von Jugend an geübten Papuas sauste ihnen nach, und Menke knickte mit einem Schmerzensruf nach der Seite um. Ein mehr als faustgroßes Felsstück hatte seine Kniekehle getroffen.
Der überaus kräftige Reiter bückte sich sofort, faßte den Verletzten um den Leib und trug ihn im Laufschritt davon.
Dieser halbe Erfolg der Steinsalve hatte der braunen Gesellschaft jedoch Mut gemacht Die Hälfte von ihnen stürmte jetzt den beiden Deutschen nach, während die anderen, um den See herumlaufend, ihnen den Rückweg nach dem Vulkane abzuschneiden suchten.
Die Lage war mehr wie ernst für Reiter und Menke. – Zum Glück hatte Erich Rendler von der obersten Terrasse aus die Vorgänge genau beobachtet, und er und der dicke Falk eilten nun sofort den Bedrängten zu Hilfe.
Inzwischen war Reiter, einsehend, daß man sich die Papuas nur mit Hilfe der Revolver vom Leibe halten könne, stehen geblieben, hatte den Verwundeten auf den Boden gesetzt und gegen die anstürmenden Insulaner die Schußwaffe erhoben. Zunächst genügte dies. Die Papuas wichen zurück, begannen aber sofort die beiden Weißen einzukreisen und sie mit Steinen zu bewerfen.
Da knallte aber auch schon Falks Revolver, dessen Schüsse den anderen Trupp verscheuchten, da gleich die erste Kugel einen der farbigen Arbeiter niederstreckte.
Unter diesen Umständen ging auch Reiter gegen den Feind wieder vor, indem er Menke so auf den Rücken nahm, daß dieser seine Waffe ebenfalls gebrauchen konnte.
Dieser Kampf kostete die Papuas drei Schwerverwundete und endete damit, daß die vier Deutschen sich glücklich bis nach den Südterrassen des Vulkanes hin durchschlugen und die Insulaner vorläufig von weiteren Angriffen Abstand nahmen.
Die Verletzung Menkes bestand in einer schmerzhaften Quetschung, die ihn zunächst unfähig machte, sich viel zu bewegen. Nur unter großen Schmerzen konnte er humpelnd ein paar Schritte machen.
Reiter wußte, daß man von den Papuas jetzt nach Eröffnung der Feindseligkeiten kein Erbarmen zu erwarten habe, wenn man ihnen in die Hände geriet. Die achtzehn Schuß der drei Revolver waren auf acht zusammengeschrumpft. Wollte man also der Übermacht nicht unterliegen, so mußte man schleunigst daran denken, eine geeignete Stelle der Terrassen in eine kleine Festung zu verwandeln.
Als geeignet kam nun aber nur der Platz in Frage, wo das Gasgemenge aus dem Boden trat. Gerade über diesem lag auf der obersten Terrasse, sozusagen ein Stockwerk höher, die Austrittsöffnung der feuerflüssigen Glasmasse. Und dahinter erhob sich schließlich die steile, unzugängliche Felswand des feuerspeienden Berges, dessen Rauchentwicklung allerdings immer mehr nachließ.
Diese Stelle war insofern für eine Verteidigung besonders günstig, als zu beiden Seiten je eine tiefe breite Spalte die Terrassen durchschnitt. Errichtete man an den Innenrändern dieser Spalten Mauern aus Felsstücken und Bimsstein, so besaß man bereits ganz leidlichen Schutz gegen einen Überfall, da auch von der untersten Terrasse der Platz nur mit Hilfe von Leitern hätte gestürmt werden können.
Bei der Errichtung der Schutzmauern bediente sich Reiter in sehr glücklicher Weise der Glasquelle, indem es ihm gelang die flüssige Masse als Kitt für die Felsstücke und Bimssteine zu verwenden. Hierdurch erhielten die Mauern eine derartige Festigkeit, daß Menschenkraft nicht ausgereicht hätte, um sie einzustürzen.
Nachdem so im Verlaufe von zwei Stunden die durch die tiefen Spalten sozusagen herausgeschnittenen, etwa acht Meter breiten Terrassenteile genügend verschanzt waren, ließ Reiter sofort an der Rückwand der mittleren Terrasse mit dem Bau einer Hütte beginnen, die aus demselben Materialien auf ähnliche Weise hergestellt wurde. Auch hier erwies sich die vulkanische Glasmasse als äußerst vorteilhaft, da sie es ermöglichte, sogar ein festes, dichtes Dach zusammenzufügen.
Über diesen Arbeiten war die Mittagszeit herangekommen. Abermals gingen nun zwei der Deutschen, jetzt Falk und der Knabe, auf die Suche nach Fischen, die beim Auftauchen der neuen Insel aus dem Meere mit heraus geschöpft waren. Die Papuas belästigen die beiden nicht, zumal diese sich hüteten, sich allzu weit von der natürlichen Brücke, die die Kuppelinsel und den Vulkan verband, zu entfernen.
Die Ausbeute an Fischen war nicht eben groß, genügte aber doch für das Mittagsmahl. Freilich – wo man am Abend die nötige Nahrung hernehmen sollte, war den vier Deutschen noch ein vollständiges Rätsel. Selbst Reiter wußte hier keinen Ausweg. Trübselig saß man vor der Hütte und überlegte hin und her, wie man sich etwas Eßbares beschaffen könne. Die seltsamsten Vorschläge wurden gemacht, bei denen der dicke, stets so schwer satt zu bekommende Falk eigenen Interesse eine sehr rege Phantasie entwickelte. Bei alledem kam nichts wirklich Durchführbares heraus. Handelte es sich doch stets um Versuche, die Bewohner des Meeres, Fische, Schildkröten, eßbare Muscheln und Krebstiere, als Nahrungsmittel in größerer Menge zu gewinnen.
Während man noch beisammensaß und Menke im Stillen recht gab, der soeben erklärt hatte, daß man sich unter diesen Umständen, wo ihnen der Hungertod gewiß schien, die Arbeit der Befestigung des Lagerplatzes hätte sparen können, blickte Erich Rendler unverwandt auf das leicht bewegte Wasser des Meeres hinab, das den schroffen Abfall der untersten Terrasse zur Hälfte bespülte und hier infolge der Umgestaltung eine kleine, schmale Bucht bildete.
Der Wind, der bisher von Nordwest gekommen war, hatte sich in den letzten Stunden vollständig gedreht und traf jetzt mit kleinen, rauschenden Wogen von Südost her das Gestade des Vulkanberges.
Plötzlich sprang der Knabe auf die Füße, trat dicht an den Rand der Terrasse heran und deutete mit der Hand auf das Meer hinab.
„Da – da – sehen Sie, Herr Reiter, – wie seltsam – wie seltsam …!“ rief er. „Das Wasser ist ja förmlich mit weißlichen Fischleibern bedeckt, – alles tote Fische, – nein, doch nicht alle tot, ein Teil davon lebt, ist aber offenbar vollständig matt. Und – wahrhaftig – zwei – drei große Haifische bemerke ich auch …“
Alle fuhren wie elektrisiert hoch, selbst der verwundete Menke, der um das gequetschte Knie einen feuchten Verband trug.
Und der dicke Falk rief ganz begeistert:
„Junge, Du hast recht … Das sind Hunderte von Fischen aller Art … Wenn sie nur noch genießbar wären!! Und – welche Ursache mag nur diese merkwürdige Erscheinung haben?!“
Reiter, der drüben in Deutschland ein paar Semester Chemie und Physik studiert hatte, bevor ihn die Abenteuerlust in die Kolonien trieb, hatte schon eine Erklärung bereit.
„Die Sache ist recht einfach“, meinte er. „Die Fische sind bei dem Seebeben der verflossenen Nacht, dem auch diese Insel ihre Entstehung verdankt, infolge der starken Erhitzung des Wassers an einzelnen Stellen eingegangen oder doch so schwer beschädigt worden, daß sie matt an der Oberfläche treiben. Der Nordwest hat sie zuerst von der Insel fortgetragen, und jetzt bringt sie uns der Südost zurück. – Vorwärts, Erich, – wir beide sind die besten Schwimmer! Sehen wir zu, daß wir möglichst viele der matten Fische einsammeln. Als Behälter nehmen wir unsere Netzhemden. – Also herunter damit!“
Der Abstieg nach der untersten Terrasse und von da ins Wasser war bei der Höhe und Steilheit der Wände gar nicht so einfach. – Eine Stunde später befanden sich unsere vier Robinsons im Besitz von drei mächtigen Haifischen, die nur noch schwache Lebenszeichen von sich gaben, und gut dreihundert Fischen.
Der dicke Falk, der ewig bedenkliche, meinte jetzt, dieser Fang sei ja als hochwillkommen zu begrüßen, nur erscheine es doch recht fraglich, ob sich die Fische lange frisch halten würden.
„Ich wette, bis morgen sind sie sämtlich abgestorben, und dann dürften sie schnell Gerüche verbreiten, die nicht gerade angenehm sind“, fügte er hinzu.
Da klopfte ihn Reiter beruhigend auf die Schulter.
„Dicker – wir müssen eben zusehen, daß wir die ganze Beute schleunigst so stark dörren und räuchern, daß sie vor dem Verderben geschützt ist. – Schau’ mich nicht so verwundert an, alter Freund. Ich lese Dir vom Gesicht ab, daß Du Dir den Kopf darüber zerbrichst, wo ich wohl das nötige Feuerungsmaterial für den Räucherofen hernehmen will, den ich sofort zu bauen gedenke. – Bitte – da unten auf der Verbindungsbrücke nach der Kuppelinsel hin liegen große Mengen von Algen. Davon sammelst Du jetzt gleich mit Erichs Hilfe so viel Ihr nur bekommen könnt. Die meisten Algenarten enthalten nämlich etwas Jod und werden daher von den Matrosen vielfach ausgekocht. Den Abguß trinkt man als Heilmittel gegen allerlei Beschwerden. Auch zum Räuchern eignen sich Meeresalgen, wenn sie auch dem Fleische einen etwas strengen Geschmack verleihen.“
Menke wurde nun dazu angestellt, die Fische zu reinigen. Inzwischen baute Reiter abseits der Wohnhütte den Raucherofen. Sogar die drei Haifische mußten daran glauben und ihr tranig schmeckendes Fleisch als Proviant hergeben. Eine dieser Meeresbestien, die gut drei Meter lang war, hatte in ihrem Magen eine ganze Sammlung von unverdauten Sachen aufgespeichert: ein Stück Schiffsleine mit einem eisernen, starken Angelhaken daran, ein Ende Holz, offenbar von einem Boote stammend, mit drei langen Schrauben darin, eine verkorkte, leere Bierflasche und andere Kleinigkeiten.
Für die Bewohner der Terrassen waren diese näher bezeichneten Dinge von größtem Wert, besonders der eiserne Haken und die Schrauben, aus denen Reiter später nützliche Werkzeuge herzustellen beschloß. Aber auch die drei Haifische lieferten nicht lediglich Räucherfisch. Nein – sämtliche Teile der Skelette konnten die Deutschen auf diesem völlig holzarmen Eiland mehr als gut gebrauchen, da das starke Knochengerüst sich zu mancherlei Zwecken verwenden ließ, nicht minder aber auch die zähe Haut und der Tran.
Bis zum Abend herrschte so auf den Terrassen eine rege Tätigkeit. Aller Kleinmut war von den vier Gefährten genommen.
Die Nacht über wurde dann abwechselnd gewacht. Nur der kranke Menke war hiervon befreit. Die Lagerstätten wurden aus getrockneten Algen hergestellt, außerdem auch aus den Tiefseepflanzen, die auf dieser merkwürdigen Insel zu finden waren und die in kurzem, ihrem eigentlichen Element jetzt entrissen, ohnehin absterben und verdorren mußten.
Es wurde eine helle, sternenklare, wunderbar milde Tropennacht. Während Erich Rendlers Wache kamen von der Kuppelinsel über die Landbrücke ein paar Papuas geschlichen, die offenbar als Späher ausgeschickt waren. Aber ein paar Würfe mit den bereitgelegten Steinen genügten, um die deutlich zu erkennenden Insulaner zu vertreiben.
Acht Tage waren vergangen.
Die Papuas drüben zwischen den Felsen hatten sich ganz friedlich bisher verhalten, nachdem ihr erster Angriff für sie so verlustreich fehlgeschlagen war. Zwischen ihnen und ihren früheren weißen Herren war sozusagen ein stillschweigendes Übereinkommen dahin getroffen, daß diese den Vulkan und die Landbrücke zur alleinigen Verfügung hatten, während sie selbst auf der Kuppelinsel frei schalten und walten konnten.
Womit die Papuas ihr Leben fristeten und wo sie Trinkwasser herbekamen, war unseren vier deutschen Freunden zunächst ein Rätsel. Oft sah man die braunen Gesellen in ihren schmutzig weißen oder grellbunten Leinenanzügen sich auf der Insel hin und her bewegen und Algen und Tiefseepflanzen sammeln. Was sie sonst auf der Südseite des Eilandes trieben, die von den Terrassen aus nicht zu überblicken war, blieb den Gefährten verborgen.
Daß es dort aber eine Quelle süßen Wassers geben mußte, war sicher, ebenso, daß die Papuas Mittel und Wege gefunden haben mußten, vom Strande aus den Fischfang auszuüben. Ohne Wasser und Lebensmittel hätten sie es ja auf dem von den Sonnenstrahlen durchglühten Felsboden keine drei Tage, geschweige denn eine volle Woche ausgehalten.
Erich Rendler hatte nun schon längst heimlich den Entschluß gefaßt, eines Nachts nach dem Lager der Insulaner hinüberzuschleichen, um sich dieses aus nächster Nähe anzusehen. Erst gedachte er diesen nicht ganz ungefährlichen Ausflug während seiner Wache zu unternehmen. Dann aber sagte er sich, daß er seinen Posten auf keinen Fall verlassen dürfe. Inzwischen hatte er mit dem dicken, gemütlichen Falk besonders innige Freundschaft geschlossen, und ihn überredete er nun, ihm einmal während dessen Wache zu gestatten, die Kuppelinsel zu besuchen.
Falk hatte hiervon durchaus nichts wissen wollen, ließ sich aber endlich doch davon überzeugen, daß dem Knaben nichts zustoßen könne, wenn dieser nur vorsichtig war.
Erich wählte für seinen Kundschaftergang eine wolkige Nacht. Als Reiter und Menke eingeschlafen waren, verließ er geräuschlos die Hütte, verständigte Falk von seinem Vorhaben und kletterte auf die unterste Terrasse und von da auf ebenen Boden hinab, während gerade schwarzes Gewölk Mond- und Sternenlicht absperrte.
Lautlos und oft haltmachend, um zu lauschen, kroch er über die Verbindungsbrücke nach der Hauptinsel hinüber, wo er dann am Strande seinen Weg nach Süden zu fortsetzte. Wohlbehalten gelangte er bis an das Südufer und begann nun auf allen Vieren die allmählich ansteigende Höhe zu erklimmen, wobei er sich etwas seitwärts von der gegen den Nachthimmel sich deutlich abzeichnenden Felsengruppe hielt.
Zwischen den Felsen da oben glühte, wie schon an so manchem Abend vorher, der Schein eines kleinen Feuers. Der Wind trieb den Rauchgeruch gerade auf den Knaben zu und dieser konnte so feststellen, daß die Papuas getrocknete Meerespflanzen als Brennmaterial benutzten.
Tief an den Boden gedrückt, der mit seiner unregelmäßigen Oberfläche genügend Deckung bot und der überall mit einem seltsamen, von der Sonne zu einem festen Belag zusammengetrockneten Teppich von verfaulten Pflanzenresten bedeckt war, die früher eine schlüpfrige, schleimige Masse gebildet hatten, kam er den Felsen näher und näher. Bald hörte er auch Stimmen. Jetzt wurde er noch vorsichtiger. Und dann gestattete ihm ein Zwischenraum zwischen den Geröllmassen einen Einblick in das Lager der Papuas.
Die Felsen umschlossen eine ovale, freie Stelle, und hier hatten die Insulaner es sich auf ihre Weise ganz behaglich gemacht. Aus Steinen erbaute, bienenkorbähnliche Hütten, drei an der Zahl, waren mit großen Stücken des verfilzten Pflanzenteppichs bedeckt. Um das Feuer lagen vierzehn Papuas herum. Als Unterlage diente ihnen dieselbe verfilzte Masse, die sie auch für die Dächer ihrer Wohnungen benutzt hatten.
Die Insulaner unterhielten sich schnatternd und schienen recht guter Dinge zu sein. – Erich nahm an, daß die übrigen Papuas sich wahrscheinlich bereits in die Hütten zum Schlafen zurückgezogen hätten. Deshalb umkreiste er jetzt schon weniger achtsam die Felsgruppe, um nach der Quelle zu suchen, die hier in der Nähe vorhanden sein mußte. Und er fand sie auch auf der gegenüberliegenden Seite, wo sie dicht am Fuße eines gewaltigen Steinblockes aus dem Boden hervortrat und ihr Wasser in Gestalt eines winzigen Bächleins zum Meere hinabschickte.
Das Gewölk lichtete sich gerade in dem Augenblick, als der waghalsige Junge sich über die Quelle beugte, um mit der Hand etwas von dem Inhalt zu kosten. Da prallte er plötzlich förmlich zurück. Ein paar Schritte seitwärts hatte er nämlich jetzt einen Haufen von Knochen bemerkt, zwischen dem vier dunklere, runde Kugeln lagen. Und diese Kugeln waren … Menschenköpfe, die wahrscheinlich am Feuer gedörrt worden waren, damit sie nicht verwesten.
Erick packte bei diesem Anblick ein so furchtbares Entsetzen, daß er nur mit Mühe einen lauten Schreckensruf zu unterdrücken vermochte.
Trotz der entstellten Gesichtszüge hatte er in dem einen Kopf doch den des einen der drei Kanaken erkannt …
Also so hatten diese braven Burschen geendet! Die Papuas hatten sie wirklich ermordet, was von den Deutschen allerdings längst befürchtet worden war … – Dann tauchte in dem Knaben ein neuer, noch schrecklicherer Gedanke auf. Die dort liegenden Gebeine ließen den Verdacht als nur allzu begründet erscheinen, daß die Papuas, deren Vorfahren sicherlich noch der Menschenfresserei wie die meisten unzivilisierten Ureinwohner Neu-Guineas und der nordöstlichen Inseln gehuldigt hatten, in diesen barbarischen Brauch infolge Mangels an anderen Lebensmitteln zurückverfallen waren.
Dem Knaben sträubten sich förmlich die Haare bei diesem Gedanken. Schnell kroch er weiter nach dem Rande des großen Kessels hin, der, in der Mitte der Kuppelinsel gelegen und mit Meereswasser gefüllt, hier den Binnensee bildete.
Inzwischen hatten neue Wolken sich wieder vor die nächtlichen Himmelsleuchten geschoben. So nur konnte es geschehen, daß Erich in der Dunkelheit und in dem Bestreben, recht schnell diesen Ort des Schreckens zu verlassen, beinahe drei Papuas in die Arme gelaufen wäre, die unten am Ufer des Binnensees auf dem Boden hockten und irgend etwas mit gespannter Aufmerksamkeit beobachteten, was in der Tiefe dieser Wasseransammlung vor sich ging.
Noch im letzten Moment konnte der Knabe sich lang auf den Boden niederwerfen. Und drei Schritte etwa trennten ihn nur noch von dem nächsten Papua, der zum Glück das Geräusch überhörte, das Erich hervorrief, als er sich so hastig hinlegte. Ein anderer der Insulaner hatte nämlich sehr erregt ein paar Worte hervorgestoßen und dabei mit dem Arm nach dem See hingedeutet. Dieser Ausruf des braunen Gesellen allein rettete den Knaben vor dem Erwischtwerden.
Nach einer Weile wagte Erich den Kopf zu heben. Die Papuas achteten nicht im geringsten darauf, was neben und hinter ihnen vorging. Ihre Augen waren wie gebannt auf ein seltsames, schwaches Licht gerichtet, das unter der Wasseroberfläche des Binnensees schimmerte. Auch der Knabe nahm es nun wahr, sah, daß dieses weißliche Leuchten sich hin und her bewegte, erlosch, wieder erschien, bald stärker, bald schwächer wurde.
Jedenfalls machte diese Lichterscheinung einen so unheimlichen Eindruck, daß es Erich wie ein eisiger Schauer über den Rücken kroch.
Dann hörte er wieder einen lauten Ausruf eines der Papuas Als er hinblickte, sah er trotz der Dunkelheit, daß der kräftige Bursche sich erhoben hatte und bis dicht an den Rand des Sees herangetreten war.
Das unheimliche Licht war jetzt verschwunden. Dann ereignete sich mit einem Male etwas, wofür Erich keinerlei Erklärung fand.
Plötzlich stieß der Papua unten am Wasser einen gel[lenden Schrei aus. Er fuchtelte mit den Armen wie wild][2] umher und schien sich mit aller Kraft gegen irgend eine unsichtbare, unwiderstehliche Gewalt zu wehren, die ihn langsam in das Wasser hineinzerrte – immer tiefer, bis er mit einem neuen schrillen Schrei in der Tiefe verschwand.
Die beiden anderen Papuas waren vor Entsetzen erstarrt gewesen. Jetzt rafften sie sich auf und stürmten davon dem Lagerplatz ihrer Stammesgenossen zu. Der Knabe aber, diese gute Gelegenheit benutzend, lief wie gehetzt nach dem Vulkanberge. Nur einen einzigen Blick warf er noch auf den stillen, ruhigen See … Und da sah er wieder unten im Wasser das weiße, unheimliche Leuchten … –
Ganz verstört traf er auf den Terrassen ein. Hier hatte Falk, als er die Schreie von der Kuppelinsel her vernahm, die der auf so seltsame Art umgekommene Papua ausgestoßen hatte, sofort Reiter und Menke in der Annahme geweckt, daß Erich etwas zugestoßen sein müsse.
Gerade als diese beiden nach der Insel hatten aufbrechen wollen, um den tollkühnen jungen Gefährten nötigenfalls mit Gewalt zu befreien, langte Erich vor der Wohnhütte an. Er war so außer Atem, daß er sich erst erholen mußte, bevor er seine Erlebnisse berichten konnte.
Reiter stieß grimmige Drohungen gegen die Papuas aus, als er hörte, daß diese sowohl die drei Kanaken als auch offenbar einen ihrer eigenen Stammesgenossen, wahrscheinlich einen der bei dem ersten Kampf verwundeten, zu ekler Mahlzeit benutzt hatten. – Für den rätselhaften Tod des einen Papua am Seeufer vermochte er jedoch ebensowenig eine Erklärung zu finden wie für das seltsame, hin und her eilende Licht im Wasser. Er meinte nur, dieses Leuchten könne vielleicht von einem Tiefseefisch herrühren, die ja zum Teil mit besonderen Leuchtorganen ausgestattet wären, obwohl es kaum denkbar sei, daß gerade eines dieser merkwürdigen Geschöpfe in dem Binnensee bei dem vulkanischen Emporsteigen des Meeresbodens lebend zurückgeblieben sein sollte.
Jedenfalls verbot er dem Knaben aufs strengste, nochmals einen so tollkühnen Kundschaftergang zu unternehmen, und Erich gelobte auch, nie wieder seinem Hange nach Abenteuern nachgeben zu wollen. Hatte er doch wirklich selbst genug zu tun, um die Schrecken dieser Nacht zu verwinden.
Während die vier Deutschen noch auf der mittleren Terrasse standen und diese Ereignisse lebhaft besprachen, hörten sie von der Kuppelinsel abermals einen gellenden Schrei herüberschallen. Es war ein Schrei, der allen durch Mark und Bein ging, und Menke sagte daraufhin ernst:
„Ein solcher Ton entringt sich einer menschlichen Kehle nur in höchster Todesnot. Ich wette, daß es dort drüben wieder einen Papua weniger gibt …“
Am nächsten Morgen erschienen dann zwei Papuas auf der Landbrücke und riefen ihren früheren Herren zu, daß sie gern mit diesen weiter in Frieden leben möchten und daß alle anderen wie auch sie selbst bereit wären, den Tuwans (weißen Herren) den Rädelsführer Towulu auszuliefern.
Nachher, als Reiter die beiden Unterhändler näher ausfragte, stellte sich heraus, daß die braune Bande durch den geheimnisvollen Tod von zweien ihrer Genossen, die durch einen „bösen Geist“ in den See hinabgezerrt worden waren, derart sich hatte einschüchtern lassen, daß sie sich wieder unter den Schutz ihrer weißen Tuwans stellen wollte.
Reiter jagte die Burschen schließlich unter Drohungen davon. Sehr niedergeschlagen kehrten die Papuas nach ihrem Lager zurück.
Gleich darauf brachen Reiter und Erich zu einem längst geplanten Unternehmen auf, das nichts anderes bezweckte, als irgendwo an den Steilwänden des Vulkanes eine Stelle zu suchen, wo man auf dessen Gipfel gelangen könne.
Die Rauchentwicklung oben aus der Krateröffnung hatte nämlich schon seit Tagen vollkommen aufgehört, ebenso wie auch die Schwefeldünste auf der Nordseite des Berges nicht mehr zu spüren waren. Hierdurch hatte Reiter die Überzeugung erlangt, daß der Vulkan bereits erloschen und es ziemlich ungefährlich sei, den Krater genauer zu untersuchen.
Nach einer überaus mühseligen und gefahrvollen Kletterpartie vermochten die beiden Deutschen tatsächlich den Gipfel des Vulkanes zu erreichen. Während dieses Aufstieges hatten sie eine recht eigenartige Entdeckung gemacht. Es war ihnen gelungen, an der Ostseite des Vulkanes nicht allzu weit von ihrem befestigten Lagerplatz die steilen Abhänge zu bezwingen. In halber Höhe des Berges hatten sie eine Spalte entdeckt, die die Seitenwände des Bergmassivs in schräger Richtung nach unten hin durchbrach. Diese Spalte war infolge zahlreicher Risse und Vorsprünge im Gestein ganz bequem zu betreten, und Reiter hatte es denn auch gewagt, in den dunklen Schlund hinabzusteigen, gefolgt von Erich Rendler, der durch nichts zurückzuhalten war, auch diese Kletterpartie mitzumachen.
Je tiefer die beiden kamen, desto finsterer wurde es in dieser länglichen Felskluft. Dann bemerkte Reiter unter sich einen Lichtschimmer und nahm gleichzeitig wahr, daß die Spalte sich hier nach Süden zu höhlenartig erweiterte. Gleich darauf standen die beiden kühnen Bergsteiger in dieser auffallend warmen Höhle und sahen nun, daß der Lichtschimmer von außen durch ein paar schmale Ritzen im Gestein hereindrang und daß diese Ritzen dicht neben dem Austritt der glühenden Glasquelle lagen, so daß man jetzt draußen auf der mittleren Terrasse auch den dicken Falk bemerken konnte, der gerade an einem geräucherten Stück Haifisch kaute.
Plötzlich ließ Falk, wie Reiter und Erich beobachteten, beide Arme schlaff herabsinken und rief dann Menke ein paar Worte zu. Und nun sah der Knabe gleichfalls draußen in See das schlanke Kriegsschiff mit den drei schrägstehenden Schornsteinen, das sich der Insel näherte. – –
Zehn Minuten später befanden sich die vier Deutschen vereint in der Höhle und warteten bang klopfenden Herzens ab, ob die Besatzung des englischen Kreuzers, der jetzt ein Boot an Land schickte, sie in ihrem Versteck aufstöbern würde.
Der Kreuzer hatte offenbar große Eile. Eine Stunde lang suchten seine Matrosen nach den vier Flüchtlingen – ohne Erfolg. Dann fuhr das Boot, das die Papuas mitnahm, nach dem Kriegsschiffe zurück, und dieses dampfte gleich darauf nach Süden zu davon. – –
Wir müssen hier unsere Robinsons verlassen. Sie gelangten nach mehreren Monaten dank der Findigkeit ihres Anführers glücklich in einen neutralen Hafen.
Was sie weiter noch auf der Kuppelinsel erlebten, soll im nächsten Bande geschildert werden.
Ende.
Das nächste Heft enthält:
Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.
Anmerkungen: