Erlebnisse einsamer Menschen
(Nachdruck, auch im Auszuge, verboten. – Alle Rechte vorbehalten. – Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 14. 1916.)
W. Belka.
Am 6. September 1914 vormittags lief in die Bai von Cadiz ein gedeckter Kutter mit zwei Masten unter spanischer Flagge ein. Dicht hinter dem etwa neun Meter langen Segelboote hielt sich ein kleiner englischer Handelsdampfer, der am Bug den Namen „King Stephen“ führte. Später hat dieser „King Stephen“ eine traurige Berühmtheit als englisches Wachtschiff dadurch erlangt, daß er die Besatzung eines deutschen U-Bootes erbarmungslos ertrinken ließ, wofür allerdings die gerechte Strafe nicht ausblieb: bei einem Vorstoß leichter deutscher Seestreitkräfte gegen die Küste Englands wurde der Dampfer versenkt, die Besatzung gefangengenommen und nicht gerade glimpflich behandelt, ganz wie sie es verdient hatte.
Cadiz, auf einer langgestreckten Halbinsel der Westküste Spaniens gelegen, ist der bestbefestigte Seehafen des spanischen Königreiches, auch ein idealer Ankerplatz für Handelsfahrzeuge. Jetzt bot er, obwohl Spanien neutral war, ein durchaus kriegerisches Bild dar. Patrouillenboote bewachten die Einfahrt in die sich nach Süden tief ins Land hinein erstreckende Bai; überall sah man mehr spanisches Militär als sonst; an den Hafenforts wurde eifrig gearbeitet; neue Stationen für drahtlose Telegraphie waren hier und da errichtet. Spanien rüstete eben für alle Möglichkeiten, die sich aus dem Weltkrieg ergeben konnten.
Eines der Patrouillenboote hielt den Kutter an. Dessen Papiere mußten aber wohl in Ordnung sein. Er durfte sehr bald die Fahrt fortsetzen und verschwand nach der Westseite der Bai hin, wo das Städtchen Puerto Real sich mit seinen hellen Gebäuden dicht am Strande in die grüne Landschaft einschmiegt.
Inzwischen hatte das Patrouillenboot den „King Stephen“ sich aufs Korn genommen. Dessen Besatzung machte ganz den Eindruck, als ob es sämtlich verkappte Kriegsschiffmatrosen seien. Der Kapitän, noch sehr jung, trat dem Führer des spanischen Bootes, einem Seeoffizier, gegenüber in höchst anmaßender Weise auf. So hätte ein Handelsdampferkapitän nie gesprochen.
„Ich verlange“, hatte der Engländer kurz erklärt, „daß der Motorkutter dort – denn es ist ein Motorboot, wenn es auch jetzt Segel führt – hier zurückgehalten wird. Die Besatzung besteht aus vier Deutschen und einem Neger, die aus Französisch-Senegambien geflohen sind und den Motorkutter gestohlen haben. Erst in Las Palmas haben die Leute sich von den spanischen Behörden durch Bestechung Schiffspapiere besorgt. Ihr Fahrzeug „Esperanza“ („Hoffnung“) führt zu Unrecht die spanische Flagge.“
Der Spanier zuckte die Achseln.
„Bedaure. Die Papiere sind tadellos in Ordnung. Ich habe keinen Grund zum Einschreiten. – Anders steht es mit Ihrem Dampfer dagegen. Wir haben von den Kanarischen Inseln drahtlose Meldung erhalten, daß der „King Stephen“ sehr wahrscheinlich ein verkappter englischer Hilfskreuzer ist, der sich bisher nur zu dem Zwecke an der Nordwestküste Afrikas aufgehalten hat, um militärpflichtige Deutsche aufzugreifen. Er soll auch zwei Geschütze an Bord haben. Ich bin daher gezwungen, mich zunächst von der friedlichen Bestimmung Ihres Dampfers zu überzeugen und werde ihn durchsuchen.“
Der Engländer brauste auf, drohte mit einer Beschwerde bei seiner Admiralität, fluchte … und mußte doch dulden, daß die Spanier ihm sehr eingehend auf den Zahn fühlten.
Es kamen denn auch tatsächlich außer einer Anzahl Handfeuerwaffen nebst Munition zwei sorgfältig versteckte Schnellfeuergeschütze zum Vorschein.
Die Spanier triumphierten. Es gibt wenig spanische Seeleute, die die Engländer lieben. Alle denken sie stets an den englischen Dorn im spanischen Leibe, – an die geraubte Felsenfeste Gibraltar, die die Briten im Besitz haben und freiwillig nie herausgeben wollen.
„24 Stunden darf der „King Stephen“ in der Bai ankern“, entschied der Spanier. „Er ist als Kriegsfahrzeug anzusehen. Oder aber, Sie liefern sämtliche Waffen aus.“
Der Engländer tobte förmlich. Der andere lächelte, blieb höflich und … kühl.
„Die „Esperanza“ führt Gold an Bord, das französisches Eigentum ist“, schrie der Brite wieder. „Im Namen unseres Verbündeten fordere ich die Auslieferung des Goldes. Im übrigen werde ich mich über Ihr Verhalten bei dem Kommandanten von Cadiz beschweren.“
„Bitte. – Hinsichtlich des Goldes befinden Sie sich aber in einem großen Irrtum, ebenso auch hinsichtlich der deutschen Besatzung der „Esperanza“. Wir sind über alles sehr gut unterrichtet. Die vier Herren und der Neger sind aus dem Wambari-Lande entkommen, nicht aber aus französischer Gefangenschaft. Ebenso ist das Gold ihr rechtmäßiges Eigentum. Geben Sie sich also weiter keinerlei Mühe, unsere Behörden gegen diese Leute aufzubringen.“
„Warten wir ab!“ erklärte der Engländer hochmütig. „Ich werde dann also nur 24 Stunden hier ankern. Ich bedanke mich für die spanische Gastfreundschaft! Vielleicht findet sich noch eine Gelegenheit, Ihrem Lande zu beweisen, was es heißt, Britannien nicht zu respektieren!“
Diese Gelegenheit kam dann auch wirklich im Frühjahr 1917, wo durch englisches Geld in Spanien eine Revolution gegen die bestehende, neutrale Regierung angezettelt wurde – freilich ohne Erfolg! Das Königshaus sollte gestürzt, Spanien auf Seiten der Entente mit in den Kampf hineingezogen werden. England zeigte einmal wieder sein wahres Gesicht: treulos, falsch – als Hetzer!! – –
Der Motorkutter „Esperanza“ lag an der kleinen Mole von Puerto Real vertäut. Im Schutze eines über das Verdeck ausgespannten Sonnensegels saßen auf der vertieften Steuerbank drei Männer, alle tief gebräunt von der Seeluft, alle drei gleich heiter und guter Dinge.
„War eigentlich eine famose Sache, diese Hetzjagd über ein Stückchen des Atlantiks“, meinte Friedrich Pinnow, ein früherer Matrose, der volle zehn Jahre ein abenteuerliches Leben als Oberpriester unter dem schwarzen Wambari-Volke geführt hatte. „Der „King Stephen“ blieb uns stets dicht auf den Fersen. Aber eingeholt hat er uns doch nicht. Ein Wunder, daß die englische Brut nicht Gebrauch von ihren Geschützen gemacht hat. Das wagten sie gegenüber der spanischen Flagge unseres Schiffleins denn doch nicht.“
Fritz Meyer, ein aus Senegambien kurz nach Kriegsausbruch entflohener junger Kaufmann, hatte mit einem Fernglase bisher die Bewegungen eines Frachtdampfers verfolgt, der langsam an den Ufern der Bai entlangfuhr. Als sei er unschlüssig, wo er Anker werfen wolle.
„Wahrhaftig, – dacht’ ich’s mir doch!“ rief er jetzt. „Es ist unser alter Freund, der Engländer! Und ich wette, er sucht uns.“
Der dritte Deutsche, ein Landmesser namens Hagen, der viele Jahre bei den Wambari gefangen gehalten und dann durch Pinnows Hilfe mit diesem und einer Anzahl anderer Landsleute auf dem Kutter geflohen war, lachte spöttisch auf.
„„King Stephen“ kann es nicht vergessen, daß wir für ein paar Millionen Gold an Bord haben“, meinte er. „Aber er wird sich wohl den Appetit darauf vergehen lassen müssen. Es ist ja Pinnows ehrlich erworbenes Eigentum, das nun unserem deutschen Vaterlande zukommen soll.“
„Allerdings!“ bestätigte der ehemalige Fetisch-Priester der Wambari ernst. „Zum Kriegführen gehört Geld, besonders Gold! Und wir fünf haben feierlich geschworen, alles daranzusetzen, unseren Schatz auch wohlbehalten nach der deutschen Heimat zu bringen. Auf dem Landwege ist dies von hier aus nicht möglich! Wir werden uns also wieder, wie ja schon vereinbart, dem Meere anvertrauen. Bis nach einer italienischen Hafenstadt müssen wir uns durchschlagen. Dann liegt das Schlimmste hinter uns.“
Der junge Kaufmann hatte sich plötzlich aufgerichtet und das Fernglas wieder an die Augen genommen.
„Wahrhaftig!“ meldete er ganz aufgeregt, „der Engländer hält auf uns zu. – Da, jetzt wirft er Anker – gerade an einer Stelle, von wo aus er uns im Auge behalten kann.“
Auch Pinnow und Hagen standen auf und schauten nach dem keine achthundert Meter entfernten Frachtdampfer hinüber, den das spanische Patrouillenboot vorhin als verkappten Hilfskreuzer entlarvt hatte.
Pinnow stieß jetzt eine laute Verwünschung aus.
„Diese Nachbarschaft gefällt mir nicht, – hol’s der Kuckuck“, sagte er ingrimmig. „Ich wünschte, Klaus Jürgensen und Gambri wären erst wieder da. Jürgensen als Kapitän ist in allen Dingen, die mit dem Meere zusammenhängen, doch der erfahrenste von uns.“
Der Kapitän und der schlanke Neger Gambri, ein Fanti von der Goldküste, der mit Fritz Meyer zusammen damals aus Senegambien entflohen war, erschienen jedoch erst zwei Stunden später, als ihre drei Gefährten längst ihre Mittagsmahlzeit an Bord der „Esperanza“ eingenommen hatten.
Klaus Jürgensen, ein untersetzter Mann in den besten Jahren, kniff ärgerlich die Lippen zusammen, als man ihn auf den „King Stephen“ aufmerksam machte. Während er dann unter dem Sonnensegel das versäumte Essen nachholte, sagte er in seiner bedächtigen Art:
„Die englische Bulldogge da drüben will uns offenbar noch immer beißen …! Wir müssen jedenfalls sehr auf unserer Hut sein, besonders nach Dunkelwerden. In diesem stillen Winkel der Bai läßt sich ein Gewaltstreich recht bequem inszenieren. Werde mir noch überlegen, wie wir uns vor jeder Hinterlist schützen können. – Im übrigen ist mein Gang nach Puerto Real hinein sehr zu meiner Zufriedenheit verlaufen. Ich habe Proviant, Benzin und alles andere eingekauft, was wir brauchen, um uns ins Mittelländische Meer hineinwagen zu können. Außerdem habe ich aber noch etwas käuflich erworben – hm, ja …“ Er lächelte in seinen blonden Vollbart hinein. „Ratet mal, was es ist, Kinder …! – Doch nein – Ihr könnt bis zum Jüngsten Tage Euch Eure deutschen ehrlichen Dickschädel zerbrechen und kommt doch nicht auf das Richtige! Niemals! – Ne, Kinder, fragt nicht! Es hat keinen Zweck. Ich sage nichts. Es soll eine Überraschung werden …“ – –
Die Schatten der Abenddämmerung sanken über die Bai von Cadiz herab. Längst waren an Bord des Kutters alle die Dinge verstaut worden, die Jürgensen am Vormittage besorgt hatte, darunter auch ein großer Ballen Leinwand. Wenigstens sah der mächtige Packen von außen genau so aus. Und dieser Ballen war des Kapitäns geheimnisvolle Überraschung, was er auch ruhig zugegeben hatte.
Pinnow, Hagen und Meyer waren sehr enttäuscht gewesen. – „Was soll die Leinwand?!“ hieß es von ihrer Seite immer wieder. „Und das nennen Sie eine Überraschung, Sie alter Flausenmacher?! Dabei ist die Leinwand ja offenbar völlig schmutzig, der reine Lappen, so weit man sehen kann …“
„Sie hat ihren Wert mehr innerlich“, meinte der Kapitän gelassen und nickte dem Neger Gambri verständnisinnig zu. – Auch der Fanti war nicht zu bewegen, sich näher über den eigentlichen Zweck des mächtigen Zeugballens auszulassen. Dann vergaß man die Sache auch über wichtigeren Dingen. Und diese waren sehr eng verknüpft mit dem „King Stephen“.
Als es nämlich kaum zu dämmern begann schickte der verkappte Hilfskreuzer ein Ruderboot nach der Mole und setzte dort zwei Matrosen ab, die sich, behaglich ihre Pfeifen rauchend, auf ein paar Balken in der Nähe des Kutters niederließen und fraglos also den Auftrag hatten, die „Esperanza“ im Auge zu behalten.
Es wurde dunkler und dunkler. Jürgensen schaute immer wieder zum Firmament empor, wo bereits die ersten Sterne sichtbar wurden. Er hoffte, daß der Wind, der vor kurzem nach Osten herumgegangen war, vielleicht Gewölk zusammentreiben würde. Die Deutschen hatten nämlich ihre ursprüngliche Absicht, sich hier in der Bai erst ein paar Tage auszuruhen, ehe sie sich wieder auf das Meer hinauswagten infolge des verdachterregenden Verhaltens des „King Stephen“ aufgegeben und beschlossen, möglichst sofort den Hafen von Cadiz zu verlassen, bevor der englische Dampfer noch Gelegenheit fand, auf irgend eine Weise englische Torpedojäger von Gibraltar herbei zurufen, die nur zu leicht ein Entschlüpfen aus der Bai verhindern konnten. Dieser Plan einer schleunigen Abfahrt hatte aber nur einen Zweck, wenn es gelang, ungesehen von der Mole von Puerto Real sich zu entfernen. Blieb der Himmel klar, so war dies unmöglich. Und deshalb blickte der Kapitän auch immer wieder sehnsüchtig nach dunklem Gewölk aus, das Mond- und Sternenlicht absperren sollte.
Der Abend war schön – viel zu schön für die Besatzung der „Esperanza“. Die milde Luft, das wunderbare Bild des im abendlichen Dämmerschein daliegenden Hafens, Gitarrenklänge vom Lande her, Gelächter, Gesang – all das hätten die Flüchtlinge frohen Herzens genossen, wenn eben nicht die Sorge um die Zukunft wie ein düsteres Gespenst sie umschwebt haben würde.
Hagen, der Landmesser, neben Jürgensen wohl der erfahrenste der vier Deutschen, schlug jetzt vor, man solle ungeachtet der Helle der Nacht auf und davon fahren.
„Tun wir so, als ob wir uns zur Ruhe begeben!“ meinte er. „Gambri bleibt als Wache an Deck. Wir anderen ziehen uns in die Kajüte zurück. Um Mitternacht gehen wir dann urplötzlich auf und davon. Ehe der „King Stephen“ die Anker lichtet, können wir schon um die Halbinsel herum und auf offener See sein.“
Jürgensen nickte zustimmend. „Gar nicht übel, Freundchen. Besonders dann nicht, wenn man eben … meine Überraschung noch zur Verfügung hat.“
Die anderen mit Ausnahme des jungen Negers horchten auf. Aber auch jetzt erklärte der Kapitän nicht, was er eigentlich mit dem Ballen schmutziger Leinwand wolle.
Auf der Kommandobrücke des „King Stephen“ schritten zwei Männer langsam auf und ab: der Kommandant und der erste Offizier.
Letzterer gebrauchte fleißig sein Nachtglas, um nach dem Kutter hinüberzuspähen.
„Die Kerls sind schlafen gegangen“, meinte er jetzt, indem er leise gähnte. „Ich denke, Kapitän, wir folgen ihrem Beispiel. Ich bin hundemüde.“
„Bitte! – Mir ist nicht nach Schlafen zu Mute. Ich bleibe vorläufig noch auf der Brücke. Der Gesellschaft drüben ist nicht zu trauen. Wenn nur erst morgen Mittag wäre!! Dann liegen draußen vor Cadiz in See unsere beiden schnellen Zerstörer, die bis dahin von Gibraltar eintreffen müssen. Die Deutschen dürfen uns mit dem Golde nicht entkommen! Auf keinen Fall! Denken Sie, – welche Belohnung würde uns unsere Admiralität auszahlen, wenn wir das Gold zusammen mit dem Kutter einbrächten! Die „Esperanza“ hat ja nur das Recht gehabt, hier bis Cadiz die spanische Flagge zu führen. Ich weiß das sehr wohl! Verläßt der Kutter also den Hafen, so ist er vogelfrei!!“ Der Engländer lachte rachsüchtig vor [sich hin. „Ohne Tarnkappe[*1] kommt er nicht weit – die Ge][1] schütze dürfen dann also auch ein Wort mitreden …!“
Der erste Offizier, noch jünger als der Kommandant des „King Stephen“, gähnte abermals.
„Drüben denkt niemand ans Abfahren“, meinte er. „Ich gehe zur Koje! – Gute Nacht, Kapitän!“
Dieser wanderte nun allein weiter auf und ab. – Von einer der Kirchen von Puerto Real klangen die Schläge einer Turmuhr über die stille Bai hin.
Elf Uhr …
Der Mond war aufgegangen als breite Sichel … Jetzt schob sich eine Wolke davor, deren Ränder nun wie Silberglanz aufleuchteten.
Die Wolke zog vorüber. Ihr folgte eine zweite, – eine breite, dunkle Wand, die drohend und düster einen Stern nach dem andern verschluckte, jetzt auch das mildleuchtende Nachtgestirn.
Es wurde zusehends dunkler. Soeben hatte sich noch der Sternenhimmel in unzähligen, blinkenden Pünktchen in den Wassern der Bai widergespiegelt … Nichts mehr davon. Die große Wolke segelte weiter und weiter, dehnte sich nach den Seiten aus …
Die Turmuhr schlug halb zwölf. Von dem Kutter waren jetzt selbst mit Hilfe des Nachtglases nur noch die Laternen zu erkennen, die vorschriftsmäßig brannten.
Der Kommandant des „King Stephen“ stand am Brückengeländer und schaute angestrengt hinüber. Er verwünschte die Wolke! Nur gut, daß er die beiden Leute als Beobachter auf die Mole geschickt hatte. Die würden schon aufpassen …
Die ersten Tropfen fielen. Die Wolke gab ihre Visitenkarte ab. „Platzregen“ stand darauf.
Und keine Minute später goß es auch wirklich in Strömen.
Der Kapitän des englischen Hilfskreuzers fluchte wie ein irländischer Heringsfischer. Er hatte mit den beiden Wachen auf der Mole verabredet, daß sie ein grünes bengalisches Streichholz abbrennen sollten, falls an Bord des Kutters Vorbereitungen zur Abfahrt getroffen wurden. Bei diesem Guß brannte kein Streichholz …!!
Der junge, ehrgeizige Marineoffizier, der sich durchaus als Kommandant des „King Stephen“ irgendwie hervortun wollte, glaubte jetzt von der Mole etwas wie einen Ruf zu vernehmen. – Da – wahrhaftig –! Aber das Rauschen des Regens übertönte die menschliche Stimme. Man konnte nichts verstehen …
Mit einem Schlage hörte der Platzregen auf. Ein paar Sterne blinkten wieder. Und der Engländer riß das Fernglas an die Augen. Dort – dort hatte der Kutter gelegen, dort hatten seine Laternen geleuchtet …
Die Stelle war leer … Kein Zweifel …, leer …!!
Mit einem Satz stand der Kommandant in der Mitte der Brücke am Maschinentelegraphen. Die Alarmglocken rasselten …
Die Wolke entfernte sich nach Westen zu. Die östliche Hälfte des Himmels war bereits wieder klar. Die Sterne flimmerten, der Mond erschien. Die Bai war wie vordem in halbe Dämmerung getaucht … Und da – da jagte wirklich der Kutter dahin, schon sehr weit entfernt.
Auf dem „King Stephen“, der unter Dampf gelegen hatte, kreischten die Ankerwinden. Die Ankerketten verschwanden in den Klüsen. Jetzt ging ein Zittern durch den Leib des Dampfers. Die Schraube begann zu arbeiten.
Was kümmerte es den Engländer, daß er jetzt bei Nacht nur mit halber Kraft innerhalb des Hafens fahren durfte …!! – Der „King Stephen“ raste hinter der „Esperanza“ her. Ölkannen ergossen unten im Heizraum ihren Inhalt in die Feuerung, um den Dampfdruck schneller hochtreiben.
Ein Polizeiboot rief den „King Stephen“ an. Mochte es …! – Weiter ging die Jagd, hindurch zwischen ankernden Schiffen, zwischen Leichterfahrzeugen und armseligen Fischerkähnen.
Auf der Brücke wandte der erste Offizier sich an seinen Kommandanten:
„Kapitän, eben habe ich sie im Glase gehabt … Sie haben Kurs auf die offene See …“
„Gut. Dann sind sie uns sicher! – Lassen Sie die Geschütze aufstellen …“ –
Wieder eine Dampfpinasse neben dem „King Stephen“. Diesmal ein Patrouillenboot, das die Hafeneinfahrt bewacht.
„Stoppen Sie sofort!“ brüllt ein Spanier durch das Sprachrohr herüber.
Der Engländer auf der Brücke ruft zurück:
„Unmöglich!! Maschinenschaden!!“ – Mochten die Herren Spanier sich über diese Ausrede nur die Köpfe zerbrechen.
Die Schiffe, hinter denen sich der Motorkutter verbergen kann, werden seltener. Vom „King Stephen“ aus verliert man ihn nicht mehr aus dem Gesichtskreise von ein paar guten Nachtgläsern.
Der Hafen liegt hinter den beiden Fahrzeugen, die etwa zweitausend Meter voneinander entfernt dahinjagen. Die Dreimeilenzone, das heißt der Streifen Meeres, der noch Spaniens Hoheitsgebiet und daher neutrales Gewässer ist, wird schnell passiert. Jetzt hat der „King Stephen“ freie Hand.
Eben schießt die „Esperanza“ hinter einen großen Überseedampfer, der hier draußen ankern muß, weil er Pestkranke unter der Besatzung hat. – Vielleicht vier Minuten wird man den Kutter jetzt aus den Augen verlieren. Dann aber werden die Geschütze ein ernstes Wort mitreden. – So denkt der Kommandant.
Der „King Stephen“ rast an dem mächtigen Australier vorüber, der Korn für England geladen hat und nun hier der Pest wegen seine Kohlenvorräte nicht ergänzen kann.
Die Nachtgläser suchen wieder nach dem kleinen Ausreißer – suchen – suchen …!! Scharfe, geübte Augen beginnen zu tränen vor Überanstrengung …
Wo ist der Kutter geblieben …?! – Weit und endlos dehnt sich das Meer nach drei Seiten hin aus. Die Nacht ist hell genug … Man müßte die „Esperanza“ bemerken, oder – sie müßte gerade urplötzlich mit Mann und Maus gesunken sein.
Hier gibt es schon recht kräftigen Seegang. Die Wellen sind kurz und unangenehm. Der „King Stephen“ taucht den Bug oft genug tief ein. Sprühregen geht über das Deck hin. Was tun die paar Wassertropfen …?! – Der Kutter, – wo ist der verd… Kutter geblieben …? …
„Begreifen Sie das?“ fragt der Kommandant den ersten Offizier. – Der schüttelt nur den Kopf.
Ein Zeichen mit dem Maschinentelegraphen, und die Geschwindigkeit läßt nach. – Der „King Stephen“ wendet und hält auf den Australier zu.
Eine verschlafene Stimme antwortet dann auf den Anruf.
„Habe nichts gesehen! – Was geht mich ein Motorkutter an …!“
Der Marineoffizier brüllt von der Brücke des „King Stephen“ wütend hinüber: „Hier englischer Hilfskreuzer!! ermuntert Euch mal etwas …!“
Doch alles hilft nichts. Die Wachen auf dem großen Frachtdampfer haben offenbar alles andere nur nicht gewacht …
„Ganz unerklärlich!“ meint der Kommandant bebend vor Wut und Enttäuschung. „Der Kutter kann doch nicht durch die Luft auf und davon geflogen sein …?!“
Wieder suchen gute Ferngläser und noch bessere Augen … Umsonst, ganz umsonst!
„Die „Esperanza“ scheint sich in ein U-Boot verwandelt zu haben“, sagt der erste Offizier mit einem schüchternen Versuch, einen Witz zu machen. Aber sein Vorgesetzter ist nicht zum Scherzen aufgelegt. Er gleicht einem Krater, kocht vor Wut.
„Bleiben Sie gefälligst dienstlich!“ schnauzt er den jüngeren Kameraden an. „Ich rühre mich nicht vom Fleck. Ich muß herausbekommen, wie dieses halbe Wunder sich vollzogen hat, daß der Kutter in so kurzer Zeit uns völlig aus dem Gesichtskreise verschwinden konnte.“
Der „King Stephen“ setzte sich wieder langsam in Bewegung, beschrieb dann eine Spirale, die ihn immer weiter in See hinausführte. Auch das half nichts … Von der „Esperanza“ keine Spur mehr – nichts – nichts …
Schließlich, als bereits der Morgen zu grauen begann, nahm sie Kurs nach Süden hin, nach Gibraltar, dem englischen Felsenneste, dem „brennenden Pfeile im spanischen Fleische“, wie ein Dichter das kanonengespickte Sperrfort des westlichen Ausganges des Mittelländischen Meeres genannt hat.
Mit voller Absicht hatte Kapitän Jürgensen das Motorboot so gesteuert, daß der Riesenleib des australischen Frachtdampfers dem „King Stephen“ für ein paar Minuten die „Esperanza“ verdecken mußte.
Schon vorher war alles vorbereitet worden, um in kürzester Zeit die beiden Masten verschwinden zu lassen, ebenso wie auch der große Ballen alter Leinwand an Deck geschafft und von seiner Verschnürung befreit worden war.
Nun endlich lüftete Jürgensen das Geheimnis dieses seltsamen Einkaufes, indem er zu seinen Landsleuten übermütig scherzend sagte:
„Kinder, es war der reine Zufall, daß ich in Puerto Real gerade dazukam, als die Requisiten des unlängst abgebrannten Sommertheaters, soweit sie gerettet waren, versteigert wurden. Zu den Gegenständen, die der Auktionator den wenigen Kauflustigen vorzeigte und mit beredten Worten anpries, gehörte nun auch diese Leinwand da. Sie ist, wie Ihr bald sehen werdet, auf beiden Seiten mit Ölfarbe leicht bemalt und hat dem Maschinenmeister des Theaters dazu gedient, den Bühnenboden in ein wogendes Meer zu verwandeln. Die eine Seite ist heller, in lichtem Grünblau gehalten, die andere dunkelgrün bis schwarz. Die Wellen und leichten Schaumkämme verdienen Anerkennung. Der Dekorationsmaler ist kein Stümper gewesen. – Als ich nun dieses riesige Stück Leinwand, vierzehn mal vierzehn Meter, ausbieten hörte und zwar für einen lächerlich geringen Preis, da durchzuckte mein sonst durchaus nüchtern veranlagtes Hirn plötzlich ein phantastischer Gedanke. Ich bot auf die Leinwand mit. Der Auktionator sagte stets: „Ein Stück Ozean – billig, meine Herrschaften, sehr billig …“
Das Stück Ozean wurde mein. Und nun der Zweck dieses Erwerbes: Wenn wir die Leinwand über den Kutter mit seiner kaum 1¼ Meter betragenden Bordhöhe ausbreiten, müssen die Ränder des bemalten Leinens noch im Wasser schwimmen. Unser Kutter setzt sich also sozusagen eine Tarnkappe auf, denn bei nur einigermaßen bewegter See wird dieser meerfarbene Mantel mit der Farbe des Wassers so in eins verschmelzen, daß unsere „Esperanza“, besonders jetzt bei dieser Beleuchtung, kaum zu entdecken sein dürfte.“–
Jürgensen behielt recht. Ein paarmal fuhr der „King Stephen“ kaum fünfzig Meter entfernt an der Tarnkappe vorüber, die ganz den Eindruck wie ein kleiner Wellenberg machte. Als der Engländer dann erst in Spiralen sich weiter und weiter von dem steuerlos unter seiner bunten Decke treibenden Kutter entfernte, wagte Jürgensen sogar, den Motor arbeiten zu lassen und mit nördlichem Kurse langsam weiterzufahren. Um nun sowohl den Auspuffgasen des Motors Abzug zu verschaffen als auch selbst einen Ausblick auf die Umgebung zu gewinnen, schnitt Jürgensen in die Leinwand an geeigneten Stellen drei Klappen ein. Durch die eine konnte dann hin und wieder einer der Deutschen den Kopf hindurchstecken und sich nach dem Verfolger umsehen.
Der „King Stephen“ war bald verschwunden, da die „Esperanza“ nach Norden, er selbst nach Süden lief. Nun wurde die Leinwand wieder eingeholt, zusammengerollt und im Vorschiffe verstaut.
Hatten des Kapitäns Gefährten noch Zweifel an der Güte der Jürgensenschen Idee gehegt, so waren sie jetzt einstimmig des Lobes voll über diese eigenartige Tarnkappe, die bei aller Einfachheit der Anwendung noch den Vorteil hatte, in zwei Farben als doppelseitig bemaltes Wellenstück je nach dem Aussehen des Meeres benutzt werden zu können. – –
Die Absicht, durch die Straße von Gibraltar und durch das halbe Mittelländische Meer einen Hafen des damals ja noch neutralen Italiens anzulaufen, hatte Jürgensen jetzt nach kurzer Beratung mit den Gefährten völlig aufgegeben.
In Cadiz war dem Kapitän so allerlei von den Minensperren und den zahllosen Scheinwerfern erzählt worden, mit denen die Engländer ein Durchschlüpfen durch den engen Wasserweg geradezu unmöglich gemacht hatten.
Gewiß, die Reise nach der deutschen Küste war erheblich länger, schien den Flüchtlingen aber doch bei der nötigen Vorsicht weit ungefährlicher zu sein. – –
Der Tag brach an. Jürgensen hatte klugerweise auch ein paar Seekarten der spanischen und französischen Küstengewässer besorgt, die nun sehr gute Dienste leisteten. Man blieb zunächst stets in Sicht des Festlandes, sogar innerhalb der Dreimeilenzone, und benutzte die Segeleinrichtung der „Esperanza“, um mit dem Brennstoff für den Motor möglichst sparsam umzugehen. Einer der Deutschen mußte stets mit dem Fernglase Ausguck halten, damit man rechtzeitig jedes verdächtige Fahrzeug vermeiden konnte. Und als verdächtig wurde jeder Dampfer angesehen. Stieg eine Rauchsäule auf, so vergewisserte man sich erst, welchen Kurs das Schiff hatte, und wich ihm dann, zumeist unter erheblichem Zeitverlust, aus.
Drei Wochen dauerte es, ehe der Kutter die West- und Nordküste der Pyrenäen-Halbinsel umschifft hatte. Es waren endlose Tage steter Nervenanspannung, steter Aufregungen. Oft genug entgingen die Insassen der „Esperanza“ der Gefangennahme durch feindliche Schiffe nur dadurch, daß sie schleunigst die Takelage einholten und die Tarnkappe über ihr kleines Fahrzeug ausbreiteten. Zweimal konnten sie genau beobachten, wie ein portugiesisches Torpedoboot, sozusagen durch das plötzliche Verschwinden des eben noch gesichteten Fahrzeuges in U-Bootfurcht geraten, schleunigst ausriß, wohl in der Angst, Bekanntschaft mit einem Torpedo zu machen. Dabei war doch die Republik Portugal damals noch neutral. Die Herren Portugiesen hatten also offenbar kein ganz reines Gewissen. – Kurz: die auf der Auktion erstandene Leinwand bewährte sich bei nur einigermaßen bewegter See gerade zu glänzend.
Obwohl hierdurch eigentlich ein gewisses Gefühl der Sicherheit bei den Flüchtlingen hätte aufkommen müssen, lebten sie doch in ständiger Sorge um ihre Freiheit. Sie besaßen keine Schiffspapiere, führten eine Goldladung von einigen Millionen Wert mit sich und waren fraglos von den Engländern allen Schiffen und Hafenplätzen als verdächtiges Fahrzeug auf drahtlosem Wege gemeldet worden. In den spanischen Küstenstrichen brauchte man vielleicht nicht allzu ängstlich zu sein, aber im Machtbereich Portugals lag die Sache doch weit ernster. Diese kleine Republik, seit Jahren von England vollständig abhängig, hätte ruhig geduldet, daß ein englischer Dampfer oder Torpedojäger den Kutter auch innerhalb der Dreimeilenzone abfing. – Kein Wunder also, daß unsere Reisenden nach diesen drei Wochen sämtlich sich in einer körperlichen und geistigen Verfassung befanden, die eine längere Ruhepause dringend erforderlich erscheinen ließ.
Jürgensen hatte mit dem ehemaligen Oberpriester der Wambari, dem Matrosen Friedrich Pinnow, schon häufiger beratschlagt, wie man es nur einrichten könnte, um irgendwo in voller Sicherheit einige Zeit sich zu erholen. Gewiß – an den Gestaden der Pyrenäenhalbinsel gab es genug kleine, unbewohnte Inseln. Aber diese waren sämtlich so unfruchtbar, kahl und trostlos, daß ein längerer Aufenthalt dort wegen des mangelnden Proviantes ausgeschlossen schien.
Am 26. September erklärte Jürgensen morgens gegen ½1 Uhr den an Deck versammelten Gefährten, daß die Lichter dort drüben an Land zweifellos die der letzten spanischen Stadt Fuenterrabia seien und man sofort in französisches Hoheitsgebiet einlaufen werde. Diese Nachricht wurde von allen mit recht gemischten Gefühlen aufgenommen, selbst von dem Neger Gambri, der inzwischen ganz als Deutscher zu empfinden gelernt hatte. Jetzt war man also dem alten Erbfeinde ganz nahe! Und wie groß der Haß in Frankreich gegen alles Deutsche war, das hatte man in Cadiz ja schon aus den Berichten spanischer Zeitungen gesehen.
„Es heißt nun also, die Augen doppelt gut offen halten!“ meinte der Kapitän ernst. „Hier beginnen eigentlich erst die Gefahren! Laßt uns das nicht vergessen!“
Niemand erwiderte etwas. Hohläugige, abgemagerte Gestalten waren es, die nach dem Festlande hinüberstarrten … Dort in der kleinen Grenzfestung Fuenterrabia würde man ja wohl auch so einiges vom Kriege merken. Aber doch konnte sich jeder Bürger ruhig abends zum Schlafe niederlegen, brauchte nicht zu fürchten, daß wie hier an Bord der „Esperanza“ jeden Augenblick der Ruf der Wache ihn nur zu schnell wieder von seinem Lager aufscheuchen würde, – dieser Ruf: „Alle Mann an Deck – Dampfer in Sicht!“ den jeder einzelne auf dem Kutter geradezu schon haßte und der jeden doch wie mit unsichtbarer Faust hochriß und schlaftrunken die enge Treppe emportaumeln ließ.
Die leuchtenden Pünktchen der Hafenlichter von Fuenterrabia verschwanden. Und gleich darauf befand sich Friedrich Pinnow nur noch allein an Deck, saß auf der Bank am Steuer und lenkte das unter kräftigem Segeldruck dahinschießende Motorboot nach dem Kompaß auf die ferne Bucht von Arachon zu, wie Jürgensen es befohlen hatte.
Man durchquerte jetzt eines der unzuverlässigsten Gewässer der europäischen Küsten, den Golf von Biskaya. Bis jetzt hatte sich diese durch ihre Stürme und haushohen Wellen berüchtigte riesige Bucht von einer recht harmlosen Seite gezeigt. Doch „dem Frieden war nicht zu trauen“, wie man zu sagen pflegt. Und das wußte auch Friedrich Pinnow nur zu gut. Er richtete daher sein Augenmerk nicht allein auf den Kompaß und den Horizont, sondern auch auf die Wolken, die hier und da auftauchend über den nächtlichen Himmel dahinsegelten. – Der frische Nordwest zeigte jetzt mit einem Male Neigung, nach Nordost herumzugehen, was in kurzem erheblich stärkeren Seegang erwarten ließ. Schon jetzt kam mancher Spritzer über Bord, und oft genug mußte Pinnow sich die Tropfen aus dem Gesicht schütteln. Nur gut, daß Jürgensen mit dem Golde in Cadiz nicht gespart und auch Ölzeug eingekauft hatte. Der wasserdichte, lange Mantel war bei diesem Wetter nur zu nötig.
Dann bemerkte der ehemalige Fetisch-Priester im Nordosten eine unheimliche schwarze Wolkenwand, über die hin und wieder ein helles Leuchten hinlief.
Ein Gewitter in der Biskaya …!! – Pinnow hatte es nur ein einziges Mal während seiner Laufbahn als Matrose erlebt. Damals fuhr er auf einem alten Kasten von Brigg, der trotz des stolzen Namens „Seeadler“ getrocknete Fische von Norwegen nach Spanien bringen sollte. Das war eine Sturmnacht gewesen …!! Pinnow würde sie nie vergessen!
Als diese Erinnerungen so blitzartig in seinem Geiste aufzuckten, als er sich noch überlegte, ob er Jürgensen bei diesem drohenden Gewitter nicht wecken solle, da dachte er mit einem Male auch an jene kleine Felseninsel an der spanischen Küste, auf deren vorgelagerten Riffen der „Seeadler“ nach stundenlangem vergeblichen Kampfe mit den Elementen gestrandet war. – Daß ihm diese Insel auch nicht früher eingefallen war …! Pinnow wunderte sich selbst darüber. Kapitän Jürgensen hatte mit ihm doch oft genug erwogen, wo man einen Unterschlupf finden könne. Und jene Insel, auf der die Schiffbrüchigen des „Seeadler“ damals drei Tage zugebracht hatten, bis ihr Notsignal von einem Dampfer bemerkt worden war, eignete sich, soweit er sich entsinnen konnte, doch recht gut zu einer kurzen Robinsonade, wenn man eben nicht allzu anspruchsvoll war.
Pinnow brüllte daher jetzt in den Niedergang der Kajüte mehrmals den Namen des Kapitäns hinein, bis Jürgensen denn auch wirklich brummend oben auftauchte. Kaum hatte er die Änderung der Windrichtung, die Wolkenwand und das Wetterleuchten mit kundigen Augen geprüft, als er auch schon mit des Matrosen Hilfe wendete und auf dem bisherigen Kurse wieder der spanischen Küste zusteuerte.
Zwei Stunden später war die böse Biskaya, getreu ihrem wahren Charakter, ein grimmiges Raubtier geworden, das fauchend, heulend und brüllend seine gierigen Pranken nach Beute ausstreckte.
Die „Esperanza“ hatte, vor dem Sturme wie ein edler Renner dahinjagend, ihre Seetüchtigkeit heute erst so recht bewährt. Trotzdem erklärte Jürgensen, als dann ein Blitz endlich gerade voraus die Gestade einer kleinen Felseninsel für einen Moment erkennen ließ, daß das Schicksal aller sicher besiegelt gewesen wäre, wenn man auch nur eine Viertelstunde später den Kurs geändert hätte. Und nur des Kapitäns seemännischer Erfahrung und Kaltblütigkeit war es dann zu verdanken, daß der Kutter glücklich unter Wind des Eilandes gelangte, wo man ruhigeres Wasser antraf.
Die Dunkelheit, nur zuweilen von den blendenden Feuerfurchen der Blitze zerrissen, war so groß, daß die „Esperanza“ jetzt ganz ahnungslos unter Benutzung ihrer Schraube auf der Südwestseite der Insel auf eine Bucht zusteuerte, auf die sich Friedrich Pinnow noch recht gut besonnen hatte, die leider jedoch schon von einem anderen Fahrzeuge als Nothafen aufgesucht worden war.
Urplötzlich schoß nämlich dem Kutter, der mit gerefften Segeln langsam in die Bucht einlaufen wollte, ein blendender Lichtkegel entgegen.
Es war ein Scheinwerfer! Und – es gibt nicht viele Kauffahrteischiffe, die diese modernen Beleuchtungsmittel bei sich führen …! Das wußte Jürgensen nur zu gut.
Augenblicklich riß er das Steuer herum, und gehorsam beschrieb die „Esperanza“ einen kurzen Halbkreis, um diese gefährliche Stätte schleunigst wieder zu verlassen.
Doch was half jetzt noch eine Flucht …?! – Der Scheinwerfer blieb hartnäckig auf dem Motorboote ruhen, klebte daran wie der Streifen Leimpapier, an dessen einem Ende sich eine armselige Fliege gefangen hat.
Ein Bündel Blitze verwandelte mit einem Male das Firmament in ein Feuermeer. Und nun sahen die Insassen der „Esperanza“ auch, was sich hinter dem weißen Strahlenkegel bisher ihren suchenden Augen entzogen hatte.
Es war ohne Zweifel ein Torpedojäger modernster Bauart: schlank, niedrige Aufbauten, drei schräge, kurze Schornsteine, zwei Gittersignalmasten …
Und das Kriegsschiff lag nicht etwa still …! Nein – es folgte dem Kutter langsam und vorsichtig, schlich hinter der kleinen Beute drein wie eine Katze, die nur zu gut weiß, daß ihr das Mäuslein nicht entgehen kann.
Aber Jürgensen gab das Spiel noch nicht verloren.
Die „Esperanza“ hatte ja ein Mittel an Bord, den Scheinwerfer dort drüben, das Gefährlichste des Gegners, zu beseitigen. Und dieses Mittel war das Maschinengewehr, das den Deutschen schon so vortreffliche Dienste geleistet hatte, als es sich darum handelte, den Wambari zu entrinnen. (Im vorigen Band, „Weiße Sklaven“, sind diese Abenteuer unserer Helden eingehend geschildert worden). – Das Maschinengewehr war in wenigen Minuten auf dem Hinterdeck aufgestellt. Hagen, der Landmesser, bediente es. Der Torpedojäger, kaum noch dreihundert Meter entfernt, erhielt nun plötzlich einen Kugelregen zugesandt, der schon nach den ersten vierzig Schüssen wirkte. Der Scheinwerfer erlosch urplötzlich … Seine Spiegel waren zertrümmert, wahrscheinlich auch die Kohlenstifte, zwischen denen der elektrische Strom in blendendem Lichtbüschel hindurchjagte.
Schon vorher hatten die übrigen Deutschen in wilder Hast die Takelage zu entfernen begonnen, die man ja so eingerichtet hatte, daß das Deck des Kutters in wenigen Minuten nur noch die eine Erhöhung des niedrigen Kajütenaufbaus zeigte.
Jupiter Pluvius, der alte Regengott, zu dem einst die Römer um erquickendes Naß für ihre Felder gebetet hatten, war den Flüchtlingen wohlgeneigt: eine wahre Sintflut stürzte jählings vom Himmel herab, so daß auch das Licht der Blitze nicht hinreichte, um diesen Vorhang der herabrieselnden Wassermassen zu durchdringen.
So kam es, daß die Besatzung des Kutters, die tollkühn alles auf eine Karte gesetzt hatte, Zeit fand, die Tarnkappe über ihr Fahrzeug zu breiten, bevor das Kriegsschiff seinen zweiten Scheinwerfer spielen ließ.
Dieser tastete jetzt eifrig die Wasseroberfläche ab, die immerhin auch hier noch bewegt genug war, um die Schutzdecke der „Esperanza“ als harmlosen Wellenberg erscheinen zu lassen.
Hin und her glitt der weiße Riesenfinger … Aber er fand nichts … – Jürgensen hatte längst den Kurs geändert und steuerte wieder auf die Insel zu, so daß man den Torpedojäger bald hinter sich hatte …
Die Deutschen atmeten erleichtert auf. Vorläufig war jede Gefahr vorüber. Das Wagnis, gegen ein Kriegsfahrzeug mit Waffengewalt vorzugehen und somit ein Spiel auf Leben und Tod anzufangen, hatte sich verlohnt …
Da – gerade als Jürgensen vom Steuer her dem jungen Landsmanne Fritz Meyer, der den Motor bediente, durch Gambri den Befehl übermitteln ließ, mit der Tourenzahl der Zylinder noch weiter herunterzugehen, erschütterte ein harter Stoß den Kutter, dem ein unheimliches Splittern von Holz augenblicklich folgte. Sofort legte sich die „Esperanza“ auch nach Steuerbord über, und drohend tönte den fünf Flüchtlingen das laute Rauschen eindringender Wassermassen in die Ohren.
Jürgensen, der tief gebückt, die große, schwere Leinwand über dem Rücken, das Steuer bedient hatte, stürzte in die Kajüte hinab. Hier brannte die Petroleumlampe an der Decke und beleuchtete die schreckensbleichen Gesichter der kleinen Besatzung, deren Geschick sich jetzt erfüllen zu wollen schien.
Fritz Meyer war soeben aus dem kleinen Maschinenraume, der weiter nach vorn lag, in die Kajüte gekommen und hatte nur die Worte ausgestoßen: „Großes Leck auf Steuerbord“, – Worte, die er jetzt vor Jürgensen noch ganz erstarrt vor Entsetzen wiederholte …
Immer mehr neigte sich der Kutter, der an der scharfen Felsnase eines Riffes sich die Planken aufgerissen haben mußte, nach einer Seite über.
Jürgensen sah, daß das Boot verloren war, daß es seine Rolle als unsichtbares Fahrzeug ausgespielt hatte. – Einige kurze Befehle, und er und Pinnow hasteten die Treppe empor, hoben mit den hochgereckten Armen die Tarnkappe der „Esperanza“ an und lüfteten sie auf der einen Seite so weit, daß das Hinterdeck nun freilag.
Ein Blick ringsherum genügte, während gerade ein Blitz in leuchtender Zickzacklinie herniederging. Der Kutter lag zwischen zwei Riffreihen, deren Spitzen kaum über das schäumende Wasser hinausragten. Diese Rinne war sicher recht tief, und es gab nur eine Rettung, wollte man nicht mit dem Motorboot in die Tiefe hinab: auf den Klippen winkte sicherer Grund für die Füße …!
Und einer nach dem andern sprang nun eiligst hinüber auf das kahle, glitschige Gestein, – mehr auf gut Glück als in wohlberechnetem Schwunge. Aber alle fünf erreichten die Riffe. Und hinter ihnen schloß sich gleich darauf gurgelnd das Wasser über dem treuen, kleinen Schifflein.
Von Klippe zu Klippe sprangen, wateten, tasteten sich die fünf von Wasser triefenden Gestalten weiter auf die Insel zu. Bald war deren steiles Ufer erreicht. Und Gambri, der flinke Fanti, fand dann auch eine Stelle, wo man leidlich bequem die abschüssige Felswand erklimmen konnte.
Gerade als die Gefährten auf der Uferhöhe angelangt waren, hörte der Regen auf. Und auch das Gewitter schien sich ausgetobt zu haben. Die Blitze wurden seltener, der Donner folgte in immer längeren Zwischenräumen als Wirkung der elektrischen Entladungen.
Dann schien dem Kommandanten dieses schnelle Verschwinden des Bootes wohl ebenso unheimlich zu sein wie damals den beiden Portugiesen: der Feind empfahl sich sehr eilig trotz der hochgehenden See. – Erst später erfuhren die Deutschen, daß es ein Engländer gewesen war und daß sie drei Mann der Besatzung schwer verwundet hatten, als sie den Scheinwerfer durch Kugeln auslöschten.
Den kurzen Rest der Nacht brachten die Schiffbrüchigen frierend in einer Aushöhlung eines Felsens zu, die ihnen gerade genug Raum bot, um dicht aneinandergedrängt auf dem Boden hocken zu können. Sehnsüchtig erwarteten sie das Tageslicht. Und es kam. Im Osten wurde es heller und heller. Die See tobte noch. Aber die Sonne schien den fünf Robinsons der namenlosen Insel an der Nordküste Spaniens frischen Mut in die Herzen träufeln zu wollen. Noch mehr tat sie: sie trocknete schnell die nassen Anzüge, wärmte die Erstarrten. Die Nacht war ja so bitterkalt gewesen.
Hagen, der Landmesser, der elastischste von den Gefährten, was das schnelle Hineinfinden in eine Zwangslage anbetrifft, übernahm jetzt hier das Kommando. Jürgensen war nur auf See der große Mann gewesen.
Also Hagen verteilte sozusagen die Rollen. Dieser mußte nach eßbaren Krebsen am Strande suchen, jener Holz holen – irgendwoher, irgendwas, ein dritter – und dies war Pinnow, der das Inselchen ja schon kannte, auf Erkundung ausziehen, der Neger aber als der körperlich gewandteste über die Klippen nach dem Grabe der „Esperanza“ hinüberwaten, um dort festzustellen, was aus dem Kutter eigentlich geworden war.
Der Landmesser selbst blieb in der kleinen Schlucht vor der flachen Grotte zurück und behauptete, er würde bei der Rückkehr seiner „Patrouillen“ ein Zelt fertiggestellt und ein kleines Feuer zum Rösten der Krebse angezündet haben. Da niemand über Feuerzeug oder trockene Zündhölzchen verfügte, erschien das Versprechen eines Feuers etwas gewagt; nicht minder das der Errichtung eines Zeltes.
Hagen blieb nicht allein zurück. Er hatte ein Fernglas am Riemen über der Brust hängen, die drei langen Ölmäntel und in der inneren Jackentasche vier Zeitungen aus Cadiz – englische Blätter, die er inzwischen aus Langerweile beinahe auswendig gelernt hatte. Die Mäntel knöpfte er zusammen, so daß er ein ziemlich großes Stück wasserdichten Stoffes erhielt. Der Fels über der Aushöhlung war rissig, und mit Steinen keilte Hagen nun das Zelttuch so fest, daß er es unten mit größeren Steinen beschweren, straff spannen und ihm auch die gewünschte Form geben konnte.
Zufrieden betrachtete er sein Werk. Die flache Grotte hatte jetzt einen Vorbau aus Ölmänteln erhalten. – Nun das Feuer … – Die Linsen des Fernglases gaben ein Brennglas ab, und die liebe Sonne sorgte dafür, daß zunächst eine Lunte zum Schwelen kam, die Hagen aus einem Stück seines Baumwollhemdes gedreht hatte. Mit viel Geduld und Lungenkraft brachte er dann die Zeitungen zum Aufflammen, nachdem Fritz Meyer, der Holzsammler, mit einigen angetriebenen Ästen zurückgekehrt war, aus denen sich dünne Späne schnitzen ließen, die schließlich ebenfalls zu brennen begannen.
In langen Abständen fanden sich dann auch die übrigen Patrouillen ein. Jürgensen hatte den ganzen Ölhut voller Krebse. Und Gambri, der Fanti, wieder meldete vor Freude grinsend, daß jetzt bei Ebbe der Kutter kaum ein Meter tief in der Rinne auf der Seite liege.
„Große grüne Leinwand leicht zu borgen sein werden“, sagte er in seinem nicht ganz fehlerfreien Deutsch, das er sich als Diener Fritz Mayers angeeignet hatte.
„… zu bergen sein – – bergen!!“ hatte Meyer den Schwarzen verbessert.
Schließlich kam auch als letzter Friedrich Pinnow zurück, gerade als die ersten Krebse genießbar geworden waren. – Sein Bericht bestimmte die Deutschen, vorläufig in dieser Schlucht zu bleiben, obwohl es im Norden des runden, zerklüfteten Eilandes ein Tal mit einigem Baumwuchs geben sollte. Dort hatte der Matrose aber allerlei Anzeichen dafür gefunden, daß jenes Tal hin und wieder wohl von spanischen Fischern besucht würde. Hier im Süden war man also sicherer.
Während der Mahlzeit beriet man die zunächst vorzunehmenden Arbeiten. Wieder war es Hagen, der den verständigen Vorschlag machte, das Prinzip der Arbeitsteilung weiterhin anzuwenden, um sich schneller wohnlich einrichten zu können.
Die Aussichten unserer Helden für die Zukunft waren nicht glänzend. Aber mit frischem Mut ging jeder ans Werk. – Fritz Meyer und Gambri sollten Seetang sammeln und in der Sonne auf den Felsen zum Trocknen ausbreiten, damit man für die Nacht weiche Lagerstätten habe. –
Der Fanti, der als Kind jahrelang an der Goldküste in Coast Castle gelebt hatte, tauchte nun wie ein Fisch und hielt es, was er schon oft bewiesen hatte, fast drei Minuten unter Wasser aus.
Als er mit seinem weißen Herrn, den er über alles liebte, nun die ersten Arme Seetang auf das Trockene schleppte, erklärte er plötzlich, er würde gern in das Innere des Kutters hineinkriechen, um dies oder jenes herauszuholen, falls „sein gnädig Massa“ damit einverstanden sei.
Der junge Kaufmann, der nur mit Gambris Hilfe den französischen Häschern in Senegambien entronnen war, überlegte sich dieses Angebot keinen Augenblick. Und Herr und Diener eilten gleich darauf über die jetzt bei Ebbe bedeutend trockneren Riffreihen dem Wassergrabe des Kutters zu, ohne erst einem der Gefährten etwas von ihrem Vorhaben mitzuteilen.
Der Neger sollte zunächst versuchen, ob er die große Ölleinwand heraufholen könne. Leider lag das Boot teilweise auf seiner Tarnkappe und klemmte diese fest, so daß Gambri sie mit dem Messer am Grunde losschneiden mußte, wodurch etwa ein Drittel davon verloren ging. Dann mußte der Fanti in die Kombüse hinab (Schiffsküche). Er brachte in kurzem zwei Kessel, Blechnäpfe und -teller, Löffel und anderes herauf. – Fürs erste mußte jetzt diese Arbeit wieder eingestellt werden, da die Ebbe vorüber war und die Flut schnell stieg, wodurch die „Esperanza“ bald einen Meter mehr an Wasser über sich hatte, was Gambris aufopfernde und nicht ganz gefahrlose Arbeit zu sehr erschwerte.
In der Schlucht entstand allgemeiner Jubel, als die beiden dann so reich beladen zurückkamen. Gambri wurde sehr belobt, erhielt viele Händedrücke und war seitdem vollberechtigtes Mitglied der kleinen Kolonie. Diese besaß dann bald infolge der Taucherkünste des Schwarzen so ziemlich alles, was sich aus dem Wracke des Kutters irgendwie bergen ließ, so besonders auch die zahlreichen, in Cadiz eingekauften Konserven in Blechbüchsen, außerdem aber auch Gewehre, Patronen und sogar die Lampe aus der Kajüte.
Und dieses Unstäte wuchs noch mehr, als es dann Gambri nach und nach auch glückte, den ganzen, in Ledersäckchen verpackten Goldschatz aus der „Esperanza“ zu bergen.
Dieses gleißende Gold, dieser Anstifter unendlichen Unheils und doch auch wieder dieses erste Erfordernis für ein wirtschaftliches Durchhalten im Kriege gehörte ja nicht mehr ihnen – gehörte dem Vaterlande! So hatten sie es einander gelobt: jeder wolle sein Letztes daransetzen, den Schatz für Deutschland zu erhalten! – Bei einer Besprechung über ihre Lage wurde dann ein Beschluß gefaßt, zu dem Hagen abermals die Anregung gegeben hatte: das Gold sollte unter keinen Umständen wieder den Gefahren einer Seereise auf einem unzuverlässigen Fahrzeuge ausgesetzt, sondern auf der Insel verborgen werden. – Tagelang suchten die Freunde dann nach einem Versteck. Und sie fanden es. Besser: Gambri fand es durch einen Zufall! – Und dieses Versteck bedeutete sehr bald auch die Rettung unserer Robinsons vor sicherer Gefangennahme.
Daß das Eiland nur klein war, ist schon gesagt worden. Hagen schätzte die größte Länge von Nord nach Süd auf 3800 Meter, die größte Breite von West nach Ost auf 2500 Meter.
Auffallend war, daß die Bodenbeschaffenheit keineswegs einen einheitlichen Charakter besaß. Zumeist kam starrer, grauschwarzer Granit vor. Daneben fanden sich aber auch eingesprengte Basaltfelsen und Reste eines verwitterten Gesteins, das der Landmesser für ein vulkanisches Produkt, für Lava, hielt.
Bei aller Unwirtlichkeit hatte die Insel, die einen riesigen Trümmerhaufen von Felsen darstellte, doch auch manches Romantische an sich. Es gab Stellen, wo die dunklen, vom Regen halb polierten starren Massen wie Ruinen von Häusern und kleinen Schlössern wirkten. Dann wieder erhob sich ziemlich genau in der Mitte der Insel eine flache Kuppe, die eine glatte Oberfläche hatte und die, wie Hagen behauptete, ganz aus Lava bestand. Einige Löcher in dieser Lava waren tiefe Abgründe, in denen ein hineingeworfener Stein erst nach einiger Zeit polternd irgendwo aufschlug.
Genau am 28. Oktober war’s, als die Deutschen dann gegen Abend das Fehlen des Fanti bemerkten.
Gambri hatte mittags zusammen mit seinem Herrn die Insel wieder einmal nach einem Versteck für den Schatz durchsucht. Hierbei waren die beiden sich aus den Augen gekommen. Und seitdem fehlte der Fanti. Als er sich am nächsten Morgen wieder nicht einfand, begann man sich um ihn ernstlich zu sorgen. Man durchstöberte die ganze Insel. Nirgends eine Spur des Vermißten. Auch an die Löcher in dem Lavahügel dachte man. Man rief hinein … Dröhnend pflanzte sich der Schall unten fort. Aber keine Antwort ertönte – nichts – nichts.
Es war Vollmond. Hell beschienen vom bläulichen, zarten Lichte des Nachtgestirns lag die Insel da. Es war kalt. Fritz Meyer fröstelte. Im Zelt hatte der eiserne Herd der „Esperanza“ behagliche Wärme verbreitet.
Unwillkürlich zog es den jungen Deutschen nach dem Lavahügel hin. Er ahnte, daß dort das Geheimnis von Gambris Verschwinden der Aufklärung harrte. Eine innere Stimme sagte es ihm.
Jetzt betrat er die Kuppe, deren Oberfläche wie polierter Stahl glänzte. – Da – mit einem Male stockte sein Fuß. War das nicht eben ein leiser Hilferuf gewesen …?! – Er lauschte. Abermals ein gedämpfter Schrei … Und nun stand er vor dem größten der Löcher, beugte sich herab …
Ja – Gambri befand sich dort unten, verständigte nun seinen Herrn, daß er jetzt erst aus schwerer Betäubung erwacht wäre. Damals sei unter seinen Füßen eine dünne Lavaschicht wie morsches Eis zerbrochen und er mit einem Male hinabgefahren in die Dunkelheit …
Eine halbe Stunde später schwebte die Laterne des Kutters an einem Stricke hinab. Jetzt erst bemerkten die Deutschen oben, daß die Kuppe nichts anderes war als die Deckenwölbung eines Kraters, eines erloschenen Vulkanes, der die dickflüssige Lava wie eine riesige Blase über sich hochgetrieben hatte.
An dem Ankertau der „Esperanza“ kletterte Fritz Meyer nun zu Gambri hinunter. Dem Neger ging es bereits wieder so gut, daß er trotz der bösen Püffe nachher allein nach oben gelangte, ohne jede fremde Hilfe.
Fritz Meyer hatte sich in dem Krater sehr gut umgesehen und so auch festgestellt, daß nach Süden zu sich ins Erdinnere ein breiter Gang erstreckte. – Auf diese Weise wurde das Versteck für den Schatz gefunden, der dann in einer Spalte des Kraterinnern verwahrt und mit Lavastücken sorgfältig und unauffällig bedeckt wurde. An demselben Tage, genau am 2. Dezember 1914, untersuchten Hagen und Jürgensen auf eine weite Strecke hin den Felsengang, der offenbar unter dem Meere auf das Festland zulief. Es war nicht lediglich ein Gang, nein, hier und da erweiterte er sich zu großen Höhlen von zauberhafter Schönheit.
Gerade als die beiden unterirdischen Forscher wieder ans Tageslicht zurückkehren wollten, vernahmen sie von oben die Stimme Friedrich Pinnows, der ihnen in heller Aufregung zurief, daß ein englischer Kreuzer soeben Boote aussetze und offenbar Matrosen nach der Insel hinüberschicken wolle.
Hagen befahl sofort, die Waffen und den vorhandenen Konservenvorrat sowie das stets bereitstehende Trinkwasserfäßchen in den Krater zu schaffen. Kaum war dies erledigt, als man auch schon die lauten Rufe der Engländer vernahm, die die Insel durchstreiften.
Mit klopfenden Herzen standen und saßen die fünf Flüchtlinge auf dem Boden des Kraters und warteten die weitere Entwicklung der Dinge ab. Über ihnen fiel das Tageslicht in schwacher Helle durch die Löcher in der Lavadecke in diese Dunkelheit hinein, ohne sie jedoch meistern zu können.
Dann Stimmen. Und nun schoben sich zwei Köpfe über den Rand der größten Öffnung hinweg. Deutlich war alles zu verstehen, was die Engländer sprachen. Sie hatten die Hütte mit dem noch warmen Herde entdeckt und wußten daher, daß Leute bei ihrem Nahen geflohen waren und sich verborgen hielten. Ein Offizier oben befahl, von dem Kreuzer Taue und Laternen zu holen.
Es kam anders. Immer weiter drängten die Engländer die Flüchtlinge ins Innere der Erde hinab, in Hallen und Dome, die sicher noch keines Menschen Fuß betreten hatte. Dann merkten unsere Abenteurer, daß der Boden der Gänge und endlosen Hohlräume wieder anstieg. Zwei Stunden hatte diese Jagd nun schon gedauert. Der Feind, geführt von einem Offizier, blieb hartnäckig hinter ihnen, verlor aber viel Zeit mit dem Absuchen kleinerer Nebengrotten.
Dann fielen mit einem Male von der Seite Lichtstrahlen in das Dunkel dieser unterirdischen Welt hinein. Mehrere außen mit Gebüsch bewachsene Spalten führten ins Freie. Unsere Helden drängten sich aufatmend durch das Astgewirr hindurch und standen auf einem breiten Felsengrat über einer tiefen Schlucht. Zur Rechten rauschte das Meer … Sie befanden sich auf dem Festlande, auf spanischem Gebiet …!!
Eilig hasteten sie weiter, verloren sich in der Einöde des Höhenzuges, der nördlich der Stadt Bilbao sich parallel zur Küste als Vorläufer des Asturisch-Kalabrischen Gebirges hinzieht.
In kluger Voraussicht trug jeder der Flüchtlinge eine gewisse Menge Gold bei sich. Und dieses Gold ebnete ihnen dann die Wege. Sie trafen bald auf ein kleines Bauerngehöft, dessen Besitzer, offenbar ein früherer Schmuggler und ein sehr gerissener Bursche, sie gegen gute Bezahlung freundlich bei sich aufnahm. Er war sogar überglücklich, als er noch fünf Gewehre nebst Munition geschenkt erhielt, besorgte den Flüchtlingen gute Pässe und empfahl sie an einen Freund in Saragossa, wo sie, mit der Eisenbahn zumeist im Tale des Ebro entlang fahrend, wohlbehalten eintrafen, um dann die Reise nach Barcelona an der Küste des Mittelländischen Meeres fortzusetzen. Zeigten sich irgendwo Schwierigkeiten, so wurden sie schnell beseitigt. Auch spanische Beamte sind für einen „harten“ Händedruck durchaus empfänglich.
In Barcelona mieteten sie eine kleine Jacht, die sie zunächst nach Palma, der Hauptstadt der größten Insel der Balearen, Mallorka, brachte. Hier, wo die Kontrolle der Reisenden sehr lau gehandhabt wurde, schmuggelten sie sich auf einen italienischen Dampfer, der ohne Frage eine Ladung im Raume hatte, die nicht ganz einwandfrei war. Jedenfalls vermied der „Cesar Borgia“ – welch’ großer Name für einen so verwahrlosten Kasten! – ängstlich jede Begegnung mit englischen und französischen Schiffen, fuhr nachts mit abgeblendeten Lichtern und lief auch bei Dunkelheit in den Hafen von Genua ein.
Italienischer Boden – die Freiheit!! Und weiter ging’s nun über die Alpen der Heimat zu … Die erste bayrische Station: Deutschland!! Da drängten sich am Fenster eines Abteils zweiter fünf Männer zusammen und brüllten Hurra …, – brüllten, um ihrem übervollen Herzen Luft zu machen.
Ein U-Boot holte den Schatz später von der Insel ab.
Die Millionen aus dem Wambari-Lande, aus Französisch-Senegambien, wanderten in die deutsche Reichsbank und halfen siegen, ebenso wie unsere vier Deutschen schleunigst in die Armee sich einreihen ließen. Nur Gambri wies man ab. Farbige benutzt das Deutsche Reich nicht in diesem Ringen um seine Existenz. Das überläßt es den „kultivierteren“ Entente-Herrschaften gerne. So mußte denn der Fanti, um wenigstens indirekt mitzukämpfen, in eine Munitionsfabrik eintreten.
Jede Granate, die er auf der Drehbank glättete, begleitete er mit dem frommen Wunsche:
„Friß Engländer, so viel du kannst!!“
Ende.
Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.
Anmerkung des Verlages:
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