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Im unerforschten Lande

 

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1920 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H. Berlin.

 

Im unerforschten Lande.

 

W. Belka.

 

Der große Motorkutter, der den deutschen Auswanderern bis zur Mündung des Belong-Flusses das Geleit gegeben hatte, verschwand am nördlichen Horizont.

Es war elf Uhr vormittags. Auf dem Deck des alten Schoners, den der Führer der Auswanderer, ein Drechslermeister namens Hubrich, in dem niederländischen Hafen Dorei an der Nordostküste der Insel Neuguinea für die Zwecke der Kolonisten billig erstanden hatte, – also auf dem Deck des „Hoffnung“ getauften Schoners waren die elf Mitglieder des Trupps vollzählig um Gottlieb Hubrich versammelt.

Er hielt eine kurze Ansprache, deutete auf die Flußmündung und fuhr fort: „Ihr alle habt’s gehört, meine Freunde. Der holländische Kolonialbeamte hat uns freigestellt, uns am Ufer dieses Flusses dort niederzulassen, wo es uns gefällt, und uns so viel Land für die neue Kolonie anzueignen, als wir brauchen. Fürwahr – das nenn’ ich eine großzügige Behandlung der Frage der Landverteilung! Nun – wir befinden uns ja auch in Neuguinea, in Niederländisch-Neuguinea, das bisher von europäischer Kultur so gut wie nichts gesehen hat und das gut zur Hälfte noch eine Terra inkognita ist, wie der Lateiner sagt, – ein unbekanntes Land! – Vorwärts, Freunde, – wieder hoch mit den Segeln! Hinein in die Mündung jenes Flusses, der Belong heißen soll, wie der Holländer erklärte! Suchen wir nach dem Platze, der uns für die Gründung von Neudeutschland am geeignetsten scheint!“

Unter den elf Personen befanden sich auch zwei Seeleute von Beruf, ein früherer Steuermann der Handelsmarine und ein Maschinist eines Torpedobootes. Sie führten den Schoner sicher durch das breite, vielarmige Mündungsgebiet bis in den Hauptstrom hinein. Hier, wo jeder Lufthauch vom Meere her durch die dichten Urwälder abgesperrt wurde, hätten dem Schoner seine Segel nichts mehr genützt. Aber er besaß einen winzig kleinen Heckmotor, so ein Ding aus den ersten Zeiten des Schiffsmotorenbaus, und mit Hilfe dieses „Benzinstänkers“, wie Steuermann Olfer die kleine Maschine nur nannte, schlich die Hoffnung nun in einem wahren Schneckentempo stromaufwärts.

Der Fluß war hier stellenweise seine 200 Meter breit. Die Hauptströmung verlief sehr unregelmäßig. Bald war sie in der Mitte, bald an diesem oder jenem Ufer an der gekräuselten Wasseroberfläche zu erkennen. Tropische Urwälder von einer Höhe und einer Farbenpracht des Unterholzes, wie die Deutschen dies nie vermutet, begleiteten den Strom wie endlose, bunte Mauern. Vogelschwärme strichen über den Fluß hin, darunter sehr zahlreiche Papageien, Tauben aller Arten und die auf Neuguinea und die Nachbarinseln beschränkten Paradiesvögel.

Steuermann Fritz Olfer stand jetzt vorn auf der Spitze des Schoners und beobachtete das Fahrwasser, um dem Maschinisten Kulicke rechtzeitig zuzurufen, wenn ein treibender Urwaldriese auftauchte! Neben ihm lehnte an der Reling der eben erst fünfzehn Jahre gewordene einzige Sohn Karl des unternehmungslustigen Drechslermeisters Hubrich. – Nun, Karl Hubrich hatte neben anderen Charaktereigentümlichkeiten auch diesen Sinn für alles Abenteuerliche von seinem Vater geerbt. Und mit Jubel hatte er damals vor vier Monaten in Deutschland die Mitteilung begrüßt, daß der Vater nun noch zwei andere Familien für seine Auswandererpläne gewonnen hätte und daß die ganze Sache auch bereits soweit gediehen wäre, um an die baldige Abreise denken zu können.

Olfer sagte jetzt zu Karl, mit dem er sich sehr schnell angefreundet hatte:

„Junge, mit diesem Fluß muß es eine ganz besondere Bewandtnis haben. Der niederländische Beamte aus Dorei legte mir so warm ans Herz, mir doch ja Aufzeichnungen über den Flußlauf, die Länge der Krümmungen und der Schleifen und so weiter zu machen. Ich glaube, er hat uns irgend etwas verheimlicht, was nicht ganz ungefährlich ist. Schon seine großartige Erlaubnis: „Nehmt so viel Land, wie und wo Ihr wollt!“ ließ mich stutzig werden. – Nun – warten wir ab. Vielleicht habe ich mich auch getäuscht.“

Karl Hubrich lachte jetzt laut auf und zeigte auf den Magistratsbureauoberassistenten a. D. Würmle, der mit einem Schmetterlingsnetz soeben einen geradezu riesigen Falter von grellgrüner Farbe mit roten Punkten erwischt hatte und nun freudestrahlend seine Beute seiner blassen, schwächlichen Frau und seinem dreizehnjährigen Töchterchen brachte, die unter dem Sonnensegel des Achterdecks saßen.

Das heißt: Tobias Würmle wollte den Seinen den Prachtschmetterling vorweisen. Wollte! Er hatte nämlich nicht mit den Tücken mancher Arten tropischer Insekten gerechnet, die in der deutschen Heimat nur in ganz harmlosen Exemplaren vertreten sind! – Kurz, der sogenannte Vipernfalter rächte sich an seinem Fänger dadurch, daß er durch das Netz hindurch und Herrn Tobias mit dem am Hinterleibe befindlichen Giftstachel in den Handrücken stach. Würmle kreischte auf, ließ das Netz fallen, und – der stachelbewehrte Riesenfalter entschlüpfte, während der arme Magistratsbureauoberassistent a. D. an Deck einen förmlichen Veitstanz aufführte und dabei die Stichwunde stets aufs neue aussog.

Karl Hubrich lachte. – Und mit Recht! Würmle, der hüpfende Würmle, sah auch zu komisch aus.

Da kam plötzlich Dorchen Würmle mit zornglühendem Gesicht auf Karl zugelaufen und rief nun, dicht vor ihm stehen bleibend: „Du – Du bist ein garstiger, frecher Junge! Ich spreche nie wieder mit Dir! Mein Vater hat Schmerzen, und Du – Du lachst ihn aus!“

Karl wurde sofort ernst, murmelte verlegen:

„Aber – aber – es sah doch wirklich so – ulkig aus!“

Sie hatte schon kehrt gemacht und eilte zu ihren Eltern zurück. Würmles Hand schwoll stark an, war schließlich nur noch ein unförmiger Klumpen. Inzwischen hatte er in seiner „Schmetterlingskunde“ über den Vipernfalter nachgelesen und die Bemerkung gefunden, daß der Stich nie lebensgefährlich, wenn auch äußerst schmerzhaft sei.

Der Schoner glitt weiter und weiter. Kleine Inseln erschienen im Stromlauf. Und gegen zwei Uhr nachmittags, gerade als Frau Hubrich, die in der Schiffsküche kommandierte, die Fertigstellung der Mittagsmahlzeit meldete, erreichte das kleine, etwa 15 Meter lange Fahrzeug eine seeartige Erweiterung des Flusses, die zumeist von übermannshohem Röhricht so dicht bedeckt war, daß man sich hier kaum hätte zurechtfinden können, wenn nicht stellenweise in diesen riesigen Stengeln schmale Fahrstraßen offenbar von Menschenhand ausgehauen gewesen wären.

Steuermann Olfer, der doch bereits als Seemann ein gutes Stück der Mutter Erde kennengelernt hatte, schüttelte jetzt bedenklich den Kopf und meinte zu Meister Hubrich, der sich ihm gleichfalls zugesellt hatte: „Ich fürchte fast, daß hier irgendwo in der Nähe die Hauptstadt eines jener Sultanate Neuguineas liegt, von denen englische Forschungsreisende schon mancherlei berichtet haben. Sie wissen ja, Meister: mit der sogenannten Herrschaft der Holländer über die Westhälfte dieser drittgrößten Insel der Welt ist es nicht weit her. Der eigentliche Herr ist der Sultan von Tidore, der sich den Teufel was um die Holländer schert. Und neben diesem Sultan soll’s im Innern noch andere derartige selbständige Sultanate oder Fürstentümer geben, von denen eines sogar einen Europäer zum Regenten haben soll. Vielleicht hat der niederländische Kolonialbeamte uns nur deshalb den Belong-Fluß zur Auswahl des Landgebietes empfohlen, weil –“

Er unterbrach sich, rief dann: „Da – merkwürdig, da vor uns gibt’s eine recht breite Rinne offenes Wasser! Ah – und sehen Sie, Meister Hubrich, eine wie starke Strömung dort dahinschießt. – Sehen Sie nur – unser Schoner spürt die Kraft der jagenden Wasser bereits. Aber – am seltsamsten! – diese Strömung geht nach[1] Osten – also stromaufwärts – gegen den Lauf des Belong! Mithin muß sie zu einem anderen Fluß gehören, oder –“

Abermals schwieg er. Der Schoner hatte mit der Backbordwand hart ein paar Felsen gestreift.

„Wahrhaftig!“ schrie Olfer nun. „Hier – hier müssen sich zwei Ströme in diesem großen See begegnen, – der Belong und ein anderer Fluß! Und – wir – wir sind in – den anderen hineingeraten.“

Der Schoner schoß sehr bald mit einer geradezu beängstigenden Schnelligkeit dahin. Dann traten die Röhrichtfelder zurück. Dann erblickten die Auswanderer vor sich einen Urwaldstreifen, in dem eine breite Lücke die Aussicht auf eine in zahllosen Terrassen sich abwärts senkende, grüne Landschaft freigab. Und in dieser Lücke zog sich als silbernes Band der in ebenso zahllosen Stromschnellen und Wasserfällen in die Tiefebene hinabschießende Fluß hin, auf dem die Hoffnung jetzt mit Windeseile entlangglitt – dem Verderben entgegen, das auf sie bereits in Gestalt des ersten Wasserfalles lauerte.

Noch war dieser und der Urwald einige 500 Meter entfernt.

„Hinab mit dem Anker!“ rief Olfer. „Schnell – zögert keine Sekunde! – Und Du, Kulicke,“ wandte er sich an den Maschinisten, „laß die Schraube des Benzinstänkers rückwärts schlagen! Es geht um unser Leben! Die Wasserfälle dort drüben, deren Donnergetöse schon bis zu uns herüberklingt, dürften unseren Schoner zu Brennholz zerschlagen und uns allen – ein Begräbnis ersparen –“

Die Ankerkette, ebenso alt wie das Fahrzeug selbst, hielt den gierigen, zerrenden Armen der Strömung jedoch keine fünf Minuten stand.

In demselben Augenblick, als sie mit einem klingenden Tone zerriß, brüllte Karl Hubrich:

„Dort – dort kommt ein kleiner Nachen getrieben! Ein Mann liegt darin! Er hebt den Kopf. Es ist ein Weißer, und – er ist gefesselt –“

Plötzlich sprang der Junge nach der anderen Seite der Reling, wo eine starke Hanfleine mit einem eisernen Doppelhaken an einem Ende aufgerollt dalag. Im Nu hatte er sie hochgerissen, schwang sie wie einen Lasso in der Luft, schleuderte das eine Ende nun nach dem Nachen hin, der gerade an dem Schoner vorbeiglitt.

„Bravo!“ rief Olfer. „Gut gemacht! Der Haken hat gepackt!“ Und er half Karl nun, die Leine an einem der Wantenpflöcke zu befestigen und das kleine Boot langsam an den Schoner heranzuziehen.

Gleich darauf befand sich der Gefesselte, jetzt aller Bande ledig, auf Deck. Kaum hatte er nun einen Blick in die Runde geworfen, als er auch schon in gebrochenem Deutsch rief:

„Dort links vor uns macht die Strömung eine kurze Biegung. Dort gibt es einen sogenannten toten Winkel mit ruhigem Wasser. Erreichen wir ihn, sind wir gerettet. – Hinüber also mit dem Schiff nach links. Das Steuer nach Backbord ganz herum. Und – laßt die Schraube arbeiten, damit der Schoner die Strömung überholt und dem Steuer gehorcht –“

Alle merkten, daß dieser Fremde hier sehr gut Bescheid wußte. Man befolgte seine Befehle.

Dann kamen die kritischen Sekunden. Würde es gelingen, den Schoner nach links in den toten Winkel zu drücken?

Und – es glückte.

Die Hoffnung glitt in einen etwa vierzig Meter breiten, nach Osten zu verlaufenden Nebenarm des Flusses hinein und dann abermals zwischen Urwaldmauern weiter.

– – – – – – – –

Die Gefahr war vorüber. – Der Fremde, der in einen gelben, stark beschmutzten Leinenanzug gekleidet war und einen schwarzen Spitzbart trug, verbeugte sich jetzt vor Olfer und sagte laut:

„Ich danke Ihnen. Sie und jener wackere Knabe dort haben mir das Leben gerettet. Ich war dazu verurteilt worden, in den Wasserfällen umzukommen, und ich wäre verloren gewesen, wenn Sie mir nicht geholfen hätten. – Sie sollen sofort erfahren, wer ich bin. Ich stamme aus Spanien, heiße Graf Ramiro della Saglia und verließ vor fünf Jahren meine Heimat, um meinen Namen durch eine kühne Forschungsreise bekannt zu machen. Mein Geschlecht ist verarmt, und ich hoffte, durch eine Durchquerung Neuguineas von Nordwest nach Südost eine Professur an der Universität Barcelona zu erhalten. Ich plante also etwa dasselbe, was vor mir unter anderen auch Ihr Landsmann Ehlers sich vorgenommen hatte, der hierbei jedoch mit den meisten seiner Begleiter umkam. Nun – auch mir war das Glück nicht hold. Nachdem ich mit meinen drei malaiischen Dienern im Frühjahr 1914 von dem kleinen Küstenort Wisaru an der Geelvink-Bai aufgebrochen und eine Woche lang durch eine furchtbare Wildnis marschiert war, wurden wir überfallen und nach der Residenz des Sultans Timakowa geschleppt, wo ich dann wie ein Verbrecher gefangen gehalten wurde. Vielleicht haben Sie schon gehört oder gelesen, daß es im Innern Neuguineas ein Fürstentum gibt, dessen aus einer Mischrasse von Papuas und Malaien bestehende Bevölkerung von einem weißen Sultan beherrscht wird, über den recht seltsame Dinge erzählt werden. Ich habe diesen Mann, der sich Timakowa nennt, nie zu Gesicht bekommen, weiß daher auch heute noch nicht, weshalb er sich mir gegenüber so feindselig gezeigt hat und weshalb mir meine Aufseher, die mich abwechselnd in meinem Kerker bewachten, vor einer Woche ganz unvermittelt eröffneten, der Sultan habe mich zum Tode verurteilt. Ich hatte nichts getan, was seinen Zorn reizen konnte, und ich kann nur annehmen, daß ich das Opfer irgend einer heimtückischen Verleumdung geworden bin. Jedenfalls wurde ich vor fünf Tagen dann in einem großen, von 12 Mann geruderten Boote, dem ein kleinerer Nachen angehängt war, nach dem dort hinter uns liegenden See gebracht und vor einer Stunde etwa in dem Nachen gefesselt der Strömung überlassen. Die Leute, die mich hierher geschafft haben, sind auf dem Wasserwege sofort wieder nach der Residenz des Sultans zurückgekehrt, die etwa fünf Tagereisen weit nach Südwesten zu an den Nordabhängen des Charles Louis-Gebirges liegt und zwar inmitten einer geradezu paradiesisch schönen Landschaft. – So, das wären in Kürze meine Schicksale. – Ich gehe nun wohl nicht fehl, wenn ich annehme, in Ihnen deutsche Auswanderer vor mir zu haben. Wenn Sie gestatten, schließe ich mich Ihnen zunächst an, denn vorläufig könnte ich ja doch kaum in kultivierte Gegenden zurückkehren. Ich will es auch aus dem Grunde nicht, weil ich ehrgeizig und furchtlos genug bin, persönlich nachprüfen zu wollen, ob all das, was man über den geheimnisvollen Sultan Timakowa erzählt, wirklich den Tatsachen entspricht. Ich werde mich als malaiischer Händler verkleidet später nochmals in seine Residenz hineinwagen, und ich müßte schon ganz besonders Pech haben, wenn mir mein Plan nicht gelingen sollte.“

Meister Hubrich reichte dem Grafen nun die Hand.

„Ich heiße Sie herzlich gern als neues Mitglied unseres kleinen Kreises willkommen,“ sagte er. „Ich muß Sie aber darauf aufmerksam machen, daß man mich zum Oberhaupt der neuen Kolonie, die erst entstehen soll, erwählt hat und daß ich von jedermann Treue und Gehorsam erwarte, der mit zu uns gehört.“

„Gut – ich gelobe beides!“ meinte der Spanier mit offenem Blick. „Sie sollen in mir einen braven Gefährten gefunden haben, der Ihnen insofern nützlich sein kann, als er ja dieses Land einigermaßen kennt. Ich will Ihnen nämlich auch das letzte anvertrauen: Gewiß, ich war fast fünf volle Jahre eingekerkert, aber nicht so streng, daß es mir nicht möglich gewesen wäre, öfter längere Ausflüge in die Umgebung der Residenz zu unternehmen. Einige Male bin ich sogar zwei Wochen, begleitet von zwei mir treu ergebenen Papuas, unterwegs gewesen. Diese Exkursionen, die in aller Heimlichkeit geschahen und die mich auch bis zu dem von Röhricht so dicht bewachsenen See dort geführt haben, hätte ich leicht zu einem Fluchtversuch benutzen können. Aber ich durfte nicht fliehen, denn ich hatte es derjenigen, die mir diese Erleichterungen meiner Haft verschafft hatte, fest versprochen, stets wieder nach Lambrosa, so heißt die Residenz des weißen Sultans, zurückzukehren. Es war ein Mädchen, die sich dergestalt meiner angenommen hatte, eine so hellhäutige Eingeborene, daß man sie für eine Europäerin halten konnte. Sie hatte mich aus der Ferne gesehen und sich in mich verliebt. Ich will ehrlich zugeben: auch ich liebe dieses schöne Mädchen, das die Tochter eines sehr einflußreichen Mannes ist. Und gerade ihretwegen will ich auch nochmals nach Lambrosa zurück. – So, nun wissen Sie alles, meine deutschen Gefährten, und jetzt rate ich Ihnen, diesem Seitenarm des gefährlichen Stromes nach Südosten zu folgen, wo wir bald in einen langgestreckten, von Urwald umgebenen See gelangen werden, dessen südlichster Uferwinkel sich meines Erachtens vorzüglich zur Gründung einer Niederlassung eignet, weil gerade dort in den Urwäldern eine weite, fruchtbare Lichtung sich öffnet und weil Sie dort alles finden werden, was für eine Kolonie irgend von Nutzen sein kann.“

Nach längerer Aussprache wurde der Vorschlag des Grafen aufgenommen, und getrieben von dem kleinen Motor setzte der Schoner alsbald seine Fahrt in das unbekannte Land weiter fort.

Erst am folgenden Morgen gelangte man in den etwa 500 Meter breiten, aber gut drei Meilen langen See, in dem sich zahlreiche kahle Felsinseln erhoben. Mittags wieder legte die Hoffnung am Ufer dieses ausgedehnten Wasserbeckens an, dessen stellenweise felsige und zu hohen Hügeln sich auftürmende Strandpartien mit ihrem aus Urwaldkulissen bestehenden Hintergrunde ein reizvolles und romantisches Landschaftsbild abgaben.

Bisher haben wir von der aus elf Köpfen bestehenden Auswandererschar außer den Hubrichs noch die ebenfalls drei Personen starke Familie Würmle, den Steuermann Olfer und den Maschinisten Kulicke kennengelernt. Die dritte Familie, die des verwitweten Glasermeisters Bermki, setzte sich aus diesem selbst und seinen beiden erwachsenen Kindern Herbert und Josefine, stets Finchen genannt, zusammen. Nun war noch, um das Dutzend voll zu machen, der Spanier hinzugekommen.

Kaum hatte man den Schoner verankert, als Meister Hubrich auch sofort die fünf Junggesellen, seinen Sohn Karl mit eingerechnet, zum Holzfällen ausschickte, damit man mit dem Bau einer Landungsbrücke beginnen könnte. So lange, bis die Gebäude fertig waren, wollte man auf dem Schoner wohnen. Dies bot ja auch den großen Vorteil, daß man vor Überfällen sicher war, denn der Graf hatte warnend hervorgehoben, man müßte in erster Zeit wohl mit Belästigungen durch die umwohnenden Eingeborenen rechnen, bis man sich mit diesen einigermaßen durch Geschenke angefreundet hätte.

Während nun also die unverheirateten Ansiedler in dem zu dem Schoner gehörigen großen Boote nach der nächsten Urwaldecke hinüberruderten (der Bequemlichkeit halber sollten die Stämme geflößt werden), schulterte Hubrich, Würmle und Bermki ihre doppelläufigen Flinten und drangen in die von hohem Grase und einzelnen Gebüschstreifen bestandene Lichtung[2] ein gutes Stück ein, um sich hier näher umzusehen. Sie erkannten bald, daß der Graf ihnen mit Recht diesen Platz zur Niederlassung empfohlen hatte. Von einem fernen, den Hintergrund der weiten Waldblöße bildenden Höhenzuge kam mit starkem Gefälle ein klarer Bach herab, der unweit des Ankerplatzes der Hoffnung in den See mündete. Etwa zweihundert Meter vom Seeufer entfernt durchfloß dieser Bach ein flaches, feuchtes Gelände, auf dem in tropischer Üppigkeit all die Nutzpflanzen wild vorkamen, die auf Neuguinea plantagenmäßig gezogen werden: Kokospalmen, Sagopalmen, Brotfruchtbäume, Kaffee- Kautschuk- und Kapokbäume, ferner eine Menge stärkeführende Knollengewächse. Gerade dieser so außerordentlich fruchtbare Geländestreifen war der reine Garten Eden. Man brauchte hier nur zu ernten, ohne gesät zu haben. Meister Hubrich war denn auch hocherfreut über diesen Reichtum, den die Pflanzenwelt hier mühelos spendete, und immer wieder ließ er sich von Würmle, der ein Buch über tropische Nutzpflanzen mitgenommen hatte, über diesen und jenen Baum oder Strauch näher aufklären.

So waren die drei Männer etwa eine Stunde kreuz und quer durch die Lichtung gestreift, als der Wind ihnen von jener Urwaldecke, wo die fünf Junggesellen dünnere Stämme hatten fällen sollen, den Schall von Schüssen zutrug. Hubrich war sofort stark beunruhigt, während der Herr Magistratsbureauoberassistent a. D., überhaupt ein rechter Hasenfuß, mit bleichem Gesicht rief: „Die Papuas werden sie töten und uns auch! Schnell nach dem Schoner, und dann laden wir das alte Schiffsgeschütz bis an den Rand mit –“

Glasermeister Bermki, ein sehr langer, dürrer Mann mit graublondem Vollbart, machte nie viel Worte, setzte sich jetzt in Trab und eilte der Stelle zu, wo die fünf Gefährten vielleicht wirklich von Eingeborenen angegriffen worden waren. Hubrich hielt sich dicht hinter ihm. Würmle aber blieb immer weiter zurück, indem er dauernd zeterte, es sei ein unverantwortlicher Leichtsinn, die Frauen auf dem Schoner ohne Schutz zu lassen. Doch die beiden anderen hörten nicht auf ihn. Nachdem sie gut fünf Minuten in einem Tempo, das für ihre gesunden Lungen sprach, durch das hohe Gras dahingelaufen waren und nur einige Male sich etwas ausgeruht hatten, gelangten sie unter die ersten Bäume des Urwaldrandes und konnten nun auch von einem Hügel aus das nahe Seeufer überblicken. Zu ihrer Erleichterung bemerkten sie nun sofort drei von den Holzfällern, die gerade mehrere schlanke Palmenstämme im Wasser zu einem Floß vereinigten. Gleich darauf erhielten sie auch eine recht harmlose Aufklärung über die vier Schüsse. Ein Rudel von Wildschweinen einer sehr großen Art war vor den fünf Gefährten plötzlich aufgetaucht, und diese hatten nicht gezögert, drei von den Tieren zu erlegen, damit die Kolonisten frisches Fleisch erhielten, das sich auch einsalzen ließ.

Als Würmle nun gleichfalls am Seeufer erschien, sagte Bermki ihm, die Holzfäller hätten drei Papuas erschossen und führte ihn dann in das Gebüsch, wo das Wild von den glücklichen Jägern vorläufig niedergelegt worden war. Das gab natürlich ein lautes Gelächter, als Würmle die „toten Feinde“ erblickte und dann wütend Meister Bermki anfuhr, ihn nicht nochmals so zum Narren zu halten! Er verstünde keinen Spaß, und er würde schon zeigen, daß er kein Feigling wäre. –

– – – – – – – –

Zwischen dem Grafen und Karl hatte sich nämlich sehr schnell eine recht herzliche Freundschaft entwickelt. Der frische, aufgeweckte Knabe fühlte sich mit Recht zu dem kühnen, unternehmungslustigen und dabei allseitig gebildeten Spanier hingezogen, der ebenfalls bei den anderen Mitgliedern der kleinen Kolonie in kurzem überaus beliebt geworden war. Meister Hubrich hatte gegen diese Freundschaft nichts einzuwenden, da er als guter Menschenkenner den Grafen längst als einen tadellosen, wenn auch etwas abenteuerlichen Charakter erkannt hatte.

Graf Ramiro war fraglos der beste Schütze und auch der erfahrenste Jäger unter den Ansiedlern. So wurde ihm denn mit vollem Recht die Versorgung der Kolonie mit frischem Wildbret übertragen, und er wieder war es, der sich Karl als Begleiter auswählte. Die beiden hatten in den letzten Tagen ziemlich regelmäßig morgens und abends kürzere Jagdstreifen unternommen. Dann hatte der Graf eines Morgens, als er und Karl ganz besonders früh aufgebrochen waren, seinem jungen Freunde unterwegs so allerlei von einem geheimnisvollen Flusse erzählt, der unterirdisch durch steile, unzugängliche Berge in ein meilenweites, geradezu zauberhaft schönes und märchenhaft sichtbares Tal sich ergießen solle, und hatte diesen Angaben hinzugefügt: „Ich vermute diesen Fluß nun hier ganz in unserer Nähe, mein Junge. Wenigstens muß er sich nach den Schilderungen jenes Mädchens, dessen Liebe ich meine teilweise Freiheit während der Jahre meiner Gefangenschaft verdanke, hier in dieser Gegend befinden. Deshalb möchte ich heute einmal nach Norden zu bis zum Fuße jener Berge vordringen, die unsere riesige Waldlichtung dort begrenzen.“

So kam es, daß die beiden Freunde eiliger als sonst dahinschritten und daß sie dann nach gut zweistündigem Marsch die ersten Felsen des terrassenförmig sich auftürmenden Höhenzuges erreichten.

Graf Ramiro blieb stehen und holte sein Fernglas hervor, das mit zu der Gesamtausrüstung der Kolonisten gehörte.

„Erklettern wir jenen Hügel, mein Junge,“ sagte er in seiner kurzen, bestimmten Art. „Von dort müssen wir das infolge der vielen Baum- und Strauchinseln so unübersichtliche Gelände am besten überblicken können.“

Kaum hatten sie die flache Spitze der steilen Anhöhe erstiegen, kaum hatte Karl einen Blick nach Westen geworfen, als er auch schon rief: „Da – da drüben tritt aus dem Urwaldgrün das Silberband eines Flusses hervor. Und dort verschwindet es in einem riesigen Felsentor im Innern des Höhenzuges! Meine guten Augen lassen mich all das auch ohne Fernglas erkennen.“

Der Graf richtete das Glas dorthin, setzte es nun wieder ab. Sein dunkelgebräuntes Gesicht war bleich geworden und zeigte alle Spuren einer hochgradigen Erregung.

„Kein Zweifel – es ist der unterirdische Fluß!“ rief er. „Vorwärts – hin zu dem Schlund, in dem er verschwindet! Überzeugen wir uns, ob man diesen seltsamen Wasserlauf nicht mit einem Boote befahren kann.“

Eine halbe Stunde darauf standen die beiden Gefährten neben dem natürlichen Felsentor, in das der Fluß hineinströmte. Es war dies eine Öffnung in einer langen, hohen Felswand von etwa vierzig Meter Breite. Über dem Wasserspiegel des mit starkem Gefälle dahineilenden Flusses gab es noch eine freie Wölbung von durchschnittlich vier Meter Höhe. Wie tief der Tunnel eigentlich war, ließ sich mit den Augen nicht feststellen, da das Wasser sehr trübe und lehmig war.

Auch jetzt deutete des Grafen ganzes Verhalten auf eine so große, innere Erregung hin, daß Karl sich nicht enthalten konnte, ihn etwas erstaunt zu fragen:

„Don Ramiro, erscheint Ihnen die Entdeckung dieses Flusses denn wirklich so wichtig, daß Sie Ihrer Aufregung kaum Herr werden können?! Ich kenne Sie kaum wieder! Sie, der so leicht durch nichts aus seiner Ruhe zu bringen ist, – Sie haben jetzt –“

Da unterbrach ihn der Spanier, indem er ihn mit sich fort zog:

„Kehren wir zurück nach der Niederlassung, mein Junge. Du wirst vielleicht sehr bald erfahren, weshalb ich meine Nerven beim Anblick dieses in den Felsenbergen untertauchenden Flusses so schlecht in der Gewalt habe. Wisse schon jetzt: das Geheimnis dieses unterirdischen Stromes beruht nicht lediglich in jenem sagenhaften, paradiesischen Tale, das er nachher durchströmen soll. Nein – wem es gelingt, jenes Tal zu erreichen, in das man eben nur mit Hilfe des Flusses eindringen kann, der ist – Herr aller Schätze dieser Erde! – Frage jetzt nicht weiter! Eilen wir! Denn, so wahr ich Graf Ramiro della Saglia bin: schon morgen werde ich versuchen, allen Gefahren zum Trotz das Wunderland zu durchforschen, von dem mir bereits in meiner Heimat durch einen merkwürdigen Zufall Kunde wurde.“

In der Niederlassung rief der Graf dann die sämtlichen Mitglieder von Neudeutschland (so hatte man die Kolonie, wie längst beabsichtigt, auch wirklich getauft) zusammen und gab ihnen über jenen Fluß denselben Aufschluß, wie er dies Karl gegenüber getan hatte. – Nun – die Aufnahme dieser Neuigkeit von seiten der Ansiedler war zunächst recht kühl. Meister Hubrich als Gemeindeoberhaupt erklärte, die Sache sei ja gewiß ganz interessant, aber – irgend einen Nutzen hätte man davon doch wohl kaum. Hier sei es so schön, daß er gar nicht daran denke, etwa nochmals umzuziehen. Bei dem ewigen Wechseln des Niederlassungsortes käme sicher nichts heraus.

Ramiro lächelte liebenswürdig. „Meister, Sie übertreiben etwas stark,“ sagte er ganz heiter. „Von „ewigem Wechseln“ kann keine Rede sein. Auch ich beabsichtige nicht, diesen Platz hier gegen einen anderen zu vertauschen. Nein! Sie verstehen mich nicht ganz, können mich auch nicht verstehen, wie ich zugebe. – Bitte, setzen wir uns alle hier ins Gras. Und dann hören Sie die Ergänzung meiner Lebensschicksale, von denen ich Ihnen erst die Hälfte mitgeteilt habe. – Sie alle werden wissen, daß Spanien einst ebenso wie Teile von Südfrankreich unter der Herrschaft der Mauren, das heißt der Nachkömmlinge jener eroberungslustigen Anhänger des Religionsbegründers Mohammed gestanden hat, nach dem sich noch heute die Bekenner des Islam Mohammedaner nennen. Das schöne Bauwerk aus der Zeit der Maurenherrschaft in Spanien ist nun das riesige Schloß von Granada, ein Prunkbau mit unzähligen Sälen, Gemächern und Höfen, mit köstlichen Springbrunnen, mit wundervoll getäfelten Wänden und Decken und zahlreichen geheimen Gelassen und Gängen von denen viele lediglich durch einen Zufall entdeckt wurden. – Vor acht Jahren führte mich meine ausgesprochene Liebhaberei für das alte Schloß Granada an einem Maitage wieder dorthin. Es war stürmisches, regnerisches Wetter, und daher hatten nicht wie sonst Scharen von Touristen die prächtigen Säle angefüllt, sondern überall herrschte tiefste Ruhe und Stille. Nur die wenigen Aufseher, denen ich gut bekannt war, gingen träge hin und her. Ich durchwanderte die uralte Burg und ergötzte mich abermals an all ihren Schönheiten, die meine romantisch veranlagte Seele bald in eine träumerische Stimmung versetzten[3]. So gelangte ich auch in einen Nebenraum des sogenannten Moscheesaales, stellte mich hier an eines der Fenster und genoß die entzückende Fernsicht auf das nahe Gebirge. Wie ich noch so dastand und an jene Zeiten zurückdachte, als in diesen Sälen die phantastisch gekleideten Gestalten der maurischen Großen dahingewandelt waren, hörte ich ein paar dumpfe, unheimliche Töne, die wie ein halberstickter Hilferuf klangen. In demselben Augenblick gesellte sich einer der Aufseher zu mir. Er mußte meiner gespannten Miene wohl angemerkt haben, daß ich etwas Besonderes vernommen hätte, fragte daher mit geheimnisvollem Gesichtsausdruck sofort, ob auch ich die merkwürdigen Töne gehört hätte, die seit ein paar Tagen hier des öfteren laut würden, und fügte abergläubisch wie alle meine Landsleute hinzu: „Es sind Geister, – die Seelen jener Christen, die die Mauren hier abschlachten ließen –“

Nun – inzwischen war ich bereits zu der Überzeugung gelangt, daß es sich tatsächlich um Hilferufe handelte. Ich fragte den Aufseher genau aus und erfuhr so, ein Engländer wäre vor einer Woche etwa hier in der Gegend von Granada spurlos verschwunden. – Das genügte mir. Ich untersuchte diesen Nebenraum nun auf das sorgfältigste und fand schließlich nach mehreren Stunden auch wirklich einen geheimen, im Wandgetäfel verborgenen Zugang zu einer engen, steilen Treppe. Und – am Fuße diesem Treppe, die hinab in den Park führte und von deren Existenz bisher niemand etwas geahnt hatte, lag mit einer schweren, durch einen Sturz auf den glatten Stufen verursachten Kopfwunde jener alte, graubärtige Engländer.

Er starb noch an demselben Tage in meinen Armen. Aus Dankbarkeit gegen mich, der ihn hatte retten wollen, vertraute er mir folgendes an.

Er hieß Stanley Harring, war früher Schiffskapitän gewesen und hatte im Jahre 1898, als sein Dampfer wegen einer Kesselreparatur im Hafen von Dorei auf Neuguinea lag, diese erzwungene Mußezeit zu einer Jagdstreife nach den Nordausläufern des Charles Louis-Gebirges benutzt. In seiner Begleitung hatten sich noch zwei jüngere englische Offiziere befunden, die zu einer Forschungsreise durch dasselbe Gebiet Urlaub erhalten hatten. Harring und seine Gefährten gelangten durch einen Zufall an den unterirdischen Fluß, bauten ein Floß und ließen sich von der Strömung kühnen Mutes in das Innere der Bergmassen entführen. Nach vierstündiger Fahrt ereignete sich dann etwas, das Harring stets unerklärlich geblieben ist. Sie hatten Harzfackeln mitgenommen, die den Tunnel einigermaßen erleuchteten. Ganz plötzlich sauste dem Engländer dann ein Felsstück von oben auf den Kopf. Zu seinem Glück milderte der Tropenhelm die Wucht des Anpralles jedoch so weit, daß er nicht ganz das Bewußtsein verlor. Er sah noch, wie seine beiden Begleiter von einer unbekannten Gewalt in die Höhe gerissen wurden und frei in der Luft schwebten. Dann schoß das primitive Fahrzeug um eine Biegung herum, und gleichzeitig wurde Harring auch, wohl mehr aus Schreck über den Verlust seiner Gefährten ohnmächtig. Als er wieder zu sich kam, war das Floß in einem sehr großen und sehr fruchtbaren Tale auf eine Sandbank getrieben. Mühsam arbeitete er sich bis an das eine Ufer, wo er zu seinem maßlosen Erstaunen in dem Steingeröll eine Unmenge blank geschliffene, im Sonnenlicht funkelnde Goldkiesel fand –“

Als Graf della Saglia in seiner Erzählung so weit gekommen war, ertönte ringsum nur ein einziger Ruf:

„Goldkiesel?!“

„Ja, meine Freunde, – Goldkiesel, und zwar in solcher Anzahl, daß beide Flußufer streckenweise geradezu goldig leuchteten,“ erklärte der Spanier ernst und feierlich. „Auch auf Kapitän Harring machte diese Entdeckung einen überwältigenden Eindruck. Freilich – lange sollte er diesen Anblick von Milliarden und Übermilliarden gediegenen Goldes nicht genießen. Ganz unerwartet wurde ihm von hinten eine Decke über den Kopf geworfen, dann erhielt er einen schweren Schlag gegen den Hinterkopf, brach bewußtlos zusammen und erlangte die klare Besinnung erst zehn Tage später in einem kleinen Eingeborenendorfe an der Nordküste der Insel wieder. Die hier hausenden Papuas erzählten ihm, sie hätten ihn schwer krank am Meeresstrande aufgefunden und ihn nach vieler Mühe wieder ins Bewußtsein zurückgerufen.

Harring erholte sich auch bald völlig, hatte aber – die Sprache verloren. Als er dann im Hafen von Dorei wieder eingetroffen war und schriftlich seine Abenteuer aufgezeichnet hatte, hielt man ihn für geistig nicht ganz zurechnungsfähig, brachte ihn nach England und ließ ihn in einer Anstalt für Gemütskranke behandeln. Schließlich erwirkte er aber doch seine Freilassung aus dieser halben Gefangenschaft, nachdem er die Sprache wiedererlangt hatte, und lebte nun als Rentner von seinen bescheidenen Ersparnissen, innerlich jetzt selbst halb und halb überzeugt, daß er lediglich in seinen Fieberdelirien jene Goldkiesel am Ufer des geheimnisvollen Flusses geschaut hätte.

So vergingen viele Jahre. Dann unternahm er jene Reise nach Granada zu seiner Erholung, dann fand er lediglich durch einen Zufall den Eingang zu der verborgenen Treppe, stürzte die glatten Stufen hinab und blieb schwer verletzt liegen. Erst ich erkannte seine schwachen Hilferufe, als die Notschreie eines irgendwo Eingeschlossenen, ich holte ihn aus seinem verhängnisvollen Kerker hervor und blieb bei ihm, bis er starb.

Es ist nun ja eine bekannte Tatsache, daß der Geist des Menschen gerade noch kurz vor dem Tode mit größter Schärfe Erinnerungsbilder eigenen Erlebens hervorbringt. So geschah es auch mit Stanley Harring. Plötzlich tauchten in seinem Gedächtnis all jene Einzelheiten der abenteuerlichen Floßfahrt auf dem unterirdischen Strome mit solcher Deutlichkeit auf, daß er nun endlich sich ganz klar darüber wurde, die ungeheuren Reichtümer an Goldkieseln wirklich gesehen zu haben.

Mir vertraute er dies alles an, und deshalb habe ich nachher in aller Stille meine Vorbereitungen zu einer Reise hier nach Neuguinea getroffen. – Das also ist die Vorgeschichte meiner hiesigen Abenteuer. Was ich Euch, liebe Gefährten, sonst über meine Schicksale und meine Gefangenschaft in der Residenz des weißen Sultans Timakowa erzählte, entspricht völlig den Tatsachen.“

– – – – – – – –

Graf Ramiro machte eine kurze Pause. Dann fügte er hinzu:

„Nur etwas habe ich Euch noch verheimlicht. meine Freunde. Von jenem Mädchen, das mich liebt und das den Namen Rumia führt, hörte ich so manches über den Sultan Timakowa. Er ist in der Tat ein Europäer und zwar ein früherer Seemann und soll ein Deutscher sein. Das Goldtal gehört mit zu seinem Gebiet. Um den Weg dorthin für kühne weiße Forscher recht unzugänglich zu machen, hat er jenen von Röhricht so dicht bewachsenen See unweit der Meeresküste durch sehr sinnreiche, versteckte Schleusen (er muß ja überhaupt ein außerordentlich intelligenter Mann sein!) sozusagen zu einer Schiffsfalle herrichten lassen. Ihr selbst habt ja erlebt, wie verderblich es werden kann, wenn man ahnungslos, wie Ihr es tatet, den Belong-Fluß zum Eindringen in das Innere des Landes benutzt. Deshalb wollte der holländische Kolonialbeamte auch später von Euch recht genauen Aufschluß über die Eigentümlichkeiten des Belong haben. – Kurz: Timakowa will nicht, daß irgend jemand jenes Tal betritt. Er sucht dessen Schätze nach Möglichkeit gegen jeden zu verteidigen, obwohl er selbst jene Reichtümer an Goldkieseln nicht anrührt. Worin seine Schutzmaßnahmen außer der Schiffsfalle dort im See noch weiter bestehen, konnte mir Rumia, meine Vertraute, leider nicht angeben. Ich zweifle jedoch nicht, daß diese Abwehrmittel gegen unerwünschte Eindringlinge genau so schlau ersonnen sind wie die Schleusen in dem Röhrichtsee, die jedes Fahrzeug nach den verderblichen Wasserfällen hinleiten. – So, nun wüßte ich auch nicht das Geringste mehr hinzuzufügen! Und nun frage ich: wer von Euch will mich begleiten? – Ich gebe zu: die Fahrt ist überaus gefährlich, und ob es uns sehr bald gelingt, aus jenem Goldtale – falls wir es überhaupt erreichen! – zurückzukehren, ist ebenso fraglich! Doch: wer nicht wagt der nicht gewinnt! Und – der Lohn würde ja Gold sein – so viel Gold, daß es für uns alle ausreichen würde!“

Steuermann Olfer sprang auf.

„Ich halte mit!“ rief er und reichte dem Grafen die Hand.

„Ich gleichfalls,“ erklärte der Maschinist Kulicke etwas bedächtiger.

„Und ich bin natürlich auch dabei!“ ließ sich Karl Hubrich vernehmen.

„Du – Du?!“ meinte Meister Hubrich kopfschüttelnd. „Nein, mein Sohn, – derartige Dinge überlasse nur ruhig erwachsenen Männern! Jungens gehören nicht –“

„Ganz recht – ganz recht!“ rief nun auch Herr Würmle dazwischen. „Ganz recht, Meister! Der Karl tut ja überhaupt schon immer so, als ob er ein –“

Da mischte sich Graf Ramiro ein, wandte sich an Karls Vater und erklärte: „Erlauben Sie es Ihrem Sohne, uns zu begleiten. Glauben Sie mir: so wie ich ihn kenne, zwingt er uns doch irgendwie seine Begleitung auf. Ich verspreche Ihnen, gut auf ihn achtzugeben –“

Nach einigem Hin und Her war Meister Hubrich einverstanden. –

Der Rest des Tages galt dann den mannigfachen Vorbereitungen für die abenteuerliche Fahrt in das immerhin etwas sagenhafte Goldtal hinein. Am nächsten Morgen brachen die vier Reisenden in aller Frühe auf. Die anderen Kolonisten gaben ihnen noch ein Stück das Geleit, und als es dann ans Abschiednehmen ging, kam plötzlich ein bis dahin sorgsam behütetes Herzensgeheimnis an den Tag: Finchen Bermki und Steuermann Olfer hatten sich verlobt, fielen sich nun vor aller Augen um den Hals, und Finchen weinte heiße Tränen ernstester Sorge um das Wohl und Wehe ihres geliebten Fritz.

Graf Ramiro mußte recht energisch werden, damit das Abschiednehmen endlich ein Ende hatte. Und vier Stunden später finden wir unsere Abenteurer dann bereits auf ihrem aus sechs Palmenstämmen erst an Ort und Stelle zurechtgezimmerten Floß unterwegs auf den dunklen Wassern des unterirdischen Stromes.

Das Floß war absichtlich nur fünf Meter lang und vier Meter breit gemacht worden, da es sich bei diesen Abmessungen leicht durch Stangen lenken ließ und doch genügend Tragfähigkeit besaß. An jeder Ecke standen zwei Pfähle, in die brennende Harzfackeln eingeklemmt waren. Diese verbreiteten genügend Licht, um den vielfachen Hindernissen ausweichen zu können. Sehr häufig waren in diesem riesigen Naturtunnel zum Beispiel flache Stellen vorhanden, auf die das Floß nur zu leicht hätte auflaufen können. Dann wieder gab es enge Durchlässe, wo die Felswände so dicht zusammentraten, daß man alle Mühe hatte, hindurchzukommen. Jedenfalls fehlte es nicht an aufregenden Momenten.

Als die vierte Stunde der Fahrt sich ihrem Ende näherte, befahl der Graf dem Steuermann und Karl Hubrich, die Büchsen zur Hand zu nehmen und genau auf die Wölbung des Tunnels aufzupassen. – „Ich vermute nämlich,“ erklärte er, „daß hier im Tunnel von dem Sultan irgendwo Wachen aufgestellt sind, von denen damals auch die Begleiter Stanley Harrings wahrscheinlich durch Drahtschlingen von oben vom Floße heruntergerissen worden sind.“

Hatte bisher schon die größte Aufmerksamkeit für die Umgebung geherrscht, so war dies jetzt noch weit mehr der Fall. Besonders Karl, der wirklich vorzügliche Augen hatte, suchte eine Ehre darin, eine vielleicht irgendwo drohende Gefahr als erster zu entdecken. Und wirklich! Kaum waren seit den warnenden Worten Ramiros einige zehn Minuten verstrichen, als die Decke des Tunnels höher und höher wurde und sich überall breite Spalten, Vorsprünge und tief herabhängende Felszapfen zeigten. Der wackere Junge sagte sich sofort, daß gerade diese Beschaffenheit der Wölbung des unterirdischen Kanals nur zu sehr sich für ein Versteck von Leuten des Sultans eignete. Seine Blicke eilten daher dem Floße auch stets voraus, so weit der Lichtschein der Fackeln reichte, und mit besonderer Sorgfalt spähte er nach irgend etwas Verdächtigem aus, das auf ein solches Versteck hätte hindeuten können. Tatsächlich bemerkte er nun auch, befestigt zwischen vier Felszapfen, etwas wie eine aus Balken hergestellte Plattform. Und jetzt – kein Zweifel! – dort oben befanden sich Menschen, deren vom rötlichen Fackellicht halb getroffene Leiber dunkel wie Mahagoniholz schimmerten.

Die Büchse hochreißen und gleichzeitig ein warnendes „Hinwerfen!“ ausrufen war eins. Der Donner des Schusses pflanzte sich mit unheimlicher Stärke in dem Tunnel fort. Auch den zweiten Lauf feuerte Karl sofort hinterdrein – mehr auf gut Glück.

Oben von der vielleicht acht Meter über dem Wasserspiegel hängenden Plattform ertönte als Antwort auf die beiden Schüsse ein gellender Schrei.

Dann – sauste ein Hagel von Felsstücken auf das Floß herab. Einer der schweren Steine traf die Schulter des lang daliegenden Grafen. Dann hatte die Strömung das plumpe Fahrzeug bereits an der gefährlichen Stelle vorübergeführt.

Ramiro war ohnmächtig. Kulicke, der Maschinist wollte sich seiner annehmen. Doch Steuermann Olfer hatte anderes im Sinne.

„Heran an jenen Vorsprung mit dem Floß!“ rief er. „Wir wollen versuchen, jene Eingeborenen dort von der Plattform zu vertreiben, denn ich wette, daß diese eine Verbindung mit der Oberwelt in Gestalt einer Felskluft oder einer Höhle hat und daß wir sodann den Weg nach dem Goldtale zu Fuß zurücklegen können.“

Das Floß wurde nun mit vieler Mühe gegen die Strömung mit Hilfe der Stoßstangen und durch Taue, die man über Felszacken warf, zurückgebracht, bis man die hölzerne Kanzel abermals schräg über sich hatte.

Dort oben befand sich jetzt niemand mehr, – der beste Beweis, das Olfers Vermutung richtig gewesen. Inzwischen hatte Karl den Spanier durch Anfeuchten der Schläfen wieder ins Bewußtsein zurückgerufen. Zum Glück zeigte die Schulter lediglich eine sehr schmerzhafte Quetschung. Die Knochen selbst waren unbeschädigt.

Ramiro war mit dem Verhalten des Steuermanns durchaus einverstanden. Olfer war es dann auch, der sich an den Rissen und Kanten der Tunnelwand so weit hoch arbeitete, daß er eine mit einer Schlinge versehene Leine über eine Felszacke in der Nähe der Plattform werfen konnte. An dieser Leine kletterte er dann empor und half nun auch den Gefährten nach oben, besonders dem Grafen, der mannhaft alle Schmerzen unbeachtet ließ und so wieder einmal eine Tatkraft verriet, die ganz zu seinem abenteuerlichen Charakter paßte.

Von dieser klug angelegten Holzkanzel führte ein breiter Felsschlund horizontal in die Gesteinsmassen hinein, erweiterte sich bald zu einer Höhle, die trocken, luftig und allmählich ansteigend schließlich am Nordrande des tiefen, großen Tales mündete, dessen fruchtbarer Boden eine selbst für die Tropen geradezu märchenhaft üppige Vegetation hervorgerufen hatte.

Mitten durch das Tal schlängelte sich der hier wieder ans Tageslicht tretende Fluß hindurch. – Unsere vier Abenteurer standen eine geraume Weile in stummem Schauen da.

„Das Goldtal!“ flüsterte Ramiro. „Gefährten, wir wollen jetzt nicht Opfer jenes Rausches werden, der schon die bravsten Menschen zu Verbrechern gemacht hat: des Goldrausches! – Hört auf mich, der bereits die menschlichen Leidenschaften in jeder Gestalt kennen gelernt hat! Laßt Euch nicht blenden durch den Glanz der Goldkiesel, laßt nicht die Selbstsucht, die Habgier in Eure Herzen einziehen! Nehmen wir von dem Golde so viel mit, als wir bequem tragen können. Und dann – sofort zurück nach der Niederlassung, denn es ist ja mit Sicherheit anzunehmen, daß die Wachen des Sultans Hilfe herbeiholen und versuchen werden, uns zu ergreifen. Vorwärts – zaudern wir nicht länger! Wir müssen noch heute, und sei es in der Dunkelheit, den Heimweg antreten!“

Die Sonne wollte gerade hinter den westlichen Randbergen dieses wundervollen Paradieses verschwinden, als die vier Gefährten nach eiligem Abstieg in das Tal das Ufer des Goldstromes erreichten. Sie schritten nun rasch dahin – einer jener schimmernden Stellen entgegen, die sie schon von weitem bemerkt hatten und die durch ihr Leuchten das Vorhandensein vieler blank geschliffener Goldkiesel verrieten.

Ramiro und Olfer waren ein paar Meter voraus. Der Spanier trug den linken Arm, um die verletzte Schulter zu schonen, in einer Schlinge. Niemand ahnte, daß ihnen irgend eine Gefahr unmittelbar drohen könnte. Gewiß – der Spanier hatte den Gefährten empfohlen, für alle Fälle die Büchsen bereit zu halten. Aber daran, was sich nun sehr bald ereignen sollte, hatte auch er nicht im entferntesten gedacht.

Es sei hier vorausschickt, daß die mannigfache Tierwelt der großen Insel Neuguinea zur Hälfte dieselbe ist wie die der Sunda-Inseln, zur anderen Hälfte ihre Vertreter wieder dem benachbarten kleinsten Kontinent Australien entlehnt hat. Gefährliche Raubtiere fehlen auf Neuguinea jedoch vollständig, während doch die Sunda-Inseln in dem Sumatra-Tiger, der etwas kleiner und dunkler gefärbt als der indische ist, einen sehr gefürchteten Räuber besitzen. –

Der Spanier und der Steuermann wollten soeben in einen Hain von Kokospalmen einbiegen, als Karl in einem Gebüsch rechter Hand den Kopf eines Tigers auftauchen sah.

Sein warnender Ruf kam noch zur rechten Zeit. Olfer hatte die Bestie, die jetzt mit kurzen Sätzen auf ihn und Ramiro zusprang, sofort erblickt, hob die Büchse und wollte in der Übereilung Feuer geben, während die große, dunkelgelbe Katze doch in der Bewegung ein sehr schlechtes Ziel darbot. Der Spanier drückte ihm den Gewehrkolben jedoch wieder herab, stieß einen schrillen Schrei aus und erreichte dadurch auch, daß der Tiger plötzlich etwa fünf Meter vor den beiden Männern sich zusammenduckte.

„Jetzt schießen!“ raunte Ramiro dem Steuermann zu, indem er mit der gesunden Rechten gleichzeitig seinen Revolver spannte.

Da gaben aber Karl und Kulicke bereits Feuer. Die Bestie schnellte empor, heulte auf und wandte sich zur Flucht. In demselben Augenblick erschienen jedoch aus demselben Gebüsch zwei weitere Tiger, die genau so abschreckend mager wie der bereits verwundete waren.

„Ah – fraglos eine Teufelei des Sultans!“ rief der Spanier. „Er hält die Bestien hier in diesem Tale als Wächter eingeschlossen, wo sie sicher nur wenig Nahrung finden. Daher auch ihre Angriffslust!“

Die beiden soeben aufgetauchten gelben Katzen waren durch die Schüsse doch wohl ängstlich geworden und schlichen nun von der Seite, im hohen Grase kaum zu erkennen, auf die jetzt dicht beieinander stehenden vier Gefährten zu.

„Weichen wir bis an den Fluß zurück,“ meinte Ramiro. „Dann müssen die Tiger den kahlen Uferstreifen passieren, falls sie uns wirklich anfallen wollen. Ich hoffe aber, daß ein paar Schrotschüsse genügen werden, sie zu verscheuchen.“

Karl holte schnell eine Schrotpatrone hervor und schob sie in den linken Lauf der Doppelbüchse. Doch – die beiden Bestien waren plötzlich verschwunden.

Man setzte nun mit größter Vorsicht den Weg fort. Dies war auch nötig, denn sehr bald verrieten die Bewegungen des stellenweise zwei Meter hohen Grases, daß die Bestien sich stets in der Nähe hielten. Erst als drei Schrotschüsse in Richtung der hin und her schwankenden Halme abgegeben worden waren, schienen die Bestien endgültig verjagt worden zu sein. Gleich darauf standen unsere vier Abenteurer auch schon auf einem jener flachen, mit Steingeröll bedeckten Uferstreifen, die die Lagerstätte der blinkenden, wertvollen Kiesel bildeten. In kurzem hatte jeder der Gefährten seine Jagdtasche mit den goldenen Steinchen, die bis zu Taubeneigröße vorkamen, gefüllt, so daß der Graf nun den Befehl zur Rückkehr geben konnte.

In der letzten halben Stunde hatte sich im Osten über den Bergen eine dunkle Wolkenwand hochgeschoben, über die jetzt andauernd ein fahles Leuchten hinglitt. Ein Gewitter war im Anzuge, und was diese Naturerscheinung in den Tropen bedeutet, vermag nur der zu begreifen, der ein solches Unwetter einmal in der heißen Zone miterlebt hat.

Ramiro drängte zur Eile. „Wir wollen zunächst in der Höhle Zuflucht suchen,“ meinte er. „Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß diese riesige Grotte sich auch noch nach Süden zu, also in Richtung auf die Niederlassung, fortsetzt. Vielleicht bietet sich uns so die Möglichkeit, ohne großen Umweg zu den Unsrigen zurückzukehren.“

Kaum hatten die Gefährten vor dem Eingang der Höhle noch schnell eine Menge harziger Äste eines kiefernähnlichen Baumes mit ihren Handbeilen abgehauen. als auch schon ein furchtbarer Platzregen herabprasselte, begleitet von Blitzen, die in ganzen Bündeln aufleuchteten.

Beim Scheine einer der primitiven Fackeln, die der vorauseilende Olfer trug, wurde nun der Marsch durch die meilenlange Höhle angetreten. Unaufhaltsam strebten die vier Goldsucher vorwärts, getrieben von der dumpfen Vorahnung irgend eines Unheils, das ihnen auch jetzt noch drohte. Schweigend schritten sie im Gänsemarsch dahin. Karl machte den Beschluß. Vor ihm ging der Spanier, der offenbar große Schmerzen in der verletzten Schulter hatte, da er des öfteren leise aufstöhnte.

Wieder war es Karl, der plötzlich weit voraus in dem ungeheuren Felsendome ein paar helle Punkte aufblitzen sah. Sofort sprang er nach vorn, riß Olfer die Fackel aus der Hand und drückte sie aus.

„Brav gemacht, mein Junge!“ lobte Ramiro. „Ohne Zweifel sind Leute mit Fackeln da vor uns. Verbergen wir uns –“

In einer engen Seitengrotte harrten sie dann mit ängstlicher Spannung auf das, was sich weiter ereignen würde. Die Büchsen schußfertig im Arm, starrten sie regungslos in das Dunkel hinein. Von links waren die Feinde zu erwarten. Aber ein paar Felsblöcke versperrten nach dorthin die Aussicht.

– – – – – – – –

Zehn Minuten vergingen. Dann tauchte zuerst ein schwacher Lichtschein auf. Bald sahen die Gefährten dann auch vier braune, nur mit Lendentüchern bekleidete Eingeborene, die jeder eine große, hell lodernde Fackel trugen. Ihnen folgten zwei einzelne Männer. Der eine war zweifellos ein Europäer. Er hatte ein schmales, von einem langen, grauen Bart umrahmtes Gesicht, war in ein mantelähnliches, helles Gewand gekleidet, das überreich mit kostbaren Stickereien verziert war, und hatte auf dem Kopf eine Art Diadem aus Perlen und Edelsteinen. In einem Ledergürtel stecke in einer ebenfalls reich verzierten Scheide ein langer, malaiischer Kris (Dolch), daneben in gelben Lederfutteralen zwei Revolver. Links neben ihm schritt ein jüngerer Eingeborener dahin, dessen Kleidung auf einen Mann von Stand hindeutete. Den kleinen Zug beschlossen einige zwanzig Papuas, die eine Art Phantasieuniform, Leinenanzüge und Strohhüte mit militärischen Rangabzeichen, trugen und die ganz modern bewaffnet waren. Lautlos eilte der Trupp an dem Versteck der vier Ansiedler vorüber. Der Lichtschein der Fackeln wurde schwächer und schwächer, und nach wenigen Minuten leuchteten diese in der Ferne nur noch als kleine Lichtpünktchen.

„Es war Timakowa, der weiße Sultan, mit seiner Leibwache,“ erklärte Ramiro jetzt. „Wenn ich ihn bisher auch nicht zu Gesicht bekommen habe, so ist er mir doch oft genug von meiner Freundin Rumia beschrieben worden[4]. Er wird auf dem Wege nach dem Goldtale sein, um uns dort gefangen zu nehmen. Jedenfalls aber beweist sein Auftauchen hier, daß diese Höhle noch andere Ausgänge haben muß.“

Bedeutend ruhiger und zuversichtlicher setzten die Gefährten nun ihren Weg fort. Gegen elf Uhr abends fand Steuermann Olfer dann den Zugang zu einer neuen, nicht minder großen Höhle, deren allgemeine Richtung eine südliche war. Nach abermals zwei Stunden verriet den kühnen Abenteurern eine scharfe Zugluft, daß irgendwo in der Nähe sich eine größere, ins Freie führende Öffnung befinden müsse. Nach einigem Suchen entdeckten sie diese dann auch. Zu ihrem Erstaunen bestand dieser Ausgang in einer Felsspalte, die – sich durch die Deckenwölbung des unterirdischen Flusses dicht an dessen Eintritt in den Tunnel hindurchzog. Da die Gefährten reichlich mit Leinen und Tauen versehen waren, bereitete es ihnen weiter keine Schwierigkeiten, sich bis in den Fluß hinabzulassen und auch ins Freie zu gelangen.

Der nächste Marsch über die weite Lichtung bis nach der Ansiedlung verlief ohne Zwischenfälle. Die daheim gebliebenen Kolonisten waren hocherfreut, als sie die Goldsucher wohlbehalten wiedersahen. Freilich – den Jubel über den kleinen Berg von Goldkieseln, den die vier Floßreisenden mitgebracht hatten, dämpfte recht sehr des Grafen Bemerkung, daß er fest davon überzeugt sei, Sultan Timakowa hätte längst Kenntnis von der hier neu erstandenen Ansiedlung und würde diese jetzt fraglos zu zerstören suchen, nachdem er eben erfahren hätte, daß einige der Kolonisten unerlaubterweise in das Goldtal eingedrungen seien.

Meister Hubrich schlug deshalb auch allen Ernstes vor, die kaum fertiggestellten Baulichkeiten zu verbrennen und anderswo einen neuen Ort für die Niederlassung zu suchen, der sich leichter verteidigen ließe.

Doch Ramiro schüttelte hierzu den Kopf. „Es genügt, wenn wir die nächsten Tage auf dem Schoner zubringen,“ meinte er. „Vielleicht gelingt es uns, mit Timakowa einen dauernden Frieden zu schließen. – Ich habe hierbei so meine besonderen Gedanken,“ fügte er sinnend hinzu. „Als ich das Gesicht des weißen Sultans dort in der Höhle erblickte, erinnerte es mich sofort an jemanden, den ich – Doch nein, – ich will diese meine Vermutungen zunächst noch für mich behalten.“

Die Ansiedler zogen gleich bei Tagesanbruch mit all ihrer Habe auf den Schoner hinüber, den sie zu sofortiger Abfahrt bereit hielten. Es ist erklärlich, daß sich alle jetzt in einem Zustande gespanntester Erwartung befanden. Mußten doch schon die nächsten Tage zeigen, ob der weiße Sultan sie wirklich als Feinde behandeln würde.

Es war dann gerade kurz nach dem Mittagessen, als Karl, der sich eine Angel zurechtgemacht hatte und der neben Dorchen Würmle ganz vorn am Bugspriet saß, ein sehr großes Boot mit mindestens fünfzig Insassen bemerkte, das recht schnell von Westen her den See entlang kam.

Ramiro hatte das Fahrzeug kaum erblickt, das mit seinen geschweiften Bug- und Heckverzierungen und den vielen Ruderern darin recht eigenartig wirkte, als er auch sofort die Anker lichten und den Motor anwerfen ließ. Der Schoner suchte nun dem Kriegsfahrzeuge des weißen Sultans, dessen Gestalt auf einem erhöhten Sitz am Steuer deutlich zu erkennen war, mit Hilfe des Benzinmotors und der Segel zu entkommen. Sehr bald mußten die Ansiedler jedoch einsehen, daß das Boot der Papuas ihrem Schiffe an Schnelligkeit weit überlegen war. Meister Hubrich hatte jetzt den Oberbefehl an den erfahreneren Spanier abgetreten, und dieser befahl daher, sofort das alte Schiffsgeschütz, das man im Hafen von Dorei mehr als Alteisen mit eingekauft hatte, zu laden und einen Warnungsschuß für die Verfolger abzugeben.

Die Kanone war eine sogenannte Drehbrasse, das heißt ein auf einem Drehgestell ruhendes Geschütz von 8 Zentimeter Mündungsweite. Pulver war genug vorhanden. Und als Geschosse konnte man ganz gut Eisenstücke verwenden.

Das langgestreckte Kriegsfahrzeug des weißen Sultans war noch 200 Meter entfernt, als Kulicke als früherer Angehöriger der Kriegsmarine die Lunte an das Zündloch der Drehbrasse brachte und diese ihren Eisenhagel kurz vor dem Boote der Papuas in das hochaufspritzende Wasser feuerte.

Sofort hörten die Leute drüben mit Rudern auf. Dann erhob sich Timakowa und schwenkte ein weißes Tuch. Und neben ihm bemerkte man jetzt ein junges, ganz europäisch gekleidetes Mädchen, das gleichfalls mit der Hand nach dem Schoner hinüberwinkte.

Ramiro bemerkte das Mädchen wohl als erster, rief jetzt erleichtert und in freudiger Erregung:

„Gefährten – alles wird sich zum Guten wenden. Meine Vermutung ist richtig gewesen! Rumia, die mich liebt, ist des Sultans Tochter! Seht – sie steht neben ihrem Vater! – Stoppt den Motor, laßt das Boot ruhig heran! Wenn Rumia mir so zuwinkt, ist keine Gefahr vorhanden!“

Wenige Minuten später legte das große Kriegsfahrzeug an dem Schoner an, und als erster stieg der weiße Sultan an Bord, dem das Mädchen sowie zehn Bewaffnete folgten.

Ramiro begrüßte Timakowa im Namen der Ansiedler und bat um den Abschluß eines Friedensvertrages und um des Sultans Schutz für die junge Kolonie. Er hatte sich der englischen Sprache bedient. Timakowa, dessen würdevolles Äußere und freundliche Gesichtszüge sofort für ihn einnahmen, erwiderte dagegen auf deutsch folgendes:

„Graf della Saglia, eine Verkettung besonderer Umstände hat Sie gegen meinen Willen in Todesgefahr gebracht. Nicht ich war es, der den Befehl gegeben hatte, Sie in den Wasserfällen umkommen zu lassen. Ich hatte Sie gefangen gesetzt weil ich ahnte, daß Sie lediglich des Goldtales wegen hier nach Neuguinea gereist wären. Ich verachte das Gold! Es schafft denen, die danach streben, nur Unheil und Sorgen! – Ich hätte Sie frei gelassen, wenn mir nicht von einem meiner einheimischen Ratgeber, einem Mischling namens Manillo, schon vor vier Jahren fälschlich berichtet worden wäre, Sie seien entflohen. Ohne mein Wissen haben Sie also so lange in halber Gefangenschaft geschmachtet. Erst vor kurzem hat sich meine Tochter Rumia mir anvertraut und mir erzählt, daß Sie beide sich lieben. Da erst wurde Manillos Schurkerei offenbar, der selbst Absichten auf die Hand meines Kindes hatte und der Sie nun hatte umbringen lassen wollen. Ich habe ihn gerichtet. Er lebt nicht mehr. Meine in dem Kanal des unterirdischen Flusses aufgestellten Wachen haben Sie dann wiedererkannt. Jetzt bin ich gekommen, Sie mit nach Lambrosa zu nehmen, wo Sie Ihr Wort einlösen und meine Tochter heiraten können. Vielleicht werden Sie dann dereinst mein Nachfolger und der zweite weiße Herrscher des Sultanats Lambrosa. Diesen Ihren Freunden aber, den deutschen Ansiedlern, verspreche ich meinen Schutz. Sie mögen in Ruhe und Frieden in ehrlicher Arbeit hier dem fruchtbaren Boden seine Reichtümer entlocken, mögen das Gold, das aus dem Tale dort im Norden stammt, dazu benutzen, hier einen Plantagenbetrieb im großen zu eröffnen. Ich werde ihnen dabei mit Rat und Tat zur Seite. stehen. Denn – ich stamme ja selbst aus Deutschland, wenn ich auch kaum mehr weiß, wie es dort in der Heimat aussieht. Über dreißig Jahre lebe ich nun schon auf Neuguinea. Ich nahm seiner Zeit eine Eingeborene, die Tochter des damaligen Sultans von Lambrosa, zum Weibe, und später wählten mich meine neuen Stammesgenossen zu ihrem Oberhaupt. Mein jetziger Name Timakowa ist nur die Übersetzung meines Vatersnamens Treumann. Peter Treumann hieß ich einst, und die Weserstadt Emden ist meine Heimat.“

Er schüttelte jetzt allen Kolonisten nacheinander freundschaftlich die Hand. Und eine Stunde drauf befanden sich die sämtlichen Insassen beider Fahrzeuge in fröhlichster Stimmung in den Räumen des großen Wohnhauses der Niederlassung.

Abermals drei Tage später nahm Graf Ramiro dann von den Kolonisten vorläufig Abschied und begab sich mit dem weißen Sultan und dessen Tochter nach Lambrosa. Als er nach einiger Zeit mit seinem jungen Weibe die Niederlassung wieder besuchte und dort mehrere Wochen im Kreise der ihm lieb gewordenen Gefährten blieb, erzählte er den erstaunt Aufhorchenden, daß Sultan Timakowa das Goldtal durch Abdämmen des Flusses in einen großen See verwandelt hätte, damit das „verhaßte“ Gold nicht noch mehr weiße Abenteurer anlocke. –

Unter Meister Hubrichs kluger Leitung entstand dann in der großen Urwaldlichtung bald eine Musterplantage, die in kurzem reiche Erträge abwerfen mußte. Der Segen der Arbeit ruhte auf der jungen Kolonie, deren Mitglieder fortan ohne jede Störung in emsigem Schaffen Zufriedenheit und auch volle Befriedigung fanden als die ersten Kulturpioniere eines bis dahin unerforschten Landes.

 

Der nächste Band enthält:

In der Wildnis Labradors.

 

Druck P. Lehmann G. m b. H., Berlin 26.

 

 

Anmerkungen:

  1. In der Vorlage steht: „noch“.
  2. In der Vorlage steht: „Lachtung“.
  3. In der Vorlage steht: „versetzen“.
  4. In der Vorlage steht: „orden“.