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Das Wrack D O XII

 

 

Olaf K. Abelsen

Abenteuer

Abseits vom

Alltagswege

 

Das Wrack D O XII

 

Einzig berechtigte

Bearbeitung a. d.

Schwedischen von

M. Schraut

 

– Band 37 –

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1931 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16

 

1. Kapitel.

Ein gefährlicher Auftrag.

Meine Zufallsbekanntschaft an dem kleinen Ecktisch des King Edward-Hotel in Singapore suchte den für mich sehr durchsichtigen Schwindel von „Zufall“ recht geschickt aufrecht zu erhalten.

Der Mann gefiel mir so weit ganz gut.

So weit …

Diese Einschränkung meines Werturteils über seine gewiß nicht alltägliche Persönlichkeit war durchaus angebracht.

All diese Haupthäfen Ostasiens sind seit langem Treffpunkt jener internationalen Herrschaften, deren Photographien und diversen Namen und Titel in den Polizeiarchiven sorgfältig aufbewahrt werden – neben den unvermeidlichen Fingerabdrücken, falls diese erhältlich gewesen sein sollten. Was nicht immer zutrifft.

„Nebelfischer“ hatte mein Tischgenosse diese Edelgauner seinerseits genannt. Der Ausdruck war neu und eigenartig, trotzdem hegte ich ein gewisses Mißtrauen gegenüber dem Erfinder, der sich als Sir Roger Carselan im Gästebuch des Hotels verewigt hatte.

Sir, – also englischer Baronett.

Der Kellner hatte soeben das Geschirr entfernt und Eisgetränke serviert. Die Musik spielte sehr diskret, und Sir Roger lauschte eine Weile den sanft aufpeitschenden Klängen, rührte mit dem Strohhalm in seinem Glase, dessen Inhalt wie ein Opal in allen Farben schimmerte, ließ seine Augen über den halb gefüllten Saal schweifen und betrachtete einige besonders umfangreich entblößte Schultern von Damen der Europäerkolonie mit dem kühlen Interesse des Metzgers für schlachtreife Ware.

Vielleicht kennzeichnet schon dieser Satz des Baronetts Augenausdruck zur Genüge. Der Mann hatte – sagen wir – eisgekühlte Augen, und seine Eismaschine war sein Inneres, seine „Seele“. – Mir sind schon so manche Leute über die Abseitspfade gelaufen, die in ihren Bewegungen und in ihrem Benehmen jenen hohen Grad von völliger Ausgeglichenheit erreicht hatten, der nach englischem Wertmesser den wahren Gentleman aus der Masse der unbeherrschten, temperamentvollen Naturburschen scharf heraushebt.

Mir schien es, als ob der Baronett gerade jetzt mit einem schweren Entschluß kämpfte, als ob er also endlich vielleicht damit herausrücken würde, was er von mir, der ich im Fremdenbuch als Mr. Olaf Charles Benson prangte, des näheren wünschte. Ohne Grund schleicht man doch einem schlichten „Kaufmann“ Benson nicht drei Tage vorsichtig nach und setzt sich dann wie zufällig an denselben Tisch.

Die Bombe platzte wirklich.

„Mr. Benson“, sagte er gedämpft und betrachtete mich still aus seinen stets halb zugekniffenen Augen, „zumeist genügt mir eine Stunde, einem Menschen bis in den verborgensten Winkel seines wahren Ichs hineinzuspähen. Ich habe mit Ihnen nun über alle möglichen Dinge geplaudert, über internationale Hochstapler, über die Güte von Reitdromedaren, über Löwenjagden, über die Lachsfischerei in Alaska, über die Buschneger in Australien … Ehrlich gesagt, aus Ihnen vermag ich mir keinen passenden Reim zu schmieden. Sie fügen sich in keine Schablone ein, Ihr wettergegerbtes Gesicht deutet auf einen Seemann hin, aber Ihr Gang auf einen passionierten Reiter, Ihre nachlässig-kraftvollen Bewegungen auf einen trainierten Sportler, Ihre Augen wieder sind ein Gemisch von alledem, – jedenfalls sind Sie niemals Kaufmann.“

Ich lächelte.

„Und Ihr Anliegen?“, fragte ich geradezu, um die recht umständliche Einleitung abzukürzen.

Er spürte den herausfordernden, ungeduldigen Spott, und er zog daraus die einzig richtige Lehre.

„Was sind Sie, Mr. Benson?“

„Nichts und alles … Mithin Globetrotter, Weltenbummler, Vagabund, Abenteurer … – Und Sie? Sind Sie Baronett oder Nebelfischer?“

Er nahm es nicht übel, er wurde nur ernster, fast melancholisch-ernst. „Ich bin der letzte Baronett aus dem Geschlecht der Herzöge von Nortmoore, ich bin arm, arm nach meinen Begriffen, ich möchte den verpfändeten Familienbesitz und das Paket anderer Pfandscheine, mit dem ich diese letzte Chance vorbereitete, wieder in Eigentum zurückverwandeln. – Würden Sie einen gefährlichen Auftrag übernehmen, Mr. Benson? Ich vertraue Ihnen …“

„Sehr schmeichelhaft … Im übrigen bin ich durchaus nicht abgeneigt. Ich langweile mich sträflich … Ich habe vor Wochen in Arabien einen kleinen Ritt in die Wüste unternommen, ein Zufall führte mich dann hier nach Singapore, ich liebe die Städte nicht, die Menschen noch weniger … Erklären Sie mir nichts über Ihre … letzte Chance, ich bin nicht neugierig, nennen Sie mir Ihren gefährlichen Auftrag, und wenn wirklich dabei Gefahr und etwas Nervenkitzel und eine gute Portion Ungewöhnliches herausschaut, werden wir ohne lange Redensarten einig werden. Also …?!“

Er streckte mir die Hand hin.

„Sie gefallen mir …“

„Danke … Ich habe Schattenseiten wie jeder, Sir Carselan …“

Trotzdem war es ein fester, herzlicher Händedruck.

Der Baronett flüsterte vorsichtig: „Meine letzte Chance ist aufgebaut auf alten Überlieferungen. Einer meines Geschlechts, Admiral, ließ einst einen Menschen aufknüpfen, der ungezählte Millionen zusammengeraubt hatte. Bevor dieser erfolgreiche Bandit in die Schlinge rutschte, flüsterte er meinem Urgroßvater ein einzelnes Wort zu – – voller Hohn und Schadenfreude, – – und starb, und die Haifische fraßen ihn … – Vor mir haben bereits andere dort gesucht und nichts gefunden. Ich … muß finden …! Letzte Chance eben … Leider erfuhr ich erst vor vier Tagen, daß ich einen Konkurrenten habe … Wer als Geldgeber hinter diesem Konkurrenten steckt, weiß ich nicht. Eins weiß ich: Die Brigg dieser Leute ankert in einer Bucht der Insel, und ich möchte an Bord dieser Brigg einen Mann schmuggeln, dem ich vertrauen darf und der ein ganzer Kerl ist … – Wollen Sie?“

… Wenn diese Unterredung in einer besseren Spelunke am Hafen stattgefunden hätte, wäre nichts Besonderes dabei gewesen. Aber hier in diesem glänzend erleuchteten Speisesaal eines der vornehmsten Hotels Singapores saßen sich am tadellos gedeckten Tischchen zwei Herren in ebenso tadellosen Abendanzügen gegenüber, hier erinnerte nichts an zweifelhafte, dunkle Vorkommnisse[1], wie sie drunten im Chinesenviertel in diesem Völkermischmasch des wichtigsten Freihafens der Südostküste Asiens alltäglich sind, und doch – – die beiden Herren erörterten Dinge, die mir, dem einen Teil, die Aussicht auf neues Erleben eröffneten, und das blieb mir die Hauptsache.

Ich hatte die Zivilisation längst wieder satt bekommen. Dieser kurze Abstecher nach der Südspitze Malakkas, wo die große Insel Singapore oder richtiger Singhapura, Löwenkopf, im südlichsten Winkel die gleichnamige Stadt birgt, war ja nur Sprungbrett ins Ungewisse gewesen.

Aus dem Ungewissen wurde nun etwas Bestimmtes. Sir Carselan wünschte Beistand … Gut, … von mir aus …

„Ich will!“

Aber er hörte nicht hin.

Seine grauen Augen waren noch enger zusammengekniffen, er hatte den Kopf gedreht, ich folgte der Richtung seiner Blicke: Eine Gesellschaft von fünf Personen hatte den Saal betreten, vor ihnen tanzte der Oberkellner wie ein aufgeregter Gockel hin und her und katzbuckelte vor Frau Jetta Arnulfs Milliarden …

Woher ich die Frau kannte? Tagelang hatte ich planlos und ziellos Singapore durchstreift und war doch immer wieder zum Hafen zurückgekehrt, hatte das bewegte Bild in Sonnenglut und Regenschauern genossen, und da war mir die silbergraue Jacht am Westkai aufgefallen, da war auch ein alter, zahnloser malaiischer Bettler gewesen, der mit Schnitzereien handelte, und der nannte mir den Namen der Besitzerin des prächtigen Schiffes, und heute mittag hatte ich Jetta Arnulf aus der Ferne gesehen samt ihrem Ehrengefolge, – eine Frau mit blassem Gesicht und Glutaugen, – Witwe, unheimlich reich, plapperte der Malaie, der recht gut englisch sprach …

Daher kannte ich sie.

Und Sir Roger kannte sie auch.

Er drehte seinen Korbsessel herum, kehrte dem Saal den Rücken und meinte schroff:

„Ein schlechtes Vorzeichen für unser Bündnis, Mr. Benson … Sie sahen die Dame … Ich kannte sie einst … Sie hat mir stets Unheil gebracht. Sind Sie abergläubisch?“

„Nein. Nur hellhörig. Ist Frau Arnulf Ihre Konkurrentin?!“

„Die?! Ausgeschlossen! – Doch lassen wir diesen schönen, blassen Spuk ruhen … Können Sie in einer halben Stunde reisefertig sein? Ich werde Sie mit einem Auto hier vom Hotel abholen. Gehorchen Sie dem Chauffeur blindlings …“

Was wir noch verabredeten, gehört in eine Hafenspelunke übelsten Rufes hinein. Über seine eigenen Pläne sprach Sir Roger nicht weiter. Er hatte meine Neugier geweckt, er hatte das alte Abenteurerblut in mir wieder aufgestachelt, ich ahnte, daß er manches verheimlichte, – mochte er! Ich würde mich schon durchbeißen … –

Wir zahlten, ich begab mich auf mein Zimmer, verlangte die Rechnung, und meine beiden bescheidenen Koffer wurden dann in ein geschlossenes Auto verstaut, ich stieg ein, der Chauffeur wandte den Kopf, und der alte Malaie vom Westkai grinste mich freundlich an … Hinter mir verschwanden die riesigen Bogenlampen vor der Hotelauffahrt, der dünne Regen, der hier in Singapore – übrigens ein importierter Londoner Witz – als Themse-Nebel bezeichnet wird und etwa die Eigenschaften einer heißen Brause hat – verschluckte dampfend und wolkenartig sich zusammenballend die Prachtfassade der eleganten Karawanserei, und wieder einmal hatte ich einen dicken Schlußstrich unter eine kurze Ferienzeit vom Abseits gezogen …

Ich war froh, – das schwarze Habit der Kultur mit den Seidenaufschlägen flog bei geschlossenen Vorhängen in eine Ecke der klapperigen Taxe, und das neue Habit zeigte das grelle Streifenmuster und die bewußten Sterne und die Nummer eines Sträflingskittels des Zuchthauses von Singapore.

All das störte mich nicht …

Auch nicht die Haarschneidemaschine, mit der ich meinen Kopf bearbeitete, noch weniger das Rasierzeug, das aus Olaf Karl Bensons Spitzbart eine kahle Wüstenei machte.

Derweil war das Auto längst vom Strand aus dem Europäerviertel in die unendlichen fruchtbaren Felder und Hügel der großen Insel auf glatten Straßen eingebogen, – eine Viertelstunde noch, und Sir Roger Carselans genau ausgearbeiteter Plan erforderte neues Handeln, zum Überlegen kam ich kaum, des alten Malaien zischende Stimme raunte mir durch das Vorderfenster seltsame Dinge zu, die mich vor drohende Entscheidungen stellten, aus dem Dunst vor uns wuchsen wuchtige Bauten auf, glitten vorüber, der Wagen hielt, lenkte vorsichtig in ein Reisfeld ein, ich sprang hinaus, das Herz hämmerte etwas eiliger, und zu Fuß wandte ich mich zurück, sah die rote kleine Laterne neben dem Ruinenfelde des alten Tempels, sah weiterhin die grellen Lampen vor der Zuchthauspforte, links die endlose hohe Mauer, zählte genau dreihundert Schritt ab und duckte mich in ein gestrüppumwuchertes Erdloch. Die kleine Laterne, bisher unter der bereits durchnäßten Leinenjacke verborgen, blinkte auf, und über die Mauer da vor mir turnte eine flinke Gestalt, – – keiner der Aufseher oder der Wächter …

Und das war gegen das Programm, das war nicht vorgesehen, das war ein unerwartetes Zwischenspiel …

Der Flüchtling da hatte einen Lappen über die glasgespickte Mauerkrone gebreitet, – abspringen durfte er nicht, die Stacheldrähte waren raffiniert angebracht, aus seiner Hand flog ein Tau ins Leere, dann ein barscher Zuruf von drüben, ein Schuß, – der Mann war Akrobat, niemand hätte es ihm gleich getan, er kletterte wie ein Affe, ein Stück seiner Jacke schnarrte zerreißend an einer Drahtspitze, im Zuchthaushof schrillte eine Alarmglocke, ich schwenkte das Laternchen, und wie ein Blitz war der Flüchtling neben mir …

„Roger?!“, keuchte er fragend …

„Roger Carselan …“, erwiderte ich, ohne daß ich von diesem Losungswort eine Ahnung hatte, – wir rannten den Weg zurück, Hunde heulten, Schüsse knatterten, – dann das Auto, bereits auf der Straße mit laufendem Motor, – ich riß den Fremden in den Wagen, die Tür knallte zu, der Wagen jagte weiter, und das klapperige Gefährt entwickelte ungeahnte Kräfte wie ein Schwerkranker, in dem zum letzten Male der Lebensinstinkt alle früheren Fähigkeiten aufflackern läßt …

Neben mir hockte schwer atmend der Fremde.

Was ich bisher von ihm gesehen: Ein abgezehrtes Gesicht, flackernde Augen, – ein Weißer jedenfalls, ein Europäer …

Ein Gesicht von abschreckender Magerkeit, erdfahl, schweißtriefend, mächtige Oberzähne, die unter einer dünnen kurzen Oberlippe freilagen, dazu ein für dieses Menschenwrack viel zu kräftiges, etwas vorgeschobenes Kinn …

„… Wer sind Sie?“, fragte ich, als das Auto durch ein Eingeborenendorf rollt und die Dorfköter mit ihrem Geheul sogar den Zuruf des Mannes von der Polizeistation übertönen.

„Nummer 308 …“

„Weshalb 308?“

Er versteht schon …

„Kleiner Mord … – Hat Sir Carselan mir übrigens einen redefreudigen Advokaten geschickt?“

„Nein, – aber jemanden, der gern klar sieht. – Sollen Sie mit an Bord?“ – Ich muß herausbekommen, was es mit dieser 308 eigentlich für eine Bewandtnis hat.

„Natürlich … – Haben Sie eine Zigarette?“

Etwas fällt mir noch an 308 auf: Er riecht nicht nur nach Zuchthaus! Er riecht anders …

„Bitte …“

Die Deckenlampe brennt, die Vorhänge sind fest geschlossen, 308 fingert geschickt an der Zigarette umher, der Tabak fällt zur Erde, nur die Hälfte bleibt in der Papierhülse, dann greift 308 in die Achselhöhle, bringt ein Blechbüchschen mit vier Pflasterstreifen zum Vorschein, entnimmt dem Büchschen ein Kügelchen und schiebt es in die halbleere Zigarette, dreht das Zigarettenpapier fest zu, verbirgt die Büchse mit dem Klebestreifen wieder unter dem linken Oberarm …

„Feuer … bitte …“

Er raucht …

Süßlicher fader Dunst steigt auf …

Er zieht den Rauch tief in die Lunge …

Ganz tief …

Er schluckt ihn …

Und lächelt: „Opium, Mister … Opium … Der Rauch des Vergessens … Wie hätte ich die vier Jahre in den Mauern da überstehen sollen?! Ich wäre zerplatzt vor Gedankenfülle … Nur so konnte ich das Hirn mit Träumen täuschen, die der Freiheit galten … – 308 war ein Musterknabe dort, war in gehobener Stellung …“ Seine Stimme bekommt Festigkeit, aber seine Züge werden Teufelsfratze … „Haben Sie jemals eine Zelle gesehen, Mister? Wohl kaum …“

„Doch …!“ Und Erinnerungsbilder leben auf. „Doch, – ich saß sogar darin und ich floh wie Sie …“

Des Malaien zerknittertes braunes Gesicht glotzte plötzlich durch die Scheibe … Sein zischelndes Flüstern umweht mein Ohr. Mein Gefährte träumt in den Gefilden der Seligen, nicht einmal meine Antwort hat Eindruck auf ihn gemacht, vielleicht hat er längst vergessen, was er mich fragte: „Zelle?“

Ich neigte mich weit vor … Des Chauffeurs Krallenhand wirft den Wagen herum, wir fahren ohne Licht durch den tropischen Wasserdampf …

„Mister …, können Sie steuern …?“ … Ich verstehe nur abgehackte Sätze … „Ziehen Sie meinen Gummimantel über … Es ist Zeit … Ich muß zurück …“

Ein Ruck, der Wagen bäumt sich, wir halten auf einem elenden Feldweg inmitten fruchtschwangerer Felder. Die Insel Singapore ist gesegnetes Land, aber es ist nicht Indien, es ist China im kleinen, überall haben die emsigen Chinesen mit ihrem Fleiß, ihrer Anspruchslosigkeit und ihrem feinen Fingerspitzengefühl für Handelsmöglichkeiten die Urbevölkerung größtenteils zurückgedrängt. Von den Bewohnern der Hafenstadt sind mindestens 100 000 Chinesen …

Wir wechseln die Mäntel … Der Malaie deutet geradeaus. „Dort liegt die Bucht … Sie wissen Bescheid, Mister …“

Das ist alles … Der Nebel verschluckt ihn. Er trabt davon, und ich bin mir selbst überlassen.

Ich horche, spanne alle Sinne an, ich höre den fernen dumpfen Knall von drei Kanonenschüssen, – irgendwo läutet eine helle Glocke mit schrillem Gebimmel, – irgendwo keucht und rattert ein Eisenbahnzug vorüber …

Die Glanzledermütze, die mir der alte braune Bursche ebenfalls zurückgelassen hat, ist mir viel zu klein … Die Malaien haben so schmale Schädel … Da hilft nur das Messer … Ein Schnitt am Hinterrand der Mütze, – jetzt geht es, aber, sage ich mir, ich kann doch unmöglich mit diesem Fremden da in Sträflingstracht mich weiterwagen! Der Mann muß meine schwarze Kulturkluft anlegen … Muß …! Und wenn ich sie ihm anziehen müßte, falls die Opiumpille zu reichlich bemessen gewesen sein sollte.

„Hallo …! Hören Sie mal, 308, ich …“

… Ich spreche gegen leere Wände …

308 ist nicht mehr da … ist entwischt … Mein Anzug fehlt, mein Mantel, meine beiden Koffer …

Siedend heiß schießt mir das Blut in die Stirn …

Bin ich da etwa niederträchtigen Schuften ins Garn gegangen? Hat Sir Roger mich lediglich geblufft?

… Das Blut ebbt zurück … – Unsinn!! Ich bin doch wohl so weit Menschenkenner, Talmi von Edelmetall einigermaßen unterscheiden zu können! Sir Roger Carselan war kein Nebelfischer … Mit angelsächsischem Gentlemantum bin ich vertraut … Und Nr. 308 war doch nur eingefügte Programmnummer, und meine Koffer hätte ohnedies das Meer verschluckt … Nur um meine Waffen tut es mir leid.

Also – weiter …!! – Dort vor mir soll die Bucht liegen, linker Hand sollen auf steiler Uferhöhe fünf Kokospalmen stehen, dort soll das Meer tief sein, dort soll das Auto ersaufen.

Also – weiter …! Ich trete den Starter, als ob ich einem Gaul in die Weichen haue, der Motor brummt, spuckt, knurrt, der Wagen schiebt sich über den Lehmhügel, vor mir zwischen den gelben Wänden der Reisfelder läuft ein Strich hin, Weg genannt, eine Knüppelbrücke ächzt, ein Kanal – noch einer, dann durch Wasserpfützen wie durch klatschende Brandung, – – endlich steigt der Boden, ich erkenne links die Palmen wie eine verwaschene Theaterkulisse, ich gebe Gas, der Wagen torkelt, ich stoße die Tür auf, halte mich sprungfertig, sause an der ersten Palme vorüber, rieche das Meer, höre es, – – springe ab … Das Auto jagt ins Leere, – ich horche, – – ein dumpfes Klatschen, Gurgeln, … nichts mehr …

Nichts mehr?!

…Es begann erst …

Ein Anruf: „Halt – – stehen bleiben!“

Halt?!

Ich?!

Eine Kugel summt bissig in den Regen, eine zweite zerfetzt die Rinde der Palme …

Ich liege längst im nassen Grase …

Buckelrinder weiden hier … Einige weichen zur Seite, erscheinen im Nebel riesengroß wie Elefanten …

Wieder ein Anruf … Eine andere Stimme.

Ich rutsche schon den Steilhang hinab, überschlage mich, Salzwasser dringt mir in den Mund, ich tauche empor, – – vor mir geistern ein paar Lichter, – Schiffslaternen …

Ich halte darauf zu …

Am Ufer hinter mir brüllen Männer, die nur ihre Pflicht tun …

Wieder Schüsse …

Eins der Rinder kollerte über den Abhang, die ganze Herde jagt davon, eine keifende Chinesenstimme verflucht den nächtlichen Spuk …

Ich schwimme …

Der dünne Sträflingskittel – die Unterkleider hat 308 mitgehen heißen – hindert mich nicht … Den Mantel habe ich weggeworfen … Die verschwommenen Lichtpünktchen schimmern heller, ich erkenne bereits die beiden Masten, es ist die Brigg „Benito“, – mögen die Beamten schießen, mag da hinter mir der Scheinwerfer eines Autos aufblitzen, – – nur vorwärts …

Und da – keine vierzig Meter mehr! – da quillt am Heck des „Benito“ der schäumende Sprudel einer Schraube auf, eine Ankerwinde quietscht, eine Kette rasselt durch die Klüsen …

Ich beiße die Zähne zusammen …

Ich schwimme nicht, – ich schieße dahin wie ein Hai, ich gebe das Allerletzte her, ich weiß, daß die Brigg sofort die Bucht verlassen wird, ich muß es schaffen, – – und in all der übermächtigen Anstrengung und Erregung zuckt in meinem Hirn das Bild einer blassen, glutäugigen Frau auf … Jener Frau, vor der Sir Roger den Sessel herumrückte … Ebenso jäh fliegt ein Gedanke durch das verführerische Bild wie ein Messerschnitt: Hat Sir Roger niemals an Frau Jetta Arnulf als an seine Konkurrentin gedacht? Niemals?!

… Der Schaumberg der arbeitenden Schiffsschraube wird zum ziehenden Schwalch, – – die Brigg kommt in Fahrt … Die Hoffnung zerrinnt …

Ein Blick rückwärts: Boote – – wie Schatten …!

Es bleibt nur ein Mittel …

Ich schreie, rufe …

„Hallo, – – nehmt mich an Bord … – ein Flüchtling – – hallo …!!“

… Eine Vision nur – nur eine: Eine Polizeiwache, – ich, – – Beamte … – „Sie sind Mr. Benson …?! – So?!“ Und man wühlt in Akten, Steckbriefen, man fischt meinen Steckbrief heraus … – Und das Ende? Das Ende: Auslieferungsverhandlungen … wieder hinein in die Zelle. In … die Zelle … von einst!

Vision …

Niemals!!

Ich brülle nochmals – nochmals …

Aus einem der Boote hinter mir knallt es …

Ein glühendes Eisen fährt mir über den kahl geschorenen Kopf …

Funkenregen sprühen vor den umdunkelten Augen … Die Arme sinken, die Muskeln streiken …

Die unbekannte Bucht der Insel Singapore verschluckt auch mich …

Aber das schwindende Bewußtsein fühlt noch die Krallen des Bootshakens …

Dann schwebe ich, ein Nichts, in der Nacht zwischen Sein und Nichtsein …

 

2. Kapitel.

Die einsame Insel.

… Zwischen Sein und Nichtsein … Wochenlang … tagelang … Zeit und Raum haben für mich jedes Maß verloren. Ich bin ein Spielball der Dämonen, des Fiebers …

Und mein Vorschiffloch ist Palast, Saal, Hütte, Zelt, Zelle … Zelle … alles … Ich selbst bin ein Gewesener, der in der Vergangenheit sein Leben nochmals lebt …

Stunden kommen, in denen ich erwache, mich in die Gegenwart hineinzufinden suche, in denen fremde Menschen sich ohne Liebe, ohne Haß um mich bemühen …

Und wieder taumele ich zurück in das Geisterreich der Fieberträume und reite dahin im hohen Dromedarsattel, feuere vom Sattel mit der treuen Snidersbüchse[2] gegen braune wehende Beduinenmäntel …

Oder taste mich dahin über schwankende Kupferdrähte in die Freiheit – wie einst, – ich, Zuchthäusler, schuldlos … schuldlos …

Und erwache von neuem … Liege auf schmierigen Segeln, über mir pendelt eine Petroleumlampe … pendelt … pendelt …, um mich her Bretter, Balken, und dazu bläst das Meer seine brausenden Fanfaren …

Schweigsame Matrosen flößen mir Tee ein, löffeln mir dicken Brei ein, erneuern meinen Verband, – sind keine Ärzte, sind rüde und wollen es vielleicht gar nicht sein, sind Naturburschen, die einen eiternden Streifschuß für einen lumpigen Dreck ansehen und das Leben für ein Würfelspiel, bei dem jede Minute der Sensenmann gewinnen kann.

Tage so … Wochen so …? – Doch: Wochen! Denn als der neue Traum von knisternden Palmenwedeln und frischer Luft und Möwengekreisch Wirklichkeit wird, liege ich anderswo – hinter Gestrüpp, auf grünem Gras, über mir in den Palmen hängen die hellbraunen Riesennüsse, hängen auch noch grüne Nüsse …

Das ist endlich Wirklichkeit.

Das ist nicht mehr Fieberrausch: Neben mir liegt alles, was meine Koffer an Wertvollem bargen, liegen Konserven, eine Kanne Trinkwasser, ein Spirituskocher …

Das ist jetzt Wirklichkeit.

Korallenfelsen, vom Unrat der Seevögel zermürbt und fruchtbar gemacht, umgeben diesen unbekannten Winkel. Der Seewind säuselt in den Büschen, in den Kletterranken der Felsen, der frohe Schrei eines Seevogels ist mir Weckruf für das Jetzt. – Wo bin ich? Ich war an Bord der Brigg „Benito“, ich sollte für Sir Roger die Konkurrenz beobachten, und bestimmte Signale sollten meinem Auftraggeber darüber aufklären, wer diese Schiffsexpedition in Wahrheit ausgerüstet hätte. – Und ich?! Ich befand mich wochenlang auf der Brigg, und als ich halb genesen, setzte man mich eines Nachts in aller Stille und mit Hilfe eines kräftigen Schlaftrunks ahnungslos hier aus. – Hier?! Was heißt hier? Was ist dies hier, Insel, Festland, Halbinsel?

… Und so sitze ich denn im Grase zwischen Busch und Fels unter Palmen im Schatten und suche in Gedanken die Verbindung herzustellen zwischen jener Abendstunde im King Edward-Hotel in Singapore und dieser Vormittagsstunde an unbekannter Küste.

Aber schon das Öffnen der einen Konservenbüchse treibt mir den Schweiß der Entkräftung aus allen Poren … Es muß doch recht böse mit mir bestellt gewesen sein, daß ich so unendlich matt bin …

Ich esse … Die Büchse enthält Reis und Huhn, zusammen gedünstet …

Nachher wage ich den ersten Versuch, mich aufzurichten, auf den Beinen zu stehen und einige Schritte zu tun. Mir knicken die Knie ein, es wird mir schwarz vor den Augen, aber der Wille schafft es, der eiserne Wille, der alles vermag.

Fünf Schritte …

Ich lehne an einem Korallenblock, und ich sehe jetzt das Meer, das ich liebe. Ich sehe den weißen Sand der Küste unter mir, und ich sehe, daß diese Küste beiderseits zurückweicht, sehe kein anderes Land, nur das Meer, den Himmel und das Fleckchen fremder Erde unter mir. – Eine Insel?

Dann rieche ich etwas …

Ein bestimmter Geruch zaubert bestimmte Bilder hervor … Ein Auto torkelt über nasse Straßen und Wege, und in der Ecke des Wagens lehnt 308 und raucht …

Opium …

Das war in jener Nacht – jener!

Opium …?!

Noch vier Schritte … – Auf einer Korallenbank sitzt ein Gerippe, um die Lenden eine gestreifte Sträflingshose als Schurz, auf dem Kopf einen kunstvoll primitiven breitrandigen Hut aus Palmblättern. Das Gerippe blickt regungslos über das Meer, im Mundwinkel wippt die Zigarette, und die kurze Oberlippe zeigt die prächtigen weißen Zähne.

308!

„Ich glaubte, Sie würden nach dem Zeug noch länger schlafen, Abelsen … Kommen Sie, setzen Sie sich … Und wenn Sie etwa auf mein süßes Gift schimpfen wollen, schonen Sie besser Ihre Zunge. Ich bin unheilbar.“ – Da erst dreht er den Kopf und grinst … Vielleicht soll es ein Lächeln sein … Aber ein Gesicht ohne ein Lot Fleisch auf den Knochen kann wohl kaum lächeln. So mager ist er.

Für Händedrücke und all solchen Kram, der an Philisterstammtischen streng konservierte Gewohnheit ist, (wie etwa die unvermeidlichen Zoten und Zötchen), hat 308 kein Verständnis, erst recht nicht für lange Litaneien, mit denen der intellektuelle Schmus von Menschenverbrüderung (von hinten gelesen Menschenausnutzung) die Melodie angibt. Er redet nur das Nötigste, er stiehlt[3] nur das Nötigste (meine Koffer) und erstattet mir im Depeschenstil Bericht, wobei ich mir vieles ergänzen muß. Wir sitzen nebeneinander, und als ich an seiner nackten Brust entlang nach der linken Achselhöhle schiele, klebt da noch in dem schlauen Versteck das Blechbüchschen an dem Pflasterstreifen, das ich ihm bestimmt bei der ersten Gelegenheit entführen werde.

„… Schiffsoffizier war ich … Ja, Schiffsoffizier, Abelsen … Und Sie waren Ingenieur … Mehr denn vier Jahre sind es, da knallte ich, schon immer eine etwas aufbrausende Natur, in Singapore drei Schufte nieder … Massenduell sozusagen, drei gegen einen. Daß ich die sicherere Hand und den flinkeren Finger hatte, ließ die hohe Justiz unberührt. Also –: Sechs Jahre Zuchthaus, das macht pro Menschenleben zwei Jahre, – und das war zu viel, Abelsen … Die Kerle, die da ins Gras bissen, waren bezahlte Meuchler, – beweisen konnte ich es nicht … Ich hütete mich auch, meinen Namen zu nennen, ich wurde als Mr. Smith verurteilt, John Smith, – ebensogut hätte ich Müller oder Schulze sagen können. Selbst den Schiffsoffizier ließ ich unter den Tisch fallen … Ich war ja auch so etwas auf Umwegen nach Singapore gelangt …“

„Na, – und Sir Roger Carselan …?“, fuhr er fort, nachdem er sein Tabakröllchen mit einem winzigen Kügelchen versorgt hatte – Opium! „Von einem Sir Roger hatte ich mein Lebtag nichts gehört. Vor einem Jahr aber hörte ich und merkte ich seinen Einfluß … Ein Aufseher, der ein anständiger Kerl war, übernahm die Briefvermittlung und besorgte mir auch weiter das Gift des Vergessens, er war selbst Opiumschlucker. – – So gelang meine Flucht … Als Sie mit dem Bootshaken herausgefischt wurden, war ich schon mit Ihren Koffern an Bord, gab dem Kapitän mein Ehrenwort, daß ich die Koffer und den Smoking und den Mantel und die Unterwäsche geklaut hätte, – stimmte ja auch, und wurde neben Ihrem Vorschiffloch in die Segelkammer eingesperrt. In der letzten, der verflossenen Nacht, müssen die Burschen vom Benito, übrigens ganz anständige Leute, mir in den abendlichen Tee ein Schlafmittel gemengt haben. Ich erwachte hier, Sie schliefen noch, ich habe inzwischen schon ein Bad genommen und unser Inselchen umkreist, dazu gehört nur eine halbe Stunde Zeit, Abelsen … Und da fand ich eben in der Nordbucht, die ganz aus Felsen besteht, Korallenfelsen, das Flugzeug, einen Riesenapparat mit Schwimmern, drei Propellern … Schon stark verwittert, das Ding, aber für uns ein Geschenk zu Weihnachten … – Wie fühlen Sie sich? Soll ich Sie tragen? Ich möchte Ihnen doch D O XII[4] zeigen, – das steht nämlich auf Rumpf und Tragflächen gemalt … – Komische Geschichte, – wie kommt ein solcher Vogel hier in diese Wasserwüste? Daß wir hier mitten im Stillen Ozean sind, beweist schon die Struktur dieser Insel, beweist auch der Pflanzenwuchs … – Los denn, ich trage Sie. Viel wiegen Sie nicht mehr, wir beide sind Skelette, Abelsen, und das dritte Skelett hockt oben auf dem Benzinvogel, ein richtiges Skelett, ein Toter … Armer Teufel, er muß sich hier jämmerlich gelangweilt haben, schätze ich …“

Das war so die Art von 308 …

Er nahm nichts so recht ernst. Er hatte den überlegenen Spott jener Menschen an sich, die im Leben unendlich viel durchgemacht haben und die bis ins Innerste aufgerüttelt wurden durch menschliche Niedertracht.

Philosophen des Abseits …

„308, eine Frage … Woher kennen Sie meinen vollen Namen?“, warf ich so nebenbei hin, als er mich stützte und wir am Strande entlangpilgerten.

„Na nu?! Woher?“ Er blickte mich erstaunt an. „Mein geheimnisvoller Wohltäter Sir Roger schrieb mir doch, daß Sie mich vor der Zuchthausmauer erwarten würden.“

Ich sagte nichts. Nickte nur …

Also hatte Roger Carselan mich gekannt. Hatte mich im Unklaren über diesen Punkt und viele andere gelassen.

Wir wanderten, sehr gemächlich, – ich sah, daß es keine Laguneninsel war, daß zum Teil festes Gestein den Boden bildete, nicht nur der künstliche Kalkstoff der abgestorbenen Korallen. Kokospalmen und Buschwerk gab es nur stellenweise, das Innere des Eilandes war etwas kahl, kleine Buchten gab es, eine einzige größere, und hier lag das gescheiterte große Flugzeug, auf den Klippen hängend, den Schwanz im Wasser, stark beschädigt, eine Strebe der Tragfläche hatte den Mann, der nun lumpenumhülltes Skelett geworden, halb durchbohrt und hielt ihn in sitzender Stellung aufrecht.

Ich war erschöpft, 308 ließ mich in den Schatten der Uferwand nieder und kletterte flink in die Kabine des D O XII hinein, kehrte mit einer Flasche zurück.

„… Auch Weihnachtsgeschenk …“, lachte er. „Saufen Sie, Abelsen …! Sie sehen grüngelb aus wie ein Malariakranker mit 42 Grad Temperatur …“

Er setzte sich, betrachtete das Wrack und meinte kopfschüttelnd: „Dieses Inselchen muß seit vielen Jahren nicht betreten worden sein … Das Flugzeug liegt also für die Insulaner der nächsten Inselgruppe nicht griffbereit, sonst hätte man D O XII längst abmontiert. Insulaner können alles brauchen, und sogar ein europäisches Schiff hätte zumindest die Motoren geborgen, die jetzt uns vielleicht sehr nützlich werden dürften.“

Das, was mir jetzt wie Feuer durch die Adern rann, war bester Whisky. Ich fühlte, daß ich wieder Farbe bekam, daß auch mein Hirn müheloser arbeitete und an dem Flugzeugwrack lebhafteren Anteil nahm. – Wind und Stürme hatten trockene Zweige und trockenes Gras, sogar ein paar ganz frische Palmenblätter über die Tragflächen und den schlanken Rumpf gestreut, Sandwehen waren daneben aufgehäuft: Es stimmte schon, diese Insel mußte viele Jahre von keinem menschlichen Fuß betreten worden sein.

308 rauchte. „Ich werde nun den armen Kerl da oben ehrlich begraben“, sagte er scheinbar ohne viel Gefühl. „Bleiben Sie nur sitzen, Abelsen … Wir sind beide nur Haut und Knochen, aber Sie sind ein Genesender, und meine Muskeln sind zumindest noch Kupferdrähte, wenn auch durch das Opium etwas stark oxydiert …“ Er lachte leise, und wie er so vor mir stand mit seinem Schurz und dem knochigen Leibe und den klaren Augen, in denen das bescheidene Lichtlein der Nächstenliebe schimmerte, bedauerte ich seine moralische Schwäche, die ihn das trügerische Gift des Opiums immer wieder als heimtückisches Reizmittel gebrauchen ließ. Und doch lag jetzt in seinem heiteren Lachen ein köstlicher, unbeschwerter Humor.

„… Ja, wir beide, Abelsen … Wir Schützlinge Sir Roger Carselans …! Schützlinge … – hm, komischer Kauz, der Baronett … Woher sein Interesse für mich? Und weshalb eigentlich diese sanften Schwindeleien Ihnen gegenüber?! Weshalb sagte er Ihnen nicht sofort, daß Sie mich befreien helfen sollten?! Und dann die Brigg …! Auch ich hatte ja meine genauen Instruktionen … Ich sollte Ihre Koffer mitnehmen … Mich erwartete ein Boot, Sie armer Kerl mußten schwimmen und wären beinahe erschossen worden. Dunkle Geschichten, Abelsen, stark rätselhaft … Auf der Brigg werden wir beide eingesperrt, anständig behandelt, die Besatzung waren Leute jeglicher Couleur, nachher setzt man uns aus – – hier mitten im Pacific … Werden Sie daraus schlau?“

„Ich erst recht nicht … Ich weiß nicht einmal, mit was für einem Fahrzeug Sir Roger der Brigg folgen wollte … Ich sollte ihm doch Signale geben … Die Brigg war ja seine Konkurrenz – um den Schatz, 308, um die letzte Chance, das klingt besser wie Schatz, denn Schatz und Ähnliches: Hintertreppe, Groschenhefte, – – Sie verstehen!“

Jetzt geschah etwas sehr Merkwürdiges. 308 hob den Kopf mit einem Ruck, starrte mich aus graublauen Augen schier fassungslos an … Sein üppiger blonder Stoppelbart, sein ebenso üppiger blonder Bürstenschädel schienen jedes ihrer Härchen zu sträuben …

„Schatz?!“, flüsterte er tonlos … Und dann schrie er mit voller Lungenkraft: „Schatz!! War ich nur blind!! Geistig blind! Benito hieß die Brigg! Abelsen, haben Sie nie etwas von Don Pedro Benito gehört?“

Ich war doch nicht sofort im Bilde. Die Namen berüchtigter Seeräuber zählen nicht zu den gangbaren Wissensartikeln. „Benito, – – jetzt habe ich es, – Don Pedro Benito, halb Spanier, halb Chilene, war um das Jahr 1820 der erfolgreichste Pirat im Stillen Ozean.“

„Na also!! Und Benito ist keine Phantasiefigur, er hat gelebt, seine Schätze soll er auf der ganz einsamen Cocos-Insel vergraben haben. Englische Kriegsschiffe hatten ihn umzingelt, trotzdem entkam er mit seinem kanonengespickten Dreimaster „Schwarzer Adler“, der ganz aus festesten Eichenplanken gebaut war, erschoß die letzten Überlebenden seiner Leute und verbarg seine ungeheueren Reichtümer. In einer Schaluppe wurde er schließlich aufgegriffen und sofort aufgeknüpft.“

„Im Jahre 1822, ganz recht … Mein eigener Landsmann Baron Söderström rüstete 1911 eine Expedition aus – als dritter Schatzsucher. Er fand zwar die einsame Cocos-Insel, nicht aber die Schätze … Nur sein Buch mit dem Titel „Auf der Suche nach Benitos Schatz“ brachte ihm viel Geld ein – auch Tatsache … Nach ihm sind noch Engländer, Amerikaner und Japaner auf der bewußten Insel gewesen, – alle ohne Erfolg …“[*1]

308 fingerte schon wieder an einer Zigarette.

„Was erzählte Ihnen Carselan über seine Pläne?“

„So gut wie nichts … Er sagte nur, sein Urgroßvater, englischer Admiral, habe einen großen Räuber aufgeknüpft, und der Bandit habe ihm kurz vor der Hinrichtung hohngrinsend ein Wort zugeflüstert … Das Wort scheint sich in der Familie vererbt zu haben, und Sir Roger baute darauf seine allerletzte Chance auf, – er ist arm geworden, er will reich werden …!!“

308 legte mir plötzlich die magere sehnige Hand auf die Schulter. Sein Gesichtsausdruck verriet angestrengtestes Nachdenken. „Abelsen, hier scheint eine ungeheuere Schufterei sehr sorgfältig vorbereitet gewesen zu sein … Ich glaube das „Wort“ zu kennen, an das Sir Roger sich klammert … Es heißt natürlich Cocos-Insel … Und ich fürchte fast, Carselan hat auch Sie beschwindelt … Die Brigg „Benito“ dürfte des Baronetts Eigentum sein, und das trügerische Spiel, das er mit Ihnen und mit mir trieb, muß doch irgend einen Zweck gehabt haben …! Abelsen, zum Teufel, – läßt Sie diese dunkle Geschichte ganz kalt?! Mann, Sie haben doch auch Ihr vollgerütteltes Maß an Abenteuern und Erfahrungen auf dem Buckel, alle Zeitungen berichteten damals über Ihre tollkühne Flucht, – Mann, greifen Sie doch mal hinein in Ihren Vorrat von Weisheit und sagen Sie mir: Weshalb hat Carselan ausgerechnet auch Sie hier zum Robinsondasein verurteilt, auch Sie, – von mir schon ganz abgesehen! Ich habe ja Carselan nie gesehen, nie, seine Fürsorge für mich hielt ich für die Schrulle eines reichen Engländers!! Mann, – was steckt hinter alledem?!“

Ich konnte nur eins: Den Kopf schütteln und erwidern: „Wenn Sie es nicht wissen, ich schon gar nicht …!“

Seine Hand glitt von meiner Schulter. Sein gerötetes Gesicht, das vor Erregung zuckte, bewies mir sein gefährliches Temperament. Aber genau wie Sir Roger, dem auch ich nun mißtraute, besaß 308 eine bewundernswerte Selbstbeherrschung. Das Opium hatte diesen Körper wohl vergiften, aber nicht bezwingen[5] können, dieser ausgemergelte Kadaver war noch immer Herr seiner Nerven …

Erstaunlich die, – vier Jahre Zuchthaus noch dazu, und doch diese ungeheuere Fülle von Lebensimpuls.

„Abelsen, wir werden die Dinge klären“, preßte er zwischen den tadellosen Zähnen hervor. „Wir werden Carselan finden, und ihm ein Geständnis aus dem Leibe kneten, – oho, 308 ist kein Wrack wie das Ding da …“ – er wies auf D O XII – „noch lange kein Wrack, und selbst das Flugzeug wird uns hergeben müssen, was wir brauchen …!“

Jetzt lachte er wieder … Und es war so viel kräftiger, frischer Übermut und so viel freudiges, fast jungenhaftes Draufgängertum in diesem hellen Lachen, daß es geradezu ansteckend wirkte.

Erschrocken flogen ein paar nistende Möwen aus den Felsspalten hoch, – ein Windstoß rüttelte die Tragflächen von D O XII, und das Skelett dort oben wackelte mit dem Totenschädel, als ob es ebenfalls einstimmen wollte in diese frohe Kriegsfanfare, die dem Baronett Roger Carselan galt.

Ich erhob mich … Die Beine zitterten nicht mehr, und das üble Stechen dort in der vernarbenden Wunde konnte mir die Freude nicht schmälern, hier in der Person des Namenlosen wieder einen Gefährten gefunden zu haben, der ein ganzer Kerl war trotz Opium und Zuchthaus.

„Begraben wir den Toten, 308“, sagte ich augenzwinkernd … Die Sonne blendete mich … „Das Gerippe ist einst ein Mensch gewesen wie wir, wahrscheinlich einer jener besessenen Tollhäusler, die sich einbilden, der Menschheit zu nützen, wenn sie einen Ozean überqueren, und doch nur kurzen Ruhm ernten … – Vorwärts, 308, meine Muskeln spielen wieder, diese Luft macht jeden gesund, es ist die Luft der glücklichen Inseln, der Koralleninseln und der freien Weite …!“

„Er soll ein Grab haben wie ein Held“, erwiderte 308 eigentümlich scharfen Tones. „Auch ein Sportfex kann sich zu stillem Heldentum aufschwingen, – man muß nach seinen wahren Beweggründen suchen, und die, mein lieber Abelsen, werden nicht immer in alle Welt hinausposaunt …“ Er brach kurz ab, vielleicht wollte er noch mehr sagen, eigentlich deutete sein Gesichtsausdruck darauf hin, er hatte ja den Toten so warm verteidigt, freilich ohne rechten Anlaß, denn nichts hatte mir ferner gelegen, als diesen Flieger zu schmähen, von dem die Seevögel, der Wind, der Regen und die Sonne nur ein Bündel Knochen übrig gelassen hatten. 308 hatte meine Bemerkung von „besessenen Tollhäuslern“ ganz falsch gewertet. Auch ich gehörte ja zu ihnen, auch ich führte ein Leben, das die große Masse nie begreifen würde … Todesverachtung, Einsatz des eigenen Ichs ohne klingenden Lohn ist stets etwas Erhabenes. Wie kam 308 dazu, mich derart anzufauchen?!

Wir schritten über die Klippen zum Wrack, plötzlich drehte 308 sich um, schaute mich forschend an … „Ihr Lachen reizte mich, Abelsen … Vielleicht war Ihr abfälliges Urteil nicht so böse gemeint … Sie lachten doch?“

„Nein! Ich blinzelte nur in das Sonnenlicht, – den Tod habe ich nie für ein törichtes Etwas gehalten … – Sprechen wir nicht mehr davon …“

Es war eine geringe, nur eine geringe Verstimmung zwischen uns, – sie wurde schnell wieder beseitigt …

308 blickte jetzt zu Boden. „Abelsen, ich habe den Mann gekannt, – das ist es …! Er war nur ein schlichter Monteur ohne jede Eitelkeit, er war das verkörperte Pflichtbewußtsein … Vielleicht habe auch ich zu einem Mißverständnis Anlaß gegeben, als ich allzu kühl von seiner letzten Ruhestätte redete. Der Tote stand mir nahe, – Freundschaft ist ein Wort, eine Phrase nur zu oft … Er war mein Freund … Sein Geschick hat mich tief ergriffen, und als ich vorhin dort am Weststrande auf der Korallenbank saß und Sie hinzukamen, hielt ich Totenandacht, – das war es, Abelsen … Fragen Sie nichts … Ozeanflieger wünschen sehr oft keinen Ruhm, und mein Freund dort wünscht, daß sein Name tot bleibe wie er selbst … – Helfen Sie mir … Wir hüllen die Gebeine in eine Flagge, die er über alles liebte … Wir werden droben auf der Uferhöhe der Bucht sein letztes Bett bereiten, und einen Grabstein soll er erhalten, in den ich einhauen werde:

Auch einer ohne Namen:
Ein Mann der Pflicht.

Für einen ganzen Kerl genügt das … Ihm genügt es sicherlich …“

– Ich hatte jetzt reichlich Stoff genug zum Nachdenken, als wir hier als allererstes auf der unbekannten Insel Totengräber spielten, als das dreistreifige Flaggentuch unter den Erdmassen und Steinstücken verschwand und der Hügel sich wölbte.

308 hatte den Schleier seiner Vergangenheit ein wenig gelüftet.

Ich wußte jetzt mit einiger Bestimmtheit, daß auch er D O XII kannte … Vielleicht war er der zweite besessene Tollhäusler gewesen, der einst vor Jahren den Stillen Ozean bezwingen wollte, als die Flugzeuge von solchen Abmessungen nur erst Einzelerscheinungen bildeten.

Woher ich es wußte? – 308 hatte sich selbst verraten, als er unter den Kisten hinten im Rumpf sofort die richtige herausfand, die die Spaten und Erdhacken enthielt.

Und noch eins: Ich sah, daß am Boden des Rumpfes starke Gurte hingen mit Schnallen, sechs an der Zahl, und sie konnten nur ein langes, schlankes Aluminiumboot unverrückbar festgehalten haben. – War 308 mit diesem Boot nach Singapore gelangt?!

Ich traute es ihm schon zu …

Das Opium hatte ihm nichts geschadet … Von welch strotzender Gesundheitsfülle mußte dieser Mann gewesen sein, als er noch nicht Zuchthausluft jahrelang geatmet hatte!

… Sir Roger Carselan war mir ein Rätsel, 308 nicht weniger … Stellte etwa das Wrack D O XII zwischen diesen beiden Männern die mir noch unsichtbare Brücke dar?

– Ich schlief dann an unserem Lagerplatz am Westufer zwischen Büschen und Felsen und Palmen nach zweiter kräftiger Mahlzeit bis in den Abend hinein. Als ich erwachte, nahm ich ein Bad, die Brandungswellen massierten meinen hageren Leib, aber ein Gesunder, Genesender entstieg der in Abendgold strahlenden Flut an der Küste der fernen kleinen Koralleninsel …

 

3. Kapitel.

Die Madonna mit den stählernen Türen.

„Wie ein Krebs sehen Sie aus“, sagte 308 fast neidisch …

„In acht Tagen werde ich braun aussehen wie ein Malaie“, lachte ich nur und überschaute meines Gefährten inzwischen geleistete Arbeit.

Er hatte aufgeräumt, er hatte unser Heim wohnlicher hergerichtet, über einem Riesenfeuer schmorte im Topfe der Inhalt zweier Konservenbüchsen, im Tiegel dampfte Teewasser …

„Wo haben Sie das kühle Trinkwasser her“, fragte ich so nebenher …

„Zisterne, – – an der Bucht, natürliche Zisterne …“, – und er hatte sich hiermit verraten, er kannte die Insel.

Wir lagen im Grase, er hatte Wolldecken aus dem Wrack geholt, wir sprachen nicht viel, aßen, tranken, und was wir sprachen, betraf lediglich die Möglichkeit, den Rumpf des Flugzeuges und die Schwimmer zu einem festen Boot mit Auslegern zusammenzufügen.

Es war dann bereits dunkel, als wir zum zweiten Male zur Nordbucht wanderten. Der Mond war noch nicht aufgestiegen, das Dämmerlicht der Tropen war ausreichend, wir wollten ja nur in dem Wrack nach Kleidungsstücken suchen, um unsere Sträflingsanzüge verbrennen zu können. Gewiß, meine Koffer enthielten für mich alles, was ich brauchte, aber 308 war weit länger als ich und viel schmaler in den Schultern, einer meiner Tropenanzüge machte ihn zur Vogelscheuche, und 308 war eitel oder tat wenigstens so. Daß er im Wrack Passendes finden würde, wußte ich. Und es traf auch zu. Ich hatte ihn allein hinabklettern lassen in den schief hängenden Rumpf, ich war droben auf der Uferhöhe geblieben, vor mir lag ein fruchtbares Tal der Insel, weiterhin das noch unbekannte Gebiet: Hügel, Schluchten, Buschwerk, Palmenhaine und Sandstrecken.

Sandstrecken …

Gerade als Freund 308 nun mit einem Kleiderbündel über dem Arm wieder erschien, kniff ich die Augen kleiner …

Was ich zu sehen glaubte – es war ja nur wie ein Schatten – konnte ein Tier sein …

Oder – ein sehr schnell kriechender Mensch.

Ich war mir nicht ganz klar darüber.

„Hallo – leise!“, warnte ich den Gefährten. „Die Geschichte ist hier nicht ganz geheuer … Da – sehen Sie, – wofür halten Sie den Schatten dort neben der Palmengruppe?“

Er blickte hin.

„Hm – – ein Tier?!“

Ich merkte ihm das Mißtrauen an.

„Abelsen, wir hätten doch besser Ihre Waffen mitgenommen“, fügte er noch leiser hinzu.

Das Geschöpf dort drüben bewegte sich jetzt langsamer. Es blieb wie ein Schatten, – mit Hin- und Herraten war ihm nicht beizukommen.

308 ließ sein Kleiderbündel fallen. „Abelsen, ich laufe schnell nach unserem Lagerplatz und hole Ihre Schießprügel … Es war sehr unvorsichtig, die Insel nicht vorher gründlich zu durchsuchen. Wir hätten immerhin mit der Anwesenheit von Fremden rechnen müssen … Ich bin sofort zurück … Sie müssen sich noch schonen …“

Er trabte davon. Laufen konnte er … Er war im Nu verschwunden …

Ich sollte mich schonen …! Guter Kerl, er hatte das Herz auf dem rechten Fleck, er war besorgt um mich, trotz all der Widersprüche in seinem Charakter trat dieser unanfechtbare Zug von kameradschaftlicher Fürsorge doch klar hervor. Trotzdem mißfiel mir die vorschnelle Eigenmächtigkeit, mit der er sich entfernt hatte, ohne meine Zustimmung abzuwarten. Ich beurteilte die Sachlage etwas anders als er, und ob ich nicht recht behalten würde, mußte schon die nächste Viertelstunde zeigen. Befanden sich Leute auf der Insel, mußten sie uns ja längst bemerkt haben, schon allein das Riesenfeuer, das Freund 308 angezündet hatte, war für jeden Fremden hier auf dem Eiland wie ein Wegweiser und wie ein Lockruf zu unserem Lagerplatz. Ich sah den Feuerschein von hier aus sogar so deutlich, als ob die gesamte Entfernung nur wenige hundert Meter betrüge. – Und nicht nur dies: Weshalb waren die Leute, die hier vielleicht weilten, denn nicht ganz offen zu uns gekommen?

All dies veranlaßte mich, sofort das zu tun, was mir vor jedem verborgenen Gegner einen Vorteil sicherte: Ich ließ mich die Uferwand hinabgleiten, rutschte ins Wasser und schwamm in den äußersten Buchtwinkel hinein, äugte dabei dauernd zum Ostrande des Buchtgestades empor, ohne jedoch irgendwo etwas Verdächtiges zu bemerken.

Der tiefste Buchtwinkel wurde durch zwei riesige, unregelmäßig geformte Korallenblöcke gebildet, die wie Schleusentore zusammenstießen und die den Wasserspiegel völlig beschatteten, da sie stark nach vorn gewölbt waren und so selbst das Sternenlicht absperrten.

Ich wunderte mich, daß das Wasser hier, als ich die Beine sinken ließ, um Grund zu finden, eine starke Strömung aufwies, die nicht etwa bogenförmig den Felsenwinkel umfloß, sondern unverkennbar nach dem Innern der Insel drängte.

Diese Erscheinung jetzt genauer zu untersuchen, dazu fehlte es mir an Zeit und Kraft. Ich mußte mit der Widerstandsfähigkeit meines Körpers weise haushalten, wenn ich mein Vorhaben glücklich beenden wollte, und dieses lief ja auf nichts anderes hinaus, als einwandfrei festzustellen, ob tatsächlich Fremde auf der Insel sich befänden.

Das Erklimmen des Felsenwinkels erforderte keine großen Anstrengungen. Alle Korallenfelsen haben genügend Buckel, Vorsprünge und Risse, – jedenfalls, ich war in kurzem oben, fand hinreichende Deckung, kroch immer geradeaus durch junge Palmenschößlinge und erreichte einen Buschstreifen, der sich etwa in Richtung jenes hellen Sandfleckes hinzog, auf dem der Schatten sich in so eigentümlicher Art hin und her bewegt hatte.

Der frische Wind, der tagsüber geweht hatte, war völlig eingeschlafen. Die Nacht war da, und all die verschiedenen Sträucher, Büsche und Ranken, die dem Sonnenlicht ihre Kelche verschlossen hatten, öffneten nun ihre Blüten und hauchten ihre Düfte in die dämmerige Stille des kleinen Eilandes. – Gewürzinseln, – so hatten einst die ersten europäischen Seefahrer jene Inselgruppen genannt, deren Düfte meilenweit über das Meer wehten … Diese Seeleute, kühne Abenteurer, mochten poesielose Gesellen gewesen sein, aber der Ausdruck „Gewürzinseln“ traf zu und enthielt einen Schimmer von Naturfreude.

Hier dasselbe köstliche Empfinden, durch einen Garten Eden zu wandeln … Manche Nelkensträucher dufteten so stark, daß sie die Schleimhäute der Nase reizten … Nicht viel hätte gefehlt, und ich hätte unerwünschter Weise kräftig genießt.

Das alles war trotzdem nur Beiwerk, Kulissenzauber …

Urplötzlich geschah es …

So jäh, daß ich rasch vornüber in die Knie sank …: Ein Hund bellte!! Eine tiefe, grollende Hundekehle meldete sich mit blaffenden Lauten, und irgend etwas in dieser Stimme erinnerte mich an meinen mir in Singapore verloren gegangenen vierbeinigen Freund Monte, der mir am dritten Tage am Hafen abhanden gekommen war, und um dessen Verbleib ich sogar die Polizei bemüht hatte, für dessen Wiederherbeischaffung ich auch in den Zeitungen Singapores zehn Pfund Belohnung ausgesetzt hatte.

Monte Christo, einst Besitz eines jungen Schicksalsgenossen an den Ostgestaden Madagaskars, war, so fürchtete ich, der Hundefleischgier der Chinesen zum Opfer gefallen. Ich hatte ihn ehrlich betrauert, ich war dann nur durch Sir Roger Carselans auffälliges Interesse für meine Person etwas abgelenkt worden, und dann war eben jener Abend im Speisesaal des King Edward gekommen, wo ich Hals über Kopf mich in dieses neue Abenteuer gestürzt hatte, das hier als vorläufige Robinsonade enden sollte.

Ein Hund bellte …

Und ich kenne doch meines Monte scharfes, drohendes Röhren … Schön war Monte nie, echt erst recht nicht, aber die Narben an seinem gescheckten Leibe und die zerfetzten Ohren bewiesen, was alles in dem Prachtkerl an treuer Hingabe steckte.

Das Bellen verstummt …

Ich reiße mich zusammen, bin mit ein paar Sprüngen auf einer Kuppe, wo drei Kokospalmen stehen, drücke mich hinter den einen Stamm …

Vor mir ein Tal … Viel heller Sand, viele dunkle Blöcke, Urgestein, dazwischen eine von Sturm geknickte, abgestorbene Palme, anzusehen wie ein primitiver Wegweiser, und auf der Bruchstelle hockt ein Geschöpf, – Affe, Mensch?, – schwer zu sagen …

Doch das ist ja so gleichgültig gegenüber dem zuweilen über den Rand eines Felsens hochschnellenden Hundekopf …

Den Kopf habe ich unzählige Male im Schoße gehabt, der Kopf hat eine Nase, die besser ist als die eines Polizeihundes …!

Es ist mein Monte! So gewiß mein Monte, wie mir vor Aufregung die Beine zittern …

Und das Geschöpf, das dort auf dem Baumstumpf hockt?!

Ich muß näher heran …

Wieder zwinge ich mich zur Ruhe …

Ich schleiche Schritt um Schritt, stehe abermals still …

Kindergeschichten von Waldmenschen werden in meinem Gedächtnis lebendig, von armen Verirrten, die in ungeheueren Waldungen langsam vertierten, die ihr Leben den Umständen anpassen mußten, und die sogar das Sprechen verlernten, menschenscheu wurden und, zufällig wieder aufgefunden und eingegangen, nie mehr das wurden, was sie gewesen. Die Einsamkeit hatte sie um den Verstand gebracht.

Aber hier irrte ich mich …

Kein Waldmensch trotz des phantastischen Aussehens … Im Gegenteil, ein Greis mit schärfsten Sinnen, mit tadellosen Augen, mit vollem Verständnis für die Vorgänge ringsum.

Er hatte mich bemerkt … Eine eigentümliche dumpfe, trotzdem klare Stimme rief mir zu: „Ich möchte den Hund nicht töten … Locken Sie ihn fort …!“

Der Mann bediente sich der englischen Sprache, aber er beherrschte sie unvollkommen, die Betonung ist unrichtig, die Worte sind verstümmelt.

Rufen? – Monte rufen? – Ein gewisser Pfiff genügt …

Auf den Pfiff hin erfolgt zunächst nichts.

Dann kommt Monte … kommt angerast, nicht gerannt, wirft mich fast um, erstickt mich mit seiner stürmischen Freude, die erst etwas abflaut, als hinter uns von der Bucht her ein Knall ertönt, der mit dem Luftstoß der Explosion die Palmenblätter aufrauschen läßt und sogar ein paar überreife Kokosnüsse herabwirft, die mit dumpfem Krach aufschlagen …

Was geht dort vor?!

… Ein Blick nur nach dem Palmenstumpf …

Das Geschöpf ist verschwunden …

„Monte, – – hierher.. !!“ Und wir hasten zur Bucht … Monte trägt noch das breite, fettige, mit Muscheln und Perlen verzierte Halsband, – ich halte mich daran fest, Monte reißt mich mit sich, – – wir stehen vor dem Buschwinkel, soeben hat der Mond die Uferhöhen überwunden …

Das Wrack D O XII, dessen silbergrauer Anstrich sich all die Jahre so vortrefflich gehalten hatte, war nicht mehr da, die Stelle, wo es auf den Klippen wie ein angeschweißter Riesenvogel gelegen hatte, ist leer.

Aber nicht leer und einsam ist die bis dahin so tote Bucht, – dort in der Ferne zieht mit sanftem Rattern ein dunkler Strich dahin und läßt hinter sich im mondglitzernden Wasser die spitze Bugwelle zurück, in deren Mitte der Schaum der von jagender Schraube hochgequirlten kleinen Wogen in tänzelndem Spiele einen sich schlängelnden weißen Faden bildet.

Ein Motorkutter!

Soeben erreicht er den inneren Brandungsstreifen vor der Ausfahrt, weicht den Riffen aus, zeigt sekundenlang seine Breitseite, wird hochgeworfen von einem daherstürmenden Wasserberg und schiebt so die Umrisse einer am Steuer lehnenden Gestalt vor die gelbrote Mondscheibe.

Diese Umrisse, nun ganz scharf umrandet, zeigen mir den unbedeckten Kopf einer Frau mit glatt zurückgestrichenem Haar, ein Profil, das so unverkennbar ist mit seiner kräftig geschweiften Nase und der hohen Stirn, daß ich schreien möchte:

„Frau Jetta Arnulf, Sie sind eine Verbrecherin, Sie haben uns des letzten Mittels beraubt, wieder in bewohnte Gebiete zu gelangen, Sie haben das Wrack gesprengt, damit wir hier festgehalten werden!“

Aber dieser grollende Vorwurf unterbleibt, der Kutter wird undeutlicher, kleiner, – – und ganz fern auf hoher See winkt plötzlich der farbige Leuchtkugelschwarm einer Rakete … Ich weiß, woher diese Rakete aufstieg: Von der eleganten großen Motorjacht „Manhattan“ mit den beiden dicken kurzen Schloten und den zierlichen Masten und den blitzenden Messingbeschlägen und einer Besatzung, die sicherlich für die Milliarden der Witwe Arnulf die Hölle stürmen würde. Ich habe diese stämmigen Kerle gesehen, alles ausgesucht große Leute, alles Europäer, alle blitzsauber wie das Schiff selbst, und alle schweigsam und fast hochmütig in dem Bewußtsein, der drittreichsten Frau der Vereinigten Staaten für fünffachen Sold dienen zu dürfen. Auch das hatte mir der alte Malaie zugeflüstert: Daß Frau Arnulfs Matrosen Geld in Hülle und Fülle hätten, daß bei den Burschen nichts zu holen sei, – die hielten das Maul selbst über die geringfügigste Kleinigkeit!

… Freund Montes feuchtkalte Nase schiebt sich wie mahnend in meine Hand …

Ich habe wirklich soeben mit offenen Augen geträumt und immer nur dorthin gestarrt, wo die milchige Weite des nächtlichen Horizonts mir die Jacht verbirgt, wo eine Frau wieder die Planken ihres Schiffes betritt nach feigem, geglücktem Dynamitanschlag auf unsere letzte Hoffnung, auf das Wrack … Und schlau hat sie es angefangen, diese bleiche, verführerische, eiskalte Schönheit, nur zu schlau: Ich habe geträumt, aber meine Traumgesichte waren Wirklichkeit, waren streng überprüfte Gedanken, waren ein Bild des Planes, durch den Frau Jetta[6] auch mich weglockte von dieser Bucht – durch meinen Hund, den sie in Singapore stehlen ließ, und durch einen herausgeputzten Harlekin, der meinen Freund Monte zum Bellen reizen sollte!! – Ein feines Plänchen das, entsprungen dem regen Hirn eines Weibes, das zweifellos Sir Roger Carselan einst für sich einfangen wollte, – den Mann, der berechtigt war, einen Herzogstitel zu führen … Herzogin von Nortmoore hatte sie werden wollen, und Roger Carselan, Bettelprinz, hatte ihr die kalte Schulter gezeigt, verschacherte nicht sein eigenes Ich an diese blasse eisige Witwe, deren Haß nun hier in Ostasien seine ersten Satanskrallen gezeigt hatte …

Armer Carselan …! Ich kenne nun deine Konkurrentin …! Armer stolzer Pfandscheinherzog, – – du suchst Don Pedro Benitos Schätze, und drei Milliarden Dollar stellen sich als unüberwindliche Armee zwischen dich und dein Ziel! Du wirst verlieren, die Partie ist zu ungleich, außerdem fingst du die Sache von vornherein zu ungeschickt an, du hättest mir gegenüber ehrlich sein müssen, und vieles wäre anders gekommen …!

Das sind so meine Träume … Und dann wird Freund Monte ungeduldig, dann fühle ich seine kühle Nase, streichele ihm den plumpen, treuen Kopf …

„Hast ganz recht, alter Gefährte … Wir stehen hier wie die Besiegten … Wir?! Besiegt?! Nicht wahr, Monte, wir haben uns doch schon durch andere ärgere Fallen hindurchgewunden wie diese hier! Frau Jetta Arnulf, wir sehen uns wieder!!“

Höhnisch kreischt eine verschlafene Möwe …

Höhnisch knistern die Palmblätter, höhnisch raunen die Büsche: „Und 308?!“

308 …!

Wo bleibt er …?!

Ein einzelner Gedanke kann wie ein Peitschenhieb sein …

„Monte, vorwärts, zum Lagerplatz …!“

Ein einzelner Gedanke kann Frage und Antwort in eins enthalten. So hier …! Die Gewißheit, daß ich 308 nicht mehr vorfinden werde, hemmt den eilenden Schritt … Ich scheue diese Gewißheit, denn so wenig ich unter anders gearteten Umständen dagegen einzuwenden hätte, auf dieser Insel meinetwegen viele Monate allein zu hausen,– Frau Jetta hatte mich gereizt, hatte mir den Fehdehandschuh durch eine Ladung Dynamit hingeworfen, – – gut denn, also Kampf zwischen uns, Frau Jetta!!

… Vor mir lodert das Lagerfeuer … Monte und ich sind nähergeschlichen wie lautlose Panther, – – wir hätten auch lärmend wie eine Herde Wildschweine nahen können, – – der Platz ist leer, unberührt, meine Habe ruht wohlgeordnet neben dem einen Felsen, auch die Dinge, die uns die Leute der Brigg „Benito“ spendeten, sind vollzählig geblieben. Nur etwas fehlt, eine Zahl, die ein Gerippe, von Opium durchtränkt, darstellt: 308! – Der fehlt … Der, ein ganzer Kerl, ein Mann mit demselben Fluidum des Geheimnisvollen, wie Roger Carselan, Herzog von Nortmoore, der sich mir in Singapore am Ecktisch im vornehmen Speisesaale zugesellte – vor Wochen …

Damals trug ich den einwandfreien Abendanzug der Globetrotter, – heute trage ich Sträflingskluft, Sträflingssandalen …

Eine komische Welt …

Und habe Monte wiedergefunden, – was vorläufig die Hauptsache ist.

Als ich dann erst die Büchse im Arm habe und im Ledergurt eine ebenso zuverlässige Coldpistole, fühle ich mich als Herr dieser Insel, dieses Inselchens, das sicherlich genau so abgelegen ist wie die berühmte Cocos-Insel mit ihren Schätzen, die bisher niemand fand.

„Monte, – allons, – durchstöbern wir unser Reich …! Wir werden nichts entdecken, immerhin ist Vorsicht geboten …!“

Montes feine Nase schützt mich besser als das eigene Auge, das eigene Ohr … Zwei Stunden vielleicht durchqueren wir das Eiland, wir hätten es uns schenken können, – die Insel enthält nichts Lebendes außer uns beiden und den Seevögeln und einigen armseligen Leuchtkäfern … Totmüde erreichen wir den Lagerplatz, sind noch zehn Meter entfernt, das Feuer brennt, ich hatte vorhin frisches Holz in die Glut geworfen, – Monte stutzt, steht, windet, und als er sich hinten zusammenduckt, nehme ich schleunigst Deckung, – – und nichts geschieht … Bis mir die Geschichte langweilig wird und ich vorwärtskrieche …

Und sehe: Am Feuer sitzt ein Mädchen, eine Europäerin, mir dem Äußeren genau so bekannt wie Jetta Arnulf …

Es ist Miß Gerda Wolper, der Milliardärin Gesellschaftsdame, Sekretärin, Freundin und vielbeneidete Vertraute.

… Was ich übrigens schon in Singapore reichlich unwahrscheinlich fand, denn Gerda Wolper dürfte so etwa der krasseste Gegensatz zu der schwarzen, unheimlichen Jetta sein: Ein Gesicht von jenem Madonnentyp, der sich sehr leicht vortäuschen läßt, wenn eine Frau einige Übung besitzt, dem zarten Antlitz jenen keuschen, melancholischen, überirdischen Reiz zu verleihen, der arglose Gemüter demütig und scheu von jedem Versuch, in diesem Wesen das Weib sehen zu wollen, fernhält. Und doch hatte ich dieses Mädchen bisher für eine stille Dulderin, niemals für eine raffinierte Intrigantin gehalten. Dreimal hatte ich sie in Singapore beobachten können, zweimal war ich ihr absichtslos gefolgt, als sie im Europäerviertel Einkäufe machte, – – und jetzt saß sie dort am Feuer, das Kinn in die Linke gestützt, und … weinte …

Stille Dulderin?! Vielleicht nur gezwungen, nur aus Not die Vertraute eines Weibes, das ihr innerlich fremd geblieben?! War es so?! Oder war es ganz anders, – – sollte auch ich etwa hier noch abgefangen werden und …

Monte hatte geknurrt.

Sie hob den Kopf, sah mich, – – und wie ein Wunder war es: Gerda Wolper verriet weder Schreck noch Überraschung noch Freude oder sonst eine Gefühlsregung. Sie winkte nur …

Ja, sie winkte, – gleichgültig, in ihr Schicksal ergeben, vielleicht müde, vielleicht hoffnungslos …

Und sagte zu dieser seltsam matten Handbewegung:

„Mr. Abelsen, – – nicht wahr?!“

Dieser Mr. Abelsen traute dem Frieden noch lange nicht. Madonnengesichter mit blondem Goldhaar und nußbraunen, langbewimperten Augen und keuschen Lippen und weltschmerzlichem Zug um einen formvollendeten Mund trügen zu oft …

Ich schaute mich um, – ein Wink schickte Monte zum Strande hinab, Montes erstes Blaffen würde mich bereit finden, ich deckte mir den Rücken, kauerte zwischen den Korallenblöcken und behielt den Finger am Drücker.

Das Mädchen beobachtete mich ohne Teilnahme.

Nach einer Weile sprach sie wieder:

„Ich verarge Ihnen Ihr Mißtrauen keineswegs, Mr. Abelsen … Ich bin entflohen, und ich fürchte, die Jacht wird zurückkehren und nach mir suchen … Was Jetta Arnulf als ihr Eigentum betrachtet, holt sie sich zurück, und Menschen sind ihr nichts als Sklaven – – alle Menschen …“

Ich hörte zum ersten Male ihre Stimme in längerer Rede … Die Stimme war weich und wohlklingend, dennoch schwang darin ein besonderer Ton mit, der wie das feine Schwirren einer Stahlsaite war. Als sie zum Beispiel das Wort „Sklaven“ formte, hob sich dieses metallische Klingen zu doppelter Stärke, und wenn ich hierfür einen Vergleich gebrauchen will, muß ich erklären: Es war, als ob Gerda Wolper die Stahltüren ihres Inneren ein wenig öffnete, als ob diese Türen im Aufschwingen diesen fremden, starken Ton erzeugten, der das Madonnenhafte Lügen strafte.

Noch eins kam hinzu: Ihre Augen! – In demselben Maße, wie ihre Stimme sich veränderte, verlor sich auch der träumerische Glanz ihrer Augen, und in den Tiefen dieser durch die langen, dunklen Wimpern bedeckten Pupillen glomm ein Feuer auf, das dem kurzen Sprühen elektrischer Funken glich …

Und ein letztes bemerkte ich: das blonde Mädchen mit dem so ungewohnten, dicken Zopfkranz blonden Goldhaares im Nacken trug nur ganz dünne, nasse Kleider und nur zierliche leichte Morgenschuhchen ohne Absätze – keine Strümpfe … Aus dem Haar rannen ihr noch zuweilen Tropfen über die Stirn.

Sie war bis auf die Haut durchnäßt.

„Sind Sie etwa schwimmend hier auf die Insel gelangt?“, fragte ich ungläubig und dachte an die Haie, die im Stillen Ozean überall anzutreffen sind.

„Ja“, erwiderte sie einfach. „Ich bin eine sehr ausdauernde Schwimmerin, außerdem liegt dort auch die Korkweste, die ich umgebunden hatte, und die Haifische, Mr. Abelsen, –“ – plötzlich verzog sie den Mund zu einem fast kecken Lächeln – „… die Haifische haben mit mir schlechte Erfahrungen gemacht, sehr schlechte …“ Dabei lüftete sie ihr seidenes Jäckchen, und ich sah, daß sie um die Hüften einen Ledergürtel trug mit einem langen malaiischen Dolch in Lederscheide und einer in eine Badekappe wasserdicht geborgenen Pistole. „Sie können mir getrost Vertrauen schenken, Mister Abelsen“, schloß sie diese von starkem Selbstbewußtsein getragenen Sätze. „Ich bin von der Jacht entflohen, ich habe heute abend frühzeitig Kopfschmerzen vorgetäuscht und zog mich in meine Kabine zurück, ich wußte, daß Sie und noch jemand hier weilten, und Jetta Arnulfs Pläne blieben mir schon in Singapore so undurchsichtig, daß ich Verdacht schöpfte, dieser Verdacht begann mit dem durch Jetta veranlaßten Diebstahl Ihres Hundes und mit dem immer ausgedehnteren Spionagedienst gegen Sir Roger Carselan …“

Gerade jetzt erschien Monte im Lichtkreis des Feuers, trottete näher, beschnupperte Gerda sehr eingehend und legte ihr dann den Kopf in den Schoß.

Das Mädchen streichelte ihn und lächelte wieder so ein wenig spitzbübisch, – was ihr im übrigen reizend stand.

„Ja“, nickte sie, „Monte und ich sind an Bord der „Manhattan“ gute Freunde geworden, und wenn ich nicht fast anderthalb Stunden im Wasser gewesen wäre, hätte er meine Witterung wohl sofort gespürt und die Sachlage schneller geklärt. Hunde sind nun einmal klüger als wir, Mr. Abelsen …“

Ich steckte den Vorwurf schweigend ein, und Gerda fügte wieder sehr ernst hinzu: „Die Gründe Jettas für diesen Diebstahl Montes kenne ich nicht, ich vermute nur, daß es in ihrer Absicht lag, Sir Roger und Sie rechtzeitig zu entzweien und Carselan den Verdacht, Ihren treuen Monte gestohlen zu haben, zuzuschieben. Jetta wußte, wer Sie sind. Sie hielten sich zu viel am Liegeplatz der Jacht auf, und da einige neuere Zeitungen in Aden Ihr Bild aus Anlaß Ihrer Abenteuer in Südarabien gebracht hatten …“

„Mein Bild?!“ – Das war mir völlig neu. Das hätte ja für mich in Singapore die übelsten Folgen haben können, zumal ich meinen angenommenen Namen Benson, der durch Paß und Papiere gründlich gestützt wurde, auch dort in Marsalan und angesichts des geheimnisvollen Landes der Tränen (vergl. den vorigen Band) ohne Scheu benutzt hatte.

„Ja – Ihr Bild“, bestätigte Gerda mit Nachdruck. „Und ein so tadelloses Bild, daß wohl auch Roger Carselan Sie erkannt haben wird und Sorge trug, Sie für sein Unternehmen zu gewinnen.“

„Unternehmen? – Was wissen Sie davon?“ Ich wollte klar sehen. Meine Frage mochte etwas schroff geklungen haben. Das Mädchen erschrak leicht, die braunen Augen tasteten in meinem Gesicht, als ob sie daraus ergründen wollte, was ich darüber wußte.

Dann schüttelte sie fast wehmütig den schönen Kopf. „Die Frage vermag ich Ihnen wirklich nicht zu beantworten“, erklärte sie in ihrer schlichten Art. „Ich kann Ihnen nur noch sagen, daß Jettas dunkle Wege in Singapore mit den Anstoß dazu gaben, mich von ihr endgültig zu trennen und sie nunmehr offen zu bekämpfen – mit Ihrer Hilfe, Mr. Abelsen! – Sehen Sie mich nicht so ungläubig an … Die drei Jahre, die ich bei Jetta ausharrte und meinen Zielen vielleicht hinterlistig nachstrebte, waren sehr harte, widerwärtige Jahre. Mir liegt das Heucheln und Lügen und Horchen nicht, aber eine … Sklavenhalterin wie jenes bleichgetuschte Weib ist mit ehrlichen Mitteln nicht in die Knie zu zwingen, – – und das will ich, das wird geschehen, denn sie ist eine Verbrecherin aus blindem Haß, – dies muß Ihnen genügen, Mr. Abelsen. Familiengespenster zeigt man niemandem … – Wollen Sie mir helfen?“

„Gut denn, – ich helfe … Nur eine Frage: Sind Sie mit Roger Carselan verwandt?!“

„Nein!“

Ich halte ihre Hand, und der allzeit eifersüchtige Monte schiebt seine kalte Nase in unsere Hände …

Gerda lacht klingend. „Monte als dritter,– wir werden Jetta besiegen, schon deshalb, weil wir der Gerechtigkeit dienen!“

„Und Jettas Vergehen?“

„Mord!“, sagt das Mädchen hart. „Treulosigkeit, Heimtücke, – – alles …! Wer Millionen verschleudern kann, verliert den inneren Halt! Und … moralische Werte hat die Frau nie besessen.“

Gerda ist aufgesprungen … Das Madonnenhafte ist weggewischt … Vor mir steht eine Kämpferin voller Fanatismus.

Sinnend schaue ich in die sprühenden Augen.

Ob Gerda Wolper nicht doch allzu schlecht über ihre Gegnerin denkt?! Jetta Arnulf hätte zumindest mich unschädlich machen können. Und was tat sie? Sie begnügte sich damit, meinen Monte zu stehlen und hat mir dann Monte wiedergegeben – hier auf der einsamen Insel im Stillen Ozean …

Ich schiebe all die Gedanken von mir …

Hier heißt es handeln, sofort handeln. Auch ich rechne mit der Rückkehr der Jacht.

„Gerda, – einpacken!!“ Ich deute auf meine Habe und die wollenen Decken. „Schnell! Ihre Hoffnung, Jetta könnte Ihre Flucht erst nach vielen Stunden bemerken, kann trügerisch sein wie so manches andere – wie zum Beispiel Ihre Beurteilung dieser Frau.“

Gerda hilft … Wir sind Kameraden … Alle Höflichkeitsphrasen werden gestrichen. Abseits vom Alltag ist das alles leerer Schall, zwecklos …

 

4. Kapitel.

Der Diamant Don Benitos.

Die Koffer und Bündel sind fertig. Ich lösche das Feuer aus. In mir lodert klug gedämpft der heiße Wille zur Tat. Die Krankheit hat kein Recht mehr, mich schlaff zu machen … Die Umstände fordern Eile, und mein Plan ist längst fertig, mein Hirn streikt nicht, das alte Abenteurerblut rauscht in den Ohren, und dort rauscht die Brandung, dort dehnt sich der mächtige Ozean, der jede Minute die Prunkjacht hervorzaubern kann aus der verschwommenen Linie des Horizonts.

„Aufbruch, Gerda …!“

Prachtmädel, diese Gerda … Keine Puppe, keine Madonna, – wie sie so das Bündel schultert und den einen Koffer trägt, – da steckt Kraft dahinter, Tatwille …

Die lächelnde Bemerkung über die Haifische war kaum Prahlerei..

„Kennen Sie ein Versteck, Freund Olaf?“, fragt sie, als wir die große Nordbucht erreicht haben.

„Ich hoffe, Mädel … Ich hatte hier einen Gefährten, den hat Frau Jetta geschnappt, ein fixer Kerl war es, nur etwas mager, und der kannte eine Zisterne, der knotete eine leere Konservenbüchse an eine dünne Stahltrosse, schöpfte Trinkwasser, und der Schöpfeimer klemmte sich fest … Da sah ich in dem Zisternenschacht etwas, als ich den Eimer, am Boden liegend, freimachen wollte.“

Gerda blickte mich an. „Wohl der alte Malaie Sokrates Opideru …?“

„Sokrates … – nicht schlecht!“ Wenn ich mir Herrn Chauffeur Sokrates so zahnlos und so runzlig wie eine alte Kartoffel vorstelle, reizt „Sokrates“ zur Heiterkeit.

„Nein, – der nicht … Übrigens, den Namen des Alten kannte ich nicht … Also Sokrates Opideru. Das muß man sich merken. Klingt fabelhaft …“

„Wer war es denn?“, drängte das Mädchen ungeduldig.

„Ein in Singapore entflohener Sträfling, ein Namenloser, ein Weißer, Nr. 308 … Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, Mädel, denn …“

Krach …

Koffer und Bündel entfallen ihren Händen …

Die Arme hängen schlaff herab, das Gesichtchen ist bleich geworden, die Augen übernatürlich groß …

Gerda starrt mich an …

„Ein … Sträfling?“

„Ja … – Weshalb sind Sie so entsetzt …?“

Sie hört gar nicht hin …

„Wie … sah er aus?“

„Gerippe, – – sonst Gentleman, Opiumesser, trotzdem ein ganzer Kerl …“

Kennt Gerda meinen Freund 308?

Ihre Augen schließen sich. Ich merke ihr an, wie sie sich zusammenreißt, um diese Neuigkeit zu verwinden …

„Mein … Gott …“, flüstert sie leise … „Mein Gott … Wenn es … das wäre, – – das!“

Wieder schaut sie mich an …

„Erzählte er Ihnen denn so gar nichts über seine Person?“

„Wenig, und ganz Belangloses … Jedenfalls aber muß er die Insel hier kennen. Wir waren zuerst zusammen auf der „Benito““ … – ich betone „Benito“, aber der Name machte keinen Eindruck auf sie, „ich war etwas angeschrammt, Sir Roger hatte sich die Sache wohl harmloser gedacht, wir fanden hier ein Flugzeugwrack, das Jetta dann sprengen ließ …“

„Ah – – also das war der Knall, den ich beim Schwimmen hörte …!“

„Ja …“

Gerda hat den Kopf wie mutlos sinken lassen. „Es … kann nicht sein …“, flüstert sie hoffnungslos. „Sir Roger könnte kaum …“, – dann bricht sie mitten im Satze ab und hebt ihre Traglasten wieder empor und schreitet weiter, stumm, gedankenvoll, aufgerührt bis ins Innerste, – ich fühle das … Und ich schweige …

Der Mond spendet uns genügend Licht, wir erreichen die Westwand der Bucht, die Zisterne liegt dreihundert Meter nördlich der Unfallstelle des D O XII, es gibt hier an dieser höchsten Stelle des Steilufers in den kahlen Korallenfelsen viele Spalten und Löcher, ich muß erst nach der Zisterne suchen, ich finde die lange dünne Stahltrosse samt dem Schöpfeimer, und ein brennender Scheit schwebt nun den finsteren glatten Schacht hinab, in dem unten das angesammelte Regenwasser glitzert.

„Gerda – da, sehen Sie …!“

Wir liegen eng beieinander und spähen hinab. Dicht über dem Wasserspiegel unter einem Buckel der Schachtwand gähnt ein Loch …

„Ein Stollen, Olaf … Das Loch zieht sich in die Uferwand hinein …“ – Gerda lebt auf, ist begeistert … „Wenn es eine Höhle wäre, Olaf …!“

„Werden wir sofort prüfen … Warten Sie hier … Ich hole Aststücke …“

Ich bringe sie, knote sie an das Drahtseil, das an einem Ende einen festen Eisenhaken hat, und klemme den Haken in einen Riß, klettere hinab, krieche in das Loch …

Was finde ich?!

Ein Höhlenparadies, trockene Grotten mit kleinen Naturfenstern nach der Bucht zu, fünf verschiedene Räume, die Gesamtausdehnung vielleicht fünfzig Meter Länge, nur der eine Zugang, und im äußersten Nordwinkel ein Block schwarzgrauen Urgesteins, aus dem, umgeben von dicken Moospolstern, eine Quelle klaren Wassers herabrieselt und in einer Spalte verschwindet.

Mein brennender Holzscheit erlischt, – ich kehre nach oben zurück, zehn Minuten später ist unsere Habe geborgen, Monte ist unten, ich schaffe noch ganze Berge trockenen Seetangs hinab, dazu Büsche, Zweige, und säubere mit Gerdas Hilfe die Umgebung der Quelle von allen verdächtigen Spuren, spare das Schwerste für zuletzt auf.

„Mädel, – die Explosion hat die beiden Schwimmkörper von D O XII in die Bucht geworfen … Da – man erkennt sie noch … Die Wassertiefe beträgt keine vier Meter … Ich werde tauchen … Die Stahltrosse nehme ich mit.“

Gerda widerspricht sehr energisch. „Wozu das, Freund Olaf?! Sie sind erschöpft, man sieht es Ihnen an … Wollen Sie sich einen Rückfall zuziehen, krank werden und …“

Wir stehen unten am schmalen Streifen hellen Sandes, über uns türmen sich die vorgewölbten Korallenmauern, es ist die Zeit der Ebbe, und – wissen wir, wann die Jacht erscheint?!

„Nachher kann ich mich schon ausruhen, Mädel, – bedenken Sie, wenn Frau Arnulfs Matrosen uns hier nicht finden, müssen wir es den Leuten doch irgendwie mundgerecht machen, daß wir eben entflohen sind – ins Meer hinein … Die Schwimmkörper sind wie Boote, sind aus Aluminium, – – begreifen Sie jetzt?“

„Nicht ganz …“

Ich lasse mich hinabgleiten, es liegen da auf dem Grunde der Bucht noch die Stücke der Tragflächen, Teile des Rumpfes … Ich bin vorsichtig, ich finde den einen Schwimmkörper, hake den Eisenhaken der Leine ein, steige empor, wir ziehen – – ziehen …

Was wir bergen, ist Bruch …

Dieser Schwimmkörper ist zerfetzt …

Dann der zweite …

Gerda jubelt …

„Oh – – fast unversehrt, Olaf …!“

„Ja, und dieses Patentboot werde ich nun verstecken … – Mit anpacken, Mädel, wir tragen es dort in den äußersten Buchtwinkel … In der Ecke bleibt es selbst am Tage dunkel …“

Unsere Last gleitet in die Tiefe, – in jene Tiefe, in der ich die starke Strömung verspürte.

„So, Mädel, nun werden die Herrschaften von der „Manhattan“ denken, wir seien auf und davon … Und um den Trug noch wirkungsvoller zu gestalten, wollen wir dort am schmalen Strande noch einige recht klare Spuren zurücklassen …“

Wieder geht es in unser kühles Paradies hinab, Monte empfängt uns mit mäßiger Freude, ihm paßt es gar nicht, hier eingesperrt zu sein, – ich werfe die Sträflingskluft ab, ziehe meinen leichten derben Sportanzug an, und alles, was an Singapores Zuchthaus erinnert, lege ich auf den Sandstreifen unten, dazu noch zwei leere Konservenbüchsen, ein paar Äste und Gerdas Taschentuch.

So, nun mögen sie kommen …! – Leichteren Herzens, aber mit schweren Gliedern klettere ich die Uferwand empor, Gerda streckt mir die Arme entgegen, zieht mich vollends hoch, ich taumele leicht, geringes Schwindelgefühl und böses Stechen in der Wundnarbe gemahnen an Ausruhen, – wir klettern die Strickleiter, die nur einen Strick hat, hinab, der lange, dicke Ast hilft mir, oben den Haken zu lösen, der Haken poltert herab, und als die Leine geborgen, verbaut Gerda das Stollenloch mit Korallenstücken, – mich hat sie auf das Lager von Seetang und Decken gedrückt und sehr bestimmt befohlen: „Jetzt werden Sie schlafen, Olaf!“

Ich höre sie noch leise hin und her eilen, – die Müdigkeit kommt, die Augen fallen mir zu, und bleierner Schlaf umfängt mich.

Mein letzter klarer Gedanke: „Geborgen!!“, – und dann beginnt die unklare Welt der Traumgesichte … Immer wieder drängt sich in diese Traumbilder ein kleines Einzelerlebnis hartnäckig hinein …: Ich sehe die geknickte Palme, sehe das Geschöpf dort oben hocken und Monte wütend emporschnellen … Ich höre das Geschöpf mir zurufen, den Hund zu entfernen, und ich erinnere mich in diesen Traumbildern weit deutlicher an das Gesicht des Fremden, an ein Greisengesicht mit unwahrscheinlich üppiger Haar- und Bartfülle von schlohweißer Farbe … – an mähnenartiges Haar, Silberpavian … Mantelpavian, – – und wieder kommt aus den Tiefen des Gedächtnisses ein neues Bild: Freund 308, im Auto, seine Zigarette mit Opium füllend, – der rätselhafte 308 … – Wer ist der Mann?! – – Und abermals wie Fieberspuk eine gräßliche Szene: Don Pedro Benito, der große Pirat, hängt in einer Schlinge, an einer Rahe und speit aus dem offenen, höhnisch grinsenden Munde Gold und Edelsteine in die schäumende See …

„… Olaf!!“

Jemand rüttelt mich …

„Olaf, sie sind da …!!“

Mit einem Ruck sitze ich aufrecht …

„Die Jacht?“

„Ja … – Leise …!! Das Boot ist soeben gelandet, ein Kutter, Jetta mit darin …“

Durch die Naturfenster fallen Sonnenstreifen in mein Korallengemach …

Ich springe auf … Monte knurrt … Monte hat die Schnauze in eine der lichterfüllten Spalten geschoben …

„Hinlegen, Monte! Keinen Laut!!“

Den Ton kennt er … Gehorcht …

Ich spähe hinaus … Drüben am flacheren Westgestade der Bucht liegt der Motorkutter. Zwei Matrosen mit Karabinern sitzen auf dem flachen Dach des kleinen Heckaufbaus, rauchen und lassen die Augen dauernd umherschweifen … Stramme Kerle, tadellos angezogen, gutmütige, braungebrannte Gesichter, aber – – Sklaven Jetta Arnulfs, die fünfmal höheren Sold beziehen als sonst ein Jan Maat …

Oben auf der Uferhöhe steht die bleiche Frau, und neben ihr die drei Gentlemen, die ich bereits in Singapore gesehen.

„Gerda, wer sind die Herren?“

„Bewerber …“, – aber ihre Stimme verrät keinerlei Verachtung für diese Milliardenjäger. „Der lange Rotblonde ist der bekannte Millionär und Autorennfahrer Stuart Brooc … Der kleine Stämmige mit dem Nußknackergesicht der Weizenkönig Tom Jeffries, etwa eine halbe Milliarde schwer, nebenbei der tollste Amateurkunstflieger aus U. S. A., der schlanke, kühl-vornehme Blondhaarige der Oberst Hamilton Lincoln, ein Nachkomme des Präsidenten Lincoln, auch ein wagehalsiger Herr … Alle drei moralisch einwandfrei, bis auf ihre sinnlose Verehrung einer Frau, die ins Gefängnis gehört …“

Die Gruppe der vier weißen Modeblattfiguren dort oben hat grüne Büsche mit knallroten Blüten und Palmen als wirkungsvollen Hintergrund, und es fehlt nur noch, daß Mr. Tom Jeffries seinen Kodak zückt und von den fabelhaften Tropenhelmen und dem mitgeschleppten Arsenal von Mordinstrumenten ein paar Momentaufnahmen macht.

Gerda scheint meine Gedanken erraten zu haben.

„Ich warne Sie vor einer übereilten Beurteilung der drei Herren, die mir stets als wahre Gentlemen begegnet sind“, meint sie abschließend. „Oberst Hamilton zum Beispiel, an Bord der „Manhattan“ nur Buddha genannt, weil er selten den klugen Mund auftut, ist ein Mann, mit dem ich nur einen einzigen anderen, mir ebenso gut bekannten vergleichen möchte …“ Wer dieser andere ist, bleibt unausgesprochen. Ich rate aus bestimmten Gründen auf Freund 308, und dieselben Gründe haben mich bewogen, Gerda zu verheimlichen, daß 308 früher Schiffsoffizier gewesen.

Augenblicklich vereinigt sich auch all meine Aufmerksamkeit auf das Treiben da draußen. Weit entfernt, etwa die für uns noch immer bestehende Gefahr des Entdecktwerdens zu unterschätzen, möchte ich rechtzeitig erkennen, wann ein Eingreifen unsererseits nötig sein könnte. Die Gefahr beruht in der Hauptsache in den vielen Rissen, also in unseren Fenstern, die zum Teil von nistenden Möwen bewohnt sind. Zur Zeit sitzen nur die brütenden Mütter noch hartnäckig und sorglos auf den Nestern, während das übrige kreischende Volk in der Luft umherstreift und den Kutter mißtrauisch umfliegt.

Das Fensterloch, vor dem wir hier stehen, ist frei. Nur die Reste eines der ruppigen Möwennester liegen außen an der Öffnung und zwischen diesen Aststückchen, Pflanzen, Unrat und Federn blinkt irgend ein heller Gegenstand, der mir mißfällt, da sein Blitzen auch von draußen bemerkt werden könnte. Die Natur dieses blanken Dinges da ist von hier aus schwer festzustellen, es könnte ein Spiegel sein, ein Stück Spiegelglas, – auch Gerda wird sich nicht klar darüber, sie meint ganz richtig, daß wir es vorläufig nicht wagen dürfen, mit dem Arm hindurchzugreifen und den Gegenstand zu entfernen.

Ich stehe gebückt, das Kreuz schmerzt mich schon, eigentlich schmerzen mir alle Muskeln, die eilige Arbeit unseres Umzugs hier in die Korallenhöhle war doch ein wenig viel für einen Genesenden. Ich harre trotzdem aus. Leider ist das Gesichtsfeld sehr klein … Zur Zeit ist nur der Kutter und die beiden rauchenden Matrosen einziges Beobachtungsobjekt[7], und die beiden stämmigen Burschen haben ihre Augen andauernd auf unsere Uferwand gerichtet, was mir mit der Zeit gründlich mißfällt. Möglich, daß unterhalb unserer Fenster, über denen noch etwa anderthalb Meter Gestein liegen, einige andere Matrosen auf dem schmalen Strandstreifen sich bewegen, wo ich weiter buchteinwärts die trügerischen Beweise unserer Flucht niedergelegt habe, – möglich aber auch, daß dieses funkelnde Ding da in dem verlassenen Nest den Verdacht der beiden Jan Maate erregt hat.

Dann – ich will gerade mein Fernglas holen – poltern von oben an dem einen Fenster Steine und Bruchstücke von Korallen herab …

Ich ahne Böses … Ein Tau gleitet in die Tiefe, ich weiß, daß das blinkende Etwas wirklich die Neugier der ungebetenen Gäste geweckt hat, daß sofort einer der Matrosen an dem Tau herabklettern wird …

Monte ist wach geworden, knurrt, – ich springe zu, versetze ihm einen leichten Hieb, halte ihm das Maul zu, trete zur Seite, und jetzt, nur von dieser Stelle, gewahre ich das Funkeln und Sprühen zwischen den Resten des Möwennestes ganz deutlich, es kann sich nur um einen Edelstein von beträchtlicher Größe handeln, – – – augenblicklich wird mir auch die ungeheuere Gefahr bewußt, die darin besteht, daß die Leute der Jacht hier ein solches Wertstück finden und dadurch angespornt werden, die Spalte im Gestein genauer zu untersuchen, – das Hirn arbeitet wie ein flinkes Uhrwerk, es gibt nur ein Mittel, dieser Gefahr vorzubeugen, mein kleiner Taschenspiegel zersplittert unter meinem Fußtritt, und gerade als die Beine und weißen Hosen und derben Stiefel des Edelsteinjägers die Felsspalte verdecken, greife ich zu, reiße den Stein aus dem Schmutz heraus und drücke an seine Stelle ein Stück Spiegelglas hinein …

Auch das genügt nicht … Der Mann draußen darf niemals merken, daß die Spalte in einen Hohlraum mündet …! Zum Glück liegen hier genug Korallenbrocken umher, zum Glück finde ich ein Stück Kalkgestein, das ich in die Öffnung pressen kann …

Dann draußen eine tiefe Stimme:

„Glas, – – ein Stück Spiegel, ihr verdammten Narren …!“

Die Ritze ist nicht völlig durch den eingeklemmten Felsbrocken ausgefüllt … Ein Arm tastet in der Fensteröffnung umher, stößt gegen das Stück Gestein, – – es sind bange Sekunden, neben mir ist Gerda erschienen, ihr Atem fliegt, Monte röhrt dumpf, draußen kreischen die aufgescheuchten Möwenmütter, – – endlich verschwindet der Arm, der Mann klettert wieder nach oben, und ich höre noch seine respektvolle Antwort an einen uns unsichtbaren:

„Nur ein Spiegel, Oberst, – – jawohl, ich bringe ihn mit …“

Gerda raunt mir zu: „Hamilton Lincoln!! – Olaf, wird der sich täuschen lassen …?!“

Sorge und Angst zittern in ihrer Stimme …

Mir selbst ist nicht recht behaglich zu Mute.

„Gerda, die Geschichte sieht böse aus … Wenn dieser Oberst nur ein Quäntchen Verstand hat, merkt er, daß der Spiegel ganz frisch zerbrochen ist … Wir müssen scharf aufpassen … Ich fürchte, Lincoln wird die Spalte persönlich untersuchen … Da – nehmen Sie Monte, bringen Sie ihn in den hintersten Winkel und werfen Sie ihm eine Wolldecke über … Schnell …“

Das Tau draußen bleibt … Hängt still … Bis es wieder zu pendeln beginnt … Diesmal erscheinen ein Paar sehr feine Wickelgamaschen, dann ein weißer Tropenanzug, eine dünne Männertaille, ein bartloses braunes Sportgesicht mit hellen blanken Augen, bereits etwas faltig, nicht mehr jung, desto energischer im Schnitt und Ausdruck.

Oberst Lincoln …

Er hängt, mit der Linken und den Füßen sich festhaltend, am Seil, seine lange schmale Hand greift in die Fensteröffnung, ich sehe genau seinen Gesichtsausdruck, das ironische Lächeln, das mir nur allzuviel verrät, und das leichte Vorschieben des kräftigen Unterkiefers … – ein Zeichen, daß er den Schwindel durchschaut hat, daß wir entdeckt sind …

Er hebt den Kopf, blickt nach oben, ruft Jetta Arnulf zu:

„Verehrteste Freundin, ich sagte ja gleich, daß …“

Nein – er sagt nichts mehr …

Armer Kerl, – deine Leute oben waren unvorsichtig …!

Mit lautem Krach löst sich droben am Rande ein Stück der Steilwand ab, – der Krach klingt fast wie ein Knall, – – eine schwere Masse verdunkelt das Fenster, Lincoln saust in die Tiefe, fällt in die Bucht, das Wasser platscht, helle Schreie ertönen droben, – – Minuten später sehe ich, wie zwei Matrosen drüben am anderen Ufer den triefenden Oberst zum Kutter tragen, wie Jetta Arnulf und der kleine Mr. Jeffries aufgeregt nebenher eilen, wie man den – hoffentlich – nur Bewußtlosen in die Kutterkajüte trägt, wie der Kutter davonjagt …

„An Bord der Jacht ist ein Arzt“, flüstert Gerda hinter mir … Auch sie hat den Lärm gehört, auch sie bedauert den Gentleman Lincoln, und trotzdem müssen wir mit dieser Wendung der Dinge sehr zufrieden sein, – noch hatte der Oberst seinen Verdacht nicht ausgesprochen, und ob die anderen diesen Versuch wiederholen werden, der Herkunft eines Stückchens Spiegelglases nachzuforschen, glaube ich für meine Person kaum mehr, – der Unfall Lincolns dürfte den Eifer stark gedämpft haben.

In meiner geschlossenen Faust halte ich noch immer den Stein, den wundervollen, farbensprühenden Stein, und da vorläufig für uns hier unten Gefechtspause eingetreten ist, öffne ich die Hand, halte sie vor die lichterfüllte Spalte und ein einziger Blick genügt mir: Es ist ein wasserklarer Diamant von altmodischem Schliff und von mindestens zweihundert Karat Gewicht, – ich habe ein Vermögen in der Hand, einen der wundervollsten Steine, die ich je sah, ungefaßt, an den Kanten mit verkrustetem Unrat bedeckt, aber die Fazetten blank und schillernd …

Trotzdem: Tand!! Eine Nichtigkeit, – – nur deshalb nicht ein völliges Nichts, weil dieser Prachtstein eine seltsame Ideenverbindung in mir hervorruft …

Gerda Wolper nimmt den Stein, säubert ihm „Olaf, wie mag dieses Kleinod hierher gelangt sein?!“ – Ihre Stimme verrät keine große Anteilnahme, der Diamant ist ihr gleichgültig, ihre Seele kennt andere Sorgen – – vielleicht …

„Benito …“, erwidere ich nur.

Sie schaut mich verständnislos an.

„Haben Sie niemals etwas von Don Pedro Benito, dem größten Seeräuber im Stillen Ozean, gehört …?“

Ein nachdenklicher Zug tritt plötzlich in ihr zartes Gesichtchen. „Oh – – doch!“, nickt sie. „Jetzt besinne ich mich, Olaf … Mein Vater sprach oft von Benito und von der Cocos-Insel und von den Narren, die für eine Expedition dorthin ein Vermögen opferten. Sie müssen wissen, daß ich auf einer Insel des Galapagos-Archipels aufgewachsen bin und daß der Stille Ozean mir durchaus vertraut ist, mein Vater besaß eine große Pflanzung, – meine Eltern sind längst tot, was wir erspart hatten, ging verloren, ich stehe nun ganz allein da, aber die Erinnerungen an meine Jugendzeit sind noch genau so frisch und unvergessen wie die Ereignisse der letzten Jahre, und deshalb bedarf es auch nur eines geringen Anstoßes, selbst unwichtige Kleinigkeiten zu neuem Leben zu erwecken, wie zum Beispiel diese Schatzgräbergeschichten, die einem kühlen Verstand doch nur ein leises Lächeln entlocken können … Gewiß, nun ist mir der Name Don Pedro Benito wieder durchaus geläufig, zumal …“ – sie stutzte plötzlich, hob den Diamant nochmals unter die Augen und blickte mich dann lange und durchdringend an. „Olaf, – glauben Sie denn an die Existenz dieser Piratenschätze?“

Ich wollte einen Schritt weiter in ihre persönlichen Geheimnisse eindringen, und deshalb erwiderte ich der Wahrheit gemäß: „Ja, jetzt glaube ich an diese Schätze, denn dieser Stein mit seinem unmodernen Schliff und seiner seltenen Größe, die ihn in die geringe Zahl der berühmten Diamanten einreiht, kann nur aus der Beute Don Benitos stammen. Wie er hierher gelangt ist, bedarf noch der Aufklärung, in jedem Falle aber, meine kleine Freundin, dürften diese Schätze auch irgendwie mit Ihrer Person zusammenhängen, zumindest muß eine Ihnen selbst unbekannte Verbindung bestehen, über der vorläufig noch ein dichter Nebelschleier lagert. Warten wir ab, auch der wird sich lüften lassen … Sie können überzeugt sein, kleine Gerda, daß Jetta Arnulf sowie Sir Roger Carselan und auch noch der Zuchthäusler 308 diesen Schätzen nachjagen, – 308 war es, der hierher vor Jahren im Flugzeug kam und unglücklich landete, die Maschine wurde ein Wrack, sein Gefährte fand den Tod, er selbst schlug sich bis Singapore durch, und dort ereilte ihn ein neuer Schicksalsschlag, er wurde überfallen, schoß seine drei Angreifer nieder und wanderte in die Kerkerzelle … als John Smith, und …“

… Ich konnte Gerda gerade noch auffangen, wie leblos hing sie in meinen Armen, und erst nach einer geraumen Weile kam sie auf meiner Lagerstatt wieder zu sich.

Auch ihr Erwachen war eigentümlich genug.

Meine Frage, wodurch denn ihre Nerven so plötzlich versagt hätten, beachtete sie nicht, sie hatte meine Hände ergriffen, in ihren Augen glühte es wie Fieber …

„Olaf, beschreiben Sie mir das Gesicht dieses Sträflings 308, – – ich flehe Sie an, – – hatte er … hat er graublaue Augen und ziemlich starke, dunkle Brauen, dazu blondes Haar, mehr aschblond … Sprechen Sie doch … sprechen Sie doch! Hatte er nicht eine Nase, die etwa der meinen gleicht … sehr dünne, fast durchsichtige Nasenflügel, – – sprechen Sie doch …!“

„Das alles stimmt, kleine Gerda …“, – sie lehnte so matt wie ein krankes Vöglein an meiner Schulter. „Das alles stimmt so auffallend, daß 308 nur Ihr Bruder sein kann …“

Ein tiefes Schluchzen …

Ein leises, ganz leises „Ja“ …

Und als Nachsatz folgte … „Olaf, Olaf, nun fragen Sie nichts mehr …!“ Ihre Stimme zitterte. „Nichts mehr fragen, bitte, bitte … Und – – mir helfen … helfen … und Vergeltung üben – – Vergeltung für …“

… Wofür …?

Das erfuhr ich nicht …

Ein schleifendes Geräusch neben uns … Eine unheimliche Gestalt – knurrend, brummend: Monte, noch mit der Wolldecke behängt, – – der war es!

Ein Glück, daß auch in solchen Augenblicken die Komik einer Situation siegreich den Aufruhr der Seele besänftigt.

Wir beide hatten erschrocken hingeschaut …

Und nun lächelte Gerda, in den langen Wimpern noch ein paar Tränen …

– Das Lächeln ward uns geschenkt, damit wir kritische Minuten ohne Schaden überstehen.

Vielleicht begriff ich das damals nicht ganz, – – später habe ich es begriffen …

Zwischen diesem Damals und diesem Später lagen die Zauberwolken der dunklen Geheimnisse der Insel des Wrackes D O XII.

 

5. Kapitel.

Piraten auf der Brigg.

Fünf Stunden lang, bis sieben Uhr abends, hatten die Matrosen die Insel unsicher gemacht. Dann war die Luxusjacht mit dem sicherlich schwer blessierten Oberst wieder davongefahren. Aber ob das Schiff nicht nochmals wiederkehren würde, wenn Lincoln so weit genesen, um seine Ansicht über das Stückchen Spiegel Frau Jetta unter das kühne Hakennäschen zu reiben, blieb eine andere Frage, ebenso auch die, ob nicht heimlich einige Leute hier zurückgelassen worden seien, die uns abfangen sollten, wenn wir uns sicher fühlten und uns hervorwagen würden.

Gerda gab mir in diesem Punkte durchaus recht und billigte meine Vorsicht. Wir saßen beim Abendessen, und das Mädchen hatte sich inzwischen wieder völlig beherrschen gelernt. Der Bruder John, Nr. 308, wurde nicht mehr erwähnt. Gerdas Stimmung blieb freilich sehr unausgeglichen, zuweilen versank sie in finstere Grübeleien, dann wieder hatte sie Anfälle eines kecken, frischen Übermuts, – ich wurde nicht recht klug aus ihr.

Nachdem es völlig dunkel geworden, räumte ich leise die Felsstücke vom Stollenausgang weg, befestigte den Haken unserer Strickleiter an der gegabelten Spitze des langen Astes und suchte ihn oben am Rande des Zisternenschachtes festzuklemmen.

Es gelang.

Aber mein Mißtrauen gegen Sir Rogers bleiche Konkurrentin veranlaßte mich, zunächst einmal den alten Trick zu probieren: Ich schob meine Mütze auf die Astspitze, drapierte eine meiner Khakijacken[8] um die nächste Sprosse und ließ diese Puppe emportauchen, – oben regte sich nichts. Dann erst kletterte ich selbst empor, hielt jedoch die Pistole schußfertig …

Als ich über den Rand des Gesteins hinweglugte, erblickte ich nur harmlose Korallenfelsen, ein paar Büsche und den bewußten Sträflingsanzug, den ein Witzbold über einen Strauch gelegt hatte.

Ich schwang mich vollends empor, wollte mich aufrichten, fühlte plötzlich am Genick etwas sehr Kühles, etwas Rundes, und eine Stimme, die offenbar schon in der Wiege durch Whisky verdorben, knurrte drohend: „Liegen bleiben!!“

Eine Pistolenmündung im Genick ist nun eine äußerst unangenehme Unterstützung eines derartigen Wunsches, und da ich von meinem Angreifer nur die Unterschenkel, also weiße weite Seemannshosen und ein Paar ungeheure Schnürschuhe sah, da ich des weiteren mit der Nähe mehrerer Matrosen rechnete, gehorchte ich zunächst.

Ich lag flach auf dem Bauche, hinter mir stand der unfreundliche Jan Maat, seine Pistole kitzelte jetzt meinen Rücken, und sein Baß war noch eine halbe Oktave tiefer, als er mich aufforderte, die Hände auf den Rücken zu legen.

Dieser Befehl, eine kapitale Dummheit, änderte die Verhältnisse gründlich, denn ich gehorchte so flink, daß ich die Pistole noch zu packen bekam, die Mündung empordrückte und gleichzeitig mit den Füßen seitwärts schlug, was einen Ton erzeugte, als ob man gegen einen sehr prallen Bauch trommelt …

„Au – – verdammt!“, fluchte jemand, – da war ich auch schon auf den Beinen, hielt seine rechte Hand samt Pistole noch immer fest und holte mit der anderen Hand zu einem genau so unfreundlichen Boxhieb aus.

Der Hieb unterblieb.

Ich war zu betroffen von dem in Mondlicht getauchten Gesicht meines Gegners.

Betroffen besagt wenig. Ich war vollkommen außer Fassung geraten.

„Mensch, wer sind Sie?“, sagte ich nur und ließ seine Hand los …

Jeder hätte das gesagt. – Mr. Tobias Sabbatyl (der Name erinnert mich immer an irgend ein Abführmittel) lächelt höflich. Es war das Lächeln eines von Mutter Natur total verpfuschten Pausbackenengels Murillo’scher Herkunft, es war zugleich eine stumme Entschuldigung, daß ein so kleiner, fetter, drolliger Knirps wie er überhaupt existierte und noch dazu die ungeheure Kühnheit aufgebracht hatte, ein Schießeisen in die Hand zu nehmen.

„Doktor Tobias Sabbatyl, Privatgelehrter“, stellte er sich in stolperndem Englisch vor.

Ein Doktor?! – Der feiste Zwerg sah wie ein Rentner aus, der Kanarienvögel züchtet und Briefmarken sammelt und Vorstand des Vereins gegen die Herstellung von Bleisoldaten und sonstige die Kriegsgelüste aufreizender Dinge sein mochte.

„… Ich bin nämlich Naturforscher“, ergänzte er seine Personalien und deutete dabei gen Norden in die Ferne … „Von der Jacht „Manhattan“ … Frau Arnulf hatte die große Liebenswürdigkeit, mich als Gast mitzunehmen und hier abzusetzen … Die Flora und Fauna gerade dieser ganz einsamen Insel des Stillen Ozeans ist …“

„… mir bis auf die Kokosnüsse, die Nährwert haben, momentan gleichgültig“, stoppte ich den Redefluß des Kontrabasses rechtzeitig ab … „Woher kennen Sie Frau Arnulf?“

„Durch Zufall, durch Empfehlungen …“

„Hm … Und wer empfahl Sie der Großmut dieser Dame?“

„Miß Gerda Wolper, ein sehr liebes Mädchen …“

Ich glaube, ich behielt da den Mund sekundenlang weit offen. Das kam zu überraschend.

Das Abführmittel bewertete mein Staunen unrichtig.

„Ich lüge nur selten“, – er drückte die Brust heraus – „diesmal ist es die Wahrheit … Gerda ist nämlich mein Patchen …“

„Ach so!!“ Endlich fand ich Worte. „Ihr Patchen?! Wie alt sind Sie denn, Herr Doktor?“ Ich führte ihn aufs Glatteis, indem ich plötzlich Deutsch sprach, und Sabbatyl rutschte auch wirklich aus …

Er antwortete deutsch und merkte es gar nicht.

„… Geboren am 7. 7. 1877 zu Schrimm als Sohn des Kantors, Küsters und Landwirtes Maleachi August Tobias Sabbatyl und seiner Ehefrau, …“

„Stopp!! Genügt. – Waren Sie denn mal auf dem Galapagos-Archipel, Herr Doktor?“

„Zehn Jahre … Und acht davon lebte ich auf der Plantage des Vaters der lieben Gerda …“

„So … so … – Gerda hat doch noch Geschwister, Herr Doktor?“

Doch jetzt war er vorsichtig.

„Mag sein … – Verzeihung, sind Sie Mr. Abelsen …?“ – Plötzlich sprach er wieder sein Englisch … Es war danach …

„Mag sein …“, diente ich ihm in gleicher Art. „Weshalb zeigten Sie sich vorhin so kannibalenmäßig-kriegerisch[9]?“

„Bei dem Schreck, Mr. Abelsen …! Ich bitte Sie!! Wenn so urplötzlich jemand aus der Versenkung aufsteigt, – – ich bitte Sie, konnte ich wissen, wer Sie sein mochten?! Übrigens ist die Pistole gar keine Pistole, – überzeugen Sie sich. Nur eine Zigarrentasche mit Feueranzünder, kostet etwa drei Mark … Ein Geschenk Gerdas … – Wie geht es ihr?“

Dabei blinzelte er mich aus seinen fettumpolsterten Äuglein sehr pfiffig an.

In demselben Moment kam aus dem Schacht eine Engelsstimme …: „Onkel Tobi, bist du es?! Du mußt es sein … Dein Bariton ist unverkennbar …“ Und es folgte ein so perlendes Lachen, daß Onkel Tobi sofort einstimmte, sich über den Schacht beugte und mit der rechten Flosse vergnügt wedelte … „Kindchen, da habe ich doch mal wieder den richtigen Riecher gehabt! Als dem Oberst das Steinchen auf den Tropenhelm fiel, sagte ich mir sofort: Das ist kein Zufall! Dort unten steckt das Mädel, das vertrackte Teufelsmädel!“

Gerda turnte empor … Sie trug Freund Monte im linken Arm: Eine Leistung!! –

Beneidenswerter Onkel Tobi!! Er bekam einen Kuß, wobei sein Tropenhelm zu Boden rutschte und nunmehr zwei Monde leuchteten, denn das Abführmittel hatte einen ratzekahlen Schädel, die Glatze reichte gleich bis in die Kniekehlen …

Nun sah Tobi Sabbatyl noch komischer aus.

Sogar Monte hatte dafür Verständnis, setzte sich vor Onkel Tobi auf die Schinken, hob den Kopf und heulte den Mond Nr. 2 mit schaurigen Lauten an.

Tobi erschrak. „Na nu, – – was hat er?! An Bord der „Manhattan“ gab ich ihm doch stets meine Kotelettknochen, und hier …“

Gerda lachte jetzt Tränen.

Es war eine ganz neue Gerda, die ich so kennen lernte …

Und es gibt doch nichts Schöneres auf meinen Abseitspfaden, als diesen köstlichen jähen Wechsel von bitterstem Ernst zu heitersten Zwischenfällen.

Wie hier … –

Gerda trocknete sich die Augen … „Onkel Tobi, du hast also doch dein Stück durchgesetzt … Jetta will dich hier abholen – wann?“

„Nach vierzehn Tagen … Bis dahin werden meine Herbarien und Insektengläser und Schmetterlingskästen wohl gefüllt sein, Gerdachen … Ich hoffe zuversichtlich, daß die Fauna und Flora dieser Insel …“

„Halt, – wie heißt sie?“, fragte ich gespannt. „Wo liegt sie?“

Tobi schaute mich verwundert an, stülpte seinen Helm wieder auf und entgegnete vorwurfsvoll: „Wollen Sie mich verulken, Herr Abelsen? Sie sollten nicht wissen, daß dies die eine der sieben im Pacific verstreuten Inseln ist, die keinen Namen hat?! Es sind genau sieben … Meine genaue Kenntnis dieser Meeresbreiten erlaubt mir, derartige Behauptungen …“

„Halt – – halt, – und wo liegt zum Beispiel die Cocos-Insel?“ Ich war auf die Antwort außerordentlich gespannt.

Onkel Tobi klapperte mit den dicken Augenlidern, blickte blitzschnell sein Patchen forschend an und hüstelte …

„Hm … Cocos-Insel, – – ach so, Cocos-Insel, ganz recht, – die liegt genau dreihundert Seemeilen nach Nordost … etwa Nordost … Interessiert Sie die Cocos-Insel, Herr Abelsen?“

„Mag sein …!“ – Ich wußte nun, daß in diesem wirren Schauspiel oder in dieser konfusen Schatzgräbergeschichte auch Tobias Sabbatyl seine besondere Rolle spielte. – Welche?! – So harmlos, wie der kleine dicke, bart- und haarlose Herr sich gab, war er durchaus nicht.

Er verbarg etwas vor Gerda. Was?!

„… Kommen Sie“, forderte er mich schon freundlichst auf (das Thema Cocos-Insel behagte ihm nicht), „ich werde Ihnen und Gerdachen mein Zelt zeigen … Frau Arnulf hat mir wirklich in liebenswürdigster Weise überreich alles Nötige hier gelassen, und ich habe bereits zwei neue Arten von Wasserflöhen und eine ebenso unbekannte Art von …“ (Fortsetzung vergleiche Konversationslexikon, Ergänzungsband, unter I, „Insekten“, „neu entdeckte Arten“.) So sehr ich die Natur liebe, – ob ein Wasserfloh die Geschlechtsdrüsen auf dem Rücken oder am Unterleib sitzen hat, ist mir höchst gleichgültig. – Das Zelt des Abführmittels (– netter Mensch, der Tobi, Tatsache) stand unterhalb der Ostwand der Bucht in einem Tale, das sich nach der See öffnete und dort durch ein gewaltiges Korallenriff von seltsamer Form abgeschlossen wurde. Frau Jetta hatte den Sonderling wirklich großartig ausgestattet, sogar ein Tropenbett mit Moskitonetz war vorhanden, dazu ganze Stöße von Kisten, in denen Herbarien und so weiter lagen.

Gerdas Stimmung hatte inzwischen wieder gewechselt. Ich hatte den Eindruck, sie wollte gern mit Tobi allein sein … Als höflicher Mensch entfernte ich mich, nahm Monte mit und dachte mir mein Teil.

Nun stand ich mit Freund Monte droben auf der Buchtwand, wo der Fels sich gelöst und den Oberst Lincoln in die Tiefe gerissen hatte.

Die Stelle an der Kante des Abhanges, in dem nun ein keilförmiger Riß klaffte, war deutlich zu erkennen. Es mußte ein Stück von mehreren Zentnern Gewicht gewesen sein, – wäre es als geschlossene Masse hinabgerutscht, hätte der Oberst sein Leben eingebüßt, und dabei sollte, wie Doktor Tobi mitfühlend erklärt hatte, Lincolns Verletzung zu ernsteren Besorgnissen keinen Anlaß geben. Das Stück Korallenfels war also bestimmt in mehrere Teile zerplatzt, als es sich von der Kante ablöste, vielleicht infolge des Druckes des dicken Taues, an dem zuerst der Matrose, dann der Oberst gehangen hatte.

Ablöste, – – nur dadurch?! – Vorhin hatte Sabbatyl eine Äußerung getan, die nichts anderes gewesen war als die Wiedergabe eines auch in mir aufgestiegenen Verdachts.

War Lincoln wirklich durch einen Zufall verunglückt?!

All diese Erwägungen würde ich ja niemals angestellt haben, wenn sich bei mir der Gedanke, diese Insel besäße heimliche und geheimnisvolle Dauerbewohner, nicht so ganz allmählich mit aller Zähigkeit eingenistet hätte.

Ich hatte das Geschöpf da auf der geknickten Palme, das mir zugerufen, ich solle meinen Hund an mich locken, nie völlig aus meiner Ideenwelt verbannen können.

Wer war dieser Greis, der dort auf die Palme geflüchtet war vor Montes grimmen Zähnen, und der mit seinem Haar- und Bartwald von Silberweiß für Sekunden wohl einen[10] Silberpavian vorgetäuscht hatte?!

… Die sich rasch nähernden Stimmen Onkel Tobis und Gerdas zwangen mein Denken in eine andere Richtung.

Beide, Onkel und Pate, waren erregt, beide schienen von dem Wunsche beseelt, meine Ansicht über Fragen einzuholen, die ihnen sehr am Herzen lagen.

Sabbatyls Baß, ein wirklich ungewöhnlicher Baß, schwankte im Tonfall bedenklich, als er hervorstieß:

„Gerdas Bruder John ist nicht auf die Jacht geschafft worden, bestimmt nicht. Mir hätte das nicht verborgen bleiben können, Herr Abelsen … Ich bitte Sie, – wo steckt er?!“

Diese Einleitung eines mehr als hastigen Frage- und Antwortspieles auf dem mondhellen Abhang war verheißungsvoll genug.

Ich blickte den kleinen Doktor und das Mädchen etwas mißtrauisch an. Vielleicht – mir schoß es so durch den Kopf – hatten die beiden sich dahin geeinigt, den Tatbestand noch mehr zu verdunkeln.

Aber Gerdas vor Angst geweitete Augen und die flehende Bewegung, mit der sie nach meiner Hand griff, hauptsächlich aber ihr zitterndes Stimmchen, das so farblos und kraftlos war, überzeugten mich sofort von meinem Irrtum.

„Olaf, – – ist John hier verunglückt? Wollen Sie mich nur schonen? Ist ihm etwas zugestoßen?!“

Mein ratloses Gesicht überhob mich einer Antwort.

„… Olaf, Sie wissen also nicht, was aus ihm geworden ist?“

Onkel Tobi tanzte schon ungeduldig von einem kurzen krummen Beinchen auf das andere.

„Kind, ich bitte dich, du siehst doch, daß Abelsen nichts weiß …! Ich bitte dich, sei nicht so aufgeregt … Wir müssen die Dinge in aller Ruhe durchsprechen …“

In aller Ruhe …?! – Dabei war er viel zappeliger als Gerda, der die Angst und Sorge nur so aus den Augen leuchteten …

„Durchsprechen!“, wiederholte Sabbatyl und schwang die Faust gen Himmel, als ob er dieses Wort den Sternen zur Bekräftigung zuwerfen wollte. „Da ist ja noch der Diamant, Herr Abelsen, und da ist auch noch …“

„… Blaff – – blaff!!“, schlug Monte kurz und schroff an und duckte sich zusammen und schob den Kopf vor …

Wir standen so, daß wir jenen hellen Sandfleck im Innern der Insel, der schon einmal für mich so bedeutungsvoll geworden, übersehen konnten.

Monte äugte hinüber …

Dann setzte er auch schon zum Sprunge an, raste vorwärts, – – kein Pfeifen, kein Zuruf halfen, wie besessen stürmte er von dannen, verschwand …

Der Wind, muß ich bemerken, kam von Südwest, also von jener Sandstelle und dem Palmenhain her, war recht frisch und mußte dem Hunde eine Witterung zugetragen haben, die er kannte und haßte.

Wir drei starrten hinüber … Gerda und Tobi wußten noch nichts von dem „Geschöpf“, von dem Fremden, und als dort nun zwei Gestalten über die mondbeschienene Fläche huschten und nach Nordwest in den Büschen untertauchten, bot sich mir ebenfalls keine Gelegenheit zu langen Erklärungen. Das einzige, was ich den beiden zurief, war der kurze Befehl: „Schneidet ihnen den Rückweg ab!“

Gleichzeitig fast setzte Montes bereits recht fernes Kläffen abermals ein.

Ob Gerda meine Absicht erkannte, – ich hoffte es. Auf Doktor Tobi rechnete ich nicht weiter. Ich stürmte in das Tal hinab, in dem des Doktors Zelt stand, und wenn die Flüchtlinge die Richtung beibehielten, mußte ich ihnen am Strande zuvorkommen … Die Überzeugung, daß der eine der beiden der weißmähnige Alte war, verlieh mir geradezu Flügel, und die andere Überzeugung, nicht weniger wichtig, ging dahin, daß die heimlichen Bewohner der Insel irgendwo draußen in einem der vorgelagerten Riffe hausten, von denen einige recht umfangreich waren.

Trotzdem erreichte ich nichts. Als ich völlig außer Atem dem Ufer mich näherte, wo der bereits erwähnte eigentümlich geformte Korallenfelsen im flachen Wasser ruhte, jagte von rechts her Monte durch die Büsche, die Nase dicht über dem Boden und andauernd in wilder Erregung kläffend, als wäre er hinter einem unbekannten Katzenvieh her. Er war derart in Schwung, daß er die flache Sanddüne hinabkollerte, ins Wasser rollte und sofort auf den inneren Brandungsstreifen zuschwamm, – und das hatte ein gutes: Ich lief weiter, lief an dem mächtigen Felsen vorüber, gewann so freien Ausblick auf das Meer und bemerkte ein Kanu, in dem die beiden Flüchtlinge nach Insulanerart knieten und soeben mit flinken Ruderschlägen in die Innenriffe nach Osten einbogen und unsichtbar wurden.

Gleich darauf erschienen auch Gerda und der kleine Doktor, der zu meinem Erstaunen den Dauerlauf ohne Anstrengung ausgehalten und überhaupt eine Behendigkeit an den Tag gelegt hatte, die mir zu denken gab.

Ein schriller Pfiff lockte Monte zurück.

Vorläufig war hier nichts mehr zu erzielen, ohne ein Boot konnten wir den ausgedehnten Riffgürtel nicht durchsuchen, mir genügte es auch, daß ich die beiden Gestalten im Kanu ziemlich deutlich gesehen und festgestellt hatte, daß der zweite Mann einen dunklen Bart und dunkles, sehr langes Haar gehabt hatte. Beide trugen sackähnliche Kutten ohne Ärmel und einen Strick um die Lenden. Waffen hatte ich an ihnen nicht bemerkt.

Diese ergebnislose Hetzjagd lieferte uns nicht nur übergenug Gesprächsstoff, sondern verlangte auch sofortige wirksame Maßnahmen zu unserer eigenen Sicherheit, und das wesentlichste – zur schleunigen Befreiung John Wolpers, der zweifellos von diesen Fremden überrumpelt und mitgenommen worden war.

Während die beiden das Zelt abbrachen und alles in die Grotten hinabschafften, versuchte ich den im Buchtwinkel versteckten Schwimmkörper heraufzuholen. Zu Sabbatyls Ausrüstung gehörten auch zwei dünne, geteerte Leinen, ich knotete sie zusammen, band das eine Ende an einen jungen Palmenstamm jenseits des Buchtwinkels, umwickelte die Stelle, wo die Leine auf dem Felsen auflag, mit Wolldecken und rutschte in die Tiefe hinab. Als ich die Beine im Wasser senkrecht herabhängen ließ, spürte ich wieder die schon früher bemerkte Strömung, ich tauchte, die Leine durch die linke Hand gleiten lassend, und war dann kaum erst drei Meter unter Wasser, als die Strömung mich auch schon mit solcher Gewalt vorwärts riß, daß ich gegen das Gestein des Buchtwinkels gedrückt wurde und bei dem Bemühen, schleunigst wieder hochzukommen, seitwärts in ein Loch glitt, in dem wie in einem Kanal, der starkes Gefälle hat, die Wassermassen mit unheimlicher Kraft nach unten drängten.

Ohne die Leine wäre ich verloren gewesen … Und selbst sie hätte mir wenig geholfen, wenn ich nicht in dem Kanal mit den Füßen, die bereits in die Tiefe hinabgerissen worden waren, auf einen Widerstand gestoßen wäre …

Nicht Steine, nicht Fels!

Das, was ich mit den bloßen Fußsohlen fühlte, war Holz, war ein dickes Holzgitter …

Mit aller Kraft stieß ich mich ab, kam wieder aus dem lebensgefährlichen Strudel und aus dem Loche hinaus und zog mich an der Leine nach oben.

Als ich erst den Kopf über Wasser hatte, merkte ich, daß es sich hier um Sekunden gehandelt hatte. Ich war vollständig erschöpft, ich traute es mir nicht mehr zu, sofort emporzuklettern, sondern schnürte mir die Leine schnell um den Leib und hing, minutenlang mit Ohnmachtsanwandlungen kämpfend, regungslos still …

Trotzdem feuerte mich die soeben gemachte Entdeckung derart an, daß ich die augenblickliche Hilflosigkeit überraschend schnell überwand und mich vollends emporzog. Ich streckte die Hand soeben nach dem Felsenrande aus, als eine ungewollte Drehung des Strickes mein Gesicht dem Meere zukehrte und ich so ein größeres Fahrzeug gewahrte, das mit seinen beiden hohen Masten, den beschlagenen weißen Segeln und dem deutlich vernehmbaren Puffen eines starken Hilfsmotores mich sofort an die Brigg „Benito“ erinnerte.

Es war die Brigg …

Auch Gerda hatte sie bemerkt, kam klugerweise auf allen vieren herbei und raunte mir ihre Beobachtung zu.

„… Olaf, ob wir uns wohl zeigen dürfen?“, fragte sie unsicher.

„Niemals! – Rasch, hinunter in die Grotten, Mädel …! Wissen wir denn, wer sich an Bord befindet?! Wir vermuten, die Brigg sei Sir Rogers Expeditionsschiff … – Schnell, hinab mit euch beiden … Ich komme nach …“

Ich kletterte auf den kahlen Korallenfelsen, duckte mich zusammen, Gerda enteilte, die Brigg näherte sich äußerst behutsam, am Bug standen zwei Leute mit einem Lot, ich konnte bei der hellen Nacht alles erkennen, ich schlüpfte zwischen das Gestein, hielt mich dicht am Zisternenloch verborgen und wartete ab, was die Besatzung unternehmen würde. Wenn Sir Roger an Bord war, mußte ich ihn bemerken, dann war es noch immer Zeit genug, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Vorsicht ist zwar nie der bessere Teil der Tapferkeit, aber unbedingt dort zu empfehlen, wo unklare Verhältnisse obwalten. Und das war hier nur zu sehr der Fall.

Die Brigg schlich heran … Die Leute mit dem Lot riefen eintönig in kurzen Pausen ihre beruhigenden Feststellungen: „Fünf Meter … zehn Meter … acht Meter … zwölf Meter …“

Ich wunderte mich über die unseemännische Ausdrucksweise … Kein Jan Maat gibt die Tiefe in Metern an … Nur in „Faden“ … – So und so viel Faden Tiefe, – das wäre für eines schmucken Seglers Besatzung das richtige gewesen. – Was also waren das für Leute, die den „Benito“ in die Bucht lavierten?!

Und dann sah ich noch mehr …

Am erhöhten Steuer vor der Kompaßlampe stand eine dürftige Gestalt in sauberer Kapitänsuniform.

Das Gesicht?!

Täuschte ich mich?!

Es war tatsächlich der alte Malaie Sokrates Opideru, und neben ihm stand eine überschlanke Gestalt in weißem Tropendreß: Roger Carselan!

Aber nicht das Wiedererkennen dieser beiden Bekannten von Singapore her gab mir Veranlassung, schleunigst in die Zisterne hineinzugleiten und nur den Kopf noch zwischen dem Geröll zu verbergen und atemlos hinüberzuspähen.

Hinter Sokrates und Sir Roger standen drei Burschen mit schußfertigen Pistolen … Drei Farbige … Kerle, die aus jedem Hafennest Ostasiens einen verderbten Tropfen Blut in den Adern hatten, Mischlinge von jener Buntscheckigkeit der Rassenzugehörigkeit, daß kein Gelehrter aus diesen Gaunervisagen klug geworden wäre.

Die Sorte kannte ich … Die Sorte hatte auch irgendwo und irgendwann einmal einen europäischen Ahnen gehabt, spielte sich zumeist als Spanier, Portugiesen oder Süditaliener auf und waren doch nichts als ein übles Gebräu schlechtester Couleur und niederster Instinkte. Überall begegnet man ihnen in den Häfen des fernen Ostens, überall halten sie es mit dem Verbrechergesindel und den feinen Betrügern …

Ich wußte Bescheid: Sir Roger war von seiner eigenen Mannschaft entwaffnet worden, eine Bande von schlimmsten Kreaturen war Herr der Brigg …

Und die Brigg warf Anker … lag still …

Keine achtzig Meter von den Fenstern unseres Versteckes entfernt. –

Sir Roger hatte sich eingefunden … Er war da … Nur in anderer Art trat er wieder in die Erscheinung, als ich es mir je geträumt hätte …

 

6. Kapitel.

Die Sonne von Nortmoore.

Mein Fernglas lag noch von vorhin zwischen den Steinen am Zisternenrand. Es war kein sogenanntes Nachtglas, aber dessen bedurfte es bei dieser hellen Dämmerung auch gar nicht, die Prismenspiegel zogen mir die Brigg samt ihrer fragwürdigen Mannschaft ganz dicht heran, und ich wurde Zeuge, wie ein langer, dicker Patron, der jetzt offenbar den Schiffseigner spielte, mit großsprecherischen Gesten seine beiden Gefangenen in die Heckkajüte schickte, die hinter ihnen verschlossen wurde. Sir Roger und Sokrates hatten wortlos gehorcht, und all die lächerliche Aufgeblasenheit des ungeschlachten Mischlings konnten den verächtlichen und hochmütigen Zug aus Sir Carselans schmalem Gesicht nicht verscheuchen.

Da die Banditen jetzt ein Boot ausschwangen und ausgerechnet auf den Ostrand der Bucht zuhielten, mußte ich mich schleunigst für vorläufig empfehlen. Ich kletterte an der Strickleiter hinab, löste den Eisenhaken oben wie bisher mit Hilfe des langen Astes und wandte mich der inneren Grotte zu, um Doktor Sabbatyl zu bitten, mir beim Zubauen des Einschlupfloches zu helfen.

Inzwischen hatten Gerda und der Onkel Tobi klugerweise sämtliche Fensteröffnungen noch sicherer verrammelt und auch mit Decken verhängt. Ich fand die Gefährten im letzten Raume neben dem brennenden Spirituskocher, und wenn mir hier etwas sofort auffiel, war es die große Gleichgültigkeit, mit der meine Schicksalsgenossen meine Kunde von den Veränderungen auf der Brigg hinnahmen.

Es lag etwas Unnatürliches, Gezwungenes in dieser fast verletzenden Interesselosigkeit, und ich selbst empfand beinahe eine gewisse Scham darüber, daß ich Sir Roger und des Malaien Geschick zum Anlaß langer Erörterungen nahm, die weder bei Gerda noch bei Onkel Tobi irgendwie ein Echo fanden. Dieses Gefühl der Beschämung, mich allzusehr aufgeregt gezeigt zu haben, wich sehr bald wieder und machte einem unbestimmten Mißtrauen Platz, zumal ich meinen vierbeinigen Freund Monte in einem Winkel unter drei Wolldecken angebunden fand, die ihm sichtlich das Atmen erschwert hatten. Als ich die Decke wegzog, keuchte er wie nach langer Hetzjagd, und mein fragender Blick in Gerdas verlegenes Gesicht begegnete lediglich einem scheuen Ausweichen ihrer klaren und doch merkwürdig unsicheren Augen.

Ich trat wieder neben die beiden …

„Was ist hier vorgefallen? Antwort!!“

Doktor Tobias Sabbatyl arbeitete mit nervöser Hast an einer Konservendose mit dem Büchsenöffner.

„Was soll hier vorgefallen sein?“, brummte er nur. „All das, was Sie soeben berichteten, haben wir ja durch die Fenster beobachtet, lieber Abelsen. Wir sind eben eingesperrt, und der Gedanke, John Wolper nicht sofort befreien zu können, ist doch wahrlich nicht erbaulich, John steht uns näher als Sir Roger …“

„So?!“ – Log der Doktor, waren das nur Redensarten?! Ich war empört, ich fühlte deutlich, daß mir irgend etwas verheimlicht wurde, und mit mir in dieser Art umspringen zu lassen, lag wahrlich nicht in meiner Absicht. „So?! Sir Roger ist Ihnen gleichgültig!“, fuhr ich den erschrockenen Sabbatyl halblaut an. „Und wer hat Johns Befreiung aus dem Zuchthaus vorbereitet?! Wer hat John Gelegenheit verschafft, auf den „Benito“ zu flüchten und die gefährlichen Gewässer von Singapore zu verlassen?! War das etwa nicht Sir Roger?! Und jetzt sitzen Sie beide da, als ob für Sie nur noch John vorhanden wäre!! Schämen Sie sich, Doktor …! Unter Kameradschaft verstehe ich etwas anderes, ganz anderes … Und möchten Sie mir vielleicht sagen, weshalb Sie Monte derart eingewickelt hatten, daß er fast erstickte …?! – Bitte, ehrlich Spiel …!! – Was ist hier inzwischen vorgefallen?!“

Da konnte ich lange fragen …

Da konnte ich noch so entrüstet sein …!

Mit schmerzlicher Bitterkeit stellte ich fest, daß Gerda genau wie Sabbatyl ihre Zuflucht zu allerlei törichten, beschwichtigenden Worten nahmen, die nur zu sehr dazu angetan waren, die so jäh eingetretene Entfremdung noch zu verstärken.

Schließlich faßte ich Monte beim Halsband, führte ihn in die Nebengrotte, holte mir, was ich zum späten Nachtmahl brauchte, und setzte mich allein in eine Ecke …

Monte war mir wieder einmal der beste Gesellschafter. Die Menschen hatten mir nur wieder die schnelle, unbegreifliche Wandelbarkeit ihrer Gemüter gezeigt, und in verbissenem Groll und doch mit leiser Trauer sann ich über die Ursachen dieser Veränderung nach.

An das Schlupfloch der Zisterne dachte ich gar nicht[11] mehr. Ich vergaß durch diese Enttäuschung das Nächstliegende, und die Folgen sollten auch nicht ausbleiben.

Ich hörte draußen die gröhlenden Stimmen der zweifellos stark angeheiterten Farbigen, – Monte knurrte, ein Wink brachte ihn zur Ruhe, ich hatte ihn wieder angebunden, und nach etwa zehn Minuten löschte ich die kleine Laterne aus, schob den Vorhang der einen Fensteröffnung zurück und blickte hinaus.

Die Stimmen waren verstummt. Was die Kerle draußen auf der Insel trieben, konnte ich nicht feststellen. Die Brigg jedenfalls lag wie verlassen da, und nur vor der Heckkajüte schlenderten drei bewaffnete Leute hin und her.

Ich kam zu einem Entschluß, – Eile tat Not, denn der Morgen war nicht mehr fern. Ich befahl Monte, sich niederzulegen, deckte ihn leicht zu, eilte zur Zisterne, horchte eine Weile und brachte dann den Haken der Strickleiter oben am Rande an, kletterte empor, fand die Umgebung der Bucht völlig leer, vernahm jedoch mehr aus dem Innern der Insel das Brüllen und Rufen der Banditen und auch metallisches hartes Aufschlagen von Spitzhacken: Die Leute suchten auf gut Glück nach Benitos Schätzen!! Welch eine Narrheit!! Sie konnten doch nicht die ganze Insel umgraben!

Ich kroch zur Westseite der Bucht. Der Mond stand tief … Die Brigg lag bereits im Schatten. Ich hatte nur meine Pistolen und mein Messer mitgenommen. Als ich mich hinter einem Busche halb aufrichtete, konnte ich immerhin noch so viel an Deck der Brigg erkennen, daß die drei Wachen verschwunden waren.

Wo steckten die Burschen?! – Eine ungewisse Ahnung, daß Sir Roger Gefahr drohe, trieb mich schleunigst ins Wasser, ich schwamm hinüber, fand mittschiffs eine Relingspforte offen und eine herabhängende Holzleiter, wagte mich an Deck, war sehr bald neben dem etwas altmodischen Kajütaufbau und hörte Stimmen …

Ein Baß, der etwa dem des Doktor Sabbatyl glich, rief gerade mit einem scheußlichen Auflachen:

„Und weshalb ließen Sie hier die beiden Sträflinge ausbooten, edler Baronett? He?! Weshalb? Doch nur, damit die beiden für Sie nach des Piraten Reichtümer suchten, während Sie selbst die „Manhattan“ im Auge behalten wollten! Dieser Benson und der Kerl mit der Zahl 308 auf der gestreiften Jacke haben sich zum Glück schleunigst wieder empfohlen … Der eine Schwimmkörper des Flugzeuges wird ihnen als Boot genügt haben. Wahrscheinlich haben sie längst eine der Inseln des Galapagos-Archipels erreicht … – Ihre ganze Rechnung stimmte nicht … Diese Mißgeburt von Malaie hatte eine etwas unglückliche Hand beim Auswählen Ihrer Besatzung, der alte Bursche konnte sich ja auch kaum in aller Öffentlichkeit an ein anständiges Heuerbüro wenden, da schon der Ankauf der Brigg gründlich verschleiert werden mußte … Und welche feine Gesellschaft er anheuerte, alles erprobte Hafendiebe aus Singapore und dazu noch mich, der als Führer dieser Genossenschaft einigen Ruf genießt, das ahnt nicht einmal dieser sonst so gerissene Sokrates Opideru, der als Kapitän kein Schwachkopf ist, – was recht ist, muß recht bleiben. Wie nun, wenn Ihre beiden Sträflingsfreunde die Beute Don Pedro Benitos mitgehen hießen, Roger Carselan, wenn Sie auch von ihnen genasführt worden sind wie von uns, die jetzt Herren der Brigg sind?! He?! Also – wo lagen die Schätze? Sie müssen es gewußt haben, Sie werden doch nicht als einziger, der bisher eine Expedition für diese Zwecke ausrüstete, gerade auf diesem namenlosen Eiland die Reichtümer vermuten, während all Ihre Vorgänger es nur auf die Cocos-Insel abgesehen hatten! Ich rate Ihnen nochmals im Guten, Baronett: Machen Sie Halbpart mit uns! Mein Wort, daß wir ehrlich teilen werden! Wo lagern die Schätze? Sie wissen es!“

Die Tür war nur angelehnt, wie ich jetzt erst bemerkte, aber hinter der Tür hing als Vorhang ein alter dicker Teppich, und die Banditen fühlten sich so sicher, daß sie nicht einmal eine Wache draußen an Deck gelassen hatten.

Trotz der rüden Stimme und der zweifellos ernst zu nehmenden Drohungen des Banditenführers zeigte sich in dem hastigen Gestolper seiner von Goldgier diktierten Sätze eine gewisse anständige Gesinnung, so weit hiervon bei diesem Anlaß überhaupt die Rede sein konnte. Ganz verderbt konnten die Leute nicht sein, – um des Goldes willen haben schon weit bessere Charaktere und Leute aus ganz anderer Umgebung die Gewissenlosigkeit bis zum äußersten getrieben.

Wiederum war jetzt ein Teil der bisher so unklaren Geschehnisse in klares Licht gerückt worden. So manches blieb freilich dunkel, insbesondere Herkunft und einstiges Ziel von D O XII und jene Zusammenhänge, die mit Kamerad 308 und Sir Roger selbst etwas zu tun hatten, ganz abgesehen von Frau Jetta Arnulf.

„Ich weiß es nicht“, hörte ich Carselan sehr bestimmt erwidern. „Ich weiß nur, daß wahrscheinlich dieses Inselchen des Piraten Benito letzter Zufluchtsort war. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, Gonsalez Barra …“ Sir Rogers Stimme verriet Gleichgültigkeit und Müdigkeit. Ich sah sein Gesicht nicht, aber ich konnte mir dessen Ausdruck ausmalen. – Es machte ganz den Eindruck, als ob Carselan plötzlich selbst diese seine letzte Chance aufgegeben hätte oder als ob irgend ein besonderes Ereignis seine Sehnsucht nach den Reichtümern erstickt haben mochte. „Barra“, fuhr er genau so farblos fort, „Sie sollen unser Familiengeheimnis kennen lernen, und ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich nichts verschweigen werde. Mein Urgroßvater ließ den Seeräuber Benito hinrichten, den er in einer Schaluppe auf offener See abfing … Benito flüsterte meinem Ahn kurz vor dem Tode einen Namen zu: Colon!! Nicht Cocos!! – Vielleicht ist Ihnen bekannt, daß die Galapagos-Inseln, in deren Nähe die Cocos-Insel zu suchen ist, zum Staate Ecuador gehören und jetzt Colon-Inseln heißen, – wie lange, entzieht sich meiner Kenntnis. In unserer Familie, Gonsalez Barra, hat man stets angenommen, daß nicht die Cocos-Insel, die ja auch von jeher mit ihrem geschützten Hafen Standquartier der Walfänger war und mithin oft besucht wurde, Benitos Reichtümer berge, sondern eben eine andere einsame Insel, die irgend etwas mit „Colon“ zu tun haben müßte. Über die Cocos-Insel sind ja überhaupt sehr unzutreffende Angaben in die Welt gesetzt worden, die meisten glauben, sie läge so etwa mitten im Stillen Ozean, – ein Irrtum, dieses „mitten“ bezieht sich lediglich auf die Nähe des Äquators, und wie ich bereits andeutete: Seit dem Jahre 1860 etwa ist die Cocos-Insel von zahllosen Walfangschiffen angelaufen worden, man hat dort am Strande sogar Tran ausgeschmolzen, Hütten errichtet, und das wilde Völkchen der Walfänger durchwühlte die Insel – – als Nebenbeschäftigung, aus Sport … – Für meine Familie kam immer nur eine andere Insel in Betracht, eben ein Eiland, das mit Colon etwas zu tun hatte. Dieser Name ist von uns äußerst gewissenhaft auf seinen Ursprung hin untersucht worden. Zurückzuführen ist er auf Columbus, den Entdecker Amerikas, er wurde dann Bezeichnung für einen Teil Venezuelas, ferner für die Stadt an der Nordküste von Panama und für eine argentinische Stadt, außerdem findet sich der Name noch in der Medizin vor und zwar für einen bestimmten Teil des Darmes, den man auch Grimmdarm nennt. Da Don Pedro Benito in jungen Jahren Medizin studiert haben soll, gelangten wir Carselans zu der Vermutung, daß Benitos Schatzinsel irgend etwas mit dieser medizinischen Bezeichnung zu tun haben müßte … Dieses Eiland galt für meinen Vater und Großvater nach reiflicher Prüfung als das einzige, das in Betracht kommen könnte.“

„Weshalb?“, fragte Gonsalez Barra gespannt.

„Nun, – dieser Bucht wegen … Sie ist leicht geschlängelt wie ein Darm, und die Ansiedler der Galapagos-Inseln, viel sind es nicht, rieten einmal einem deutschen Gelehrten, dem Forschungsreisenden Felix Wolf, einen Abstecher hierher zu unternehmen. Er tat es im Jahre 1878, und auch er – vielleicht ein Zufall – nannte die Insel hier Colon und sprach in seinem Reisewerk von der nördlichen „Grimmdarmbucht“ … Vielleicht traf er schlechtes Wetter an, und die Stürme mögen die Wogen bis in die Bucht hineingetrieben haben. – So, Barra, das wäre alles … Und jetzt bitte ich Sie, mir auch die Wahrheit über Ihre Andeutungen von vorhin zu sagen … Sie haben an Bord der „Manhattan“ einen Spion, so verstand ich Sie, und dieser Spion signalisierte Ihnen gestern, daß eine junge Dame von der Jacht verschwunden sei. Ertrunken wahrscheinlich, eine Miß Gerda Wolper … – Stimmt das, Barra? Ich berufe mich auf Ihr Anstandsgefühl, auf Ihr zweifellos vorhandenes menschliches Empfinden … Sie haben hier an Bord alles Blutvergießen vermieden, Sie haben den ersten und den zweiten Steuermann und den Ingenieur nur eingesperrt, – – Mann, vielleicht steht das junge Mädchen meinem Herzen näher als Sie ahnen können … Beseitigen Sie die für mich so entsetzliche Ungewißheit … Wer signalisierte Ihnen und was wurde signalisiert? Sprechen Sie, ich bitte Sie darum …“

Aus der Kajüte ertönte ein verlegenes Räuspern …

So, wie Leute hüsteln, die sich nicht anmerken lassen wollen, daß jemand eine verborgene weiche Seite ihres harten Herzens zum Schwingen gebracht hat.

Ich schob den Teppich etwas zurück und konnte nun das Bild da drinnen voll übersehen.

An der linken Wand stand ein altes Sofa, davor ein großer Tisch, über dem eine Karbidlampe leise pendelte. Um den Tisch saßen die fünf … Sir Roger und der Kapitän Sokrates auf dem Sofa, die drei Mischlinge auf Schemeln ihnen gegenüber. Den riesigen Gonsalez Barra sah ich im Profil … Er hatte ein bartloses, steinernes Gesicht mit mächtigem Unterkiefer, Schlitzaugen und eine starke Hakennase. Alles in allem ein Kraftmensch, eine gewalttätige Natur …

Er fragte vorsichtig und zögernd, wobei er Sir Roger eigentümlich mitleidig anschaute:

„Woher kennen Sie Miß Wolper, Baronett?“

„Von Monte Carlo her, aus dem … Paradies der Spieler … Sie war dort mit Frau Arnulf, und diese hat mich, – – doch das ist gleichgültig. – Ist Miß Wolper tot?“

Carselan flüsterte nur … Niemals hätte ich vermutet, daß er Gerda Wolper liebte.

Er liebte sie … Man brauchte nur sein fahles, schmerzzerwühltes Gesicht zu sehen, und selbst ein blinder Tor hätte herausgemerkt, wie es um diesen Mann bestellt war.

Gonsalez Barra hatte den mächtigen Kopf gesenkt. Er wollte Carselans forschenden Blicken entgehen.

„Sir Roger“, meinte er leicht hüstelnd und seine mächtigen Pranken ineinander reibend, „Sie waren ehrlich, das fühle ich … Und ich bedauere deshalb, Ihnen gegenüber nicht genau so aufrichtig sein zu dürfen. An Bord der Jacht „Manhattan“ – das wenigstens sollen Sie wissen – befinden sich zwei Leute, die … – – werden Sie und der Kapitän auch schweigen?“

„Unter allen Umständen …“, versicherte Carselan ungeduldig. „Mein Wort, Barra, auch für Sokrates!“

„Danke … – Nun gut, – an Bord der Jacht befinden sich zwei amerikanische Detektive. Das Verschwinden des Ehemanns der Frau Arnulf beschäftigt die Polizei seit Jahren … Oberst Hamilton Lincoln ist Beamter der Geheimabteilung des Auswärtigen Amtes, und sein ständiger Helfer ist ein früherer Deutscher, ein ganz schlauer Kunde, ein Doktor Sabbatyl, in Wahrheit Detektivkapitän Sabbatyl …“

Ein blendender Blitz, der vor mir eingeschlagen wäre, hätte mich kaum stärker außer Fassung bringen können als diese Worte.

Sabbatyl ein Polizeibeamter?! Unglaublich!! Diese Schatzgräbergeschichte offenbarte immer mehr geheimnisvolle Einzelheiten.

„… Doktor Tobias Sabbatyl hatte mich nun vor sechs Jahren in Newyork erwischt“, fügte Gonsalez Barra achselzuckend hinzu. „Jedenfalls bin ich ihm nicht nur zu Dank verpflichtet, sondern auch von ihm abhängig … Niemand wandert gern lebenslang in ein Zuchthaus. Ich traf ihn in Singapore, er erkannte mich, er preßte aus mir heraus, daß ich für den „Benito“ angeheuert worden, – – na, und so entstand eben die Verbindung zwischen uns und zwischen der „Manhattan“ und Ihrer Brigg, Sir Roger …“

Carselan griff jetzt über den Tisch nach Barras Hand. „Peinigen Sie mich nicht … Was ist aus Gerda geworden?“

Er sagte Gerda … nur Gerda …

Der riesige Mischling räusperte sich …

„Hm …, – sie floh von der Jacht, wollte hier an Land schwimmen … Die Haifische, Sir Roger …, – – Sie verstehen … Immerhin kann sie sich noch auf einem der großen Außenriffe versteckt halten …“

Carselan war leichenblaß geworden.

Er zog seine Hand zurück …

Er … lachte bitter … „Die Haie!! Ja, die Haie …!! – Ihr Trost ist schwach, Barra, – Außenriffe?! – – Nun, ich werde auch darüber hinwegkommen …“ Sein fahles Gesicht starrte dem Mischling wie eine helle Maske entgegen. „Auch darüber …! Das Leben hat keinen Wert mehr für mich … Die materiellen Werte vergeudete ich … Der neue Lebensinhalt und die neue Hoffnung gingen mit diesem Mädchen zu Grunde. Ich bin ein Mann, der … verspielt hat – – alles, Gonsalez Barra … Nehmen Sie Benitos Schätze, falls Sie sie finden … Aber retten Sie Ihren Hals, Mann! Sie haben gemeutert, und dieser Oberst Lincoln läßt euch alle erschießen oder aufknüpfen, – – glaubt mir …! Ich kenne ihn von Monte Carlo her … Wenn die Jacht hier erscheint, seid ihr verloren. Vertraut nicht darauf, daß die „Manhattan“ zur Cocos-Insel unterwegs ist … Jetta Arnulf sollte nicht wissen, daß sie zwei Detektive auf den Fersen hat?! Die – – und das nicht wissen!! Oberst Lincoln soll sich nur in acht nehmen …“

Gonsalez nickte schwerfällig. „Hat er schon getan, Sir Carselan, – hat er schon getan … Sie sind ein anständiger, ehrlicher Herr … Verraten Sie uns nicht …: Wir haben diese Brigg auf Lincolns Befehl sozusagen gekapert! Ich möchte Sie frei geben … Ich darf es nicht … Mir scheint, Lincoln vermutet in Ihnen einen der Leute, die Mr. Arnulf einst beseitigt haben …“

Roger schnellte empor. „Wie – – ich?! Aber das ist ja der helle Wahnsinn!“ Er zitterte vor Empörung. „Das ist noch mehr als Wahnsinn, – – das kann nur heimtückische Niedertracht sein! Frau Jetta habe ich ja erst als Witwe in Monaco kennen gelernt, und daß sie mir dort … – gut, auch das muß heraus! – mir dort reichlich aufdringlich erschien und mich nur zum Schein vom Spieltisch weglocken wollte, hat ihren Haß entflammt, – so war es, – – so!! Ich – – ein Mörder?! Steht denn die ganze Welt plötzlich Kopf?! Diese ganzen scheußlichen Machenschaften sind ja wie ein Knäuel giftiger Schlangen – – ekelhaft!! Sie selbst, Barra, haben mich getäuscht. Sie faselten von Teilung des Schatzes, und in Wahrheit sind Sie nur bezahlte Kreatur der Polizei! Ich ein Mörder!! Ich …!! Alter Sokrates, was sagen Sie dazu?“

Er packte den Malaien bei den Schultern …

„Das ist doch Irrsinn, Sokrates!!“

Der verschrumpelte Kapitän, sicherlich ein ebenso guter Seemann wie schlauer Fuchs, erwiderte nur, indem er an seiner Zigarre entlang stoßweise den Rauch durch die Zähne blies: „Sir Carselan, ich glaube, wir alle tappen hier im Finstern … Aber jede Finsternis lichtet sich einmal. Ich würde mich freuen, wenn das Licht von draußen käme und wir beide, Sir Roger, unsere volle Bewegungsfreiheit wiederfänden …“

Der kurze Blick, der den Teppichvorhang streifte, begegnete meinen Augen …

Ich verstand den Alten.

Ich trat schnell ein …

„Hände von den Waffen, Barra!! An die Wand mit euch dreien, – zurück!!“

Ich hätte mir die schwache Drohung sparen können. Die drei Mischlinge gehorchten mit erstaunlicher Eilfertigkeit. Sie waren durchaus nicht erschrocken, lediglich erstaunt über mein unerwartetes Erscheinen, und auch nachher folgten sie mit einer Willfährigkeit, die ganz den Eindruck machte, als wären sie mit dieser Wendung der Dinge ganz einverstanden.

Carselan und der braune alte Kapitän hatten mir freundlichst die Hände gedrückt und bestürmten mich jetzt mit unzähligen Fragen, nachdem wir die drei Schiffsoffiziere, die gefesselt gewesen, aus ihren Kammern hervorgeholt und dafür die anderen drei eingesperrt hatten.

Ich blieb in meinen Antworten sehr zurückhaltend und äußerst kurz und erinnerte schließlich an das Wichtigste: Daß es wohl ratsam sei, sich mit den Leuten der Brigg wieder friedlich zu einigen und den „Benito“ außerhalb Sichtweite im Süden kreuzen zu lassen, bis Carselan und ich den Bruder Gerdas wieder befreit hätten. – Würde ich auch nur ein Wort von Gerda selbst und von Sabbatyl erwähnt haben, wäre die ganze Geschichte gründlich verfahren gewesen.

Ich hatte mir aus ganz bestimmten Gründen vorgenommen, die Weiterentwicklung der Dinge als strenger Regisseur zu überwachen, und das konnte ich nur, wenn mir nicht etwa die Leute der Brigg hier auf der Insel absichtlich oder unabsichtlich das Spiel verdarben.

Sokrates Opideru übernahm es gemeinsam mit einem der näheren Freunde Barras, die Besatzung wieder auf das Schiff zu holen, und diese zeitraubenden Verhandlungen verliefen endlich auch nach Wunsch, die Brigg lichtete die Anker, und die ersten Sonnenstrahlen fanden die geschlängelte Bucht, den Colon-Darm, leer wie bisher. Oben am Steilufer standen Sir Roger und ich und blickten den weißen Segeln nach, bis auch die Mastspitzen unter den südlichen Horizont tauchten, dann erst erklärte ich dem sehr schweigsamen Baronett die Wahrheit.

„Sir Roger, das, was ich an der Kajütentür erlauschte, zwang mich, mit Ihnen allein nochmals diese Dinge zu erörtern. Zunächst eine Frage: Weshalb setzten Sie mich und den Sträfling 308 hier an dieser Küste aus, weshalb all die Unaufrichtigkeit schon in Singapore?!“

Carselan, ein völlig veränderter Mann, jetzt ein gleichgültiger, niedergedrückter Mensch ohne jeden Lebenswillen, schaute mich voll an. „Abelsen“, sagte er leise, „ich brauchte einen Kerl wie Sie, einen, der auf Abenteuer versessen ist … Hätte ich Ihnen nicht von vornherein meinen Auftrag durch die an sich überflüssigen Heimlichkeiten schmackhaft gemacht, wären Sie wohl nie darauf eingegangen. Allerdings, die Vorfälle, als Sie die Kugel beinahe erledigte, konnte ich nicht mit in Rechnung stellen, – entschuldigen Sie, – dafür habe ich Sie und John ja auch sofort hier an Land gebracht, damit Ihre Genesung beschleunigt würde.“

„Und Sie befreiten John, weil er Gerdas Bruder ist und weil Sie Gerda lieben …“

„Ja. Und noch aus einem anderen Grunde.“ Sein Blick wurde forschend. „John hat Ihnen nicht mitgeteilt, weshalb er einst mit dem Monteur Ernst Sabbatyl, einem Neffen des Detektivkapitäns Sabbatyl, von Panama aus hierher flog und … strandete?“

„Nein …“

„Dann …“ – Sir Roger hob die Schultern – „bin auch ich nicht berechtigt, diese Fragen zu klären. – Gerda ist tot … Das Schicksal hat mir den grausamsten Streich gespielt, den[12] es je einem Manne versetzte, der … aus Liebe Schatzsucher und Befreier eines schuldlos Verurteilten wurde. – Abelsen, es ist eine Tragödie, das alles. Ich selbst bin seelisch zerbrochen … Das Dasein ist mir wertlos geworden … Alle Reichtümer Don Pedro Benitos könnten mich nicht mehr zu einem Anflug von Lächeln bringen … – Aber John, in dem ich Gerda weiterliebe, muß natürlich frei werden. Insulaner, meinen Sie, hätten ihn entführt?“

Ich antwortete nicht …

Ich hatte in die Tasche gefaßt … Auf flacher Hand hielt ich ihm den Diamant hin, den ich gründlich gesäubert hatte.

Aus meiner Hand schossen im Morgensonnenschein Funkengarben hervor … Meine Handfläche schien zu glühen … Der große Edelstein mußte selbst dem Laien verraten, welchen Wert er hatte. Sein Feuer war überwältigend, vielleicht war es überhaupt der reinste, wasserklarste Diamant, der je gefunden worden ist.

Sir Rogers Augen weiteten sich.

„Woher … haben Sie … das?“, fragte er unsicher und stockend. – Er sagte nicht „Diamant“, nicht „Edelstein“, – er sagte „das“, und in seiner Stimme schwang ein geringer verächtlicher Unterton mit. – Was bedeutete ihm noch ein Stein von Millionenwert?!

„Aus einem Möwennest – – hier gerade unter uns aus einer Felsspalte …“ Und dann legte ich ihm die andere Hand schwer auf die Schulter. „Carselan, aus einem Möwennest, – – auch Gerda Wolper sah ihn, denn Gerda lebt … Sie ist hier …“

Flüchtige Blässe entfärbte seine Züge, dann schoß ihm das Blut zu Kopfe …

„Abelsen, – – und Sie ließen mich all die Zeit in Ungewißheit?! Ich begreife Sie nicht …“, murmelte er mit einem hilflosen Lächeln, aus dem nur erst die schwachen Strahlen einer übergroßen Freude hervorleuchteten.

Der Vorwurf traf mich nicht. „Carselan, ich wollte vor den anderen nicht sprechen, denn dieser merkwürdige Herr Tobias Sabbatyl ist bei ihr, und Gerda nennt ihn Onkel Tobi, und so manches andere kommt noch hinzu, was mir zu denken gibt. – Weiß denn Gerda, wie es um Ihr Herz bestellt ist, Carselan?“

„Ich hoffe …“ – Sein seltsam beklommener Ton überraschte mich. „Also … Sabbatyl ist auch hier … Und sie nennt ihn Onkel Tobi? Das beginnt mich zu beunruhigen, Abelsen … – Stecken Sie doch den Stein wieder weg …! Daß er zu Sir Pedros Schätzen nicht gehören kann, weiß ich am allerbesten …“ Seine Stimme wurde hart. „Dieser Diamant, bekannt in meiner Familie als die „Sonne von Nortmoore“, gehörte mir noch vor drei Jahren und stammte aus dem Thronschatze des Malaiensultans Bairadar, den mein Urgroßvater erschießen ließ, weil der Sultan mit Don Pedro Benito Hand in Hand arbeitete. Der Erwerb des Diamanten war wohl nicht ganz einwandfrei, jedenfalls ließen wir über den Stein nichts an die Öffentlichkeit dringen, bis ich ihn notgedrungen in Monte Carlo an einen Händler verkaufte … – Das alles sind Tatsachen. Es ist auch bestimmt die „Sonne von Nortmoore“. Einen zweiten Stein dieser Art gibt es nicht. Wie der Diamant hierher in ein Möwennest gelangte, mag der Himmel wissen …“

Diese Eröffnungen waren ganz dazu angetan, mir diese Schatzgräbertragödie noch verwickelter erscheinen zu lassen.

Seltsamerweise drängte Sir Roger auch gar nicht darauf, recht rasch zu Gerda geführt zu werden. Er hatte sich mit nervösen Fingern eine Zigarette angezündet und blickte zerstreut in die Ferne … Keine zwanzig Schritt entfernt befand sich der Zisternenschacht, – gerade als Carselan sich langsam halb umdrehte und gen Westen blickte, hörte ich meinen Monte unten in der Tiefe dumpf anschlagen.

Es war ein gereiztes, böses Bellen …

Dann folgte ein Aufheulen …

Jetzt hielt mich nichts mehr an dieser Stelle.

Ich wollte zum Zisternenschacht …

Ein eiserner Griff bannte mich …

„Abelsen, – – sehen Sie …!! Wofür halten Sie das …?“

Carselan deutete gen Südwest …

Über die leicht bewegte See, (es herrschte Südwestwind) kam ein merkwürdiges Wolkengebilde daher gezogen …

Es glich einem ungeheuren dunklen Regenschirm, von dem drei Säulen fast bis auf den Wasserspiegel hinunterreichten …

Es glich auch einem gigantischen, finsteren Steinpavillon, der auf einem Unterbau von drei Säulen ruht …

Es war eine Wolkenbildung, die ich in der Art noch nie gesehen hatte …

„Windhosen …“ sagte ich staunend …

„Oder Wasserhosen …“, flüsterte Sir Roger. „Da – – die Umrisse ändern sich … Die mittlere Säule schrumpft …“

Wir standen verwirrt und benommen da … Es lag etwas unnennbar Fremdes, Unheimliches in dieser Wolkenbank, die da, den vierten Teil des Horizonts in schwarze drohende Farbe tauchend, heraufgezogen kam …

Unterhalb der Wolken konnte man genau den Schatten verfolgen, den sie auf das Meer warf … Über ihr schillerte die Luft eigentümlich opalisierend …

„Was … ist das?“, fragte Carselan nochmals …

Ein Geräusch halb hinter uns ließ uns beide herumfahren …

Aus dem Zisternenloche kroch Monte mit eilfertig kratzenden Pfoten hervor, – eine Hand mußte ihm von unten einen Stoß versetzt haben, er flog vollends ins Freie, raste auf uns zu, begrüßte mich mit Jubelgeheul, an seinem Halsband flatterte ein Zettel …

„Still, Monte … Her mit der Depesche!!“

Er setzte sich artig auf die Hinterschenkel, ich löste das Papier, überflog die Bleistiftzeilen, und ich glaube, ich habe die Augen genau so weit aufgerissen wie Sir Roger Carselan, dem ich den Zettel nun zum Lesen hingereicht hatte …

Wenn irgend etwas diese mysteriöse Schatzgräbergeschichte noch mehr verwirren konnte, dann waren es diese Nachricht Gerdas und die dort immer näher heranschwebende ungeheuere Wolke …

 

7. Kapitel.

Der Angriff der Millionen.

„Olaf, geben Sie sich keine Mühe, uns und John zu finden, und hüten Sie sich vor den nahenden Galapagos-Ameisen … Grüßen Sie Sir Roger … Ich werde ihn nie vergessen … Es gibt ein Wiedersehen – – später!

Gerda.“

Carselan steckte den Zettel zu sich … Die gleichgültige Schlaffheit war aus seinen Zügen getilgt, vor mir stand wieder derselbe Mann, der im Speisesaal des King Edward mir sein Anerbieten unterbreitet hatte …

„Abelsen, wenn wir nicht bei lebendigem Leibe aufgefressen werden wollen“, meinte er mit fast brutaler Offenheit, „zeigen Sie mir Ihre Grotten. Schnell …! – Hinab mit uns! Die kleinen Bestien, die da zu Millionen und Abermillionen heranschweben, sind das Entsetzen der Ansiedler in fünfhundert Meilen Umkreis von dem verwünschten Vulkaneiland Narborough …! Hinab mit uns …! Jedes Löchlein müssen wir verstopfen …! Landen die geflügelten Ameisen hier, sind wir trotzdem vielleicht verloren!“

Ich unterschätzte die Gefahr keineswegs … Ich hatte die Heuschreckenschwärme Afrikas und die ungeheuren Heeressäulen der scheußlichen Palolo-Würmer, die Wanderzüge der Flemminge und die Landplage gewaltiger Springbockherden kennen gelernt …

Und doch konnte ich mich nicht losreißen von diesem einzigartigen Schauspiel der Ameisenwolke, bis Sir Roger mich zum Schachte drängte und ich ihm vorankletterte, Monte im Arm.

Die Grotten waren leer … Mein Rufen nach Gerda weckte nur höhnische Echos …

Zwei Laternen brannten noch … Wo Gerda und Sabbatyl geblieben, war spätere Sorge.

Sir Roger entfaltete eine ansteckende Rührigkeit. Wir verbarrikadierten die Fensterlöcher noch besser, wir stopften in die Ritzen Seetang und Gras … Ein Glück, daß wir genügend Seetang und Gras zur Verfügung hatten … Wir fieberten bei dieser Arbeit, denn ich wollte sie schleunigst beenden, ich wollte wieder nach oben, ich wollte sehen, wie die Wolke sich auf die Insel niedersenkte, – falls sie nicht vorüberschwebte … Aber all diese – man könnte sagen durch einen Todesinstinkt – in die Ferne getriebenen Ameisen, die wohl zumeist elend im Meere zu Grunde gehen, haben auch einen anderen, unfehlbaren Instinkt: Eine Ruhestätte nach weitem Fluge und genügend Nahrung für einige Zeit zu finden!

Sie würden landen … Und Stunden später würde das Eiland eine Wüste sein, bar jeden grünen Halmes, jeden grünen Zweiges, – kahl gefressen alles, alles, vernichtet die Palmen, die duftenden Büsche, die Grasflächen aufgefressen, auch die Muscheln am Strande, die junge Brut der Möwen, – – alles, alles …

Denn die braune Galapagos-Riesenameise, geboren in den faulenden Tangmassen einer heißen, vulkanischen Insel, verschont nichts, weder Pflanze noch Tier …

Wir arbeiteten nicht, wir schufteten … Wir schufteten, um noch rechtzeitig nach oben zu kommen, um ein Schauspiel mit zu erleben, das vielleicht alle zwanzig Jahre die Mutter Natur in all ihrer mannigfachen Launenhaftigkeit und aus dem unerschöpflichen Reichtum der ihr zur Verfügung stehenden belebten und unbelebten Gewalten den Menschen darbietet als ein Sinnbild menschlicher Winzigkeit und Nichtigkeit.

Sir Roger erzählte … Die Galapagos-Inseln, sämtlich vulkanischen Ursprungs mit andauernd tätigen Vulkanen – so erzählte er – besitzen in der Insel Narborough, die nichts als ein einziger ungeheurer Kraterkegel ist, ein Hitzereservoir, das den braunen Ameisen zeitweise zu fast krankhafter Fruchtbarkeit verhilft, so daß aus den faulenden Tangbergen an den Ufern diese geflügelten Ameisen urplötzlich zu Millionen hervorkriechen, sich vereinigen, in die Lüfte erheben und blindlings mit dem Winde ziehen. Diese Ameisenflugjahre sind, so hat der Engländer E. Th. Pellham festgestellt, gleichzeitig auch die Jahre der Schildkröten, dann wimmeln die zerklüfteten Lavabuchten von Narborough von Jungschildkröten, dann zeigen aber auch die dort ansässigen, nirgends anderswo anzutreffenden Eidechsen genau dieselbe Überfülle von Nachkommenschaft … Noch niemand hat diese Erscheinung erklären können, und doch ist sie jedem Plantagenbesitzer auf der Charles-Insel, der einzig wirklich besiedelten, nur zu gut bekannt.

Sir Roger erzählte … Ich hörte nur die Hälfte, hörte kaum hin, – immer noch sah ich den Riesenpavillon mit den drei Säulen heranziehen … Ich mußte dieses Naturereignis miterleben, ich mußte sehen … mit eigenen Augen …

Ein seltsames Fieber war es, das mir im Blute brannte … War es die Vorahnung weit schlimmerer Dinge?! War es Montes Unrast, die mich ansteckte?! Der Hund winselte andauernd … Er lag da, den Kopf auf den Vorderpfoten, seine Ohrfetzen spielten, zuweilen zitterte er wie im Fieberfrost, dann wurde sein Winseln zum Stöhnen, – zuweilen erhob er sich, lief hin und her, warf sich abermals nieder …

Ich hielt es hier unten nicht mehr aus … Ich hatte nur einen Wunsch: Nach oben, an die frische Luft! Die Grotte erschien mir wie ein verpesteter Kerker, die Karbidlampen hatten ihren Gasdunst ausgehaucht, das Gestein schien zu stinken, die Felsendecke drohte mir auf den Kopf zu fallen …

„Sir Roger, – – ich klettere nach oben …“ – seine Antwort wartete ich gar nicht ab …

Ich hatte Fieber in den Adern …

Ich begriff mich selbst kaum …

Überhastet klomm ich empor, – endlich Sonnenlicht, Seewind, das Brausen der Brandung, dazu ein anders geartetes Brausen, fast ein fernes Brummen … Ich wende den Kopf nach Westen, – – ein letzter Sprung, stehe auf Gestein, pralle zurück, falle beinahe in den Schacht, mein Stiefel stößt gegen den Eisenhaken der Strickleiter, der Haken löst sich, fällt in die Tiefe, klatscht ins Wasser …

Dicht vor der Insel schwebt über dem Meere eine schwarzbraune Mauer …

Wie Rauch, der dauernd durcheinander wirbelt … Und doch eine Mauer, die ihre zähe Festigkeit bewahrt, die herbeikommt, wie ein gigantisches Untier …

Millionen von Ameisen mit gefährlichen Beißzangen …

Abermillionen geflügelter Allesfresser, – hungrig, müde, bereit, sich niederzulassen und Insel und Strand in dicken Schichten zu bedecken …

Von dieser braunschwarzen Mauer geht ein helles Surren aus, das so kräftig ist, das es sogar das andere, brummende Geräusch übertönt …

Und da erst, bisher gebannt durch den Anblick dieses schwebenden Heeres von mordgierigen kleinen Bestien, drehe ich den Kopf nach links.

Ein Schrei will aus meiner Kehle hinaus in die Stille der Bucht …

In die Stille, durch die mit leise rasselndem Motor das kleine Boot dahinschießt, am Steuer eine einzelne Frau, bleich, steinern, erstarrt in ihrer Einsamkeit und Not.

Bleicher denn je: Jetta Arnulf!!

Und – – im offenen Boot … ohne Schutz …

Die Vortruppen der Armee der Feinde schwirren bereits in die Palmenkronen.

Die Wolke senkt sich …

Wie ein Gehetzter rutsche ich die Steilwand hinab …

Brülle der bleichen Frau zu: „Hierher – – schnell – – schnell …!“

Rutsche ins Wasser, finde mit den Füßen Grund, – die Frau wendet, das Boot nähert sich, – –

Ich packe zu …

„Springen Sie ins Wasser – – schnell!!“

Der Motor schweigt …

Aber die Ameisen sind da …

Das ist kein Summen mehr, das ist ein ohrenbetäubendes Konzert von raschelnden Flügeldecken.

Ich kippe das Boot um …

„Unter das Boot kriechen, Frau Arnulf!!“

Ich tauche, stoße gegen eine Ruderbank, stehe im Dunkeln, über mir den Bootskörper, vor mir den pfeifenden Atem der Frau …

Bis zu den Hüften stehen wir im Wasser …

Gebückt …

In völliger Finsternis …

Nur unter uns geistert die spiegelnde, sonnenbeleuchtete Flut …

Auch nicht mehr lange … Wie Nebel sinkt es herab …

Ameisen …!

Dann wie schwarzer Qualm: Ameisen!

Vorläufig …

„Ich … danke … Ihnen“, formt die Frau mühsam ihren gestammelten Gruß … „Ich danke Ihnen, Mr. Abelsen … Sogar Hamilton Lincoln hat mir nicht solchen Schreck eingeflößt wie diese Wolke …“

„Sie sind entflohen, Frau Arnulf?“

„Ja …“

„Vor Oberst Lincoln?“

„Ja …“

Unser halbes Flüstern klingt unter dieser gewölbten Decke wie Zischen von angriffslustigen Schlangen.

Und doch, – wir sind friedfertiger denn je …!

Um uns her lauert der Tod …

Der kleine Tod der hungrigen Millionen …

Und unter uns im Wasser lauert vielleicht der andere Tod …: Haifische!

Wir stehen bis zu den Hüften im Wasser …

Wir sehen nichts …

Wir sind leichte Opfer selbst des kleinsten Haies von zwei[13] Meter Länge.…

Über uns auf den Planken ein eilfertiges andauerndes Kratzen von laufenden von Beinen: Ameisen!!

„… Wußten Sie nicht, daß Lincoln Polizeibeamter ist?“, fragte ich abermals …

„Nein, … nein, – erst heute … zufällig, – er gab eine drahtlose Depesche auf, natürlich chiffriert, aber mein Bordfunker ist ein Künstler im Dechiffrieren und brachte mir die Übersetzung … Leider hatte er das Telegramm schon abgeschickt … Es war an den amerikanischen Kreuzer „Ohio“ gerichtet und forderte den Kreuzer auf, die „Manhattan“ anzuhalten, – – ich sollte verhaftet werden – – wegen Mordes …!!“

Finsternis war um uns …

Die Stimme der Frau fieberte wie vorhin …

„Wegen Ermordung Ihres Gatten?“, fragte ich rücksichtslos, denn es mußte endlich Licht werden in mir …

„Ja …!! Und – – ich habe John nicht ermordet, nicht beseitigt, ich habe ihn ja geliebt auf meine Art …“

Tränen …

Und Finsternis …

Und hemmungsloses Schluchzen …

– Auf ihre Art hatte sie ihn geliebt … Was für eine Liebe mochte das wohl gewesen sein?!

… Auf ihre Art …!

Jetta war eine geborene Vandermaer, war Waise gewesen, als sie heiratete, und Besitzerin von drei Milliarden …

Jonathan – John Arnulf, auch das wußte ich, war ihr zufällig begegnet – irgendwo … Und Jetta war sofort entflammt, – sie, die kühle Denkerin, überließ sich dem Rausch, und – – plötzlich verschwand Jonathan Arnulf …

– Ihr Schluchzen verstummte …

Wir sahen einander nicht, wir konnten vielleicht die Umrisse unserer zusammengeduckten Gestalten erkennen – nichts mehr. Aber wir fühlten einander, fühlten unser Leid, unser Mitleid, unsere Stimmen, die aus der Tiefe der Seelen kamen.

„… Ich flüchtete hierher …“, sprach sie weiter, und eine Hand tastete nach meiner Hand und fand sie. Ihre Hand war eiskalt, obwohl wir im lauen Wasser standen und obwohl in unserem Schlupfwinkel eine bedrückende Hitze herrschte, die uns den Atem benahm.

Die Luft war verbraucht, und wir waren abgeschlossen von der Außenwelt, luftdicht abgeschlossen von dem erquickenden Sauerstoff, wir waren Gefangene einer feindlichen Invasion von kleinen beißwütigen Bestien, die nun, ein trauriger Gedanke, die Insel vernichten würden und über sich selbst herfallen und sich verspeisen – – aus Hunger, aus Selbsterhaltungstrieb.

„… Ich flüchtete hierher – zu Ihnen, denn Sie können mir helfen …“, – ihre Finger umschlossen die meinen, und ich spürte in ihrer Haut den raschen Schlag ihres flatternden Herzens, das sich nach Frieden sehnte.

Der dichte Vorhang, der bisher das Marionettenspiel dieser Schatzsuche nur noch halb verhüllt hatte, hob sich abermals ein wenig.

Die Versuchung, die längst in mir wach geworden, was die Person John Wolpers betraf, wurde Gewißheit.

Der Druck ihrer Finger verstärkte sich, ihr Atem pfiff keuchend, sie überwand sich und sagte geradezu:

„Wo ist John, – – wo?! Er ist hier bei Ihnen auf der Insel, Mr. Abelsen …“

„… Wo ist John?!“

Ich ersparte ihr nichts …

Mir lief der Schweiß in Bächen über das Gesicht …

Auch mein Atem pfiff … Ich lüftete das umgekippte Boot an der einen Seite ein wenig, und das Licht drang herein, und wir sahen auf dem Wasser hunderte von Ameisen dicht bei dicht … Ich ließ das Boot schnell zurückfallen …

Trotzdem war ich erstaunt, daß es nicht Tausende und Abertausende gewesen, die dort draußen umherkrabbelten.

„… Wo ist John …?“

Ich antwortete mit einer Gegenfrage.

Frau Jetta schluchzte vor Qual.

„Wußten Sie, daß Ihr Gatte in Singapore im Zuchthaus saß?“

„Nein!“ – Es war die Wahrheit … Die Frau log nicht mehr.

Ich beobachtete das Wasser unter uns, der Schleier der krabbelnden Insekten schien dünner zu werden, aus den Tiefen der Bucht schillerte grünliches Licht, und das Licht verstärkte sich immer mehr, so daß ich nun auch die Gesichtszüge Frau Jettas unterscheiden konnte.

Ich sah ein paar Korallenblöcke, und bei einiger Vorsicht war es möglich, daß wir uns setzten. Mein Rücken schmerzte, und die Frau war dem Umsinken nahe …

Sie nahm Platz. – Auf dem Wasser unter dem umgekippten[14] Boot schwammen viele Ameisen, aber sie waren ungefährlich, die Nässe hatte sie starr gemacht, und bunte Fischlein schossen aus der Tiefe hoch und fraßen sie.

Jetta saß vor mir. „Ich will Ihnen alles erzählen“, erklärte sie freimütig. „Darf ich?“ Und das klang ganz demütig.

Wer war ich, daß die Herrin über Milliarden und daher auch Herrin über die Menschen gerade mir, dem heimatlosen Abenteurer, beichten wollte?

Es war ihr Wille …

Sie sprach … Sie sprach wie jemand, der in der Irre wandelte und auf dornigen Pfaden sich zurückgefunden hatte zu sich selbst …

 

8. Kapitel.

Die Schiffbrüchigen der Eisinsel.

„… Sechs Jahre sind es her … Ich kam von einer Italienreise und wollte zurück nach Newyork, ich war elternlos, ich hatte einen Sekretär, meine Gesellschaftsdame und zwei Zofen mit mir, hatte auf dem Luxusdampfer die Luxusräume inne.

Da war ein junger Schiffsoffizier, ein stiller, straffer Mann: John Arnulf. – Er hielt sich von mir fern, er lebte überhaupt sein eigenes Leben, in seinen Augen lag eine stete Frage an das Schicksal, er war so anders als all die übrigen Herren, er sollte der Sohn eines verstorbenen Plantagenbesitzers sein, sagte man mir.

Man mied ihn, und er mied die Leute. Er war sich selbst genug.

Dieser junge John Arnulf – siebenundzwanzig Jahre zählte er damals – reizte mich …

Ich war es gewöhnt, beachtet zu werden, ich überschätzte die Macht des Geldes, ich lebte dem törichten Wahn, Geld sei Allmacht. Aber Geld ist immer nur Kaufmittel.

Es war die Zeit, wo die großen Eisberge, von Norden kommend, den Atlantik gefährdeten.

Eines Tages, am dritten der Reise, die ja so kurz ist mit diesen schnellen schwimmenden Hotels, sichteten wir einen blinkenden Eisriesen, wollten in weitem Bogen ausweichen …

Arnulf hatte die „Eisbergwache“ droben im Nest.

Ich stand gerade neben dem Kapitän oben auf der Brücke, als Arnulf ihn telephonisch anrief: Menschen seien auf dem Eisberge, eine Flagge wehe dort, die Leute winkten – Schiffbrüchige …

Der Dampfer stoppte, ein Kutter wurde bemannt, Arnulf übernahm das Kommando, und ich fuhr mit … Ich … zahlte dafür. Geld sei Allmacht, glaubte ich noch immer.

Arnulf behandelte mich höflich, aber er sprach wenig, und er reizte mich mehr denn bisher durch seine fast hochmütige Verschlossenheit. Ich zwang ihn, mir über seine Person mitzuteilen, was ich wissen wollte, ich war rücksichtslos-indiskret, ich sah in dem Eisberg und den Schiffbrüchigen nur ein kleines Abenteuer, das sich gut für ein Dutzend Momentaufnahmen eignete. Ich belog mich natürlich selbst, indem ich die Dinge anders sehen wollte, ich fühlte mich als Wohltäterin der Ärmsten auf dem Eisberg, ich wollte sie reich für ihre Verluste entschädigen, und ich sah in Gedanken schon die spaltenlangen Zeitungsberichte über die Wohltäterin Jetta Arnulf. Unsere Eitelkeit ist ja weit gefährlicher als jeder andere Charakterfehler, denn Eitelkeit verführt zum Heucheln, macht uns zu Schauspielern und Lügnern.

Vielleicht ist Ihnen bekannt, Mr. Abelsen, daß im Jahre 1832 der amerikanische General Willamil einen Teil der Galapagos-Inseln von Ecuador käuflich erwarb und daß dessen Nachkommen auf der für Anbau von Zuckerrohr besonders geeigneten Insel Chatam hiermit sehr günstige Ergebnisse erzielten. Hierdurch angelockt, siedelte sich auf der Nachbarinsel Charles der deutsche Landwirt Friedrich Arnulf an, der einen Musterplantagenbetrieb einrichtete und nur einen Sohn hatte, … meinen John … In zweiter Ehe heiratete Arnulf eine verwitwete entfernte Verwandte, und deren Kind ist Gerda Wolper, wie ich erst später erfuhr, fast zu spät, nämlich durch dieselbe Funkdepesche Hamilton Lincolns … Der Plantagenbesitzer Friedrich Arnulf, durch dieselben unheimlichen Galapagos-Ameisen um eine Jahresernte gebracht, konnte diesen neuen pekuniären Verlust nicht mehr überstehen, er mußte verkaufen, sein Sohn wurde Seemann, er selbst bestieg ein offenes Segelboot und steuerte, ein gebrochener Mann, sehenden Auges in den Tod hinein, in einen gerade aufziehenden Orkan … Das war vor zehn Jahren, Mr. Abelsen … Seine zweite Frau erlag der Malaria, seine Kinder wurden durch die Not getrennt, Gerda fand später bei mir eine Anstellung, – – wie gesagt, daß diese Gerda Wolper meines Gatten Stiefschwester war, wußte ich nicht, sie schwieg darüber, denn sie kam ja zu mir, um heimlich gegen mich zu kämpfen, genau wie Lincoln, genau wie Doktor Sabbatyl, der übrigens einer der geschicktesten amerikanischen Detektive ist …

Doch ich bin hiermit von meinem Thema abgekommen, ich habe der Entwicklung der Dinge vorgegriffen, es gibt ja noch so unendlich viel zu berichten …“

Ein fast überirdisches Licht stieg nun aus dem sonnbeschienenen Wasser zu uns auf, die Decke von krabbelnden Insekten mußte vollständig verschwunden sein, und abermals lüftete ich daher unsere Bootshaube, um die Luft zu erneuern, und ich fand meine Vermutung bestätigt: Die Bucht war frei von der feindlichen Invasion, selbst die Uferfelsen waren nur noch stellenweise von Tierchen belagert, und die Annahme lag nahe, daß der Hauptschwarm der Ameisen über die Insel hinweggezogen sei, vielleicht aufgescheucht durch irgend einen für menschlichen Verstand unergründlichen Anlaß.

„Wir können an Land, Frau Arnulf …“, – ich glaubte ihrem Wunsche durch ein noch stärkeres Anheben des Bootes nur entgegenzukommen, und der schnelle, harte Griff, mit dem sie unseren Kerker wieder schloß, erschien mir zunächst nur als nervöse Laune.

„Verzeihen Sie“, sagte sie weich … „Man beichtet besser im Halbdunkel … Dieses gespenstische Licht hier bringt Stimmung, es erinnert mich an das grünbläuliche Leuchten der Spalten jenes Eisberges, der mein Schicksal wurde … – Oh, ich will Sie nicht ermüden, aber – – ich muß sprechen, ich muß endlich einmal diese ganze Last von meiner Seele wälzen und auf einen gerechten Richter hoffen … auf Sie! Sie kennen John, Sie haben sicherlich Einfluß auf ihn, Sie werden ihm …“

Durfte ich sie länger im Unklaren darüber lassen, daß John in diesem Augenblick vielleicht gefesselt in irgend einer Höhle eines der großen Außenriffe läge?! – Nein, – sie wollte ehrlich sein, – sie verdiente die gleiche Ehrlichkeit.

Ich unterbrach sie … Ganz kurz schilderte ich Johns Verschwinden, das Auftauchen der beiden Insulaner in dem Kanu, auch Freund Monte wurde erwähnt …

Jetta Arnulf hatte das Kinn in die Linke gestützt … Zuerst schien sie bitter enttäuscht, dann aber erschrak ich fast, als sie ganz leise lachte …

„Sie … lachen?!“ Es war ja das erste Mal, daß ich sie lachen hörte … Es war ein so reines Lachen … wie milde Silberglöckchen …

Gleich wurde sie wieder ernst.

„Später …“, sagte sie etwas doppeldeutig. „Später … Hören Sie erst die Geschichte des Eisberges. In Romanen und Novellen, mein Freund, greifen die Dichter zu dem abgenutzten, stets etwas geänderten Mittel, ihren Helden die spätere Heldin aus einer Gefahr oder einer sonstwie unangenehmen Lage retten zu lassen … Sehr bequem … Dann kommt die Dankbarkeit in ihr Herzchen geflattert, und später wird Liebe daraus. – Mein Erlebnis mit John paßt in diesen Rahmen nicht hinein. Es herrschte damals eine sehr steife Brise, unser Kutter tanzte bedenklich, und ein Anlegen am Eisberge war zu gefährlich, das Boot wäre zerschlagen worden. Gewiß, ein Eisberg befindet sich in ständiger Drehung, – gewiß, wir hätten warten können, bis das weiße Ungetüm und die erschöpften fünf Männer am Eisrande durch die Drehung unter Wind gerieten … Das hätte Minuten dauern können, und ein großer Passagierdampfer hat es eilig. – Fünf Männer hockten da auf dem Eise, neben ihnen einige Wrackstücke, auch ein Zelt aus Segeltuch, ein spärliches Feuer, über dem am Holzspieß eine Möwe briet … Norwegische Fischer waren es, hohläugig, den Glanz des Fiebers in den Augen, kraftlos, krank, schwer erkältet, – bis auf einen alles jüngere Leute … – – Und die Sonne schien … Und das Bild dieses Lagers am Rande des Eisberges war so verlockend … Da geschah das, was mich für John als erstes entflammte … Er hatte bereits mehrmals versucht, den Bootshaken als Harpune den Leuten zuzuwerfen … Die Brandung war zu toll. Es mißlang … Und ich – – wollte das Bild … knipsen … photographieren, ich war ja damals noch so blind überzeugt von meiner Herzensgüte, die echt sein sollte, ich hatte den Leuten ja zugerufen, ich würde ihren Verlust ersetzen, also bezahlen …

Ich wollte photographieren …

John Arnulf schlug mir den Apparat aus den Händen, der Kodak flog in die gurgelnde See, und mich traf ein Blick, der so unendlich geringschätzig war, daß ich darunter wie unter einem Peitschenhieb mich duckte. Noch kein Mann hatte mich so angeschaut – – so, als wäre ich eine Dirne, die ihre verbrauchten Nerven anfeuert durch den Anblick vielleicht eines auf den Straßen halb Zermalmten …

In diesen Augen John Arnulfs lag sein ganzes Ich … Seitdem kannte ich ihn …

Und wieder schleuderte er den Bootshaken mit dem langen Seil, – – der Wurf gelang, und zuerst zogen sich die vier jüngeren Schiffbrüchigen in den schwankenden Kutter, wo sie sofort in Decken gehüllt wurden und heiße Getränke erhielten.

Dann sollte der alte Mann zu uns herüber, seilte sich an, glitt ins Wasser, und die Seilschlinge löste sich, – – er versank …

Arnulf sprang sofort hinterdrein …

Beide tauchten in den Gischt hinab, beide –

Damals, Abelsen, riß ich mir den Mantel vom Leibe, wollte hinterdrein …

Man hielt mich fest …

Ich kämpfte gegen die Matrosen …

Begreifen Sie, weshalb ich Arnulf retten wollte – gerade ich …!

… Um ihm den Blick zu vergelten …

Das war es …

Es war nicht etwa Liebe, es war der unbändige Trotz einer gedemütigten, heiß umworbenen Milliardärin: John Arnulf sollte mir danken müssen – mir, – das wollte ich!

Ich rang gegen Matrosenfäuste, ich muß von Sinnen gewesen sein, ich habe gebissen, gekratzt, geweint …

… Wir Frauen weinen ja stets, wenn wir unsere Ohnmacht einsehen.

Und dann saß ich im Kutter, mit zerzausten Haaren, mit wundem Herzen, und der Kutter wendete und fuhr zurück – – ohne Arnulf, ohne den Mann, der mit einer Selbstverständlichkeit sein Leben hingegeben hatte, die mir nur zu sehr in sein Charakterbild hineinpaßte. Ein Mann der Pflicht, ein Mann aus Erz, – – kein Spielzeug für Frauen.

Abelsen, – und wie damals so der Kutter durch die Wogen klatschte und der Sprühregen über Bord kam und mein Gesicht traf, – damals begann ich zu lieben, – einen Toten …

Wir legten am Fallreep an, der Kapitän stürzte herbei …

„Arnulf – – mein bester Offizier!!“

Ich sah sein braunes, schmerzzerfurchtes Gesicht, und ich bot eine Unsumme, damit man wenigstens die Leiche berge …

„Unmöglich …!“

Der Kapitän merkte wohl, wie es um mich stand … Der Arzt kam … Ich sollte zu Bett … Ich blieb an Deck … Ich hatte mir ein Fernrohr geben lassen … Eine unsinnige Hoffnung gärte[15] in mir … Ich lehnte an der Reling, – – ich sah den Eisberg, ich sah das Zelt, das noch qualmende Feuer, – daneben Eisspalten …

Der Dampfer setzte seine Fahrt langsam fort.

Und ich – – starrte hinüber …

– Abelsen, glauben Sie an geheime Einflüsse von Seele zu Seele …?

Abelsen, damals habe ich in meiner törichten Hoffnung gebetet … wie ein Kind …:

„Gib ihn mir zurück, Gott, du allmächtiger Gott …!! Gib ihn mir zurück!“

Und ich, Abelsen, – – ich bezwang das Schicksal …

Aus einer der Eisspalten hob sich ein Arm.

Ich sah es …

Nur ich … Und ich schrie und lachte und rief meine Beobachtung denen zu, die um mich herum standen und nicht ahnten, daß ich Gott etwas abgetrotzt hatte: Ein Menschenleben!

Ich schrie, und sie glaubten mir nicht …

Keiner …

Der Arzt kam mit einem Krankenwärter …

Für … verrückt hielten sie mich …

Und da – – tat ich es …

Das einzige, das diese Ungläubigen überzeugen konnte …

Ich rannte das Fallreep hinab, sprang ins Wasser …“

– Jetta Arnulf schwieg …

Sie hatte mich angesteckt mit dem Feuer ihrer Erinnerungen, und ich fühlte mein Blut kochen und nahm ihre Hände …

„Weiter, Frau Jetta, – weiter …!“

„Weiter? – Inzwischen hatte der Matrose im Ausguck ebenfalls den winkenden Arm erspäht … Man fischte mich heraus, der Kutter jagte zum Eisberg, holte John Arnulf und den alten Fischer … Beide lebten, der Fischer starb in der Nacht, und John hatte eine Lungenentzündung und einundvierzig Grad Fieber. In meiner Villa auf Long Island pflegte ich ihn gesund … Einen Monat darauf heirateten wir in aller Stille, John vergötterte mich, trug mich auf Händen, die ersten Monaten waren ein seliger Rausch, – – aber er hatte eine Bedingung gestellt: Er wollte nicht von meinem Gelde leben, er wollte arbeiten, er wollte keine lärmende Geselligkeit, er wollte nur mich und … Arbeit!“

Jetta nickte mir wehmütig zu …

„Und ich?! – Sehen Sie, Abelsen, – – ich begann mich zu langweilen … John war in eine Flugzeugfabrik eingetreten, wurde Pilot, studierte die neuesten Flugzeugtypen und – – vernachlässigte mich nie. Aber ich war an eine andere Lebensführung gewöhnt … Meine Bekannten fanden sich wieder ein, ich gab ein großes Gartenfest an Johns Geburtstag, hatte es ihm verheimlicht. Und als er an jenem Abend heimkehrte und den Park erleuchtet fand und dazu zweihundert Menschen, die ihm fremd, machte er kehrt … kurz kehrt, stieg in sein Auto, fuhr davon …

So war es …

Ich hatte die Bedingung, die er gestellt, nicht eingehalten … Er war mir als Lebensglück nicht genug gewesen, er allein, – – und er tat dasselbe, wie einst sein unglücklicher Vater, nahm ein Boot und fuhr ganz allein hinaus ins Meer … Sturm zog herauf … Das leere Boot lag zwölf Stunden später zerschmettert in der Brandung, und – – ich sei Witwe, glaubte ich …

Ersparen Sie mir auch nur Andeutungen über jene ersten Monate nach Johns Tode. Daß ich heute noch meine gesunden Sinne besitze, das habe ich Gott abgetrotzt – – wie damals angesichts des Eisberges. Ich wollte nicht an Johns Tod glauben … Für mich lebte er irgendwo im Verborgenen … irgendwo … Ihn suchen, war mein Lebensinhalt … Ich ließ die „Manhattan“ bauen aus bestem Stahl mit stärksten Maschinen … Und ich suchte … –

Mein Freund, jetzt werden Sie mich fragen: Wie konnte denn überhaupt nur der Schimmer eines Verdachts gegen mich aufkommen, ich hätte John beseitigt?

… Abelsen, Sie kennen Menschen und Länder, und Ihre Wege sind nicht die der großen Herde … Abelsen, – was, glauben Sie, tat ich damals, als John mir den Rücken kehrte und sein Geburtstagsfest verließ? Sind Sie so weit in die Frauenseele, die mit Milliarden umpanzert ist, eingedrungen, daß Sie mir eine Antwort zu geben imstande sind?“

Unsere Hände ruhten ineinander …

„Vielleicht, Frau Jetta … – Ihr Gatte entfernte sich, und natürlich sind Sie ihm in heller Empörung gefolgt und werden ihn wohl doch noch gesprochen haben, vielleicht am Meeresstrand …“

„Am einsam gelegenen Bootshaus am Nordwinkel des riesigen Parkes“, ergänzte sie … „Das Boot, das er flott gemacht hatte, war eine offene Rennjacht mit Hilfsmotor, eine Jolle … – Ja, ich war außer mir … Ich hatte kein Verständnis für Johns Eisenkopf, damals hielt ich ihn wirklich für einen anmaßenden Tyrann, der keinen anderen Willen neben sich duldete … Ich überschüttete ihn mit Vorwürfen, während auf See draußen bereits die ersten Blitze leuchteten und das Unwetter sich zusammenbraute. Ohne ein Wort für mich fuhr er davon, ich schüttelte die Fäuste hinter ihm drein, ich kehrte leichenblaß zu meinen Gästen zurück, die mir scheu auswichen, gleich darauf prasselte Regen herab, all die kostbaren echten japanischen Papierlaternen zwischen den Bäumen erloschen und zerfaserten unter Hagelschlägen, meine Gäste entfernten sich, und fortan fühlte ich überall diesen gräßlichen Dunst des Mißtrauens, wo ich mich auch zeigte … – Abelsen, ich habe gelitten – – mehr, als ein Gemüt ertragen kann … Ich floh in die Fremde, als die „Manhattan“ fertig war, nur drei Herren bewahrten mir ihre Treue – die drei, die ich als Gäste an Bord habe, und einer von ihnen ist ein … Spion, ein Häscher: Lincoln, von dem ich am meisten hielt … Der vierte, Sabbatyl, desgleichen …“

Sie entriß mir ihre Hände …

Sie weinte, – ihre Nerven versagten völlig, schluchzend lehnte sie an meiner Schulter.

Mit einem Stoß kippte ich da das Boot um, Sonnenlicht überflutete uns, und ein schneller Blick ringsum zeigte mir die unversehrte Insel: Die Hauptmasse der Ameisen war wirklich weitergezogen.

Noch anderes sah ich: Von Norden her schob sich eine pechschwarze Wolkenbank herauf, oben mit schwefelgelben Rändern, wie ein wanderndes, unheimliches Gebirge.

Ein Zuruf dann …

Ein freudiges Bellen …

Auf der Höhe der Uferwand standen Sir Roger und mein treuer Monte, der Baronett winkte, in seinen eindrucksvollen Gesten lag eine ernste Warnung, seine Hand wies gen Norden, und ich nahm die hilflose, wimmernde Frau in die Arme und trug sie empor zu dem körnigen Korallenberg, sie war ein fügsames, zerbrechliches Kind geworden, das nicht einmal durch Rogers Gegenwart in ihrem fassungslosen Schmerz sich stören ließ.

Der Baronett flüsterte scheu:

„Orkan, Abelsen, – – das gibt ein gefährliches Unwetter …“

Ich fühlte es …

Kein Luftzug, – – die Luft überladen mit Elektrizität, – – wir selbst überladen mit Schicksalsfragen, und doch: Ich sah jetzt endlich diese Ehetragödie ohne verhüllende Schleier, – ich wußte alles … fast alles … Es gehörte kein sehr scharfer Verstand dazu, die noch fehlenden Bilder dieses Schauspiels richtig zu ergänzen … bis auf einige wenige …

Roger Carselan half mir …

Das finstere Gewölk nahte mit der Lautlosigkeit eines schleichenden Untiers … Die Sonne verbarg sich, Dämmerung trat ein, die Insel erwartete den Feind mit stockendem Atem, ihre Bäume und Büsche regten sich nicht, kauerten sich verängstigt, schlaff und freudlos zusammen.

 

9. Kapitel.

Die „Manhattan“ als Wrack.

Jetta in die Grotte hinabzuschaffen, war nicht leicht. Die Frau hatte sich mit ihrer Beichte zu viel zugemutet. Ihre nervöse Überreizung, seit Jahren ihr seelischer Stachel, peitschte sie nicht mehr auf, sie war unempfindlich geworden, sie lag nun unten auf dem Lager von Decken und Seetang, die Augen unnatürlich geweitet, die Blicke leer, – – der drohende Wahnsinn flackerte in ihren zuckenden Zügen.

Die Laterne brannte grell … Ich erschrak. „Roger, – – Alkohol …!!“

Er sprang zu …

Jetta wollte meine Hand bei Seite stoßen.

„Roger – – festhalten …“

Sie mußte trinken … Sie hustete … Sie trank …

Ich redete ihr gut zu, – – sie lachte schrill …

Lachte: „Der Diamant …!! Ihr solltet ihn finden … Deshalb ließ ich das Flugzeug sprengen. Ihr solltet suchen und finden … Benitos Schätze, – – alles Lüge, denn ich hatte altertümliche Schmucksachen aufgekauft.“

Roger wurde bleich … Er begann einzusehen, wie sehr er dieser Frau Unrecht getan.

Und der scharfe Whisky ließ ihr Gesicht aufflammen … Die blinkenden Augen bohrten sich in die des Baronetts …

„Auch Sie, Carselan, – – mein Feind!! Sie Tor, Sie großer Tor …! Sie ahnten nicht, daß ich in Monte Carlo Ihre Neigung für Gerda begünstigte … Alles haben Sie mir falsch ausgelegt. Ich erwarb Ihren Familienstein von dem Schacherer … Ich schob ihn in das Nest hier – – ich beschmutzte ihn vorher … Auch die anderen Felsspalten bergen Benitos Schätze, – – Benito bin ich …“

Sie redete wie eine Irre … Aber was sie sprach, war die Wahrheit. Ich kniete neben ihr …

„Trinken Sie …!!“

Das war Befehl … Sie wurde ängstlich wie ein Kind vor der Medizin, aber sie trank …

Roger lehnte mit starrem Gesicht an der Felswand.

Dann draußen der erste ferne Donner, jäh anschwellend zu einer grollenden Kanonade, ebenso jäh ein Pfeifen und Brausen in den Lüften, – der Sturm kam …

Die Wogen kamen, rollten in die Bucht, klatschten gegen die Ufer …

Die Möwen schrien hell …

Eine Palme krachte …

Sturm fegte und pfiff in den Fensterlöchern, die der Baronett bereits wieder freigelegt hatte.

Jetta lag schwer in meinem stützenden Arm. Sie war ruhiger geworden … Sie horchte … Ein gespannter Ausdruck trat in ihr Gesicht …

„John … spricht“, flüsterte sie … „Ich höre seine Stimme …“

Wir hörten nichts.

Nur Monte war erregt, lief hin und her, verschwand in den Nebengrotten, knurrte.

Draußen wurde es Nacht …

Durch die Finsternis flackerte das Aufleuchten von Blitzen.

„John … sprach …. Es war seine Stimme“, wiederholte Jetta hartnäckig …

Wir schwiegen …

Carselan wischte den Schweiß vom Gesicht.

Monte heulte in langgezogenen Tönen, die in den Höhlen schaurig widerhallten. Ich horchte mit angespannten Sinnen, eine längst gehegte Vermutung drängte sich in meine Gedanken ein, – – auch ich glaubte etwas zu hören, aber die Kanonade des Himmels und das Brausen der in die Bucht einbrechenden Wellen machten eine Täuschung nur zu glaubhaft.

Jetta strich sich das dunkle Haar aus der Stirn und bog ihr lächelndes Gesicht dem grellen, kalten Lichte der zischenden Karbidflammen zu, deren spitze Zungen sich vor den hereinfauchenden Windstößen zur Seite neigten.

Lächelnd, in den Augen den Glanz der Zuversicht, nickte sie dem verstörten Roger zu. „Carselan, ich schulde Ihnen viel Dank … Ich habe Sie ja niemals aus den Augen gelassen … Geld ist die Macht, anderer heimliche Schritte zu erkunden. – Carselan, Gerda litt … Und Sie waren arm geworden … Und ich wollte Gutes stiften, für Sie und Gerda … Sie suchten Benitos Schatz, in Singapore hielten Sie mich wie in Monte Carlo für Ihre Gegnerin, Sie befreiten meinen Gatten, Abelsen half, – – woher, frage ich Sie, wußten Sie denn, daß der Sträfling 308 namens John Smith mein Gatte ist?! Woher?! Woher Ihre Teilnahme für mein Schicksal?“

… Monte erschien, das Haar gesträubt …

Monte drückte sich an mich … In den klugen Hundeaugen flackerte Angst …

Carselan beachtete ihn nicht …

Er fuhr sich mit der Hand über die Augen … Ein gequälter Zug trat in sein Gesicht … Der Mund zuckte …

Draußen schwoll die Sinfonie der Naturgewalten zu wütendem Fortissimo an … Ein Knall durchbebte den Äther, als ob das Himmelsgewölbe geborsten wäre …

Durch die Fensterlöcher flog weißer Gischt … Wasserbäche folgten … Eine ungeheure Woge war die Bucht entlanggerast, zerschellte im Buchtwinkel, wo in der Tiefe das Geheimnis der Strudel lauerte, flutete zurück, traf auf eine zweite, und aus den Wasserbächen wurden Fontänen …

Die Nässe quirlte zu unseren Füßen, die Laternen zischten stärker, ich hob Jetta empor, setzte sie auf einen Mauervorsprung …

Wir wateten im Wasser …

Carselan hatte vorhin geantwortet …

Der ungeheure Knall zerriß seine Worte …

Jetzt war Ruhe eingetreten … Das Unwetter verschnaufte … Nur ferne Blitze grollten.

Unsere Gesichter erschienen wie Masken … Wir fühlten, wie das Tier es mit seinen feineren Instinkten spürt – das Zusammenwirken uns fremder Kräfte, die irgend eine Katastrophe vorbereiteten.

… Wir fühlten die Schwere der Luft … Unsere Herzen hämmerten, unsere Haut überlief das Prickeln der mit knisterndem Fluidum geschwängerten Atmosphäre … Wir waren kaum mehr wir selbst. Vergangenheit und Gegenwart vermischten sich zu Schicksalsfragen, die an unseren Herzen zerrten …

„Und wer bezahlte John Arnulfs drei Angreifer in Singapore?!“, sagte der Baronett mit Widerstreben … „Frau Jetta, – – wer bezahlte diese Banditen?! – Das ist kein Verhör, Frau Jetta … Ich hielt Sie für schuldig, – – auch ich bin nur ein armer, irrender, blinder Mensch. – Sie haben diese Mordbuben nicht gedungen … Wer sonst?!“ Er sprach immer schneller, belebter, freier … Auch er wollte abwälzen, was er bisher in der Brust mit sich geschleppt als traurige Bürde. „Ich war damals in Singapore … Ich wurde Zeuge des Überfalls, aber – – ich meldete mich nicht, denn ich war voller Selbstsucht, ich wollte schon damals die Colon-Insel suchen, nicht die Cocos-Insel, und ich hatte Sokrates Opideru bei mir, der mir riet, unser Vorhaben und meine Anwesenheit zu verschleiern. Der alte malaiische Kapitän ist übrigens ein treuer Freund meines Vaters gewesen … – Und das ist meine Schuld, Frau Jetta … Ein Schuldloser wurde verurteilt … Ich schwieg. Er war angegriffen worden … Ich schwieg … Nachher habe ich mein Gewissen frei gemacht, – John Arnulf entkam, Abelsen half, ich selbst traute mir es nicht zu, was ich ihm auftrug … – Aber – – wer bezahlte die drei Schufte, wer? – Sie nicht, Frau Jetta …! – Wer?!“

Seine Worte flogen über die zuckenden Lippen … Der Schweiß rann ihm über die Wangen … –

Wer tat es …?

… Als ob der Orkan diese neue Frage von neuem in die Unendlichkeit fegte, ertönte abermals das dröhnende Krachen schwersten Donners …

Das Gestein der Grotte bebte …

Durch die Felsspalten flossen Bäche … Die Finsternis draußen wurde taghell von Blitzen, und ein weißer Wogenkamm schoß wie ein flatterndes Riesensegel die geschlängelte Bucht hinab …

Wer tat es?!

Die Woge zerschellte …

Wer tat es …?!

Monte winselte …

Das Wasser stieg …

„Hamilton Lincoln!“, rief Jetta schrill …

Sie rutschte von ihrem Steinsitz herab, sie stand vor uns, die geballten Hände erhoben …

„Lincoln!!“, rief sie nochmals … „Oberst Lincoln, mein eifrigster Freund, mein glühender Bewunderer, – – und mein heimtückischer Feind!“

Roger schüttelte verzweifelt den Kopf und verteidigte Lincoln mit der schwachen Entgegnung:

„Der Mann sah mir kaum so aus, als ob er mit doppelter Zunge redete, und in Singapore hätte er Ihres Gatten Flucht bestimmt verhindern können, er und Sabbatyl, denn die beiden schenkten mir und Sokrates mehr Beachtung, als uns lieb, und kannten auch die versteckte Bucht, in der die Brigg ankerte … – Nein, Lincoln scheidet aus.“

Drei Menschen blickten grüblerisch mit gehetzten Gedanken und ruhelosen Augen aneinander vorüber …

Die entfesselten Mächte des Pacific schickten ihre weißen Wellenrosse immer kraftvoller gegen das Nordgestade der Insel, die Felsen erbebten unter den wilden Umarmungen der heißblütigen Töchter des Meeresgottes, Korallenkalk bröckelte ab, Stücke fielen klatschend ins Wasser, und urplötzlich jagte eine neue Woge die Bucht entlang und schleuderte durch die größte der Felsspalten zusammen mit einem schenkeldicken Strahl Teile des Flugzeuges in unseren Schlupfwinkel.

Im Laternenlicht schwamm da ein Brett, – poliert, mit einem angeschraubten Kästchen, das wohl der letzte Rest eines Wandschränkchens war.

Ich bückte mich … Das Brett kam wie ein Hai auf mich zugeschossen, ich nahm es, trat an die eine Laterne, und eine andere Frage brachte eine Wendung der Dinge.

„Frau Jetta, seit wann wissen Sie, daß Ihr Gatte in Wahrheit damals vor Jahren heimlich ein Flugzeug bereit hatte und später mit D O XII flüchtete oder besser hier strandete?“

„Seit ich D O XII hier auf den Klippen hängen sah“, erwiderte die bleiche Frau mit einer gewissen Freude. „Ich heiße Jetta Dorette Vandermaer mit Mädchennamen … In unseren glücklichsten Stunden nannte mich John nur Dorette, – er mochte den Namen Jetta nicht, er fand dessen Klang finster und drohend, und selbst Dorette war ihm nicht weich genug … Er sagte Do – – nur Do, – und so hart er in vielem war, in diesen Kosenamen legte er die ganze Liebe, die er für mich empfand, und am 12. Juni war es, als der Eisberg uns zusammenführte, am 12. Juni wäre John elend umgekommen, wenn ich nicht seinen winkenden Arm gesehen hätte … Und weiter noch: Neben dem Bootshaus hatte er sich in unserem Park eine Flugzeughalle mit Ablaufbahn bauen lassen, dort arbeitete er in seinen Mußestunden mit einem Monteur, den ich nie zu Gesicht bekam, – keiner durfte hinein, nicht einmal ich, und wenn er abends heimkehrte und so recht froher Stimmung war, küßte er mich und flüsterte: „Du machst gute Fortschritte, kleines Vöglein Do …, – – oder großes Vöglein …“ – Nachher habe ich all das erst richtig verstanden, – – hier auf der Insel … D O XII war sein Werk, und …“

„… Sie zerstörten es …“, fiel der Baronett etwas verständnislos ein …

„Ja. Ich zerstörte, um Abelsen und John hier festzuhalten … Ich zerstörte, um Neues aufzubauen …“

„Logik der Frauen …“, murmelte Sir Roger und beobachtete, wie ich aus dem Kästchen (es war eine kleine Schieblade) ein durchweichtes Notizbuch herausnahm …

Die Seiten klebten zusammen, und ich las:

Ernst Sabbatyl,
Ingenieur,
Notizen über den Flug zur Schatzinsel.

Gleich die folgende Seite enthielt den Vermerk:

„Unser Abflug in der Sturmnacht ist doch beobachtet worden. Ich hatte den drei Mulatten, die den Park versorgten, niemals getraut … Sie werden John und mich belauscht haben und wissen vielleicht, daß Johns …“

Das weitere war völlig unleserlich.

Ich vergaß Orkan, Unwetter, alles …

„Frau Jetta, – wie hießen Ihre drei farbigen Wärter? Blieben diese bei Ihnen, nachdem Ihr Gatte verschwunden?“

„Sie kündigten sofort, bestahlen mich noch … Der eine hieß – ein seltsamer Name – Napoleon San Domingo …“

Carselan riß mir das Büchlein aus der Hand. „Napoleon San Domingo?! – das war einer der drei Meuchler aus Singapore, die John niederschoß …“

„Und die drei waren Ihre Gärtner, Frau Jetta …“

Ich wollte noch mehr hinzufügen …

Das Gewitter war über der Insel … Ein ohrenbetäubender Lärm erhob sich, Regen prasselte herab, Blitze fuhren durch die dichten Regenfluten.

Ich stürzte zum Schacht …

Unseres Bleibens hier war nicht länger … Unsere Sicherheit war bedroht …

Der Schacht spie Wasser …

In dem Schacht stand das Wasser über dem Stollenloch …

Und Monte heulte … bellte …

„Nehmt die Laternen …!“

Ich packte Jetta, – das Wasser reichte uns bis zu den Hüften …

Ich eilte in den Winkel, wo Monte sein schauriges Konzert anstimmte …

Das Laternenlicht glitt über die Wände …

Neben dem dunklen Urgestein und der blinkenden Quelle klaffte im Korallengefüge hoch über dem Boden ein Loch. Dort saß Monte – im Trocknen … Scharfe Zugluft fuhr durch die meterhohe, zackige Öffnung, hinter der sich ein natürlicher Felsengang mit leichter Neigung ins Ungewisse erstreckte. Neben der Öffnung lehnte eine Steinplatte, die genau in den Einschlupf hineinpassen mußte. – Das alles bildete für mich weiter keine Überraschung. Gerda und Sabbatyl mußten ja einen anderen Ausweg gefunden haben, oder genauer gesagt: Dieses Felsloch da oben hatte dazu gedient, sie zu entfernen, Nur die unbekannten Bewohner der Insel waren hierbei beteiligt gewesen, ihnen waren die Geheimnisse der Colon-Insel vertraut, – kein Zweifel mehr, daß auch Oberst Lincolns Unfall, also der Absturz des Randgesteins, ihnen zuzuschreiben war.

Ich half Jetta empor, ich schwang mich selbst in die Höhe, Sir Roger folgte, – die Zugluft war so arg, daß wir schleunigst den Verschlußstein vor die Öffnung schoben, – er paßte genau! An der Innenseite erkannten wir noch die Spuren von Meißeln und Spitzhacken, das Felsstück war sorgfältig zugehauen worden, es sollte nicht bemerkt werden, und wir hatten es auch nicht bemerkt, nur Monte hatte die Fremden gewittert, und Jetta hatte sich wohl kaum verhört, als sie John Arnulfs Stimme zu vernehmen glaubte.

Der Felsengang, hinter der Öffnung gut zwei Meter hoch und unregelmäßig breit, war unsere Rettung geworden. Die Gefahr, in unseren Grotten zu ertrinken, war in den letzten Minuten ständig gewachsen. Der Orkan füllte die Bucht wie eine flach liegende Tonne, und die ungeheuren Regenmassen, die nur die Tropen so verschwenderisch spenden, hätten mitgeholfen, uns wie Mäuse hilflos in den Korallenkammern zu ersäufen.

Noch etwas benommen von der verzweifelten Hast der letzten Minuten standen wir schweigend beieinander, drei Menschen, ein Hund, – – die hellen Flecke der Laternen wanderten über die Kalkwände mit ihren eingebetteten Muscheln und Steinen hin, und wir sahen gleichzeitig über uns in der Decke des Ganges einen Riß, aus dem eine rostige Eisenstange hervorragte.

„Durch die Stange kam das Gestein zum Absturz“ sagte ich ohne besondere Betonung … Ich stellte nur eine Tatsache fest … – Was ich weiter noch sprach, hatte wohl seine Bedeutung. „Lincoln fiel in die Bucht, und Lincoln erklärte sich seinen Unfall wahrscheinlich genau so, wie es wirklich geschah. – Frau Jetta, Hamilton Lincolns Radiodepesche war, entschuldigen Sie, Bluff … Sie sollten fliehen … hierher, und sollten John finden – – ohne viele Zeugen … – So lege ich mir die Dinge aus …“

Carselan meinte zweifelnd: „Und wenn das Gestein den Oberst erschlagen hätte?! – Ist dieses Verfahren, Lincoln von den Grotten fernzuhalten, nicht allzu brutal gewesen?!“

„Der, der dieses Verfahren anwandte“, entgegnete ich nach reiflichem Überlegen, „wird wohl mit einem glimpflichen Ausgang gerechnet haben. Wäre der Betreffende brutal, würde er uns nicht diese Notröhre geöffnet haben … Ich denke, dieses allein spricht für seinen Charakter.“

Jetta blickte mich scharf an …

„Abelsen, – die Wahrheit bitte …! Glauben Sie noch immer, daß John ein Gefangener der sogenannten Insulaner ist? Und auch Gerda und der kleine Doktor?“

Unter ihren forschenden Augen auch nur Ausflüchte zu suchen, wäre verfehlt gewesen.

„Sie hörten John sprechen, Frau Jetta, und er sprach auch wirklich … Die Zugluft trug selbst das geflüsterte Wort an unser Ohr … John ist kein Gefangener … Alles weitere von mir sind leere Vermutungen … Gehen wir … Dieser Gang wird an der Nordküste neben dem gewaltigen Korallenfelsen in der Steilwand enden, – gehen wir, ich möchte Gewißheit haben.“

– Es war kein Felsengang, es war eine Reihe kleiner Höhlen, die wir durchwanderten … Wasserpfützen bedeckten hier und dort den Boden, an manchen Stellen tröpfelte der Regen herein …

Die Stille um uns her war bedrückend, aber je weiter wir vordrangen, desto vernehmlicher wurde abermals die Musik des Sturmes, und als wir schließlich vor einer ähnlichen, nur ungenauer eingepaßten Steinplatte standen, konnten wir die Brandung durch die Ritzen bis zu uns emporlecken sehen – eine Brandung, deren weißer Gischt auch an den Korallenfelsen halb rechts von uns seine flatternden Schleier tanzen ließ …

Das Gewitter war vorüber. Auch der Regen ließ nach. Der Orkan wehte mit ungeschwächter Kraft die Riesenwogen gegen den Nordstrand, und der Lärm und das Brüllen und Toben der in ihrem Laufe gehemmten Wasserberge pfiff derart ohrenbetäubend durch die Ritzen, daß wir wieder seitwärts flüchteten, eine trockene Stelle suchten, und die Decken mit dem darin eingewickelten Proviant niederlegten und enttäuscht ins Leere schauten. Was wir erhofft hatten, war eitel gewesen: Wir hatten die Freunde hier zu finden gehofft, und wir fanden nur einen Fernblick auf den aufgerührten Ozean, der mit hartnäckiger Wut gegen das Inselgestade anrannte, wir sahen da draußen beim Aufflammen des letzten Blitzes nur ein Bild der unendlichen Gewalt des aufgepeitschten Pacific, der sogar die Außenriffe unter sich begrub und keinem menschlichen Wesen ein Ausharren in diesen Riffen gestattete.

Ich näherte mich wieder der Steinplatte, lugte hinaus …

Irgendwo im Süden mußte die schwarze Wolkenbank zerrissen sein … Es war fast taghell geworden …

Und dicht unter mir schäumte die ruhelose, unermüdliche Flut, spritzte der Gischt, sprühten die Tropfen …

Dicht vor mir, jenseits der Steintür, zog sich etwas wie ein dunkler Strich durch diese schäumenden, zu Schaum zerschlagenen Wogenkämme …

Ich hielt den Atem an …

Kniff die Augen klein …

Ein Strich?!

Nein – ein dickes, straff gespanntes Schiffstau war es, das zu dem merkwürdigen Korallenklotz hinüberlief und draußen über mir in der Steilwand irgendwie verankert war …

Meine Augen weiteten sich jäh. Hatte ich mich getäuscht?! War das Tau nicht schlaffer geworden, hatte sich der Korallenblock drüben nicht bewegt?!

Ich holte ganz tief Atem …

Schaute nochmals hin …

Kein Zweifel mehr: Das Tau pendelte, der Korallenfelsen bewegte sich tatsächlich unter dem Ansturm der Wellen und – – jetzt spannte sich das Tau straff bis zum Reißen, es vibrierte, aber es hielt …

… Hinter mir da eine halb erstickte Stimme.

Jetta …

Die Frau, die den Mann verlor, weil er Mann war, weil er über die Reichtümer seiner Gattin nur lächelte und tat, was sein Wille …

„Abelsen, – – die Jacht!!“

Ein Hauch nur …

Aber erfüllt von Entsetzen …

Ich drehte etwas den Kopf …

Mein Herzschlag flatterte …

Mitten in der tollen Brandung trieb die „Manhattan“ – ohne Masten, nur noch mit einem ihrer gelben Schlote …

Ein Wrack …

Und genau auf den Korallenklotz trieb sie zu, Spielball der Fluten, ein Stahlgehäuse, mit dem der Pacific seinen grauenvollen Unfug anstellte, – bald war das Heck haushoch über den gierigen Wellenbergen, bald der Bug … – Und so wurde das glänzende Schiff, mit dem Frau Jetta ausgezogen war, den Gatten zu suchen, unaufhaltsam dem Verderben entgegengeschleudert, – – in Wahrheit ein Spielball des Schicksals.

 

10. Kapitel.

Die „Manhattan“ rammt …

Sekunden lag es über mir wie Lähmung …

Dann …:

„Carselan, helfen Sie mir, – raus mit der Steintür!“

Sir Roger war neben uns …

Schaute …

„Mein Gott, – – die „Manhattan!““

Die Zigarette rollte in eine Pfütze.

„Abelsen, was beabsichtigen Sie?!“

Carselan sah das Tau, das dicke Manilatau, das da vierzig Meter weit durch den Gischt lief …

„Abelsen, wollen Sie etwa hinüber?!“

Carselans Stimme war heiser.

„Ich will dorthin, wo die Jacht auflaufen wird … zerschellen … Ich will retten, was noch zu retten ist …“

Wir brüllten uns an wie Kanoniere im tollsten Granatfeuer.

„Los denn, – – anpacken …!!“

Wir griffen zu, wir drei, – drei, denn Jetta faßte mit an … Die Steinplatte kippte nach innen, – wir sprangen zurück, der Orkan fegte uns nach hinten, im Augenblick waren diese Höhlen zur Riesenorgel geworden, auf der ein Wahnwitziger seine Phantasien austobte …

Heulen, Pfeifen, Brausen, schrille Klagelaute, dumpfe Baßtöne, – alles gab diese Orgel her …

Jetta preßte die Hände an die Ohren …

Ich arbeitete mich vorwärts, – eine Sturmpause kam, da packte ich das nasse Tau, griff Hand über Hand, kletterte mit pendelnden Beinen weiter – – vier – – fünf Meter …

Hohnvoll setzte der Orkan mit verdreifachter Wucht wieder ein …

Und wie blies er!!

Ich wagte es nicht, eine Hand zu lösen … Ich fühlte meine Arme sich recken, – – ich fühlte, wie ich gleich einem Fahnentuch hochwirbelte, – – aber ich verbiß mich in dem tollen Gedanken, auch dies hier zu überstehen und Sieger zu bleiben …

Meine Hände brannten … Das Tau bog sich durch, lockerte sich, – – urplötzlich spannte es sich wieder straff, und ich flog vorwärts, das Tau entglitt mir, rutschte mir über die Brust, verfing sich am Gürtel hinter dem Pistolenkolben, und automatisch packte ich wieder zu, lag bäuchlings über dem Manilahanf, Beine, Kopf nach unten, – eine reife Nuß, reif für den Feind, der mich pflücken wollte …

Wollte …

Ich war klüger geworden …

Ich behielt diese Lage bei, schob mich vorwärts …

Perlenkaskaden bespritzten mich …

Weiße Leichentücher der Wogenkämme umhüllten mich …

Wieder senkte sich das Tau, schnellte empor …

Ich hatte aufgepaßt … Ich ließ mich nicht abwerfen, ich wollte hinüber … – Zu John Arnulf, zu dem leicht schwankenden, sonderbar geformten Korallenfelsen …

Wieder eine Sturmpause …

Zehn Meter schaffte ich …

Die Hälfte des Weges hatte ich hinter mir …

Die Hälfte …

Meine Jacke bestand nur noch aus flatternden Fetzen … Mein Leib schmerzte, mein Kopf glühte, meine Hände brannten, meine Arme waren nur noch zuckende Muskeln …

Leichentücher wehten herab, begruben mich …

Ich spie das salzige Naß aus …

Alle Tücken versuchten der Orkan und sein Verbündeter, der Pacific …

Sie kämpften gegen mich, kämpften für Pedro Benitos Geheimnis …

Alle List wandte ich an, Sieger zu werden … den …

Und dann, – wie Friedhofsruhe: Ich war unter Wind des großen Korallenfelsens gelangt … Der Sturm pfiff über mich hinweg …

Gewonnen!!

Dort war die Stelle, wo das Manilatau mit seiner eisengefütterten Schlaufe im eisernen Haken am Korallenblock hing …

Noch fünf Meter …

Keine wehenden Leichentücher mehr …

Vor mir war die Rettung … Die Sicherheit, das Kalkgestein mit seinen glatten Wänden und Buckeln und Rissen und hohen Auftreibungen, die wie Schiffsmasten, versteinerte Maststümpfe, aussahen …

Noch drei Meter …

Zwei …

Und nun eine Atempause – ein Sammeln der Kräfte, ein festes Zupacken … Finger in das Gestein gekrallt, – – ein Schwung, ein Sprung, und ich kauerte hinter einem der Buckel, hatte Fels hinter mir, neben mir, Korallenfelsen, Bauten abgestorbener winziger Tierchen niederster Gattung, – Tierchen, und doch Schöpfer ganzer Inseln, endloser Riffe, wundervoller bunter Gebilde dicht unter dem Meeresspiegel, – Baumeister der Natur, wie kein lebendes Wesen es vermag, Baumeister von seligen Laguneninseln, auf denen Kokospalmen wuchsen und Büsche und Blumen und Gräser.

Nur Korallen …!

Und ich kauerte zwischen den sichtbaren Werken ihrer Vergänglichkeit, und hob den Kopf und kroch weiter … zur flachen, langen Kuppe des Monstrums von Kalkgebilde.

Da war die „Manhattan“ …

Da war sie …

War sie es?!

Auch der zweite dicke gelbe Schlot war umgekippt …

Keine Seele an Deck …

Ein Stahlgefüge, das noch zusammenhielt – noch! Wie lange noch?

Und das Wrack taumelte näher …

Hundert Meter …

Drehte sich … bäumte sich … schoß vorwärts, zögerte …

Die Kommandobrücke war eingedrückt …

Leer das Deck …

Vorn baumelte das Bugspriet[16] an den Stahltrossen, hinten hingen die Reste des Kutters in den verbogenen Davits …

So kam es heran …

Überflutet, – – wieder auftauchend …

Und eine Woge kam, ein Ungeheuer von Woge …

Nicht Wasserberg …

Ein gläsernes, schillerndes Gebirge …

Hob das Wrack auf seine weißen Gletscherkuppen, trug es vorwärts, – – mitten auf den großen Korallenfelsen zu, mit dem scharfen Bug voran …

Ich klammerte mich fest …

Ich erwartete den Anprall …

Die „Manhattan“, Stahlgefüge, flog herbei, getragen von dem grünen Gebirge …

Mein Herz setzte aus …

Jetzt …

Das Ende …

Und dann ein Knall, ein Krachen, Knirschen, – – wie ein Messer schnitt der Bug in den Korallenklotz ein, der sich nach hinten neigte …

Wie eine Wand wuchs es vor mir empor: Die „Manhattan“ – – ihre Bordseite, – – und die Jacht lag still, das Stahlgefüge war stärker gewesen als das Kalkgebilde, bis zur Hälfte war der Korallenklotz zerschnitten, und in dem Schnitt steckte das Wrack, unverrückbar festgekeilt, – – wie ein Panzerschiff, das mit seinem Rammsporn ein hölzernes Schiff aufspaltet.

Und mehr noch: Dieser Korallenblock, gut siebzig Meter lang, hatte sich schwerfällig immer mehr geneigt, hatte das Heck der „Manhattan“ gleichzeitig gehoben, und der stählerne Schiffskörper schwebte halb über der Brandung, sein Steuer, seine Schrauben waren sichtbar …

Ein Wunder war geschehen …

Ein zweites geschah …

Aus einem runden Fenster brüllte mir jemand zu …

„Hallo … Hallo …!!“

Ein Megaphon wurde hindurchgeschoben.

„Hallo, – – Mr. Abelsen …! – Hier Oberst Lincoln … Hallo … Wo ist Frau Arnulf?“

Dieser Zuruf war zu verstehen …

Nicht meine Antwort …

Nicht nur das Toben der Brandung machten meine Stimme zum Stimmchen, auch der Korallenblock und das festgekeilte Wrack redeten mit üblen Lauten dazwischen …

Ich deutete auf die Insel … In dem Fenster war Lincolns verbundener Kopf erschienen. Ich nickte ihm zu, winkte beruhigend …

Und dann flog eine Strickleiter vom Deck hernieder, – ich hielt sie straff …

Menschen kletterten aus der stählernen Hölle auf den Felsen, zuerst Frau Jettas Zofen, dann die Matrosen, – – als letzter Oberst Hamilton Lincoln …

Um mich her kauerten Menschen, die den Wahnsinn der Todesangst noch in den Augen hatten …

Bis auf wenige, denen der Tod nichts bedeutete …

Wenige …

Brandyflaschen kreisten, hysterisches Gelächter ertönte …

Lincoln drückte mir die Hand.

Ganz schlicht …

Mann ohne Theatralik.

„Freue mich, Sie kennen zu lernen, Mister Abelsen … – Wo ist John Arnulf? Bei seiner Frau auf der Insel?“

Wo war John Arnulf?!

Und urplötzlich überfiel es mich wie verzehrende Angst um das unsichere Los der drei Menschen, die uns aus den überfluteten Grotten den Weg der Rettung in das unbekannte Höhlengebiet gewiesen hatten. Wo waren John Arnulf, seine Stiefschwester Gerda und der kleine, rundliche und doch so bewegliche Sabbatyl, der seinen wahren Beruf hinter der fanatischen Schrulle eines Käfersammlers verborgen hatte?! Steckten sie etwa in diesem Korallenklotz, den die Jacht halb durchbohrt hatte, als wäre es nur ein innen hohles Gebilde? Enthielt auch dieser gewaltige Kalkfelsen verborgene Innenräume, der jetzt die „Manhattan“ über die gefährliche Brandung hinausgehoben hatte, die noch immer in gleicher, vernichtender Stärke gegen den Nordstrand anrannte mit ihren wütenden, weißgetupften Wogenkämmen?

Wo war Arnulf?!

Sollte etwa Frau Jettas jahrelanges Hoffen und jahrelanges Suchen nach ihrem Gatten und all die selbstlose Herzensgüte, die sie für Gerda und Sir Roger so sinnfällig durch das Verbergen aufgekaufter Kostbarkeiten hier auf dieser Rätselinsel bewiesen, zwecklos und nutzlos geblieben sein durch eine jener harten Launen des Schicksals, für die wir Menschen nur ein verständnisloses Kopfschütteln und ein bitteres Zweifeln an der Güte des Weltenlenkers übrig haben, mag man diese nun Gott, Schöpfer, Vorsehung oder sonstwie nennen?

Oberst Lincoln, dicht vor mir im Schutze eines der Buckel des nun geneigt daliegenden und leicht schwankenden Korallenklotzes kauernd, las mir das sorgende Grübeln vom Gesicht ab, das durch die nassen Peitschenhiebe der Wellenspritzer wie Feuer brannte.

„Ich weiß es nicht!“, brüllte ich ihm zu, und ringsum wurden die Worte verstanden, und die Besatzung der Jacht und die wenigen Gäste Frau Jettas neigten sich vor in banger Erwartung und vergaßen die Stunden eigener Todesnot über der großen Schicksalsfrage fremden Glückes.

Lincoln, die Lippen zusammengepreßt und die Augen verkniffen, spähte hinüber zu dem Felsloch, neben dem das jetzt schlaffe Manilatau verankert war. Der Gischt flog über uns hinweg, der Gischt des brodelnden Ozeans schob seine wehenden Schleierfetzen zwischen uns und jenen Grottenausgang, nur undeutlich erkannte man dort zuweilen drei Gestalten, zwei Menschen, einen Hund, – Jetta, Sir Roger, meinen Monte …

Die Entfernung bis dahin war so kurz und doch unüberwindbar. Das dicke Tau fegte in den Wogen hin und her, der Korallenklotz, nach der Insel zu durch den Rammstoß verschoben, konnte das Tau nicht mehr straff halten.

Eine Schar zermürbter Seelen, die wie durch ein Wunder dem Tode entgangen waren, duckte sich nun auf diesem grauen Felsen zusammen und fand sich allmählich zu sich selbst zurück und nahm immer stärkeren Anteil an dem Leide der Frau, die ihnen als Herrin, Freundin und stille Dulderin jene Achtung abnötigte, die auch der rauheste Jan Maat für die Irrwege einer großen Liebe aufbringt.

Neben uns, keine vier Meter ab, erhob sich die zerkratzte, zerschrammte Bordwand der „Manhattan“, hineingetrieben in das Kalkgestein wie ein horizontaler Keil, – – das Heck, das halbe Schiff schwebte über der Brandung, das verbogene Steuer rutschte bald nach rechts, bald nach links, oft genug schlug ein Schaumkamm gegen seine breite Fläche, die großen Bronceschrauben troffen von Nässe und blinkten wie Mattgold, zuweilen warf die Brandung lange Seetangbärte hoch, zuweilen verfingen sich diese in Steuer und Schraube, – die über den gefährlichen Wogen schwebende „Manhattan“ bot ein unwirkliches, phantastisches Bild dar, und zum Glück dachte niemand dieser bleichen Menschen an die Möglichkeit, daß dieselbe „Manhattan“ uns alle verderben könnte, wenn ihr Heck den Korallenblock nach der Seeseite neigte und das bisher gut ausbalancierte Gewicht von Schiffskörper und Schwere des Felsens sich änderte …

Denn der Korallenblock mit dem in sein Mark hineingestoßenen stählernen Dolch lag nicht still, bewegte sich, schwankte hin und her in seinem Sandbett, und die Gefahr, daß das Gewicht des frei liegenden Teiles des Schiffskörpers unsere armselige Zufluchtstätte der Brandung preisgeben könnte, erschien mir so bedrohlich, daß ich auf Abhilfe sann.

Zu alledem schien jetzt die Sonne von einem völlig wolkenlosen, tiefblauen Himmel herab, auch der Orkan ließ nach, nur der aufgewühlte Pacific gehorchte noch immer dem Drange, sein Vernichtungswerk zu vollenden.

Oberst Lincoln neigte sich vor und rief mir zu: „Mr. Abelsen, unsere besten Absichten werden oft vereitelt … leider! Ich habe nie an Frau Jettas Schuld geglaubt, aber böswillige, neidische Schurken hetzten die Behörden auf … Deshalb hielt ich es für richtiger, zum Schein persönlich Frau Jetta zu überwachen … Sie werden vielleicht nicht wissen, daß ich schon in Singapore durch Doktor Sabbatyl die halbe Wahrheit erfuhr, daß ich dann eine Radiodepesche …“

„… Ich weiß, – Sie wollten Frau Jetta hier auf die Insel hetzen, damit sie John fände …“

Lincoln lächelte verzerrt …

„Ich wollte, – – es mißlang, – – ich suchte Vorsehung zu spielen, und …“

„… Sabbatyl desgleichen, – – Sabbatyl blieb seiner Rolle getreu, armer kleiner Doktor, – – was tun wir, Oberst, ist Ihnen die Gefahr noch nicht klar geworden, in der wir hier regelrecht schweben?“ Ich hatte meine Stimme gedämpft …

Sein Blick überflog das schwebende, eingekeilte Wrack …

Plötzlich erhob sich der Kapitän der „Manhattan“, ein kleiner, stämmiger Vollblutamerikaner mit einem harten, wulstigen Gesicht.

Jellins hieß er …

War naß wie eine Katze, seine Uniform zerrissen, das Gesicht zerschunden, das Haar klebte bis zu den buschigen Brauen, aber die grauen Augen waren blank wie Glaskugeln. Sein linker Arm schlenkerte im zerfetzten Ärmel, Blut tropfte aus dem Ärmel … Über seine Züge lief zuweilen ein Zucken …

Der Arm mußte gebrochen sein.

Der Mann war ungebrochen in seinem ehernen Pflichtgefühl.

Breitbeinig stand er … Schaute über den Ozean, schaute zur Insel, wieder über den Ozean …

„Der Wind hat gedreht!“, verkündete er. – Seine Stimme glich dem Knarren einer rostigen großen Kaffeemühle.

Sein Blick begegnete dem meinen. „Mr. Abelsen, was hätten Sie getan, wenn der Wind nicht gedreht hätte – he?!“

„Die „Manhattan“ gesprengt, – wenigstens das Heck, um diesen Korallenklotz vor dem Umkippen in die Brandung zu bewahren.“

Er nickte nur.

Der Arzt der Jacht nahm ihn dann in Behandlung.

Minuten verstrichen, – der nun von Süden wehende Wind bekämpfte mit gleichen Mitteln die zornige Mutter der schäumenden Wogen, wir alle spürten, daß die Brandung schwächer wurde, der Korallenklotz lag ruhig, der Gegenwind frischte immer mehr auf, und behutsam näherte ich mich dem Bug der Jacht, vor dem ein Berg zerschmetterter Korallenstücke aufgehäuft war. Ein einzelner Balken ragte darauf empor, schwarz, fast schwarz, – Eichenholz … uraltes Eichenholz … Und in dem Augenblick hob sich abermals der Vorhang all dieser dunklen Dinge, und Don Pedro Benito, der Pirat, erschien mir samt seinem Korsarenschiffe „L’aigle noir“ (Schwarzer Adler) wie eine Vision aus verrauschten, blutigen Zeiten …

„Die Brigg!!“, schrillte da eine jubelnde Stimme …

„Die Brigg!!“, wiederholte ein ganzer Chor durchnäßter, freudiger Menschen …

Mit halb gerefften Segeln flog der „Benito“ um das Westkap der Insel, ein stolzer, unversehrter weißer Vogel …

Lincoln stolperte auf mich zu.

„Abelsen, – die drei werden sich auf der Brigg befinden!“

Er strahlte vor Freude …

„Möglich …“, – meine Gedanken wanderten andere Wege …

Ich wußte jetzt, wer die beiden Insulaner im Kanu gewesen …

Kapitän Jellins knarrte, Aufmerksamkeit heischend: „Die Brigg signalisiert … – Oberst, her mit Ihrem Fernglas!“

Signalwimpel flatterten …

Zwischenein ertönte vom Nordfelsen her Sir Rogers klare Stimme:

„Hallo – – alle gerettet?!“

Jellins ließ das Glas sinken und sagte dumpf:

„Sie sind nicht auf der Brigg, Oberst!! – Wo sind sie …?!“

… Keiner beachtete den schwarzen Eichenbalken zwischen dem Kalksteinschutt. Ich sah mich vor die schwere Entscheidung gestellt: Sollte ich erklären, was mir Gewißheit war? – John Arnulf hätte sich längst melden können … Wollte er seiner Frau nicht verzeihen? Sollte er damals in Singapore, als die drei Mulatten ihn überfielen, diese Kerle nicht als die Gärtner der Long Island-Villa erkannt haben?

Ich wollte abwarten …

Ich tat recht damit … Freund 308 mußte auf besondere Art bekehrt und versöhnlich gestimmt werden. Er hatte sich in ein Vorurteil verrannt, er hatte in den vier Jahren seiner Zuchthauszeit sein starkes Mannestum in einen krankhaften Haß verwandelt … Vier Jahre Zuchthaus zerbrechen eine schuldige Seele … Er war schuldlos, und er hatte den aufsteigenden Wahnsinn durch ein Gegengift bekämpfen können – – durch Opium … Nicht als ein Schwächling, sondern als ein ganzer Kerl, der er stets gewesen. –

Eine Stunde später konnte die Brigg in die Bucht einlaufen, – auch wir konnten den Korallenblock verlassen, die Brandung war zahm geworden … Einer nach dem anderen watete an Land … Ich als allerletzter, ich hatte mir heimlich den zersplitterten Eisenbalken nochmals ansehen wollen.

 

11. Kapitel.

Als der Korallenblock zerfiel …

Ich als allerletzter, und vor mir in dem Tale der Zug der schwer beladenen Matrosen und Schiffsoffiziere, die eiligst noch unter Jellins zielbewußtem Kommando das Wertvollste und Wichtigste aus dem Stahlwrack in Zeltleinen verpackt und mitgenommen hatten.

Dort, wo das Tal an die Steilwände der Bucht stieß, erhoben sich in kurzem braune Zelte, eine kleine Zeltstadt, ein geschäftiges Leben und Treiben herrschte, auch die Leute der Brigg halfen, Kapitän Sokrates Opideru, dieses farbige Gegenstück zu dem abgeklärt-wortkargen Jellins, berichtete, wie er vor dem aufziehenden Orkan noch rechtzeitig nach Westen geflüchtet war, – es war alles in allem eine nervöse Geschäftigkeit und Redseligkeit, von allen hatte Frau Jettas stille Zuversicht und halb verträumtes Lächeln nur zum Teil den Bann schicksalsschwerer, unklarer Fragen genommen. Jetta Arnulf, den meisten jetzt ein neues Rätsel, stand sehr gelassen dabei und hörte des alten Malaien lebhafte Schilderung mit an, Sir Roger betrachtete sie immer wieder verwirrt mit forschenden Blicken, selbst Oberst Lincoln, der sich mit ihr durch wenige herzliche Worte versöhnt hatte, grübelte wohl insgeheim darüber nach, woher diese blasse, schöne Frau die Kraft nahm, immer noch zu hoffen …

Die Sonne sank, ein wundervolles Abendrot färbte die noch ruhelose See, die zerzausten Palmen und die Uferfelsen, – auch dieses zarte Rot erlosch, und die ersten Lagerfeuer flammten auf und die ersten Sterne blinkten am matthellen Himmel. Speisengerüche mengten sich in den Duft der sich öffnenden Blütenkelche, die strammen Matrosen der Jacht hatten bereits einen Kessel steifen Grogs in ihrer Mitte und einen diskreten Ziehharmonikaspieler, der rücksichtsvoll nur ganz piano die alten Jan Maat-Gesänge andeutete.

Dann verstummten alle Gespräche, alle müden Worte … Die Leute der Jacht überkam die unausbleibliche Erschöpfung, es fehlte an jeglichem Anreiz, der die Nerven wieder hätte aufpeitschen können, die Plätze um die malerischen Lagerfeuer wurden leer, aus den braunen Zelten drang das schwere Atmen totmüder Menschen, und schließlich blieben Monte und ich und der alte Sokrates Opideru ganz allein übrig, allein, die einzigen, die noch wachten.

Der greise braune Kapitän und ich sogen schweigend an unseren Zigarren, Monte hatte mir den Kopf auf die Schenkel gelegt, und ich fühlte, daß Sokrates Opideru nun irgendwie die Dinge erwähnen würde, die mir seit Stunden keine Ruhe ließen.

Der Malaie stocherte mit einem Ast im Feuer und blickte mich an. Funken stoben empor, flatterten davon, erloschen …

„Mr. Abelsen, ich möchte Frau Jetta nicht allein gehen lassen …“, flüsterte der Alte eindringlich. „John Arnulf befindet sich …“

Er winkte hastig …

Er verstummte … – Jetta hatte ein kleines Zelt für sich allein errichten lassen, – abseits mehr in der Tiefe des Tales, am nächsten dem Strande zu, hinter Büschen.

Eine Gestalt glitt geduckt davon. Auch Sokrates bemerkte sie nun.

„Jetta …!!“, hauchte er … „Folgen Sie ihr! Sie wird vielleicht jemand brauchen, der für sie eintritt …“

„Halten Sie Monte, – hier ist die Leine … – Monte, lege dich!“ – Ich eilte ihr nach, – sie durchwatete bereits den Wasserstreifen bis zum Korallenklotz, – als sie an dem schlaffen Manilatau emporkletterte, war ich im Bogen zur Ostecke des Felsens gelangt und erklomm hier die rissige Kalkwand.

Es war längst so sternenhell geworden, daß ich das Tun und Treiben der einsamen Frau genau verfolgen konnte. Sie schlich lautlos, vorsichtig und weit vorgebeugt über die Oberfläche des seltsamen Korallengefüges, verschwand hinter der dunklen Masse des eingekeilten Wracks, tauchte wieder auf, näherte sich mir, machte halt, blieb unschlüssig stehen, schien zu horchen, fuhr zusammen … Wie ein unheimliches Knirschen ging es durch den Felsen, – ein Knirschen, als ob ein Untier der Vorzeit die Zähne gegeneinander rieb …

Dann folgte eine leichte Erschütterung, ein stärkeres Knirschen, und urplötzlich löste sich das stählerne Wrack aus der Wunde, die es in das Kalkgestein geschlagen, und rutschte langsam seewärts in sein Element zurück – mit einem grellen Kreischen und metallischen Krachen, mit Poltern und Dröhnen, – – dann ein letzter Schlag, ein Aufspritzen des Wassers, – – und die „Manhattan“ schwamm inmitten des Innengürtels der Riffe wie ein armseliger Schatten ihrer einstigen Schönheit, und doch: Ein Schwert der Vorsehung, das mit einem Stoße das Geheimnis eines vollen Jahrhunderts bloßgelegt hatte!

Der gewaltige Riß in dem Gefüge aus Kalkstein bot dem Dämmerlicht der warmen Tropennacht ungehinderten Zutritt in die Wunder einer bisher von den Korallen umpanzerten Welt.

Schiffe, die untergehen und auf dem Meeresboden auf lebende Korallensiedlungen fallen, werden bereits in vierzig Jahren halbmeterdick mit Korallenkalk umgürtet … Die Wissenschaft hat dies längst gewußt, bekannte Forscher haben derartige umkrustete Schiffe gefunden und erwähnen sie in ihren Werken.

Dieser Korallenklotz hier, der einst unter Wasser gelegen hatte und gleichsam versteinert war, mußte durch ein Seebeben, durch eine Veränderung der Form des Meeresbodens, durch vulkanische Gewalten wieder an die Oberfläche gestoßen worden sein, – wann, das würde niemand mehr feststellen …

Dieser Klotz war ein Piratenschiff, war Don Pedro Benitos „Schwarzer Adler“, – die Korallentierchen hatten die eisenfesten Eichenplanken fast meterdick mit ihrem Baumaterial überzogen, und als der „L’aigle noir“ wieder emportauchte infolge des Einflusses unberechenbarer Naturgewalten, verriet nichts mehr, was diese Korallenhülle barg, – fast nichts mehr, nur noch die seltsame Form und die flache Oberfläche und die Buckel, versteinerte Maststücke und Deckaufbauten wiesen vielleicht auf die wahre Art dieses so kompakt erscheinenden Gebildes hin, das nun, befreit von der Last des Wracks, wieder in seine ursprüngliche Lage zurückglitt, sich aufrichtete und dem gierigen Meer Einlaß in sein Inneres gewährte.

Bei dieser etwas jähen Bewegung dieses Wunderwerkes winziger Tierchen stieß Frau Jetta einen leisen Schrei aus, – sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, sie verlor mit den Füßen den Halt, und zwei Sprünge und ein rascher Griff ließen mich noch ihren ins Leere tastenden Arm erhaschen, ich riß sie zurück, und einen Augenblick ruhte sie an meiner Brust, machte sich schnell frei, behielt meine Hand umklammert, zog mich hin zu dem riesigen Leck, das den „Schwarzen Adler“ fast halbierte.

Das Wasser gurgelte unter uns, aber es stieg nur bis zur halben Höhe des gespaltenen Innenraumes und bedeckte lediglich die Trümmer des grimmen Rammstoßes, die sich im Kielraum angehäuft hatten: Zerbrochene Balken und Bretter, verrostete Kanonen, rostzerfressene Eisenbeschläge, Messingteile, Kalksplitter, Muscheln, Steine und Sand und fahlgrüne oder fahlgelbe Moose und Pilzfelder …

Eine fremde Welt hatte sich uns aufgetan, die ich noch nie geschaut, nur vermutet hatte, und meine Vermutung war richtig gewesen.

Denn dort aus dem Dunkel des leeren Zwischendecks, des Kanonendecks des einstigen Seeräuberdreimasters, tauchte schon der Lichtschimmer einer altertümlichen Schiffslaterne auf … Doktor Sabbatyl hielt die Laterne hoch empor, blinzelte zu uns nach oben und warf mir dann eine Leine zu, die ich rasch am Rande des Lecks befestigte.

„Frau Arnulf, Ihr Schwiegervater Friedrich Arnulf, der hier seit Jahren hauste“, rief der kleine Herr feierlich, „liegt im Sterben … Ich habe John bereits über alles aufgeklärt, kommen Sie schnell, – – John wußte, wo die Schätze Pedro Benitos zu suchen seien, er fand keine Schätze, aber seinen totgeglaubten Vater … Beeilen Sie sich … Der alte Friedrich Arnulf sehnt sich nach Ihnen, er hat Johns allzu stark entwickelte Herrennatur gemeistert, er weilte bereits vor vier und ein halb Jahren hier, als John und mein Neffe Ernst Sabbatyl mit dem D O XII hier strandeten, er hielt die beiden für Fremde, zeigte sich nicht, – kommen Sie, mit dem alten Manne geht es rasch zu Ende …“

Jetta kletterte hinab …

Am Strande tauchten flackernde Holzscheite in nervigen Matrosenfäusten auf … Das Lager war durch den Lärm der zurückgleitenden „Manhattan“ erwacht, halb bekleidete Gestalten durchwateten das Wasser, laute Rufe ertönten, der rote Lichtschein der Fackeln zuckte über das versteinerte Schiff hin, Oberst Lincoln und Sir Roger waren allen voraus, hinter ihnen die kleine geschmeidige braune Gestalt des malaiischen Kapitäns, im Nu füllte sich das verkrustete Deck des „Schwarzen Adler“, und dann schrillte eine einzelne Stimme warnend durch den wirren Tumult:

„Die Jacht, – – Vorsicht, – – die Jacht kehrt zurück!!“

Wer es gerufen? – Irgend jemand … Irgend einer, der hinausgeblickt hatte zum Riffgürtel, über den noch immer vereinzelte Riesenwogen, geboren aus dem aufgerührten Ozean, mit voller Kraft hinwegschäumten …

Wir starrten dorthin, wo jetzt die „Manhattan“, emporgehoben durch das Zufallsspiel von vier dicht aufeinander folgenden grünblauen, glitzernden heranrollenden Wassermauern, gleich einem Fahrzeug unter Volldampf wiederum herbeischoß zu verderblichem Rammstoß …

Blitzschnell spielte sich alles ab …

Ich brüllte Sabbatyl ein paar Worte zu … Er verstand, zog Frau Jetta mit sich fort, – – dem scharfen stählernen Bug voran nahte die halb vernichtete „Manhattan“, wurde von der vierten Woge vorwärtsgeschleudert, stieß mit donnerndem Getöse gegen die versteinerte Bordwand des Freibeuters, traf diesmal mehr nach dem Heck zu, – wir alle wurden durcheinander geworfen, wir hörten ein quälendes, folterndes Dröhnen, Splittern und Knallen, – und dann fiel die eine Hälfte des „Schwarzen Adler“ halb auseinander, als ob man ein Gebäude bei einem Erdbeben einstürzen sieht, – ein Gebäude, von dem ein Flügel unversehrt bleibt, so daß man hineinblicken kann in die Zimmer und Flure und Stuben wie bei einem Bühnenbilde.

So war es hier: Bühnenbild!! – Die „Manhattan“ war zurückgeprallt, schwamm wieder im freien Wasser, aber ihr Werk hatte sie vollendet.

Wir alle, zusammengedrängt auf der unversehrten Seite des Decks, blickten nun hinein in die einstige Kapitänskajüte des Piraten – – wie auf ein gestelltes, packendes Szenenbild … Die Vorderwand der Kajüte fehlte … An den anderen Wänden hingen allerlei Waffen, nautische Instrumente, kupferne Öllampen, – an der Decke pendelten gleichfalls Lampen, – ein mildes Licht beschien das Sterbelager des weißhaarigen, weißbärtigen Greises, neben dem seine Kinder und Jetta knieten, während Doktor Sabbatyl etwas abseits stand. John stützte den Verscheidenden, dessen übergroße Augen nun hinausschauten in das ferne Geflimmer der Sternenwelt, der Ewigkeit …

Und als ob selbst der Ozean diese Minute nicht mit seinen zürnenden letzten Wogen stören wollte, verstummte das Tosen der Brandung, – mit letzter Kraft hob der Greis die Hände, legte sie auf die gebeugten Häupter des wieder vereinten Ehepaares, und laut und klar und machtvoll ertönte seine Stimme und jagte uns die Blässe in die ernsten Gesichter …

„Ihr habt gesucht nach irdischen Schätzen, ihr habt auch die wahre Liebe gesucht, und euch wurde Liebe geschenkt … Don Pedro Benitos Reichtümer brachten euch unvergänglichen Segen, – seid glücklich, bewahrt dieses Glück, wie die Strudel im Buchtwinkel die Kostbarkeiten des großen Freibeuters …“

… Vielleicht lauteten die letzten, allerletzten Worte Friedrich Arnulfs:

„… bewahrt haben …“

Sie blieben unverständlich, diese Worte …

Der Mann, der einst über Pedros Schätze gespottet und dann als ein vom Leben Enttäuschter dennoch viele Jahre nach ihrem Verbleib geforscht hatte, bäumte sich ein letztes Mal empor, saß aufrecht da, glitt zurück, war tot …

 

12. Kapitel.

Was die Tiefe nicht verriet …

… Das alles liegt viele Tage zurück …

Meine Tage hier auf der Colon-Insel kommen und gehen mit derselben Eintönigkeit, mit derselben ewig neuen Belebtheit ihrer Stunden, – es kommt ja nur darauf an, wie man sie wertet, diese Tage, wie wir sie selbst empfinden …

Ich habe ein Heim, das nirgends seinesgleichen haben dürfte: Die Kajüte Don Benitos!

Ich habe die Schar der regsamen Freunde, die unermüdlich an der Ausbesserung der Schäden der Jacht arbeiten …

Taucheranzüge hat die „Manhattan“ an Bord, und sehr bald wird das Steuerruder in Ordnung sein …

Jetta und John hausen in einem Zelt mitten auf der Insel ganz für sich allein, und am Südufer steht seit gestern ein zweites Flitterwochenheim: Kapitän Jellins hat Kraft seiner Befugnisse als Schiffsführer für Sir Roger und Gerda den Standesbeamten gespielt, und die Hochzeitsfeier hat bis in den hellen Morgen hinein gedauert, und die Alkoholvorräte der Jacht und der Brigg dürften arg zusammengeschrumpft sein.

Jetzt in der Frühsonne ist es fast totenstill an der Bucht, in der die beiden Schiffe ankern. Monte und ich treffen nur einen einzigen Mann am äußersten Buchtwinkel: Sokrates Opideru! – Der alte braune Kapitän sitzt auf dem Felsen und starrt in das düstere, tückische Wasser hinab.

„Hallo, alter Sokrates, – – so früh auf den Beinen?!“

Sein verschrumpeltes Gesicht lächelt etwas hochmütig.

„Ich bin strenggläubiger Mohammedaner, Mr. Abelsen …“

„Hm … – Oder – – Sie vertragen mehr Whisky als der strammste Matrose der „Manhattan““, erlaube ich mir zu zweifeln. – Und dann kommt mir ein Gedanke, der wohl wert, hier zu zweien erörtert zu werden …

Sokrates hört zu, warnt … – Ich beharre auf meinem Stück … „Helfen Sie mir!“

Wir rudern zur „Manhattan“, holen einen der Taucheranzüge, dazu eine Luftpumpe, Stahltrossen … elektrische Fackeln … – Ich habe durchaus nicht die Absicht, in dem Höllenschlund dort unten, der mich schon einmal beinahe mordete, elend umzukommen … Alles wird genau überlegt, sorgfältig vorbereitet.

Sokrates schraubt mir den Helm zu, ich klettere die Strickleiter hinab, vor dem Helmfenster schillert Wasser, dann packt mich die in die Tiefe jagende Strömung, die irgendwo im Schoße der Insel verschwindet …

Ich werde mitgerissen, an ein Holzgitter gepreßt, das den Tunnel absperrt … Drei elektrische Lampen leuchten mir … Es ist kein Holzgitter, es sind nur Teile eines eichenen Bootes, die sich hier festgeklemmt haben und die von den Korallen unverrückbar mit dem Gestein verbunden wurden.

Die Strömung hat gewaltige Kraft … Mein Leib liegt flach an den Planken, und vorsichtig schiebe ich die rechte Hand durch eine Lücke, schiebe den ganzen Arm hindurch, beuge ihn und werfe eine der hellen Fackeln in den brausenden Strudel.

Die Fackel gleitet davon, dreht sich, beleuchtet die unbekannte Tiefe …

Ich spähe durch das Helmfenster …

Das Fackellicht wird schwächer … Felszacken sehe ich, in einer Spalte des Tunnels scheint es zu blinken und zu glitzern …

Wie Gold …

Aber das Wasser verschleiert alles, und selbst die zweite Fackel zeigt mir nichts als die bisher ungelöste Frage: Lagern dort in den Tiefen Benitos Reichtümer? –

Dann zieht mich die Kraft einer Winde wieder empor … Ich fühle den Sonnenschein, ich sehe Sokrates Opiderus uraltes Gesicht mit den blanken Augen, der Helm wird gelüftet …

„Nun?“, meint der Malaie neugierig …

Ich zucke die Achseln … „Sollte Don Pedro Benitos Schatz dort lagern, wird niemand an ihn herankönnen … niemand! Das Meer schützt ihn. Keine technischen Hilfsmittel würden jemals diesen Kanal dort abdämmen …“

Sokrates nickt gleichgültig …

„Vielleicht sind Sie der einzige, Mr. Abelsen, der je einen fernen Schimmer dieser Schätze erhaschte … – Wir wollen über diese Morgenstunde schweigen.“

Wir taten es auch …

Benitos Reichtümer haben auch als unerreichbare Fata Morgana, als ein Wunschgebilde, vier Menschenherzen auf andere Art glücklich gemacht.

… Monte und ich sind nun wieder in unserem luftigen Heim, dessen Vorderwand durch Zeltstoff abgedichtet ist … Monte und ich lieben diese Insel, und wenn die Brigg und die Jacht davonfahren zu den Städten der Menschen, werden wir beide hier Robinson spielen, so lange es uns behagt. Und das wird ein köstliches Leben werden, wir werden mit dem bereits gehobenen Schwimmkörper D O XII, unserem Boot, zwischen den Riffen Haifische harpunieren und riesige Schwertfische schießen und uns in unserer Einsamkeit wie die Götter fühlen …

So wird es werden … Und es wird wunderbar schön sein … Das laute Getriebe stört mich. Das Abseits ist Einsamkeit … Und Einsamkeit ist die Quelle der Kraft, ist das Besinnen auf sich selbst und die Neuschöpfung unseres eigenen Seins.

 

Nächster Band:

Die Treppe der Büßer.

 

 

Anmerkung des Verlages:

  1. ↑* Im Dezember 1931 ging folgende Nachricht durch die gesamte Weltpresse: Expedition nach der Cocos-Insel. Der englische Rennfahrer und Rekordmann Sir Malcolm Campbell, dessen Geschwindigkeitsleistungen im Auto- und Motorbootsport schon abenteuerlich genug waren, sehnt sich nach neuen Abenteuern. Er hat beschlossen, der romantischen Gilde der Schatzgräber beizutreten, und rüstet sich zu einer Expedition, die ihm zu märchenhaften Schätzen verhelfen soll. Schon im Januar will Sir Malcolm aufbrechen, um auf der entlegenen Cocos-Insel im Stillen Ozean nach dem Schatz des berüchtigten Seeräubers Don Pedro Benito zu suchen. Zahllose Expeditionen haben bisher danach gesucht, aber nichts gefunden. Doch ist Sir Malcolm Campbell überzeugt, daß die Legende vom Schatz auf der Cocos-Insel keine Erfindung ist. Auf der Schatzgräberexpedition werden vier Freunde Sir Malcolm begleiten: die beiden Golfspieler Robert Sheftel und John Deforest sowie K. Lee Guineß und W. D. Allen. Die fünf tragen zu gleichen Teilen die Kosten der Expedition und wollen die Beute gleichmäßig unter sich verteilen. – Es bleibt dem Leser überlassen, sich ein Urteil über die Aussichten der Campbell-Expedition zu bilden. Das Finale von „D O XII“ ermöglicht es jedem, die einzig richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen.

 

 

Anmerkungen:

  1. In der Vorlage steht: „Vorkomnisse“.
  2. In der Vorlage steht: „Shnidersbüchse“.
  3. In der Vorlage steht: „stieht“.
  4. Eine Anspielung auf das 1929 gebaute Flugboot „DO X“ von Dornier. Siehe auch Wikipedia: Dornier Do X.
  5. In der Vorlage steht: „besingen“.
  6. In der Vorlage steht: „Jutta“.
  7. Grammatisch wie logisch sind weder „ist“ noch „einziges“ korrekt! Text so belassen.
  8. In der Vorlage steht: „Kakijacken“.
  9. In der Vorlage steht: „kanibalenmäßig-kriegerisch“.
  10. In der Vorlage steht: „einem“.
  11. In der Vorlage steht: „nichts“.
  12. In der Vorlage steht: „dem“.
  13. In der Vorlage steht: „zweier“.
  14. In der Vorlage steht: „ungekippten“.
  15. In der Vorlage steht: „gährte“.
  16. In der Vorlage steht: „Bugsprit“.