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Die Treppe der Büßer

 

 

Olaf K. Abelsen

Abenteuer

Abseits vom

Alltagswege

 

Die Treppe der Büßer

 

Einzig berechtigte

Bearbeitung a. d.

Schwedischen von

M. Schraut

 

– Band 38 –

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1932 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16

 

1. Kapitel.

Die Brigg mit der Affenbesatzung.

Das kleine Aluminiumboot mit den beiden Auslegern aus Palmenholz jagte wie eine hochpferdige Rennjacht durch den mäßig bewegten Pacific, und als die Insel, auf der wir nun vier volle Wochen so wunderbar gefaulenzt hatten, unter dem Horizont verschwand, sagte Hamilton Lincoln in übelster Laune:

„Ich finde, das Vieh ist rücksichtslos …!“

Vieh, – eine ganz nette Bezeichnung für einen Hammerhai von etwa zwanzig Zentner Gewicht und acht Meter Länge:

„Ich finde, mein lieber Ham, daß wir die Harpunenleine längst hätten kappen sollen, Sie alter Dickschädel …“, erwiderte ich achselzuckend. „Anderthalb Stunden mühen wir uns bereits ab, dieses Fischlein durch ein paar Kugeln abzutun, und der Erfolg?! Wir sind endlose Meilen von unserem Robinsoneiland entfernt, der Abend naht, und falls der Wind auffrischt, werden wir drei ein Dauerbad nehmen, das bis zum jüngsten Tage währt … Daran sind Sie schuld, Ham …! Sie allein! Und wenn es auch unsere letzte Harpunenleine ist, – ich für meine Person lege keinen Wert darauf, in diesem sogenannten Boot elend zu ersaufen, und Freund Monte schließt sich mir voll an, er macht ein Gesicht, als ob er uns beide für verrückt hielte, und das sind wir auch …!“

Oberst Hamilton Lincoln besaß neben anderen schätzenswerten Eigenschaften eine ungeheuere Abgeklärtheit und Maulfaulheit.

Er kauerte neben mir in dem Aluminiumententrog, Boot genannt, – in Wirklichkeit war das Ding der eine Schwimmer eines großen, längst zu Bruch gegangenen Wasserflugzeuges, und er spähte unverwandt mit seinen grauen Augen vor uns in die grünblauen Wogen, wo die Harpunenleine sich in der Tiefe verlor und mit leisem Zischen und Sprudeln durch die Flut fegte und unseren Patentkahn vorwärtsriß …

Daß unten an der Harpune besagtes „Vieh“ angespießt war und nun blitzschnell und unsichtbar immer gen Osten schwamm, während ich nur darauf aufzupassen hatte, die Leine zu kappen, falls der Hammerhai abermals seine Späßchen versuchen und urplötzlich noch tiefer hinabgehen sollte, erhöhte dieses Jagdvergnügen keineswegs, das uns im übrigen, abgesehen von der Zählebigkeit der Bestie, gar nichts Neues bot, da wir die Ferienwochen auf der einsamen Colon-Insel nur mit Haifischjagd, Schwertfischfang und ähnlichem Sport, für den der Nachkomme des ersten amerikanischen Präsidenten[1] fanatisch schwärmte, ausgefüllt hatten.

Ham zog die Nase kraus, kniff die Augen klein und sagte hastig:

„Er wird schlapp, Olaf …!!“

Ja, das Sprühen und Gurgeln um den Bug unseres höchst seeuntüchtigen Fahrzeuges ließ nach, die geteerte dünne Trosse wurde schlaff, und urplötzlich schoß keine fünf Meter links von uns der gewaltige Bursche samt Harpune wie ein falsch gesteuertes Torpedo aus dem Ozean in die Lüfte, drehte sich im Sprung, Freund Ham feuerte blitzschnell drei Schüsse gegen den mißgestalteten Schädel, und der Hai fiel klatschend zurück, schlug mit dem Schwanz den linken Ausleger wie einen Strohhalm weg und tauchte wieder in die grünen Abgründe zurück, wo er nun in allerletzter toller Raserei hin und her schnellte und schließlich wiederum auftauchte, den weißgelblichen Bauch nach oben …

„Erledigt!“, meinte Ham frohlockend.

„Ja, – – wir!“, fügte ich trocken hinzu und deutete nach Westen, wo die Sonne in einer bedrohlichen Dunstschicht sich für heute und für uns vielleicht für immer verabschiedete.

„Oberfaul!“, bestätigte Lincoln nach prüfendem Blick auf die Ränder der Wolkenbank.

„Ich werde den Ausleger wieder befestigen, Ham, – bringen Sie die Sache mit Ihrem Fischlein in Ordnung, aber etwas flink“, – ich tauchte das Blattruder ein, bekam den zugespitzten Palmenstamm dann mit dem Bootshaken zu fassen, streifte meine spärliche Kleidung ab und glitt über Bord, da ich den Holzbalken nur im Wasser wieder an die Seitenstützen anbinden konnte.

Der Hai trieb davon, auch ich war mit meiner Arbeit fertig, und wir setzten den dünnen Mast ein, hißten das große Segel und horchten schweigend auf das ferne Grollen eines jener bösartigen Äquatorgewitter, die hier im mittleren östlichen Teil des Pacific in einer halben Stunde den Ozean in einen brodelnden Hexenkessel verwandeln.

Der Wind wurde stärker, das Segel war prall gefüllt, und unsere Miniaturfregatte flüchtete gen Osten, immer weiter weg von unserer Insel, auf der wir freilich von unserer geringen Habe nur Überflüssiges zurückließen. Wir hatten es uns grundsätzlich angewöhnt, vor jedem Jagdausflug alles Wertvolle in den Ententrog zu verstauen.

Freund Ham fühlte nun doch wohl, wie töricht er sich von seiner Jagdleidenschaft hatte hinreißen lassen, er schaute immer besorgter gen Westen, die Wogenkämme schwollen an, wir bekamen viel Wasser über Bord, und schließlich mußten wir zu dem letzten Mittel greifen, wenn wir nicht wegsacken wollten: Wir spannten die längst vorbereitete Persenning über das Boot, knöpften sie fest, die Ölleinwand hatte drei Löcher mit Zugschnüren, und wir drei steckten nun wie die Eskimos in einem Kajak und schossen dahin wie ein Totenkahn, der den Fluß der Unterwelt, den Styx, überquert.

Es wurde finster.

Hinten flammte das Firmament wie der nächtliche Himmel über einem riesigen Vergnügungspark, in dem ein Monstrefeuerwerk abgebrannt wird.

Ham war ganz verstummt.

Er sah wohl ein, daß wir genau so erledigt waren wie der Hammerhai, daß unser Kampf gegen den Tod nur ein Sport war, Männersport in der großen Wasserwüste und großen, grauenvollen Einsamkeit.

Trotzdem: Weder er noch ich gaben die Hoffnung auf, so lange auch nur eine einzige Aussicht auf Rettung vorhanden.

Ham hielt die Stelleine des großen Segels in den Händen, um sie jeden Augenblick loslassen zu können. Ich schöpfte das Wasser aus, Monte winselte, der Sturm orgelte, und die Wellen gaben sich alle Mühe, uns drei schleunigst auszuwischen.

Ohne die Ausleger wäre unser Kahn wie ein Bleiklumpen weggesackt. Wir hatten für diese fünf Meter langen Ausleger halbverdorrte Stämme gewählt, also Holz, das sehr leicht schwimmt, wir hatten die zugespitzten Pfähle gründlich gefirnißt, und ihre Tragkraft und Stützkraft war so groß, daß sie uns über die kritischen Minuten hinweghalfen.

Hamilton steuerte jetzt mehr südlich, um dem Unwetter auszuweichen, – ein ungeheures Risiko, denn wir bekamen die grimme See halb von der Seite, und doch mußten wir es wagen: Gerieten wir in das Sturmzentrum, war alles verloren!

Es war eine unerhörte Nervenanspannung, diese Flucht vor dem Gewitterorkan, es war eine Belastungsprobe bis zum äußersten für Muskeln und Sehnen und Augen, es war ein immerwährendes Auf dem Sprung sein, ein endloses, zermürbendes, folterndes Abwarten: Wann ist es mit euch so weit?!

Aber wir waren beide auch trainiert für solche Stunden, wir hatten auf der Colon-Insel die letzten vier Wochen wie die Insulaner gelebt und vorher, als es um die Suche nach einem Piratenschatz ging, uns auch nicht gerade verweichlichen können. Unser Aluminiumtrog war das letzte Andenken an das Wrack D O XII, mit dem einst zwei eisenharte Kerle die Weltmeere überflogen hatten … All das gehörte der Vergangenheit an. Die Gegenwart war neuer Weg ins Abseits, und falls wir wirklich mit dem Leben davonkommen sollten, würde unser Robinsoneiland uns nie wiedersehen … –

Es begann zu regnen … Wie es in den Tropen regnet … Wasserfässer wurden über uns umgekippt … Nasser, wie wir es schon waren, konnten wir nicht mehr werden. Aber der Sturm ließ nach, Freund Ham steuerte noch immer nach Süden, und eine Viertelstunde darauf schwammen wir mit unserer feinen Fregatte in rabenschwarzer Finsternis und inmitten eines unbegreiflichen Dauerregens auf verhältnismäßig ruhigem Wasser.

Ham band die Stelleine fest. „Olaf, haben Sie vielleicht zufällig frische Menschenhaut vorrätig?“, fragte er mit dem herzerfrischenden Galgenhumor, der ihm neben vielen anderen Eigentümlichkeiten ebenfalls zur Verfügung stand. „Meine Handflächen sind nämlich durch die Stelleine vollkommen abgeledert, und sie brennen mir wie mit Salzsäure übergossen …“

„Weg vom Steuer, Ham …! Ich werde Ihnen eine Kokosnuß aufschlagen … (Wir hatten gut zwei Dutzend reife Nüsse im Kahn) Kokosnußmilch kühlt … – Weg vom Steuer!!“

Wenn Hamilton Lincoln erklärte, seine Pfoten seien hautlos geworden, mußte es schon ganz arg damit bestellt sein.

Er schob sich an mir vorüber, kroch in mein Persenningloch, und ich versuchte die Karbidlaterne anzuzünden.

Man sah kaum die Hand vor Augen.

Endlich brannte das Ding, ich nahm das Beil, und dann erhielt Freund Ham einen losen Verband …

„Großartig!“, lobte er … „Kokosmilch, – Patentmedizin …! Nun stecken Sie mir noch eine Zigarre zwischen die Zähne, und ich fühle mich wie in einer Luxuskabine …“

Die Laterne baumelte am Mast hin und her. Ihr Lichtstrahl war bescheiden, der Regen breitete seine Schleier über die dicke Glasscheibe mit der Gummieinlage …

Luxuskabine, – – und dabei hätte uns drei in diesem unglaublichen Kahn ein verwöhnter Kulturmensch sehen sollen!! Er hätte seinen Augen nicht getraut!

Zigarre …!! Bei diesem Regen?! Und wir besaßen nur noch eine Kiste voll!

„Zigarre wird abgelehnt – – Verschwendung“, erklärte ich dem Oberst, der mit seinem braunen Raubrittergesicht vor mir hockte und mit dem Ellenbogen Montes Kopf zu streicheln suchte.

„Recht so!“ Ham lachte. „Zigarre war nur ein Witz. Ich wollte sagen: Eine …“

Er hat es nie gesagt …

Montes warnendes Blaffen kam zu spät …

Unsere Fregatte sauste mit etwa zwölf Knoten Fahrt gegen ein sehr hartes Hindernis, der eine Ausleger brach ab, der Blechtrog selbst hob sich einen Moment schräg aus dem Wasser, rutschte von dem senkrechten Hindernis zurück, und ich, der am weitesten hinten saß, versank in die Tiefe, riß im Versinken rein automatisch das Messer aus dem Gürtel, zerschnitt die Persenning, fuhr empor, packte ein ruppiges Hundefell, und sah vor mir einen Schatten: Ein Boot!

Packte wieder zu, schleuderte Monte hinein und brüllte sorgenvoll in die graue Finsternis:

„Lincoln – – hallo, – – Lincoln!!“

Schräg über mir aus der Luft kam die Antwort:

„Schreien Sie doch nicht so, Olaf … Ich bin nicht taub …“

… Zu sehen war nichts … nichts …

„Zum Teufel, wo stecken Sie denn, Mann?! Auf dem Steilufer einer Insel?!“

„Hölzerne Insel, – – Schiff, Wrack, Dampfer, – weiß nicht was, jedenfalls: Schiff! – Ich werde das Boot näher heranziehen … Am Heck hängt eine Strickleiter, und die erwischte ich gerade noch, als unser Steamer wegsackte … – Aha, hier ist die Leine … – Verflucht, – – Kerl, Hand von meiner Gurgel …! Schuft infamer, ich …“

Ein Schuß knallte …

Irgend etwas platschte neben mir ins Wasser und versank …

„Hamilton, leben Sie?!“, kreischte ich in Todesangst …

Plötzlich tauchte ein Gesicht über dem Bootsrand auf …

Ham keuchte: „Helfen Sie mir …! – Verdammte Bestien …!“

Er fiel ins Boot, blieb liegen …

Als ich mich über ihn beugte, fühlte ich etwas Warmes, Feuchtes auf seiner Stirn …

Der Regen hatte urplötzlich aufgehört. Ebenso jäh zerriß die Wolkendecke … Durch ein Loch der schwarzen Unwetterfahnen glomm Sternenschein herab.

Hamilton war ohnmächtig. Er hatte eine schwere Hiebwunde mit kantigen Rändern an der Stirn, – das Boot war ein halbgedeckter Kutter und lief im Schlepptau hinter einem hochbordigen Zweimastsegler her, – nachher sah ich, daß es eine Schonerbrigg war, wie sie die deutschen Schiffswerften für den Frachtverkehr in den Küstenstrichen so tadellos und so billig herstellten. –

Freund Ham war kein Wickelkind. Der Kopfhieb tat ihm nicht viel, ich hatte ihm die Schmarre kaum verbunden, als er auch schon erwachte und Whisky verlangte.

„… Mir ist flau im Magen, Olaf … Dieser Rettungskahn hat achtern einen Verschlag … Vielleicht finden Sie dort etwas Alkoholartiges. Ich habe nichts dagegen, mich mit ehrlichen Halsabschneidern herumzuschlagen, aber Affen!! Nein! Der Schreck fuhr mir bis in die Marksknochen, als die Schimpansen mich anfielen … Schim…pansen, – Tatsache …!“

… Eine Weile blieb ich stumm. – Schimpansen?! Das wollte verdaut werden. Wenn ein anderer von Affen geredet hätte, die hier im Pacific auf einem Segler umhergondeln sollten, würde ich starke Zweifel gehegt haben. Ein Mann von Hamiltons Format sieht keinen Spuk, – der weiß schon, ob es sich um Affen oder Menschen handelt.

„Also Schimpansen!“, – und ich lugte zu dem Heck des schlingernden Schiffes empor, konnte jedoch nichts wahrnehmen. „Haben Sie eins der Viecher erschossen, Ham?“

„Nein …“ Er saß aufrecht und lächelte sonderbar. „Aber eine der Bestien warf irgend etwas nach mir …, – ich glaube, es war ein großer Kochtopf …“

Freund Monte schien jetzt von der Gesellschaft da oben Witterung bekommen zu haben und knurrte.

„Sahen Sie Menschen an Deck?“, fragte ich sehr überflüssigerweise. – Welches Schiff wird wohl nachts bei solchem Wetter ohne jede Laterne, mit gerefften Segeln und ohne Mann am Steuer durch die Wogen torkeln?!

„Ich sah gar nichts – nur Schatten, – fünf, sechs … Ich fühlte nur den Griff an meiner Kehle, und da feuerte ich und riß aus … Das war alles.“

Ja, das war vorläufig alles …

Ich suchte im Heckverschlag des Bootes, den ich aufbrechen mußte, nach Alkohol. Meine tastenden Hände berührten eine Laterne, ich machte Licht und staunte dieses hier aufgestapelte Proviantlager kopfschüttelnd an. Dann fischte ich eine Flasche Brandy aus einer Kiste, kehrte zu Ham zurück, schlug den Flaschenhals ab und füllte einen Blechbecher.

„Trinken Sie, Ham …! Ob Schimpansen oder Gorillas oder Orang Utans, – dieses Boot hat eine Speisekammer für Schlemmer. – Trinken Sie doch …!“

Die Laterne hatte ich mir vor die Brust gehakt. Ihr Lichtschein spielte über Montes Schädel und über Hams große Augen, die schräg nach oben gerichtet waren.

„Vorsicht!!“

Lincoln duckte sich, ich desgleichen, – die Schonerbrigg beschrieb gerade wieder zur Abwechslung einen Halbkreis nach links, und nur deshalb flog die größere Anzahl der verschiedensten Wurfgeschosse ins Wasser. Lediglich ein Wasserkessel und ein Schraubenschlüssel knallten gegen die Rudersitze und machten mehr Lärm als unbedingt nötig und für unsere Nerven zuträglich.

Ich hatte nun über der Heckreling fünf Oberkörper erspäht, Schimpansen …

Sie stießen seltsame Töne aus, gestikulierten wild, verschwanden, und Ham meinte trocken:

„Das kommt davon, daß man unsere Affenvettern so gut dressiert … Sie verlieren schließlich jeden Respekt vor uns.“

Ich wollte ein zweites Bombardement nicht abwarten, ich hatte bereits gesehen, daß das Boot die volle Ausrüstung an Rudern, Mast und Segeln unter den Sitzen mit sich führte und kappte kurzer Hand die Leine.

Das Boot taumelte noch kurze Zeit hinter dem Segler her, die Entfernung wurde größer, ich steckte schnell die Dollen ein, nahm ein paar Riemen und ruderte hinterdrein.

„Sehr gut“, lobte Ham … „Der Whisky ist erstklassig, Olaf … Trinken Sie nur … Und billig!!“

Da der Segler ziellos und planlos bald hierhin bald dorthin trieb, ermüdete diese Art Verfolgung und wurde auch mit zunehmender Helle recht langweilig.

Der Himmel war wolkenfrei geworden, im Osten dämmerte der neue Tag herauf, das im Boote angesammelte Regenwasser hatte Ham ausgeschöpft, und nach kurzer Beratung beschlossen wir, die Schonerbrigg, die auch am Heck den schönen Namen „Valparaiso“ trug, nötigenfalls mit Gewalt zu entern. Wir hatten bisher an Bord lediglich die langen Schnauzen der Schimpansen und nicht ein einziges ehrliches Jan Maat-Gesicht bemerkt, und die „Valparaiso“ war neu und schmuck und unversehrt und viel zu schade dazu, einem Orkan zum Opfer zu fallen. Außerdem reizte uns auch, festzustellen, wie diese Affenbesatzung so ganz allein auf der Schonerbrigg zurückgeblieben sein könnte.

Ich ruderte kräftiger. Von der Affenbesatzung ließ sich niemand sehen. Als wir den Segler fast erreicht hatten, erschien urplötzlich am Heck ein kleiner alter Kerl in einer Art Bademantel, starrte uns sprachlos an und raunte darauf unter schrillen Pfiffen wieder davon.

„Ham, – – festhalten, – – dort ist die Strickleiter!“

Ich packte Monte …

Im Nu waren wir an Deck, im Nu hatte ich auch Freund Ham emporgehißt …

„Rein in die Heckkajüte, – – los doch!“

Das Deck war leer …

Aber in der polierten Türfüllung der Kajüte stand nun eine junge Dame in einem feenhaften, hellila Pyjama, mit roten Morgenschuhchen, schwarzem Bubikopf und etwas blassem Gesichtchen, das jedoch keinerlei Bestürzung oder eine andere Gemütserregung verriet.

„Verlassen Sie das Schiff wieder, meine Herren“, sagte sie sehr höflich und sehr bestimmt. „Das Boot steht Ihnen zur Verfügung …“

Hinter der eleganten Miß zeigte sich eine halbverfaulte Riesenzitrone, das heißt der kleine Kerl von vorhin, und der Schießprügel des Zwerges im Bademantel unterstrich die höfliche Aufforderung mit einem blaffenden Knall, – die Kugel surrte über uns hinweg, und – – das erste Kapitel war damit beendet.

Monte hatte den Schuß als persönliche Beleidigung aufgefaßt, und Monte hat immerhin die Rückenhöhe eines Schäferhundes, aber ein weit stärkeres Gebiß und weit flinkere Bewegungen.

Die verfaulte Zitrone zeterte, Monte lag über ihr, und bevor die Miß noch die Repetierbüchse aufheben konnte, hatte ich ihre Hände gepackt.

Wir waren, so schien es, nun Herren der Schonerbrigg.

Was wir waren, merkten wir sehr bald.

 

2. Kapitel.

Wir erhalten Befehle, – von wem?

Der schwarze Bubikopf lächelte mich nachsichtig an, – so etwas von oben herab, – sehr kavaliermäßig schauten wir ja nicht aus. Ihre englische Aussprache hatte einen unbestimmten Unterton, weicher und zirpender als das Londoner, so stark gekaut klingende Englisch. „Sir, wollen Sie meine zarten Gelenke zerbrechen?! Es war von Alonso Rosso eine unverzeihliche Torheit, die Feindseligkeiten in der Art zu eröffnen …“

Das sagte sie … Und sie lächelte … So etwa das Lächeln eines verwöhnten Kindes, das, in Luxus und Reichtum aufgewachsen, plötzlich die harte Rute eines strengen Erziehers spürt und zunächst gar nicht begreift, daß eine solche Behandlung ihr je geboten werden dürfte.

Ein Kind, ein halbes Kind, das war sie noch. Die schmächtige Figur in dem seidenen Schlafanzug wirkte etwas unfertig, die Gesichtszüge deuteten auf kaum sechzehn Jahre hin, nur die dunklen großen Augen standen in schroffem Widerspruch zu diesem ersten Gesamteindruck, denn die Blicke der Fremden waren gesättigt von einer herausfordernden Ironie und von einem klaren Gefühl der Überlegenheit. – Sie war schön, dieses Mädchen, und als ich ihre Handgelenke frei gab und mit dem gleichen etwas blinzelnden Blick ihr diente und Monte am Halsband zurückzog, hörte ich neben mir Freund Hams verlegenes Räuspern und eine stockende Entschuldigung:

„Verzeihen Sie, Miß, – – die ganzen merkwürdigen Umstände, – – Sie erlauben: Oberst Hamilton Lincoln, Newyork, – das hier mein Kamerad Mister Olaf Benson, – – und der da, – – das ist Monte Christo, ein Hund von fabelhaften Eigenschaften …“

Sennor Alonso Rosso in seinem Bademantel – es war ein Bademantel, und er trug darunter lediglich eine Schwimmhose – rappelte sich auf und hüllte den bunten, flockigen Stoff enger um seine kleine, fleischlose Gestalt, grinste verbindlich, wobei sein Goldgebiß unter dem dünnen Schnurrbart aufblitzte, und verneigte sich … „Es tut mir aufrichtig leid, daß die Büchse sich aus Versehen entlud“, log er mit unnachahmlicher Unverschämtheit. „Wir freuen uns sogar, Sie beide hier begrüßen zu dürfen, – nicht wahr, Miß Collinwratt, – es ist so, wir freuen uns …“

„Ja, – jetzt ja“, erklärte die Miß spitzbübisch den Kopf auf die Seite legend und Ham mit Blicken bombardierend, die einen Eisblock erwärmt hätten. „Sie, Oberst Lincoln und Ihr Freund sind uns natürlich willkommen … Nicht jeder hätte uns helfen können, nicht jedem Beliebigen würden wir Vertrauen geschenkt haben … Unsere Lage ist in der Tat sehr eigentümlich, meine Herren … – Sie gestatten jedoch, daß ich und Sennor Rosso zunächst Toilette machen … unseren Anzug etwas vervollständigen … Die Schimpansen sind eingesperrt … Bitte, treten Sie so lange hier ein …“ Sie öffnete eine Tür linker Hand … „Bitte, tun Sie ganz, als ob die „Valparaiso“ Ihnen gehörte … – Auf Wiedersehen in kurzem …“

Sie verschwand rechter Hand, Sennor Rosso geradeaus, – der Vorraum des Kajütaufbaus besaß vier Türen, und wir traten ein …

Eine wahre Luxuskabine empfing uns. Oder ein Luxusspeisesaal im kleinen, – oder ein Rauchsalon im kleinen … – Dieser Raum war für alle Bedürfnisse verfeinerter Lebensführung hergerichtet: Kostbare Teppiche, Seidenbespannung der Wände, Klubmöbel, ein praktisches, schönes Büfett aus kaukasischem Nußbaum, ein ebensolcher Schreibtisch, elektrische Lampen aller Art …

„Donnerwetter!“ – Ich war starr.

Oberst Hamilton, Kulturprodukt aus Wolkenkratzerschluchten Newyorks, zur Hälfte Geheimagent, vornehmer Detektiv und Diplomat, zur Hälfte Klubmann, Sportler und, was sein Innenleben betraf, sehr schwer zu enträtseln, meinte nur: „Ganz hübsch, – – nur sehr unpassend für uns halbnackte Strolche.“

Das stimmte.

Was Monte betraf: Er knurrte!! Und er hatte den Bernhardinerschädel mit den Ohrfetzen der Tür zugewandt, und sein kalbfellartig geschecktes Rückenhaar stand senkrecht. – Er war der einzige, der das Umdrehen des Schlüssels von draußen deutlich gehört hatte, – ich hatte nur ein Knacken vernommen, und als ich mir über dessen Natur klar geworden, war es zu spät, und meine Hand fand an dem zierlichen Messingdrücker genau so starken Widerstand wie an der zierlichen Tür selbst, die weit dicker und fester war, als wir zunächst vermuten konnten.

„Was gibt es?!“

Ham sah mit staunenden Augen, wie ich den Schreibsessel packte und mit wütendem Hieb die obere Türfüllung herausschlug. Das Holz splitterte, die Füllung flog in den dunklen Vorraum, und sogar Hams Pomadigkeit wurde zu frischem Tatendrang, als ich durch das Loch schlüpfte und an der Ausgangstür zum Deck rüttelte. Auch sie war versperrt.

„Ham, her mit einem Schemel, – – etwas flink!!“

Wieder donnerte Holz gegen Holz, aber diese Außentür widerstand, die Schemelfüße brachen ab, und erst der festere Schreibsessel, den der Oberst durch das Loch zwängte, genügte als Rammbaum, – die Tür flog rückprallend nach innen auf, und Monte wollte an Deck.

Wollte …

Sechs flache Stufen liefen zum Achterdeck empor, – Monte fuhr jaulend zurück, ein Aluminiumkessel bekam eine Beule, Montes Nase blutete, und vor uns standen oder hockten fünf ausgewachsene Schimpansen, deren häßliche Gesichter in toller Wut zuckten und deren gefährliches Gebiß im Frühsonnenschein warnend funkelte – – wie bestes poliertes Elfenbein.

Ein halbzentnerschwerer Schraubenschlüssel knallte gegen die Tür, die ich gerade wieder zuschlug, – zum Glück war die Außentür vorhin heil geblieben, nur das Schloß war aufgesprungen, Freund Ham stemmte sich mit gegen die Tür, und der Ansturm der Bestien blieb erfolglos. Sie waren vorgeschnellt, wir hörten ihre Körper und Fäuste gegen die Tür klatschen, wir fühlten den Druck ihrer enormen Muskeln, hörten ihr häßliches Schreien, und sogar Hamilton Lincoln vergaß alle Wohlerzogenheit und belegte die angebliche Miß Sowieso mit Schmeichelnamen, die nur im Wortschatz eines betrunkenen urwüchsigen Dockarbeiters zu finden sind. – Kleine Kanaille war noch der salonfähigste dieser Ausdrücke.

„Ham, wir müssen die Tür absteifen“, unterbrach ich seine ungewohnte Redseligkeit. „Sehen Sie zu, ob Sie nicht einen Tisch hier in den Vorraum schaffen können.“

Der Oberst probierte, ob das Schloß nicht in Ordnung zu bringen sei. Das Schloß hatte noch einen Innenriegel, und der war intakt geblieben. Trotzdem verbauten wir die Tür noch mit einem Tisch und der Stahlmatratze aus Miß Sowiesos[2] Kabine, einem sehr luxuriösen Raume, der jedoch niemals von vornherein für eine Dame bestimmt gewesen sein konnte.

Es lag mir nun viel daran festzustellen, ob das Mädchen und die alte Zitrone von der Schonerbrigg, die doch fraglos für ganz besondere Zwecke erbaut worden war, etwa mit dem großen Rettungsboot, das wir bereits benutzt hatten, entflohen seien. Der Achteraufbau des Seglers hatte ringsherum vergitterte Seitenfenster, bildete also nur die Decke der Kajüträume und ragte etwa ein Meter über das Deck hinaus. Da ich die Schimpansen noch vor der Außentür vermutete, betrat ich die Kabine des alten kleinen Burschen, fand den Raum als Kapitänskajüte hergerichtet, öffnete eins der Oberlichtfenster und wuchtete das Messinggitter mit einem Stuhlbein heraus. Ham war als Posten an der Außentür geblieben.

Ich kroch vorsichtig an Deck, hielt die Pistole bereit, überblickte das Meer mit rascher Kopfwendung und bemerkte auch wirklich das Boot, das genau nach Süden steuerte, und in dem nur zwei Personen zu sehen waren. Am Heck war jetzt ein Außenbordmotor befestigt, und das Boot lief so schnell, daß dieser Motor recht kräftig sein mußte.

Als ich mich dann halb umdrehte und über die Schonerbrigg hin nach vorn schaute, sah ich die fünf Schimpansen neben dem Kombüsenaufbau in der Sonne sitzen, wo sie in bester Laune Bananen vertilgten. Hinter dem Kombüsenaufbau war ein langer Kasten mit Stahltrossen festgezurrt – offenbar der Käfig für die Tiere.

Wertvoller als diese Beobachtung war mir jedoch der Spritzenschlauch, der auf dem sanft gewölbten Dach des Lichtschachtes lag. Der Schlauch lief nach achtern bis zum Kompaßstock, wo aus den Deckplanken ein Rohr mit einem Verschlußhahn hervorragte. An dieses Rohr war der Schlauch festgeschraubt. Das Mundstück bestand ans Messing, hatte ebenfalls einen Hahn, und die Strahlrohröffnung war mindestens daumendick. Als ich den Schlauch befühlte, fand ich ihn prall mit Wasser gefüllt, und auch die Stellung des Hahnes an dem Deckrohr verriet mir, daß diese Spritze gebrauchsfertig war.

Den Gedanken, daß etwa die beiden Flüchtlinge die Spritze für uns zur Abwehr der Affen zurückgelassen haben könnten, wies ich zunächst von mir. Später änderte ich meine Meinung, und auch Ham gab mir recht: Die Miß Sowieso hatte uns auf das einzige Mittel hinweisen wollen, die Tiere in die Käfige zu scheuchen.

Der Schlauch war etwa fünfundzwanzig Meter lang und genügte für meine Zwecke vollkommen. Ich blieb an der Backbordseite, wo achtern die Strickleiter hing. Außerdem hatte Ham noch zwei Taue ins Wasser geworfen und oben an der Reling befestigt.

Als ich etwa in einer Höhe mit dem Kombüsenaufbau war, wurde die Sache kritisch. Jeder Schritt brachte mich der Entscheidung näher. Der nachschleifende Schlauch machte allzuviel Lärm, und wenn die fünf Bestien nicht gerade sehr üble Erfahrungen mit dieser Spritze gemacht hatten, würden sie kaum vor einer Attacke zurückscheuen.

Rechtzeitig besann ich mich da auf die schrillen Pfiffe, die die alte Zitrone ausgestoßen hatte. Die Vermutung, daß es Signale für die Affen gewesen, lag nahe … Der alte Bursche hatte die Pfiffe mit Hilfe des gekrümmten Zeigefingers hervorgebracht, und auf keinem Fall konnte es etwas schaden, wenn ich ebenfalls pfiff … Vielleicht war es das Zeichen für die Schimpansen, schleunigst in ihren Käfig zurückzukehren.

Ich pfiff …

Von achtern brüllte der vornehme Ham:

„Mensch, sind Sie total übergeschnappt …?! Bestellen Sie sich doch eine Militärkapelle, die macht noch mehr Radau!“

Ich lugte um die Käfigecke …

Mochte Ham nur spotten, nicht eins der Tiere war zu sehen!

Ich bemerkte, daß sie verschüchtert in einem Winkel kauerten, pfiff nochmals und ließ dann die Gitterfalltür herab.

Nun waren wir Herren der Schonerbrigg …

Glaubte ich …

Winkte Ham … „Bitte!! Erledigt!“

Lincoln kam herbeigelaufen. Wir standen vor einem langen Käfig, der drei Abteilungen mit Zwischentüren hatte. Die Schimpansen zeigten sich sehr manierlich, die Pfiffe und der Spritzenschlauch hatten ihnen alle Mucken ausgetrieben.

Ham schlenkerte mit dem Kopf. „Unglaublich! Wir erleben Dinge, die …“, – der Rest war eine vielsagende Geste nach dem flüchtenden Boot hin, das im Süden nur noch als Punkt zu erkennen war.

„Und nun, Olaf?“, fügte Lincoln fragend hinzu.

„Verfolgen!!“ Das war meine ganze Antwort.

„Und ins Verhör nehmen die kleine Kanaille.“

„Ja … – Die „Valparaiso“ hat einen Hilfsmotor, hat am Heck neben dem Steuer den Anlasser … Ich werde mal nach dem Motor sehen. Sie steuern, Ham …“

Wir hatten Eile … Wir hätten uns die Hast schenken können, denn der Motor war absichtlich unbrauchbar gemacht worden, und als ich ein paar Segel setzen wollte, fand ich sauber beschlagene Segel vollständig zerfetzt – alle, wie sich nachher herausstellte … In geradezu barbarischer Weise hatte man die fast neuen Segel mit einem Messer zerschnitten.

Ham, der inzwischen Freund Monte an Deck gelassen hatte, schaute sich die Bescherung sehr ruhig an.

„Das hätten wir uns alles voraussagen können, Olaf … Sind Sie enttäuscht?!“

Seine Wurstigkeit störte mich. „Sie nicht?!– Bevor wir die Reservesegel herausgesucht haben, ist das Boot über alle Berge …!“

„Wasserberge – ja …! Glauben Sie, daß die beiden sich im offenen Boot in den Pacific trauen werden?“

„Die Galapagos-Inseln liegen im Süden“, erklärte ich … „Und sie sind das nächste erreichbare Land für die beiden … – Ich werde mich nach den Reservesegeln umtun. Mittlerweile kochen Sie uns Kaffee, Ham, – – aber pechschwarz, bitte …“

„Bitte“, sagte der Oberst und verschwand in der Küche.

Es war jetzt sieben Uhr morgens.

Um halb acht hatten wir das Großsegel angebracht, ebenso die Klüver, und die Schonerbrigg fegte nur so durch das Wasser, sie gehorchte dem leichtesten Steuerdruck, sie war schnittig gebaut und nahm es an Schnelligkeit mit jedem der berühmten Klipper auf, die man einst als Kaperschiffe vom Stapel ließ.

Wir frühstückten am Heck. Wir waren nun genau sechsundzwanzig Stunden ohne Unterbrechung auf den Beinen, und Freund Ham klapperte mit den Augen wie ein Schlaftrunkener. Selbst der Mokka half nichts.

„Ham“, befahl ich daher, „Sie legen sich jetzt schlafen … Nach sechs Stunden wecke ich Sie …“

„Rührend selbstlos!“, nickte er und verduftete schleunigst.

Ich wunderte mich doch etwas, – aber nachher wunderte ich mich nicht, denn Oberst Lincoln erschien bereits nach einer Viertelstunde wieder an Deck: rasiert, frisiert, in einem leidlich passenden weißen Anzug und mit einer Mütze, die zwei Nummern zu groß war.

Er lächelte … „Dachten Sie alter Schwede, ich würde Sie im Stiche lassen …! Ich kann auch drei Nächte ohne Schlaf auskommen …“

Wir berieten. – Unbedingt mußte das Schiff erst einmal richtig durchsucht werden.

„Das tun Sie und Monte“, erklärte Ham und verpaßte sich eine dicke Zigarre.

Der Wind war günstig und stätig, und Ham würde mit der „Valparaiso“ schon fertig werden.

Ich begann mit Miß Sowiesos Kabine. – Nichts von Bedeutung dort …

Ich nahm die Kapitänskajüte vor, in der Ham sich so fein herausstaffiert hatte.

Nicht ein Fetzen Papier war vorhanden, geschweige denn Schiffspapiere.

Im Salon war erst recht nichts zu entdecken, was über Heimathafen, Besitzer, Fahrtziel und Sonstiges Auskunft gegeben hätte.

Monte trottete hinter mir her, – wir stiegen durch die Vorderluke in den Raum hinab. Das Ladedeck war leer, die „Valparaiso“ führte nur Ballastsäcke mit sich, und diese Säcke machten mich stutzig.

Es waren neue, derbe Säcke, und sie trugen einen Firmenstempel:

H. St.
H.

Außerdem bemerkte ich an einem der Säcke noch einen halb abgerissenen Lieferzettel angebunden, den einer Hamburger Sackfabrik:

J. G. Matthie…
Hambu…

Ich ergänzte „Matthiessen, Hamburg“ …

Das war immerhin ein Fingerzeig.

Vom Laderaum führte eine Tür vorn in das Mannschaftslogis, das für zwölf Leute eingerichtet war.

Ich fand hier untrügliche Anzeichen dafür, daß das Logis bis vor kurzem belegt gewesen und benutzt worden, fand jedoch weder Kleidungsstücke noch sonst etwas.

Die Sache wurde immer geheimnisvoller, zumal auch die hier vorn befindlichen Kojen für zwei Schiffsoffiziere fast zu elegant ausgestattet waren.

Da ich Monte stets neben mir hatte, war es ausgeschlossen, daß sich irgendwo ein Mensch verbergen könnte, oder aber daß irgendwo Leute der Besatzung gefangen gehalten würden.

Das Schiff war bis auf uns drei und die fünf Schimpansen leer.

Ich begab mich in die Kombüse. Auch hier war alles tadellos, die Vorratskammer enthielt nur das Allerbeste und war überreich gefüllt, zwei Trinkwassertanks waren voll, der dritte halb leer.

Dann suchte ich nochmals den Raum am Heck auf, in dem der vierzylindrige Dieselmotor eingebaut war. Mir als Ingenieur tat es besonders weh, daß man einzelne Teile des Motors entfernt hatte. – Neben diesem Verschlag lagen rechts und links zwei weitere, einer enthielt Brennstoff, der andere eine elektrische Lichtanlage, die sich auf Akkumulatoren umschalten ließ. – Das Licht brannte, nachher sah ich auch, daß die Spritze durch einen kleinen Hilfsmotor betrieben wurde, der gleichzeitig die Pumpe versorgte.

Dieser Rundgang hatte gut eine Stunde in Anspruch genommen. Als ich zu Freund Ham zurückkehrte, blickte er mich fragend an.

„Ein deutscher Segler, glaube ich, lieber Ham. Alles andere – – Fragezeichen!“

„Hm, – wenig …! – Und die Affen? Was tun die? Vorhin waren sie sehr lebhaft!“

„Lebhaft?“

„Ja, sie kreischten scheußlich …“

„So?!“

Ich schritt wieder nach vorn, trat vor den langen Käfig und traute meinen Augen nicht: Die fünf Schimpansen, die vorhin doch in der dritten Abteilung beieinander gekauert hatten, waren jetzt getrennt worden, zwei saßen in Käfig Nr. 1, drei in Käfig Nr. 3, – der mittlere war leer, die Zwischentüren waren geschlossen.

Ich bekam Beine …

Atemlos fragte ich Lincoln: „Haben Sie die Tiere anders eingesperrt?“

„Ich?! Keine Rede!“

Ich schaute den Oberst lange an.

„Begreifen Sie?“

„Natürlich, Olaf …! Es ist noch jemand an Bord …!“

„Allerdings …! – Wer und wo? – Montes Nase würde jeden Menschen wittern … Das Schiff ist leer …!“

„Es ist also nicht leer“, verbesserte Ham kaltschnäuzig. „Montes feine Nase versagt eben.“

Ich drehte mich um, pfiff Monte, und die Suche begann von neuem. Diesmal begann ich mit dem Logis vorn, – – fand nichts, kam schließlich achtern in die Prunkkabinen, und – – auf dem Schreibtisch der Kapitänskajüte lag ein Zettel, der dort vorhin nicht gelegen hatte.

Bleistiftzeilen, lateinische Schrift, fehlerfreies Englisch:

„Meine Herren, ich bitte Sie, die nordöstlichste und kleinste der Galapagos-Inseln anzulaufen, Santa Renata, wo Sie an der Nordküste durch Signale über Ihr ferneres Verhalten verständigt werden. Nähern Sie sich nachts der Nordküste und halten Sie auf ein einzelnes Riff zu, das sehr hoch ist und oben einen einzelnen Baum und etwas Gestrüpp zeigt. Die Signale werden Lichtzeichen sein, Morsezeichen. Sobald Sie die Nordküste vor sich haben, hissen Sie neben der grünen Positionslaterne noch eine zweite Laterne in zwei Meter Abstand. – Sie sind durch Zufall hier in ein äußerst gefährliches Abenteuer hineingeraten. Ich bitte Sie, meine Wünsche genau zu befolgen. Die Schimpansen müssen aufs beste verpflegt werden. Besonders stets reines Trinkwasser und Hartzwieback und Bananen.“

Als Ham den Zettel gelesen hatte, meinte er, äußerst schlau blinzelnd: „Ich weiß, wo der Knabe steckt … Natürlich nicht im Schiff, sondern unter dem Schiff … – in irgend einem am Kiel befestigten Kasten, der einen Durchschlupf in den Kielraum hat. Ich werde Ihnen den Herrn sofort präsentieren, Olaf … Geben Sie mir nur Monte mit …“

Ham blamierte sich.

Der „Knabe“ wurde nicht gefunden. –

Abends um elf weckte mich Ham, und ich trat meine Wache an …

 

3. Kapitel.

Der graue Verfolger.

Das Schiff hatte wenig Fahrt. Zuweilen klatschten die Segel wie Wäschestücke an der Leine, zuweilen kam eine stärkere, kurzlebige Brise, und ich mußte dem Ruder größere Aufmerksamkeit zuwenden.

Ich rauchte, ohne daß mir die Zigarre schmeckte. Monte lag zu meinen Füßen und reckte sich faul, schlief, erwachte, trottete hin und her: Der Hund verriet eine gewisse Unruhe, für die ich nur die Schimpansen verantwortlich machte.

Das leicht bewegte Meer war durchzogen von Streifen dünnen, flatternden Dunstes. Nebelbildungen kommen in der Äquatorzone kaum vor. Wenn sie auftreten, haben sie stets besondere Ursachen, meist Wetterstürze.

Es blieb ein unbehagliches Gefühl, noch einen Fremden an Bord zu wissen, und Ham und ich, nunmehr wieder aus den Vorräten der Kapitänskajüte anständig gekleidet, hielten unsere Pistolen sauber in Ordnung, und zur Zeit lehnte die Repetierbüchse der Miß Sowieso ebenfalls neben mir. – Waffen hatten wir nicht gefunden.

Ich erhob mich, reckte die Glieder, blickte zum Vorschiff hin und wurde dann durch eine Erscheinung gefesselt, für die ich keine Erklärung fand. Die kleine Mütze Wind und die Nebelstreifen kamen von Nordost, gerade jetzt erkannte ich eine größere Nebelwolke, und mitten in ihren fast durchsichtigen Schwaden ein eigentümliches schwach leuchtendes Bild: Einen Kutter unter vollen Segeln!

Ein Blick zum Monde empor, – – es war eine Sehtäuschung … Das Mondlicht war schuld, und das Phantom zerfloß auch, je näher ich dem Schiffe rückte.

Fliegender Holländer …?!

…Ich habe mich stets auf meine gesunden Sinne verlassen.

Ich lehnte[3] am Oberlichtaufbau, und mein Denken verlor sich rückwärts … Erinnerungen sind wir selbst, in diesen Erinnerungen leben wir nochmals von Kindesbeinen an, und wir sehen uns wachsen und … straucheln und erkennen die eigene Unzulänglichkeit …

Wir alle? – Jedenfalls Ham und ich und noch viele, also ungekünstelte Menschen, die das Dasein anzupacken wissen ohne Phrasenschwall.

Stimmung lag in dieser nächtlichen Fahrt, eine wunderbare, wenn auch zwiespältige Stimmung … Der Mann im Mond da droben, der nun bereits Ewigkeiten hindurch rastlos wandert, war mir Sinnbild des eigenen Abenteurerdaseins, das mir unendlich viel gegeben: Liebe zur Natur und ihren Geschöpfen, Menschenkunde und Einblick in das widerspruchsvolle Walten der Vorsehung. – Menschenschicksale taten sich auf wie bisher versiegelte Bücher, – war nicht der letzte dieser Marksteine an meinem Abseitswege mit seiner aufpeitschenden Überfülle von Ineinandergreifen von Menschenlos und Naturgewalten wieder einmal ein Blick in eine Zauberwelt gewesen?! – Unser Robinsoneiland lag nun fern, unendlich fern, ein Flugzeugwrack ruhte dort auf dem Grunde der Korallenbucht, ein Hammerhai hatte uns, Schicksalsbote, hier an Bord getrieben, und was weiter werden würde, – ich wußte es nicht.

Weiter? Zukunft? – Nie machte ich mir Gedanken darüber …

Krause Gedanken …

Jähes Erwachen …

Unten im Maschinenraum setzt urplötzlich ein Rattern und Puffen ein, so urplötzlich, daß ich erschrocken ins Kielwasser starre …

Wo bisher ruhige, wenige Streifen des Kielwassers, quillt gurgelnder Schaum empor.

Ich bin wacher wie nie …

Der Motor läuft …!

Ich blicke zum Anlasser hin, – die Stange ist zurückgeschoben, steht auf halber Fahrt …

Träume ich?!

Und dann ein Blitz in mein Hirn: Der Fremde!

Der dritte Mann an Bord hat den Motor ausgeflickt, die fehlenden Teile eingefügt …!

Ham kommt herbeigerannt, nur im Hemd …

„Olaf, – – haben Sie …?“ – „Nein, der Fremde …“ – „Der Lärm weckte mich, Olaf …“

Meine Armbanduhr zeigt ein Uhr morgens.

„Ham, ziehen Sie sich an … Ich muß die Segel beschlagen …“

Ham hat den kleinen Lukendeckel gehoben …

Unten arbeitet der Motor, unten pendeln brennende Lampen …

Wir beide und Monte sind aufgeschreckt aus trügerischer Ruhe. Monte steckt den Schädel in die Luke und winselt …

„Anziehen?!“, ruft Lincoln … „Blech!! Zeitverlust! Bei der Wärme!“

Er springt mit seinen weißen Schuhen in den Maschinenraum, zerrt Monte mit hinab …

„Suche, mein guter Hund …“

Monte winselt und sucht nicht.

„Zwecklos!“, sage ich …

Wir freuen uns …

Und dann sind die Segel sauber beschlagen, ich revidiere den Motor, wir fahren mit voller Motorenkraft, die „Valparaiso“ läuft sicherlich ihre zwölf Knoten, aus dem Segler ist eine flinke Jacht geworden, und Freund Ham meint, wir würden nächste Nacht vor Santa Renata kreuzen.

Fügt hinzu: „Mokka, Olaf, – – und ein Frühmahl – – erstklassig …!!“

Er läuft zur Kombüse …

Ist im Nu wieder bei mir …

„Olaf, – – verdammt, der Knabe hat sich Kaffee gekocht!! Hier – – der Topf, noch warm. Riechen Sie!“

Stimmt schon: Kaffee!

„Mag er, Ham! – Reden Sie aber nicht immer von … Knabe … Der Mann ist schlau … kühn … gerissen …“

„Wir auch …!“

Ham spielte Koch … Ham schleppt leckere Dinge herbei … Ham pfeift sogar den Sternenbannermarsch … Jeder fünfte Ton ist richtig.

Und unser Schiff gleitet durch den Pacific, am Heck schäumt es … Hinter uns bleibt das Kielwasser weithin sichtbar.

Oberst Lincoln im Nachthemd baumelt mit den Beinen, sitzt auf dem Oberlichtdach, kaut, trinkt, – wir werden immer munterer … Mein Hirn ruft mir die Vision des Kutters im Nebel zurück. War es ein Kutter? War es nicht doch ein größeres Fahrzeug? Sollte etwa …

„… Ham, runter in die Kapitänskajüte …! Vielleicht liegt dort ein Zettel, ein zweiter Zettel.“

Der Oberst blinzelt.

„Wie kommen Sie darauf?!“

„Ich sah in einem Nebelstreifen ein Schiff … Vielleicht Verfolger … – Sehen Sie nach.“

Ein sehr nachdenklicher Oberst steht mit dem Zettel vor mir und hält mir eine Laterne hin. Ich lese:

„Meine Herren, ich darf Ihnen nach der neuesten Entwicklung der Dinge nicht verhehlen, daß Sie beide Gefahr laufen, aufgeknüpft zu werden. Ich habe den Motor in Stand gesetzt, damit Sie dieser Gefahr entgehen. Ich möchte von Ihnen keinerlei Hilfeleistung verlangen, die für Sie den Tod zur Folge haben könnte. Ich erkläre nur, daß ich nichts begangen habe, was meinen Feinden ein Recht gibt, mich unausgesetzt zu hetzen. Falls Sie aus freien Stücken mir beistehen wollen, – die Waffen liegen im Tank 3, der innen einen Zinkbehälter hat.“

Es war dieselbe steile, große, selbstbewußte Schrift mit dicken Grundstrichen …

Ham setzte sich wieder. „Alter Schwede, – also keine Vision! Es war ein Schiff …!“

„Ja“, sagte ich hart, „und unser Mann ist auf dem Posten … Wir auch …“

Ich nahm das tadellose Nachtglas, aus der Kapitänskajüte stammend, stellte es ein, suchte hinter uns den Horizont ab und entdeckte ein Fahrzeug mit einem dicken, kurzen Schlot, das ohne Lichter fuhr.

„Aha, – – da ist er!!“

Ham riß mir das Glas aus der Hand.

Schweigen …

„Olaf, das ist ein älterer Kasten von Torpedoboot, grau gestrichen, als Jacht getakelt … Nach dem Kriege verkauften wir diese am laufenden Band gefertigten Windhunde an die kleinen mittelamerikanischen Republiken, die doch auch mit einer Kriegsflotte renommieren wollen … – Faul, oberfaul, das Ding läuft achtzehn Knoten … mindestens. – Was tun wir?“

Er blickte mich an …

Ich verstand seine unausgesprochenen Bedenken, für jemand Partei zu ergreifen, der sich uns nicht zeigte.

Ich schaute zurück, – eine neue dünne Nebelwolke segelte heran, mußte unseren Kurs kreuzen und nach Südwest verschwinden.

Als sie uns einhüllte, warf ich das Ruder herum … Auch wir fuhren nun Südwestkurs wie die Wolke, deren feine Tröpfchen angenehm kühl waren. Wir blieben in dem Nebelgebilde, wir waren in Schleier eingewoben, und Ham nickte Beifall.

Wir gingen auf halbe Fahrt herab, und nach einer halben Stunde, berechnete ich, durften wir nach Norden einbiegen, um dem Verfolger vollends zu entgehen.

Ham blieb etwas skeptisch.

„Die Kerle auf der Torpedogondel müßten Narren sein, wenn sie unser Manöver nicht durchschauten …!“

Er fröstelte …

„Ich werde mich anziehen, Olaf, und dann nehme ich mir Tank 3 vor …“

Als die halbe Stunde vorüber, schleppte Ham vier Repetierbüchsen, Modell Mauser, ein Kleinmaschinengewehr und mehrere dicke Pakete Munition herbei.

„Ein Arsenal!“ Seine Augen leuchteten.

Ich hatte das Nachtglas soeben weggelegt. Die Wolke war zerflattert.

„Der Horizont ist leer bis auf den Dampfer dort …“

Lincoln beobachtete …

„Passagierschiff, drei Decks, sehr viel Licht … Zweifellos ein Steamer, der nach Japan unterwegs ist …“

Er fuhr erleuchtet wie eine Reklamefront eines Wolkenkratzers, wir schlichen ohne Lichter davon. Trotzdem behagte mir der Steamer nicht.

„… Wenn die Torpedogondel sich hinter ihm versteckt, haben wir in zehn Minuten so allerlei zu erwarten, Ham.“

„Die auch!!“, nickte Ham Lincoln. „Mitgefangen, mitgehangen, alter Schwede …! Das Gerede von unserer Neutralität ist Bluff, Blödsinn. Kompromisse sind für die Katze. Ich bin für klare Parteinahme … Außerdem …“ – er zog seinen Gummibrustbeutel hervor – „hier sind Papiere, Olaf, vor denen jeder der Herren aus den Mischlingsstaaten kneift … Oberst Hamilton Lincoln könnte so einem Republikchen das Leben kosten. Das Sternenbanner verschluckt, was frech wird!“

Meine Parteinahme war längst durch die Tat bewiesen. Wir waren geflohen, hatten den Verfolger abgeschüttelt … Das genügte. Sollte die Torpedogondel trotzdem, – – nun, Ham beschäftigte sich schon mit dem Kugelspucker, und …

„Achtung!!“

Nicht ich hatte es gerufen, nicht der Oberst …

Aus der Luke des Maschinenraumes kam es …

Monte flog bellend auf die Luke zu …

Ein Blick nach dem enteilenden Steamer, – hinter dem illuminierten hohen Bord war ein Schatten hervorgeglitten, und Ham meinte:

„Mahlzeit!! Da haben wir die Bescherung!!“

Die Warnung des Fremden war überflüssig gewesen, aber – der Mann war wirklich auf dem Posten …!

Das schlanke graue Fahrzeug kam herangefegt …

 

4. Kapitel.

Mr. Admiral zeigt sich.

Lincoln, die Zigarre im Mundwinkel, lehnte sich über die Heckreling und zog mit dem Fuße das Leinwandstück noch faltiger um den kleinen Kugelspucker.

Drüben blitzte ein Scheinwerfer auf, der Lichtkegel tauchte uns in helle Lichtfluten, und durch ein Megaphon kam der Befehl:

„Stoppen Sie!“

Ich dachte gar nicht daran … Die ehemalige Torpedospritze zeigte nicht einmal eine Flagge

„Stoppen Sie …!!“, brüllte derselbe Kerl von der Kommandobrücke. Es standen dort vier Leute in einer Art Uniform.

Ham winkte freundlich. „Bitte, näher heran. Nur näher heran!“ Der Oberst benutzte keinen Schalltrichter, seine Stimme konnte die hundert Meter Entfernung auch so überwinden. „Hier Oberst Hamilton Lincoln. Spezialkommissar vom Auswärtigen Amt, Washington … Was wünschen Sie?“

Ich hatte nur auf das Stichwort gewartet. Im Flaggenschrank hatte auch das Sternenbanner gelegen, und am Flaggenstock stieg die Flagge von U. S. A. knallend und knatternd und sich bauschend empor.

Der Scheinwerfer, übrigens ein dürftiges Ding, senkte sich und bestrahlte die Bordwände und den Namen am Heck: „Valparaiso“.

Lincoln schob die Zigarre wieder zwischen die Zähne.

„Olaf, die Herren sind äußerst fragwürdig. Schon die Höflichkeit verlangt, daß sie die Flagge zeigen … Tun sie nicht! Faul, oberfaul!“

„Dürfen wir ein Boot schicken?“, meldete sich der Megaphonmann.

„Zu welchem Zweck?!“ – Ham gefiel mir.

Drüben lange Beratung …

Dann endlich zeigte das graue, lange Schiff die Flagge: Chile!!

Lincoln lachte … lachte schallend.

„Sogar die chilenische Kriegsflagge – – allerhand Schwindel!“

„Wir schicken einen Offizier“, kam es aus dem Blechtrichter … „Hier der chilenische Torpedozerstörer „Mezzagor“ …“

„Angenehm!“, brüllte Ham äußerst vergnügt. „Vor vier Monaten hatte Chile noch keinen „Mezzagor“ … Gratuliere zum Stapellauf …! – Da Sie uns doch wahrscheinlich nur eine Höflichkeitsvisite abstatten wollen, denn für anderweitige Maßnahmen läge kein Anlaß vor, beeilen Sie sich bitte … Ich bin auf der Haifischjagd …“

Die Herren drüben schalteten ihren Scheinwerfer nicht aus, obwohl der Morgen bereits zu grauen begann. Auch mit dem Ausschwingen des Bootes ließen sie sich erstaunlich viel Zeit. Und noch eins kam hinzu, das mich veranlaßte, Freund Ham zu bitten, mich am Ruder ein paar Minuten zu vertreten. Und dies war dem bereits so mißtrauischen Oberst doch entgangen: Das zum Zerstörer beförderte, ausrangierte Torpedoboot sollte „Mezzagor“ heißen! – Wo stand dieser Name? Nirgends! Weder am Bug noch sonstwo!

„Ham, vertreten Sie mich mal …“

Ich lief in die Kapitänskajüte hinab. – Neben dem Flaggenschrank stand ein leichter, eiserner Schrank mit Signalraketen. Ich sah an dem Anstrich des Raketenkopfes, welche Farbe die Feuerwerkskörper in strahlenden Kugeln in den Äther emportragen würden, ich wählte drei rote Raketen, mein Gedankengang war sehr einfach: So lange der große Passagierdampfer in Sicht war, würden die Kerle vom „Mezzagor“ nichts gegen uns unternehmen! – Nachher?! Sie hatten Geschütze an Bord, und ein hölzernes Schiff zu versenken, war ihnen Spielerei. Darauf durfte ich es nicht ankommen lassen.

Ich schlug die Schranktür zu, drehte mich um, sah gerade noch, wie die Kapitänstür sich bewegte und die Hand des Mannes, der sie hastig zuzog. Ich sprang vorwärts, – ein Blick glitt über den Schreibtisch: Ein neuer Zettel!

Das Licht brannte. Ich ließ den Fremden flüchten, überflog seine Zeilen:

„Keine Notsignale, bitte!! Seien Sie nur vorsichtig …!“

Ich knüllte den Zettel zusammen, warf ihn oben in die See wie die beiden anderen und kehrte ohne Raketen zu Ham zurück.

Die Silhouette des Dampfers verschwand soeben im Frühdunst des Horizonts.

„Ham, unser Freund warnt uns“, stieß ich etwas atemlos hervor und erklärte ihm meine wieder aufgegebene Absicht.

Lincoln zog den Mund schief. „Ganz recht, – das sind nie im Leben chilenische Marineoffiziere, das sind dreckige Mulatten, weiter nördlich beheimatet … etwa Panama und so … – – Ob wir vorsichtig sein werden!! Unsere Reling ist höher als die des „Mezzagor“, klingt wie Massenchor …“, vollendete er bissig. „Da – unser Spucker steht bereit, Olaf … Wenn die Brüder auch nur nach einer Pistole greifen, knallen Sie los – auf meine Verantwortung, auf Amerikas Verantwortung! Mit diesen Mischlingsbanditen machen wir stets kurzen Prozeß!“

Ruderschlag ertönte …

Unsere Schonerbrigg lief kaum mehr halbe Fahrt.

Und die Leute da wollten Kriegsschiffmatrosen sein! Bei dem elenden Gestümper von Ruderei! Sechs saßen an den Riemen, hinten am Steuer zwei mit viel Goldlitzen und viel Niggerblut …

„Hallo, – hier anlegen!“, brüllte Ham und deutete auf die Strickleiter …

Sie kamen näher …

Einer der Goldlitzenonkels rief zu uns empor: „Sind Sie nur zu zweien an Bord, meine Herren?“

„Nein … Zu neun …, neun Köpfe, Mister … Ihr Name, Ihr Dienstgrad?“

Das Boot schrammte an der Bordwand …

„Leutnant Sattino …“, antwortete der Mulatte …

„So … so … Sardine?!“ Ham war bei Laune …

„Also neun …“, wiederholte die Sardine und grinste uns an, als ob er Hams feinen Spaß durchschaute … – Neun Köpfe: Stimmte, – einschließlich Monte und der Affen!

„Rechnen Sie die Schimpansen mit?“, fragte der Bursche frech und packte die Strickleiter.

Lincoln beugte sich über die Reling. „Ich rechne jeden Halbnigger zu den Schimpansen, du fader Lump!! – Weg von der Strickleiter! – Olaf, – – Vollgas!!“

Aus dem Boot fauchte eine Kugel hoch, eine zweite folgte … Der Kerl neben dem angeblichen Sattino hatte gefeuert, ohne die Hand zu erheben. Seine Pfote war vom Rockärmel bedeckt gewesen …

Lincoln taumelte zurück, brach in die Knie, fiel nach vorn, lag still … Monte heulte grimmig.

Ich fand nichts anderes … Da lag einer der Heckanker … Ich hatte mich gebückt, der Anker flog über Bord, ich hörte die Kerle brüllen, hörte den Anker aufschlagen, die Kette schrammte über die Reling, – ein braungelbes Gesicht erschien, ein Arm, – Monte sprang zu, biß zu, – verbiß sich irgendwo … Vom Torpedoboot knallte es, knatterte es …

„Monte, zurück …!“

Er ließ los, der Körper des am Außenbord Hängenden verschwand, und plötzlich verstummte jeder Ton, nur der Motor ratterte …

Mir war heiß geworden … In mir kochte eine unbändige Wut … Daß Lincoln hier auf diese Weise enden mußte, war kein gerechter Ausklang eines erfolgreichen Lebens!

Ich lugte durch eins der Relinglöcher.

Wo war das graue Schiff?!

Ich richtete mich auf … Ich hatte nichts von einer Explosion gehört, nichts …

Hinter uns schwammen trotzdem Wrackstücke, kämpften Menschen um das bißchen Leben, hockten auf dem gekenterten Boot, klammerten sich verzweifelt fest, – zwischen den Trümmern des grauen Schiffes, das durch eine lautlose, unheimliche Kraft fast zu Atomen vernichtet worden, schimmerten gelbweiße Striche: Bäuche von Haifischen, toten Bestien, und in weitem Umkreis waren die grünen Wogen wie betupft mit anderen toten Fischen …

Ich stand vor einem Rätsel. Ich hatte keinen Knall gehört, nichts, gar nichts, das Torpedoboot war still und lautlos zerstört worden, und nur das Geschrei der Leute auf dem gekenterten Boot zerriß das bedrückende Schweigen dort hinter mir mit einer Fülle kreischender Töne.

Bevor ich das Steuer noch herumdrücken konnte, um den dort um ihr Leben Ringenden zu Hilfe zu eilen, erhob sich aus den Tiefen des Meeres eine gewaltige Fontäne, warf das Boot hin und her, ließ es versinken: Die Kessel des schlanken Schiffes, die unbeschädigt weggesackt sein mußten, waren wie stets bei so jähen Katastrophen erst in größerer Wassertiefe durch die Abkühlung ihrer Oberfläche und durch Überspannung des Dampfdruckes auseinander geflogen und hatten auch das gekenterte Rettungsboot in dem heftigen Strudel versinken lassen.

Ich wollte helfen, – ich kam zu spät … Vielleicht war es Unrecht von mir, gerade den Leuten, die unser Verderben planmäßig vorbereitet gehabt hatten, meine Aufmerksamkeit zu widmen und mich nicht um Freund Ham zu bemühen. Die Schonerbrigg hatte nun die Stätte der Wrackteile erreicht, ich stoppte, der Segler lief langsam durch dieses traurige Treibgut von Schiffsresten, toten Fischen, toten Haien und weiten schillernden Ölflecken, die sich immer mehr ausdehnten und die bescheidenen Wogen vollends beruhigten. Ich beugte mich über die Reling, ich erblickte nichts Lebendes mehr, der Tod hatte hier eine schnelle, grausame Ernte gehalten, das angebliche Kriegsschiff mußte wenigstens dreißig Mann an Bord gehabt haben. Vielleicht würde nie aufgeklärt werden, woher es stammte und wer die Besatzung gewesen, der endlose Pacific hütete seine Geheimnisse, und ob der Fremde hier an Bord gewillt sein würde, uns, falls wir ihn fänden, über all diese Dinge Aufschluß zu geben, war recht zweifelhaft. – Nein, mein Umherspähen nach einem erschöpften Schwimmer war zwecklos. Ich drehte mich, ich hielt Hamilton Lincoln für tot, ich glaubte an einen Kopfschuß, und als ich nun hinschaute, fiel mein erster Blick auf Monte, der mit gesträubtem Rückenhaar und sprungbereit sich halb zusammengekrümmt hatte und den Angriff doch unterließ. Sein feiner Instinkt hielt ihn zurück.

Neben Hamilton kniete ein Mann im blauen Leinenanzug, der von Wasser tropfte, auf dem Kopfe trug der Fremde eine dunkle Ölkappe, die bis ins Genick und auch tief in die Stirn gezogen war. Das blasse, schmale Gesicht des bartlosen, barfüßigen Menschen, um dessen Augen und Mund die feinen Fältchen vieler Lebensjahre voller Leiden sich unaufdringlich und mitleidweckend im Lichte der ersten Sonnenstrahlen zeigten, – dieses eigenartig vornehme, müde und doch entschlossene Gesicht war das eines an der Grenze des Greisenalters stehenden Europäers.

Der Mann hatte sein nasses Taschentuch auf Hams Stirnwunde gedrückt und sagte mit einer eigentümlich klangvollen Stimme:

„Den Verbandkasten finden Sie in dem Raketenschrank der Kapitänskajüte, Mister Olaf … Ihr Freund hat nur einen Streifschuß erhalten, und die tiefe Bewußtlosigkeit ist lediglich eine Reaktion der Gehirnnerven … Bitte, holen Sie den Kasten und auch den zweiten mit den Medikamenten …“

Ich gehorchte. Ich hätte nie geglaubt, daß der Fremde aus diesem Anlaß sich uns freiwillig zeigen würde. Seine Hilfsbereitschaft und seine Selbstlosigkeit – er hatte doch bestimmt gefährliche Geheimnisse zu hüten – nahmen mich für ihn ein, ich beeilte mich, war in wenigen Minuten wieder an Deck und ging dem neuen Gefährten sachkundig zur Hand, wir trugen den Oberst dann in den Salon hinab, und hier erwachte er ganz plötzlich und war auch in kurzem wieder völlig frisch. Seinem abgehärteten Körper machte die Schramme an der Stirn nichts aus.

Inzwischen hatte die Schonerbrigg steuerlos ganz von selbst immer noch auf der Unfallstelle gekreuzt, hatte zuweilen etwas stark geschlingert, nachher aber friedlich inmitten des öligen Riesenfleckes wie vor Anker gelegen.

Hamilton Lincolns Art entsprach es nicht, über das Geschehene viele Worte zu machen. Als ich ihm den Fremden mit dem halben Scherz: „Unser unsichtbarer Admiral, lieber Ham“ vorgestellt hatte, bekam er allerdings sehr große Augen, lächelte dann unmerklich und fragte geradezu:

„Wo hatten Sie sich versteckt, Sir?“

Bisher war es dem dritten im Bunde noch nicht eingefallen, seinen Namen oder doch wenigstens einen Namen zu sagen. Hierzu bot sich nun die beste Gelegenheit, aber unser Admiral erwiderte lediglich:

„Meine Herren, ich danke Ihnen für den Beistand, den Sie mir geleistet haben. Mein Versteck war äußerst unbequem, aber zuverlässig … Das Bugspriet[4] der „Valparaiso“ ist aus Eisen, nur eine eiserne Röhre, und steht mit der Gallionsfigur[5] darunter, die hohl ist, in Verbindung. Da ich Ihre Namen kenne, und da Sie mich doch schließlich irgendwie anreden müssen, wollen wir uns auf Mr. Admiral einigen … Und jetzt wird Oberst Lincoln nach dem beträchtlichen Blutverlust schlafen, und auch Sie, Mr. Olaf, legen sich am besten nieder. Für das Schiff sorge ich schon allein …“

Freund Ham nickte. „Ich bin etwas matt … Gewiß. Immerhin noch eine Frage: Wo ist das Torpedoboot?“

Meine Antwort? – Ich deutete stumm mit dem Daumen nach unten.

Und Mr. Admiral sagte leise:

„Torpediert …!“

Lincoln richtete sich aus seinem Wandsofa halb auf. „Torpediert?! Sie scherzen!“

„Torpediert!“, – und der Fremde verließ langsam den Salon und schloß die Tür hinter sich. Wir hörten ihn zum Heck gehen, der Motor sprang an, die Schonerbrigg kam in Fahrt, und Lincoln murmelte, mir fast übermütig zublinzelnd:

„Komischer Knabe, dieser Admiral … Schätze sechzig Jahre, vielleicht fünfundfünfzig … Jedenfalls Engländer. – Sind die Leute von dem Torpedokahn sämtlich tot, Olaf?“

„Sämtlich …“ Ich hatte mich zu ihm gesetzt. „Das eigentümliche bei dem Untergang des grauen „Mezzagor“ war die unheimliche Lautlosigkeit … Ich vernahm keinerlei Knall, nichts … Das Schiff war plötzlich wie weggesackt, und auf den Wogen trieben Trümmer. Das ist alles, was ich Ihnen berichten kann. Auch das Rettungsboot mit dem heimtückischen Schützen ereilte das gleiche Geschick. Der Anker hängt noch außenbords an der Kette, – das Boot …?!“

Ham zog eine krause Nase, – vielleicht als Ersatz für ein sehr bedenkliches Stirnrunzeln. „Olaf, mithin haben wir uns an einem Verbrechen beteiligt“, erklärte er sehr ernst, „das etwa dreißig Menschenleben vernichtete. Ihnen mag das nicht weiter die Seele beschweren, Sie sind ein unabhängiger Mann, ich ein Beamter, und meine Pflicht ist es, zu prüfen, ob …“

„Hamilton Lincoln“, unterbrach ich ihn mit einem äußerst mißbilligenden Kopfschütteln, „– was wollen Sie prüfen, Sie Paragraphenreiter?! Genügt es Ihnen nicht, daß die Kugel nur ein Zentimeter rechts Ihnen Ihr allzu kultiviertes Hirn durchlöchert hätte?! – Sie sind ein Narr, Ham! Schlafen Sie! Vielleicht erwachen Sie nachher mit etwas vernünftigeren Ansichten …“

„Danke!“, meinte er ohne Empfindlichkeit. –

Und so begann denn der neue Abschnitt unseres Lebens auf den Planken eines Schiffes, das uns noch viel zu sagen hatte …

Ich ging an Deck, Mr. Admiral zog gerade den Anker empor, und dabei bemerkte ich, daß seine Handgelenke stark zerschunden, aber bereits halb geheilt waren.

„Sie sollten sich doch niederlegen, Mr. Olaf!“

Die angenehme Stimme klang unangenehm scharf und hell.

„… Wir sind nun auf Gedeih und Verderb aneinander geschweißt“, fügte er etwas höflicher hinzu, und ich hatte den Eindruck, als bedauerte er uns beide. „Sie müssen fernerhin mit mir zusammenbleiben, bis … – bis Sie beide ohne Gefahr wieder Ihre eigenen Wege gehen können. Vorläufig …“ – seine Hand deutete nach Norden … „– bitte, – das ist der zweite Verfolger, und nicht der letzte …“

Ich schaute die Horizontlinie entlang … Und ich sah dort ein graues Schiff vom selben Typ wie der torpedierte „Mezzagor“.

„Also, Mr. Olaf, – – Vorrat schlafen …! Es können Tage kommen, wo wir drei den letzten Rest Kraft sehr nötig haben dürften, denn die Leute, offen gestanden, werden vor nichts zurückschrecken.“

„Ich – – auch nicht!“, sagte ich mit leichter Verbeugung, pfiff nach Monte und betrat Miß Sowiesos Kabine, um … Vorrat zu schlafen. Müde genug war ich … Die letzten Stunden hatten des Guten etwas zu viel gebracht … Ein Schiff samt Besatzung wegsacken sehen, ist grauenvoll …

Der blasse Admiral war mir durchaus nicht zuwider. Sein scharfer Kommandoton stützte sich letzten Endes auf die Erfahrungen eines ganzen Lebens, – und meine Lebenserfahrungen traten hiergegen zurück. Wer diese feinen Runen des Leides um Mund und Augen trägt, darf es sich wohl zugestehen, auch Leute wie Ham und mich zu kommandieren.

… Monte saß vor meinem Bett …

Es war das Bett der Miß Sowieso, das bisher Freund Ham benutzt hatte.

Ich streichelte Monte … Und lächelte …

Monte horchte nach oben … Über uns tappen zahlreiche Füße … Es ist ein ganz seltsames Tappen … Plötzlich glotzt ein Schimpansengesicht durch das Oberlichtfenster, und Monte fährt mit wütendem Aufheulen empor …

Das Gesicht verschwindet, dafür vernehme ich die scharfe, helle Stimme des Mr. Admiral …

„Lord, hierher …!!“

Eiliges Tappen auf dem Blechdach …

Jedenfalls: Die Schimpansen sind frei, und vielleicht ist Mr. Admiral nur ein Affenbändiger.

Das würde mir auch gleichgültig sein. Ich bin müde, schlafe ein …

 

5. Kapitel.

Der Mann aus dem Affenkäfig.

… Wir sind hier an Bord wirklich eine Elitegesellschaft. Wir speisen im Salon, Mr. Admiral kommandiert seine Schimpansen wie altbewährte Stewards, und das eine steht fest: Noch nie hat ein Zirkus oder eine Varietébühne so tadellos dressierte Affen dem Publikum gezeigt, wie wir sie heute mittag zwei Uhr sahen.

Um zwei wurde geweckt. Man klopfte … an die Tür … Man …

Es war Mr. Lord, der stärkste der fünf Männchen …

Da ich angekleidet auf dem Bett gelegen hatte, rief ich „Herein!“

Da ging der Tanz los …

Zunächst ging die Tür auf, Monte schnellte aufheulend vorwärts, erhielt einen Fausthieb von Mr. Lord gegen die Nase, flog zurück, und hinter dem Schimpansen erschien Mr. Admiral. „Bitte zu Tisch, Olaf …“

Monte hatte sich in den äußersten Winkel verkrochen, und seither weicht er den übrigens ganz harmlosen Affen im Bogen aus.

Freund Ham saß bereits mit sehr steinernem Gesicht an der sauberen Tafel, und hinter ihm stand mit unter den Arm geklemmter Serviette Mr. King, der zweitklügste unserer entfernten Vettern aus dem Übergangsreich zwischen Tier und Mensch. – Das Tier ist nun einmal der natürlichen Schöpfungsgeschichte nach vor uns auf der Welt erschienen, wir „höchstentwickelten“ Menschen tauchten nach den vorsintflutlichen Ungeheuern und nach einer Zeit der Herrschaft sehr intelligenter Affen auf.

Unser blasser Admiral nahm Platz, und während Lord und King die Gerichte auftrugen, hielt uns unser Chef einen Vortrag über Affendressur.

Ham paßte scharf auf, ob die zotteligen braunen Stewards nicht etwa die Finger in die Teller tunkten und war überhaupt so eisig und ablehnend, daß die erste Mahlzeit nur infolge der außerordentlichen Unterhaltungsgabe des Mr. Admiral nicht allzu ungemütlich verlief.

Nach Tisch knöpfte ich mir Freund Ham oben an Deck neben dem Steuerruder vor.

„Was fehlt Ihnen, in drei Deubels Namen?! Haben Sie vor den Viechern Angst?!“

Der Oberst Lincoln, Nachkomme des großen Präsidenten, strich nervös durch sein leicht angegrautes Schläfenhaar an der linken Seite, – rechts saß der Pflasterverband.

„Olaf, der Mann schweigt“, meinte er sehr gereizt. „Und ich wünsche Offenheit und Klarheit. Ich gondele hier nicht mit sechs Affen in der Weltgeschichte umher und …“

„Nur fünf“, korrigierte ich.

„Sechs!!“, fauchte er. „Der sechste sind Sie, der Sie diesen Narrentanz mitmachen. Ich mache nicht mehr mit. Als ich den Mr. Admiral – Spaß, Affendresseur ist er! – fragte, weshalb denn die Miß Sowieso und die verfaulte Zitrone ausgekniffen seien, machte der alte Knabe ein Gesicht, als ob er Rizinusöl saufen müßte. Seine Antwort lautete: „Das Weib wird baumeln, und die Zitrone auch!“ – Olaf, und damit sollte ich mich zufrieden geben?! Ich habe das Mädel ja nur kurze Minuten gesehen … Trauen Sie der eine baumelnswürdige Geschichte zu – ein Verbrechen? – Blech!! Ich habe mich mein Lebtag um Weiber nicht gekümmert, ich habe es mit vierunddreißig bis zum Oberst und bis zu grauen Schläfen gebracht, – ich kenne Frauen, das heißt, ihre Psyche, und ich …“

Mein erstaunter und halb belustigter Blick verdarb ihm den schönen Redefluß.

Er begann zu stottern …

„Ham“, sagte ich da, „es ist ein Unglück, daß Sie Ihr Lebtag Weibern aus dem Wege gegangen sind … Was man nur aus Büchern kennt bleibt leerer Schall … Und nun noch gar Psyche und sonstiges!! – Freund Ham, Sie sind entlarvt. Ich will Ihnen erklären, was mit Ihnen los ist … Es gibt so gewiß eine Liebe auf den ersten Blick, wie es sehr kluge Leute gibt, die trotzdem die größten Dummköpfe bleiben: Sie!! Gesetzt den Fall, Sie haben sich in Miß Sowieso verliebt …“

„Quatsch!“ – Aber es klang nicht sehr überzeugend … Und am überzeugendsten für mich war, daß Ham mich stehen ließ und nach vorn ging und dort Mr. King, der die Aluminiumtöpfe unter Aufsicht des Admirals scheuerte, einen leichten Fußtritt versetzte und schließlich am Bugspriet sich niederließ.

An die Möglichkeit einer derartigen Schwierigkeit hatte ich nie gedacht. Wenn Hamilton für die fragwürdige Miß eintrat, war die Entwicklung der Dinge gar nicht abzusehen.

Nebenbei, – das war um drei Uhr nachmittags.

Um fünf war Freund Ham, da der Admiral ihm tadelloses Angelzeug herausgesucht hatte und sofort ein ganz dummer kleiner Hai anbiß, nur noch Angler …

Aber um fünf hatte auch ich eingesehen, daß unser Chef durch nichts zu bewegen war, irgendwie Farbe zu bekennen. Meine Fragen beantwortete er mit einem höflichen: „Bedauere, – Sie sollen nicht noch tiefer in die Sache verstrickt werden!“

… Als ob wir nicht schon tief genug in der roten Tinte säßen!! Ein Schiff war torpediert, etwa dreißig Mann waren Fischfutter geworden, – – doch auch diese meine Einwendungen halfen nichts.

Das einzig Erfreuliche war, daß Monte mit den fünf Schimpansen dicke Freundschaft geschlossen hatte und muckstill auf Deck saß und sich flöhen ließ. Jedenfalls waren die Herren Lord und King, die die geschicktesten Finger hatten, mit der Jagdbeute zufrieden.

Das war um fünf.

Um sieben Uhr speisten wir zu Abend, und Ham begeisterte sich derart für einen Haifisch, der den Haken samt dem Stück Speck nur immer anschielte, ohne zuzubeißen, daß der Admiral zum Schluß zwei Flaschen Sekt spendete … – Diese Mahlzeit verlief sehr harmonisch.

Als wir uns von Tisch erhoben, bestimmte der Chef die Reihenfolge der Wachen. Er selbst hatte sich die Kammer des Kochs hergerichtet und wollte bis elf schlafen. Von elf bis drei Uhr morgens würde er dann die Wache übernehmen, um drei käme Hamilton heran.

Die Schimpansen wurden eingesperrt, Freund Ham zog sich in Miß Sowiesos Kabine zurück, und mir und Monte gehörte nun vorläufig das ganze Schiff. –

Es war um halb neun noch ganz hell, der Horizont war leer, ich mußte östlichen Kurs steuern, der Motor lief gleichmäßig, und die Zigarre schmeckte besser denn je.

Diese einsamen, besinnlichen Stunden können für einen Menschen je nach der Einstellung seiner inneren Persönlichkeit zu weihevoller Andacht oder zu zwecklosem Hindämmern werden. Was wir bisher hier an Bord erlebt, würde wohl auch den ärgsten Stammtischphilister ein wenig aufrütteln. Nutzlose Grübeleien wies ich von mir, denn dem Kern dieser Dinge durch streng sachliche Deutungen näherzukommen, war unmöglich. Wenn ich trotzdem jede Einzelheit des Geschehenen mir nochmals vergegenwärtigte, tat ich es nur, um meinem Gedächtnis für andere Stunden, in denen ich dieses Abenteuer dem Papier anvertrauen konnte, die Fülle von Einzeleindrücken nochmals einzuprägen.

Und bei dieser Rückschau in die jüngste Vergangenheit stieß mir dreierlei auf.

Zunächst: Mr. Admiral, der nie, auch nicht bei Tisch, seine dunkle, häßliche Ölkappe ablegte, war bei unserer ersten Begegnung völlig durchnäßt gewesen. – Hieran knüpfte ich in Gedanken die so naheliegende Frage, ob er etwa aus seinem Bugsprietversteck (damit hatte es seine Richtigkeit, ich hatte es mir angesehen) in die See hinabgesprungen sei und im Wasser irgendetwas vorgenommen hätte, das mit dem ungeklärten Untergang des Torpedobootes zusammenhinge. – Ich gelangte zu der Überzeugung, daß meine Annahme, die Versenkung des gegnerischen Schiffes sei nicht direkt von der Schonerbrigg aus erfolgt, richtig sein müsse.

Ferner: Mr. Admiral hatte im Gespräch auch jede Erörterung der Frage nach der kleinen einsamen Galapagos-Insel Santa Renata abgelehnt, obwohl er uns doch schriftlich genaue Anweisungen für das Anlaufen der Insel bei Nacht und für die Signale erteilt hatte. – Weshalb diese plötzliche Zurückhaltung und Verschlossenheit?!

Schließlich: Aus welchem Grunde hatte der Admiral, der sowohl seinen Gesichtszügen als auch seinem Benehmen und seiner Sprache nach ein gebildeter, mehr noch, ein zu den ersten Kreisen gehöriger Mann sein mußte, die Kammer des Kochs neben der Kombüse bezogen und sich auf diese Weise nicht nur selbst degradiert, sondern auch zwischen uns und ihm eine gewisse Schranke errichtet?

Was hatte der Mann an seiner Persönlichkeit zu verbergen, ganz abgesehen von seinen sonstigen gefährlichen Geheimnissen?!

Das Schiff schwamm nun in feuriger Lohe des Sonnenunterganges, und auch bis in mein Herz hinein drang die zauberhafte Beleuchtung des endlosen Ozeans und der flammenden westlichen Horizontlinie und weckte neue Überzeugung unbekannter, weit verwickelterer Zusammenhänge der Dinge …

Die Nacht begann …

Ich zündete die Kompaßlampe an, band das Ruder für Minuten fest, brachte die Positionslichter in Ordnung, stieg in den Mastkorb und stellte das Fernrohr ein …

Der Pacific war leer …

Wir befanden uns hier außerhalb der Wege der Passagierdampfer und Frachtschiffe, das Festland von Südamerika und die Galapagos-Gruppe waren noch hunderte von Meilen entfernt, die Wasserwüste trug nur uns, und die neckischen Wogen, die im Sternenlicht in ihren gläsernen Wölbungen matt punktiert und schillernd erschienen, umschmeichelten die starken Bordwände der „Valparaiso“ mit ihrem kosenden Geflüster einer schwachen Brise.

Genau um elf – die alte solide wasserdichte Armbanduhr deckte ihre Zeiger übereinander – trat der Admiral die Wache an, nachdem er einige Zeit vor dem Schimpansenkäfig geweilt hatte.

„Alles in Ordnung, Olaf?“

Viele Worte waren hier nicht Brauch.

„Geht in Ordnung …“, lächelte ich und nickte verabschiedend.

Das war alles, was wir sprachen.

Ich hatte dann kaum das Bett in der Kapitänskajüte aufgedeckt und die Schuhe abgeworfen, als über mir auf dem zinkbenagelten Dach abermals das Tappen der nackten Füße der Affen erklang. – Ich drehte das Licht aus, im Dunkeln band ich Monte an mein Bett, befahl ihm, sich niederzutun, und wartete auf den Ablauf der halben Stunde, die ich als Sprungbrett für meinen Plan eingefügt hatte. Ich lag ganz still, – eine Viertelstunde mochte verflossen sein, als auch schon die Tür leise aufging und jemand auf meine Atemzüge horchte …

Die Tür schloß sich lautlos, und ich streifte die Schuhe über, schnallte den schweren Ledergurt um, streichelte Monte und schlich davon.

Mit den Affen als störenden Aufpassern hatte ich gerechnet, und danach meine Vorkehrungen getroffen. Reservetauwerk gab es übergenug an Bord, ich hatte vom Heck bis zum Bug außenbords unauffällig Taue dicht über der Wasserlinie befestigt, und es galt lediglich, unbemerkt von der Achtertreppe über die Reling zu gelangen.

Die Außentür stand offen und war festgehakt. Die sechs Stufen vom Vorraum bis zu den sauber gescheuerten Planken bildeten bereits die erste Gefahr, sie waren vom Sternenlicht allzu hell beschienen und ich schob mich Stufe um Stufe empor, bis ich das Schiff bis zum Bug hin überblicken konnte.

Die Schimpansen spielten am Heck und balgten sich, stießen vergnügte kreischende Töne aus, – ich sah sie nicht, ich hörte sie nur. Trotzdem mußte ich vorsichtig sein.

Plötzlich verstummte der Motor … setzte wieder ein, – er lief leer, die Schraube schlug nicht mehr die dunkle Flut zu quirlendem Schaum, dann schritt der Admiral mit leisen schnellen Bewegungen vorüber, die mir an ihm fremd vorkamen.

In unserer Gegenwart hatte ich diese fast graziöse Leichtigkeit der Schritte, der Hüften, der Arme vermißt.

Der Admiral begab sich nach vorn …

Es war ein seltsamer Zug.

Wie eine Leibgarde folgten ihm die fünf Schimpansen, voran Mr. King, als zweiter Mr. Lord, dann die übrigen, weniger intelligenten.

Ich hatte mich zurückgleiten lassen, schnellte jetzt nach oben, gewann mit zwei Sprüngen die Reling, rutschte an dem vorbereiteten Tau hinab und erreichte das andere Tau, hing halb im Wasser, zog mich Hand über Hand vorwärts und erklomm am Bugspriet die gleichfalls vorbereitete Leine, kroch hinter die Ankerwinde, schob mich hinter den Lukendeckel, der etwas hochgestützt war, und wagte den Kopf zu heben.

Neben der Schmalseite des Käfigs, neben der Außenholzwand, kauerte Mr. Admiral mit untergeschlagenen Beinen, den Oberkörper weit vorgebeugt, den Kopf fast gegen die Käfigbretter gestützt …

Hinter ihm hockten die fünf Schimpansen, im Halbkreis, erstaunlich reglos, seltsam zusammengeduckt, als ob sie etwas Besonderes erwarteten oder vor irgend etwas starke Scheu empfänden.

… Ein Bild, das mich ergriff …

Ein Bild, das nichts Gemachtes, Gekünsteltes an sich hatte.

Denn der Admiral, sah ich, weinte …

Der Admiral hatte die häßliche Kappe zurückgeschoben, und eine Fülle schneeweißen Haares war ihm in die Stirn gefallen.

Schon dies genügte, das Gesicht, das die marmorne Blässe eines seelisch schwer leidenden hatte, eines jeglichen männlichen Schnittes zu entkleiden und das zu bewahrheiten, was ich vermutet: Der Admiral war eine Frau, deren stolze Schönheit allzufrüh dahingewelkt war unter dem grausamen Sonnenbrand beharrlicher Schicksalsschläge.

Die Frau weinte, aber in den Pausen ihres zurückgedrängten Schluchzens sprach sie …

… Sprach gegen die toten Bretter der Seitenwand eines Affenkäfigs.

Sie sprach in langen Pausen, und sie neigte zuweilen horchend den edelgeformten Kopf zur Seite.

Ich verstand nichts.

Aber ich wußte nun, daß die Frau nicht der Fremde war, der uns die Zettel auf den Tisch der Kajüte gelegt und der so erbarmungslos die Gegner vernichtet hatte.

Die Frau war von dem Torpedoboot entflohen, – deshalb trieften ihre Kleidungsstücke, deshalb hatte sie jede Frage nach Santa Renata überhört, sie hatte sich noch nicht mit dem Manne verständigt gehabt, der in der doppelten Rückwand des Käfigs hauste, in einem schmalen Gelaß, einem sehr sicheren Versteck.

Rechtzeitig war die Frau von dem feindlichen Fahrzeug zu uns herübergeschwommen, sie war eine Gefangene gewesen, war entkommen …

Meine hastenden Gedanken erhitzten sich an ihrer eigenen Unrast und sprühten sonderbare Funken. – Wie, wenn nun etwa Miß Sowieso und der alte Mann mit den vielen Goldzähnen aus das Torpedoboot geflüchtet waren und mit den Tod gefunden hatten? Lag die Annahme nicht so nahe, daß sie mit den Mischlingen gemeinsame Sache gegen die Schonerbrigg gemacht hatten?

Daß mir der Gedanke nicht früher gekommen war!

Ob etwa Hamilton Lincoln bereits diese traurige Möglichkeit erwogen und deshalb so bedrückter und gereizter Stimmung gewesen?!

… Funken …

Ob die weißhaarige Frau etwa vor Entsetzen darüber ihrem Schmerze nachhing, weil der Fremde mit seinen Feinden so erbarmungslos abgerechnet hatte?

Und – konnte der Fremde etwa der Gatte dieser Frau sein?

… Funken …

Funken, die ein keuchender Atemstoß neben mir zerstreute.

Neben mir lag Hamilton Lincoln, die rechte Faust auf den Lukenrand gestützt, in der Faust die Pistole, – wie ein Schütze, der im flachen zerschossenen Graben den Ansturm erwartet.

So deutete ich sein Gesicht … Und sein zischendes Flüstern bestätigte es.

„… Anglernarr –ich! Sportfex, nicht wahr? Redet von Haihaken und Speck und trübt euch die Ohren durch Gewäsch, – ich trübte mir die aufgerührte Seele durch den Schwall von Worten und erstickte den Willen zur Tat. Nun ist es genug, Olaf …! Ich sagte ja: Ich mache nicht mehr mit, ich kann das nicht verantworten vor mir, konnte es nie so recht, ich bin kein fahrender Landsknecht wie Sie, heute dem, morgen dem mein Leben verschreibend! Ich kenne nur ein Gesetz: Sternenbanner, Amerika! Und dem Sternenbanner gehört der Pacific trotz der verteufelten gelben Affen von Japanern, die uns gern in die zweite Linie drängen möchten!“

Er war außer sich, er war gleichfalls entflammt, aber das Feuer, das ihn erhitzte, war anderer Art, als er es sich einredete. Er würde zweifellos mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit hier … Unheil stiften, nur das, – Unheil stiften, denn diese Dinge hier konnten mit hoher Politik verschleierter Landräuberei und maßlosen Völkerehrgeizes nichts zu tun haben.

Unheil!

Keine Rücksichten …

Hatte er gezischt …

Als Drohung, auch gegen mich …

Ich war ja hellhörig …

Und weshalb das alles: Eines jungen Weibes wegen! –Armer Ham, du hättest die Frauen nicht nur theoretisch studieren sollen … Theorie bleibt blasser Strich auf einer Schiefertafel … Jeder nasse Finger eines Kindes löscht ihn aus.

Keine Rücksicht!

Nun gut! – Noch nie war mir es begegnet, daß ich einem Kameraden meiner Landsknechtwege, wie er höhnend tuschelte, die Faust zeigte.

Hier?!

Es gab kein schwächliches Entweder-Oder.

Hamilton richtete sich bereits halb auf …

Griff nach der zweiten Pistole …

Sein gespanntes Gesichte die engen Lippen, die Augenschlitze, die grimme Entschlossenheit …, – es gab kein Kompromiß, nur eins gab es: Handeln, – zupacken, – – und ich packte zu …

Ich hatte minutenlang weder für die Frau noch die Affen Augen gehabt, – als meine Hände sich um Hams schlanken Hals legten und die Daumen die Schlagadern mit ihren pulsierenden Blutwogen preßten, als ich ohne Scheu meine Muskeln spielen ließ und alle Kraft in den vernichtenden Griff legte, erscholl bereits ein Pfiff, ertönte ein Zuruf:

„Hände hoch …!!“

… Wie irgendwo in einer Hafenspelunke, in die die Polizei eindringt …

„Hände hoch …!!“

Nicht die Stimme der Frau …

Nicht das helle Organ, das wie Metall schwirrte …

Eine tiefere Stimme … Eine, die befehlen konnte, die kalt blieb in allen Momenten, die einen Eishauch ausstieß und uns zuzurufen schien: „Ich kenne keine Nerven!! Ihr seid gewarnt!!“

Ein Blick zum Käfig …

Das Bild hatte sich geändert. Durch die Gitterstäbe schob sich ein Rohr, das aus einem dickeren Rohr hervorlugte … Dahinter undeutlich eine Gestalt …

„Hände hoch!“

Hams Pistolen polterten auf die Planken …

Ham schwankte … Mein Griff hatte sich gelöst, meine Hände glitten herab … Ich stand neben Ham, stützte ihn …

Er keuchte, starrte … Er sah das Maschinengewehr, er … lachte hart …

„Schieß doch, Halunke!“, krächzte er aus zerquetschter Kehle …

„Ham!!“ Ich rüttelte ihn … „Ham, sind Sie denn ganz des Teufels, Mann!“

Und er, mich abschüttelnd, breitbeinig dastehend, den Kopf zurückgeworfen:

„Ich bin Oberst Lincoln, Vereinigte Staaten Nordamerika, – kein Waschlappen, kein Harlekin …!“

Mehr noch?

Nein – – nichts mehr! Die blasse Frau dort, nicht länger ein Gehäuse des Leides, nur noch Kämpferin für die Sicherheit eines Mannes, der ihr sehr nahe stehen mußte, stieß einen zweiten Pfiff aus, ein schrilles Signal mit Hilfe der zurückgepreßten Unterlippe und der kräftigen, weißen Oberzähne, und fünf fliegende Schatten, als Tierkörper bei dieser stürmischen Eile der Bewegungen nicht zu erkennen, flogen auf uns zu, – fünf tadellos dressierte Schimpansen mit ungeheuren Armen und Muskeln, trainiert durch das spielerische Balgen miteinander und durch halbe Freiheit, fielen über uns her mit gefletschten Zähnen, wütenden Fratzen und tiefen Kehllauten einer Angriffslust, gegen die es keinen Widerstand gab … Von mir aus auch nicht geben sollte, denn diese von Hamilton gänzlich verpfuschte Szene etwa zum Blutbade durch das heimtückische, unfaire Bleigeschoß zu machen, war keineswegs meine Absicht. Daß es hier nicht um das Leben, nur um die augenblickliche Freiheit ging, wußte ich.

Es wurde auch kein Kampf, Hamilton lag am Boden, ehe er es sich versah, ich hatte zwei der keuchenden Bestien wie Kletten an den Armen hängen, ich ließ die Dinge ihren Gang nehmen, ich sah den Mann, der im Käfig verborgen gewesen, herausschlüpfen, und Ham und ich waren gefesselt, bevor noch der Minutenzeiger einmal seine Runde vollendet hatte.

Nun sah ich also den Fremden, und der mit grauen Strähnen vermischte Bart und das volle, wirre Haar sowie ein schäbiger Sportanzug aus Cordstoff konnten das ungemein anziehende dieses mageren, energischen Gesichtes und den bezwingenden Glanz der hellen Augen wahrlich nicht beeinflussen.

Die Gesichtsfarbe war ein ungesundes Graubraun, – die Gesichtshaut war an die bräunende Wirkung der Äquatorsonne und des Meeres gewöhnt, nur das Halbdunkel eines Kerkers konnte das krankhafte Grau in den frischen Farbton der freien Luft von einst gemischt haben.

Hamilton, aus einigen Kratzwunden blutend, zitternd in maßloser Empörung über das, was er als untilgbare Schmach empfinden mochte, schaute den Mann mit zuckenden Lippen und zuckenden Wangenmuskeln schweigend an und kehrte ihm dann den Rücken.

Alles war verfehlt, was aus seiner gewiß starken Seele in den letzten Minuten emporgeflutet war, jeden Damm der Vernunft und des kühlen Abwägens niederreißend.

Der Mann vor mir, neben ihm die noch bleichere Frau, sagte mit gemessener Höflichkeit, die unter diesen Umständen überraschend und beinahe vorwurfsvoll wirkte:

„Verzeihen Sie diese mir selbst peinliche Art, Sie beide zu überwältigen, meine Herren … – Mehr kann ich Ihnen im Augenblick nicht erklären. – Sie werden das Schiff verlassen … Der Kutter steht Ihnen zur Verfügung. Es soll Ihnen an nichts mangeln, ich verlange lediglich, daß Sie über die Vorgänge hier an Bord schweigen, – sollten Sie diese Zusage verweigern, müßte ich im Interesse von schuldlos Verfolgten zu meinem Bedauern zu anderen Mitteln greifen, nicht Gewalt, nur Haft, – – jeder ist sich selbst der Nächste, Oberst Hamilton, und niemand sollte vorschnell …“ – er beendete den Satz nicht, und das letzte klang schärfer, bestimmter: „Entscheiden Sie sich bitte sofort.“

Über die Nationalität des Fremden war schwer ein treffsicheres Urteil zu fällen. Engländer war er nicht, trotz der fehlerfreien gewandten Sprache. Auch Südamerikaner, also ein Mischprodukt vieler Rassen und vieler Blutproben vom Neger bis hinauf zum spanischen Eroberer aus Cortez’[6] Zeiten, konnte er nicht sein. Ihm fehlte vollkommen die temperamentvolle Art des Südländers, seine kühle Beherrschtheit, verbunden mit einer leichten graziösen Nachlässigkeit, deutete vielleicht auf einen Nordfranzosen, einen Normannen hin.

Um es mit Ham nicht ganz zu verderben, der wohl vorläufig besserer Einsicht kaum zugänglich sein würde, überwand ich mich zu der ebenso gemessenen Erwiderung: „Der Oberst mag entscheiden … Lincolns Erscheinen an Deck gab den Dingen diese Wendung.“ Und zu Hamilton in überredendem Tone: „Ham, ich denke, wir geben das Versprechen …!“

„Ja“, erklärte der noch ebenso hitzig und ebenso feindselig. „Nur fort von diesem Schiff …!“

Ich war doch überrascht. Anderseits auch froh, daß es nicht zu langen Auseinandersetzungen käme.

„Und das Versprechen bezieht sich auch auf friedliche Beziehungen bis zu Ihrer Abfahrt?“, fragte der Fremde mit geringem Mißtrauen.

„Das ist selbstverständlich“, – Hamiltons Stimme war noch schroffer. „Wir sind keine Banditen, die sich eine versteckte Hintertür offen lassen.“

„Ich danke Ihnen“, sagte die Frau jetzt mit erleichtertem Aufatmen.

Der Fremde nahm uns die Stricke ab.

Ham schritt sofort nach achtern. Als er aus den Kajüten wieder auftauchte, trug er seine Lumpen, in denen er hier auf der „Valparaiso“ als Schiffbrüchiger erschienen war.

Inzwischen hatten wir den Kutter ausgeschwungen, hatten bereits ohne viele Worte Lebensmittel und anderes hineingeschafft, der Oberst half nun, hartnäckig schweigend, Monte tollte mit den Schimpansen auf Deck umher, zuletzt wurden vier Wasserfässer verstaut, und der Fremde warf die Trossen los.

Monte hatte sich sehr ungern von seinen ungestümen Freunden getrennt, die fünf Affengesichter lugten über die Reling, der Fremde und die weißhaarige Frau vermieden wie wir jeden Abschied, wir warfen den Kuttermotor an, und die Entfernung zwischen Schonerbrigg und uns wurde größer und größer.

Allmählich zerrann das Bild des Seglers in der milchigen Dämmerung der Tropennacht, wir schwammen allein in dem seetüchtigen, vorn und achtern gedeckten Kutter auf den Wogen des Pacific, und nur Montes leises Winseln schien dagegen Widerspruch zu erheben, daß wir das für ihn zuletzt so lustige Schiff preisgegeben hatten.

Ich wartete. Wenn Freund Ham der Charakter war, als den ich ihn bisher eingeschätzt hatte, mußte er in kurzem zur Einsicht kommen. Ich verarge es ihm nicht, daß seine Nerven mit ihm durchgegangen waren, es ist noch immer so gewesen, daß der blinde Zorn, hinter dem der Schmerz sich verbirgt, verrauscht und abermals das bessere Gefühl die Oberhand gewinnt.

Ham saß zusammengesunken am Steuer, ich verstaute unsere Habe, ich brachte die Miniaturkabine vorn in Ordnung, die zwei Klappbetten hatte, und als nach etwa einer Stunde die Sterne erloschen und der Morgen heraufzog, als ich gerade den Mast einsetzte und das Großsegel befestigte, sagte Ham vom Heck her etwas bekniffen:

„Olaf, eine Frage … – Glauben Sie, daß das Mädel auf der Torpedogondel war, als diese wegsackte?“

„Nein!“

Ich beließ es bei dem knappen Nein.

Mochte er nur weiterfragen …

„Guter Kerl!“, nickte Ham und preßte mir die Pfote wie ein Schraubstock. „Olaf – – also fortan: Du und du!“

„Von mir aus – längst …“ Ich lachte …

„Aber Weltenstrolch und Oberst Lincoln, – die Unterschiede mußten sich wohl erst verwischen … Ihr habt alle euren falschen Stolz, ihr Kultursklaven, die ihr abends an den Frack gewöhnt seid.“

Ham nickte nachdenklich. „Wir Kultursklaven, Olaf, sind in Vorurteile eingezwängt wie in ein lächerlich buntes Trikot … Trikot in Mimikri … Sie verstehen …“

Das Großsegel knallte, füllte sich, der Kutter verneigte sich, schoß schneller vorwärts, und langsam entstieg die Sonne dem Dunst und tauchte den Pacific in grelles Licht.

„Rauch!!“, brüllte Ham …

Monte bellte … Hams Stimme fällt auf die Nerven.

„Rauch – – dort!! Wenn das nicht der Qualm der großen Tabakspfeife der Insel Albemarle ist, will ich auf eine Zigarre verzichten!“

Leichtsinnig …! – Ich hatte das Fernglas genommen …

Legte es wieder weg und zog schnell das blendend weiße Großsegel ein.

„Ham, ich werde die Zigarre allein rauchen müssen … Es ist keine Tabakspfeife, tätiger Vulkan genannt, sondern der qualmende Schlot eines grauen Schiffleins, das verdammt viel Ähnlichkeit mit dem versenkten Torpedospucker hat und das wieder hinter der „Valparaiso“ her ist …“

„Unangenehm …!“, murmelte der Oberst etwas beklommen. „Recht so, Olaf, – weg mit jedem Fetzen Leinwand … Reiche mir das Glas.“

Und dann meldete er: „Ist ein ausrangierter Torpedokahn wie der andere … Hält Kurs Südwest …“

Das Schiff war über der Kimmung erschienen.

Unser Kutter wich aus … Nach einer Stunde war die Gefahr vorüber …

Ich kochte Kaffee, wir steuerten wieder nach Süden, aber wir waren still und bedrückt. Wir beide konnten leicht berechnen, daß der Verfolger der Schonerbrigg begegnet sein mußte.

 

6. Kapitel.

Vor Santa Renata.

In der zweiten Nacht nach unserem Abschied von der „Valparaiso“ begann meine Wache um elf Uhr. Wir hatten ungünstiges Wetter, der Himmel war dicht bedeckt, es stürmte nach kurzen Gewittern recht kräftig, der Wind fauchte uns entgegen, der Kutter tanzte in tollen Sprüngen, und Freund Ham hatte kaum vier Stunden geschlafen, als er die Nachmittagswache bezogen hatte. – Was man so schlafen nennt, wenn andauernd die Brecher auf das Deck klatschen und die Schraube so und so oft wie irrsinnig nur die leere Luft peitscht.

Was man so schlafen nennt …

So war auch mir zu Mute, als ich nach der Uhr schaute: Elf! – Meine Zeit …!

Ich tastete mich zum Heck, es regnete, die See war ein kochender Kessel, und Ham hockte am Steuer, in der Linken den Schöpfeimer, im Munde einen braunen Besen, der mal Zigarre hieß, und fluchte.

Natürlich immer salonfähige Flüche …

„Nette Schweinerei, Olaf …! Finster wie im Dudelsack … Auch die Dudelsacktöne fehlen nicht. Manchmal klingt das Heulen wie Katzenkonzert …“

Ja, es war finster … Unsere Laternen waren bleichsüchtige Fünkchen und hatte nur ein gutes: Der liebe Pacific wurde etwas friedlicher!

Was man so friedlich nennt …

Ham pellte sich aus seinem Ölmantel – wir hatten nur einen –, ich zog ihn an, er drückte mir die Hand …

„Viel Vergnügen … – Hier steht die Whiskyflasche!“

Er spuckte seine zerblätterte Zigarre über Bord und zog sich zurück.

Vergnügen?!

Ringsum lauerte die Dunkelheit … Aus diesem schwarzen Nichts tauchten weiße Streifen auf, rollten heran, rauschten, flüsterten, zischten, – – enteilten …

Neue kamen …

Ich schöpfte … schöpfte … Nebenher mußte ich haarscharf aufpassen … Zuweilen fiel es diesen niederträchtigen Schaumkämmen ein, nicht die ehrliche Distanz von etwa zwanzig Meter einzuhalten, und falls wir gleichzeitig von zwei dieser lärmenden Schwadronen von Pacific-Kavallerie überrascht wurden, sackte unser Kahn wie eine gefüllte Taube weg.

Von der Nässe ganz abgesehen.

Gummimantel, Ölmantel?! Südwester?!

… Ich war in kurzem pudelnaß … Ich weiß zwar nicht, weshalb man gerade den Pudel mit „naß“ zusammen zur feststehenden Redensart erhoben hat, aber „geflügelte Worte“ enthalten ja überhaupt so viel Unsinn.[7] – Freund Monte hatte jedenfalls, auch Hund, das bessere Teil erwählet und war unter Dach und Fach geblieben. Allerdings hat er mit einem Pudel auch nicht die allerentfernteste Ähnlichkeit.

Spaß beiseite, – dies hier war kein Spaß, zumal die salzigen Tropfenregen, die von unten nach oben mir ins Gesicht peitschten, die ohnedies überanstrengten Augen noch ärger belästigten als das fortwährende Achtgeben auf die niederträchtigen Wogenkämme.

Und noch eins: Wie leicht konnten wir mit einem Male innerhalb der Galapagos-Inseln sein, die mit ihren Klippen und Riffen und unberechenbaren Strömungen, senkrechten Steilküsten und der ganzen Unzuverlässigkeit ihres vulkanischen Charakters uns wegwischen konnten wie ein Papierschifflein, das von Kindern dem Strome einer Gosse anvertraut wird!

Einsame Nachtwache auf einsamem, finsterem[8] Meere, – du weckst Gedanken, die scheu von der Granitwand einer ungewissen Zukunft wieder zurückgleiten in die jüngste Vergangenheit, die für zwei Männer und einen Hund sich in dem Schiffsnamen „Valparaiso“ zusammendrängt …

Und die Namen derer, die nun die Schonerbrigg mit ihrer ungewöhnlichen Luxusausstattung ungewöhnlichen Schicksalen entgegensteuern?!

Nichts von Namen …

Nur Menschen … Eine weißhaarige Frau, ein Mann mit hartem Gesicht, ein Mädchen, schlank wie ein Kind, ein kleiner alter Bursche mit dem kostbaren Kunstgebiß eines Zugehörigen des großen Ameisenhaufens, Kulturvolk genannt …

Und die Gegenspieler?!

Der Ozean verschlang sie … Der Ozean schaukelt sie auf seinem geduldigen Rücken im grauen Schiff, das vorgestern gen Südwest dampfte …

Wo war da Anfang, Ende, wo war da auch nur ein einzelner Faden, der einen Weg durch das Labyrinth der Kreuzwege des Widerspruchsvollen andeutete?

Ein Faden – ein Fädchen, ein lächerlich dünnes Fädchen gab es: Der Zettel des Fremden, der uns nach Santa Renatas Nordküste befahl!

Und vielleicht ein zweites Fädchen: Der Firmenaufdruck der Ballastsäcke:

H. St.
H.,

dazu noch das „J. G. Matthiessen, Hamburg.“

… Was war es?

Ich schreckte hoch …

Was war es?! – Das Meer war still, war zahm, der Regen tröpfelte nur noch …

Und dazu ein scharfer, ungewohnter Geruch, ein widerlich riechender Dunst, stickig, atembeklemmend, jedoch schnell verwehend …

Die Stille nach dem unaufhörlichen Lärmen der unzählbaren Reitergeschwader des windgepeitschten Pacific warnte mich.

Halbe Fahrt …

Der Motor surrte bescheidener …

Ein Blick auf den Kompaß: Kurs genau Süd!

Der Kutter mußte unter Wind einer großen Insel geraten sein …

Ich horchte …

Ich kniff die Augen ganz klein.

Aber die Dunkelheit verriet nichts …

Nirgends fernes Brandungsgeräusch, nirgends Möwenschreie, nirgends ein Lichtschimmer … Nur die drohende Finsternis – vor mir, über mir schwarze Tücher … unter mir das gebrechliche Fahrzeug und die matt schillernde Flut, auf der drei Streifen ebenso matt glitzerten: Grün, rot, weiß, – unsere Laternen …

Diese Streifen waren wie Schlangen, die in eiligen Windungen auf mich zu glitten.

Ich war aufgestanden, hatte die Ruderpinne zwischen den Schenkeln, hatte nach dem Glase unter dem Ölrock gegriffen, hatte die Gläser mit dem Taschentuch getrocknet …

Plötzlich schrammte der Bootskiel über Grund. Ein kurzer Stoß nur, ich taumelte nach vorn, flog zurück, ließ die Schraube rückwärts schlagen, stoppte, – – der Kutter lag still …

Eine glühend heiße Welle war mir über den Leib geflutet: Nerven!

Für Sekunden: Nerven!!

Und dann abermals dieser ekle Geruch, den ich anderswoher kannte: Halb Gasdunst einer Gasanstalt, halb Gestank von Schwefelquellen, vermischt mit dem Qualm von Schornsteinen, deren Rauch die schwere Regenluft und den Wind niederdrücken …

Geruch des Riesenblasebalges eines Vulkans! Das war es! Und mithin: Wir waren angelangt, die Galapagos-Inseln befanden sich in nächster Nähe, diese so schwach besiedelte Gruppe von unwirtlichen Gestaden, die trotzdem so außerordentlich günstige klimatische Verhältnisse aufweisen und kaum vermuten lassen, daß der Äquator sie[9] durchschneidet und die Sonnenhitze hier unerträglich sein müßte.

Galapagos?! – Fünf größere, mehrere kleinere Inseln, die meisten davon unwirtlich, verpestet durch vulkanische Gase, dennoch fruchtbar, nur deshalb gemieden, weil sie für Bodenkultur untauglich und weil sie allzu abseits liegen. Ein paar hundert Farbige, wenige Europäer hausen auf diesem Archipel, stets bedroht durch die nie erlöschenden unterirdischen Feuer, bedroht auch durch Insektenplagen, durch die trostlose Einsamkeit, die diesen Insulanern nur jeden zweiten oder dritten Monat den Regierungsdampfer mit Post und Zeitungen bringt – drüben vom amerikanischen Festlande, – – zu Ecuador gehört die Gruppe, Colon-Inseln heißt sie neuerdings, – – aber Ecuador hat andere Sorgen, und der beste Beweis, daß diese Pacific-Inseln nichts wert sind, weder militärisch noch finanziell, liegt wohl an der einfachen Tatsache, daß keine der großen Seemächte sie bisher friedlich annektierte, aufkaufte oder sonstwie „beschlagnahmte“, – – etwa wie die Hawaii-Gruppe, die Philippinen und andere …

Nein, die Republik Ecuador bleibt in dieser Hinsicht unbelästigt … Sie hat Kolonialbesitz: Die Galapagos, – – vielleicht auch einen Kolonialminister, das weiß ich nicht … Das käme ganz darauf an, sagte Freund Ham, ob genug Geld in der Staatskasse sei, – was er bezweifelt.

Also: Wir waren angelangt …!

Unser Kutterkiel hatte bereits Bekanntschaft mit Galapagos-Boden gemacht, meine Nase mit Vulkandunst …

Der Wind kam ja von Süden … Und wahrscheinlich, überlegte ich mir, war es die Nordostküste der größten Insel Albemarle, die hier die Wogen des Pacific abfing, Albemarle hatte ja allein sechs noch tätige Vulkane, und daher war auch der starke Dunst leicht zu erklären.

Jedenfalls: Der Kutter lag still, und die Gefahr, irgendwo Schiffbruch zu erleiden, war vorläufig beseitigt. Die Frage war nur: Wie fanden wir in dieser Finsternis und in diesem unsicheren Fahrwasser die andere Insel? Sollten wir nochmals einen ganzen Tag opfern und hier irgendwo an unbekannter Küste uns verbergen, sobald es hell wurde? Freund Ham hatte heute bereits Zeichen von Ungeduld verraten, und wenn er jetzt am Steuer gesessen hätte, würde er wohl alles auf eine Karte gesetzt haben, ob Schiffbruch oder nicht … Es dauerte ihm schon viel zu lange, die „Geschichte aufzuklären“, – die Redensart gebrauchte er ständig, aber hinter ihr verbarg sich ja in Wahrheit ein Mädchengesicht, und wenn erst einmal derartige Gefühle sich in reine Männerangelegenheiten hineinmengen, ist es mit einer gesunden Beurteilung der Verhältnisse zumeist vorbei.

Ihn wecken?! – Besser nicht! – Ich würde schon allein irgendwie einen Ausweg finden!

Hallo, – was war denn das?!

Da schrammte ja schon abermals etwas am Kutterbord entlang!

Ich beugte mich rasch vor, sah im Schein des Backbordlichtes gerade noch den breiten Rücken einer Riesenschildkröte, die eifrig davonruderte, und mußte lachen.

Also das war das „Riff“ gewesen!

Schildkröten!! Davon sollte es hier nicht Hunderte, sondern Tausende geben, und einige Arten, hatte Ham erklärt, seien so groß wie Tischplatten.

Stimmte, – das davonrudernde Tier besaß eine recht ansehnliche Ausdehnung …

Und als ich nun die Umgebung des Kutters genauer musterte, bemerkte ich in der trübe schillernden Flut überall flache Buckel, einen Kreis von Schildkröten, die nur durch die Bootslaternen angelockt sein konnten.

Schildkröten hin, Schildkröten her! Die Zeit drängte. Ich nahm den Bootshaken, hängte vorn die Buglaterne an den Haken, band sie noch fest und klemmte die Holzstange am Bug unter zwei straff gespannte Trossen, so daß das Licht dicht über dem Wasserspiegel glitzerte. Ein Scheinwerfer wäre praktischer, aber auch verräterischer gewesen.

Der Motor brummte …

Meine Begleitflottille von Schildkröten blieb zurück, ich steuerte genau Nordnordwest, war ich wirklich unter Wind der hohen Insel Albemarle, deren Berge sich bis über dreitausend Meter hochtürmen, so mußte ich nach einiger Zeit wieder die offene bewegte See erreichen.

So war ich denn noch keine fünf Minuten mit sehr gemischten Gefühlen unterwegs, als ich trotz der Finsternis vor mir etwas noch Finstereres mit verwaschenen Konturen bemerkte – wie einen Schatten nur, – ich stoppte sofort, ließ den Motor rückwärts laufen und lag abermals still.

Zweifellos war es ein Riff da vor mir …

Schon beinahe Inselchen …

Ich horchte …

War das nicht Blätterrauschen? Knarrte da nicht ein Baum irgendwo in dem schwarzen Loch oberhalb des Schattens?

Ich raunte nach vorn, ich hob den Bootshaken mit der Laterne, das spärliche Licht beleuchtete Felsen, Büsche, wieder Felsen, – weiter reichte der Lichtschein nicht.

Eine etwas sehr üppige Hoffnung belebte mich. Sollten wir so unglaubliches Glück gehabt haben, Santa Renata da vor uns zu haben oder besser das Riff, von dem der Fremde geschrieben hatte?!

Ich nahm das Paddelruder, vier kräftige Ruderschläge, und der Kutter keilte sich ohne ärgeren Stoß zwischen zwei Ufersteinen fest.

Ich sprang mit der Trosse an Land, wickelte sie um eine Felsnase und suchte mich zu orientieren.

Es war eine vielleicht dreißig Meter hohe Klippe … Alles kam nun darauf an, ob oben ein einzelner Baum stände.

Die Kletterpartie war mühsam, – je höher ich kam, umso stärker wurde auch der Wind, ich zog mich an Büschen empor, – – endlich: Da war ein Baum, irgend ein tropischer Riese mit dickem Stamm und einer Krone mit dünnen Ästen, die voller länglicher Blätter saßen. Das Ding sah aus wie eine Kropfweide, hatte unten nur ein Gewirr leistenförmiger Luftwurzeln, auf denen Eidechsen hockten, dicht bei dicht.

Die Laterne hatte ich mir vor die Brust gehängt und die Jacke darüber halb zugeknöpft.

Offenbar hielten die Eidechsen hier eine Verschwörerversammlung ab, denn als ich wieder hinschaute, waren sie verduftet. Es waren Tiere bis zu Armlänge fast, und mich wunderte das nicht weiter, denn die Galapagos besitzen eine Fauna, die sich weder der südamerikanischen noch der ozeanischen so recht eingliedert, so kommen dort Tierarten vor, die sonst nirgends angetroffen werden, und die Gelehrten halten daher die Galapagos auch für die Reste eines versunkenen, besonderen Kontinents, – – ihre Sorge!

Meine Sorgen waren anderer Art und wichtiger …

Wir sahen uns hier vor eine Entscheidung gestellt, die sich nicht so einfach übers Knie brechen ließ. Der damalige schriftliche Wunsch des Fremden, nach der Küste hin Signale zu geben, durfte nicht so ohne weiteres erfüllt werden. Die Sachlage hatte sich geändert, und es blieb abzuwarten, ob wir nicht klüger täten, uns zunächst einmal die Insel Santa Renata anzusehen.

Ich stand noch immer unter dem Schopfbaum, hütete mich, die Laterne allzu hell aufblitzen zu lassen, und war so in Gedanken vertieft, daß ich ordentlich zusammenschrak, als Monte plötzlich neben mir auftauchte.

Freund Monte begrüßte mich nicht etwa durch das übliche kräftige Schweifwedeln, nahm von mir überhaupt nicht Notiz, sondern fuhr sofort knurrend in die Leistenwurzeln hinein, die etwa wie verrottete Bretter aussahen, die sternenförmig den Fuß das Baumes umgaben.

Ein leiser Aufschrei, dann Poltern von Steinen, und ein ängstliches Stimmchen und ein tiefer Kellerbaß: Das Stimmchen rief: „Ein Hund!“, – der Baß brummte: „Verdammter Köter!“

Beides … deutsch!

Merkwürdig, – hier zwei Deutsche, die sich unter dem Baum verkrochen hatten?!

„Hallo, – kommen Sie bitte hervor!“, – – auch deutsch …

Stille …

Monte zeigte mir nur das Achterteil, den Schweif, aber der Schweif wedelte …

„Wer sind Sie, Landsmann?“, fragte der Baß vorsichtig …

„Schiffbrüchige – zwei Mann, ein Hund …“, – das stimmte ja. – Mit der Wahrheit wollte ich doch lieber hinter dem Berg halten.

„Deutsche?“

„Nein, ein Amerikaner, U. S. A., und ein Schwede, – der Hund bekennt sich zu fünfzehn verschiedenen Rassen …“

Das Stimmchen lachte gurrend … Die fünfzehn Rassen gefielen der Miß.

„Lotte, bleiben Sie“, kam es aus der Tiefe … „Ich will erst mal mit dem Gentleman Palaver halten … – He, Sie, rufen Sie Ihren Patentköter zurück … Wenn ich dem auf die Nase tippe, baumelt ihm die Schnauze hinten am Schwanz …“

„… Was ich bezweifele, lieber Herr, – – wahrscheinlich würden Sie eine chirurgische Klinik aufsuchen müssen … – Monte, hierher! Leg dich!“

Monte gehorchte, und zwischen den Wurzeln erschien ein knallroter krauser Ball, mehr nach unten zu eine blaurote Warzennase, und dann richtete sich vor mir ein etwas abgerissener Jan Maat auf, der einen ungeheuren Brustkorb und wahre Affenarme und im sonnverbrannten Gesicht einen üppigen, in allen Farben spielenden Vollbart und ein Paar listige Schweinsäuglein hatte, unter denen bläuliche Tränensäcke die Annahme bestätigten, daß der Mann von Grog oder Punsch nicht viel hielt und den Alkohol unverdünnt trank.

Dieses kräftige Gewächs von Mensch grunzte mich denn auch sofort an:

„Oller Schwede, hast de was Trinkbares?!“

„Unten … ja, unten im Kutter …“

„Kutter?!“ Er horchte auf. „Hm, was seid ihr für Vöglein?“

„Naturforscher …“

Er betrachtete mich …

Viel eleganter als er sah ich kaum aus.

Trotzdem schien seine Musterung zu meinen Gunsten ausgefallen zu sein.

„Lotte, – bitte, – das ist keiner von den Strolchen … Zeigen Sie sich nur …“

Und das, was Lotte benannt wurde, tauchte auf …

Das war etwas sehr Hübsches, Frisches, Kräftiges, Blondes, – nur mit der Garderobe stand es schlecht. –

Wanderfahrten machen mißtrauisch.

Die Zeiten, wo ich jedem blanken Augenpaar und taufrischem Munde und jedem ollen ehrlich erscheinenden Jan Maat blindlings vertraute, waren vorbei.

Das Mädel (ob Frau, blieb sich gleich) prüfte mich mit schnellem Blick von oben bis unten, – was bekanntlich wertlos ist, da das Äußere stets nur die Hülle bleibt.

Ich fragte etwas kurz: „Was treiben Sie hier beide?“

„Naturforscher“, erwiderte der Goliat humorvoll. „Wir studieren die Eidechsen …“

Sehr hübsch gesagt, – nur nicht für mich.

„Monte, – – allons!! Such!!“

Und Monte verschwand in dem Loch, kehrte gelangweilt zurück und ließ sich von Lotte den Kopf kraulen.

„Herr“, meinte da der Baß, „so wird das nichts … Sie sind vorsichtig, wir sind vorsichtig. Öffnen wir das Visir …“ – Er sprach mit einem Male sehr gebildet. „Ich bin Steuermann Gustav Spreebock … Spree…bock –, für den verrückten Namen sind meine Ahnen verantwortlich, denn ich sah noch nie einen Ziegenbock, der freiwillig in der Spree gebadet hätte –, und das hier ist Frau Lotte Wenk, zur Zeit Strohwitwe … gegen ihren Willen und den ihres Mannes … Die Verhältnisse brachten das so mit sich.“

Frau Lotte hatte jetzt kein Stimmchen mehr, als sie äußerst schneidig hervorstieß: „Die Verhältnisse?! Schurken, mein Herr, Schurken von einer Art, wie …“

„Still, still – – keine Aufregung“, besänftigte der Spreebock herzlich. „Na, – – und Sie, mein Herr? Ihr Name?“

„Olaf Benson …“

„Bensen, – – aha, Bensen …, – wie Larsen, wie Swendsen, wie Lürsen … – Also Bensen …“

Ich hatte zwar Benson gesagt, – mochte es bei Bensen bleiben.

„Bitte, folgen Sie mir … Im Kutter ist es behaglicher“, schlug ich vor.

„Sofort, ich hole nur unser Gepäck“, erklärte Steuermann Spreebock höflich und kroch in das Loch hinein.

Frau Lotte Wenk flüsterte schnell: „Herr Bensen, ich darf Ihnen nicht verhehlen, daß der Steuermann und ich verfolgt werden … Wir halten uns hier bereits zehn Tage verborgen, und …“

Spreebock tauchte wieder auf … Was er als „Gepäck“ bezeichnet hatte, war ein kleines Bündel, in Öltuch gewickelt, und ein längerer Gegenstand, wahrscheinlich eine Büchse.

Monte zeigte uns einen Weg zum schmalen Ufer des Riffs hinab, der weit bequemer war. Es war eine Kluft, die das Riff halb gespalten hatte.

Unten angelangt, sah ich Hams Silhouette vor dem grünen Laternenschein.

„Lichter aus!“, fauchte der Steuermann. „Wo möglich schießen Sie noch Raketen ab, meine Herren,! Lichter aus!! Die Bande wimmelt drüben auf Santa Renata in einigen Dutzend Musterexemplaren herum, und die Kugeln sind bei denen so billig zu haben, wie hier die Eidechsen.“

Ham löschte die Laternen.

Inzwischen hatte sich das schwarze Gewölk ein wenig zerteilt … Einige Sterne erschienen, man konnte wenigstens etwas sehen …

Ich half Frau Wenk an Bord, Ham wurde den Gästen in aller Form vorgestellt als „mein Freund Hamilton“, – das genügte zunächst.

Als wir uns in die winzige Bugkabine zwängten, blieb Frau Wenk plötzlich stehen …

„Gott im Himmel – – der Kutter!!“, – – und dann sank sie mir bewußtlos in die Arme.

„Nette Bescherung!“, knurrte Steuermann Gustav … „Herr Bensen, – her mit dem Schnaps, schnell, – nicht für mich … Das arme Frauchen hat in letzter Zeit auch zu viel gelitten!“

Lotte Wenk lag totenblaß auf dem einen Klappbett, ich flößte ihr Kognak ein, es war bester deutscher Kognak, gespendet von dem Fremden von der Schonerbrigg, und bei diesem Samariterdienst fragte ich mich, was die Frau so erschreckt haben könnte, oder, deutlicher gesagt, woran sie den Kutter wiedererkannt haben mochte.

Da fiel mein Blick auf das rechte, hochgeklappte Bett, das ja nur ein mit Gurten bespannter und mit derbem Leinen überzogener Eisenrahmen war.

Tiefschwarz sah ich einen Firmenaufdruck:

H. St.
H.

Ich wandte schnell den Kopf … Steuermann Spreebocks Augen hingen wie gebannt auf diesem Stempelzeichen, und dann schaute er, wie ertappt bei irgend einer Dummheit, flink zur Seite und hustete wie ein Walroß vor Verlegenheit.

All das besagte genug. Diese beiden Flüchtlinge kannten den Kutter, kannten also auch die „Valparaiso“, und als Frau Wenk sich erst ein wenig erholt hatte, machte ich die Probe aufs Exempel und fragte so nebenher, damit auch Freund Ham im Bilde sei und nicht zu viel ausplauderte:

„Kennen Sie einen Segler namens „Valparaiso“? Wir begegneten ihm, aber die Leute dort an Bord wollten nicht viel von uns wissen, überließen uns immerhin diesen Kutter …“

Frau Wenks Augensprache, schnell und heimlich, galt dem rotlockigen Steuermann. Beider Gesichtszüge waren trotzdem verräterisch genug. Sie deuteten leichtes Erschrecken, Unsicherheit und Zweifel an.

„Valparaiso?!“, wiederholte Spreebock brummend und streichelte seinen roten Haarbusch. „Nein, – wenigstens keinen Segler, der … hm – hier in Betracht käme …“

„Hier?!“ Ich hatte ihn nun auf dieses Wort festgenagelt. „Wie meinen Sie das, – – hier?!“

Seine Antwort bestand aus einer großartigen Handbewegung.

Wirklich antworten, das tat nun Frau Lotte Wenk. Was sie sprach, setzte mich in Erstaunen. Ähnliche Worte kannten wir bereits.

„Herr Bensen, wir möchten Sie beide nicht mit hineinziehen in ein äußerst gefährliches Abenteuer, – Sie wollen doch sicherlich weiter nach Süden nach der Galapagos-Insel[10] Charles[11], wo in dem geschützten Hafen die spärlichen Postdampfer anlegen … Nehmen Sie uns mit, …“

„… nach Santa Renata!“, fiel ich ein. „Und Santa Renata liegt dort drüben …“

Sie senkte schnell den Kopf. Steuermann Spreebock hustete …

Ich mußte mit dieser Sache ins Reine kommen …

„Wer steckt dort auf Santa Renata? Reden Sie doch!!“

Aber selbst mein eindringlicher Ton half nichts.

Die beiden zuckten hilflos die Schultern. Bei Gustav Spreebock wirkte das besonders komisch. Er zog den Schädel bis zu den Ohren ein, grinste etwas töricht und brummte schließlich:

„… Ich sagte ja schon: Banditen stecken dort, – – zu viel für drei Männer und eine Frau, und …“

Ich schaute Frau Lotte an.

„Haben die Kerle etwa Ihren Gatten geschnappt, – gefangen genommen?“

„Ja!! Ja!!“ Und abermals kam da ihr Temperament zum Durchbruch. „Ich wünschte, Herr Bensen, ich dürfte Ihnen gegenüber ganz offen sein. Aber die ganze Angelegenheit muß geheim bleiben, ich bin nicht berechtigt, diejenigen zu verraten, die …, – – doch nein, es ist besser, ich schweige. Wie wir freilich die Dinge wieder einrenken sollen, weiß ich nicht …“

Freund Ham, der das Deutsche nur sehr mäßig beherrschte, trotzdem er wohl der Unterredung bisher hatte folgen können, lehnte im Eingang des Bugverschlages.

„Olaf, – – ein grünes Licht!!“, meldete er jetzt hastig … „Drüben – ganz rechts … Entfernung etwa fünfhundert Meter … Man erkennt auch die Insel bereits. Es wird immer heller.“

Ich drängte mich an ihm vorüber …

Klar, hellgrün, sehr kräftig strahlend, schwebte da die grüne Leuchtquelle halb über dem Strandstreifen der Insel, deren Konturen mir eine lange, flache Halbinsel, die in Richtung Nordost verlief, sonst nur steile Uferberge, terrassenförmig angeordnete Höhenzüge und einzelne hohe Gipfel zeigten. Die Beleuchtung war noch zu schwach, Einzelheiten unterscheiden zu können. Das dichte Gewölk verzog sich erst allmählich, der Wind hatte offenbar abgeflaut, hier im Schutze der Insel regte sich kein Lüftchen mehr.

Bei uns an Bord waren alle Lichter gelöscht. In der Bugkabine brannte eine Laterne, das war alles. Da diese Vorschiffkammer keine Fenster hatte, konnte uns kein Lichtschein verraten. Die offene Tür des Verschlages war der Insel abgekehrt und somit auch ungefährlich.

Freund Ham neigte sich vor und flüsterte mir zu: „Olaf, – denkst du an das grüne Signal, die zweite Positionslaterne?!“

Ich dachte schon daran …

Aber ich traute dem Frieden nicht.

„Gibt es hier Haie?“, fragte ich den Steuermann.

„Nein …“

„Dann nehme ich Monte mit … – Ham, paßt scharf auf … Die Sache gefällt mir nicht. Es ist nicht ausgeschlossen, daß man von drüben unsere Positionslaternen gesehen hat und daß das Ganze lediglich eine Falle ist.“

Frau Wenk stand neben uns.

„Das dulde ich niemals, Herr Bensen!“, hauchte sie erregt. „Sie kennen die Banditen nicht, – es sind …“

„… Banditen, und Hamilton und ich sind beinahe auch Banditen, nur ehrliche … – Es bleibt dabei … Wir werden Ihren Gatten befreien, Frau Wenk … Verlassen Sie sich auf uns … Wir sind in diesen Dingen keine Grünspechte …“

Und Ham bekräftigte: „Spechte sind wir wohl, mit verteufelt harten Schnäbeln, aber Grünlinge auf keinen Fall … Wir haben schon andere Geschichten gemanagert …, – Sie verstehen: Durchgefochten!“

Spreebock lachte gluckernd. „Ahnte ich es nicht?! Nette Naturforscher!! – Herr Bensen, nun mal runter mit dem Vorhang: Weshalb fiel Herrn Hamilton gerade das grüne Licht so sehr auf?“

„Weil …“ – ich zauderte doch etwas – „uns jemand gebeten hatte, hier an der Nordküste Santa Renatas nach der Insel hin Signale zu geben und Morsezeichen zu erwarten, das ist es.“

Frau Lotte wurde schon wieder bedrohlich bleich.

„Lieber Gott, – – Sie beide waren doch an Bord der „Hammonia“, meine Herren?! Sie müssen dort gewesen sein … Lebten die Schimpansen noch?!“

Endlich lichtete sich das Dunkel ganz wenig.

„Die Schonerbrigg hieß „Valparaiso“, Frau Wenk“, verbesserte ich, gespannt, was sie hierzu äußern würde.

„Spreebock …“, rief sie fiebernd vor Ungeduld … „Hören Sie: Er lebt, er hat den Namen verändert …!“ Und zu mir gewandt in fast flehendem Tone: „Er lebte? Nicht wahr? Sie sprachen ihn ja …“

„Wir sprachen zwei Leute, Frau Wenk, einen Mann und eine weißhaarige Dame … – Doch das mag Ihnen Ham erzählen … Ich habe Eile.“

Frau Lotte war auf das Bett gesunken. Aber ihre Augen strahlten … „Oh – wie danke ich Ihnen, Herr Bensen! Wie sehr!“

Ich hörte nicht mehr recht hin … Ich traf meine Vorbereitungen, band meine Pistolen über dem Südwester fest, glitt ins Wasser, Ham reichte mir Freund Monte, und eine scharfe Strömung, die wohl infolge der langen Halbinsel hier kreiste, riß uns davon … trug uns schneller der Insel zu, als wir es durch Schwimmen geschafft hätten.

Wir landeten hundert Meter links von dem grünen Licht zwischen tangbewachsenen flachen Riffen und krochen über Hügel faulender Tangmassen auf den schmalen weißen Streifen von Muschelkies. Es war gerade die Zeit der Ebbe, das Wasser hatte freigegeben, was es bei Flut meterhoch bespülte, – Schildkröten in allen Größen wühlten in den Tangbergen, – links von uns erhob sich eine wie glasiert schimmernde Mauer: Lava! Rechts gurgelte träge der Ozean.

Wir verschnauften …

Und dann von rechts, wo die hohe Klippe lag, ein einzelner matter Schuß, – – noch einer …

Dann ein wütender Aufschrei, – das war Steuermann Spreebock, – – dann wieder ein Schuß …

Ich spähte hinüber …

Sah nicht viel …

Sah neben dem Kutter ein Boot mit einem Klumpen Menschen …

Ein gellender Hilferuf …

Wieder ein Knall …

Das Boot spie ein Dutzend Gestalten aus, der Kuttermotor ratterte, und beide Fahrzeuge bewegten sich auf das grüne Licht zu.

Freund Ham hatte doch nicht genügend aufgepaßt. Der Feind war schlau genug gewesen, von der offenen See her den Kutter zu überfallen.

 

7. Kapitel.

Frau Wenks Räuberhöhle.

Auch das alles ist nun gewesen … ist Vergangenheit geworden.

Die Sonne scheint, neigt sich bereits wieder gen Westen, um im Pacific zu baden, und wir drei sitzen hier hoch oben über allem, was Menschenleid und Alltag heißt, und Frau Lotte Wenk hat Montes Kopf im Schoß und starrte in die Ferne, wo die Rauchsäulen der ewigen Feuer der Vulkane der größten Insel den Himmel verdunkeln und wo über dem schillernden blaugrünen Ozean die anderen Inseln ausgestreut sind wie Felsbrocken in einem Naturpanorama. Wir haben die ganze Inselgruppe vor uns, wir können die düsteren unwirtlichen Eilande zählen, – weit ab liegen sie, nur halblinks von uns erhebt sich Abingdon, die Nachbarinsel, und auch sie ist eine Meile entfernt …

Unter uns aber zieht sich ein Plateau von Santa Renata hin, man könnte sagen eine Prärie mit viel Gebüsch. Kleine Trupps von Pferden, Eseln, Maultieren, Mauleseln beleben die Steppe, und all diese kräftigen Einhufer sind Nachkömmlinge jener einst eingeführten Tiere, die man laufen ließ und die völlig verwilderten, als die nach der Charles-Insel deportierten Sträflinge 1837 den großen Aufstand anzettelten und zum Teil entflohen, zum Teil Piraten wurden … Die Republik Ecuador war damals nicht imstande gewesen, den Aufruhr niederzuschlagen, damals wurde auch die blühende Niederlassung Floreana auf der Charles-Insel zerstört.

Frau Lotte, die jetzt noch strenge Hüterin der Geheimnisse der Schonerbrigg „Hammonia“ (in „Valparaiso“ umgetauft), ist den Leuten, die sich da im Boot an den Kutter herangeschlichen haben, glücklich entronnen.

Monte und ich haben sie aufgefischt, die Strömung hatte die tapfere, kräftige Frau fast genau an derselben Stelle an Land gespült wie uns. Wenn wir nicht erwischt werden wollten, hatte ich mir gesagt, mußten wir vor Tagesanbruch ein sicheres Versteck gefunden haben. Als ich meiner blonden Gefährtin dies klar machte, erwiderte sie nur – und das war die erste Überraschung: „Ich kenne Santa Renata ganz genau … Kommen Sie nur, uns findet niemand!“

Sie versprach nicht zu viel. Sie führte mich ungebahnte Pfade, die im Dunkeln sogar die klettergewandten Wildesel abgeschreckt hätten, und nach einstündigem Marsche durch Schluchten, Berge, über Lavafelder, über rote, tonige Erde, in der ungeahnte Mengen von Pflanzen, Büschen und Bäumen wucherten, immer nach Süden zu auf einem schmalen Höhenzuge, in dessen letztem Ausläufer, einer steilen Kuppe, der unterirdischen, nunmehr fast erloschenen Feuer sich den Scherz geleistet hatten, über einen schwindelnd machenden Abgrund eine schmale Lavabrücke zu bauen, die so versteckt lag, daß nur ein wirklich Ortskundiger sie finden konnte, weil eine Föhrenart, Bäume von vierzig Meter Höhe, am Nordrande des Abgrundes zum Teil horizontal wie Krüppelkiefern wucherten und den Überblick über die Schlucht erschwerten.

Jenseits der Lavabrücke lief ein enger Felsgrat um die kahle Kuppe herum und endete auf einer kleinen Terrasse, hinter der die alles hervorzaubernde Natur eine senkrechte Spalte mit Geröll, einigen Föhren und Buschwerk als Höhlendecke ausgefüllt hatte.

Es war eine Grotte, die wohl kaum ihresgleichen hatte, vielleicht die wundervollste, naturechteste Räuberhöhle aus unserer Jugend phantasieerhitzten Tagen, wie kein Kinoregisseur sie raffinierter, eindrucksvoller aufbauen konnte. Als ich sie nachts zum ersten Male unter Frau Wenks Führung betrat, erschien sie mir beim Scheine eines schnell angezündeten Feuers, an dem wir unsere Kleider trocknen wollten, düster und unheimlich, jedenfalls nicht geeignet als Versteck für eine schwergeprüfte Frau, die ihren Nerven kaum mehr viel zumuten konnte, wie ihr tiefer Ohnmachtsanfall in der Kutterkabine bewiesen hatte.

Wir hatten dann neben dem Feuer gesessen, beide durchkältet bis auf die Knochen, denn von Äquatortemperatur war hier in tausend Meter Höhe nichts zu spüren. Endlos lange Felsenbärte hingen über uns von den halb verschütteten Föhrenstämmen herab, dicke Moospolster bedeckten das zermürbte Gestein, einzelne Büsche, kümmerlich im Halbdunkel vegetierend, geisterten mit farblosen, saftlosen Blättern in den zahllosen Rissen, und Unmengen von Eidechsen, hellbraunen Fledermäusen und schwirrenden Insekten protestierten auf ihre Art gegen unser Eindringen … Verfaulte Baumstümpfe, jetzt Wohnstätte von kleinen Leuchtkäfern, glühten in fahlem Grüngelb wie mit Phosphor bestrichene Totenschädel zwischen den grotesken Ziegenbärten der Grottendecke, zuweilen fielen ein paar der leuchtenden Fünkchen herab und glühten im Moose weiter wie die Augen gespenstischer Tiere.

Still, in Gedanken versunken saß die Frau, die das Geheimnis der „Hammonia“ kannte, neben mir. Freund Monte, uns gegenüber so recht behaglich hingestreckt, machte sich weiter keine Gedanken um Gegenwart und Zukunft.

Ich desto mehr …

Diese ganze Umgebung war genau so düster wie das Rätsel um den Mann mit den fünf Schimpansen und wie das um die Frau mit den feinen Leidenszügen und dem schlohweißen Haar.

All das war Spuk … Und Spuk ist nur für Narren …

Ein Blick in das Gesicht der Frau, und dann die knappe Frage: „Konnte Hamilton Ihnen unser Abenteuer berichten, oder sind Sie nur immer noch halb eingeweiht?“

„Nur halb“, antwortete sie zerstreut. „ Ihr Freund übertrieb die Vorsicht, zauderte zu lange, überlegte jedes Wort … Und er war erst bei der letzten Episode der Haifischjagd angelangt, als wir von dem Boot überfallen wurden. Erzählen Sie mir nun das Wichtigste, ich bin ja leider gezwungen, mein Verhalten ganz danach einzurichten, wie der Mann, den Sie auf der Brigg fanden, sich Ihnen gegenüber äußerte.“

„Nun gut, hören Sie zu …“ Ich hatte diese behutsamen Halbheiten gründlich satt … „Zunächst trafen wir auf der Schonerbrigg ein dunkelhaariges junges Mädchen und einen Farbigen mit einem recht zerknitterten alten Gesicht und einem wahren Kunstwerk von Goldgebiß im Munde …“

Ich schrak zusammen, – so jäh war Frau Lotte Wenk emporgeschnellt …

„… Ein … Mädchen? Eine Europäerin …?“, – es war mehr ein hilfloses Stammeln als eine klare Frage.

Niemals hätte ich von dieser nichtssagenden Erwähnung der beiden späteren Ausreißer diese Wirkung erwartet. Frau Wenks Gesicht war farblos wie das einer Schwerkranken, und ihre Augen ruhten mit einer verzehrenden Angst auf meinen Lippen.

Ich zwang sie zunächst, sich wieder niederzusetzen, – sie war auch so erschöpft, daß sie willenlos gehorchte.

„Ja, eine sehr junge Europäerin“, fuhr ich in meinem Bericht etwas vorsichtiger fort. „Allerdings mit sehr wissenden Augen, die nichts Kindliches mehr hatten … Ihr Begleiter nannte sie Miß Collinwratt … Der zwergenhafte alte Mann hieß Alonso Rosso …“

Frau Wenk hatte das Kinn in die linke Hand gestützt … Sie starrte jetzt fast teilnahmslos ins Feuer.

„Ja, sie ist es, Herr Bensen“, meinte sie müde und gleichgültig. „Nun weiß ich wenigstens, wer ein Vermögen für diese niederträchtigen Intrigen opferte. Ich wundere mich nur, daß die … die Person die Unverfrorenheit besaß, ihren Namen zu nennen …“

„Sie selbst nannte ihn nicht … Ob es ihr angenehm war, daß der kleine Rosso es tat, bezweifele ich … Freilich mag es ihr auch nicht viel ausgemacht haben, da sie wohl hoffte, das silbergraue Torpedoboot würde uns endgültig auslöschen. Sie und Rosso entflohen nämlich von Bord, und nachher nahm die Begegnung mit dem als Kriegsschiff herausgeputzten alten Torpedoboot ebenfalls ein sehr kurzes Ende … Der Kahn wurde torpediert, glaube ich …“

Sie blickte schnell auf … „Nein, die Schonerbrigg führt keine Torpedorohre … Es wird ein Sandsack gewesen sein, – eine Miene, eine Seemine …“

Sie stand wohl noch immer unter dem für sie am allerschwersten zu verwindenden Eindruck des Auftauchens der Miß Collinwratt, und daher nur konnte die Nachricht von der Versenkung des Torpedobootes so fast spurlos an ihr vorübergegangen sein. Sie war auch wohl kaum fähig, sich geistig genügend zu sammeln, aus ihren Andeutungen über die Benutzung einer Seemine war nur eins zu entnehmen, daß die Explosivkörper in den Sandsäcken verborgen gewesen. Ich mochte sie auch in ihrer jetzigen Verfassung mit weiteren Fragen nicht quälen, das Gespräch schlief vollständig ein, und sie saß noch lange Zeit wie versteinert da, bis ich sie freundlich aufforderte, sich endlich niederzulegen. Da erst raffte sie sich etwas auf, zeigte mir, wo hier in der Grotte Wolldecken und vieles andere versteckt lägen, ich bereitete ihr ein Lager, sie schlief vor Erschöpfung auch sehr bald ein, und meine eigene Lagerstatt machte ich mir vorn am Eingang zurecht, der neue Tag war längst heraufgezogen, der Schlaf mied mich, ich hatte zu vieles zu überlegen, ich hatte ja gesehen, wie reichhaltig das durch eine Steinplatte verdeckte Felsloch mit Proviant, Waffen und anderen Dingen ausgefüllt war, und das Bewußtsein, all diesen dunklen Dingen nicht auf den Grund kommen zu können, versetzte mich in einen Zustand nervöser Unrast, den schließlich nur die bleierne Müdigkeit besiegte.

Ich schlief doch ein.

Als ich erwachte, war es drei Uhr nachmittags.

Frau Wenk hatte sich schon vorher erhoben, war an mir vorübergeschlüpft, hatte in einer nahen Quelle an der Lavabrücke sich gründlich gesäubert, hatte Tee gekocht, und unsere erste gemeinsame Mahlzeit nahmen wir auf der Terrasse ein, deren natürliche Felsenbalustrade uns gegen Sicht schützte. Die Unterhaltung blieb schleppend. Frau Lotte zeigte keine Neigung, irgendwie aus sich herauszugehen, und nach einem längeren, ergebnislosen Kundschaftergang, den ich nachher mit Monte unternommen hatte, sitzen wir nun abermals bei sinkender Sonne auf unserem Steinbalkon und verzehren still und lustlos das gewärmte Büchsenfleisch und trinken Tee und kauen mit langen Zähnen die für die Tropen verpackt gewesenen Hartzwiebacke.

Das Schweigen wirkt lähmend, und irgend etwas in mir bäumt sich auf gegen diese Art Kameradschaft, die ohne Vertrauen, ohne offene Aussprache zwei Menschen und einen Hund schicksalhaft zusammenhält ohne die festen eisernen Bande des Gefühls wahrer Schicksalsgemeinschaft.

„Frau Wenk, – so geht das nicht weiter“, – mein Ton mag sehr schroff geklungen haben …

Sie nickte kühl und lächelte schmerzlich.

„Hören Sie zu, Frau Wenk … Folgendes ereignete sich noch auf der Schonerbrigg …“

Ich erzählte in etwas gereizter Art, und mein Gegenüber, heute wieder frisch und kampfesfreudiger und etwas zuversichtlicher, wirft immer häufiger Zwischenfragen ein.

Dann spricht sie – endlich …!

„… Herr Bensen, die „Hammonia“ ist Eigentum meines Mannes, der zugleich Kapitän „für große Fahrt“ ist … Wir sind erst zwei Jahre verheiratet, alles, was wir besaßen, wandten wir an die Brigg, und wir hatten Glück, zuerst charterte uns eine große Firma, dann ein brasilianischer Millionär für eine Reise in die Südsee. Bei dieser Gelegenheit lernten wir Miß Collinwratt kennen, die zum Bekanntenkreise des Millionärs gehörte. Miß Alix Collinwratt ist nicht so jung, wie es scheint, sie ist wohl geborene Engländerin, aber ihre Eltern nahmen die Staatsangehörigkeit einer der kleinen nordöstlichen südamerikanischen Republiken an, deren Namen ich aus dem Spiel lassen möchte. Miß Collinwratt, Waise und sehr reich, zu reich, halte ich für eine gewissenlose Intrigantin schlimmster Art. Hinter der Maske eines halben unreifen Kindes verbirgt sie einen ebenso zügellosen wie herrschsüchtigen Charakter, – ich war froh, als diese Vergnügungsfahrt nach Ozeanien beendet war. Der Luxus, den Sie auf der Brigg vorfanden, stammt übrigens aus den unbeschränkten Mitteln des Brasilianers, der uns nachher diese ganze Einrichtung großmütig schenkte. Dann, vor neun Wochen lagen wir im Haupthafen der bereits angedeuteten Republik, und dort begannen die Ereignisse, die meinen Gatten und mich trennen sollten. – Herr Bensen, wir haben Verschwiegenheit gelobt, ich darf Ihnen nur andeuten, daß unser Ziel diese Insel Santa Renata war. Wir landeten, wurden überfallen, Steuermann Spreebock, übrigens ein ebenso selbstloser wie tapferer Mann, rettete mich, wir verbargen uns auf der Klippe, wo Sie uns fanden. Jedenfalls ist die Lage jetzt die, daß wir beide einer Übermacht gegenüberstehen … Wie sollen wir für die Gefangenen etwas tun können?! Unsere Gegner zählen noch immer mindestens dreißig Mann, und gerade Miß Collinwratts Teilnahme erhöht die Schwierigkeiten, denn sie ist den meisten an Schlauheit weit überlegen …“

„Warten wir ab, Frau Wenk …“ Mein gelassener Ton blieb nicht ohne Wirkung. „Ich bin kein Neuling in der Behandlung von Leuten, denen das Messer sehr lose sitzt und die den Zeigefinger ohne viel Gewissensskrupel krumm machen. – Wie entkam die Brigg bei dem Überfall?“

„Entkam? – Sie entkam nicht, Herr Bensen. Die Kerle waren keine Seeleute, so lächerlich es klingt: Die „Hammonia“ fuhr davon, man hatte keine Wachen an Bord gelassen, und der Mann, der in der Doppelrückwand des Schimpansenkäfigs hauste, lichtete nachts die Anker und entfloh …“

„Mithin sind Miß Collinwratt und der zwergenhafte Alte später an Bord gekommen …“

„Gewiß, es muß ja so sein …“

Ich konnte zu alledem nur den Kopf schütteln.

„Eine reichlich konfuse Geschichte, Frau Wenk! Und wer hat die Lebensmittel und all das andere hier in dieser Grotte deponiert?“

„Wir – vor dem Überfall. Wir waren bereits vier Tage hier, bevor der Angriff ganz überraschend erfolgte … Wir hatten Verluste, – – hoffentlich lebt mein Mann überhaupt noch …“ Sie kämpfte wacker gegen die Tränen an, und ich suchte ihr Mut zuzusprechen, so gut es ging …

Die Sonne näherte sich dem Horizont, die Abendröte zauberte wundervolle Farbenspiele hervor, wir saßen in einer Fülle von rosigem Gold, und die Inseln im Süden mit ihren zackigen Berghäuptern glühten wie ins Meer getauchte flammende Lavastücke.

Unter uns auf der Steppe wurde das lebensfrohe Bild der friedlich weidenden verwilderten Einhufer noch abwechslungsreicher, Trupps von Wildschweinen erschienen aus den Randwaldungen, – es waren auch nur verwilderte Schweine, zurückgelassen einst von den rebellierenden Sträflingen, die wohl gerade zum Teil das entlegene Santa Renata aufgesucht haben mochten, um vor Nachstellungen sicher zu sein.

Aber als unverkennbares, ewiges Wahrzeichen der vulkanischen Herkunft der Galapagos-Inseln spien dort im Süden unablässig die Kraterschlünde ihre Dunstmassen aus, zeigten hoch über ihren giftschwangeren Häuptern die dunklen Wolkendecken beständiger Rauchansammlungen und einzelne Feuerzungen …

Das Abendrot erlosch.

„Frau Wenk, es wird Zeit für mich“, sagte ich zuversichtlich. „Ich bitte Sie, sich auf keinen Fall von hier zu entfernen, während ich das Lager der Mischlinge suche. Es ist möglich, daß ich erst gegen Morgen zurück bin … – Hallo, Monte, – Aufbruch!“

Ich betrat die Grotte …

Am Tage und bei diesem letzten milden Rot der entschwundenen Sonne wirkte sie noch grotesker … Aber auch phantastisch-schön mit ihren sonderbaren Fenstern: Die Rückwand war ein glatter Block von Naturglas, trübe, undurchsichtig, aber in allen Farben schimmernd und lichtdurchlässig: Vulkanglas, vermischt mit Lavastreifen, – eine Glasplatte von mächtiger Ausdehnung, etwas, das nur die Allmutter Natur erzeugen kann.

Ich suchte mir eine der Büchsen aus dem Versteck heraus, es war ein neues Winchester-Repetiermodell, ich fand auch einen breiten praktischen Ledergurt, nahm für alle Fälle noch ein paar Zwiebacke und eine gerollte Decke und ein Seil mit und trat wieder ins Freie.

Frau Wenk deutete stumm nach unten …

Ein Schuß knallte … noch einer …

Auf der Steppe hielten zehn Kerle mit mächtigen Strohhüten und in Leinenanzügen Treibjagd ab … Sie hatten ein Rudel Schweine eingekreist, feuerten nun blindlings darauf los, die Tiere hatten sich um eine einzeln stehende hohle Föhre zusammengedrängt und drückten sich in das Gestrüpp am Fuße des Baumes hinein …

Gleich darauf war die Schlächterei beendet, die Mischlinge schleppten fünf erlegte Tiere in Stücken Leinwand mit sich fort und verschwanden nach Norden im Walde.

Ich wollte mich von Frau Wenk verabschieden. Sie packte meinen Arm, preßte ihn …

„Da!!“

Nur dieses eine „Da …!!“

An derselben Stelle, wo die Leute die Tiere ausgeweidet hatten, stand hinter ein paar Kaktusbüschen halb geduckt Alix Collinwratt in einem braunen Sportanzug, im rechten Arm eine Büchse, in der linken Hand ein Fernglas …

„Sie – – sie!!“, hauchte die Frau neben mir …

In diesem kurzem Worte lag alles, was ich bisher nur unklar geahnt hatte: Eifersucht, Feindschaft, vielleicht Haß!

Wir spähten hinab … Mit einem Male tauchte neben Miß Alix ein kleiner vertrockneter Bursche auf: Alonso Rosso!

„Kennen Sie den Mann eigentlich, Frau Wenk, – von früher her …?“, holte ich eine längst fällige Frage nach.

Erst schwieg sie …

Dann – – sehr leise, sehr scheu:

„Alonso Rosso ist der Leiter der Kriminalpolizei jener Hafenstadt, wo Rüdiger, mein Mann, leider … leider diesen lohnenden, aber gefährlichen Auftrag annahm …“

Ich war überrascht … Wenn auch nicht allzu sehr …

„Das erklärt vielleicht so manches“, sagte ich nur … „Auf Wiedersehen Frau Wenk … Die beiden da unten sind wieder verschwunden, aber Freund Monte wird sie schon aufstöbern, und dann, – nun, wir werden ja sehen … Nur schade, daß Oberst Lincoln nicht zugegen ist, – vielleicht ist es sehr indiskret von mir, aber der gute Ham hat sich auf den ersten Blick derart in dieses Mädchen verliebt, daß er auf der Brigg so etwas die Nerven verlor … – Das habe ich Ihnen nicht erzählt, Frau Wenk … Wünschen wir, daß er diesem Kätzchen ein wenig die Krallen kürzt. Man sagt ja immer, daß bei Liebe auf den ersten Blick beide Teile dasselbe empfinden …“

Ich drückte ihr die Hand, nahm Monte an die Leine und schlich geduckt um den Berg auf schmalem Grat zur Schlucht und zur Lavabrücke.

 

8. Kapitel.

Der wahre Gegner.

Die Dämmerung kam, die Dunkelheit folgte, und als die vielen glitzernden Lämpchen des Nachthimmels wieder einiges Licht verbreiteten, lagen Monte und ich neben einem Gebüschstreifen im Grase und hatten jene einzelne Föhre vor uns, in deren Dornenwall, der mit Felsstücken durchsetzt war, ich das vorläufige Versteck der fragwürdigen jungen Dame und ihres kleinen Begleiters vermutete.

Wir schoben uns näher heran, aber Monte zeigte nur Interesse für die Überreste der Wildschweine, und erst ein Nasenstüber mußte ihn eindringlich an seine Pflicht erinnern, seinem Herrn hier mit seinem feinen Geruchssinn ein wenig beizustehen.

Auch jetzt blieb Monte recht teilnahmslos, und nach weiteren fünf Minuten konnte als erwiesen gelten, daß die Miß und Alonso hier nur vorübergehend vor den Jägern Schutz gesucht hatten.

Monte machte nachher alles wieder gut, er fand die Fährte der beiden, sie lief nach Nordwest in den Wald hinein, in ein Tal hinab, und dann begann eine Kletterpartie, die mich auf jede Gemse oder Ziege neidisch machte, anderseits aber auch mit Bewunderung für die beiden Verfolgten erfüllte, – wer die düsteren, unwirtlichen Galapagos-Berge kennt, wer ihre Schluchten, Abgründe, trügerischen Moräste und Dornendickichte nur einmal durchquert hat, braucht wochenlang keinen Masseur … Jeder Muskel, jede Sehne tut ihm weh, von den Spuren der Dornen schon ganz abgesehen.

Eine Stunde kreuz und quer durch eine pfadlose Wildnis, – – die Belohnung blieb nicht aus.

Da war eine Felswand unter einem Föhrenwald, – hier endete die Fährte …

Endete? – Nein, Monte schnellte winselnd an dem senkrechten Gestein empor, und meine tastenden Hände entdeckten den ersten dicken Eisenpflock, der, stark verrostet, in eine Ritze getrieben war.

Die Geschichte mußte ich mir doch genauer ansehen … Das Stück Eisen glich etwa einem Keil, wie ihn Holzfäller zum Spalten dicker Stämme benutzen.

Ich zündete die Laterne an, beleuchtete die kahle, steile Wand und stutzte …

Ich sah gerade vor mir in Augenhöhe im Gestein tief eingemeißelte Namen, umgeben von einem Fünfeck:

James Collinwratt.
Rüdiger Wenk.
Pedro Marino.

Was bedeutete das nun wieder?!

Diese Meißelarbeit war uralt, die einzelnen Buchstaben kaum mehr zu entziffern, graue Flechten hatten sich in den Vertiefungen eingenistet, – und doch fand ich hier Namen durch ein Fünfeck vereint, die in der Gegenwart bis vor kurzem einander nichts bedeutet hatten:

Collinwratt,
Wenk.

Frau Wenk hatte mir ja ausdrücklich erklärt, daß sie und ihr Gatte Miß Collinwratt erst durch den brasilianischen Millionär kennen gelernt hatten.

Gab es also doch Fäden, die in die Vergangenheit zurückliefen und die der Kapitän Wenk seiner Frau verheimlicht hatte?

Nun – darüber würde ich sehr bald Klarheit haben!

Die Steigeisen an der Felswand setzten sich ja in schräger Linie nach oben fort, und da die Rostschicht auf der Oberseite fehlte, waren sie mehrfach in jüngster Zeit benutzt worden.

Monte sträubte sich etwas, als ich ihn mir auf den Rücken band, – anders konnte ich ihn nicht mitnehmen.

Und dann der Anstieg! Den werde ich so leicht nicht vergessen! Monte wog immerhin seine sechzig bis siebzig Pfund, einige der Eisen waren recht lose, unser Gewicht war zu groß, sie gaben nach, zuweilen hing ich nur an einer Hand, mußte mich mit der anderen höher ziehen, – völlig ausgepumpt erreichte ich einen Vorsprung, auf dem ein paar Büsche wuchsen, – und hier war es vorbei mit dem sogenannten Wege, kein Steigeisen, nichts, nur kahler glatter Stein über mir.

Ich schnürte Monte los … Er keuchte wie ein Blasebalg, die Stricke hatten ihm die Brust eingeschnürt, und trotzdem – kaum war er frei, begann er auch schon wie toll zwischen den Steinen zu kratzen.

Ich pfiff leise …

Also das war es!

Sennorita Alix wußte hier ja tadellos Bescheid, – von „Miß“ konnte man nicht mehr sprechen, die Familie war ja jetzt südamerikanisch, nicht mehr englisch.

Die Sache stimmte schon: Dieser Felsbuckel war der Zugang in den Berg hinein, zwei genau eingepaßte Steine ließen sich emporheben, und unter mir gähnte ein schräges Loch, gerade weit genug für einen stämmigen Mann.

Ich hatte mich bemüht, jedes Geräusch zu vermeiden, ich hatte auch Monte zur Ruhe vermahnt, kroch nun voran, leuchtete umher, diese Fuchsröhre erweiterte sich, – – und mit einem Male, keine fünfzehn Meter hatte ich zurückgelegt, blies mich der frische Salzhauch des Meeres an, und ich hörte nahes Brandungsgeräusch.

Ich kauerte vor einem kleinen, steil abfallenden Plateau, das zahlreiche Büsche und Bäume trug. Rechts[12] sah ich ein dunkles Zelt, in dem ein matter Feuerschein flackerte.

Monte wollte vorwärts, wollte knurren, knurrte auch. Zum Glück war der Lärm der Brandung stärker.

Aus dem Zelt – es war dunkelgrüner Stoff – erklang da ein so frohes, freies herzerfrischendes Lachen, daß sogar die Brandung aufzuhorchen schien und schwieg.

In dieses Lachen mischte sich ein heiseres Meckern, und dann ein sehr abgeklärtes, sehr salonfähiges diskretes männliches kurzes Auflachen.

Eine Stimme folgte, die mich noch mehr die Ohren spitzen ließ.

Bei Gott, – das war ja Freund Ham!!

Wie kam der hierher?!

Ein Wink, Monte legte sich, ich schob mich hinter das Zelt, das eng von Büschen umstanden war, und ich fing gerade noch Hamilton Lincolns kühle Sätze auf:

„Miß, Sie belieben zu scherzen … Verzeihen Sie, aber ich glaube Ihnen kein Wort … Das, was Sie da zu Ihrer Verteidigung mit so viel überflüssigem Humor vorbringen, erinnert denn doch zu sehr an den Inhalt irgend eines phantasievollen Romans, den Sie einmal gelesen haben mögen.“

Sennorita Alix kicherte übermütig.

„Die Romantik ist in den Wolkenkratzerschluchten von Manhattan allerdings ausgestorben, mein lieber Oberst und Flüchtling. Newyork ist nur eine einzige große Dollarprägemaschine, und seine Bewohner haben sämtlich unbewußt so viel Goldstaub geschluckt, daß alle Dinge, die auch nur ein wenig abseits vom Alltag liegen, diese innere Vergoldung nicht durchdringen …“

Ich mußte lächeln … Das klang ja genau so, als ob ich der Sprecher wäre!

Abseits vom Alltag …

Diese Alix Collinwratt gab sich hier so ganz anders, wie zum Beispiel Frau Wenk sie gekennzeichnet hatte, und ich konnte mir auch Hamiltons Gesicht sehr gut ausmalen, mit dem er diese bissig-harmlose Einschätzung seiner Landsleute hinnahm.

„Eine Entgegnung“, sagte er steif, „verbietet mir die Höflichkeit und die Dankbarkeit. Sie haben mich halbtot am Strande aufgelesen und unter etwas eigentümlichen Begleitumständen hierher gebracht, ich möchte daher …“

… Urplötzlich war Monte neben mir, stieß mich warnend mit der Nase in die Rippen und ein Blick nach links zeigte mir mehrere zusammengeduckte Gestalten, die soeben aus dem Felsenloche hervorhuschten. Ich kroch rückwärts, zog Monte mit mir, wir rutschten halb in eine Spalte der Rückwand des kleinen Plateaus, und dann war es leider zum Eingreifen schon zu spät …

Ein Gebrüll erhob sich, als ob in einer Matrosenspelunke die schönste Messerstecherei im Gange sei, – es waren mindestens fünfzehn der Herren Wildschweinjäger, die über die drei Insassen des Zeltes herfielen, und trotz dieses unsinnigen Kreischens der Halbnigger übertönte doch Hamiltons feste, harte Stimme den wüsten Lärm …

„Hände weg, Gesindel …!! Wenn ihr Wert darauf legt, es nicht mit einigen großen Plätteisen vom Sternenbanner nebst Besatzung zu tun zu bekommen, so laßt uns ungeschoren … Ich bin Oberst Hamilton Lincoln vom Auswärtigen Amt, Washington, und …“

Es wurde still … Es war eine mindestens ebenso beherrschte, selbstbewußte Stimme, die Freund Ham unterbrach, dazu die Sprechweise eines gebildeten Menschen und eines Engländers anscheinend:

„Sie beurteilen die Sachlage denn doch etwas unrichtig, Mr. Lincoln. Es handelt sich hier zunächst um reine Privatangelegenheiten, dann aber auch darum, daß Sie mitgeholfen haben, ein Fahrzeug zu versenken, bei dem einige dreißig Leute den Tod fanden … Auf meiner Seite liegt kaum die Schuld für diesen … Massenmord, Mr. Lincoln, und Ihre Drohungen müßte ich mit der Warnung beantworten, daß Ihre Regierung kaum den Mut finden würde, einen Verbrecher selbst bei Anwendung der üblichen diplomatischen Verdrehungskünste zu schützen. Sie wissen nun Bescheid … Ein Wink von mir, und Sie drei hier leisten den von mir angeworbenen Leuten des torpedierten Schiffen in den Tiefen des Pacific Gesellschaft. Ich bin es nicht gewohnt, mit mir spielen zu lassen. Ergeben Sie sich in Ihr Schicksal, Oberst. Glauben Sie mir, Sie fahren besser dabei …“

Also das war das wahre Haupt der Gegenpartei! Damit hatte ich allerdings nicht gerechnet. Noch weniger mit dem, was Freund Ham nun sichtlich bestürzt hervorbrachte:

„Professor Mackencie, – ich lernte Sie vor Jahren einmal flüchtig kennen …“

„Ja, John Mackencie, als Forscher und Gelehrter einigermaßen bekannt, nicht minder als Jäger und Sportsmann … – Ich bedauere wirklich, Oberst, daß Sie sich in diese Angelegenheit eingemischt haben … Sofern Sie mir das Versteck Ihres Gefährten Bensen – so heißt er ja wohl – und Frau Wenks nennen, bin ich nicht abgeneigt, Ihnen eine gerichtliche Untersuchung zu ersparen. Weigern Sie sich, so werden die Dinge ihren Lauf nehmen, und ich fürchte, der Abschluß wird für Sie und einige andere – verzeihen Sie – ein Todesurteil sein …“

„Ich kenne weder Frau Wenks noch meines Kameraden jetzigen Aufenthalt“, ließ sich Hamilton bereits wieder mit steigender Schärfe vernehmen. „Das Wort eines Ehrenmannes wird Ihnen vielleicht genügen, obwohl Sie selbst, wie auch bis zu meinen Behörden durchgesickert ist, nicht gerade mehr zu denen zu rechnen sind, die ein Manneswort höher als einen Schwur einschätzen. Ich erkläre Ihnen ausdrücklich, daß ich gegen diese Bestätigung und Bedrohung mich schärfstens verwahre. Mehr habe ich Ihnen nicht zu sagen.“

Oho – das freute mich, – das war so etwa das nette Tönchen, das Freund Ham in seiner Anglerbegeisterung zu finden pflegte, bei der er sich ja doch am leichtesten erhitzte …

Und was geschah?!

Mr. Professor Mackencie schrumpfte zu einem kläglichen, öligen, traurigen Schmierenkomödianten zusammen.

Nichts von der bisherigen Kraftfülle der Stimme, – ein balzender Gockel drechselte da ein paar schleimige Redensarten von „selbstverständlicher tadelloser Behandlung“, von „Beseitigung kleiner Mißverständnisse“ und „baldiger Freilassung“ …

Nun gut, – mir war es recht, mir ersparte dieser Bursche hierdurch eine augenblickliche Einmischung, bei der es ohne Pulver und Blei und die dazugehörigen Hautbeschädigungen kaum abgegangen wäre, – ich gewann Zeit, und wenn auch Freund Ham und Sennorita Alix sowie der kleine Alonso Rosso vielleicht ein paar Tage …

Hier zerriß mein Gedankenfaden …

Monte hatte den Kopf gehoben, durch die Büsche schob sich ein anderer Kopf, eine vorsichtige Stimme flüsterte:

„Folgen Sie mir – schnell … Ich bin Lotte Wenk … Mackencie weiß von Ihrer Anwesenheit hier … Schnell, ehe es zu spät ist …“

Zum Glück hatte sich jetzt Sennor Alonso Rosso zu einem überlauten Protest aufgeschwungen, es wurde vor dem Zelt recht lebhaft, – wir drei drückten uns an der Felswand entlang, schlüpften in das Loch und mußten uns an einem menschlichen Körper vorbeizwängen, der bedenklich still lag … Ich befühlte den Mann flüchtig, er war gebunden, geknebelt, – zehn Meter weiter lag ein zweiter, der genau so sorgfältig erledigt war, – dann erreichten wir die bewußte Felsnase, kletterten abwärts, ich wieder mit Monte auf dem Rücken, und eilten davon, hinein in den dunklen Wald, hinein in eine Schlucht, in der ein Bächlein im Mondlicht wie ein Silberstreifen glitzerte.

Auch jetzt spielte Frau Wenk die Führerin, sie watete im Wasser entlang, sie ließ mir nicht einmal Zeit, Monte abzuseilen, sie sagte nur sehr bestimmt:

„Mackencie hat sechs große Hunde mit – es waren sechs, – jetzt sind es nur noch drei … Ich töte ungern ein Tier … Ich mußte es tun … Die drei waren unten an der Steinwand an den Bäumen festgebunden … Man ist Ihnen eben gefolgt, Herr Bensen … Dieser Professor ist einer der schlimmsten Verbrecher, den je die englischen intelligenten Kreise hervorgebracht haben, England hat ihn abgeschüttelt, ein Prozeß wurde vermieden, weil man einen Weltskandal vermeiden wollte … – Wir müssen unsere Vorsicht verdreifachen …“

Es war ein völlig verändertes Wesen, das hier an meiner Seite durch den schillernden Bach watete. Ich hatte Frau Wenk doch wohl recht falsch eingeschätzt, ich hatte ihr keinerlei frischen Wagemut zugetraut, sie war mir bisher als eine jener vielen Frauen erschienen, die ihrer Veranlagung nach in einer glücklichen Ehe ihr eigenes Ich vollkommen ausschöpfen und darüber hinaus auch nur Gefühlsmenschen ohne jeden heroischen Zug bleiben.

Ich hatte mich getäuscht. Frau Lotte mochte erst durch die Sorge um ihren Gatten über sich selbst hinausgewachsen sein, – jetzt glich sie keineswegs mehr einer jener sanften Gretchennaturen, die nichts von dem Feuergeist ihrer Vorväter geerbt haben. Es wäre auch schade um dieses prächtige, kräftige Geschöpf gewesen, das doch seit Jahren immerhin an Bord der Schonerbrigg so manches Stählende erlebt und Körper und Sinne geschärft haben mußte.

Als die Schlucht sich nun öffnete und der Bach in einem runden Felsloche verschwand, das sicherlich einst das Bassin eines Geisers gewesen, – als wir über völlig kahle Lavamassen einer Gebüschgruppe zustrebten, durfte ich ihr die Führung und die weitere Verwirklichung meines ursprünglichen Vorhabens nicht länger überlassen.

Zwischen den ersten Büschen machte ich halt, befreite den armen Monte aus seiner keineswegs angenehmen Lage, nahm ihn an die Leine und fragte die Frau, die abwartend vor mir stand: „Aus welchem Grunde folgten Sie mir, Frau Wenk? Sahen Sie, daß ich von Mackencie und seinen Leuten beobachtet wurde?“

„Ja … Ich erblickte oben von unserer Terrasse drei Trupps zu je fünf Mann, die in der Steppe sehr vorsichtig nach Spuren suchten. Ich hatte für Ihre Sicherheit gefürchtet, ich kam gerade noch zur rechten Zeit.“ Sie sprach sehr ruhig, aber in ihren Augen glänzte das Leuchten einer vor nichts zurückschreckenden Energie. „Ich fand so die Felswand, die Hunde … Es war schrecklich, – ich habe die Tiere erstechen müssen, die mich zerreißen wollten … Hier, sehen Sie meinen linken Ärmel, Herr Bensen: Zerfetzt, – Hundezähne …! – Es kam wie ein Rausch über mich, – vielleicht befähigte mich nur dieser Rausch dazu, nachher in dem engen Felsengang die beiden Wachen mit einem Stein zu betäuben … Ich mußte Sie ja retten, Herr Bensen, – was sollte ich ohne Sie beginnen, ich hörte Mackencies heuchlerische Versprechungen, die er dem Oberst gab, – nichts davon wird er halten, gar nichts … Er ist besessen von dem Gedanken, der fernen Vergangenheit Geheimnisse zu entreißen, die er im Besitz einiger weniger Personen glaubt …“

Ich horchte auf. Ein Lichtstrahl zerteilte das bisherige Dunkel: Ferne Vergangenheit! – Sofort fiel mir die Inschrift an der Felswand ein, die drei Namen:

James Collinwratt,
Rüdiger Wenk,
Pedro Marino.

„Frau Wenk, sahen Sie die Inschrift? Wußten Sie schon vorher etwas von diesem Fünfeck und den drei Namen?“, – meine Frage verlangte ehrliche Antwort, ich schaute der Frau fest in die hellen Augen, und ihre Entgegnung war weder Ausflucht noch Lüge.

„Ich sah sie, Herr Bensen … Von dieser Inschrift wußte ich nichts. Mein Mann war in einem Punkte nie ganz aufrichtig, und das habe ich längst gefühlt. Diese Insel konnte ihm nicht fremd sein, seine einzige Andeutung darüber bezog sich auf seinen Großvater väterlicherseits, der einst hier wegen politischer Umtriebe als Sträfling gelebt hat, hier auf den Galapagos …“

Sträfling! – das schlug wie ein Blitz in mein Hirn ein.

Wenn jener Rüdiger Wenk Sträfling gewesen, waren es auch James Collinwratt und Pedro Marino! Vielleicht waren die drei nach der Sträflingsrevolte hierher geflüchtet, vielleicht hatten sie hier längere Zeit gehaust. – Doch – was hatte Professor Mackencie damit zu tun?! – Sollte ich mir etwa von Frau Lotte abermals beteuern lassen, daß sie nichts verraten dürfe, wenn ich nun mit weiteren Fragen in sie drang?! Sie würde sich ja doch wieder hinter ihrem feierlichen Versprechen verschanzen, das sie dem Manne auf der „Hammonia“, dem Manne im Schimpansenkäfig, gegeben hatte!

Fragen – – nein, – handeln!! Diese ganze sonderbare Geschichte mußte endlich mit Gewalt in ihre Einzelbestandteile gelöst werden, – die alte Fabel vom Gordischen Knoten und dem Schwertstreich, der ihn zertrennte, hatte schon etwas für sich …!

„Frau Wenk, Sie nehmen Monte mit in unser Versteck“, bestimmte ich in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. „Monte wäre mir nur hinderlich … Ich will zurück zu der Felswand und dort den Professor erwarten … Daß Sie die drei Hunde beseitigten, kommt mir sehr gelegen. Sollten Sie oben in unserer Grotte angegriffen werden, sparen Sie keine Patronen. Sie können doch schießen?“

„Leidlich … – Ich füge mich, Herr Bensen. Ich sehe ein, daß Sie ohne uns am meisten ausrichten können.“ Dann gab sie mir die Hand. „Hätte ich nicht so grenzenloses Vertrauen zu Ihnen, würde ich Ihnen meine Begleitung aufzwingen. Die letzte Stunde hat mir außerdem eine beruhigende Gewißheit gegeben: Miß Collinwratt ist nicht Gegenpartei, und der Verdacht, sie stellte etwa meinem Manne nach, ist hinfällig geworden.“

Sie hatte den Kopf gesenkt, dieses Eingeständnis ihrer Eifersucht mochte ihr schwer genug gefallen sein, und es war ein schöner Zug von ihr, daß sie auch in diesem Punkte ehrlich gewesen.

Noch ein fester Händedruck, dann nahm sie Montes Leine, und der kluge Hund, der sich längst an sie gewöhnt hatte, trabte mit ihr davon.

Ich machte kehrt, ich beeilte mich, ich vermied den Bach, um schneller vorwärts zu kommen, und ich erreichte auch den selbst im Mondlicht so düsteren Föhrenwald und die Felswand gerade noch rechtzeitig.

Zwei der farbigen Helfershelfer des Professors klommen an den Steigeisen herab, – ich hatte gerade noch Zeit, die Hundekadaver in eine Felsspalte gleiten zu lassen und einen der Bäume zu erklimmen, dessen Alter und Umfang und dichte Behänge von Schmarotzerpflanzen und wildem Efeu mich genügend schützten.

Santa Renatas Geheimnisse waren nun einzig und allein mir überlassen, und das einzigartige Hochgefühl, das jede große Verantwortung in sich birgt, war mir wie so oft schon der feurige Zaubertrank, der Kräfte und Sinnesorgane zu Ausnahmeleistungen anspornt und befähigt.

In dieser Stimmung begann für mich, den Weltenbummler, der letzte Abschnitt dieses Erlebnisses, das ich hier die Treppe der Büßer genannt habe. –

 

9. Kapitel.

Die Treppe der Büßer.

Mr. John Mackencie hätte ahnen sollen, daß ich nun mit der Felsennase, in die das Schlupfloch hineinführte, auf der dicken Föhre in einer Höhe saß …

Da war er, – da stand er …

Im hellen Mondlicht …

Scharfe Schatten zeichnete das Nachtgestirn in seine hageren Züge …

Da sah ich ihn, zum ersten Male …

Und doch nicht zum ersten Male, denn in den Zeiten, als ich noch ein Verteidiger der Zivilisation war und selbst der Kultur eiserne Schienenwege in bisher verschont gebliebene Gebiete baute, hatte ich oft genug in Theatern erstklassige Künstler in Dramen und Opern den Höllenfürsten darstellen sehen. Jeder von ihnen hatte seiner Maske des Mephisto eine eigene Prägung gegeben, und je moderner diese Künstler empfanden, desto teuflischer gestalteten sie ihre Masken, ohne dabei zu jenen Mätzchen zu greifen, die einst der Figur des Satans unweigerlich[13] die kleinen Hörner und den roten Spitzbart und die dicken schwarzen Augenbrauen aufzwangen.

John Mackencie war moderner, lebensgereifter Mephisto mit graumeliertem Spitzbart, dünnen Lippen, großen, tief umschatteten Augen und ohne Augenbrauen …

Augen waren es wie Schlünde, in denen nie das Tageslicht hinabdrang …

Der erste Eindruck des Gesichts: Ein geistvoller, tatkräftiger Mann, kein schwärmerischer Träumer mit einem Stich ins Unheimliche, Fanatische, Dämonische wie etwa der schwarze Unglücksrabe des letzten Zarenpaares, der Mönch Rasputin, in Wahrheit ein von Herrschsucht, Ehrgeiz und Dünkel zerfressener Scharlatan, ein großer Bluffer.

Der andere, bleibende Eindruck des Professors drängte sich sofort in den Vordergrund, wenn er redete und seine Worte mit Gesten unterstrich, die an Schmiere und jene gewisse Sorte von superklugen Freunden hochgestellter Persönlichkeiten erinnerten, die nachher nach akrobatenhaftem Überzeugungswechsel Eselsfußtritte austeilt.

Frau Wenk hatte nicht zu viel gesagt: Das war ein intelligenter Schurke, der mit eisigem Zynismus die vollkommene Gewissenlosigkeit eines raffgierigen Briganten in sich vereinte.

Neben ihm standen auf engem Felsenfleck seine drei gefesselten Gefangenen. Man hatte Freund Ham, den man wohl für gefährlich hielt, die Hände kreuzweis über der Brust festgeschnürt. Hamilton war genau so bleich wie Alix Collinwratt. Sein Haar war zerzaust, der Verband von seiner Stirn war abgerissen, die Stirn zeigte frische Blutspuren. – Mit philosophischer Ruhe stand Alonso Rosso daneben, die alte faule Zitrone, aber das eingefrorene Lächeln um seine Lippen gefiel mir nicht und hätte den prahlerischen Schwätzer Mackencie warnen sollen.

„… Die Treppe wird Ihre Zunge lösen“, hörte ich des Professors bewußt ölige Stimme. „Die Treppe hat ihre Eigentümlichkeiten, und die Natur selbst hat mir ein Hilfsmittel in die Hand gegeben, Ihren Starrsinn zu brechen … Ich greife ungern zu derartigen Radikalkuren, aber …“ – eine Pause – „aber in den Überlieferungen Ecuadors spielt diese Treppe ebenfalls schon eine Rolle, General Martinez, der damals die Rebellion der Sträflinge niederschlug, hat einige der Verbrecher dort … büßen lassen … Es gibt viele heilige Büßertreppen in Kirchen und Wallfahrtsorten, in Europa, in Indien und Tibet … Die Treppe hier, Mr. Lincoln, ist eine unheilige Treppe …“ Er lachte leise, und dieses Lachen war wie ein Riß, der seine Seele enthüllte.

Es war das Lachen eines Folterknechts, der im voraus sich an den Qualen seiner Opfer die verpestete Seele wärmt wie an einem Höllenfeuer.

Und dann brach er in diesem widerwärtigen Kichern jäh ab …

Alonso Rosso, Polizeichef, eine Nichtigkeit bisher für mich, hatte kurz und klar eingeworfen:

„Ich kenne die Treppe … Und Sie werden sie emporsteigen, nicht wir …“

Irgend etwas lag in der ganzen Art des kleinen Mannes, das selbst diesen abgehärteten Halunken Mackencie zwang, sich halb nach ihm umzudrehen und nach kurzer Pause affektiert gleichgültig zu fragen: „Wie sollte das wohl geschehen?! Rechnen Sie etwa auf die Hilfe Frau Wenks und des Mr. Bensen?!“

Alonso zuckte die Achseln. „Rechnen?! – Mag sein … – Haben Sie von der Expedition nach der Schatzinsel des Piraten Don Benito gehört? – Wahrscheinlich … – Hörten Sie auch, daß dort ein Mann tätig war, der als Globetrotter seine eigenen Wege wandelt und der nach allem, was die Zeitungen bisher über ihn berichten, unheimlich sicher schießt und auch sonst so manches tolle Stückchen sich geleistet hat? Ein Schwede ist es, ein Nordländer – mit unverwüstlichen Muskeln und Nerven … Vielleicht, Mr. Mackencie, ist Ihnen der Mann …“

„Schweigen Sie!“, rief Hamilton scharf und gereizt.

Mackencie lachte wieder. „Oh, – ich bin nicht neugierig … Wir werden die Angelegenheit noch in dieser Nacht ordnen … Meine vierbeinigen Verbündeten werden auch …“

… Von unten ein Ruf – sehr zur Unzeit für des Professors Größenwahn …

„Hallo, – – die Hunde sind verschwunden, Sennor!!“

Einer der Farbigen war es …

„Verschwunden?“, rief Mackencie hinab … „Wohl weggelaufen, zurück zum Lager … Ihr habt die Tiere schlecht angebunden …“

„Blut, Sennor!“, kreischte der Mulatte schrill. „Viel Blut …“, – ich spähte durch die Zweige, – es waren jetzt vier Leute in dem Wäldchen, der eine hatte eine Laterne, näherte sich der Felsspalte, leuchtete hinab und erblickte die drei Kadaver …

„Tot!!“, – seine Stimme überschlug sich … „Tot, – hier liegen sie, alle drei …“

John Mackencie vergaß seine großartige Pose, beugte sich ganz weit vor …

„Wirklich tot?“

Das klang schon anders als vorhin …

„Mausetot, Sennor, – – erstochen …“, – auch der Mulatte schien sich nicht mehr ganz behaglich zu fühlen.

Mackencie bot mir eine glänzende Zielscheibe. Es wäre ein Leichtes gewesen, dem Manne die Flügel gründlich zu beschneiden, und auch die vier Burschen da unten hätten genau so flink eine peinliche Kugel in irgend einen weniger edlen Körperteil erhalten können. Da die übrigen noch in dem Felsloche steckten, wäre eine Befreiung der Gefangenen vielleicht geglückt. Aber mit derart unsicheren Unternehmungen durfte ich hier nicht spielen. Ich konnte abwarten …

Mackencie ließ jetzt die Gefangenen an einem Seil einzeln herabgleiten, der Mann war gut gebaut, hatte seine Kräfte nicht vergeudet, für einen Fünfziger, so alt schätzte ich ihn, war er tadellos erhalten, ausschweifend konnte er nie gelebt haben, er gehörte zweifellos zu jenen immerhin Vorsichtigen, die sich nicht lediglich auf ihr Hirn verlassen …

Unten wurden die drei von den Farbigen in Empfang genommen, übrigens ebenfalls kräftige Burschen, jung, etwas verwildert, etwas roh, – – und doch wunderte ich mich, wie behutsam sie besonders den kleinen Sennor Alonso Rosso anpackten, es machte fast den Eindruck, als hätten sie mehr Angst vor ihm als vor dem um zwei Köpfe größeren Oberst Lincoln, der nach Möglichkeit Miß Collinwratt vor jeder Belästigung zu schützen suchte.

Dann erreichte auch der Professor den Waldboden, hinter ihm her kletterte der Rest seiner Leute hinab, und auch die beiden vorhin noch bewußtlosen Burschen schienen sich inzwischen wieder erholt zu haben. Der letzte dieses etwas buntscheckigen Überfallkommandos ließ die Ausrüstungsgegenstände der Miß Alix und des kleinen Polizeichefs, also Zelt, Decken, Waffen und Proviant, in vier Bündeln angeseilt in die Tiefe gleiten, worauf der Zug sich gen Nordost in Bewegung setzte.

Nun, – ein großer Stratege war dieser Professor auf keinen Fall, es war erstaunlich, mit welcher Sorglosigkeit die Gesellschaft sich durch die nächtliche Landschaft schlängelte, von irgend welchen Sicherungsmaßnahmen war nicht die Rede, und wenn ich Frau Lotte Wenk hier bei mir gehabt hätte, wären wir so und so oft ohne jede Gefahr in der Lage gewesen, den Trupp vollständig zusammenzuschießen.

Mackencies Verhalten wurde mir erst klar, als ich, stets behutsam Distanz bewahrend, unzweideutig merkte, daß der Professor seine Leute zu allergrößter Eile antrieb.

Der Zug passierte recht unbequemes Gelände, ich war froh, daß ich auf Frau Lottes und Montes Begleitung verzichtet hatte, wir kamen über kahle Lavafelder, durch öde Schluchten, und es war trotz der Nachlässigkeit dieses eigentümlich hastigen Rückmarsches nicht immer leicht, die Bande im Auge zu behalten. Mitunter gab es förmliche Labyrinthe von schmalen Tälern, die einander sternenförmig kreuzten, dann wieder buschreiche, unübersichtliche Plateaus, und ich als einzelner Verfolger durfte mich auf keinen Fall etwa in einen Hinterhalt locken lassen, es erschien mir höchst zweifelhaft, ob der Professor wirklich etwa aus Angst in diesem Tempo seinem Lager wieder zustrebe, und Frau Wenks Warnung und mein eigenes Urteil über den gelehrten Banditenführer taten ein übriges, auch nicht das geringste zu meinem Schutze zu versäumen.

Es lag ein nervenprickelnder Reiz in dieser Art Verfolgung, es war das äußerste Anspannen von Gehör und Augen, um jede verdächtige Kleinigkeit rechtzeitig zu bemerken.

Zuweilen brachen aus den Büschen ganze Rudel von Wildschweinen hervor, flüchteten mit lärmendem Grunzen und Quieken und erfüllten die Stille dieser Vulkaninsel, deren Krater freilich bereits erkaltet waren, mit schnell verhallendem, fast spukhaftem Getöse.

Selbst Wildpferde wurden aufgescheucht, zum Teil prachtvolle Geschöpfe, die hier nun seit fast hundert Jahren in freier Zuchtwahl sich zu edlen Tieren entwickelt hatten, ich sah hier überraschend viel Schimmel, deren blitzschnelle Bewegungen in den dunklen Büschen den Eindruck davonhastender Gespenster hervorriefen.

Abermals nun ein steiles Lavafeld, das nur mit Hilfe eines Risses, der sich wie ein gezacktes Band über die mondhelle Fläche zog, erstiegen werden konnte.

Droben am Rande der Höhe zeichneten sich die dahineilenden Gestalten, die im Gänsemarsch wandern mußten, vom Nachthimmel ganz klar und scharf ab.

Ich selbst lag hinter einem Gestrüpp, – ich zählte die Gestalten, – – und diese Vorsicht trug gute Früchte …

Neunzehn hätten es sein müssen …

Es waren nur fünfzehn …

Vier fehlten … –

Also doch!! – Herr Professor Mackencie, – nicht so plump eine Falle arrangieren!! – Ich lachte still in mich hinein …

Gewiß, der Platz war gut gewählt, die Rille, die sich quer nach oben zog, bot den vier Burschen tadellose Deckung, und ich mußte in der schmalen Spalte empor, es gab hier keine Möglichkeit, einen Umweg zu machen … Links und rechts von der Lavawand erhoben sich noch steilere Abhänge, und da ich die unmittelbare Nähe des Meeres bereits roch, wäre mir das ganze Spiel verdorben worden, wenn ich jetzt die Verfolgten aus dem Auge verlieren sollte.

Wußte ich denn, wo Mackencie sein doch zweifellos gut verstecktes Lager aufgeschlagen hatte?!

Verstecke gab es auf all diesen Galapagos-Inseln im Überfluß. Das hatte ich ja bereits aus eigener Erfahrung bemerkt, und wenn ich nun ins Hintertreffen geriet, konnte ich vielleicht stundenlang und dazu unter größtem persönlichen Risiko nach dem Schlupfwinkel der dunklen Ehrenmänner suchen.

Das war eine mehr als vertrackte Situation, – wagte ich mich in die Lavarille hinein, konnte ich im Umsehen ein Stück Blei im Schädel haben, und darauf legte ich gar keinen Wert, gar keinen, zumal mir ein Gedanke nicht aus dem Kopf wollte und mich andauernd peinigte: Was hatte es mit der Treppe der Büßer auf sich, und wie und was wollte dieser Mephisto-Professor noch heute Nacht aus seinen Gefangenen herauspressen?!

Böse Geschichte das!

Und zu langem Überlegen hatte ich erst recht keine Zeit! Wenn Mackencie erst seine noch vorhandenen drei Bluthunde mir auf die Fährte hetzte, würde es eine üble Treibjagd geben!

Was tun also?!

Nochmals streifte mein Blick die Lavawand …

Jede Minute war hier kostbar … fast jede Sekunde!

Ich hatte mich so stark darin verbissen, nur vor mir den Feind zu vermuten, daß ich mit jäher Bewegung herumschnellte, als hinter mir das Gestrüpp plötzlich rauschte und dann durch die Blätter … der Kopf eines Wildesels erschien …

Unter anderen Umständen wäre diese Art Überraschung Anlaß zu stiller Heiterkeit gewesen.

So aber?!

Der Wildesel sah mich nicht … Ich sah ihn … Und als er nun vorsichtig auf die kleine Lichtung hinaustrat, hatte ich bereits die dünne kräftige Schiffsleine, die ich aus der Grotte mitgenommen hatte, von den Hüften gelöst, hatte eine Schlinge geformt, – – ich bin nie ein perfekter Lassowerfer gewesen, aber der sehr gemächlich weidende Esel machte mir die Sache sehr leicht.

Ein Wildesel ist kein angenehmer Geselle, und der Ruck, mit dem ich die Schlinge zuzog, bekam mir zunächst sehr schlecht … Das Tier schleifte mich eine Strecke mit sich, und dann erst ging ihm die Luft aus, er keuchte und schnaubte, zitterte, taumelte, sank vorn in die Knie …

All das verursachte Lärm. Die vier Farbigen droben in der Lavarille mußten uns gehört haben.

Mochten sie.

Hauptsache blieb, daß mein Plan glückte …

Das halb erwürgte Tier ließ sich ruhig streicheln. Alle Esel sind nicht Esel, und dieser Eselhengst hier besaß genügend Intelligenz, mich nicht als Feind zu behandeln.

Er richtete sich wieder auf, ich lockerte die Schlinge ein wenig, und da ich mir das Vorgelände genau angesehen hatte, zog ich das Tier mehr nach links, wo ein paar Büsche dicht neben dem tiefsten Punkt der Rille wucherten.

Abermals gab ich der Luftzufuhr meines Helfershelfers ein wenig mehr Spielraum, drängte ihn in die zackige Spalte der Lava hinein, löste die Schlinge vollends und versetzte ihm einen Jagdhieb, der meinen kletterkundigen Freund im Galopp die Rille emporjagen ließ … Wahrscheinlich kannte er den schmalen Pfad bereits, denn es hätte gar nicht mehr der drei Steine bedurft, die ich gegen sein Achterteil schleuderte, – er hatte es äußerst eilig, möglichst viel Zwischenraum zwischen uns zu legen …

Womit mir nun wieder nicht gedient war, denn mir kam es ja gerade darauf an, möglichst dicht hinter dem Tiere, das mich gegen Schüsse decken und mir auch rechtzeitig die Stelle verraten würde, wo die vier Herrschaften lauerten, die gefährliche Steigung zu überwinden.

Es blieb mir nichts anderes übrig, – ich mußte die Beine in die Hand nehmen, ich sprang tief geduckt hinterdrein, hielt die Pistole schußfertig, hatte mir die Winchester in den linken Arm gehängt …

Der brave Esel machte seine Sache vortrefflich … Die vier farbigen Gauner, die mich etwa in der Mitte des engen Pfades hatten abkehlen sollen, schienen angesichts des heranstürmenden Grautieres auch das bißchen Verstand verloren zu haben, das ihnen der miserable Schnaps der Hafenspelunken belassen hatte.

Sie taten das Dümmste, was sie tun konnten: Sie richteten sich halb auf, starrten dem unprogrammäßigen Gegner verblüfft in die funkelnden Lichter und … – – ja, wenn der Mensch Pech haben soll, die Rille hatte eine Biegung, ich hatte die Herren im vollen Mondlicht vor mir, ich ließ die Pistole dreimal vor ihnen ins Gestein spucken, daß ihnen die Bleispritzer um die Ohren flogen, – – und das Vierklee riß einmütig aus, ließ Befehl Befehl sein, – – hinter ihnen her galoppierte das Grautier, – es ging alles wundervoll, die Kerle dachten gar nicht daran, auch nur zurückzublicken, denn zwei weitere Schüsse richteten wahrscheinlich einigen ärgeren Schaden an, im Nu war ich auf der Höhe oben angelangt, sah die vier zu einem hellen, vom Monde nur einseitig beleuchteten Buchtstrande hinabstolpern, während mein tüchtiger, vierbeiniger Gehilfe, ohne meinen Dank abzuwarten, sich seitwärts in die Büsche schlug.

Der Uferabhang bis zur Bucht war mit Buschwerk bestanden, ich rutschte zuweilen aus, ich behielt die Leute aber stets im Auge, – ich machte halt, als sie nun am Ufer entlangliefen – nach Süden, nach dem Innern der Insel zu, – die Bucht war schmal, schien sich aber sehr weit auszudehnen, hatte scharfe Krümmungen, und wieder ging es bergab, unter meinen Füßen knirschten Muscheln, ich sprang über faule Schildkröten hinweg, – die Bucht teilte sich, dieser Arm hier war durch einen Steinwall halb überbrückt, ich blieb den Vieren auf den Fersen, plötzlich erweiterte sich dieser neue Seitenarm der Bucht zu einem kleinen See, über dem nach Südwest ein einzelner Bergkegel emporragte, zweifellos ein erloschener Vulkan, denn seine Seitenflächen glänzten im Mondlicht matt wie schwarzes Glas: Erkaltete Lavaströme mit bestimmten Beimengungen, die der einst feuerflüssigen Masse nach dem Erkalten diesen matten Schimmer verleihen.

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben!

Ich hatte wunder wie klug zu handeln geglaubt, als ich die vier Halunken nicht zu Atem kommen ließ.

Ich war trotzdem überlistet worden …

Offenbar lag das Versteck der Bande irgendwo in der zerklüfteten Uferwand, und die vier Ausreißer hatten damit gerechnet, daß sie mich in der Falle hätten, wenn sie an dem Versteck vorüber liefen.

Es war auch so …

Mit einem Male hörte ich hinter mir das tiefe, heisere Bellen von Hunden.

Ein Blick zurück …

Ich sah mehr als genug, mehr, als mir erwünscht war …

Drei riesige Köter, dahinter ein Schwarm Männer …

Ein Blick vorwärts, – – meine vier Hasen hatten die Courage wiedergefunden, schossen, lagen gedeckt im Ufergeröll …

Besinnen gab es hier nicht …

Ich sprang ins Wasser, ich schwamm, tauchte, kam wieder empor, tauchte von neuem …

Die Winchesterbüchse hielt ich am Riemen zwischen den Zähnen …

Ich war außer Atem, ich hatte mich über Gebühr ausgepumpt, – wenn die Bucht und der See nicht so zahlreiche Riffe gehabt hätten, wäre ich mühelos abgeknallt worden …

Die ganze Mackencie-Bande verschwendete Patronen, harmlose Schildkröten starben einen ungewohnten Tod, – – dann war ich endlich im Schattenbereich des Kraterkegels und vom User nicht mehr zu erkennen.

Ich hatte mir zu viel zugemutet. Die letzten zehn Minuten hätten als Training für einen Monat gereicht, ich fühlte, daß meine Kräfte nachließen, und nur die eiserne Energie ließ mich völlig erschöpft das Ufer neben dem Krater erreichen, das ebenfalls einen Berg mit drei schlanken Spitzen bildete.

Ich sank in den Muschelkies, halb auf eine Riesenschildkröte, die wie eine Schlange zischend nach mir schnappte.

Ich wich aus … rollte mich weiter.

Man soll diese Tiere nicht unterschätzen, die etwa einen Zentner Gewicht haben und durchaus nicht so harmlos sind …

Ich schaute zurück …

Über den See zogen sich drei Streifen hin: Hundeköpfe – schwimmende Bluthunde, japsend, röhrend, – weiter zurück ein paar Menschen …

Mein Herz und meine Lungen beruhigten sich wieder. Ich berechnete genau, wie viel Zeit mir noch blieb … Meine Schußwaffen waren naß … Aus einem wassergetränkten Lauf einen Schuß abgeben, wenn die Patronen Mantelgeschosse haben, kann den Lauf zum Springen bringen.

Ich mußte rechtzeitig vor den drei Hunden einen sicheren Unterschlupf finden, ich blickte mir die Steilwände an, entschied mich für eine schmale Schlucht und begann den Anstieg.

Die Schlucht, rechts in Mondlicht getaucht, bildete sehr bald eine Art Naturtreppe, die aus kleinen Terrassen bestand, deren eigentümliche Regelmäßigkeit fast vermuten ließ, daß hier Menschenhände nachgeholfen hätten.

Ich stutzte unwillkürlich … Mir fiel die Treppe der Büßer ein …

Sollte etwa dies hier …

Aber das grimme Aufheulen der drei Bestien hinter mir gaben mir keine Zeit, solchen Gedanken nachzuhängen.

Ich beeilte mich, ich säuberte im Emporsteigen die eine Pistole, – plötzlich machte die enge Schlucht nach rechts eine scharfe Biegung, und das Bild änderte sich vollkommen, die Treppe lief auf den hohen Kraterkegel zu, die linke Wand stieg senkrecht an, die rechte zeigte einigen Baumwuchs, war jedoch ebenfalls nicht zu erklimmen …

Dann spürte ich plötzlich etwas, das mich eindringlich genug warnte: In diesem Schacht der Naturtreppe herrschte eine lähmende Hitze!

Ich blieb stehen …

Mit Verlaub: Ich spie aus!!

Der Speichelfleck war im Nu verdunstet …!

Also war das Gestein übermäßig durchhitzt.

Und da erkannte ich mit einem Schlage die grauenvolle Bedeutung der mit brutalem Zynismus vorgebrachten Drohungen des Professors:

Es war die Treppe der Büßer, und je
höher man emporstieg, desto heißer
wurde das Gestein!

Wer hier mit bloßen Füßen emporgejagt wurde, mußte – weiter droben kläglich umkommen!

Und das hatte vielleicht damals der General Martinez an den eingefangenen Sträflingen als erster ausgeprobt …

Und ich?!

Hinter mir waren die Bluthunde …

Ich hatte Stiefel an …

Und sie waren naß …

Trotzdem, – gab es hier ein Entkommen?!

Und so hastete ich in dem Glutodem zwischen den Felsen die hohen Stufen weiter hinan …

Kein Büßer … Ein Gehetzter, den man morden wollte! – Weshalb?!

Welchen Werten jagte der Professor nach, und wie hing all dies mit der Schonerbrigg „Hammonia“ und den fünf Schimpansen und dem Manne in der Zwischenwand des Affenkäfigs und der weißhaarigen Frau zusammen?!

 

10. Kapitel.

Der lächelnde Buddha.

Die Treppe der Büßer, wie ich dieses Naturwunder hier ebenfalls bezeichnet habe, mag in ihrer ausgesprochenen Eigenart auf Erden nicht ihresgleichen haben, – glühend heiße Schluchten, erhitzt durch die unterirdischen Feuer, gibt es in den vulkanischen Gebieten überall, so in Mittelamerika, auf den Sunda-Inseln … Es ist genug darüber geschrieben worden.

Die Treppe der[14] Büßer auf der nördlichsten Galapagos-Insel hat General Estampo Martinez als erster genauer in amtlichen Aufzeichnungen geschildert.

Die große Welt ging an diesem Bericht eines barbarisch grausamen Generals achtlos vorüber, bis ein Mann in den Archiven jener Republik umherstöberte und dadurch ein abenteuerliches Drama aufrollte …

Die große Welt wird sich auch jetzt nicht viel mehr als früher um diese Schlucht und ihre Stufen und ihre Wunder kümmern.

Die große Welt lebt schnell …

Alles ist schnell vergessen. Möglich, daß irgend ein reicher Privatmann infolge der Zeitungsmeldungen, die Oberst Lincolns Bericht veranlassen wird, mit seiner Jacht hier einmal landet …

Dann werde ich nicht mehr hier sein, hier in dem kleinen Palast, der mich und Monte jetzt beherbergt …

Jetzt … Wo ich Geschehenes mir zurückrufe zu blutfrischer Gegenwart und die leise kratzende Feder dahinfliegt und ihre Spuren hinterläßt, die alles in allem ein seltsamer Roman von betrogenen Erwartungen und zerronnenen Hoffnungen sind …

Um diesen meinen Palast kämpfte ein Mann bis … zur Auflösung, bis er in Asche zerfiel …

Das war Strafe, Buße.

Ihn strafte die allmächtige Natur, die er bestehlen wollte.

– Genug …

Zurück zu meinem eigenen Erleben.

… Drei riesige Hunde, mindestens ein Dutzend riesige Schufte hinter mir …

Und Kugeln pfeifen …

Heiseres Kläffen dringt durch die Schlucht, in der mit jedem Schritt die Hitze grauenvoller wird.

Meine nassen Kleider sind längst trocken, werden wieder feucht durch die Ströme von Schweiß.

Die Lunge ringt nach Luft …

Vor den Augen wallt das Mondlicht wie Nebel, wie tanzende Elfen …

Hinter mir der Tod …

Vor mir?

… Auch der Tod …

Ich taumele, die linke Hand berührt den Felsen, zuckt zurück …

Ein Kind, das ahnungslos eine Ofentür berührt …

Der Schmerz macht mir die Augen klar, Tränen rinnen, dann sehe ich …

Stehe still …

Sprachlos, – Statue …

Vision nur?!

Die Bergwand rechts springt in der Mitte zurück, bildet eine Terrasse, auf der ein kleiner Tempel steht, wuchtige Steinsäulen, ein wuchtiges Dach, – – im Mondlicht, – alles so primitiv, so schmucklos, schlicht …

Davor eine Buddhafigur, – der sitzende, geheimnisvoll lächelnde Buddha, – vielleicht aus Lehm hergestellt – – auch ganz primitiv.

Von wem?

Gab es etwa unter den Sträflingen, die einst hier hausten, Asiaten, die den lächelnden Buddha verehrten und dort auf der Terrasse schräg über mir auch den Tempel schufen?!

… Hundegeheul …

Kugeln pfeifen …

Weiter also …

Und ich klettere höher, ich taumele abermals.

Raffe mich hoch …

Wieder vier Stufen …

Immer enger wird die Schlucht …

Keine Schlucht …: Ein Treppenschacht!

Abermals zaubert mir die Hitze tanzende Elfen vor …

Hundegeheul … spritzendes Blei …

Ich drehe mich um …

Ich muß zurück …

Muß …

Da kommen sie angejagt in flüchtigen Sätzen mit offenen Mäulern und hängenden Zungen …

Ich will schießen …

Will …

Schieße auch … treffe nicht …

Noch zwanzig Meter ist der vorderste der Bluthunde entfernt …

Noch zehn …

Urplötzlich stoppt er … tänzelt, hebt die Pfoten, heult, – tänzelt, heult, – – und macht kehrt, die Rute eingekniffen, – – kreischt fast – –wie ein Kind kreischt, das mit nackten Beinchen auf glühende Kohlen tritt …

Der zweite stutzt …

Macht kehrt …

Der dritte …

Ich torkele abwärts … Meine Schuhsohlen stinken …: Verbranntes Leder …!

In der Tiefe gröhlt eine Stimme:

„Zurück!!“

Der Professor …

Und er lacht …

Kein Satan kann so lachen.

Und er gröhlt abermals:

„Nun, Mr. Abelsen, Sie Retter der Schweigsamen, haben Sie bereits die Aschenurne Ihrer Vorgänger gefunden! General Martinez ließ dort oben vier Chinesen schmoren, die Gott Buddha anriefen, – – auch er half ihnen nicht!“

Mein Blick gleitet über die grauschwarzen Stufen …

Aschenurnen?

… Dort im Stufenwinkel ein Teil von einem Totenschädel, – der Teil, der am widerstandsfähigsten: Unterkiefer mit Zähnen …

Mackencie lacht …

Sieht mich taumeln … lacht …

Und schießt …

Trifft nicht …

„Schuft!!“ Ich brülle es, als ob meine Lunge explodieren sollte …

Und die letzte Kraft, die allerletzte, – – klare Sinne, zwei Stufen abwärts, Büchse halb im Anschlag …

Über meinen Kopf mit dem zerzausten schweißfeuchten Haar fällt etwas Hartes, trotzdem Schmiegsames …: Eine Stahltrosse …

Ein Blick empor …

Buddha schuf eine Göttin … Die Göttin winkt, und der Feuerstrom der Lebensgier verleiht meinen Muskeln und Sehnen jene kaum mehr erhofften Kräfte, – ich packe zu, ich berühre die Felswand rechts, – sie ist heiß, aber sie glüht nicht …

Wieder begleiten Kugeln meinen Weg, bis über mir das kurze harte Blaffen einer Büchse erklingt … Da geben die da unten Ruhe …

Zwei Arme strecken sich mir entgegen …

Frau Lotte Wenk zieht mich vollends empor. Ich sinke um … hebe nur den Kopf …

„Sie, Frau Wenk?!“ Und ich liege aufgestützt da, über mir den Buddha, den gläubige Hände hier einst kneteten aus den Lehmschichten der Bäche, den sie dann vorsichtig durch lohende Feuer härteten und dabei mit dem salzigen Naß des Pacific übergossen, damit die Statue eine dünne Glasur bekäme.

… Ein frischer Luftzug weht hier vom Meere her, mein durchhitzter Körper erschauert in der Wollust des Kältegefühls, und was ich da[15] soeben durchlebt und durchlitten, erscheint mir so unwirklich wie ein Traum, wie ein Ausschnitt aus Dantes Höllenfahrt.

Lotte Wenk streichelt meine Hände, – sie ist so jung, so lebensfrisch und doch so mütterlich, diese tapfere. verliebte straffe Frau, deren sanfte Schönheit eine seelische Größe verbirgt, die niemand ihr zutraut.

„… Ich kam gerade noch zur rechten Zeit“, sagte sie ehrlich beglückt. „Und doch war nicht ich Ihre Retterin, Ihr Monte war es … Wir wollten zurück zur Grotte am Südstrand, wie Sie es befohlen hatten, Monte ging zunächst willig mit, dann wurde er immer unruhiger, und der weit feinere Instinkt des Tieres vermittelte ihm wohl das Bewußtsein der Gefahr, in der Sie schwebten … Seine Ruhelosigkeit steckte mich an, wir machten kehrt, ich ahnte, daß hier in der Nähe dieser grausamen Treppe irgendwo sich das Lager Mackencies befinden müßte, ich kannte ja auch diesen Tempel längst, auch seinen einzigen ungefährlichen Zugang, vielleicht lenkte ebenfalls eine innere Stimme meine Schritte hierher … Ich vernahm die Schüsse, – zum Glück liegen hinter dem kleinen Tempelbau in der Felskluft allerlei verrottetes Schiffsgerät und auch neuerdings von Mackencie hierhergeschaffte Dinge, so konnte ich Ihnen die Stahltrosse zuwerfen, – – da, hören Sie Monte winseln, ich habe ihn festgebunden … – Wie fühlen Sie sich? Wir dürfen hier nicht bleiben, der Professor wird versuchen, uns hier abzufangen … Ich helfe Ihnen, ich …“

… Ich stand schon auf den Füßen … Ich fröstelte, aber dieses Frösteln war nur die Begleiterscheinung meines körperlichen und geistigen Wiederauflebens …

Frau Lottes stützenden Arm duldete ich, an dem großen, lächelnden Buddha vorüber betraten wir den kleinen Steinbau, dessen Boden sauber mit buntscheckigen Platten ausgelegt war und dessen Wände – heiliger Eifer später gemordeter Asiaten – in ähnlicher Weise einigen Schmuck erhalten hatte.

Was mir sofort auffiel: Der Tempel bildete ein Fünfeck, – und in einem Fünfeck hatten auch die drei Namen an der Felswand fast ein Jahrhundert überdauert.

Hinter dem Holzaltar, auf dem eine kleine Buddhafigur stand und der mit längst zerschlissenem Stoff umkleidet war, hing eine Tür aus morschen Brettern schräg in den Angeln …

Zwischen Tempelrückwand und dem steil anstrebenden Berge gab es nur Steingeröll, dann die schmale Kluft, von der Frau Wenk gesprochen hatte, – eine Spalte, die den Berg bis oben in Windungen durchzog.

Hier saß Monte, festgebunden an eine Kiste, wedelte, winselte, sprang an mir empor, – hier lagen die Erinnerungen an eine Zeit, wo die Galapagos-Insel Charles im Süden Sträflingskolonie gewesen, wo die Rebellion die Niederlassungen zerstört und die Deportierten hierhin und dorthin entflohen waren. Neben zerbrochenen Waffen, Resten von Kleidungsstücken prunkte[16] frech und aufdringlich der Beweis der Habgier des Professors Mackencie: Eine neue Kiste, schmal, lang, – gefüllt mit modernen Geräten, Spitzhacken, Steinhämmern, allerlei Instrumenten!

Und gerade diese verrieten mir, daß Mackencie hier … Gold suchte! Da waren – unmöglich aufzuzählen – das modernste Rüstzeug eines Prospektors, eines Goldsuchers, da waren Gläser, Flaschen, Chemikalien, Sprengkapseln, Steinbohrer …

Der Professor hatte sich die Sache etwas kosten lassen.

Frau Lotte drängte zum Rückzug.

Sie übernahm die Führung, eine Laterne leuchtete, es ging steil bergan, es ging im Bogen, immer in der engen Spalte des geborstenen Berges nach Süden zu.

Die Felsen waren warm, aber die immerwährende Zugluft in diesem riesigen Kamin ließ es nicht zu, daß sich größere Wärmemengen ansammelten.

Dann vor uns Sternenlicht, bereits verblassend, – wir standen auf kahler Berghöhe, wir sahen neben uns den erloschenen Krater mit seinen zerfetzten, lavaüberfluteten Seitenwänden, und wir konnten nach wenigen Schritten hinabschauen in die dämmerige Bucht mit ihren Verzweigungen, auf den kleinen See, auf den hellen Muschelstrand und die zahllosen glühenden Pünktchen, die dort umherirrten: Menschen mit Laternen, Mackencies Banditen …

Aus der Tiefe drang langgezogenes Schmerzgeheul empor …

Monte blaffte …

„Die Hunde – mit verbrannten Pfoten, – arme Kreaturen!“

Das Geheul klang wie eine schreckliche Anklage gegen den brutalen Wicht, der eine ganze kleine Armee und Flotte mobil gemacht hatte, um Reichtümer zu finden und die Gegner zu beseitigen.

Frau Lotte sah, wie ich meine Schuhsohlen betrachtete …

Sohlen? – Nein, pechschwarzer, rissiger, zerbröckelnder Überrest dessen, was Stiefelsohle gewesen.

Und die drei Hunde? Was mochten sie erdulden mit ihren versengten Ballen!

Mackencie würde an ihnen keine Helfer mehr haben …

Ich blickte die Bergkuppen entlang …

„Frau Wenk, gibt es eine Möglichkeit, dorthin zu gelangen, ohne diese Höhen zu verlassen?“, – ich deutete auf die Bucht, die irrenden Lichter.

„Wenn man sich über den Kraterberg wagt – ja, sonst nur von Südwest her, woher ich mit Monte kam …“

„Dann wagen wir es“, entschied ich nach nochmaligem prüfenden Blick.

„Ein zu großes Wagnis“, glaubte sie warnen zu müssen. „Und ein ganz unmöglicher Weg … Mein Mann versuchte es einmal, er gab es auf … Der Krater enthält noch kleine Geiser, heiße Quellen, Gas tritt aus den Spalten heraus …“

Ich zerstreute ihre Bedenken. „Monte wird uns schon rechtzeitig warnen … – Vorwärts, alter Monte, treuer Freund!“

Wir schritten einen Felsengrat entlang, erreichten die ersten Lavafelder, und als wir in eine Schlucht eindrangen, die finster wie ein Keller war, zog Monte noch eilfertiger an der Leine, hatte die Nase immer dicht über dem Boden, und der Laternenschein fiel auf frischen Dünger von Wildeseln …

Noch zehn Minuten, und wir blickten in einen Talkessel hinab, den die erste kalte Tageshelle des heraufziehenden Morgens als grünes Paradies erscheinen ließ. Meterhohes saftiges Gras, üppigstes Buschwerk, rieselnde, hüpfende Wasserstreifen, ein paar Palmen, dazu Behänge buntblühender Lianen, – und in diesem einsamem versteckten Weideland ein Trupp von dreißig Wildeseln, die noch an den kahleren Stellen sich niedergetan hatten.

Frau Wenk flüsterte sichtlich überrascht:

„Diesen Talkessel haben wir nie bemerkt …“

Ich erwiderte nichts, ich wandte mich zurück, ich schaute hinüber zu dem Berge, dessen Westseite den Tempel und die Treppe verbarg …

Von hier sah ich die ganze Rückseite, senkrechte Einschnitte, Schluchten, Schlünde, Lavaströme, längst erstarrt, – bis ein blinkendes Etwas meine Aufmerksamkeit erregte …

Ich schaute schärfer hin …

Zwischen zwei glatten Streifen von Lava, die wie marmorierte dunkle Tapeten sich in die Tiefe zogen, glänzte in der Finsternis einer Einbuchtung des Berges ein nicht näher zu erkennendes Gebilde – etwa wie ein blanker Riesentropfen klaren Wassers, der im Frühlicht wie ein Diamant schillerte.

Frau Lotte und Monte gestatteten mir nicht, dieses Gebilde näher zu betrachten. Es konnte eine Quelle sein, die einen Felsen überrieselte, – die Entfernung war zu groß, die Beleuchtung noch zu schwach.

Monte zerrte an der Leine …

Die Wildspur führte vielfach gewunden in den grünen Kessel hinab … – Ob der Professor niemals seine Bluthunde hier oben mit sich gehabt hatte? Sollte ihm dieses grüne Paradies entgangen sein? Hatte nur er allein nach den Reichtümern gesucht, die er hier vermutete?

Und woher vermutete er das alles?

Noch kannte ich die so einfachen Zusammenhänge nicht … Ich unterdrückte jede Frage, wir hatten andere, dringendere Pflichten.

Wir betraten das Tal … Es war keine zweihundert Meter breit und vielleicht doppelt so lang. Montes Jagdgelüste auf Wildesel dämpfte ein kräftiger Schenkelschlag …

„Alter Freund, – drüben geht es weiter. – Seit dieser Nacht liebe ich selbst die größten Esel!“

Die bisher so enge Wildspur zerflatterte hier im Grünen. Wir scheuchten zwei alte Einsiedler von Eselhengsten auf, die im Galopp davonstürmten. – Frau Wenk war neugierig …

„Half Ihnen ein Esel?“

„Ob er mir half!!“ Ich erzählte …

Wir eilten weiter, Monte entdeckte auch drüben einen halsbrecherischen Ziegenpfad, der uns wieder über die Berghöhen über der Bucht brachte.

Es wurde hell, zu hell …

Wir wurden vorsichtiger … Wir benutzten jede Deckung, wir spürten plötzlich in einem Quertale Brandgeruch …

Rechter Hand erblickten wir einen Teil des Sees und die Schlucht, die den Anfang der Büßertreppe bildete. Links brandete irgendwo das Meer, der Salzhauch war zu spüren, in diesen kräftigen Odem des Ozeans mischte sich der Dunst brennenden Holzes.

Wir hielten, wir waren mißtrauisch, Monte nieste einige Male … Aber das Tal, nur mit einzelnen Buschinseln grün betupft, war harmlos, lag hoch über den Buchtverzweigungen und dem See. Die verwitterten Stollen. bereits zu Sand zermürbt, zeigten nur Tierfährten. Aus Löchern und Ritzen blinkten die Perlaugen großer Eidechsen hervor, riesige Spinnen und Käfer, nur auf den Galapagos heimisch, begrüßten den neuen Tag mit eilfertigem Hin und Her, und das einzige nicht hierher eingeführte Säugetier dieses vulkanischen Archipels, ein brauner, flinker Nager, flitzte wie ein Iltis samt Familie seiner Erdhöhle zu.

Woher kam der Rauch?

Wir näherten uns tief geduckt der Westseite, der Wind blies uns entgegen, aus einer der vielen Spalten schoß plötzlich stärkerer Qualm hoch, zerflatterte …

„Frau Lotte“, sagte ich mit aller Bestimmtheit, „wir stehen hier über dem Schlupfwinkel der Bande … – Riechen Sie! Das ist nicht nur Rauch, sondern auch brenzlicher Gestank: Fleisch wird gebraten, Wildschweine!“

Wir lagen neben diesem Rauchfang, wir schoben die Köpfe vor und horchten.

Die Spalte ging schräg in die Tiefe, war hier oben zwei Meter breit und doppelt so lang … Sie mußte den ganzen Abhang durchschneiden – bis hinab zu der Ufergrotte, in der die Goldsucher und die Gefangenen steckten, – für letztere war vorläufig nichts zu befürchten, da Mackencie zunächst uns fangen mußte. Sein teuflischer Plan, aus Alix Collinwratt und Rüdiger Wenk mit Hilfe der glühenden Stufen ein Geheimnis zu erpressen, war so lange unmöglich zu vollenden, wie wir uns der Freiheit und des Besitzes todbringender Waffen erfreuten.

Wir horchten …

Aber wir hörten nichts, konnten auch nichts hören, denn der Steilabhang der Bucht war mindestens hundert Meter hoch, und dieses Tal war nur eine Senkung, vielleicht dreißig Meter tief, mithin blieben immer noch siebzig Meter Länge für diesen Rauchfang.

Nein, wir hörten nichts …

Aber was dem Ohr verschlossen blieb, spürte die Nase, und das wichtigste sahen unsere Augen bei der rasch zunehmenden Tageshelle: Drüben in den Bergen erschienen einzelne Trupps von je fünf Mann, unten am Fuße der Büßertreppe lauerten drei Kerle hinter Steinblöcken: Das große Kesseltreiben hatte begonnen, und der Professor schien seine gesamte irgendwie verfügbare Mannschaft hierfür eingesetzt zu haben.

Lotte Wenk fragte besorgt: „Spüren Sie denn so gar keinen Hunger?“

Und zögernder: „Ich – – ja!! Und ich bin müde … sehr müde …“

Sie stützte die Ellbogen auf und schnupperte.

„Der Bratendunst macht hungrig … – Oh, wenn man hier hinabkönnte!“

„Man kann, Frau Wenk …! Man kann es wenigstens versuchen …!“ Ich lächelte sie an … „Ich tue es, – nur der Rauch ist gefährlich … Ich warte … Dieser Kamin muß zu bezwingen sein … Dann werden wir die Gefangenen befreien, und vielleicht erfahre ich dann endlich, was Mackencie hier zu finden hoffte, als er mit so ungeheurer Rücksichtslosigkeit sich sogar veralteter Torpedoboote bediente, als er ganz so handelte, als lebten wir noch vor etwa zweihundert Jahren, wo jeder tatkräftige Raufbold und Seemann die Meere als Pirat unsicher machte …“

Lotte Wenk hatte die Augen geschlossen. Ein merkwürdig gespannter Zug war in ihrem frischen Gesicht zu erkennen, und plötzlich schob sie den Kopf noch weiter vor, flüsterte stockend:

„Da – – das ist die Stimme meines Mannes … Hören Sie?!“

Ich horchte … Und ich hörte …

Eine Stimme drang zu uns nach oben, deren Klangfülle man es anmerkte, daß sie gewohnt war, das Toben eines Orkans zu übertönen …

Ein Organ, hart, dennoch schmiegsam, – – schade nur, daß die lange gewundene Felsenröhre, an deren anderen Ende wir lauschten, manche Worte dreimal wiederholte als ungewöhnliche Echos, während andere völlig verschluckt wurden.

„… Mackencie, Sie fordern das Schicksal heraus – – um ein Trugbild, um ein Nichts! Mackencie, Miß Alix Collinwratt weiß nicht mehr und nicht weniger als Sie und ich … Ich warne Siel! Sie wollen wie ein mittelalterlicher Folterknecht …“

Das etwa konnte man sich ergänzen, zusammenreimen …

Ich ergänzte mir mehr als dies nur, als nun das teuflische Lachen dieses intelligenten Narren die Worte Rüdiger Wenks übertönte …

Mit einem Schlage wurde mir klar, daß John Mackencie seine Treibjagd auf uns gleichzeitig zur Verwirklichung seiner abscheulichen Absichten benutzen wollte.

Ein Glück, daß Lotte Wenk nicht ahnte, wie bitter ernst die Lage sich zugespitzt hatte.

Wenn dieser goldhungrige, raffgierige Professor sofort an die Ausführung seiner Absichten ging, waren die Folgen gar nicht auszudenken.

Wie eine grauenvolle Vision sah ich für Sekunden mich selbst wieder dort oben auf den glühenden Stufen, sah, wie die Hunde in panikartiger Angst und unter tollsten Schmerzen abwärtskrochen, sah den Kieferknochen mit den gelben Zähnen in der Ecke der einen Stufe liegen, und ergänzte mir unbewußt dieses Bild durch die Gestalten zweier Menschen mit bloßen Füßen, die man gewaltsam in diese Hölle emporjagte: Alix Collinwratt und Rüdiger Wenk!!

… Die Vision zerfloß …

„Der Kamin qualmt nicht mehr“, hörte ich neben mir die vibrierende Stimme der Frau, deren Gatte dem Wahnwitz eines von phantastischen Goldträumen Besessenen geopfert werden sollte.

In dieser Stimme schwang ein rührendes, stummes, unausgesprochenes Flehen mit: „Hilf, bitte … hilf mir!! Ich vergehe vor Angst.“

Und das weckte mich vollends …

Ich sprang auf, lief zu den nächsten Büschen, brach rasch fünf fast armdicke Knüttel ab, riß die Seitenzweige ab, warf die Büchse in den Sand, lockerte die Leine, die mir bereits beim Fang des wackeren Grautieres so gute Dienste geleistet hatte.

Ich schnürte die fünf meterlangen Knüttel zusammen …

„Frau Lotte, Sie verbergen sich hier … Keine Fragen, – – es wird gelingen … es muß …!“

Schräg abwärts rutschte ich – vorsichtig, damit kein Stein sich löste …

Der Kamin rauchte doch noch …

Stickige Schwaden stiegen hoch … Aber die Zugluft pfiff mir um die Ohren und führte mir genügend Sauerstoff zu …

Meine Laterne vor der Brust befestigt, warf trüben Schein auf rissigen Fels, auf Flechten, Moose, auf glitzernde Adern von Glimmergold …

Hinab also! Ein Weg, den bisher niemand gegangen …

Ein Weg, den man nie vergißt, – genau so wenig wie das grausame Naturwunder der von unterirdischen Feuern durchhitzten Treppe der Büßer.

 

11. Kapitel.

Das Krematorium Mackencies.

Der Weg war mir nicht gewogen, der Weg zeigte von Beginn an seine Tücken, schon hinter der ersten Biegung des Schachtes …

Senkrecht hinab ging es …

Ungewiß, wie tief, hinab …

Stärker quirlte der Rauch, beizte die tränenden Augen, machte das Laternenlicht zu nutzlosem Kerzlein.

Senkrecht hinab …! – Also her mit dem ersten Knüttel, – hinein mit ihm in eine Ritze, die Leine darüber gelegt, dann hinab ins Nichts, aus dem der Qualm emporstob, wie feindliche Gespenster.

Beide Enden der Leine packend, – Kletterschluß, Hand um Hand, – und dann noch immer unter mir leerer Raum, als die Leine am äußersten Ende mich und die Knüttel hielt …

Leerer Raum …

Es konnten zwanzig Meter sein …

Dann erst vielleicht wieder eine Biegung … Zwanzig, dreißig Meter. Wußte ich es denn?!

Ich mußte es wagen … Ich ließ das eine Ende des dünnen Taues los, – droben ruhte es über dem festgekeilten Knüttel, glitt nun über diesen hinweg, und ich fuhr abwärts, hatte nur einen Schutz: Die anderen Knüttel!

Immer schneller sauste ich in die Finsternis, meine Bremsklötze halfen nicht viel, schrammten an einer Wand entlang, warfen mich gegen die andere … Ich fiel – wie ein Bleiklotz – – ins Leere, ins Ungewisse … Ich hielt die Beine angezogen, den Kopf geduckt, bekam Püffe und Stöße, – – und prallte hart auf, schlug vornüber, die Laterne erlosch, – ich lag in Steingeröll, – blutend, zerschunden, – – aber ich lebte …

Mein Feuerzeug sprühte, – die Laterne brannte wieder, – ein kurzer Rundblick, eine kleine schräge Höhle war es, und hier war die Luft rein, der Qualm zog über mir hinweg …

Weiter also … Abwärts … Und ein neuer senkrechter Stollen …

Diesmal war ich klüger, seilte die Laterne an, beleuchtete die Finsternis, – – zehn Meter vielleicht, unten wieder Geröll, also – her mit dem zweiten Knüttel, dasselbe Spiel gewagt, nur mit der Gewißheit, unbeschädigt zu landen …

Abermals ein schräges, enges Ende Schacht, qualmerfüllt, aber glatt, – ich rutschte, bremste, streckte die Laterne vor …

Genug damit: Vier Knüttel brauchte ich als Gleitstütze für die Leine, bevor ich unter mir rötlichen Feuerglanz bemerkte.

Und der fünfte Knüttel?

Wie der leibhaftige Teufel kam ich aus dem Rauchfang hervorgesaust, schnellte hoch, – – der fünfte Knüttel fand bessere Arbeit …

Man sagt immer, Mulattenschädel seien so hart, daß nur Eisenstangen etwas ausrichten. Ich bin anderer Meinung … Jedenfalls die vier braunen Burschen, die hier in dieser geräumigen Höhle Gefangenaufseher und Köche spielten, vergaßen vor Schreck nach den Waffen zu greifen, und als sie den Schreck überwunden, fuhr ihnen der knotige Ast über die krausen Köpfe und überhob sie der Mühe, mich freundlichst zu begrüßen.

Es waren nur vier …

Ich riß einen Feuerbrand aus einem der Scheiterhaufen für die ermordeten Wildschweine, – der Feiertagsbraten fiel in die Glut, – mochte er!, ich sprang tiefer in die Höhle hinein, und da saßen sie, Kopf an Kopf, wie Sperlinge auf Zaunpfählen: Die Besatzung der Schonerbrigg und der kleine Alonso, – alle gefesselt, alle so eng umschnürt wie die Wickelkinder.

„Alonso, wo sind …“ – mein Messer fuhr durch die Schlinge – „wo sind Miß Collinwratt, Wenk und Lincoln …?“

Vierzehn stramme deutsche Kerle umringten mich … Kerle von der Waterkant, ausgesucht große Leute …

Fragen?

Danken …?

„Dort, bindet die Mulatten … Nehmt ihre Waffen …“

Sie stürmten davon …

Sennor Alonso Rosso lächelte höflich. „Ich bin Ihnen gewiß sehr dankbar, Mr. Abelsen, aber …“

Ich stutzte etwas. Das war eine merkwürdige Einleitung …

„… aber die vier Leute dort, die Sie so fix niederschlugen, daß man Ihren Armbewegungen kaum folgen konnte, hatte ich bereits genügend bearbeitet … – bestochen, – es klingt häßlich, Mr. Abelsen, doch in unseren Staaten hier in Südamerika erreicht man alles mit Geld und nicht mit Ehrlichkeit, – wie anderswo … Die vier Mulatten hätten uns also ohnedies sehr bald die Fesseln abgenommen, zumal ich als Polizeichef – hm – zu drohen verstehe, und sie vor dem Professor keinerlei Achtung haben[17], – sie mißtrauen ihm, er hatte ihnen Berge von Gold zugesagt, und bisher ist ihm alles schief gegangen … Kommen Sie, diese deutschen Seeleute scheinen sehr derbe Fäuste zu haben, und …“

Er trippelte eilends davon, – ich kam mir beinahe überflüssig vor, denn ich zweifelte nicht einen Augenblick, daß Sennor Rosso durch Geldversprechungen die vier wirklich geködert hatte. – War das alles nicht so völlig nebensächlich gegenüber der Gefahr, von der ich Miß Collinwratt, Kapitän Wenk und Freund Ham bedroht wußte?! Hatte denn Alonso Rosso so gar keine Angst um die drei, von denen ihm doch der schwarze Bubikopf der überschlanken Miß Alix nach all dem Vorausgegangenen sehr nahe stehen mußte?!

„Sennor Rosso!“, – ich hatte ihn eingeholt, ich hörte, wie er den Matrosen einen Beseht zurief … Die breitschultrigen Seeleute mit den derben, braunen Gesichtern, rasch umzustimmen wie die Kinder, ließen von den Mulatten ab und suchten eilends nach einem feurigen Belebungstrank für die arg durchgeschüttelten Wollschädel … „Sennor Rosso, wir müssen die Absicht des Professors schleunigst durchkreuzen, er will doch …“

Alonso Rosso wandte nur halb den Kopf. – Ein merkwürdiges Kerlchen, dieser Kriminalchef, – er lächelte schon wieder …

„Mackencie will wohl …“, nickte er belustigt. „Nur daß sich seinem irrsinnigen Vorhaben einige Hindernisse entgegenstellen, Mr. Abelsen … Ja, Abelsen …! Oberst Hamilton hat Ihr Inkognito preisgegeben, und dem Professor war nicht ganz wohl dabei … – Er nahm die drei mit sich, – ein weiter Weg ist es um den See herum bis zum Fuße der Treppe, und mittlerweile, nun, Sie werden ja sehen … Glauben Sie, daß ich nur zum Vergnügen Miß Collinwratt begleitete …?! – Folgen Sie mir nur … draußen wird sich vieles klären … Das Spiel ist für Mackencie verloren.“

Er nahm mich unter den Arm, plötzlich hatte ihn der Eifer gepackt, mir seine Überraschung zu zeigen … „Einer der Mulatten erblickte die Schiffe und meldete es mir … Ich sagte ja, daß wir nichts mehr zu fürchten haben … Wären Sie drei Minuten später durch den Rauchfang herabgerutscht, hätten Sie uns vielleicht nicht mehr angetroffen … Dort ist schon der Höhlenausgang … Sehen Sie die Sonnenstreifen auf den Felsblöcken, die das Loch verdecken, – es war ein sehr guter Schlupfwinkel, nur – – es geht nicht alles so, wie man es sich denkt, und Mackencies Hoffnungen waren nichts als leere Wahnideen, hervorgerufen durch eine alte Scharteke von Buch, die er stahl … – Welch ein Narr!!“

Er schob mich durch ein paar sehr enge Durchschlüpfe zwischen den vorgelagerten Felsen, und mit einem Male hatte ich den Nordzipfel des Sees und die Bucht und den hellen, freundlichen Sandstrand mit seinen schillernden Muschelstückchen dicht vor mir …

Wir standen im Sonnenlicht, das Licht blendete, wir kamen aus der Finsternis, und hier überall der leuchtende Frohsinn eines sonnigen Morgens, als gäbe es keinerlei dunkle Geheimnisse und keine tückischen Menschen und keine glühenden Stufen, auf denen die Siedehitze der Unterwelt das Herz zusammenpreßt und den Körper in Strömen von Schweiß zerfließen läßt.

Ich hatte die Augen geschlossen, öffnete sie wieder, Bucht und See waren blanke Spiegel, und dann sah ich dort vor mir zwei Schiffe Bord an Bord ankern, erkannte die schlanken Masten der Schonerbrigg und den niederen silbergrauen Rumpf eines veralteten, nur frisch gestrichenen Torpedobootes …

„Was bedeutet das? Der Schoner „Hammonia“?!“

Die Worte wollten mir gar nicht über die Lippen …

Ich starrte hinüber …

Auf den Schiffen bewegten sich zahlreiche Personen, soeben rasselte ein Anker in die Tiefe, das Wasser platschte, der See schlug kleine Wellen, Kommandorufe ertönten, – – hinter uns brach der Schwarm der deutschen Seeleute ins Freie …

„Hammonia!!“, brüllten sie … – ein Chor freudiger, begeisterter Seelen. „Unsere „Hammonia“ …!!“

Sie stürzten zum Strande, winkten, riefen …

Ein Windstoß fuhr die Bucht hinab, die Flaggen an den Flaggenstöcken bauschten sich, knallten, knatterten, zeigten mir ihre Farben: Die deutsche Flagge und die der Republik Ecuador …!

Sennor Rosso nahm seinen breitkrempigen Strohhut ab und verneigte sich. Er grüßte die Farben seiner Heimat, und er winkte mit dem Hute, – am Heck der „Hammonia“, deren anderer Name „Valparaiso“ längst wieder getilgt war, standen der Mann aus dem Affenkäfig und die weißhaarige Frau, neben ihnen zwei dunkelhäutige Herren in sehr prunkvollen Uniformen.

„Glauben Sie immer noch, daß Mackencie irgendwie es wagen würde, sein bereits recht stark belastetes Schuldkonto zu vergrößern?“, meinte Alonso mit feiner Ironie … „Diebstahl, Mordversuch, Schiffsraub – – und manches andere, – es ist etwas viel für einen, Mr. Abelsen … Und dabei ist die Sache so ungeheuer lächerlich im Grunde genommen … Diese Gelehrten vom Schlage Mackencies deuten sich alles nach ihrem Wunsch, auch alte Aufzeichnungen … Ich denke …“

Was er dachte, war mir gleichgültig …

Meine Augen hatten die enge Schlucht drüben gesucht, die enge Treppe, die je höher desto heißer wurde, die sich schließlich in den Lavawänden des düsteren Kraterberges verlor.

„Rosso, – – dort, – – sehen Sie …!!“

Vielleicht dreißig Meter über dem Eingang der Schlucht machte die Treppe eine Biegung, man konnte hineinschauen in den engen Treppenschacht, und dort schritten drei Menschen, aneinandergefesselt wie Tiere, die zur Schlachtbank geführt werden, widerstrebend aufwärts, hinter ihnen ihr Peiniger, mit einer Pistole fuchtelnd, in der Linken einen Bootshaken, mit dem er die Zaudernden in den Rücken stieß, daß sie stolperten.

„Rosso, – – dort …! Und – bei Gott – barfuß die drei, – – Mackencie wird seine Fehlschläge an ihnen rächen …“

Meine hastigen Handbewegungen waren dem Paare auf der Brigg nicht verborgen geblieben. Der Mann, der unter seinen Schimpansen ein Versteck gefunden, sprang in ein bereits ausgeschwungenes Boot, löste das Tau …

Ich wartete nicht …

Ich stieg in den See, schwamm hinüber, schrie, winkte …

Der Mann stutzte, das kleine Boot flog auf mich zu, eine Hand zog mich über den Bootsrand, weiter flog das Boot, hielt auf die Schlucht zu, der Kiel schrammte über Steine, wir flogen ans Ufer, jagten vorwärts, und im Laufen stieß mein Begleiter kurz abgehackt hervor:

„Wissen Sie nun, wer ich bin?“

„Nein … noch nicht! – Nur vorwärts!“

„Noch nicht? – Dann haben also die Eingeweihten über Gebühr ihr Versprechen gehalten. Ich bin Doktor Juarez Passimo, Direktor des Staatsarchivs von Ecuador … Ich kenne diese unsere Insel Santa Renata besser als jeder andere. Ich weiß, daß die Sträflinge von einst hier keine Schätze fanden … – – Halt, – – hier ist die Stelle … Geben Sie acht …“

Er schwang sich auf einen Stein dicht neben dem Zugang zur Schlucht, der Stein lag an der rechten Schluchtwand, an der kühleren Wand, – der Doktor entfernte ein keilförmiges Felsstück, rieb ein Zündholz an …

Was wollte er?! Was sollte das?!

Das Zündholz mit seinem Flämmchen verschwand in dem Loche, dann sprühte etwas auf, kleine Funken stoben, – – was sollte das?!

Und dort vor uns waren die drei Gefesselten einem halben Tollhäusler überantwortet, – ich stürmte aufwärts, mochte Doktor Passimo sich auf seine Methode verlassen, die drei zu retten, – ich verließ mich nur auf mich selbst, ich sprang die Stufen empor, ich gelangte an die Biegung, sah die drei, hinter ihnen ihren Peiniger, aber dieser unselige Mackencie, dieser kläglich Entgleiste, stand jetzt regungslos da, stützte sich schwer auf den Bootshaken, stierte aufwärts, empor zur rechten Schluchtwand, wo unter Zischen, Fauchen und kleinen Explosionen ein Feuerwurm nach oben kroch, – immer höher … höher … mit sachtem Knattern, – eine Zündschnur mußte es sein, die man in ein wetterfestes, dünnes Rohr eingebettet und noch mit Pulver eingerieben hatte, damit sie schneller und sicherer brenne …

Hüpfend, fauchend, knallend schlängelte sich der sprühende Wurm nach oben, – – entschwand dort, wo die Treppe zum Krater abschwenkte …

John Mackencie blieb wie erstarrt …

Hamilton Lincoln, lang, hager, sah mich herankommen …

Trat zurück …

Freund Ham hob den rechten, nackten Fuß … stieß zu … Er stand eine Stufe höher als Mackencie, er traf den Professor vor die Brust, der Mann flog rückwärts, kollerte mir entgegen, wollte hoch, – seine Zeit war um …

„Bleiben Sie liegen, Mackencie …! – Hände her!! – So, nun werden Sie …“

Hoch über uns irgendwo ein Knall, ein Dröhnen, Poltern …

Ein Blick zum Krater …: Eine Wolke Staub, Steine, die schnell wieder verschwand.

Explosion?! – Was sollte das?!

Ich eilte aufwärts, flinke Messerschnitte befreiten die drei von ihren Stricken, Rüdiger Wenk, blonder Hüne gleich seinen Leuten, wollte etwas sagen – fragen, – Ham sagte etwas, – aber Miß Collinwratts Stimme war lauter, übertönte das Überflüssige, Nichtige …:

„Der Kratersee kommt!! Aufpassen!! Der Kratersee, den Doktor Passimo längst entleeren wollte, um die Tiefen des Kraters zu untersuchen.“

Hinter uns ein heiserer Schrei …: Mackencie …! Er lehnte aufrecht an der Felswand, er hob die gefesselten Hände …

„Sehen Sie … – – das Wasser!! Wir werden ertrinken, ersticken, – – das Wasser …!!“

„Hallo – – Achtung!!“ – eine andere Stimme … „Hallo, Rüdiger …!! Achtung!!“

Und dazu ein freudiges Bellen …

Ein Drahtseil gleitet herab …

Auf der rechten Steilwand kniet Lotte Wenk, neben ihr Doktor Passimo …

„Schnell – – schnell …!“

Im Fluge wird Miß Collinwratt hochgehißt, wir folgen, als letzter Mackencie, nicht mehr der Mann mit dem brutalen Zynismus, der schrankenlosen Habgier …

Vielleicht in diesen Minuten nur noch der große Gelehrte von einst, nur noch der Bewunderer des einzigartigen Schauspiels, das die Treppe der Büßer jetzt dem menschlichen Auge darbietet.

Das Wasser kommt …

Ein ungeheurer Dampfkessel scheint dort oben aufgestellt zu sein, dessen Ventile ein Zischen in die Lüfte senden, vor dessen Kraft jeder andere Laut erstirbt.

Das Wasser kommt …

Der Kratersee, den ich nie geschaut habe, entleert sich …

Um die Biegung droben fliegt eine weiße Wolke Dampf, die erhitzten Stufen verwandeln die herabbrausende Flut zum kleinsten Teile in helle Schwaden, unter den weißen Wolken schäumt es hernieder – ein Wildbach, wie angeschwollen zu hundertfacher Höhe durch Regengüsse im Gebirge.

Der ganze Berg dampft …

Zwei Elemente bekämpfen sich, Feuer und Wasser, und – keines siegt …

Tiefer schießt die Flutwelle durch den Treppenschacht, zerteilt sich, wird zu gleichmäßig rauschenden, brausenden Kaskaden, während droben noch immer die erhitzten Steinmassen die hellen Schwaden aus brodelndem Naß in die Lüfte senden …

Schwer und hell lagert die Dampfwolke über den Bergkuppen, erweitert sich, wird vom Morgenwinde des Pacific in die Schluchten gedrückt, – noch immer zischen die Ventile, und noch immer steht die verirrte Seele John Mackencies in andächtigem Staunen da.

Was wir hier miterleben, ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem gewaltigen, gigantischen Ringen der Naturkräfte, ist trotzdem zur Hälfte Menschenwerk, sorgsam vorbereitet von dem Manne, der mit anderen Augen wie Mackencie jede Einzelheit der Vorgänge beobachtet.

Doktor Juarez Passimo scheint etwas enttäuscht zu sein … „Ich hatte weit stärkere Dampfexplosionen erwartet“, spricht er in die leere Luft, und doch galten die Worte mir, der alle Mühe hat, Freund Montes wütendes Kläffen zu beruhigen, der angesichts dieses Schauspiels lediglich das Fauchen des Dampfes droben als ungehörig bewertet und am liebsten emporstürmen mochte, um dort oben gründlich mit diesen zischenden Störenfrieden aufzuräumen.

Die leicht dampfenden Kaskaden haben nun unten den See erreicht, die Wassermassen kühlen die Außenschicht der Felsen immer mehr ab, der Morgenwind vertreibt die weißen Nebelgeister, die Bergkuppen, der Krater und der Treppenschacht sind entblößt von den wallenden Schleiern, – noch immer plätschert und rauscht die Flut des geöffneten Kratersees hernieder – tänzelnd, schäumend, frohgemut wie harmlose glitzernde kleine Wasserfälle.

Und auch diese Wassermenge nimmt ab …

Vielleicht zwei Meter hoch füllte sich die Treppenschlucht, – wird bescheiden, sinkt zurück, und je ärmlicher die Fülle wird, desto drohender, kühner erhebt wieder das halb besiegte feindliche Element sein Haupt, neue Wolken bilden sich, und wiederum erheben die ziehenden Zungen des Dampfes ihren drohenden Warnungsruf, wiederum folgt das Dröhnen sich jäh entwickelnder Dampfmassen, die gewaltsam zwischen den Felsen die noch über ihnen lagernde gleitende quirlende Masse hochschleudern, als wären es blitzende Stücke von Riesendiamanten, von Granaten und durchsichtigem Glase.

Doktor Passimo, Direktor des Staatsarchivs, Mann mit einem förmlichen Doppelgesicht, in dem sich zwei verschiedene Welten umsonst zu einem geschlossenen Ausdruck zu vereinigen suchen, murmelt ein befriedigtes: „Die Feuer der Tiefe siegen! Der See wird leer, – es wird noch toller kommen!“

Neben uns steht unbeachtet Professor Mackencie, auch Gelehrter wie Passimo, auch mit Abenteurerblut in den Adern … Auch seine Gesichtszüge waren ein Januskopf, waren zwei Gesichter, nur daß bei ihm die edle Grenzlinie fehlte, wo der gefestigte Charakter hervorleuchten müßte wie bei meinem anderen Nachbar, dem südamerikanischen Forscher, der einst vor mir stand auf den Planken des Schoners und mir nichts preisgab von seinen Geheimnissen.

Dennoch ist John Mackencie nicht der alte: Was in seinen Zügen abstieß und das Abenteurerblut in brutales Verbrechertum wandelte, ist verschwunden. Nur noch der Forscher mit dem großen Namen, der sein Mutterland schonen wollte, ist übrig geblieben, als hätte die Treppe unter uns mit ihren reißenden Wassern und ihren unheimlichen Eigenschaften, die durch Todesnot zu innerer Einkehr und Buße zwingen, das andere Ich dieses Menschen ausgetilgt.

Alix Collinwratt sitzt auf einem Stein in der Nähe … Das Ehepaar Wenk hält sich umschlungen, und Frau Lotte Wenks Züge verraten ebenso die scheue, halb freudige Reue über ihre törichten Anwandlungen von Eifersucht.

Die Dampfexplosionen mehren sich, je dünner die Kaskaden werden … Das untere Ende der Treppe der Büßer weist kaum mehr kleine Rinnsale auf …

Da dreht John Mackencie sich halb um.

„Doktor Passimo …!“

Sein Gesicht ist grau und verfallen. Nichts mehr von Mephisto, Satanas, – ein zerbrochener Mensch …

„Doktor Passimo“, sagt er hart und stark, „ich habe gefehlt, ich jagte einem Phantom nach, ich weiß es jetzt … Was in den alten Handschriften des Generals Martinez als Ergebnis der Tortur armer Chinesen erwähnt wird, war nicht Gold … Es war ganz etwas anderes … Die Buddhisten logen und starben und verlachten sterbend ihren Peiniger. Ich wußte es jetzt, und daher werden Sie mir auch das eine glauben müssen, mag ich an Ihnen auch als Schurke gehandelt haben: Es war nicht meine Absicht, Miß Collinwratt, den Kapitän und den Oberst hier etwa leiden zu lassen, hier zu foltern, – es gab ja nichts mehr zu erpressen, – – ich habe gesehen, was die Chinesen meinten, und Mr. Abelsen verhalf mir dazu, – er sah es auch, ich war hinter ihm und Frau Wenk her, machte kehrt, – – ein Enttäuschter, vielleicht zu spät Bekehrter …“

Seine erloschenen Augen trafen die meinen … wichen aus, gingen wieder ins Leere …

„Ich wollte etwas anderes mit den drei Menschen, Doktor Passimo … Wenks Familie und Miß Collinwratts Familie hat durch die Flucht ihrer Ahnen, die hier mit den Chinesen und mit einem Neger, und das war Pedro Marino, jahrelang gelebt haben, dasselbe Geheimnis mißverstanden … Jener James Collinwratt, jener Rüdiger Wenk – der Neger wurde erschossen – werden nicht aus Prahlerei, sondern infolge eines Gelöbnisses untereinander dasselbe Märchen erdichtet haben, was einst General Martinez seinem Bericht über die Strafexpedition einfügte … – Sehen Sie, Passimo, für mich war es ein schwierig Ding, vor meiner buntfarbigen Gefolgschaft, deren ich ohnedies nicht mehr sicher war, das Märchen von einem enormen Goldblock aufrecht zu erhalten … Hätte ich also die Miß, den Kapitän und den Oberst als freie Menschen mitgenommen zu diesem Anstieg, wäre die geringe Disziplin völlig zerrissen … Ich wollte nichts anderes, als den drei Menschen persönlich zeigen, was von meinem Traum, von einem Traum so vieler, Wirklichkeit war …“

Er knöpfte seine Jacke auf …

In seinem Gürtel steckten drei Paar dicksohlige Schuhe, um den Gürtel hatte er noch eine dünne Stahltrosse mit einem zweizackigen kleinen scharfen Haken gewickelt.

„Doktor Passimo, – die Schuhe waren für die drei bestimmt, die Trosse zum erklimmen der Steilwand …“

Dann riß er sein Hemd auf, holte ein in Schweinsleder gebundenes Buch, dünn und breit, hervor …

„Hier gebe ich Ihnen zurück, was ich Ihnen stahl und was Sie vor der Regierung verdächtigte, Sie wollten nun selbst nochmals heimlich nach dem Goldblock suchen …“ Er lachte leise … „Niemand wird einen Goldblock finden, – es existiert kein solches Naturwunder, es existiert nur, – – wissen Sie was, Mr. Abelsen?“

„Nein!“, konnte ich ehrlich erwidern, denn all diese überraschenden Eröffnungen hatten das einzige Bild, aus dem ich die Wahrheit hätte entnehmen können, völlig in den Hintergrund gedrängt …

„Dann“, sagte Mackencie sehr bestimmt, „habe ich mich in einem Punkte sehr getäuscht … – Die Treppe der Büßer wird nun meine Buße sein, Passimo … Sorgen Sie, daß man mit meinen Leuten Nachsicht hat … Ich hoffe ohnedies, daß sie entkommen sind … Wir wußten, wo Miß Collinwratts Boot lag, mit dem sie und Alonso hier landete …“

Er setzte zum Sprunge an … Vor uns war steile Wand, aber Mackencie kletterte wie eine Katze …

Mackencie stieg höher und höher, tauchte in den weißen Dampf der verpuffenden Wasser ein.

Eine allerletzte starke Explosion der Dämpfe. Die hellen Schwaden zerflatterten, Felsstücke flogen empor, – – wie ein unwirkliches Bild sahen wir den Professor, halb eingehüllt in eine Wolke von Staub und Steinen, in die Tiefe gleiten – genau unterhalb der Terrasse, genau unterhalb des ewig lächelnden Buddhas, der lächelnd die Abkehr und Einkehr lehrt – Abkehr von den Eitelkeiten, Nichtigkeiten dieser Erde, – Einkehr: Selbstbesinnung …!!

Doktor Juarez Passimo sagte ganz leise:

„Er hatte sich wiedergefunden, – – Friede seiner Asche …!“

Und verstohlen machte er als strenggläubiger Christ das Zeichen des Kreuzes … – –

Friede seiner Asche …

Als wir auf dem Deck der Brigg alle beieinander standen, erhob sich keine Stimme für Oberst Lincolns Vorschlag, den bereits halb verkohlten Leichnam zu bergen.

Alonso Rosso erklärte schlicht:

„Kein Forscher wird ein Krematorium finden wie Mackencie …! Er spürte den Geheimnissen der Natur nach, er ging fehl im Leben, mag die Treppe der Büßer seinen irdischen Leib zu Staub zerfallen lassen. Seine Asche, – die werden wir bergen …!“

Und das war uns anderen ganz aus dem eigenen Sinn gesprochen, und auch Freund Ham mußte einsehen, daß es so am besten sei …

 

12. Kapitel.

Der Goldblock von Santa Renata.

Nachdem die Frage erledigt war, hatten die meisten von uns für den Augenblick nur zwei Wünsche: Essen – – und schlafen!

Für die Befriedigung des ersten Wunsches hatte Steuermann Spreebock bereits unter einer Flut von kernigen, harmlosen Flüchen gesorgt. Was die Mulatten da in der Höhle an dem Festbraten verpfuscht hatten, brachte der rührige Steuermann wieder in Ordnung, und das bunte, malerische Bild eines frohen Lagerlebens am weißen Seestrande und eines ebenso bunten Völkergemisches trug viel dazu bei, alle schwerblütigen Gedanken abzuwehren.

Mochte aber der Wildschweinbraten noch so saftig sein, der Brandy noch so erstklassig und Frau Lotte Wenks Augen noch so blank: Was mir Doktor Passimo jetzt erzählen wollte, wäre zu einem Ohr hinein und zum anderen hinausgeflitzt … Ich aß und schlief immer wieder ein, und ich winkte Passimo müde ab:

„Sennor, ich bin seit zweiunddreißig Stunden auf den Beinen!!“

Dann raffte ich zwei Decken auf und empfahl mich schweigend, – genau so still, wie vorhin Freund Monte mit einem ganzen Schweinskopf sich abseits verdrückt hatte, – ich wanderte am Seegestade hin, suchte unterhalb des Kraterberges ein schattiges Grasfleckchen, und blieb plötzlich stehen: Zwischen Büschen lagen da Mackencies drei Bluthunde, neben ihnen mein Monte, und Monte leckte dem einen ganz sanft die verbrannten Ballen, während das bisher so feine Trio sich den eben gebratenen Schweinskopf schmecken ließ, auf den mein treuer, vierbeiniger Gefährte nun in einer Anwandlung von Edelmut verzichtet hatte, – was doch wahrlich viel heißen will.

Die Bluthunde nahmen kaum Notiz von mir, ich legte mich in der Nähe nieder, war im Augenblick eingeschlafen und erwachte erst, als die Sonne sich bereits gen Westen neigte. Dann ein schnelles Bad im See, ein hastiges Überwerfen der Kleider, – drüben stand Freund Ham, neben ihm Miß Alix, – sie winkten, riefen irgend etwas, deuteten auf die Felswand über dem Lager, und ich erblickte droben eine Schiffswinde, mehrere Leute, ein Holzkasten schwebte empor, vier Personen darin: Das Ehepaar Wenk, Doktor Passimo und Polizeichef Rosso.

Ich lief hinüber, Ham erklärte ganz erregt, daß Passimo nun den „Goldblock“ entdeckt habe, – droben in einer Schlucht des Nachbarberges des Kraters.

Ich war jetzt frisch, ausgeruht, wieder Herr meiner Selbst, und da mußte mir notwendig jenes glänzende Gebilde einfallen, das ich nachts während der Flucht mit Lotte Wenk geschaut hatte.

Auch wir schwebten empor …

Eine halbe Stunde später waren wir am Rande eines Abgrundes versammelt, der uns als unüberbrückbares Hindernis von jenem dunklen Felsloche trennte, in dem es nun bei Tage gleißend schillerte, als wäre dort ein Diamant von unfaßbarer Größe in das Gestein eingebettet.

Ferngläser wanderten von Hand zu Hand …

Ferngläser enthüllten die Wahrheit: Was dort in der Kluft auf der Rückseite des Tempelberges lagerte, war ein Gebilde von Vulkanglas, ein Gebilde wie ein zackiger Tropfen, unten breit, nach oben sich verjüngend wie eine Birne.

Die Allschöpferin Natur hatte hier nicht nur das Wunder der Treppe der Büßer, sondern auch durch das Feuer der Tiefe die ungeheure gläserne Masse geschaffen, die so viel Unheil anrichten sollte.

Doktor Passimo fragte mich, ob er mir jetzt das noch zu Erklärende mitteilen dürfe. – Ich nickte, er zog den alten Schweinslederband hervor und hielt ihn empor: „Dies ist der Originalbericht des General Martinez über die Strafexpedition, die in den Jahren 1838–1840 durchgeführt wurde. Die Behörden von Ecuador haben dieses Buch stets wie ein Wertstück gehütet, sie ließen hier auf Santa Renata nach dem „Goldblock“ forschen, keiner fand ihn. Ich selbst hielt das Buch unter Verschluß, mir wurde es gestohlen, den Dieb kennen Sie, und dieser Dieb denunzierte mich, – ich floh auf die Schonerbrigg, ich hielt mir in meinem Parke fünf Schimpansen. Kapitän Wenk kam auf den Gedanken, einen Käfig mit doppelter Rückwand als mein Versteck zu zimmern, – nachher stahl der Prozessor aus dem Hafen ein Torpedoboot, hatte eine Bande käuflicher Schurken gesammelt, – Sennor Rosso nahm die Verfolgung auf, – die Erlebnisse der einzelnen Parteien hier zu schildern, würde zu weit führen …“

Er hatte wohl recht …

Denn[18] all das, was als Beiwerk den tragischen Ausklang der Schicksale des Professor Mackencie umrahmte, verblaßte zu nichtigem Flitter angesichts dessen, was sich unseren Blicken darbot, als wir nun über Berge und Schluchten und schließlich durch den engen Höhlengang die Tempelterrasse betreten hatten und hinabschauten auf die glühenden Stufen, über die vor vielen Stunden die Wasser zu Tale brausten.

Kein Forscher konnte ein Krematorium gefunden haben, das einer Forscherlaufbahn so würdig wie dieses Naturwunder …

Von John Mackencies sterblichen Überresten ist nur noch eine graue, etwas gewölbte graue Staubschicht übrig … Der Kopf war mit Geröll bedeckt …

Schweigend wandten wir uns ab, schweigend betraten wir den fünfeckigen Tempel … –

Und als nach zwei weiteren Tagen die Schiffe zur Heimfahrt rüsteten, fragte ich Freund Ham so ganz nebenher: „Na, alter Ham, leistest du mir hier auch noch ein paar Wochen Gesellschaft? Ich bleibe jedenfalls …“

Hamilton Lincoln schüttelte den Kopf.

„Geht nicht, Olaf …! Geht nicht! Ich, der große Angler, bin nun selbst geangelt worden … – Alix – – und so!! Wir wollen recht bald heiraten …“

Dagegen ließ sich nichts machen … – –

Und nun bin ich mit Monte hier allein auf Santa Renata … Das heißt: Die Esel sind auch noch da und die Wildpferde … und die Wildschweine, die Schildkröten, Eidechsen und … das größte Wunder der Insel, mein Glaspalast …!

Also: Der Goldklumpen, der in den Hirnen so vieler als Sehnsuchtsziel spukte …

Wie ich ihn fand …?

Durch das Fünfeck mit den drei Namen, durch den bunt ausgelegten Steinboden des kleinen Buddhatempels, in dem ebenfalls ein Fünfeck zu erkennen war … Und das hat mir zu denken gegeben … Das blieb mein Geheimnis.

Fünf dunkle Steinplatten, Lava, wuchtete ich heraus – das Fünfeck, – und darunter sah ich den Felsenschacht, darin eine alte Leiter, Fackeln, – ein Stollen führte durch den Berg in die finstere Kluft, in der ein Riesendiamant gleißte: Glas, – ein seltsamer Scherz der Natur, innen hohl, – – ein gläsernes Hüttlein mit Fensterlöchern, mit einer wundervollen Aussicht über die Berge und auf das Meer …

Hier hausen wir, wir zwei, Monte und ich …

Gestern haben wir ein Wildpferd eingefangen, – – morgen wird es vielleicht so brav sein, sich den primitiven Sattel aufschnallen zu lassen …

Morgen?! – – Jeder Tag ist hier schön, jeder bringt uns Neues …

Und wenn ich im Abendrot im Schoße der großen Buddhafigur sitze und hinabblicke auf die Treppe der Büßer, tauchen vor mir die bunten, schnell dahineilenden, ewig wechselnden Bilder dieses Abseitspfades auf, beginnend im Jahre 1837 mit der großen Sträflingsrevolte, abschließend mit Freund Hams stiller, glücklicher Selbstironie:

„Ich bin nun selbst geangelt worden …!“

… Das hatte er wohl kaum geahnt, als uns der riesige Hammerhai vom fernen Gestade entführte …

– Ich lege die Feder weg, stehe auf, recke mich …

Ich werde die Laterne auslöschen, schlafen gehen … Monte schnarcht schon …

Bunt ist das Leben, aber so buntschillernd wie dieses Glashaus ist nur das Abseits … – Es hat noch viele Pfade … Ich suche sie nicht … Sie kommen zu mir. Und das ist das wahre Schöne bei alledem: Daß man die Gaben nicht kennt, die den einsamen Wanderern beschert werden wie Christfestgeschenke:

Menschenschicksale …!

 

Nächster Band:

Die Galgenbrüder.

 

 

Verlagswerbung:

 

Tropenglut und Leidenschaft

Eine Reihe einzigartiger tropischer Erzählungen

Es ist
keine Unwahrheit

Und auch keine Phantasie, wenn man davon spricht, daß es auch in der heutigen Zeit auf Borneo noch Kopfjäger gibt, also Eingeborene, die es als ihr höchstes Ziel betrachten, den Kopf eines Weißen in ihr Dorf hineinzubringen. Es gehört aber ein ganz besonderer Mut dazu, wenn sich eine Frau nach Borneo begibt.

Ergötzlich aber ist der Roman

Weiße Frau auf Borneo

von Gino F. v. Moellwitz zu lesen, wie der unscheinbare Frank Dill es unternimmt, nur mit einem Stöckchen bewaffnet, in den Kampong der Kopfjäger einzudringen. Aber sein Plan gelingt und er kann seine Aufgabe lösen. Doch mit einem gelinden Schauer des Schreckens begleitet ihn der Leser auf seiner gefahrvollen Wanderung und mit stockendem Atem liest er von den Gefahren, denen dieser tapfere Mann ausgesetzt ist.

Gino v. Moellwitz, der Borneo aus eigenem Besuch genau kennt, gibt uns in diesem Buch eine Erzählung von einer derartigen Tiefe des Erlebens, daß kein Leser das Buch unbefriedigt aus der Hand legen wird.

Preis des 160 Seiten starken Bandes nur 50 Pfg.

Der Roman „Weiße Frau auf Borneo“, der durch jede Buch- und Schreibwarenhandlung bezogen werden kann, ist der 3. Band der Serie „Tropenglut und Leidenschaft“. Man erhält diese Bände auch gegen Einsendung von 50 Pfg. (auch in Marken) portofrei vom

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16.

 

 

Anmerkungen:

  1. Abraham Lincoln war der 16. Präsident. Aus der Sicht von Herrn Kabel ist das vermutlich folgendermaßen gemeint: Die Südstaaten waren ja aus den Vereinigten Staaten ausgetreten, und erst mit dem Ende des Bürgerkrieges und der Kapitulation der Südstaaten wurden sie wieder in die Union aufgenommen. Damit war Abraham Lincoln also der erste Präsident der (Wieder)Vereinigten Staaten von Amerika.
  2. „Sowieso’s“ / „Sowiesos“ – Beide Schreibweisen vorhanden. Einheitlich auf „Sowiesos“ geändert.
  3. In der Vorlage steht: „lehne“.
  4. „Bugsprit“ / „Bugspriet“ – Beide Schreibweisen vorhanden. Einheitlich auf „Bugspriet“ geändert.
  5. In der Vorlage steht: „Gallonsfigur“.
  6. In der Vorlage steht: „Cotez’“.
  7. In diesem Fall nicht: Pudel wurden früher zur Jagd auf Wasservögel verwendet, deshalb wurden sie zwangsläufig oft naß.
  8. In der Vorlage steht: „einsamen, finsteren“.
  9. In der Vorlage steht: „sich“.
  10. „Galapagos-Insel“ / „Galapagosinsel“ – Beide Schreibweisen vorhanden. Einheitlich auf „Galapagos-Insel“ geändert.
  11. In der Vorlage steht: „Chartes“. Zwei Vorkommen geändert.
  12. In der Vorlage steht: „Rechs“.
  13. Überflüssiges Wort: „auf“ entfernt.
  14. In der Vorlage steht: „des“.
  15. In der Vorlage steht: „do“.
  16. In der Vorlage steht: „prunkten“.
  17. In der Vorlage steht: „hat“.
  18. In der Vorlage steht: „den“.