Der Detektiv
Kriminalerzählungen
von
Walther Kabel.
Band: 43
„Die Depesche ist vor einer Stunde eingetroffen,“ sagte Harald Harsts Mutter zu uns, als wir im Flur des Harstschen Hauses die Mäntel ablegten.
Wir waren soeben aus Birkenwalde heimgekehrt.
Harald hatte mir die Depesche gereicht.
„Da – lies! Das klingt ja unglaublich,“ meinte er.
Ich hatte schnell das Telegramm überflogen. Es lautete:
„Dampfer Mangrovia unserer Reederei mit 122 Singhalesen an Bord unbekannt wohin zu fraglos verbrecherischen Zwecken verschleppt. 5000 Pfund Unkostenvorschuß angewiesen an Deutsche Bank. Bitten Sie höflichst, sofort zu kommen. – Reederei Maxwell u. Plomp, Liverpool, Kai Nr. 18.“
„Die Sache dürfte sich in indischen Gewässern abgespielt haben. Ich denke, wir reisen nach Liverpool,“ sagte Harst.
Ich war von dieser Aussicht sehr wenig entzückt und nickte nur leicht mit dem Kopfe. In diesem Augenblick öffnete sich wieder die Tür und die Köchin brachte eine neue Depesche.
„Etwas viel!“ meinte Harald und öffnete das Telegramm.
Ich beobachtete ihn. Sein schmales, frisches, bartloses Gesicht veränderte sich für einen Moment. Dann ließ er ein „So – so!“ hören, warf mir die Depesche geschickt in den Schoß und sagte zu der Köchin:
„Gute Malwine, bring’ mir doch mal das Kursbuch von meinem Schreibtisch.“
„Was steht denn drin?“ fragte mich Frau Harst neugierig.
Ich las laut vor:
„Angelegenheit Mangrovia erledigt. Verbindlichst grüßen Maxwell u. Plomp, Liverpool.“
„Na – ein wahres Glück!“ seufzte Frau Harst erleichtert.
„Das Glück ist oft trügerisch, Mutter,“ meinte Harald und nickte ihr zu.
„Was heißt das, Junge?“
„Es ist nicht ausgeschlossen, daß wir uns doch noch mit dieser Sache beschäftigen müssen. Der Dampfer ist doch sicherlich schon längere Zeit gesucht worden. Dann hat die Filiale von Maxwell u. Plomp irgendwo aus Indien an die Liverpooler Hauptfirma telegraphiert, daß die Geschichte ganz aussichtslos sei; der Dampfer sei eben nicht zu finden. Maxwell und Plomp aber mögen in englischen Zeitungen gelesen haben, daß ich wieder in Berlin bin. Da kabelten sie an mich Depesche Nr. 1. Es ist nun sehr unwahrscheinlich, daß sie nach Absendung dieser Depesche günstige Nachrichten aus Indien über die Mangrovia erhalten haben. Es wäre das doch ein zu merkwürdiger Zufall. Weit wahrscheinlicher ist, daß der Absender der zweiten Depesche ein Interesse daran hat, mich von der Reise nach Liverpool zurückzuhalten. Es kann dies also ein Mensch sein, der meine Einmischung fürchtet.“
Frau Auguste seufzte.
„Wie wirst Du Dir darüber Sicherheit verschaffen, ob die zweite Depesche von der Reederei herrührt? Am besten ist doch, Du telegraphierst.“
„Nein, Mutter. Die Depesche könnte abgefangen werden. Es gibt einen besseren Weg. Ich fahre morgen früh zur Deutschen Bank und frage nach, ob die telegraphische Anweisung von 5000 Pfund von Maxwell und Plomp rückgängig gemacht ist. Dies hätte die Reederei sicherlich gleichzeitig mit der zweiten Depesche an mich getan. Geschäftsleute sind in Geldsachen sehr sorgfältig. Ist bis morgen früh bei der Deutschen Bank keine Gegenordre eingetroffen, dann ist Telegramm Nr. 2 Schwindel.“
Morgens um ¼10 waren wir im Gebäude der Deutschen Bank. Die Anweisung der 5000 Pfund war gestern nachmittag 6 Uhr durch Depesche erfolgt und nicht zurückgezogen worden.
Um 12 Uhr mittags lösten wir auf dem Potsdamer Bahnhof unsere Fahrkarten nach[1] Rotterdam, – das heißt, es waren äußerlich nicht Harst und Schraut, die Fahrkarten 1. Klasse forderten, sondern zwei Herren, denen man schon von weitem die waschechten Engländer ansah und die das Deutsche echt englisch „kauten“.
Bis Rotterdam, wo wir nachts 1 Uhr eintrafen, passierte nichts Erwähnenswertes. Wir hatten hier um drei Uhr morgens Anschluß an einen Dampfer, der nach Hull an der Ostküste Englands ging. Von da brauchten wir nur die direkte Bahnstrecke nach Liverpool zu benutzen.
Das Wetter war scheußlich. Die Nordsee zeigte ihre gröbsten Tücken. Unsere Antje rollte und stampfte und bekam alle Augenblicke Sturzseen über Bord. Ich hatte mich sehr bald hingelegt. Mein Magen war nicht ganz in Ordnung, und ich fürchtete, seekrank zu werden.
Harald saß in dem kleinen Wohnsalon und studierte englische Zeitungen, die er in Rotterdam noch schnell gekauft hatte.
Dann kam Harald mit der Zigarette im Munde zu mir herein, schwenkte in der Rechten ein Blatt von wahrem Riesenformat.
„Hier steht’s, mein Alter,“ meinte er und setzte sich zu mir auf den[2] Bettrand. „Nummer vom 21. August. – Hör’ zu.
Das Verschwinden eines Frachtdampfers erregt in den beteiligten Kreisen der Hafenstadt Kolombo auf der Insel Zeylon großes Aufsehen. Am 5. August hatte die Reederei Maxwell u. Plomp, Kolombo, auf ihrem Dampfer Mangrovia, einem Raddampfer ältesten Typs, 122 Singhalesen eingeschifft, die sie nach einer Plantage in der Nähe von Quilon an der Westküste Vorderindiens bringen sollte, wohin die Singhalesen sich auf 2 Jahre als Arbeiter für Zuckerfelder vermietet hatten. Der Dampfer verließ Kolombo am 5. August morgens mit neun Mann Besatzung. Der Kapitän, ein langjähriger Angestellter der Reederei namens Walker, hat diese Gewässer seit zehn Jahren befahren und gilt als nüchtern und zuverlässig. Die Mangrovia hätte spätestens am 12. August in Quilon eintreffen müssen. Am 10. August begegnete ihr[3] östlich der Insel Minikoi der Tourdampfer Kolombo–Bombay. Sie lief also an diesem Tage einen Kurs, der für einen nach Quilon bestimmten Dampfer unverständlich ist. Am 13. Aug. fischte der Dreimaster „Sumatra“ etwa an derselben Stelle einen Matrosen aus der See, der sich in zwei Rettungsringe eingebunden hatte, die die Aufschrift „Mangrovia“ trugen. Der Mann war bis auf den Tod erschöpft und konnte keinerlei Angaben mehr machen. Er hatte in der linken Schulter eine Revolverkugel stecken und einen Dolchstich im linken Oberarm. Er starb an Entkräftung schon am folgenden Tage. Das einzige, was er noch kurz vor seinem Tode hervorstammeln konnte, waren die Worte: „Gelb – alle tot – entführt –“ – Seitdem hat man von dem Frachtdampfer nichts mehr gehört, obwohl die indischen Behörden nichts unversucht gelassen haben, die Angelegenheit aufzuklären. In Kolombo herrscht allgemein die Ansicht, daß der Frachtdampfer samt den 122 Singhalesen von Gelegenheitspiraten gekapert worden ist. Er hatte eine wenig wertvolle Ladung an Bord und war nur mit 20 000 Pfund versichert.
Der Bericht genügt,“ meinte Harald. „Wir brauchten eigentlich gar nicht mehr nach Liverpool zu fahren. Maxwell und Plomp werden uns wohl kaum noch Neues mitteilen können. Trotzdem müssen wir hin und die Geschichte mit dem zweiten Telegramm in aller Stille untersuchen.“
Mir war inzwischen so übel geworden, daß ich für nichts mehr Interesse hatte.
Harald schaute mich an. „Donner noch eins, siehst Du blaß aus, mein Alter! Kognak gefällig?“
Ich schüttelte den Kopf. „Klingele nach dem Steward. Ganz starker Kaffee hilft mir am besten.“
Der holländische Steward kam und versprach, im Moment wieder da zu sein. Harald hatte auch für sich Kaffee bestellt, nur etwas weniger kräftigen.
Bereits nach fünf Minuten klopfte es. Ein anderer Steward erschien mit den beiden Tabletts und verschwand dann wieder.
Wir waren jetzt in ruhigeres Wasser gekommen. Der Sturm schien auch nachzulassen.
Ich trank voller Gier das pechschwarze, bittere Zeug. Harald begann sich zu entkleiden und trank gleichfalls, rauchte dabei seine geliebte Mirakulum-Zigarette.
Er gähnte mehrmals. Nun saß er auf dem Bettrand und schnürte die Schuhe auf.
Mit einem Male taumelte er nach vorwärts über und fiel der Länge nach auf den Teppich, vermochte sich nur noch halb auf den Händen aufzurichten und lallte.
„Die – zweite – Depesche. Der Absender – hier –“
Das weitere hörte ich nicht mehr.
Ein Schwindel hatte mich gepackt. Dann wußte ich nichts mehr.
Als ich aus der tiefen Ohnmacht erwachte, fand ich mich in einem fensterlosen Raume auf einem hölzernen Rahmenbett liegend wieder. Auf einer Kiste in der Mitte dieses schmutzigen, niedrigen Loches brannte eine kleine Petroleumlampe mit Zinnfuß, ohne Glocke und mit nur noch halbem Zylinder.
Aufrichten konnte ich mich nicht, nur den Kopf drehen. Die Lampe beleuchtete mir gegenüber an der anderen Längswand ein zweites Rahmenbett. Dort – lag Harst, – nur mit Oberhemd, Unterhosen und Strümpfen bekleidet – wie ich.
Er rührte sich nicht. Er hatte das Gesicht mir zugekehrt und atmete mit geschlossenen Augen stoßweise und röchelnd.
Ich hob den Kopf ganz wenig. Dieses Loch enthielt nichts außer den Betten, der Kiste und der Lampe. Links befand sich in der Wand eine kaum 1¼ Meter hohe Tür aus verrostetem Eisen, die mit den Rändern weit übergriff.
Allmählich sammelte ich meine Gedanken. Es war ganz klar: man hatte uns auf der Antje betäubt und dann irgendwie hierher geschleppt.
Daß dieses Abenteuer mit der Mangrovia-Sache zusammenhing, unterlag für mich keinem Zweifel. Harst hatte ganz recht gehabt: man wollte verhindern, daß wir uns dieses Falles annahmen!
Man?! – Wer mochte das sein?! Jedenfalls war sicher, daß dieser „Man“ mit den Leuten, die die Mangrovia im Indischen Ozean hatten verschwinden lassen, in engster Verbindung stand.
Ich schaute wieder zu Harald hinüber. Ich sorgte mich um ihn, weil er so stark röchelte.
Ah – was war das?! Er hatte ja die Augen halb offen! Und – er hielt nun den Zeigefinger auf die Lippen – nur einen Moment.
Dann lag er wieder da wie zuvor.
Ich atmete auf. Er war bei Bewußtsein! Und – sein Röcheln war fraglos nur Komödie.
Ich beobachtete ihn. Ich merkte, daß er wie im Schlaf die Finger der rechten Hand bewegte.
Ich gab genau acht. Wir hatten seit langem eine besondere Fingersprache für besondere Fälle vereinbart.
Ich erkannte: er telegraphierte mir etwas zu! Und nach fünf Minuten wußte ich auch, was:
„Unterstütze Anschein schwerer Erkrankung –“
Ich telegraphierte zurück: „Wird geschehen. Wo sind wir?“
Antwort: „Weiß es nicht.“
Frage: „Wer hält uns gefangen?“
Antwort: „Eine Frau. – Jetzt Ruhe.“
Das hieß: ich sollte das Telegraphieren einstellen.
Ich lag still und überlegte. – Eine Frau? Das war merkwürdig genug.
Da – wieder etwas Neues: ich vernahm an der Wand etwa in Höhe meines Bettes ein kratzendes Geräusch. Ich lauschte minutenlang. Dann war ich überzeugt, daß jemand an der anderen Seite der Mauer den Mörtel aus den Fugen herauskratzte.
Ich war jedoch noch so erschöpft, daß ich einschlief, obwohl ich mich mit aller Gewalt wach zu halten suchte.
Wie lange ich geschlafen hatte, ließ sich nachher schwer feststellen. Jedenfalls erwachte ich durch einen leichten, sich häufiger wiederholenden Stoß gegen den rechten Oberschenkel.
Unwillkürlich fuhr meine rechte Hand dorthin. Und – ich bekam einen dünnen Stock zu packen.
Trotzdem war ich vorsichtig genug, mich jetzt nicht aufzurichten. Ich behielt dieselbe Lage eine Weile bei, wälzte mich dann mit dem Gesicht der Wand zu und konnte so erkennen, was hier eigentlich vorging.
Ich sah in der Mauer ein kleines Loch. Aus diesem Loche ragte der dünne Stock heraus.
Ich schob den Stock hin und her und ließ ihn dann los. Er wurde zurückgezogen. Nach einigen Minuten ein leises Kratzen. Aus dem Loche fielen Mörtelteilchen heraus. Dann folgte eine mit einem Wollfaden zusammengebundene kleine Papierrolle.
Ich nahm sie und schob sie unter mein Hemd.
Vergebens wartete ich, daß sich noch etwas ereignen sollte. Es geschah nichts.
Ich überlegte abermals. Ich mußte das Loch in der Mauer oberflächlich verstopfen, damit es nicht bemerkt würde. Ich tastete auf meinem Strohsack umher, fand auch einige Mörtelstückchen und drückte sie in das Loch.
Kaum war ich damit fertig, da kreischten auch schon die Angeln der eisernen Tür.
Ich richtete mich auf, drehte mich halb um. Tief gebückt trat ein großes, breitschultriges Weib ein, das sich um den Kopf einen weißen Schleier gewickelt hatte, der auch ihr Gesicht völlig verhüllte. Das Weib trug einen langen, gelblichen Gummimantel. In der Rechten hatte es einen Henkelkorb, in der Linken einen sogenannten Bulldogg-Revolver.
„Ah – munter geworden, Mr. Schraut,“ sagte sie auf englisch. Die Stimme war tief, aber nicht unangenehm. „Ich bringe ihnen und Mr. Harst hier etwas Eßbares. Mr. Harst scheint leider krank zu sein. Er hat wohl auf dem Dampfer etwas viel Kaffee getrunken.“
Sie stellte den Korb neben die Kiste.
„Ich habe hier auch Zitronen und Wasser mit eingepackt. Flößen Sie ihm doch mal etwas Zitronensaft ein.“
Ich hatte mich auf den Bettrand gesetzt.
„Wollen Sie mir nicht erklären, was all dies bedeutet?“ fragte ich.
„Sie meinen Ihre Gefangenschaft hier? – Das dürften Sie doch wohl selbst wissen, Mr. Schraut.“
„Mangrovia?“
„Ja – Mangrovia! Wenn Sie nicht Ihr Ehrenwort geben, Maxwell u. Plomp nie aufzusuchen und Liverpool sofort wieder zu verlassen, sobald Mr. Harst reisefähig ist, müssen Sie mindestens ein Jahr hier zubringen. Sie dürfen sich auch vor Ablauf eines Jahres nicht wieder in Liverpool blicken lassen und sich auch nicht früher mit der Reederei in Verbindung setzen.“
Harald stöhnte jetzt so kläglich, daß ich scheinbar erschrocken aufsprang und rief:
„Her mit den Zitronen und dem Wasser!“
Ich wollte nach dem Korbe greifen. Aber das Weib zielte auf mich.
„Nähern Sie sich mir nicht! Ich kenne Ihre Gefährlichkeit! Legen Sie sich wieder auf Ihr Bett. Erst wenn ich draußen bin, dürfen Sie an den Korb heran.“
Ich flößte Harald ein Glas Zitronenwasser ein. Nach einer guten Stunde etwa atmete er ruhiger. Dann markierte er die Wiederkehr des Bewußtseins so vortrefflich, daß jeder dadurch getäuscht worden wäre.
Ich stützte ihn und gab ihm wieder zu trinken. Dabei raunte er mir in Zwischenräumen zu:
„Wir müssen – das Weib – überwältigen. Also – Achtung, was – ich tue –“ –
Es kam anders. Denn nach mehreren Stunden, als die kreischenden Türangeln Besuch ankündeten, erschien ein – langer, dürrer Chinese, der in einem blauleinenen Heizeranzug steckte und in der Linken eine große Laterne und in der Rechten den Bulldogg-Revolver hielt.
Harald saß jetzt auf seinem Bett und ich neben ihm.
Der Chinese blieb dicht an der Tür stehen.
„Mr. Harst,“ quäkte er mit heiserer Stimme, „ob Sie wollen geben Ihre Ehrenwort, läßt die Miß fragen.
Die Miß läßt noch bestellen an Mr. Harst, daß es gibt keine Möglichkeit, von hier zu entfliehen. Es ist hier eine Geheimkeller in eine Haus wo Polizei nie kommt hin. Mr. Schraut haben gehört die Bedingungen schon –“
Harald starrte vor sich hin.
„Und wenn wir unser Wort geben?“ meinte er dann.
„Sie werden alles zurückerhalten, Mr. Harst, alles. Auch die Koffer. Aber Sie müssen abreisen sofort.“
„Ich will erst mit Schraut beraten,“ erklärte Harst da. „Warte! Es wird nicht lange dauern.“
Dann flüsterte er:
„Ich habe alles beobachtet – den Stock und die Papierrolle. Ich würde das Versprechen leisten, wenn ich eben nicht wüßte, daß nebenan ein anderer Gefangener steckt. Sollen wir den im Stiche lassen?! Das Papier dürfen wir anderseits hier nicht prüfen. Wir werden ja fraglos beständig beobachtet, und um das Papier uns anzusehen, müßten wir dicht an die Lampe heran. – Was also tun?!“
Ich schwieg und sann nach.
„Wenn man herausbekommen könnte, wer dort gefangen gehalten wird,“ meinte ich. „Vielleicht ist es ein ganz gleichgültiger Mensch –“
„Vielleicht. Aber – vielleicht auch nicht. – Na – versuchen kann ich’s ja –“
Harald sagte nun zu dem Chinesen:
„Der Steward auf der Antje, der uns den Kaffee brachte, war einer Eurer Leute, nicht wahr?“
„Ja, Mr. Harst. Alles ganz genau war vorbereitet. Andere Steward, dem Ihr gabt Bestellung auf, wurde von der Miß gesagt, Ihr nicht wolltet mehr haben den Kaffee. Miß war schon in Berlin hinter Euch. Hat nachher Kapitän von Antje gesagt, daß sie ist Freundin von Euch. Hat Euch in Hull in ihre Wohnung bringen wollen. Alles Lüge – alles vorbereitet. Ihr in Kisten kamt hier nach Liverpool wie Tote –“
„Ein nettes Bubenstück. Aber es verdient Anerkennung,“ nickte Harald. „Ihr scheint ja hier eine ganze Verbrecherbande zu sein. Wir hörten dort an jener Mauer vorhin ein lautes Klopfen. Da habt Ihr wohl noch jemand eingesperrt.“
Der Chinese grinste plötzlich. Es war ein geradezu satanisches Feixen.
„War jemand eingesperrt, Mr. Harst, war! Ist – gestorben – soeben! Wollte Mauersteine rausnehmen. Wir nicht verstehen Spaß –“
Der Kerl warf uns jetzt Blicke zu, die deutlicher als lange Warnungen waren.
Harst murmelte ein: „Mördergesindel!“, sagte dann laut:
„Gut – wir geben das verlangte Versprechen.“
Der Chinese nickte eifrig.
„Mr. Harst, sehr klug das von Ihnen. Miß sonst vielleicht anderes planen –“
Er schlüpfte hinaus, kam sofort mit unseren Kleidern zurück.
Wir zogen uns an. Harst spielte noch immer den Halbkranken. Dann sagte der Chinamann:
„Nun Ihr müßt Euch lassen die Augen verbinden, Mr. Harst, und erst abnehmen Binde, wenn wird gepfiffen fünfmal.“
Harald nickte nur.
Man führte uns dann über viele Treppen und durch lange Gänge ins Freie und in einen geschlossenen Wagen, der offenbar nur mit einem Pferde bespannt war. Nach zweistündiger Fahrt befahl der Chinese uns, einzeln auszusteigen. Der Wagen jagte davon. Aus der Ferne nun fünf gellende Pfiffe.
Wir rissen die Lappen vom Gesicht.
Um uns her dunkle Nacht, Bäume, – über uns ein klarer Sternhimmel.
Neben uns standen unsere Handtaschen. Auf der einen lag ein Zettel – ein Gepäckaufbewahrungsschein über drei Koffer – unsere Koffer.
Nachher stellten wir fest, daß man uns im Sefton-Park im Süden Liverpools abgesetzt hatte.
Wir fanden bald ein Auto, fuhren zum Hauptbahnhof, lösten unsere Koffer aus und nahmen Fahrkarten nach London. Hier wandten wir alle möglichen Schliche an, um jeden Verfolger abzuschütteln, maskierten uns mit Hilfe unseres reichhaltigen Requisitenkoffers aufs neue und waren drei Tage drauf in Genua, von wo wir mit einem englischen Passagierdampfer nach Kolombo reisten – als Mr. Reginald Hopking nebst Diener Tom Broug. Der Diener war Harald; der reiche Mr. Hopking war ich. So hatte Harst es gewollt. –
Und – jetzt soll auch das Papierröllchen an die Reihe kommen.
Das Papierröllchen! Es hat uns viel Kopfzerbrechen gemacht. Es ist ein sehr unscheinbares Blättchen; der Vorderteil eines Briefumschlages. Die Klappen sind von dem Vorderteil abgerissen. So ist denn nur das viereckige, auf der Rückseite hellblau gefärbte Papierstück übriggeblieben.
Auf der Vorderseite ist folgendes zu lesen:
Miß
Anna Wilson
London
Postlagernd, Postamt Chelsea.
Als wir auf der Fahrt von Liverpool nach London in unserem Abteil 1. Klasse dieses Blatt uns ansahen, meinte Harald:
„Mit dieser Adresse ist gar nichts anzufangen, Wilsons gibt es in England und Amerika genau so zahlreich wie Müllers in Deutschland. Und Postamt Chelsea hilft uns erst recht nichts.“
Um diese Aufschrift brauchten wir uns also nicht weiter zu kümmern.
Dann aber die blaue Rückseite des 8 mal 12 Zentimeter großen Blättchens.
Auf diese Rückseite war mit roter Tinte etwas gezeichnet – etwas, das durchaus einem Bilderrätsel glich. Die Zeichnung war sehr sauber ausgeführt und daher sehr deutlich.
Hier ist sie:
Ich will hier wiederholen, was Harald zu dieser Zeichnung bemerkte.
„Das Ding beginnt mit zwei übereinanderstehenden kleinen Ellipsen, also Nullen, die durch ein Kreuz, ein Pluszeichen getrennt sind,“ sagte er damals. „Dann kommt ein kleiner wagerechter Strich, dann eine größere „Null“. Es folgt wieder ein kleiner wagerechter Strich, sodann ein senkrechter von der Größe der „großen Null“. Weiter schließen sich zwei kleine schräge Striche in Größe der wagerechten an. Dann folgt eine 1, zwei kleine senkrechte Striche, wieder eine 1, dann etwas, das ein lateinisches L sein kann, sodann ein nach Südwest zeigender Pfeil, endlich drei Zahlen, 1, 8, 2, und ein lateinisches M.“
Hieran knüpfte er folgende Ausführungen:
„Es handelt sich für uns nun um die Frage, ob die Zeichnung für uns und für das, was wir vorhaben, wichtig ist. Wenn dies nicht der Fall wäre, brauchten wir uns über das Rebus nicht weiter den Kopf zu zerbrechen. Aber – es ist wichtig für uns. Der Mensch, der da neben uns gefangen saß und den diese Verbrecherbande doch offenbar für alle Zeiten stumm gemacht hat, muß meines Erachtens gewußt haben, daß gerade Harst und Schraut seine Nachbarn waren. Denn: weshalb gab er sich die Mühe, uns lediglich diese Zeichnung zuzustellen?! Es hat ihm doch fraglos viel Arbeit gemacht, das Loch in der Mauer herzustellen. Weshalb, muß man sich weiter fragen, schob er gerade diese Zeichnung durch das Loch? – Nur eine Erklärung ist da möglich: er wußte, wer wir waren; gerade uns wollte er das Blatt in die Hände spielen, uns, den Detektiven, denen er sehr wohl zutraute, einem Geheimnis oder Verbrechen auf die Spur zu kommen. – Die Zeichnung aber hat er nicht etwa erst in seiner Zelle neben uns hergestellt. Nein, die hat er bei sich getragen, – heimlich! Die besaß er schon, bevor er eingekerkert wurde. – Kurz: der Gefangene war jemand, der irgendwie mit der Mangrovia-Geschichte etwas zu tun gehabt hat, und dieses Rebus, behaupte ich, ist der Hinweis auf den Ort, wohin der Frachtdampfer entführt wurde. – Überlege Dir alle Umstände genau, mein Alter, und Du wirst schwerlich eine einleuchtendere Erklärung finden. Jedenfalls: wir müssen dieses Rebus unbedingt lösen! Der Erfolg unserer Fahrt nach Kolombo hängt davon ab.“ –
Am 2. November trafen Mr. Reginald Hopking und sein Diener Tom Broug in Kolombo ein.
Wir mieteten uns in der Nähe des Hafens in der Privatpension der Madame Trouviere ein. Natürlich nahmen wir Erdgeschoßzimmer nach dem Garten hinaus. Man kann so die Fenster nachts als Tür benutzen. Für Leute, wie wir es sind, ist das wertvoll. Wir hatten zwei nebeneinanderliegende Zimmer nebst Bad und dunklem Kabinett. Hier schlief mein „Diener“ Tom.
Wir hatten bisher unsere in Liverpool abgegebene ehrenwörtliche Zusage getreulich gehalten. Jene „Miß“, jenes grobknochige Weib, hatte nur eins bei der Formulierung jener Bedingungen vergessen: daß wir auch nicht nach Zeylon gehen und uns überhaupt nicht mehr um das Schicksal der Mangrovia kümmern sollten! Das hatten wir nicht versprochen! Hier hatten wir also völlige Bewegungsfreiheit.
Wir waren nachmittags angelangt. Um 7 Uhr abends ließ Mr. Hopking sich bei dem Polizeidirektor von Kolombo in dessen Bungalow außerhalb der Stadt melden.
Mr. Jones Barkley war uns fremd. Ich spielte zunächst den Kaufmann Hopking aus London weiter. Als ich Harald als meinen Diener vorstellte, machte der Polizeidirektor ein sehr erstauntes Gesicht.
Wir beide nahmen Platz. Tom mußte stehen. Barkley war sehr zugeknöpft. Mein Englisch kam ihm wohl etwas stümperhaft vor – mit Recht!
Was ich hier reden sollte, hatte Harald mir genau vorgeschrieben.
„Mr. Barkley, ich wollte Sie bitten, mir einen Unternehmer zu empfehlen, der mir 100 singhalesische Arbeiter in meine Zuckerplantage bei Bangalore besorgt,“ begann ich.
Barkleys Augen weiteten sich. Ich merkte: sein Mißtrauen war erwacht. – Aber er spielte den Harmlosen.
„Sie scheinen hier fremd zu sein, Mr. Hopking.“
„Ja. Und ich möchte einen Unternehmer kennen lernen, der zuverlässig ist.“
„Oh – es gibt hier mehrere Leute, die ich Ihnen empfehlen könnte. Zum Beispiel den Chinesen Tschidlo San.“
„Hat dieser auch die durch Maxwell und Plomp beförderten Singhalesen besorgt? Ich meine die, die nun mit der Mangrovia verschwunden sind?“
Barkley war ein schlechter Schauspieler. Daß er mich für ein sehr fragwürdiges Subjekt hielt, merkte ich immer deutlicher.
„Allerdings, Mr. Hopking.“
„Wo wohnt dieser Tschidlo San?“
„Eigentlich ist er Schiffsmakler. Sein Kontor hat er am Hafen in der Longward-Street 15. Er besitzt aber auch selbst eine große Plantage zwei Meilen südöstlich von Kolombo. Dort ist er zumeist anzutreffen.“
Jetzt trat Harald-Tom einen Schritt vor und flüsterte:
„Mr. Barkley, es ist wohl besser, wir lassen die Masken fallen. Ich muß Sie nur bitten, niemandem, wer es auch sei, mitzuteilen, wer wir in Wahrheit sind. Ich bin der deutsche Detektiv Harst, und das da ist mein Freund Schraut. Wir möchten den Mangrovia-Fall aufklären.“
Barkley erhob sich und[4] verbeugte sich sehr steif.
„Es ist mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen. Bitte – setzen Sie sich, Mr. Harst.“
„Ist in der Mangrovia-Angelegenheit etwas Neues an den Tag gekommen, Mr. Barkley?“ fragte Harald.
„Nichts. Sie werden in dieser Sache auch kaum etwas ausrichten. Der Dampfer ist, wie wir jetzt bestimmt annehmen, von Gelegenheitspiraten gekapert und ausgeplündert worden. Die Besatzung und die Singhalesen wird man sämtlich ermordet haben. Die Mangrovia selbst liegt wohl irgendwo auf den Meeresgrunde.“
„Die 122 Leute waren wohl für eine Plantage in der Nähe von Quilon angeworben. Wem gehört diese Plantage?“
„Lord James Drisbane.“
„Hat der Lord auf der Plantage seinen ständigen Wohnsitz?“
„Nein. Er wohnt hier in Kolombo. – Ich kann nur wiederholen, daß Ihre Bemühungen zwecklos sind, Mr. Harst.“
Harald erhob sich schon.
„Wir wollen nicht weiter stören. Ich kann mich wohl darauf verlassen, Mr. Barkley, daß Sie unsere Anwesenheit hier verschweigen.“
Eine knappe Verbeugung als Antwort, dann standen wir wieder auf dem vom Lichte der sich neigenden Sonne bestrahlten Villenwege.
„Ein Mann, der England schlecht vertritt,“ meinte Harald in Bezug auf den Polizeidirektor. „Die Briten verstehen sonst, ihre Kolonialbeamten besser [zu][5] wählen.“
Er winkte einen leeren Ponywagen herbei.
„Weißt Du, wo Lord Drisbane wohnt?“ fragte er den braunen Kutscher.
Der Singhalese grinste.
„Jawohl, Master –“
Die Fahrt dauerte keine vier Minuten. Dann hielten wir vor einer schmiedeeisernen Mauerpforte. Der Kutscher mußte warten. Ein Diener öffnete und erklärte, Mylord sei zu Hause.
So lernten wir Lord James Drisbane kennen, anscheinend einen jener vornehmen, liebenswürdigen Engländer, die nur einen Hochmut kennen: den Nationalstolz.
Der Lord war Junggeselle. Wir hatten uns bei ihm wieder als Hopking und Tom eingeführt. Tom war jetzt aber mein Sekretär. Einen Diener hätte ich doch besser draußen lassen müssen.
Ich begann die Unterhaltung in derselben Weise wie bei Barkley. Dann kamen wir auf den Mangrovia-Fall zu sprechen. Das machte sich so ganz von selbst. Der Lord erzählte, daß die Geschichte ihm ein gehöriges Stück Geld gekostet habe. „Kosten und Gefahr des Transportes mußte ich tragen,“ meinte er. „Wenn Sie mit Tschidlo San abschließen, Mr. Hopking, dann sehen Sie zu, daß diese Punkte geändert werden.“
„Was halten Sie von dem Makler, Mylord?“
„Ein Ehrenmann, soweit ein Chinese diese Bezeichnung verdient, reich, gebildet, angesehen.“ –
Lord Drisbane schätzte ich auf etwa vierzig Jahre. Er war hellblond, trug Spitzbart und hatte nur eine unangenehme Angewohnheit: er blickte beim Sprechen stets an einem vorüber. Schaute er Harald oder mich an, dann kniff er die Augen wie kurzsichtig zusammen.
Nachher zeigte er uns noch seinen Bungalow, der sehr geräumig war. Der Garten erstreckte sich endlos weit. Ich habe nie wieder etwas Ähnliches gesehen wie diese Parkanlagen. Plötzlich standen wir am Anfang einer Fächerpalmen-Allee, die bis zu einer Meeresbucht hinlief. Den Abschluß dieser Allee bildeten jenseits der Bucht fünf seltsam geformte Felsen. Auf dem Wasser aber schaukelte eine schneeweiße Schonerjacht.
Dieses Bild, diese Fernsicht die Palmenallee hinunter, entlockte selbst Harald einen Ruf des Entzückens.
Der Lord lächelte ein wenig. „Sie bewundern diese Allee,“ meinte er. „Und doch ist sie ein Ort des Schreckens, verknüpft mit blutigen Erinnerungen aus der früheren Geschichte Zeylons. Dieser Park ist fünfhundert Jahre alt und gehörte zum Schlosse eines eingeborenen Fürsten. Die Ruinen des Schlosses liegen dort hinter jenem Wäldchen. Diese Allee aber –“ er machte eine kurze Pause – „diese Allee nannte man den „Weg der Prüfungen“.“ Er deutete nach rechts und links. Jetzt erst sahen wir, daß sich zwischen den einzelnen Palmen, versteckt durch tropische Büsche, hohe Eisengitter befanden, die offenbar vergoldet waren. „Von hier aus,“ fuhr er fort, „wurden die Kriegsgefangenen des Fürsten, dessen mißliebig gewordene Diener und Frauen durch Panther mit geringem Vorsprung die Allee entlang gehetzt und – von den Bestien dann größtenteils zerrissen. So berichtet die Überlieferung. Es wird schon wahr sein. Die Gitter sind ja derart mit Widerhaken und Spitzen „verziert“, daß niemand sie erklettern und sich so retten kann.“
Ein unbehagliches Gefühl beschlich mich plötzlich. Mir war es so vorgekommen, als hätte der Lord die letzten Sätze leicht ironisch und – drohend gefärbt.
Wir schritten die Allee hinab. Sie war gut 600 Meter lang. Nirgends zweigte ein Weg ab; überall gab es dieselben Gitter.
Der Lord erzählte jetzt, daß er morgen für längere Zeit verreise. „Zunächst will ich nach Quilon. Ich benutze natürlich meine Jacht Südstern, die Sie dort ankern sehen. Wollen wir einmal an Bord gehen? Wollen Sie das Schiff besichtigen?“
„Verzeihung, Mylord, wir haben jetzt wenig Zeit,“ sagte ich schnell. „Wir wollen Ihre Zeit auch nicht länger in Anspruch nehmen.“
„Mr. Hopking,“ fügte Harald hinzu. „Ich erinnere an die Verabredung mit Mr. Taylor. Es ist bereits nach 8 Uhr.“
Taylor war eine Phantasiefigur. Harst wollte von hier also ebenfalls schleunigst weg.
Wir kehrten um. Der Lord war jetzt schweigsamer. Dann meinte er so nebenbei: „Ich werde meine Reise doch wohl noch um einen Tag verschieben müssen. Wenn die Herren also morgen mir nochmals die Ehre geben wollen –“
„Gern, Mylord. Verbindlichsten Dank. Wenn es Ihnen recht ist, kommen wir vormittags gegen zehn Uhr. Dann ist es noch nicht allzu heiß.“
Gleich darauf bestiegen wir unseren Wagen und fuhren der Stadt zu.
„Nun?“ fragte Harald und rückte näher an mich heran.
„Lord Drisbane verdient ein Fragezeichen, schätze ich.“
„Sogar sehr, mein Alter. Es dürfte sich empfehlen, ihn in dieser Nacht etwas zu beobachten. Er hat uns erkannt, wette ich. Er weiß, wer wir sind. Und – er spielt auf der Gegenseite. Wären wir an Bord der Jacht gegangen, dann hätten wir wohl so einiges erlebt. Der Mensch ist überaus gefährlich. Eine Weile täuschte er sogar mich durch seine zwanglose Liebenswürdigkeit. Aber dann kam die Geschichte mit dem „Wege der Prüfungen“. Da verriet er sich durch –“
„– den veränderten Ton,“ vollendete ich. „Wenn er uns erkannt hat, muß er auf unser Erscheinen vorbereitet gewesen sein.“
„War er auch, lieber Alter. Von Liverpool aus. Wir haben es hier mit einem netten Wespennest zu tun. Wenn ich nur erst wüßte, wie das alles zusammenhängt. Der Lord läßt sich durch den Chinesen 122 Arbeiter besorgen, und dann verschwindet der Dampfer, der die Leute nach des Lords Plantage bringen soll, wobei der Lord Geld einbüßt. – Wie stimmt das alles? Wo sind die 122 Singhalesen geblieben? Wirklich alle tot?! – Daraus ist schwer ein Reim zu machen. Ja, wenn wir die Zeichnung entziffern könnten! Ich bin schon ganz nervös von all dem Grübeln geworden; ich finde die Lösung nicht.“
Wir waren in der Nähe unserer Pension angelangt, stiegen aus, und Harald entlohnte den Kutscher. Das dauerte eine ganze Weile, weil er sich, sehr gegen seine sonstige Art, mit dem braunen Singhalesen des Preises wegen herumstritt.
Dann gingen wir die letzten hundert Schritt zu Fuß.
„Richtiges Wespennest,“ meinte Harald, „Als ich mich mit dem Kutscher absichtlich auf die langen Erörterungen einließ, beobachteten uns zwei Kerle, ein Chinese und ein anderer Farbiger, den ich für einen Malaien halte. Ich rechnete mit dieser Überwachung. Nur Lord Drisbane steckt dahinter. Daß wir ihn aufsuchen würden, konnte er ohne weiteres annehmen. Er ist ja der Arbeitgeber der verschwundenen 122 Leute. Mithin konnte er auch jemand bereithalten, der uns, wenn wir bei ihm erschienen, folgte.“
Wir betraten das Fremdenheim und gingen auf unsere Zimmer, aßen dort zu Abend und schlossen uns nachher ein, – dies aus dem einfachen Grunde, weil wir uns aus Hopking und Tom in zwei Eingeborene verwandeln wollten. Unser Requisitenkoffer enthielt alles, was wir brauchten.
Gegen ½11 war es dunkel genug, um ein Fenster als Tür benutzen zu können. Der Pensionsgarten war leer. Er grenzte mit seinem hinteren Ende an einen Hafenarm, in dem nur kleinere Boote und Segeljachten lagen. Zu dem Pensionat gehörte ein Bootssteg, an dem unter anderem ein kleines offenes Motorboot befestigt war. Harald stellte fest, daß noch im vorderen Verschlage eine volle Kanne Benzin sich befand. Mit einem Motor wußte er gut Bescheid. Nachdem wir uns noch überzeugt hatten, daß keiner der Spione hinter uns her war, machten wir von dem Stege los und fuhren langsam auf die Reede von Kolombo hinaus.
Ich steuerte. Harald gab mir die allgemeine Richtung an. Wir fanden auch die Bucht der Küste, an deren Westufer die eigentümlich geformten Felsen standen, die man von der Palmenallee aus in der Ferne sah. An einer einsamen Uferstelle unweit der bis ans Wasser hinabreichenden Mauer des Drisbaneschen Parkes legten wir an. Es war jetzt ¼12 nachts. Wir machten das Boot sorgfältig fest, kletterten über die Mauer und schlichen durch unkrautüberwucherte Wege dem Bungalow des Lords zu.
Das weißgestrichene Gebäude zeigte nirgends einen Lichtschimmer. Nur in den Dienerhäusern auf dem Wirtschaftshof hörten wir noch sprechen. Als wir dann ganz nahe herankamen, bemerkten wir links von der Haupttreppe einen kleinen Kraftwagen. Der Chauffeur, ein Chinese, schlief auf dem Führersitz.
Harald kroch auf die um das Haus herumlaufende Veranda, kehrte nach zehn Minuten zurück und meldete, daß der Lord nicht hier sei.
„Und doch hat er Besuch und muß anwesend sein,“ fügte er flüsternd hinzu. „Vielleicht ist Tschidlo San bei ihm. Das Auto könnte ganz gut dem reichen Chinesen gehören. Hm – vielleicht sind die beiden auf der Jacht. Dort fühlen sie sich vielleicht sicherer. – Wollen mal zum Wasser hinab –“
Wir huschten davon. Wir brauchten uns hier nicht allzu sehr in Acht nehmen. Als wir den Eingang der Palmenallee erreicht hatten, zögerte ich etwas. Mir fielen die kurzen Andeutungen Drisbanes ein über die blutige Vergangenheit dieses Weges der Prüfungen.
„Du, Harald, – gehen wir lieber außerhalb der Allee entlang,“ raunte ich ihm zu.
Die Allee wurde hier durch eine Säulenhalle begrenzt, die nur noch zum Teil erhalten war. Wir standen im Schatten einer der dicken Säulen. Der Mond war gerade hinter den Wolkenfetzen aufgetaucht.
Das Mondlicht beschien nur die linke Seite der Allee; die rechte lag im schwarzen Schatten da.
„Gehen wir!“ flüsterte Harald, der vorhin auf meine Warnung nicht geantwortet hatte. „Nimm aber für alle Fälle die Clementpistole in die Hand. Wir – müssen diesen Weg der Prüfungen probieren. Es ist ein Wespennest, und ich will wissen, ob die Viecher wirklich stechen –“
Ich packte seinen Arm.
„Du – Du glaubst, daß – daß man auch hier wieder hinter uns her ist?“ fragte ich schnell.
„Komm’!“ sagte er nur. „Wir beide werden auch hier bestehen, mein Alter –“
Vor uns die lange Allee der Fächerpalmen. Silbern glänzten die Riesenblätter im Mondschein; silbern schillerte in der Ferne das Wasser der Bucht. Dort lag auch des Lords elegante Schonerjacht.
Wir gingen sehr schnell. Harald drehte sich des öfteren um. Auch ich tat es. Ich hatte das ganz bestimmte Gefühl: es muß irgend etwas passieren!
Aber – was wohl, was?! – Der Schweiß lief mir in Strömen über das braungefärbte Gesicht; meine Finger umklammerten eng den Kolben der Repetierpistole.
Wieder warf ich einen Blick nach rückwärts.
Ich taumelte halb zur Seite.
„Harald!“ keuchte ich. „Harald – dort – dort –“
Fünf – sechs – noch mehr schlanke, dunkle Tierkörper schnellten sich soeben von den Stufen der Säulenhalle in die Allee hinab, kamen in langen Sätzen näher. Wie Schatten glitten sie dahin, einige im Mondlicht, andere nur wie schwärzere Flecken auf der Schattenseite.
Aber! – wir hatten bereits weit über die Hälfte der Allee hinter uns! – Harald riß mich mit sich fort. Wir rannten. Wir mußten fliehen. Zwei – drei der Bestien – es waren ja zweifellos Panther – hätten wir wohl niedergeknallt. Aber mit sieben, acht es aufnehmen? – unmöglich.
Harald blickte zurück.
„Schneller, mein Alter, – schneller!“
Ich konnte nicht mehr.
Und dann – die neue, die eigentliche Teufelei.
Die Allee war mit Steinplatten belegt. Diese hatte das Unkraut hier und da aus der Lage gedrängt; einige standen halb hoch, andere waren geborsten.
Wir liefen nebeneinander. Harald hätte mir längst voraus sein können.
Da – der Boden schwand unter unseren Füßen; die Steinplatten fehlten hier. Wir stürzten in ein Loch hinab – nicht tief. Und doch schlug ich mit dem Hinterkopf so hart auf, daß ich für Sekunden die Besinnung verlor. –
Ich saß, fühlte wieder, konnte wieder denken. Ich merkte, daß Harald mich auf die Schultern geladen hatte, daß er mit mir, in der Linken die eingeschaltete Taschenlampe, einen gemauerten Gang entlanglief.
Ich meldete mich:
„Setz’ mich ab. Ich bin wieder bei Besinnung –“
„Später –“
Er rannte weiter. Der Lichtkegel traf eine abwärtsführende Treppe. Harst stolperte die Steinstufen hinab.
Die Treppe war zu Ende; wieder ein gemauerten Gang.
Harald hielt mich mit der Rechten fest, schlug abermals denselben Laufschritt an. Ich fühlte mich jetzt kräftig genug, mich freizumachen. Harst ließ mich denn auch hinabgleiten. Der Lichtkegel schwenkte um, schoß nach rückwärts. Aber wir sahen nur die letzten Stufen der Steintreppe, nichts weiter.
Wir standen, lauschten und warteten. Nichts geschah; Totenstille ringsum.
Dann ging es weiter; bis zu einer Stelle, wo der Gang bis obenan mit Mauertrümmern ausgefüllt war.
„Machen wir kehrt,“ sagte Harst. „Ich ahne schon, was das zu bedeuten hat. Wir werden das Loch, in das wir stürzten, nicht mehr offen finden. Es gibt eben da in der Allee eine Reihe beweglicher Steinplatten quer über den Weg. Und diese wird man jetzt wieder geschlossen haben. Wir sind also aufs neue eingesperrt –“
Wir wanderten zurück. Auch ich hatte meine Lampe eingeschaltet. Harst beleuchtete die Decke des Ganges. Aber – diese hatte überall dasselbe Aussehen, bestand aus Steinplatten, die einen flachen Bogen bildeten. Wir mußten längst die Stelle erreicht haben, wo wir abgestürzt waren. Der Gang hatte eine gleichmäßige Breite von 3 Metern und war etwa 4 Meter hoch.
Dann: – eine zweite Schutthalde versperrte uns den Weg auch nach dieser Seite hin.
„Dacht’ ich’s mir doch!“ nickte Harald. „Die Wespen stechen nicht selbst, sondern wollen dem Hunger und dem Durst das Henkeramt überlassen. – Kehrt, mein Alter! Die Halunken sollen sich verrechnet haben.“
Jetzt leuchtete er die Decke ab. Schritt für Schritt ging es weiter. Dann zeigte Harald auf ein noch grünes Zweiglein irgend eines Unkrauts, das am Boden vor uns lag.
„Hier ist die Stelle, wo die Platten der Decke beweglich sein müssen,“ flüsterte er. „Aus mit dem Licht!“ Er schaltete seine Lampe aus; ich tat dasselbe. „Setzen wir uns und warten wir zwei Stunden. Dann erst wollen wir an die Arbeit gehen.“
Wir saßen im Dunkeln dicht nebeneinander, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt. Wir unterhielten uns flüsternd über den Mangrovia-Fall.
„Glaube mir: es handelt sich hier um eine ganz große Sache,“ erklärte Harald unter anderem. „Wenn ein Lord und ein Chinese sich zusammentun, dann geht’s nicht um Groschen, sondern um Millionen. Jedenfalls dürfte der Lord mit seinen Finanzen nicht ganz in Ordnung sein, und der gelbe Schuft, der Makler, wird es daher leicht gehabt haben, ihm zu einer Gaunerei größten Stils zu verführen. Aber – worin besteht diese Gaunerei?! Ich gebe zu, ich tappe hier völlig im Dunkeln. Die Zeichnung – die Zeichnung! Wenn wir die erst entziffert hätten!“
Und nach einer Weile meinte er: „Wenn man erst den Anfang so eines Bilderrätsels gelöst hat, kommt das andere von selbst. – Was soll das: Null plus Null übereinanderstehend?! – So fängt unser Rebus an. – Sind es wirklich „Nullen“? Ist das Kreuz wirklich ein Pluszeichen?!“
So versuchte er abermals, der Lösung auf die Spur zu kommen.
Die Zeit verstrich. Über uns, um uns Totenstille und finstere Nacht. Inzwischen hatte Harald mir auch seinen Befreiungsplan auseinandergesetzt. Der war so sehr einfach, so selbstverständlich, – wenn man ihn erst wußte!
„Ich denke, zwei Stunden werden nun verstrichen sein,“ sagte er jetzt. „Fangen wir an –“
Noch im Sitzen schalteten wir gleichzeitig unsere Taschenlampen ein.
Ein Zufall wollte es, daß die Lichtkegel auf der gegenüberliegenden Wand zwei weiße Kreise bildeten, die dicht übereinander lagen und, sich berührend, etwas ineinander übergingen.
So entstanden an der Wand die Umrisse einer leuchtenden Acht, – eben zwei sich berührende Kreise.
Nur einen Moment geschah das. Dann bewegten wir die Hände, und das Bild zerrann, die Lichtkegel glitten anderswohin.
„Halt!“ rief Harald jetzt. „Halt! Bleib’ sitzen! Hast Du soeben die Acht gesehen?“
„Ja –“
Er drückte meinen Arm.
„Du – eine Acht! – Begreifst Du nicht?! Begreifst Du nicht?!“ Er war ganz aufgeregt. „Null plus Null, – daß kann heißen: setze die beiden Nullen aufeinander! Und dann – dann gibt es eben eine Acht! – Daß ich auch nicht früher an diese Möglichkeit dachte! – Warte mal –“
Er zog die Batterie aus seiner Taschenlampe. Um die Batterie hatte er das Blatt Papier mit der Zeichnung herumgelegt. Er faltete es auseinander. Ich leuchtete. Er starrte auf das Rebus, rührte sich nicht.
„Ich hab’s – ich hab’s!“ rief er dann. „Ich hab’s wirklich! Oh ich Esel! Die Geschichte ist ja so albern-einfach! Aber gerade deshalb kam ich nicht darauf!“ – Er verbarg die Zeichnung wieder. „Frage jetzt nichts. Du sollst den Triumph des Sieges als Überraschung auskosten. Vorwärts! Schleppen wir Mauertrümmer zusammen, bauen wir einen Berg, daß wir hier bis an die Deckenplatten heranreichen –“
Das nahm eine halbe Stunde in Anspruch. Dann kletterte Harald nach oben. Ich beobachtete, wie er sich unter die Platten stemmte, die er mit dem Nacken drückte.
Sie hoben sich wirklich, und zwar so, daß die Mittellinie der Gangwölbung breiter und breiter wurde, bis die Platten senkrecht stehen blieben. – Harald prüfte mit der Lampe in der Hand, was sich darüber befände. Ich erkannte von unten dunkle Striche, dazwischen die rauhe Unterseite ähnlicher Steinplatten.
Die dunklen Striche waren eiserne Stäbe; das Ganze aber ein Teil des Bodenbelags der Palmenallee. – Es würde zu weit führen, wollte ich diese Falle hier bis ins einzelne beschreiben und auch schildern, wie Harald den Mechanismus in Bewegung zu setzen wußte, der die Alleeplatten herunterkippen ließ. Jedenfalls: wir waren frei, standen nun oben in der Allee, und Harald ließ die Bodenöffnung sich wieder schließen.
Zehn Minuten drauf lagen wir dicht vor dem Bungalow des Lords in den Büschen – trotz meiner Warnung vor den Panthern. Harald hatte dazu nur gelächelt.
Das Auto war nicht mehr da; im Bungalow aber brannte rechter Hand von der Haupttreppe hinter drei Fenstern Licht.
Wir krochen auf die Treppe zu, die Veranda entlang. Nun befanden wir uns unter dem ersten erleuchteten Fenster, richteten uns auf. Die Vorhänge standen drei Handbreit auseinander. Wir konnten bequem in das große Gemach hineinschauen, das wir ja bereits kannten. Es war des Lords Arbeitszimmer.
Lord Drisbane ging in der Mitte vor einem großen Tische, die Hände auf dem Rücken, langsam auf und ab. Er hielt den Kopf tief gesenkt.
Hinter dem Tische stand ein Ledersofa. In einer Ecke saß eine Dame in buntem seidenen Kimono, mit schwarzem, hochfrisiertem Haar und einem gelblichen Teint, der auf eine Eurasierin (Mischling zwischen Europäer und Inderin) hindeutete. Es war eine sehr stattliche Frau, breitschultrig, – fast zu kolossal für ein Weib.
„Liverpool!“ flüsterte Harald.
Ich verstand: er meinte, es sei das Weib aus dem Keller in Liverpool.
Die Frau rauchte nachlässig eine Zigarette. An ihrer Hand blitzten Edelsteine. Das Weib war schön trotz ihrer Massigkeit.
Der Lord blieb plötzlich vor dem Tische stehen. Die Oberscheiben der Fenster bestanden nur aus Drahtgaze. So konnten wir genau hören, was er sagte.
„Anna, zum Schluß werden wir doch die Hereingefallenen sein, und Tschidlo San wird über die dummen Europäer triumphieren, die er für seine Zwecke ausgenutzt hat. Auf keinen Fall lasse ich die beiden da unten verhungern. Sobald sie genügend mürbe sind, machen wir es wie in Liverpool: Sie müssen ihr Wort geben, daß sie die Mangrovia-Affäre aus ihrem Gedächtnis streichen. – Wenn Du nur vorsichtiger beim Abfassen der Bedingungen gewesen wärest, Anna! Dann hätten wir diesen Harst hier nicht auf dem Halse. – Ach – hätte ich mich nie auf den ganzen Schwindel eingelassen! Die verdammten Börsenspekulationen! Ich –“
Jetzt erst gewahrten wir im Zimmer noch ein paar lebende Wesen: schwarze Windhunde aus Nepal von jener niedrig gebauten Art, die so sehr an das Katzengeschlecht erinnert.
Zwei der Hunde, die im Schatten eines Sessels gelegen hatten, mußten wohl unsere Witterung bekommen haben, erhoben sich und sogen die Luft prüfend ein.
„Fort!“ raunte Harald.
Wir krochen zurück, rannten dann durch den Park der Mauerstelle zu, wo wir sie vorhin überklettert hatten, waren sehr bald bei unserem Motorboot, machten es los und kamen ungesehen in das Pensionat hinein, da wir das eine Fenster nur angelehnt hatten.
Wir blieben jedoch nicht lange in unseren Zimmern. Nachdem wir uns in die „normalen“ Harst und Schraut zurückverwandelt und in unsere Handtaschen verschiedenes eingepackt hatten, schrieb Harald für die Pensionsinhaberin einen Zettel des Inhalts, daß sie unsere Koffer bis auf weiteres für uns aufheben möchte. Harst legte in diesen an Frau Trouviere adressierten Brief ein paar Pfundnoten hinein. Dann begaben wir uns auf demselben Wege wieder mit unseren Handtaschen nach dem Bootssteg, machten ein Ruderboot los und landeten am Kai vor einer Hafenschenke, die wir von früher her kannten und die die ganze Nacht geöffnet war.
In einem so verkehrsreichen, von Touristen vielbesuchten Hafen wie Kolombo ist es leicht, ein schnelles Fahrzeug für einige Zeit zu mieten. – Der Wirt der Schenke wies uns an einen Seemann, der mit drei anderen in einer Ecke noch beim Knobelbecher saß.
Dieser Holländer namens Druyter, Klaas mit Vornamen, war ein Original, wie man es nicht alle Tage trifft. Er hatte ein braunrotes Gesicht, kleine helle Schweinsäuglein, eine in allen Farben schillernde Kartoffelnase und einen Riesenbauch, dem zwei kurze O-Beine als Stützen dienten. Der Schädel Druyters war ratzekahl. Sein Schifferbart war an den Ohren grauweiß, unter dem Kinn von Kaffeeresten, Alkohol und Tabakssaft fuchsig-rot.
Wir nahmen diesen Klaas Druyter beiseite. Harst spendierte eine Flasche Malaga und Zigarren, und so kam das Geschäft rasch zustande. Druyter war Besitzer einer Motorjacht, mit der er reiche Yankees hier spazieren fuhr. Zur Zeit war er frei. Die Jacht hatte stets Singhalesen als Besatzung und war als Bark getakelt. Harald mietete die „Padnunna“ (singhalesisch, Seemöwe) auf 14 Tage von sofort und zahlte auch gleich 300 Pfund an.
Um 5 Uhr morgens gingen wir an Bord. Wir hatten Druyter klar gemacht, daß der Vertrag geheim bleiben müsse. Er benahm sich denn auch sehr klug, so daß wir hoffen konnten, daß weder der Lord noch der gelbe Makler allzu früh etwas von dieser Vermietung der Padnunna an zwei Europäer etwas erfahren würden.
Die Jacht war sehr behaglich eingerichtet. Wir hatten jeder eine Schlafkabine, wie wir sie besser nicht wünschen konnten. Es stand uns ja das ganze Schiff zur Verfügung.
Druyter merkte wohl, daß es sich hier nicht lediglich um eine Vergnügungsreise handele. Er fragte aber nichts. Unsere richtigen Namen nannten wir ihm erst, als wir gegen ½7 morgens weit südwestlich von Kolombo im indischen Ozean schwammen.
Wir standen in dem kleinen Steuerhäuschen der Jacht. Der dicke Holländer schnellte ordentlich herum, als Harald sagte: „Käp’ten, – ich bin Harald Harst – dort mein Freund Schraut.“
Er stierte uns an. Seine Schweinsäuglein weiteten sich. Dann zog sein Mund sich in die Breite.
„Verdammt!“ sagte er auf deutsch, „verdammt – das ist mal ’ne Freude! – Oh – nun weiß ich auch Bescheid, meine Herren! Sie jagen irgend ein Wild –“
„Stimmt – die Mangrovia!“ nickte Harald.
„Dat ’s ’n rarer Fisch geworden,“ meinte Druyter kopfschlackernd. „Sehr rar! Na – Sie werden ihn ja wohl an ’n Angelhaken kriegen, Herr Harst! – Verdammt – wie freu’ ich mich! Mit Ihnen so mal durch diesen Tümpel zu gondeln, – dat ’s doch ’n feinen Spaß!“
Er drückte unsere Hände mit seinen braunen Pranken, daß ich beinahe Au! geschrien hätte. – Ja, der alte, brave Klaas Druyter! Wir drei haben dann noch so manches zusammen erlebt, – mehr, als wir damals ahnen konnten. –
„So, Käp’ten, nun wenden Sie mal,“ sagte Harst jetzt. „Nehmen Sie Kurs hierauf –“ Und er hielt ihm lächelnd „das Rebus“ hin.
„He – was soll der Wisch?! Soll das ’ne Karte sein?“
„Was Ähnliches, Käp’ten, was Ähnliches. Ich habe lange herumtüfteln müssen, ehe ich das Bild da enträtseln konnte. Schaun Sie mal her. – Diese Nullen und das Kreuz stellen eine 8 vor. Das fand ich zuerst heraus. Dann mutmaßte ich, daß der lange, senkrechte Strich und die schrägen Striche ein K sein sollten, weiter, daß die 1 den ersten Buchstaben des Alphabets a bedeutete, daß die nächsten kleinen Striche ein n waren, an das sich wieder eine 1, also a, anschloß –“
„Aha!“ brüllte Druyter jetzt, „hab’s schon kapiert! Das Wort heißt Kanal, und die 8 am Anfang zeigt, daß nur der Acht-Grad-Kanal gemeint ist, zumal ja die große Null ohne Zwang als das Gradzeichen, eben als Kreis, angesprochen werden kann. Der Pfeil hinter „Kanal“ zeigt nach Südwest; die Zahlen werden zusammen mit dem M sehr wahrscheinlich 182 Seemeilen bedeuten, – also 182 Seemeilen südwestlich vom Acht-Grad-Kanal!“
„Bravo, Käp’ten, bravo! Genau dasselbe habe ich mir gedacht!“ meinte Harald eifrig. „Gibt es nun 182 Seemeilen nach Südwest Inseln oder dergleichen?“
„Ja – Koralleninseln in Menge, alle unbewohnt. Dazu Riffe und Untiefen – eine gottverlassene Gegend!“
Ich stand mit einem wenig schlauen Gesicht dabei. Ich hatte in meinem ganzen Leben nichts von einem Acht-Grad-Kanal gehört. Druyter sah mir das wohl an, nahm eine Seekarte vor und tippte mit dem Finger auf die Durchfahrt zwischen den Inselgruppen der Malediven und Lakkadiven[6] an der Westküste Vorderindiens, sagte dazu: „Bitte – das ist der Acht-Grad-Kanal!“
Dieser liegt nun in einer Höhe mit Kap Komorin, der Südspitze von Vorderindien. Wir mußten also jetzt beinahe westlichen Kurs steuern. Der Leser mag auf einer Karte Asiens das nachprüfen.
Harald weihte den Kapitän in alles ein. Druyter schlackerte wieder mit dem Kopf. „Herr Harst, glauben Sie wirklich die Mangrovia dort zu finden?“ sagte er.
„Wenn nicht das, dann doch aufzuklären, was mit den Singhalesen geschehen ist,“ erwiderte Harald sehr zuversichtlich.
Drei Tage später tauchten abends am Horizont eine Reihe Koralleninseln auf.
Es wurde schnell dunkel. Harald befahl, daß die Padnunna ohne Laternen die Eilande umrundete. Druyter fuhr der Riffe wegen nur mit halber Geschwindigkeit. Harst und ich standen mit Ferngläsern auf dem Dache des Steuerhäuschens. Die Inseln waren teilweise ganz kahl, andere wieder dicht mit Palmen bestanden. An den Ufern leuchtete überall eine weiße Brandung.
Wir umrundeten diese Seitengruppe der Malediven erst nach Norden zu, bogen dann nach Süden um. Eine Stunde verrann. Wir waren nun in Höhe der südlichsten Eilande, schwenkten nach Ost um und – gewahrten gleichzeitig die Laternen eines Fahrzeugs, das nordöstlich von uns auf diese südlichsten Inselchen zusteuerte.
Der Wind kam von Nordost und trug uns daher deutlich Motorengeräusche zu. Von dem Schiffe selbst war bei dieser Dunkelheit nichts als ein schwacher Schatten zu sehen.
„Der Südstern Lord Drisbanes!“ flüsterte Harald erregt. „Es kann nur die Jacht sein –“
Wir kletterten an Deck und sprachen mit Druyter darüber. Der gab Harald recht.
Während wir noch erörterten, was Drisbane hier vorhaben könnte, kam von Nordost der Knall von mehreren Schüssen zu uns herüber.
„Ran an den Südstern!“ rief Harald. „Da ist was im Gange. Vielleicht geht es jetzt gar dem Lord ans Leben, vielleicht ist der gelbe Schuft von Tschidlo San mit an Bord.“
Unsere sechs Singhalesen waren sämtlich mit Revolvern bewaffnet. Aber nur vier waren abkömmlich. Die beiden Maschinisten mußten bei den Motoren bleiben.
Druyter kannte seine Padnunna. Sie lief fünf Knoten mehr als der Südstern. So schlichen wir uns denn im Bogen von hinten an des Lords Jacht heran. Jetzt sahen wir, daß sie einen Segelkutter im Schlepptau hatte. Wir blieben etwa 2000 Meter hinter ihr. Man bemerkte uns nicht. Der Südstern mußte mit dem Fahrwasser hier vortrefflich Bescheid wissen. Er steuerte mitten zwischen die südlichsten Eilande hinein. Diese, dicht mit Palmenwäldern bedeckt, bildeten in der Mitte ein seeartiges Becken. Als wir, jetzt näher uns heranpirschend, in dieses Becken einbogen, gewahrten wir linker Hand, also nach Süden zu, einige zwanzig Boote, in denen viele Leute sich bewegten. Fackeln und Laternen beleuchteten dieses[7] eigenartige nächtliche Bild.
Neben mir ein Ausruf:
„Perlfischer!“ – Harst hatte es gerufen. Und er fügte hinzu:
„Ah – also das ist’s! Man hat die Mangrovia entführt, um die Singhalesen als Perlfischer zu verwenden – heimlich, nur nachts, damit die Sache geheim bliebe!“
Die Padnunna war jetzt keine fünfzig Meter mehr von dem Südstern entfernt. Man hatte uns entdeckt. Auf der Jacht des Lords rannten Leute kopflos hin und her. Wir kamen Bord an Bord.
Da – ein Schuß vom Südstern her – noch einer.
Harald hatte mich schnell hinter das Steuerhäuschen gerissen, schoß jetzt selbst. Von drüben ein gellender Schrei, ein Angstgeheul.
Und dann war’s, als ob auf den Booten der Perlfischer plötzlich Furien losgelassen wären. Ein wahnwitziges Brüllen scholl zu uns herüber.
„Die Singhalesen morden ihre Aufseher, ihre Peiniger,“ sagte Harald ernst. „Da – man erkennt durch das Glas genug, – es sind alles Chinesen.“
Der Lärm erstarb. Der Südstern trieb steuerlos auf dem Wasser. Was an Leuten an Bord gewesen, war schwimmend vor uns geflüchtet. Man hatte uns für ein Polizeifahrzeug gehalten.
Wir gingen an Bord der Jacht des Lords. Auf dem Achterdeck lag mit Kopfschuß ein Chinese: der Master Tschidlo San. Drisbane war nirgends zu finden. –
Am Vormittag wurden dann auf den Inseln noch sechs lebende Chinesen aufgegriffen. Es mögen mehr gewesen sein. Aber die zu Perlenfischern gewaltsam gepreßten Singhalesen werden wohl beim Suchen so manchen heimlich abgetan haben.
Diese Gefangenen waren Kreaturen Tschidlo Sans. Sie gestanden alles. – Die Mangrovia war von dem Südstern auf der Reise nach Quilon überfallen und die Besatzung niedergemacht worden. Die Jacht hatte 32 Chinesen an Bord gehabt, die als Aufseher für die Singhalesen dienen sollten. Nachdem man den Dampfer hier zwischen die Inseln geführt und die Singhalesen ausgebootet hatte, wurde er versenkt. Die Perlenbänke hatte Tschidlo San schon vor längerer Zeit entdeckt. Nun ließ er auf die primitivste Art, durch Taucher, sie ausbeuten. Die Singhalesen mußten allnächtlich ins Wasser hinab und die Perlenmuscheln abreißen und in Körbe füllen. Diese Arbeit ist bei größerer Wassertiefe sehr gefährlich. Das Herz wird überanstrengt, und sehr oft sterben Taucher an Herzschlag. Von den Singhalesen lebten denn auch nur noch 91. –
Und Lord James Drisbane? Und die Eurasierin Anna – Anna Wilson? – Auch sie waren tot, ebenso die Bemannung des Südstern. Die Schüsse, die wir zuerst gehört hatten, waren von Tschidlo San und seinen sechs chinesischen Verbündeten abgefeuert worden. Die Leichen hatte man ins Meer geworfen.
Weshalb diese neue Untat? – Sehr einfach! Tschidlo San fühlte sich seit Harsts Auftauchen in Kolombo nicht mehr sicher. Er hatte dort schnell alles zu Geld gemacht, ohne Drisbane einzuweihen, und wollte nun hier auf den Koralleninseln bleiben, bis die Perlenbänke ausgebeutet seien, deren Schätze er nicht mehr mit dem Lord teilen mochte.
Habgier also auch hier wieder die Triebfeder so unerhörter Verbrechen! Aber auch hier wieder ein versöhnendes Moment: Die Errettung der 91 Singhalesen aus den Händen ihrer gut bewaffneten Aufseher, an die sie sich erst herangewagt hatten, als wir mit der Padnunna auftauchten. –
Etwas an dem Problem „Der Acht-Grad-Kanal“ ist nie völlig aufgeklärt worden: ob Lord Drisbane seine Geliebte, die Eurasierin, zu dem Zwecke nach England und nach Liverpool geschickt hatte, um alle Schritte der Reederei Maxwell u. Plomp zu überwachen, die diese zur Aufklärung des Verschwindens der Mangrovia unternehmen würde, und wer der Gefangene gewesen, der uns die Zeichnung durch die Mauer zuschob. – Was den letzteren Punkt betrifft, so neigt Harst der Ansicht zu, daß der Gefangene nur ein Diener der Eurasierin gewesen sein könne, der in alles eingeweiht war und der vielleicht für sein Schweigen von ihr hatte Geld erpressen wollen. Die Zeichnung aber, meint Harald, wird er ihr gestohlen haben.
Wir verlebten acht herrliche, friedliche Tage auf den Koralleninseln. Die befreiten Singhalesen und die gefangenen Gelben waren durch einen Regierungsdampfer abgeholt worden. Außer uns befanden sich jetzt auf dieser kleinen Nebengruppe der Malediven nur noch drei Beamte der indischen Kolonialregierung, die die Perlenbänke näher untersuchen wollten. Sie hatten fünf indische Diener mit und hielten sich ganz für sich, was uns nur lieb war.
Wir hatten die Jacht Padnunna in einer schmalen Durchfahrt zwischen den nördlichsten Eilanden festgemacht und hausten hier nun vollständig als Robinsons. Harald ging den ganzen Tag über nur im Lendenschurz umher. Ich hatte eine großartige Stelle zum Angeln entdeckt und holte mit einer Tiefangel von dreißig Meter Länge die buntschillerndsten Fische heraus, denen ich dann aber stets die Freiheit wiedergab. Kapitän Klaas Druyter, mit dem wir uns jetzt schon dick angefreundet hatten, saß zumeist unter dem Sonnensegel auf dem Achterdeck der Padnunna und – trank kalten Grog.
Der dicke, kleine Klaas war in den letzten beiden Tagen auffallend schweigsam geworden. Beim Mittagessen am achten Tage fragte Harald ihn daher:
„Käp’ten, wo drückt der Schuh? Sie sollten nicht so viel trinken, Sie ruinieren sich.“
Druyter zuckte die Achseln. „Manche Maschine braucht wenig Öl, manche viel, Herr Harst. Würd’ ich drei Tage auf den Grog verzichten, wär’ ich reif für ’n Siechenheim, – Hm – wo der Schuh drückt? Ja – wenn ich wüßte, daß Sie nicht so übermodern denken und alles Übernatürliche nicht glattweg auf den Kehrichthaufen werfen, – dann – dann –“
„Nun – dann?“ munterte ihn Harald interessiert auf.
„Dann würd’ ich Ihnen erzählen, wie ich vor fünf Jahren Frau und Tochter einbüßte und Sie bitten, mir ehrlich zu erklären, was Sie von der Sache halten –“
„Sie waren verheiratet? Das ist ja ganz was Neues!“
„Und sehr glücklich verheiratet, Herr Harst. Ich saufe erst seit fünf Jahren so. Erst begann ich damit als Betäubungsmittel, dann – hatte ich mich dran gewöhnt. Ich war die letzten Tage nur deshalb so still, weil ich immer mit mir zu Rate ging, ob –“
„Verstehe schon, lieber Druyter. – Sie sagten da soeben Übernatürliches! – Nein, daran glaube ich nicht. Alles hat seine natürliche Erklärung. Man muß sie nur zu finden wissen.“
„Hm – dann hat’s keinen Zweck, Herr Harst. Sie würden mich nur auslachen –“
„Bewahre! Ich würde Sie im Gegenteil ganz ernsthaft nach allen Einzelheiten ausfragen und, falls Sie es wollen, an Ort und Stelle die Vorfälle nachprüfen.“
Der kleine Dicke strahlte.
„Wirklich – das würden Sie tun, Herr Harst?! Aber – es ist recht weit bis dahin. Die Nacht spielte sich auf einer der Andamanen-Inseln[8] ab.“
„Das nennen Sie weit – als Seemann?! Aber Druyter!“
Klaas mischte sich einen neuen Grog und griff nach seiner kurzen Pfeife.
„Mit dem Essen sind wir ja wohl fertig,“ meinte er. „Darf ich beginnen?“
„Und ob, Käp’ten!“ Harald steckte sich eine seiner Mirakulum an und lehnte sich bequemer im Korbsessel zurück. Ich langte nach einer Zigarre.
Leise wiegte sich die Padnunna auf dem schwach bewegten, klaren Wasser; leise glucksten die kleinen Wellen gegen die Bordwände. An den Ufern der Eilande rauschten die Kokospalmen, kreischten Papageien. – Es lag Stimmung über dem Ganzen.
„Ich bin jetzt 48 Jahre alt,“ begann Klaas Druyter, die Pfeife zwischen den Zähnen. „Meine Tochter, mein einziges Kind, wäre nun 23. Damals war sie achtzehn, nein, siebzehn Jahre elf Monate. Ich hatte mich vor etwa elf Jahren dauernd in Kolombo niedergelassen. Dann kaufte ich die Padnunna. Das sind sechs Jahre her –“
Harald rückte etwas ungeduldig auf seinem Sessel nach vorn, beugte sich halb über den Tisch und bat:
„Kein endloses Seemannsgarn, Druyter. Unsereiner liebt die Kürze.“
„Kommt schon, Herr Harst. – Meine Frau war eine Inderin. Aber eine so hellhäutige, daß sie mehr wie eine Spanierin aussah. Sie stammte aus Dehli. Ich hatte mal als Steuermann dorthin einen Abstecher gemacht und – sehen und uns gegenseitig lieben war eins. Wir reisten heimlich ab, ließen uns in Bombay trauen, meine Frau wurde Christin und nahm den Namen Bessy an. Meine Tochter wurde Margrit getauft. – Geduld, Geduld, Herr Harst. Es kommt schon. – Wir lebten zehn Jahre in Sydney in Australien, dann eine Weile in Hongkong. Damals war’s, als mein Zwillingsbruder in Amsterdam ermordet wurde. Ich beerbte ihn, und wir zogen nach Kolombo, weil ich Zeylon so sehr liebe. Ich konnte mir die Padnunna von der Erbschaft kaufen. Ah – wie stolz fühlte ich mich als Jachtbesitzer. Und ein Jahr drauf – war das ganze Glück zerronnen. Da verschwanden mir Weib und Kind –“
Er nahm einen mächtigen Schluck, wischte sich mit dem rotgeblümten Taschentuch den Mund und fuhr fort:
„Im April war’s, als ein Engländer namens Towler die Padnunna für drei Monate mietete zu einer Vergnügungstour bis nach Singapore. Er war ganz allein, dieser Edward Towler, und daher bat ich ihn, daß ich Bessy und Margrit mitnehmen dürfte. Er hatte nichts dagegen. War ’n komischer Herr, der Towler. Stumm wie ein Fisch. Trotzdem höflich. Er mochte so gegen vierzig sein und war dürr wie ’ne Hopfenstange, verstand aber einfach alles. Ingenieur nannte er sich. – Ich merkte bald, daß die Geschichte mit der Vergnügungstour Schwindel war. Er wollte nach den Andamanen. Aber heimlich. – Sie wissen doch, die Inseln liegen westlich von Hinterindien. Der Lage nach haben sie eine gewisse Ähnlichkeit mit den[9] Lakkadiven. Ebenso wie hier im Westen von Vorderindien sich die Lakkadiven und Malediven von Nord nach Süd hinziehen, genau so erstrecken sich dort die Andamanen und Nikobaren von Nord nach Süd. – Ja, heimlich wollte Towler hin. Als wir in die Nähe der südlichen Inseln der Gruppe kamen, steuerte er selbst die Padnunna. Allen Schiffen bogen wir aus. Bei Nacht liefen wir dann in eine Bucht ein, die sich sehr tief ins Land hineinfraß. Oh – die Andamanen, das ist etwas anderes als hier die Malediven! Undurchdringliche Urwälder gibt es da; die Ufer sind mit Mangrovendickichten bedeckt. Doch – Sie werden’s ja vielleicht mit eigenen Augen sehen, meine Herren. – Die Bucht zog sich bis zu einem kleinen Binnensee hin. Nie in meinem Leben habe ich so viel Vögel gesehen wie dort. Aber – das war nicht alles. Stellen Sie sich meine Überraschung vor, als ich in einer Lichtung des Urwaldes nach Osten zu ein großes Gebäude erblickte, einen aus einer blaugrauen Steinart erbauten Tempel mit einer großen Freitreppe, einer doppelten Säulenhalle und einer flachen Kuppel. – Towler war jedoch nicht im geringsten überrascht, – der beste Beweis, daß er schon einmal hier gewesen sein mußte. Nun sind doch nur die vier größten der etwa 56 Andamanen bewohnt. Und diese Insel lag weit ab von den bewohnten. Ich hätte Towler gern gefragt, woher denn dieser Tempel stamme. Aber – er war ja ein so zugeknöpfter Mensch, daß ich es nicht recht wagte.
Wir ankerten gegenüber dem blaugrauen Tempel, der über und über mit Unkraut und Schlingpflanzen bedeckt war. Stellenweise war von dem Mauerwerk kaum noch etwas zu sehen. Aber gerade dieses Grün und die bunten Blüten auf den blaugrauen Steinen waren wunderhübsch. Bessy und Margrit konnten denn auch gar nicht schnell genug an Land kommen, um den Tempel zu besichtigen. – Hm, Sie werden schon wieder ungeduldig, Herr Harst. Die Katastrophe steht aber nahe bevor.
Wir setzten das Beiboot aus. Towler sprang hinein.
„Ich rudere allein an Land,“ sagte er kurz.
Meine Weiber machten lange Gesichter. Er kehrte jedoch sehr bald zurück. Er war um den Tempel herum in den Wald gegangen. Nun besichtigten wir drei das Bauwerk. Das war für Bessy und Margrit eine große Enttäuschung. In der großen Tempelhalle wohnten nur Eidechsen. An den Wänden standen drei Götzenstatuen aus gebranntem Ton. Eine davon stellte den Gott Brahma dar. Die Nebenräume, sechs im ganzen, waren genau so leer. Mit einem Wort: der Tempel war ein Reinfall; er versprach mehr, als er hielt.
Wir durchstreiften dann noch den Wald in der Nähe, fanden noch ein ehemaliges Reisfeld und ein paar Streifen urbar gemachten Bodens. Das heißt: auch hier hatte die Wildnis bereits alles wieder überwuchert. Die Leute, die hier mal gehaust hatten, mußten vor mindestens zwanzig Jahren wieder abgewandert sein.
Wir ruderten an Bord zurück. Towler saß hier, wo wir jetzt sitzen, und döste wie zumeist vor sich hin. Die Sonne war inzwischen über den Urwaldbäumen hochgekommen. Die Frauen richteten das Frühstück her.
Halt – ich habe eins zu erwähnen vergessen. Von der Freitreppe des Tempels zog sich ein Weg aus Steinplatten, eingefaßt von einem Steingeländer, zu einer ebenfalls aus Steinen hergestellten Treppe hinab, die bis ins Wasser hineinreichte. An dieser Treppe hatten wir auch mit dem Boote angelegt.
So, Herr Harst – und nun beginnt das, was ich „das Übernatürliche“ nenne. – Wir saßen also jetzt beim Frühstück auf dem Achterdeck. Vierzig Meter vor uns lag die Anlegetreppe, weiterhin auf der Uferhöhe der rankenüberwucherte Tempel. Die Singhalesen – ich hatte auch damals sechs Mann Besatzung an Bord – weilten auf dem Vorderdeck.“
„Eine Zwischenfrage,“ meinte Harald. „Haben Sie noch einen der damaligen Leute bei sich?“
„Ja – einen, den Steuermann Talagalla.“
„Gut. Weiter bitte –“
„Unsere Mahlzeiten verliefen meist schweigsam, – Towlers wegen. Er sprach nie etwas. Und wir drei mochten uns flüsternd nicht unterhalten. Wir hatten also Zeit genug, die Augen umherschweifen zu lassen. Mit einem Male stieß Bessy, meine Frau, einen leisen Schrei aus und stierte nach der Anlegetreppe hin. Dort stand ein brauner, langer Kerl mit grauem Bart, der nur ein Lendentuch trug und um den Hals die weiße Brahmanenschnur.
Er stand da mit hochgereckten Armen, beugte sich plötzlich vornüber und verschwand mit Kopfsprung im Wasser.
Ich hatte mich schnell erhoben und war an die Reling getreten. Nach etwa zwei Minuten tauchte der Inder wieder auf, winkte mit dem rechten Arm nach uns hin, schwamm zur Treppe, legte dort auf der obersten Stufe etwas nieder, lies sich ins Wasser zurückgleiten und kam nicht wieder zum Vorschein.
Auch Towler war nun aufgesprungen.
„Was bedeutet das?“ rief er. „Wo ist der Inder geblieben? Der Mann muß einen Herzschlag bekommen haben –“
Wir blicken uns nach allen Seiten um. Der Inder konnte unmöglich unbemerkt irgendwo an Land gestiegen sein.
„Das Boot!“ sagte Towler hastig. „Die Sache müssen wir aufklären.“
Als ich mich jetzt umdrehte, war meine Frau ohnmächtig aus dem Korbsessel auf das Deck geglitten. Margrit kniete neben ihr. Towler holte dann Essig, und wir rieben der Bewußtlosen die Schläfen damit.
Kaum war sie zu sich gekommen, als sie einen gellenden Schrei ausstieß, mich umklammerte und immer wieder flehte: „Nur fort von hier – nur fort von hier!“
Mehr war jedoch aus ihr nicht herauszubringen.
Towler und ich ruderten dann an Land.
Und – was fanden wir auf der obersten Treppenstufe, – was hatte der Taucher dort hingelegt?
Sie werden es nie raten, Herr Harst.
Es – war eine Perlmuschel! Und in dieser Perlmuschel befand sich, als wir sie aufbrachen, eine winzige, mit Perlmutter überzogene Götzenfigur – ein Brahmabildchen, kaum 1½ Zentimeter lang. –
Es dürfte den Herren bekannt sein, daß die Chinesen es waren, die als erste die Kunst erfanden, in Perlenmuscheln kleine Gegenstände einzuführen, die Muscheln wieder ins Meer zu werfen und diese so zu zwingen, die Fremdkörper mit ihrem Sekret zu überziehen und mit Perlensubstanz zu umgeben. Perlen sind ja nichts anderes als verhärtetes Perlmuschelsekret, das die Muscheln ausscheiden, sobald durch den winzigsten Fremdkörper, etwa ein Sandkörnchen, ein Reiz auf sie ausgeübt wird. –
Meine Frau fiel beim Anblick dieser winzigen Brahmastatue abermals in Ohnmacht. Alles Bitten half nichts: sie sagte mir nicht, was so plötzlich in sie gefahren sei. Sie flehte stets: „Fort von hier – nur fort von hier!“
Ich hätte ja gern mit der Padnunna schleunigst diese verdammte Bucht verlassen. Aber Towler dachte nicht daran. Und – ich hatte mich ihm doch verpflichtet.
Als wir gegen fünf Uhr nachmittags wieder auf dem Achterdeck saßen und das Mittagsmahl einnahmen, da – da erschien der Perlenfischer zum zweiten Male. Es ereignete sich genau dasselbe wie am Morgen. Wieder legte der Mensch etwas auf die Treppe und versank im Wasser der Bucht; wieder fanden wir eine Perlenmuschel. Diesmal lag in der Muschel eine winzige menschliche Hand, der der Mittelfinger fehlte.“
„Und Ihre Frau?“ fragte Harald gespannt.
„Bessy saß zitternd da und hatte die Hände fest vor das Gesicht gedrückt. Auch Towler und die Singhalesen, die ja überhaupt sehr abergläubisch sind, wurden jetzt beinahe ängstlich. Towler meinte, wir sollten abends die Bucht verlassen und anderswo ankern. Hier sei es nicht geheuer. – Bis dahin hatte ich die Sache noch nicht so schlimm beurteilt. Jetzt wurde auch ich unsicher, zumal die Singhalesen gar nicht mehr an Land zu bekommen waren, um Trinkwasser zu holen.
Gegen Abend, als es dunkel zu werden begann, zeigte meine Frau sich weit gefaßter. Nach dem Essen, so gegen ½10 Uhr, wollte sie sich etwas Bewegung machen und im Boot mit Margrit auf der Bucht umherrudern. Sie stiegen denn auch ein und stießen ab. Towler und ich schauten ihnen vom Steuerhäuschen aus nach. Margrit saß am Steuer. Meine Frau verstand etwas vom Rudern. Das kleine Boot schoß nur so dahin. Es wurde schnell Nacht. Ich rief den Frauen nach einer halben Stunde zu, wieder an der Jacht anzulegen. Margrit steuerte aber im Bogen um die Padnunna herum auf die Treppe zu –“
Druyter trocknete sich die Schweißperlen von der Stirn und nahm einen neuen Schluck.
„Das weitere kann ich mir denken,“ sagte Harald da. „Die Frauen stiegen aus, gingen in den Tempel und waren nicht mehr zu finden.“
Der Käp’ten schüttelte den Kopf.
„Nein, lieber Herr Harst. Daran wäre ja nichts Übernatürliches gewesen. Es war weit rätselhafter, was nun geschah, weit rätselhafter!“ Er packe die Enden der Armlehnen seines Korbsessels mit krampfhaft fest gespannten Händen, riß die kleinen Augen ganz weit auf und sagte stoßweise und keuchend:
„Vor – der Treppe fiel erst Margrit über Bord, – dann auch Bessy, – und beide ganz lautlos, beide ohne jeden Ton – ohne jedes Geräusch fast, – und beide – beide – verschwanden in dem dort recht tiefen Wasser, kamen – nie mehr – zum Vorschein –“
Eine Weile nichts. Dann fügte er hinzu:
„Towler, ich und meine sechs wackeren Singhalesen haben mit Bootshaken das Wasser abgesucht – den ganzen kleinen See, haben mit dem Anker und einer selbstkonstruierten Harke den Seeboden Meter für Meter abgepflügt; wir holten allerlei an die Oberfläche, auch ein paar menschliche Gerippe. Nur – nur meine Frauen, mein bißchen Glück, fanden wir nicht –“
Haralds Zigarette war längst erloschen, meine Zigarre ebenso. – Ich bin nicht genug Stimmungsmaler, um hier den Eindruck wiedergeben zu können, den Klaas Druyters Erzählung auf uns gemacht hatte. Ich will nur das eine sagen: ich war nicht nur erschüttert, sondern fühlte auch tatsächlich so etwas wie den Hauch des Übernatürlichen um mich her.
„Noch etwas geschah,“ erklang da des Kapitäns tiefe, harte Stimme abermals. „Noch etwas. Wohl das – das – Seltsamste von allem. – In der folgenden Nacht – wir schliefen der Hitze wegen an Deck – wachte ich plötzlich auf. Ich mußte geträumt haben, – sicherlich etwas Grauenvolles, denn ich zitterte vor Aufregung und fühlte, wie mir Eisesschauer über den Leib gingen. Ich setzte mich aufrecht. Der Mond stand hoch am wolkenlosen Himmel. Meine Uhr lag neben mir. Es war genau Mitternacht. Ich sah ganz deutlich: beide Zeiger bedeckten die Zwölf. – Und wie ich so noch auf das Zifferblatt schaute, kam von dem Brahmatempel ein Ruf herüber – die Stimme meiner Frau war’s:
„Leb’ wohl, Klaas, – auf immer!“
Es war ihre Stimme, Herr Harst. Und – ich habe auch nicht geträumt. Mit ein paar Sätzen war ich im Beiboot. Da wachte Towler auf, sprang auch noch hinein. Im Nu waren wir an Land – im Tempel. Und – fanden natürlich nichts – nichts. – Towler hat mir dann Chinin gegeben. Er meinte, ich habe die sogenannte kalte Malaria. – Wir blieben noch drei Tage auf der Insel. Auf den Seekarten führt sie keinen Namen, Towler sagte, die Einwohner der Andamanen, die schwarzen Zwerge, nennen sie Pamban, was so viel heißen soll wie: die Verfluchte. – Das ist recht bezeichnend: die Verfluchte!“
Wieder eine lange Pause.
„Sie kehrten nach Kolombo zurück?“ fragte Harald.
„Nicht sogleich. Wir brachten Towler nach Kalkutta. Ich wette, er hat in dem Tempel nach Schätzen gesucht, aber nichts gefunden. Denn die letzten drei Tage steckte er dauernd in dem verdammten Steinkasten –“
„Und dann?“
„Ja – dann – dann trieb mich so eine törichte Hoffnung wieder nach Pamban zurück; wieder ankerten wir in der Bucht. Meinen Singhalesen hatte ich dreifachen Monatslohn versprechen müssen, sonst wären sie mir vorher ausgekniffen. Wir haben die Insel durchsucht. Sie ist nicht groß. Kaum dreitausend Meter breit und doppelt so lang. Wir haben auch den Tempel durchsucht. Ach, das war ja alles so überflüssig, so zwecklos. – Fünf Tage trieben wir es so. Dann – gab ich es auf. Als ich guten Freunden in Kolombo die Sache erzählte und auch Meldung bei der Polizei erstattete, hat man mich heimlich ausgelacht –“
„Was tat die Polizei?“
„Gar nichts. Mein Gott, Herr Harst: meine Frau war doch nur eine Eingeborene, und Margrit ein Mischling! Mit Farbigen macht man hier nicht viel Umstände –“
Harald rieb sein Feuerzeug an. Nach den ersten Zügen aus seiner Mirakulum fragte er:
„Wollen Sie mir nun einige Fragen recht genau beantworten, lieber Käp’ten? Aber nur die Fragen – nichts Nebensächliches einmischen. Das verwirrt nur. – Sie erwähnten die Ermordung Ihres Zwillingsbruders in Amsterdam. Wer ermordete ihn?“
„Das ist nie herausgekommen.“
„Wie wurde er ermordet?“
„Er wurde erdrosselt – mit einer weißen Hanfschnur.“
„Hanfschnur? Wissen Sie das genau?“
„Hm – nein, ich besinne mich jetzt. Meine inzwischen verstorbene Schwester schrieb mir, daß es eine Schnur aus weißer Seide war.“
„Hat man wenigstens gegen jemand Verdacht gehabt?“
„Nein. Mein Bruder hatte bei offenem Fenster geschlafen. Er wurde im Bett erwürgt. Der Mörder war durch das Fenster eingestiegen. Das stellte die Polizei durch die Spuren fest. Es lag Sand und Erde auf dem Fensterbrett. Und eine Leiter hatte unter dem Fenster –“
„Danke, lieber Druyter. – War sonst etwas Merkwürdiges an diesem Morde – irgend ein Nebenumstand, der auffiel?“
„Hm – an dem Morde selbst nicht. Aber – nachher, Herr Harst, – nach einem Jahre, da erhielt die mit vier Kinderchen zurückgebliebene Witwe meines Bruders einen Geldbrief aus Amsterdam mit 50 000 Mark von unbekannter Seite. In dem Briefe lag ein Zettel. Da standen nur die englischen Worte drauf: „Für Frau Dortje Druyter“. – Na – dadurch war die Dortje nun aus allen Sorgen heraus.“
Harald blickte sinnend auf die Kronen der Kokospalmen. Dann wandte er sich an mich.
„Was sagst Du zu dem allem, mein Alter?“
„Es gibt wohl nur eine Erklärung,“ meinte ich meiner Überzeugung gemäß. „Towler steckt dahinter. Er wird Margrit geliebt haben. Er hat sie entführen lassen, und Ihre Frau dazu, lieber Druyter.“
„Das läßt sich hören,“ nickte Harald.
Aber Klaas Druyter wurde jetzt ungemütlich.
„He – habe ich etwa gute Augen oder nicht?!“ rief er. „Gewiß – es war damals schon dunkel, als die Frauen aus dem Boot fielen und versanken. Sie – versanken!“ Dann brüllte er nach dem Vorderdeck hin:
„Talagalla, komm mal her.“
Der singhalesische Steuermann, ein älterer Mann, erschien.
„Setz Dich, Talagalla,“ befahl Druyter. „Erzähle den Herren mal die Geschichte von der Insel Pamban mit dem Perlenfischer – und – das andere –“
Der Singhalese beherrschte das Englische fließend. So hörten wir denn die geheimnisvollen Ereignisse zum zweiten Male von einem anderen Augenzeugen.
Harst schenkte ihm nachher einige Zigarren und schickte ihn weg. Dann fragte er den Kapitän:
„Haben Sie nie versucht, eine natürliche Erklärung für diese Vorkommnisse zu finden?“
„Erklärung finden?! Bester Harst, ich bin Seemann. Von meinem Beruf verstehe ich was. Aber so – so mit Spitzfindigkeiten mich abgeben, so mit Gedanken-Jongleurarbeit, das liegt mir nicht. Ich kenne die Tatsachen. Und das genügt mir. Diese Tatsachen sprechen für sich. Hier sind Dinge geschehen, die über menschliches Verständnis hinausreichen.“
„Das ist ein Irrtum, lieber Druyter. Es muß eine natürliche Erklärung geben.“
„Etwa die, mit der Herr Schraut vorhin aufwartete?!“ lachte der Kapitän verbissen. „Etwa – Liebe?! Towler soll Margrit geliebt und entführt haben?! – Entführt?! Ich bitte Sie: die Frauen verschwanden im Wasser und kamen nicht mehr zum Vorschein! Sie trugen helle Kleider! Wir hätten sie sehen müssen, wenn sie nochmals aufgetaucht wären!“
„Gut, gut, lieber Käp’ten. Ich zweifle ja nicht an alledem. – Wir wollen jetzt nicht weiter darüber sprechen. Aber – wir werden sofort nach den Andamanen in See gehen.“
Druyter erhob schob rasch.
„Herr Harst, – das – das ist sehr – sehr –“
„Lassen Sie nur, bester Druyter. Das ist weder sehr liebenswürdig, noch sehr nett, noch sehr freundlich von mir, sondern einfach – Berufsinteresse! Ich bin Detektiv aus Liebhaberei. Und da werde ich mir doch einen solchen Fall nicht –“
Druyter hatte schon Haralds Hand ergriffen.
„Oh, Herr Harst, – ich – ich will ja nur Gewißheit haben, was aus meiner Frau und meinem Kinde geworden ist. Tot sind sie ja bestimmt. Aber – aber – da in einem Winkelchen meines Herzens wohnt noch immer eine törichte Hoffnung. Wer kann etwas für sein Herz! Ich habe ja mit Bessy so glücklich gelebt, so sehr glücklich. Ich war nie eine Schönheit, verdammt nein, – das war ich nicht! Aber – ein guter Kerl war ich, und das ist mehr wert als gerade Beine und ein sogenanntes „schönes“ Gesicht!“ –
Nachmittags um 4 Uhr verließen wir die Koralleninseln. Zwei Tage drauf waren wir in Quilon, dem nächsten Festlandhafen, nahmen Proviant, Benzin und Wasser ein und steuerten dann nach Süden Kap Komorin und der Palk-Straße zu, die Zeylon von Vorderindien trennt.
Harald berührte das Thema Pamban-Insel mit keiner Silbe mehr. Erst am sechsten Reisetage, mitten im Meerbusen von Bengalen, begann Klaas Druyter gegen Abend von dem rätselhaften Perlenfischer ganz von selbst zu sprechen, allerdings etwas zögernd, da er schon gemerkt hatte, daß Harst sich auf theoretische Erörterungen über den Gegenstand nicht mehr einlassen wollte.
Wir hatten das Abendbrot und ein Gewitter hinter uns. Die Luft war angenehm frisch, etwa 22 Grad. Und das nennt man dort schon kühl. Wir saßen im Salon der Jacht bei weit offenen Fenstern. Die Padnunna rollte schwer. Oft genug mußten wir uns festhalten, um nicht von den Sitzen zu rutschen.
Plötzlich fiel etwas klatschend auf den Tisch und gegen den offenen Deckel der Zigarrenkiste, – etwas silbern glänzendes – ein Fliegender Fisch, der durch einen Zufall durch eines der Fenster hereingesegelt war, als dieses beim Überholen der Jacht nach Backbord ziemlich tief gelegen hatte.
Fliegende Fische fliegen nicht, sondern sind so etwas wie Gleitsegler. Mit Hilfe ihrer großen Flossen können sie bis zu dreißig Meter weite Sprünge machen. Sie tun dies nur, wenn ein Hai hinter ihnen ist.
Harald packte den hüpfender Meeresbewohner und warf ihn wieder in die See zurück.
Auf dem weißen Tischtuch waren jedoch außer nassen Flecken noch ein paar silbern glänzende Schuppen zurückgeblieben.
Druyter hob eine derselben auf und sagte: „Man stellt aus Fischschuppen seit langem Perlmuttermasse her – künstliches Perlmutter. – Hm, – ich wollte noch etwas zu der Pamban-Geschichte bemerken, Herr Harst. Ich habe die beiden kleinen Gegenstände, die der Perlenfischer damals samt Perlmuscheln auf die Wassertreppe legte, natürlich aufbewahrt.“
Er zog ein Elfenbeinbüchschen aus der Tasche und reichte es Harst.
„Da sind sie drin – in Watte!“
Wir besichtigten den kleinen Götzen und die Hand ohne Mittelfinger. Es war eine linke Hand. Die Sächelchen waren sehr zierlich gearbeitet. Das erkannte man trotz des Perlmutterüberzuges. Die ursprüngliche Masse war nicht mehr zu erkennen.
So hatte der Fliegende Fisch die Unterhaltung doch wieder einmal auf den Perlenfischer gebracht. Das Bindeglied war die Fischschuppe gewesen.
Harald nahm jetzt auch das Elfenbeinbüchschen in Augenschein. Es war reich geschnitzt und offenbar sehr alt. Der Deckel hatte zwei goldene Scharniere.
Harst entfernte nun auch die Watte daraus, hielt das Büchschen offen gegen das Licht und meinte:
„Ein sehr wertvolles Stück, lieber Druyter. Woher haben Sie es?“
„Es gehörte meiner Frau. Sie hatte es bei sich, als wir aus Dehli flohen. Meine Frau war dort Dienerin bei einem reichen Inder.“
„Ich möchte es mir nachher mal in Ruhe betrachten,“ sagte Harald und packte die Watte, den Götzen und die Hand wieder ein. „Ich gebe es Ihnen morgen wieder zurück – Wann können wir auf der Insel anlangen?“
„Übermorgen abend bestimmt.“
„Ob sich dort inzwischen etwas verändert hat, Druyter? Sie hatten doch das Verschwinden Ihrer Frau und Tochter der Polizei gemeldet. Sollte man nicht von Port Blair, dem Haupthafen der Andamanen, aus Nachforschungen angestellt haben? Vielleicht existiert der Tempel gar nicht mehr –“
„Oh – da kennen Sie die indische Polizei schlecht! Die hat mehr zu tun, als ein unbewohntes Inselchen zu durchsuchen oder zu besuchen. Ich wette, man hat aus Kolombo die Angelegenheit gar nicht weitergemeldet. Der Tempel steht sicher noch so, wie er damals stand. Nur die Schlingpflanzen werden ihn noch mehr eingesponnen haben.“
„Hörten Sie je wieder etwas von Towler?“
„Hm – wie man’s nimmt, Herr Harst. Ein Bekannter von mir aus Kolombo, der ihn dort mit mir zusammen gesehen hatte, will ihn vor zwei Jahren in Meerut getroffen haben.“
„Meerut?“
„Ja – Stadt in Zentralindien, in der Nähe von Dehli.“
Harald nickte zerstreut, fragte dann:
„Towler verstand alles, sagten Sie? Er war also sehr vielseitig?“
„Ja. Genau wie Sie, Herr Harst. Sie konnten mit ihm über alles reden. Leider redete er selten. Aber er griff überall mit zu. Er hatte so etwas an sich, das imponierte.“
Der Steuermann Talagalla betrat die Kajüte und meldete, daß der eine Motor sich heiß gelaufen hätte.
Druyter stand auf und ging mit ihm hinaus.
Harald holte sofort das Elfenbeinbüchschen hervor.
„Da – nimm mal alles heraus und halte es gegen das Licht,“ sagte er zu mir.
Ich tat es. Ich sah, daß der Boden des Büchschens, das etwa fünf Zentimeter Durchmesser hatte und ebenso hoch war, nicht wie die Seitenwand durchschimmerte.
„Der Boden muß sehr dick sein,“ erklärte ich. „Er läßt das Licht nicht durch.“
„Es ist ein doppelter Boden,“ meinte Harald leise. „Daran liegt’s.“
Er versuchte nun den unteren Teil abzuschrauben. Es gelang nicht. Dann maß er mit einem Bleistift die Tiefe des Büchschens innen aus und auch die Höhe.
„Es fehlt fast ein Zentimeter, wie Du siehst, mein Alter,“ flüsterte er.
Dann hielt er das zierliche Schnitzwerk an das Ohr und schüttelte es heftig.
„Es ist etwas in diesem kleinen Geheimfach versteckt,“ sagte er ebenso leise. „Man hört es deutlich. – Druyter kommt!“
Er schob das Büchschen schnell in die Tasche. –
Als wir uns dann in unseren Schlafkabinen bei offener Verbindungstür auskleideten, trat er in die Tür und flüsterte:
„Dieser Towler ist doch der Schuldige. Und der Mord hängt ebenfalls damit zusammen.“
„Welcher Mord?“ fragte ich überrascht.
„Der an Druyters Zwillingsbruder.“
Ich konnte nur den Kopf schütteln.
„Das begreife ich nicht, Harald. Ein Mord in Amsterdam und –?! – Dann war es also doch Liebe!“ fügte ich hinzu.
„Ja – Liebe! Nur eine andere Art. – Gute Nacht. Der Tempel auf Pamban wird mir den Rest der Aufklärung geben, hoffe ich.“
Bei sinkender Sonne fuhren wir in die Bucht der Andamanen-Insel Pamban ein. Die Bucht war stellenweise sehr schmal und so verkrautet, daß wir auf die Motorenkraft verzichten und das Boot vor die Jacht spannen mußten.
In dem Boote saßen vier unserer braven Singhalesen. Sie ruderten aus Leibeskräften. Und doch erreichten wir den Binnensee erst gegen zehn Uhr bei völliger Dunkelheit.
Die Andamanen nennt man vielfach auch „Die Regen-Inseln“ Es soll hier nur jeder fünfte Tag regenfrei sein. Wir hatten offenbar diesen fünften Tag gerade erwischt, denn es regnete nicht, wenn auch der Nachthimmel mit schwarzem Gewölk drohend genug behängt war.
Die Padnunna hatte einen kleinen Scheinwerfer, der uns hier sehr nützlich war. Er zeigte uns nun auch in grell-weißem Lichte wie das Bild einer Laterna magica den Brahmatempel, die Wassertreppe und die Urwaldkulissen.
Wir warfen der Treppe gegenüber Anker, etwa dreißig Meter von dieser ab. Das geschah auf Haralds Wunsch.
Als die Jacht vor zwei Ankern festlag, als wir nun gerade in das Boot klettern und nach dem Tempel hinüberrudern wollten, brüllte der Steuermann Talagalla plötzlich:
„Sahib Druyter – die Mem Sahib!“ (Mem Sahib, Herrin).
Unsere Köpfe fuhren hoch.
Der Lichtkegel des Scheinwerfers hüllte den Tempel und die Säulenvorhalle noch in blendendste Helle.
Und da – oben auf der breiten Freitreppe zur Säulenhalle – da stand eine schlanke Frauengestalt in einem weißen Kleide, das einen schwarzen Gürtel hatte sowie große schwarze Knöpfe an der Taille. Die Frau trug einen großen, hellen Strohhut mit weißem Schleier, der bis zum Kinn herabreichte.
Wir hatten die Gestalt kaum recht ins Auge fassen können, als sie auch schon hinter der nächsten Säule verschwand.
Neben uns hörten wir jetzt ein gurgelndes Stöhnen.
Klaas Druyter hatte die Arme ausgestreckt wie in unnennbarer Sehnsucht und wollte rufen, bewegte die Lippen, brachte aber keinen Laut heraus.
Harald schüttelte ihn.
„Käp’ten – seien Sie ein Mann!“ sagte er hart. „Den Halunken, die sich diese Späße erlauben, wollen wir schon das Handwerk legen! Rein ins Boot! Schraut – vorwärts! Wir beide allein – aber fix!“
Es kam Leben in Klaas Druyters Gestalt. Er sprang zu uns ins Boot.
„Herr Harst – so wahr ich Bessy über alles geliebt habe, – sie war’s, Herr Harst – sie war’s!“ keuchte er hervor. Er wußte kaum, was er sprach.
Harald ruderte.
„Lieber Druyter, wie wollen Sie das so bestimmt behaupten?“ meinte er. „Sie haben von dem Gesicht nichts gesehen – nichts –“
„Aber es war genau der Anzug, den sie trug, als sie hier versank.“ Und er deutete über den Bootsrand weg in die Tiefe.
„Ein Anzug ist noch lange nicht der Mensch selbst. Und Kleider und Hüte gleichen sich –“
„Ah – Sie wollen mir nur jede Hoffnung nehmen,“ rief Druyter halb von Sinnen dazwischen. „Wie soll wohl eine Frau gerade hier in diesem Kleide, mit diesem Hut und dem schwarzen Seidenband als Gürtel herkommen?! Wollen Sie mir das erklären?“
Harald schwieg. Wir legten an der Treppe an. Der Kapitän stolperte in wilder Hast die Stufen empor.
„Vorsicht!“ warnte Harst. „Druyter, Vorsicht! Die Geschichte ist –“
Druyter raste schon die Freitreppe hoch, rief immerfort: „Bessy – Bessy – Bessy!“
Er verschwand zwischen den Säulen, als wir erst noch das Boot anketteten.
„Wir haben wie die Kinder gehandelt,“ sagte Harald jetzt ärgerlich. „Wir sind Hals über Kopf davongerudert, haben weder eine Waffe noch eine Taschenlampe bei uns. – Warten wir also. Dieser Tollkopf wird bald zurückkehren. In den Tempel gehe ich ohne Waffe nicht hinein. Das wäre zu unvorsichtig gegenüber der Tatsache, daß dort fraglos Leute verborgen sind, die nichts Gutes im Schilde führen.“
Wir hörten Druyter jetzt im Innern des Tempels sein „Bessy – Bessy!“ rufen. Es klang schwach und dumpf.
Und wieder sagte Harald leise:
„Sollte die Gestalt wirklich Frau Druyter gewesen sein, so würde das all meine Kombinationen über den Haufen werfen! Aber – sie kann es nicht sein! Unsinn! Ich lasse mir meine Theorie nicht verderben!“
„Und diese Theorie ist?“ fragte ich schnell.
„Liebe –!“
Da erschien der Kapitän unter der Säulenhalle, brüllte uns wütend zu:
„Helfen Sie mir doch suchen, verdammt! Haben Sie Angst?!“
„Sie sind übergeschnappt, mein Lieber!“ rief Harst zurück. „Wir werden suchen, aber erst nachher. Wenn Sie sich jetzt nicht vernünftig benehmen, kündige ich Ihnen die Freundschaft.“
Das half. Druyter kam hinab zur Wassertreppe, wischte sich das schweißnasse Gesicht und meinte:
„Wann wollen Sie denn suchen, Herr Harst? Etwa morgen früh bei Tageslicht? Dann kann man Bessy längst wieder weggebracht haben.“
„Steigen Sie ein!“ befahl Harst kurz. „Wir werden Laternen und Waffen holen –“
Druyter beruhigte sich allmählich. – Wir nahmen dann zwei große Handlaternen mit und steckten unsere Repetierpistolen entsichert in die rechten Jackentaschen.
Talagalla mußte mit und das Boot bewachen. Trotz seines Revolvers machte er ein Gesicht, als ob er gehängt werden sollte.
Harald ging dann voran in den Tempel. Natürlich fanden wir nur Eidechsen, Fledermäuse, Ratten und ein paar Schlangen. Wir suchten so, wie eben nur Leute „vom Fach“ zu suchen verstehen. Druyter hatte lediglich die Aufgabe, uns vor einem heimtückischen Angriff zu schützen. Es passierte jedoch nichts.
Erst nach Mitternacht begannen wir auch die Umgebung des Tempels zu durchforschen. Hier fand Harald an einer rückwärtigen Türöffnung etwas wie einen Pfad, der offenbar häufiger begangen wurde. Das genügte ihm.
„Zurück an Bord,“ sagte er leise. „Oder wir setzen uns der Gefahr aus, daß man uns aus dem Hinterhalt niederknallt.“
Druyter wollte nichts davon wissen.
„Dann dringe ich allein in den Urwald ein,“ meinte er störrisch.
Harst packe ihn, zerrte ihn in den Tempel hinein und sagte scharfen Tones:
„Sie werden mich morgen mit der Jacht nach Port Blair bringen, Kapitän. Unsere Freundschaft ist aus. Ich habe die Jacht gemietet, und Sie haben zu gehorchen –“
Druyter griff jetzt, zur Besinnung kommend, nach Haralds Hand.
„Lieber Herr Harst, entschuldigen Sie. Ich –“
„Es bleibt bei meinem Entschluß,“ unterbrach ihn Harald kalt. „Mit Leuten, die so wenig Selbstbeherrschung haben wie Sie, lasse ich mich auf solche Abenteuer nicht ein.“
Er drehte sich um und schritt der Freitreppe zu.
Druyter schlich sehr bedrückt neben mir her.
„Lieber Schraut, legen Sie doch für mich ein gutes Wort ein,“ bat er leise. „Begreifen Sie doch meine Aufregung! – Wo soll uns hier auch Gefahr drohen?!“
Auch ich war ärgerlich auf diesen alten Draufgänger, der nur alles verderben konnte.
„Harst läßt sich nie umstimmen,“ sagte ich. „Wenn er nicht von selbst seinen Entschluß ändert, dann –“
Druyter seufzte ganz kläglich.
Wir ruderten an Bord. Hier rief Harald die Singhalesen zusammen und teilte für die Nacht Wachen ein.
„Die Insel ist nicht mehr unbewohnt,“ sagte er zu den braunen Gesellen, die leider nicht zum Geschlechte der Helden gehören. „Wir müssen daher vorsichtig sein. Ihr habt jeder einen Revolver. Ihr laßt niemand an die Jacht heran. Sobald ihr etwas Verdächtiges bemerkt, gebt Alarmschüsse ab. Wir werden im Wohnsalon schlafen und in Kleidern, die Tür zur Treppe auch offen lassen, damit wir sofort an Deck können. Der Scheinwerfer bleibt die Nacht über in Tätigkeit und auf den Tempel gerichtet.“
Dann erst setzten wir drei uns unten im Salon zum Abendessen nieder.
Druyter sprach kein Wort. Harald beachtete ihn nicht. Die Mahlzeit war sehr ungemütlich. Aber einmal zwinkerte Harst mir heimlich zu und lächelte. Da merkte ich: er wollte unseren dicken Klaas nur gründlich kurieren.
Druyter trank heute noch mehr kalten Grog als sonst. Als der Schiffskoch, der gleichzeitig Matrose war, den Tisch abgeräumt hatte, hielt Harald unserem völlig geknickten Käp’ten das goldene Zigarettenetui hin und meinte:
„Da – bitte, die Versöhnungsmirakulum!“
Druyter hat sicher noch keine Zigarette so gut geschmeckt wie diese.
Der Frieden war wieder hergestellt.
„Ich glaube, wir alle sind viel zu munter, um schlafen zu können,“ meinte Harald nach einer Weile. „Gehen wir an Deck –“
Er war nur in Leinenhosen und Sporthemd, hatte sogar die Leinenschuhe auf die bloßen Füße gezogen, während wir die Frage soeben erörtert hatten, wer wohl jetzt hier auf der Insel hausen möge.
Druyter wagte nicht mehr, mit seiner Behauptung herauszurücken, die Gestalt sei seine Frau gewesen, da Harald vorhin so nebenbei erklärt hatte:
„Wenn’s Ihre Gattin gewesen wäre, hätte sie doch die Jacht erkannt und wäre zur Wassertreppe hinabgeeilt –“
Das hatte unserem Käp’ten offenbar eingeleuchtet.
Wir gingen also an Deck, stellten uns an die Reling und schauten zu dem Brahmatempel hinüber.
„Das Bauwerk ist neueren Ursprungs,“ meinte Harst. „Höchstens siebzig bis achtzig Jahre alt. Es wäre interessant festzustellen, wer es errichten ließ. Ob man auf den bewohnten Andamanen-Inseln von der Existenz des Tempels etwas weiß?“ Die Frage war an Druyter gerichtet.
„Nein, Herr Harst. Ich bin verschiedentlich in den letzten Jahren in Port Blair gewesen und habe so etwas herumgehorcht. Die Seeleute wissen jedenfalls nichts von diesem Tempel.“
„Der Tempel steht auf felsigem Boden und liegt mindestens sechs Meter über dem Spiegel dieses Binnensees,“ sagte Harald langsam und grüblerisch. „Ich – ich möchte mal ein kleines Experiment versuchen,“ fügte er ebenso bedächtig hinzu. Er befühlte die Taschen seiner Beinkleider. „Pistole und Lampe habe ich bei mir. – Ist diese Nacht ebenso dunkel wie damals, als Ihre Gattin und Tochter verschwanden?“
„Noch dunkler, denke ich, Herr Harst. Aber – was haben Sie vor?“
„Sie werden schon sehen. – Mein helles Sporthemd und die Leinenhosen dürften doch genau so in der Dunkelheit leuchten wie etwa die weißen Kleider der Frauen, nicht wahr?“
„Ganz sicher,“ nickte Druyter.
„Gut, dann werde ich nun mal ins Boot steigen und langsam bis zur Treppe rudern. – Wo fielen die Frauen damals über Bord?“
„Vielleicht fünf Meter vor der Wassertreppe.“
„Schön – Scheinwerfer aus!“ rief Harst nun den Singhalesen zu.
Die an die blendende Helle gewohnten Augen mußten sich erst an das Dunkel gewöhnen.
Dann stieg Harald ins Boot, stieß aber erst ab, nachdem wir am Bootsring eine lange Leine beseitigt hatten, die wir abrollen lassen sollten, um nötigenfalls das Boot wieder heranholen zu können.
Ich hatte Harst fragen wollen, was er beabsichtigte und ob er mich nicht mitnehmen würde. Er hatte jedoch nur leise und schnell erwidert: „Sieh Du hier derweil nach dem Rechten –“
Nun stieß er ab, ruderte lautlos auf die Treppe zu, zog dann mit einem Male die Ruder ein.
Wir standen alle an der Reling und starrten in die Dunkelheit hinaus. Das Boot war nur undeutlich zu erkennen. Aber die helle Gestalt darin desto besser, wenn auch nur als Ganzes in ihren Bewegungen.
Jetzt beugte Harst sich weit über den Bootsrand.
Da – ein leises Platschen im Wasser.
Er war von der Ruderbank herabgeglitten. Nichts war mehr von ihm zu sehen – nichts.
„Scheinwerfer an!“ brüllte ich erschrocken.
Talagalla sprang nach vorn.
Der Lichtkegel schoß in die Finsternis hinein.
Tageshelle nun.
Da trieb das leere Boot.
Von Harald nichts – keine Spur.
„Sehen Sie – genau so war’s damals, Herr Schraut, – genau so –“
Talagalla und die anderen Singhalesen umdrängten uns.
„Sahib – das Boot einholen!“ rief einer der braunen Matrosen. „Wir wollen mit Bootshaken nach Sahib Harst suchen –“
Wir holten die Leine und das Boot ein. Dumpf schlug es gegen die Bordwand.
Ich hatte schon das eine Bein über die Reling, wollte hineinklettern.
Und dann kam die Überraschung – dann kam der drohende Anruf in unserem Rücken.
„Hände hoch – oder es knallt!“
Englische Worte waren’s. – Wir schnellten herum. Da standen am Steuerhäuschen fünf Kerle, Revolver vorgestreckt, stoppelbärtig, in grauen Leinenanzügen, flache Strohhüte über verwegenen Gesichtern.
„Hände hoch!“
Da knallte es schon. Eine Kugel schlug über mir durch das Zeltdach.
Unsere Arme flogen hoch. Was sollten wir tun?! Daß mit den Burschen nicht zu spaßen war, sah man auf den ersten Blick.
Und jetzt – jetzt erst fiel mir etwas ein, woran ich bisher nicht gedacht hatte: daß England auf der größten der Andamanen bei Port Blair eine Sträflingskolonie unterhält, in der nur lebenslänglich Verurteilte untergebracht werden. Die Kolonie birgt etwa 15 000 Sträflinge, die von Militär und Beamten bewacht, zu Kulturarbeiten benutzt werden. Fluchtversuche sind häufig, aber meist erfolglos. –
Ein kleiner, dürrer Kerl trat nun auf uns zu und begann uns mit bereitgehaltenen Baststricken zu fesseln.
Ich bat ihn, doch nach meinem Gefährten mit Bootshaken zu suchen.
„Der ist ja längst ersoffen,“ meinte er roh. „Wir haben’s mit angesehen. Was rudert er auch umher, wenn er nicht schwimmen kann –“
Alles bitten war umsonst. Man führte uns nach vorn in das Mannschaftslogis. Hier mußten wir uns um den Tisch setzen.
Der kleine Dürre, offenbar der Anführer, begann nun ein kurzes Verhör. Er richtete die Fragen an mich. Ich sagte, wir[10] seien hierhergekommen, um in dem Tempel nach der Frau des Kapitäns zu suchen. Ich log in nichts, – nur daß Harald und ich Detektive seien, verschwieg ich.
Wie schwer wurde es mir, mich so ausfragen zu lassen, wo doch all meine Gedanken nur bei dem weilten, der nun dort auf dem sumpfigen Grunde des Binnensees ruhte.
[Ich][11] konnte mir gar nicht vorstellen, daß Harald wirklich tot sein sollte. Ich dachte immer wieder an seine merkwürdigen Worte von dem Experiment, das er anstellen wollte.
Dann fragte Druyter den Sträfling auf gut Glück:
„War es einer von Euch, der sich vorhin in Frauenkleidung unter den Säulen zeigte?“
Der kleine Dürre fluchte:
„Die Pest wär’ der verrückten Dasy in den Hals gefahren, das Genick hätt’ ich ihr umgedreht, wenn sie uns die Sache hier verdorben hätte! Das Frauenzimmer hat sich die Lumpen angezogen, die wir da im Norden der Insel in einer Felsspalte fanden –“
„Wer ist Dasy?“ wollte der harmlose Druyter wissen.
Der Sträfling grinste.
„Oh – eine sehr feine Dame. War Köchin beim Oberaufseher in Port Blair und hat uns fortgeholfen – aus Liebe zum Jimmy da –“ Und er zeigte auf einen Menschen, der von den fünfen noch am anständigsten aussah. „Die Dasy liebt so ’nen Unsinn. Sie wollte so was wie den Geist des verlassenen Tempels spielen, das ulkige Huhn –“
Druyter senkte enttäuscht den Kopf.
Die Sträflinge schlossen uns dann im Mannschaftslogis ein und machten sich über die Vorräte der Proviantkammer her. Sie hielten uns offenbar für sehr ungefährlich.
Hier im Vorschiff herrschte eine fürchterliche Hitze. Über dem Tische brannte die elektrische Lampe. Die Kerle hatten uns auch mit den Beinen an die Schiffsstühle festgebunden. Wir acht saßen und sagten eine Weile gar nichts. Der kleine Anführer hatte uns angekündigt, daß man uns hier zurück lassen würde; die Jacht käme ihnen gerade recht. Nun könnten sie sehr behaglich weiterfliehen.
Druyter stierte vor sich hin. Dann brummte er:
„Harst, der arme Harst hat doch recht gehabt. Wir hätten vorsichtiger sein müssen. Die Schufte sind ans Heck herangeschwommen, als wir nach dem Boot ausspähten –“
Ich schwieg. Mir war jetzt alles gleichgültig. Vier Jahre kannte ich Harald nun schon; vier Jahre war es her, als er damals aus mir, dem verkommenen Taschendiebe und Schmierenschauspieler, einen anständigen Menschen gemacht hatte. Ich war sein Freund geworden. Und nun – nun war er tot.
Druyter sprach zu mir. Ich hörte gar nicht hin.
Dann fielen mir Haralds letzte Worte ein, sein Vermächtnis sozusagen: „Sieh Du hier derweil nach dem Rechten –“
Ja – war das nicht gerade so, als ob er seinen Tod vorausgeahnt hatte?!
Ich – ich sollte hier nach dem Rechten sehen!
Und – was tat ich?! Bemühte ich mich auch nur im geringsten, uns aus dieser Patsche herauszuhelfen? Konnte es ein anderer als ich? – Nein – ich allein war imstande, diesen fünf Sträflingen zu beweisen, daß wir alles andere nur nicht ungefährlich waren.
Meine Energie begann wieder zu erwachen.
Ich versuchte, ob ich nicht die Baststricke so weit dehnen könnte, daß ich die Hände frei bekam.
Es ging nicht. – Ich flüsterte Druyter und den Singhalesen zu, sie möchten dasselbe mal probieren.
Talagalla meinte leise, er wage das nicht; wir sollten froh sein, wenn wir mit dem Leben davonkämen. Auch Druyter sagte, eine Flucht sei ja doch unmöglich; wir seien eingeschlossen, und die Kerle hätten uns jede Waffe abgenommen.
Ich kochte vor Wut über diese Gleichgültigkeit.
„Sie werden Ihre Jacht nie wiedersehen,“ fauchte ich Druyter an.
Auch das half nichts.
Wieder versuchte ich, wenigstens eine Hand frei zu bekommen. Die Hitze hier bewirkte, daß mir der Schweiß in Strömen über die Haut lief.
Und – der Schweiß war’s, der meine Haut schlüpfrig machte und die Baststricke langsam dehnte.
Da – jetzt konnte ich die linke Hand aus den Schlingen herausdrehen.
In demselben Moment polterten Schritte die Treppe zum Logis herab. Die Tür wurde aufgeschlossen. Und herein trat – dieselbe Gestalt, die wir unter den Säulen der Vorhalle gesehen hatten.
Es war die Dasy, das Sträflingsliebchen.
Sie war bereits leicht bezecht, fuchtelte nun mit einem Revolver herum und rief lachend:
„Muß mir doch mal die Gentlemen hier ansehen –“
Sie hatte ein frisches, hübsches Gesicht. – „Schade um sie,“ dachte ich.
Und weiter dachte ich: „Dein Revolver wird mein, Dasy – auf jeden Fall!“
Sie kam jetzt auf Druyter zu, der neben mir saß, gab ihm einen leichten Backenstreich.
„Du, Dicker, sie saufen Dir Deinen ganzen Rum aus. Warte, ich hol’ Dir ein Glas voll. Ich hab’ ein gutes Herz –“
Jetzt hatte ich auch die rechte Hand frei.
Ich schnellte hoch, packte das Weib bei der Kehle, würgte sie rücksichtslos, bis sie die Besinnung verlor.
Im Nu hatte ich dann meine Fußfesseln aufgeknotet, schob die Bewußtlose unter den Tisch, nahm den Revolver.
Polternde Schritte auf dem Deck.
Ich setzte mich wieder, nahm dieselbe Stellung ein.
Jimmy war’s, der nach seiner „Braut“ sehen kam.
„Sie ist soeben wieder an Deck gegangen,“ sagte ich gelassen.
Hätte dieser Jimmy nicht schon so viel kalten Grog im Leibe gehabt, würde er wohl den ängstlichen Gesichtern meiner Mitgefangenen angesehen haben, daß hier nicht alles in Ordnung war.
Er machte jedoch schon an der Tür kehrt und wollte wieder die Treppe hinauf, hätte jetzt sicher auch die Tür wieder abgeschlossen.
Zwei Sätze – ein Hieb von hinten mit dem Revolverkolben gegen die Schläfe.
Jimmy war erledigt. Und – Jimmy hatte in der Tasche zwei Revolver und ein Messer –
Ich schnitt Druyter los, ebenso Talagalla. Die anderen Singhalesen erst auf ihren ausdrücklichen Wunsch.
Im Wohnsalon war es bisher sehr lebhaft zugegangen. Nun aber herrschte dort eine verdächtige Stille. Was trieben die vier Kerle?
Wir schlichen über das Deck – nur auf Strümpfen. Die Singhalesen hatten sich mit eisernen Schraubenschlüsseln bewaffnet.
Ich huschte als erster die Treppe zum Wohnsalon hinab. Die Tür stand halb offen. Mäuschenstill war’s da drinnen. Schliefen die Banditen etwa?
Druyter war dicht hinter mir. Ich lugte um die Tür herum.
Und – prallte zurück, sprang sofort wieder vorwärts.
Denn: in einem Korbsessel saß Harald, hatte die Clement-Pistole in der Rechten und diese auf den Schenkel gelegt, – und ihm gegenüber saßen an dem mit Weinflaschen bestellten Tische mit hoch erhobenen Armen die vier Sträflinge.
„Binden!“ sagte Harald kurz, nickte mir zu und winkte den Singhalesen. „So macht doch, Boys! Binden sollt Ihr diese ungebetenen Gäste.“
Da kam Leben in die braunen Helden.
Fünf Minuten drauf war die ganze Bande mit Hanfstricken gebunden. Inzwischen war es bereits draußen hell geworden. Der Morgen graute. Es war 4 Uhr.
Die Singhalesen mußten die Sträflinge und das Mädchen an Land schaffen und in den Tempel legen. Talagalla und ein Matrose blieben dort als Wache zurück.
Nun erst konnte ich mit Erfolg einige Fragen an Harald richten. Bisher hatte er sowohl mir als auch Druyter stets mit einem „Später!“ geantwortet.
Wir standen auf dem Achterdeck dicht am Flaggenstock, und Harst ließ seine nassen Sachen in der durch die Baumwipfel lugenden Sonne trocknen. Das Haar hing ihm noch feucht und wirr in die Stirn. Es war ihm stark nachgewachsen. Sonst trug er es stets ganz kurz geschnitten, wenigstens hier im Orient.
Ich drückte ihm nochmals in herzlicher Wiedersehensfreude die Hand. Und auch Klaas Druyters Gesicht strahlte noch immer wie ein lächelnder Vollmond.
„Wo warst Du also?“ fragte ich abermals. „Du bist natürlich ein Stück unter Wasser geschwommen und dann unbemerkt an Land gegangen –“
„Hm – mit gewissen Einschränkungen ist das richtig,“ meinte er mit feinem Lächeln. „Ich habe denselben Weg zurückgelegt, den Frau Druyter und Margrit seiner Zeit gehen mußten.“ Er betonte das „Mußten“ stark.
Druyter und ich blickten ihn etwas verständnislos an.
Er fügte hinzu: „Gehen mußten, um zu verschwinden. – Es ist jetzt alles aufgeklärt, lieber Käp’ten, alles. Bei alledem ist auch nicht die Spur Übernatürliches dabei. Nur sehr viel Raffinement und – Geduld. Ihre Damen sind wirklich von Towler entführt worden.“
Klaas Druyter starrte Harst zweifelnd an.
„Entführt?!“ stieß er hervor. „Dann – dann müßten sie – auch noch leben –“
„Hoffen wir es, lieber Käp’ten. Jedenfalls lebten sie, als sie diese Insel verließen – mit Towler und anderen Leuten, die bei der Entführung geholfen haben. Auch der Perlenfischer war dabei. Er spielte mit die Hauptrolle. Er war – ja, wie soll ich sagen – er war der Bote der höheren Macht –“
„Was heißt das?“ rief Druyter. „Höhere Macht?! – So reden Sie doch!“
„Lieber, guter Käp’ten,“ erklärte Harald freundlich, „es ist eine Eigentümlichkeit von mir, meine Karten erst dann aufzudecken, wenn ich das Spiel ganz sicher habe. Und dieses Spiel dreht sich jetzt darum, Ihnen Weib und Kind wiederzugeben.“
„Wie – was?! Wieder – wiederzugeben?“ Der kleine Dicke war so sprachlos, daß er den Mund immer weiter aufriß und geradezu nach Luft schnappte.
Dann aber warf er plötzlich die Arme um Harst, sagte mit einer von Tränen halb erstickten Stimme:
„Ach – wenn Sie – das – fertig brächten! Herr im Himmel – dann schenke ich Ihnen die Padnunna, dann – dann –“
Harald drängte ihn sanft von sich.
„Ruhe, lieber Klaas, – Ruhe! Freuen Sie sich nicht zu früh. Ich mache Sie jetzt schon darauf aufmerksam, daß noch sehr große Schwierigkeiten zu überwinden sind, bevor wir am Ziele sein werden. – Können Sie schwimmen und tauchen, Druyter?“
„Und ob, Herr Harst.“
„Gut. Daß Schraut es kann, weiß ich. – Schicken Sie jetzt die vier Singhalesen, die hier noch an Bord sind, in den Wald zum Früchtesuchen. Es ist nicht nötig, daß die Leute eingeweiht werden. Sie könnten plaudern und dadurch viel verderben.“
Die vier Singhalesen ruderten an Land und schritten dem Urwalde zu.
„So,“ meinte Harst, „jetzt bitte Schwimmtoilette. Behalten wir nur die Leinenhosen an. – Lieber Alter, nimm auch Deine Taschenlampe mit –“
Wir ließen uns an einem Tau über Bord und schwammen der Treppe zu.
Fünf Meter davor machte Harald halt, trat Wasser und sagte:
„Nun geben Sie genau acht. Ich tauche zuerst. Man muß unter Wasser auf die Treppe zu schwimmen. Wenn man unter der letzten bereits im Wasser liegenden Stufe hinweg ist, kommt man in einen durch die oberen Stufen gebildeten Hohlraum. Sie beide werden sich leicht zurechtfinden, denn ich werde meine Lampe da drinnen einschalten. Dann ist auch das Wasser jenseits der Treppenstufen hell.“
Harald schwamm noch näher an die Treppe heran und verschwand dann unter der Oberfläche.
Ich folgte ihm sofort, behielt die Augen offen und konnte mich auch so unter Wasser gut orientieren. Alles war so, wie Harst es geschildert hatte. Auch Druyter fand diesen Wassereingang zu dem gemauerten Gange, der, unter dem Wege zum Tempel entlanglaufend, schließlich in ein Kellergewölbe einmündete.
Daß Druyter und ich über alledem fast das Fragen und Reden vergaßen, wird jedem verständlich sein.
Das Kellergewölbe war, wie man leicht erkannte, ursprünglich eine breite Spalte der Felsenkuppe gewesen, auf der der Brahmatempel stand. Menschenhände hatten jedoch aus dieser Felsschlucht drei ganz wohnliche Räume hergestellt, – wohnlich insofern, als sie mit primitiven, aber sauber gearbeiteten und teilweise sogar geschnitzten Möbelstücken indischen Geschmackes bestellt waren.
In dem mittleren Raume stand sogar ein großer Tisch; um ihn herum acht sogenannte Muschelsessel mit gepolsterten Wildledersitzen. Auf dem Tische lagen Stöße von Zeitungen neben anderen Dingen. Von der Decke hing eine jener großen Petroleumlampen herab, wie sie zu Anfang der Erdölbenutzung als Beleuchtungsmittel üblich waren.
Harald zündete die Lampe an. „Ich habe sie in der Nacht schon benutzt,“ erklärte er. „Setzen wir uns. Wir wollen an dieser gewissermaßen historischen Stätte etwas verweilen. – Jene Zeitungen da sind englische und indische und reichen bis zum Jahre 1854 zurück. Diese Zeitungen, besonders die darin angestrichenen Stellen, haben mir verraten, wer hier einst gehaust hat. Ich muß jetzt einige historische Tatsachen zum Verständnis dessen erwähnen, was sich hier früher und in neuerer Zeit ereignet hat. Im Jahre 1852 fand der große indische Aufstand, das heißt die Empörung der eingeborenen Truppen gegen die Engländer, statt. Unerhörte Menschenschlächtereien hatte er im Gefolge. Aber England gelang es, die Rebellen allmählich zu unterwerfen. Nena Sahib, der Hauptanführer, floh. Ebenso flohen viele indische Fürsten und Gebildete, die gewiß waren, standrechtlich erschossen zu werden. Andere, weniger Schuldige, die man ergriffen hatte, wurden zum Teil nach den Andamanen deportiert. Besonders Port Blair hat tausende von Indern jahrelang beherbergt. Ich bin nun überzeugt, daß eine Zahl von durch den Aufstand zur[12] Flucht gezwungenen Indern hier auf Pamban in der Verborgenheit gelebt und diesen Brahmatempel gebaut hat. Daß er neueren Datums ist, erwähnte ich schon. Diese Inder haben als Zufluchtsstätte diese Kellerräume angelegt, die eine geheime Verbindung oben mit dem Tempel besitzen, die ich Ihnen nachher zeigen will. Im Jahre 1882 wurde die große Amnestie für alle am indischen Aufstand beteiligt Gewesenen erlassen. Die Fürsten und Begüterten, die bis dahin in der Verborgenheit gelebt hatten, durften zurückkehren und erhielten einen Teil ihres Landbesitzes zurück. So wurde denn auch dieser Tempel wieder leer. Die Inder, die hier Jahrzehnte gewohnt hatten, sahen endlich ihre Heimat wieder.
Das mußte ich über die historische Vergangenheit dieses Bauwerks erwähnen. Nun zur Gegenwart, zu den Ereignissen, die sich hier vor sechs Jahren abspielten.
Ich behaupte hierzu folgendes. – Towler kam von vornherein mit der Absicht nach Kolombo, Sie, lieber Druyter, und Ihre Frau und Tochter hierher zu bringen. Hätten Sie nicht selbst den Wunsch geäußert, Ihre Damen auf die Reise mitzunehmen, dann würde Towler Sie fraglos dazu überredet haben. – Bitte, unterbrechen Sie mich nicht. – Sie langten mit der Jacht hier an. Es war mir nun nach Ihrer Schilderung der Vorgänge sofort klar, daß Towler und der Perlenfischer – beide kannten das Geheimnis des Wasserzugangs zu diesen Räumen – gemeinsame Sache gemacht hatten. Ihre Damen sollten eben verschwinden, aber auf so geheimnisvolle, besondere Art, daß Sie sie für tot halten mußten. Damals abends, als Ihre Damen auf dem Binnensee umherruderten und dann ins Wasser fielen und versanken, muß sich folgendes, unbemerkt von Ihnen, abgespielt haben. Neben dem Boote tauchte der Perlenfischer auf, als es sich hier dicht an der Treppe befand. Mit ihm zusammen war noch ein zweiter Mann durch den Wassereingang von hier aus hinter das Boot gelangt. Die beiden haben Ihre Damen dann ins Wasser gezerrt und hierher gebracht. Daher der Eindruck, als wären die Frauen ertrunken. Der Ruf, den Sie hörten, dieser Abschiedsgruß, kam von Ihrer Gattin. – Nachher hat Towler die Frauen mit Hilfe eines Schiffes weiter entführt, – wohin, das wird sich noch herausstellen, oder besser, – ich weiß es bereits. Die kleine Perlmutterhand ohne Mittelfinger und etwas, das ich hier fand, hat es mir verraten.“
Druyter vermochte sich jetzt nicht mehr zu beherrschen. Er sprang auf.
„Herr Harst, – das kann nicht richtig sein! Ihre Kombinationen stimmen nicht! Bedenken Sie: Bessy und Margrit versanken ohne jeden Hilferuf! Wenn die beiden Inder, der Perlenfischer und der andere, sie aus dem Boote gewaltsam ins Wasser gezerrt hätten, dann würden die Frauen sich doch gewehrt haben! Dann hätten sie um Hilfe gerufen, dann –“
„Halt, lieber Druyter, – ich habe mich etwas unrichtig ausgedrückt. Es war keine Gewaltanwendung nötig. Ihre Damen ließen sich freiwillig entführen –“
Der Kapitän brüllte auf. „Was – freiwillig?! Herr, sind Sie bei Sinnen?! Freiwillig – meine Bessy!“
Harald hatte sich erhoben und seine Rechte ergriffen.
„Lieber Käp’ten, es ist so! Und doch trifft Ihre Frau keine Schuld. Liebe war mit im Spiel – eine besondere Liebe! Das sagte ich ja früher bereits.“
Druyter stand da und schüttelte langsam den Kopf.
„Ich begreife das nicht – nein, ich begreife das nicht,“ murmelte er.
„Sie werden es begreifen. Warten Sie nur ab und – hoffen Sie auf ein frohes Wiedersehen. – Jetzt will ich Ihnen die Geheimtür zeigen, die nach oben führt. Öffnen werden wir sie nicht. Die Sträflinge und die Wächter sind ja im Tempel –“
Nach einer Viertelstunde waren wir wieder an Bord der Padnunna. – Mittags verließen wir die Insel. Die Sträflinge hatte Harst dort gelassen. Wir hatten der Sträflingsbraut Dasy kurz vor der Abfahrt die Fesseln abgenommen, damit sie die anderen losbinden könnte. – „Mag England seine entflohenen Deportierten sich selbst wieder einfangen,“ hatte Harald erklärt.
Harst befahl, daß die Padnunna nach Kalkutta steuern sollte. Was er dort vorhatte, teilte er uns nicht mit.
Fünf Tage dauerte die Reise. In Kalkutta mußte sich Klaas Druyter neu einkleiden.
„Für alle Fälle!“ sagte Harst lächelnd. „Sie wollen doch in Damengesellschaft als Gentleman gut bestehen – auch äußerlich.“
Kein Wunder, daß unser Käp’ten jetzt glaubte, Harald würde ihn direkt zu Frau und Tochter führen.
„Oh – das hat noch einige hundert Meilen Zeit,“ lächelte Harst wieder. „So ganz ohne Schwierigkeiten wird die Hauptrunde unseres Spiels sich nicht erledigen lassen.“
Wir blieben drei Tage in Kalkutta. Harst hatte allerlei Gänge in der Stadt vor, zu denen er uns nicht mitnahm. Dann, am dritten Tage abends, erklärte er, daß wir drei nach Dehli fahren müßten. Talagalla sollte derweil die Jacht hier im Hafen von Kalkutta beaufsichtigen.
Nachts ½12 verläßt der Luxuszug Kalkutta, der bis Allahabad fährt. Von hier hat man sofort Anschluß nach Dehli.
Diese Eisenbahnfahrt irgendwie zu schildern, gehört nicht mit zur Sache. Ebenso brauche ich auf Dehli nicht näher einzugehen. In unseren früheren indischen Abenteuern spielt gerade diese Stadt eine große Rolle.
Wir stiegen in einem kleinen Hotel ab. Wir wollten in keiner Weise auffallen. Auch hier in Dehli ging Harst am ersten Tage dreimal ohne uns aus. Abends gegen 7 Uhr fuhr ein großes Reiseauto vor dem Hotel vor. Harald hatte es für zwei Tage gemietet.
Dann begann eine wundervolle Autotour in die fruchtbare Gangesniederung hinein. Die Engländer verstehen es, Straßen zu bauen. Sie sind eben in allem großzügig. Diese nach Meerut führende Chaussee hatte einen besonderen Autoweg. Es war die reine Rennstraße. Gegen vier Uhr morgens bog der indische Chauffeur nach Norden ab. Die Gegend wurde hügelig. Druyter und ich wußten noch immer nicht, wohin wir mit 90 Kilometer Geschwindigkeit rasten.
Morgens gegen 6 Uhr erreichten wir die Stadt Praschwar, die Residenz des gleichnamigen kleinen Fürstentums. Es war bereits heller Tag. Wir hielten schon in der Vorstadt an einem Unterkunftshause an. Das Auto wurde in den Hof gebracht, und wir nahmen zwei benachbarte Zimmer.
Der Besitzer des recht primitiven Unterkunftshauses war ein Parse, ein Feueranbeter. Die Parsen sind wegen ihrer Redlichkeit in Indien recht beliebt. Ein großer Teil des Handels in den westlichen Provinzen des Riesenreiches liegt in ihren Händen.
Beim Frühstück leistete uns der Parse Gesellschaft. Harald fragte ihn über den Radscha (Fürsten) von Praschwar aus.
„Es ist einer der fanatischsten[13] Hindus,“ erklärte der Parse unter anderem. „Die Fürsten von Praschwar gehören zur Brahmanenkaste der Simdari, der Vierfingerigen. Diese Unterkaste ist die stolzeste, die es gibt.“
Ich horchte auf. Vierfingerig?! – Und ich dachte sofort an die kleine Perlmutterhand.
Wir erfuhren weiter, daß der Radscha zur Zeit in seinem Schlosse östlich der Stadt wohne. Zumeist halte er sich aber in der Burg seiner Ahnen am Praschwar-See, zwanzig Meilen nördlich der Residenz auf.
Um elf Uhr vormittags fuhren Harst und ich im Auto nach dem Schlosse. Harald ließ sich bei dem Radscha melden. Die indischen Fürsten sind sehr gastfrei. Europäer von Ruf – und der Name Harst war ja in Indien bekannt genug – weisen sie nie ab.
Ein Diener führte uns durch prächtige Säle in einen Raum, der ganz europäisch eingerichtet war. Hier saß an einem großen Diplomatenschreibtisch ein langer, hagerer Engländer. Er stellte sich uns als erster Privatsekretär des Fürsten vor. Dieser Mr. Tompsen war außerordentlich wortkarg und gemessen. Wir nahmen Platz und warteten. Dann öffnete sich eine hohe, geschnitzte Tür und der Radscha trat ein, – ein grauhaariger Greis von hohem Wuchs mit stolzem, verschlossenem Gesicht. Er trug den hellen Brahmanenmantel, die weiße Brahmanenschnur um den Hals und vorn an dem seidenen Turban eine Brillantenagraffe, deren Mittelpunkt eine – winzige, vierfingrige Perlmutterhand bildete.
Wir hatten uns erhoben. Der Sekretär stellte uns dem Radscha vor, der uns mit höflichen Worten begrüßte und uns dann durch eine Handbewegung andeutete, uns wieder zu setzen.
Für ihn selbst trugen zwei Diener einen kostbaren Elfenbeinsessel herbei. Der Sekretär Tompsen lehnte abseits an seinem Schreibtisch.
„Hoheit,“ begann Harald nun, ohne eine Anrede von Seiten des Fürsten abzuwarten, „Sie wissen, daß ich aus Liebhaberei Detektiv bin. Durch Zufall habe ich nun von merkwürdigen Vorkommnissen Kenntnis erhalten, die sich auf der Insel Pamban abgespielt haben. Hoheit, Sie haben dort auf Pamban, wie ich in Kalkutta ermittelte, viele Jahre als Flüchtling mit Ihrer Gattin nach dem großen indischen Aufstand gelebt.“
Der Sekretär wurde unruhig. Auch der Radscha konnte eine gewisse Verlegenheit nur schwer bemänteln.
„Nach der großen Amnestie erhielten Sie Ihr Fürstentum zurück,“ fuhr Harst fort. „Im Jahre 1890 weilten Sie dann mit Ihrer einzigen Tochter und Thronerbin mehrere Monate in Dehli. Hier war es, wo ein holländischer Seemann Gelegenheit hatte, Ihrer Tochter Amri einen kleinen Dienst zu erweisen. Bei einem großen Umzuge wurde einer der Baldachin-Elefanten wild und schleuderte Ihre Tochter dem Holländer gerade in die Arme. Er fing sie auf und rettete sie vor schwersten Verletzungen.“
Des Radschas hohe Stirn hatte sich immer mehr in Falten gelegt.
„Was soll das alles, Mr. Harst?“ sagte er jetzt ablehnend. „Ich bedauere, diese Audienz nicht weiter ausdehnen zu können. – Tompsen, führen Sie die Herren hinaus –“
Harald winkte dem Sekretär zu.
„Bemühen Sie sich nicht. Ich gehe von hier fort, wenn ich will.“ Er betonte das „ich“ sehr merklich. „Hoheit, entweder hören Sie mich weiter an,“ wandte er sich in ebenso scharfen Tone an den Radscha, „oder Sie werden wegen Mordes noch heute verhaftet.“
Der Radscha schaute Harst durchdringend an.
„Sie – Sie wagen es, mir zu drohen?!“ sagte er kalt und verächtlich. „Wenn ich es will, verschwinden Sie beide – für immer!“
„Sie unterschätzen mich –“ Mit einem Male hatte Harald seine Repetierpistole in der Hand. „Sobald Sie, Hoheit, oder der Sekretär eine verdächtige Bewegung machen, schieße ich. Sie haben wohl genug über mich in den Zeitungen gelesen. Ich decke mir stets den Rücken. In meinem Hotel in Dehli lagert ein Brief, der an die dortige Polizei abgeht, sofern ich übermorgen nicht wieder in Dehli bin. – So, dies wollte ich Ihnen nur mitteilen, damit Sie keine Torheiten begehen –“
Er schob die Pistole wieder in die Tasche.
„Ich denke, Hoheit, wir unterhandeln als Gentlemen weiter miteinander. Dafür halte ich Sie, obwohl Sie Klaas Druyters Bruder haben ermorden lassen. Dieser Mord war eben ein Irrtum insofern, als Ihre Beauftragten Klaas, und nicht dessen Zwillingsbruder bestrafen sollten. – Doch, erledigen wir alles der Reihe nach.“
Er wandte sich dem Sekretär zu.
„Mr. Tompsen, geben Sie zu, unter dem Namen Towler Frau Druyter, ihren Mann und beider Tochter nach der Andamanen-Insel gelockt zu haben, um Frau und Tochter dort verschwinden zu lassen – auf Befehl des Fürsten?“
Tompsen senkte den Kopf und schwieg.
„Das genügt mir,“ meinte Harst. „Die Sachlage ist also folgende, Hoheit. Druyter hat Ihre einzige Tochter und Thronerbin entführt, geheiratet und zur Christin gemacht. Ihnen als einem Mitglied der Simdari-Kaste war der Gedanke unerträglich, Ihr Kind als Gattin eines Europäers zu wissen. Sie wollten Amri-Bessy um jeden Preis hierher zurückbringen. Frau Druyter merkte, daß sie und ihr Mann von Ihren Leuten verfolgt wurden. Sie veranlaßte Druyter, heimlich und des öfteren den Wohnsitz zu wechseln. Ihre Kreaturen, Hoheit, verloren die Spur des Paares. Da ließen Sie in Holland Nachforschungen anstellen. In Amsterdam fanden Ihre Leute den Zwillingsbruder Druyters verheiratet vor, glaubten, Klaas Druyter hätte sich von seiner indischen Gattin losgesagt, und – ermordeten ihn – mit einer seidenen Brahmanenschnur. Dann kam Ihnen doch die Wahrheit zu Ohren, Hoheit, – daß der Falsche erdrosselt wurde. Sie schickten daher der Witwe Geld zu. Nachher erfuhren Sie dann auch, daß Klaas Druyter jetzt in Kolombo wohnte. Sie schickten Mr. Tompsen aus, damit dieser Ihre Tochter und deren Kind Ihnen wieder zuführe. Auf der Pamban-Insel wurde nun eine von Tompsen-Towler glänzend inszenierte Komödie gespielt. Einer Ihrer Vertrauten, Hoheit, spielte den Perlenfischer, und –“
Der Radscha hatte eine befehlende Handbewegung gemacht.
„Ich war es selbst, Mr. Harst. – Nun gut, Sie haben die Wahrheit an den Tag gebracht. Was verlangen Sie?“
„Daß Druyter mit Frau und Kind wieder vereint wird, Hoheit.“
„Das ist unmöglich –“
„Unmöglich ist nichts. Ich gebe Ihnen zehn Minuten Bedenkzeit. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie Druyter eine Anstellung hier an Ihrem Hofe verleihen können. Dann behalten Sie Ihre Tochter und Ihre Enkelin, und Druyter wird mit den Seinen wieder vereinigt. Weiter mache ich Sie aber auch darauf aufmerksam, daß, falls Druyter hier etwa plötzlich sterben sollte, wenn Sie eben auf meinen Vorschlag eingegangen –“
„Schweigen Sie, Mr. Harst,“ unterbrach ihn der Radscha hoheitsvoll. „Ich bin kein Mörder. – Ich mußte meine Tochter zurückhaben, weil sonst das Fürstentum an die indische Kolonialregierung nach meinem Tode gefallen wäre und – weil ich ein Simdari bin! – Gut denn, Druyter mag mit seiner Frau fernerhin hier zusammenleben. Seine Tochter wird Maharani[14] (Fürstin) von Praschwar werden. Die Ehe zwischen ihm und Amri ist rechtsgültig geschlossen, und Margrit deshalb erbfolgeberechtigt.“
Harald erhob sich und schritt auf den Radscha zu.
„Ich habe Ihr Wort, Hoheit?“
„Ja. Sie haben es erzwungen, aber ich werde es trotzdem halten. Klaas Druyter ist fortan vor aller Welt mein Schwiegersohn.“ Er reichte Harst die Hand.
Harald verbeugte sich.
„Hoheit, ich diene als Detektiv der Gerechtigkeit. Druyter liebt Ihre Tochter über alles. Ich freue mich, ihm das Glück zurückgegeben zu haben.“
„Auch Amri wird sich freuen, Mr. Harst. Sie hat ihren Gatten nie vergessen. – Ich bitte Sie, vorläufig mein Gast zu sein –“
Dann gab der Radscha auch mir die Hand. „Sie sind in diese Einladung eingeschlossen, Mr. Schraut.“ –
Wir ließen es uns nicht nehmen, unseren lieben Dicken selbst aus dem Unterkunftshause nach dem Schlosse zu holen, Zeugen der Wiedersehensfreude zwischen ihm und Frau und Kind waren wir nicht.
Wir erhielten fünf Gemächer und acht Diener zugewiesen. Als wir in unserem Salon dann endlich wieder einmal allein miteinander waren, fragte ich sofort:
„Wie bist Du eigentlich der Wahrheit auf die Spur gekommen, Harald?“
Er antwortete mit einer Gegenfrage:
„Hätte sich Frau Druyter wohl über die Gestalt des Perlenfischers so entsetzen können, daß sie in Ohnmacht fiel, wenn sie den Mann nicht gekannt hätte? – Sieh, mein Alter, hierin und in dem Morde an dem Zwillingsbruder, dessen Witwe Geld von unbekannter Seite erhielt, lag der Hinweis auf die Vergangenheit Frau Druyters als Inderin. Druyter wußte selbst nicht, daß es sich um eine Prinzessin handelte. Aber als er die Perlmutterhand erwähnte, wußte ich Bescheid. Die Simdari-Kaste der Brahmanen hat nur fürstliche Angehörige. Und – in dem doppelten Boden des Elfenbeinbüchschens lag, mit einer dünnen Brahmanenschnur umwickelt, eine genau gleiche Perlmutterhand. Ebenso fand ich in den Kellergewölben des Brahmatempels, eingemeißelt in den Felsen, das Bild einer vierfingrigen linken Hand. Wünschest Du noch nähere Erläuterungen? – Ich denke, der Fall liegt jetzt ganz klar.“ –
Unser Aufenthalt im Schlosse des Radschas von Praschwar brachte uns dann zwei neue Probleme ein, die ich unter dem Gesamttitel „Der leere Koffer“ im nächsten Bande veröffentliche. Schwachnervige Leser möchte ich vor diesem „leeren Koffer“ warnen, obwohl ich mich bemüht habe, durch die Art meiner Schilderung jener zunächst so vollständig unerklärlichen und in ihrer Art einzig dastehenden Verbrechen das Grauenvolle und Abscheuliche nach Möglichkeit abzuschwächen.
Nächster Band:
Verlagswerbung:
Kabels Kriminalbücher |
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Wir gestatten uns, alle Freunde der Harald Harst-Erzählungen darauf hinzuweisen, daß weitere Harst-Abenteuer in Kabels Kriminalbücher erschienen sind. Sie tragen die Titel: |
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Harst-Bände aus der Serie |
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Band |
13: |
Der Klub der Toten. |
In den vorstehenden Bänden werden eine Anzahl der besten und spannendsten Abenteuer Harald Harsts veröffentlicht. Wir können die Freunde unserer „Detektiv“-Erzählungen nur raten, sich diese Bände zu besorgen. Preis des 96 Seiten starken Bandes nur 40 Pfennige. Die vorstehenden Bände aus „Kabels Kriminalbücher“ sind durch jede Buchhandlung zu beziehen, bei Voreinsendung des Betrages (zuzüglich 5 Pfg. für Porto) liefert dieselben auch der Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 26, Elisabethufer 44. |
Anmerkungen: