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Das Auge der Prinzessin Singawatha

 

 

 

Der Detektiv

 

Kriminalerzählungen

von

Walther Kabel.

 

Band: 16

 

Das Auge der Prinzessin Singawatha

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1920 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.
Druck P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 26.

 

1. Kapitel.

Ein Todesurteil.

Alam Bandur, unser liebenswürdiger Wirt in Allahabad, besuchte uns am Morgen nach Warbattys mißglücktem Anschlag auf die Diamanten des Goldschildes des weißen Elefanten ganz überraschend auf unserem Kutter, den er uns als Wohnung zur Verfügung gestellt hatte.

Bandur, ein sehr reicher eingeborener Kaufmann, war durch die Sorge um unsere Sicherheit zu uns getrieben worden. Er hatte in der Morgennummer der Allahabad-Post unser gestriges Abenteuer mit allen Einzelheiten geschildert gefunden und so auch gelesen, daß zwei der verhafteten Mitschuldigen Warbattys zu dem Geheimbunde Putra Rakisana – Schwertbrüder – gehörten, einer Vereinigung von über ganz Indien zerstreuten Verbrechern.

Wir empfingen ihn in der Wohnkajüte. Sofort nach der Begrüßung warnte er Harst sehr eindringlich vor den Schwertbrüdern.

„Sie haben sich die Brüderschaft zu Todfeinden gemacht, Master Harst. Nehmen Sie das nicht leicht. Gerade dieser Geheimbund ist fast noch gefährlicher als die Thugs, die Mördersekte, mit denen die Schwertmänner in engster Verbindung stehen. Glauben Sie mir: Warbatty ist auch nicht im entferntesten trotz all seiner Schlauheit so zu fürchten wie der Putra Rakisana. Ich könnte Ihnen Fälle erzählen, in denen Polizeibeamte in ihrer Wohnung am hellen Tage aus Rache von den Schwertbrüdern ermordet wurden, ohne daß man auch nur die geringste Spur von dem Täter gefunden hätte. – Es gibt gegenüber diesen Leuten nur ein Mittel zur Rettung: Schleunigste Flucht, das heißt, einen unbemerkten Wechsel des Aufenthaltsortes! – So gern ich Sie noch wochenlang als meinen Gast beherbergen möchte, Master Harst, –: In Ihrem und Ihres Freundes Interesse rate ich Ihnen, Allahabad bei Nacht und Nebel zu verlassen! Denn Sie müssen damit rechnen, daß selbst hier auf dem Kutter eine heimtückische Kugel Sie treffen kann, oder daß mitten im Pilgergewühl einer Straße jemand Sie von rückwärts erdolcht und dann in der Menschenmenge blitzschnell untertaucht.“

Er langte in die Tasche und reichte Harst einen großen versiegelten Umschlag, erklärte weiter:

„Dieses Schreiben wurde mir heute früh persönlich für Sie abgegeben, Master Harst. Die Überbringerin war eine verschleierte Mohammedanerin, dem Anzug nach den reicheren Ständen angehörend. Anscheinend eine Frau! In Wahrheit dürfte es wohl ein verkleideter Putra Rakisana gewesen sein. Und der Umschlag mit den dicken Siegeln aus goldenem Zierlack mit dem Bilde zweier über einem Busche kämpfender Adler wird vielleicht – Ihr Todesurteil enthalten. Schon häufiger haben die Schwertbrüder ähnliche, versiegelte Schriftstücke verschickt. Auch der Vorgänger des Detektivinspektors Hamilton mußte hier vor den Schwertbrüdern das Feld räumen und wurde insgeheim unter anderem Namen nach einer anderen Stadt versetzt.“

Harst schnitt bereits den Umschlag auf und zog den einmal gefalteten Briefbogen heraus.

Er las die beiden sehr eng beschriebenen Seiten, nickte dann und meinte:

„Ganz recht! Es ist mein Todesurteil! – Nun, – der Klügere gibt nach. Ich habe hier ja auch nichts mehr zu tun. – Würden Sie mir Ihren Kutter für eine Woche leihen, Master Bandur?“

„Sehr gern. Auch für einen Monat. Leider kann ich Ihnen jedoch meinen Monteur oder Maschinisten nicht mitgeben. Ich brauche ihn für mein Geschäft als Lenker eines Lastautos.“

„Oh, das tut nichts. – Jedenfalls besten Dank. Ich verstehe mit Bootsmotoren sehr gut umzugehen. – Wo lassen wir aber die indische Pilgergesellschaft, die auf dem Vorderdeck haust? Ich möchte die bescheidenen Leutchen nicht gern obdachlos machen.“

Bandur überlegte. „Die könnten ganz gut auf einem meiner Lastkähne unterkommen,“ erklärte er dann.

„Mir fällt ein Stein vom Herzen,“ lächelte Harst. „Die Leutchen wären also untergebracht. – Bitte tun Sie jedoch den Ihrigen gegenüber so, als ob wir nur eine kurze Fahrt heute abend in Ihrer Begleitung unternehmen wollten.“

„Gut – abgemacht! Von mir erfährt niemand etwas über Ihre Abreise und Ihr Reiseziel, Master Harst. Wer die Schwertbrüder kennt, ist dreifach vorsichtig. Und – ich kenne sie! Ich will Ihnen nur eingestehen: ich habe mich vor einem Jahre von ihnen losgekauft. Sie hatten mir Rache geschworen. Ich opferte 25 000 Rupien und wurde sie so für immer los –“

„Ah!“ machte Harst. „Unglaublich! Die Bande nimmt also sozusagen Lösegeld an. – Nun – Sie, Master Bandur, taten klug daran, dergestalt Ihre persönliche Sicherheit sich zu verschaffen. Bei mir liegen die Dinge anders. Ich – fürchte Warbatty als einzelnen doch weit mehr als die Putra Rakisana, – falls ich überhaupt etwas fürchte!“ Er lächelte dazu wieder ohne jede Prahlerei.

In demselben Moment bemerkte ich ein winziges Motorboot, das auf unseren Kutter zuschoß. Darin saß Inspektor Hamilton mit einem Polizeibeamten.

Ich eilte an Deck und führte Hamilton in die Kajüte.

„Master Harst,“ rief er sofort, „wir haben bei der Razzia im unterirdischen Brahmatempel in der verflossenen Nacht großes Glück gehabt. Aber gerade deshalb möchte ich Sie in Ihrem Interesse –“

„Weiß schon!“ nickte Harst, ihn unterbrechend. „Auskneifen soll ich. Wird geschehen – noch heute abend. – Und Sie selbst, der Sie doch auch jetzt nicht gerade bei dem Geheimbunde beliebt sind?“

„Ich – ganz im Vertrauen! – ich – werde morgen nach dem Nordosten versetzt, wo die Putra Rakisana nicht vertreten ist –“ –

Eine halbe Stunde später saßen wir beide wieder allein in der Kajüte. Unsere Gäste hatten uns mit der nochmaligen Mahnung: „Vorsicht – größte Vorsicht!“ verlassen.

„Der gute Bandur will uns natürlich sehr gern lossein, weil er selbst Angst vor den Schwertbrüdern hat,“ meinte Harst, nachdenklich und langsam sich eine Zigarette anzündend. „Er fürchtet ihre Rache, weil er uns beherbergt hat. Nur um ihm nicht Ungelegenheiten zu bereiten, flüchte ich von hier. Außerdem zieht es mich jetzt auch mächtig nach dem berühmten Lucknow hin, wo ja wahrscheinlich Freund Warbatty wieder auftauchen dürfte. Wenigstens ist diese Stadt ja die nächste Etappe seiner verbrecherischen Tour durch Indien, wie wir bereits längst wissen.“

Mich zog es gar nicht nach Lucknow! Gar nicht! Ich hatte hier in Allahabad von dieser Verbrecherjagd wieder einmal über und über genug bekommen. Und aus diesem selben Gefühl – also dem einer gewissen Scheu vor neuen Abenteuern fragte ich nun:

„Wie lautet eigentlich das Todesurteil? Bin ich miterwähnt darin?“

Harst blinzelte mir listig zu.

„Gewiß! – Da lies!“ Er reichte mir den Briefbogen.

Und ich fand darauf folgendes – mein Erstaunen wird jeder begreifen! – in deutscher Sprache:

„Sehr geehrter Herr Harst. Ein Zufall hat mich in den Zeitungen der letzten Monate immer wieder auf Ihren Namen als den des zur Zeit berühmtesten Detektivs aufmerksam gemacht. Ich habe mit wachsender Spannung dann Ihre geradezu verblüffenden Erfolge gelesen, habe schließlich eigentlich nur noch alle möglichen Zeitungen gelesen, nur um wieder auf Ihren Namen zu stoßen. Ihre Erlebnisse in Nagpur sind die letzten, die ich ausführlich geschildert fand. Da entstand urplötzlich in mir der Entschluß, mich Ihnen anzuvertrauen. Ich sagte mir, daß nur Sie mir helfen könnten. Ich werde eine Frau, die mir treu ergeben ist, mit diesem Briefe nach Nagpur senden, damit er schnellstens in Ihren Besitz gelangt.

Sie haben vielleicht schon gemerkt, daß ich eine halbe Landsmännin von Ihnen bin. Von meiner Mutter lernte ich deutsch lesen und schreiben. Ich liebe Deutschland, obwohl ich nie dort war und – falls Sie sich nicht meiner annehmen! – nie dorthin gelangen werde.

Wer ich bin? – Das will ich Ihnen erst sagen, wenn Sie mir Ihre Hilfe bestimmt versprochen haben. Ich muß mißtrauisch sein wie selten ein Weib. Mein goldener Käfig ist umstellt von unterwürfigen Kreaturen des Mannes, den ich lieben müßte und doch nicht lieben kann, – nicht einmal achten kann ich ihn. Es wäre für mich besser gewesen, wenn das Schicksal es mir erspart hätte, Mitwisserin von Geheimnissen zu werden, die mich jetzt – Doch nein! Wenn ich diese Gedanken zu weit ausspinne, könnten Sie mit Ihrem Scharfsinn herausfinden, wer ich bin. Und das darf erst sein, wenn Sie Ihr Wort gegeben haben, mir ein verschwiegener Befreier sein zu wollen.

Das, worum ich Sie bitte, ist mit großen Gefahren verknüpft und verlangt rücksichtslose Preisgabe Ihrer eigenen Person und Ihres Freundes Schraut. Gewiß – die Gefahren können auf ein Mindestmaß zusammenschrumpfen, wenn Sie alle Umstände klug ausnutzen und wenn wir überhaupt Glück haben. Ich verhehle Ihnen jedoch nicht, daß die Möglichkeit weit größer ist, Ihnen könnte bei diesem Vorhaben etwas sehr Ernstliches zustoßen.

Wenn Sie trotzdem bereit sind, für mich einspringen zu wollen, so finden Sie sich am 23. Dezember nachts 12 Uhr in Lucknow unter der Eisenbahnbrücke, mittelster Pfeiler, in einem Boote ein und warten Sie dort auf ein anderes Boot, das als Erkennungszeichen in Zwischenräumen von drei Minuten eine rote und eine grüne Laterne aufblitzen lassen wird.

Nochmals betone ich: Sie tun ein gutes Werk an einem Weibe, das – fliehen muß, wenn es nicht umkommen will.“

Ich ließ den Brief sinken.

„Und – das nennst Du ein Todesurteil?!“ rief ich leise und schaute Harst kopfschüttelnd an.

„Na – ich bitte Dich, lieber Alter, – insofern ist’s vielleicht ein Todesurteil, als die Prinzessin Singawatha –“

„Wer?! Prinzessin Singawatha?!“

„Nun ja. So heißt die Absenderin des Briefes.“

„Ja – aber woher weißt Du denn das?“

„Durch den guten Alam Bandur, lieber Alter. Ich habe ihn, als Du mit dem Inspektor vorhin über Tigerjagden sprachst, ganz unauffällig ausgeholt. Er kennt ganz Lucknow, ist jede Woche dort, da er dort eine Zweigniederlassung besitzt. – Zunächst das – „Todesurteil“ – Sieh mal, ich werde der Prinzessin natürlich helfen, besonders da ich hinter ihrem traurigen Lose noch etwas besonderes wittere. Und – meine „Witterung“ trifft zumeist zu. Ich helfe ihr also und nehme damit Gefahren auf mich, die nicht unbedeutend sind – ohne Frage! Sie können vielleicht für mich schlecht enden; vielleicht – macht man mich stumm dabei für alle Zeiten. Insofern also könnte man von einem unter gewissen Voraussetzungen vollstreckbaren Todesurteil reden –“

„Na – die Begründung dieser Bezeichnung bleibt schwach,“ meinte ich. „Ist ja auch nebensächlich. Die Hauptsache: was ist’s mit dieser Prinzessin?“

„Ich will mich kurz fassen. Wie gut ich Leute auszufragen verstehe und dabei doch den Kernpunkt stets im Dunkeln lasse, ist Dir bekannt. Bandur war spielend leicht auszuhorchen. Er mag ein sehr guter Kaufmann sein. In anderen Dingen ist er gerade kein Genie. – Aus dem Briefe der Prinzessin konnte ich sofort folgendes entnehmen. Erstens: es muß sich um eine Haremsbewohnerin handeln. Sie spricht ja von unterwürfigen Kreaturen, mit denen ihr goldener Käfig umstellt ist. Damit konnte nur ein Harem gemeint sein. – Ich fragte Bandur also, ob er in Lucknow einen mohammedanischen Fürsten kenne, der eine Deutsche zur Frau hätte; mir wäre darüber so einiges zu Ohren gekommen. – Die Antwort erfolgte ganz prompt:

Ja – der Bruder des Radscha von Bukanir, einem indisch-mohammedanischen Vasallenstaate an der Grenze nach Afghanistan, besitzt in Lucknow einen Palast und wohnt dort auch die größte Zeit des Jahres über. Und dieser Prinz, dem die Engländer das Prädikat Hoheit zugestanden haben, weil er es mit ihnen hält und ein Feind der großindischen nationalen Bewegung ist, – dieser Achmed Ibur Dau hat eine Deutsche als Lieblingsfrau gehabt. So lange sie lebte – das alles ist in Lucknow stadtbekannt –, hatte sie so großen Einfluß auf ihn, daß er seine schlechten Instinkte unterdrückte. Als sie bei einer Choleraepidemie starb, machte er aus Verzweiflung einen Selbstmordversuch, wurde jedoch wieder trotz der schweren Brustschußwunde geheilt, gewöhnte sich – für einen Bekenner Mohammeds doppelt verächtlich! – das Trinken und noch andere Laster an. Das Kind dieser Deutschen, die Prinzessin Singawatha, soll, obwohl zuerst der Abgott ihres Vaters, sich mit diesem ganz überworfen haben. Bei dem Palastpersonal, alles fanatischen Mohammedanern, ist sie wenig beliebt. Man sagt ihr nach, sie sei heimlich zum Christentum übergetreten. Man munkelt auch allerlei von einem Mordanschlag auf sie, bei dem sie ein Auge verloren haben soll. Was daran wahr ist, entzieht sich natürlich der allgemeinen Kenntnis. Jedenfalls verläßt die Prinzessin seit etwa sechs Monaten den Harem des Palastes nie mehr, während sie früher, natürlich dicht verschleiert, oft durch die Straßen in einem eleganten Ponygespann fuhr. – Ihre Mutter soll von Mädchenhändlern seiner Zeit nach Indien verschleppt worden sein. Sie hieß in Lucknow nur die wohltätige Fürstin Manokawa. – Dies alles erzählte Bandur mir. Es genügte vollauf. Die Briefschreiberin ist ohne Zweifel die Prinzessin. Du findest in ihrem Briefe Redewendungen, die nur jemand kennt, der das Deutsche vollständig beherrscht. Die Schrift ist etwas kindlich-unbeholfen; trotzdem verrät sie in den dicken Grundstrichen einen gefestigten, energischen Charakter. Aus dem Inhalt wieder kann man auf Aufrichtigkeit und Seelengröße schließen.“

„Freilich – für Dich war das Herausfinden der Absenderin eine Kleinigkeit! – Ob etwa das beim Siegeln des Briefumschlages benutzte Petschaft das Wappen des Prinzen darstellt?“

„Aber – aber Max Schraut! Wo wird Singawatha so töricht gewesen sein, ein so bekanntes Wappen zu benutzen. Nein – Bandur sagte, gerade dieses Petschaft sei Dutzendware und das Bild dadrauf ein beliebiges Phantasieprodukt.“

Wir sprachen dann noch dies und jenes über das unserer in Lucknow wartende Abenteuer, blieben den Tag über an Bord und warfen abends gegen ½10 während eines schweren Gewitters und Platzregens den Motor an.

 

2. Kapitel.

Beinahe erwischt.

Lucknow mit seiner Viertelmillion Einwohner liegt an der Gumti, einem linken Nebenflusse des heiligen Ganges. Wir hätten also mit unserem Kutter einen ungeheuren Umweg machen müssen, um nach Lucknow zu gelangen; nämlich den Ganges abwärts bis Benares und bis zur Einmündung der Gumti, dann diesen Fluß aufwärts bis ans Ziel. Das würde eine Woche vielleicht gedauert haben.

Wir konnten jedoch den Weg sehr erheblich dadurch verkürzen, daß wir den sonst nur für Regierungsfahrzeuge erlaubten Kanal benutzten, den die Engländer nach dem großen Inderaufstand vom Jahre 1857, bei dem in Lucknow allein 3000 Engländer niedergemacht wurden, von Allahabad nach Lucknow bauen ließen, um bei einer neuen Erhebung nicht lediglich auf die Eisenbahn als bequemen Verkehrsweg angewiesen zu sein.

Die Erlaubnis zur Fahrt auf dem Kanal hatte uns Inspektor Hamilton liebenswürdigerweise verschafft. Über diese Reise zu Wasser ließe sich manches Interessante berichten. Ich muß jedoch darauf verzichten, da diese Erzählung sonst zu umfangreich wird. Wir lernten jedenfalls einen großen Teil des Innern des einstigen Königreiches Audh kennen mit seinen zahlreichen Seen, seinen weiten Feldern von Weizen, Reis, Mohn, Zuckerrohr, Indigo, Baumwolle und Tabak. Dieses blühende, fruchtbare Land ist völlig eben. Nur selten findet man noch größere Dschungeln (Buschwildnis) und wilde Tiere, wenn auch der Panther und die Giftschlangen immer noch zahlreich genug sind. Der Tiger ist ausgerottet. Wilde Elefanten gibt es sehr spärlich, dafür desto mehr verwilderte Rinder.

Am Abend des zweiten Reisetages passierten wir die Schleusenanlagen nach der Gumti hin und hatten nun die Riesenstadt Lucknow vor uns. Und dieser Tag war der 22. Dezember. In der folgenden Nacht also sollten wir unter der Eisenbahnbrücke das Boot erwarten.

Der 22. Dezember! Das Weihnachtsfest nahte. Meine erste Weihnacht außerhalb des Vaterlandes. Nun – diesen heiligen Abend werde ich nie vergessen – nie! –

Harst steuerte unseren Kutter, sich nach einem Stadtplan orientierend, in den Polizeihafen hinein, legitimierte sich hier den Beamten gegenüber, bat um die Erlaubnis, hier anlegen zu dürfen, und auch um vollste Verschwiegenheit. – Die Beamten waren sehr zuvorkommend. Obwohl es bereits elf Uhr abends war, erschien sehr bald der Leiter der hiesigen Detektivpolizei, Inspektor Greaper, und lud uns ein, bei ihm zu wohnen. Harst lehnte dankend ab. Er tat so, als ob er es lediglich auf Warbatty abgesehen hätte und erklärte Greaper, wenn wir auf dem Kutter blieben, hätten wir größere Bewegungsfreiheit. Der Inspektor sagte uns jede Hilfe zu, die wir nur wünschten und riet Harst dringend, irgend eine Verkleidung zu wählen, da er hier in Lucknow sehr bald erkannt werden würde. Gestern hätte die Lucknower illustrierte Zeitung drei Bilder Harsts gebracht, die einer ihrer Reporter in Allahabad auf sehr schlaue Art geknipst hatte. Und Harst sei darauf nur zu gut getroffen.

„Na – dann geht’s freilich nicht anders,“ meinte mein Freund und Brotherr schlecht gelaunt. „Diese verdammten Zeitungsspione! – Master Greaper, sorgen Sie nur dafür, daß Ihre Beamten den Mund halten und nicht überall herumbringen, daß ich jetzt hier in Lucknow bin.“

Der Inspektor versprach’s und verabschiedete sich bald.

Ich hoffte, daß wir nun nach der anstrengenden Reise – wir hatten ja nur immer abwechselnd für Stunden schlafen können! – uns einmal ordentlich ausruhen würden. – Vorbeigedacht! – Harst begann seinen Koffer auszupacken, wenigstens die Hälfte, in der alles das lag, was wir zur Maskerade brauchten.

Der Kutter hatte ein kleines Beiboot, das drei Personen tragen konnte. Ich habe dies schon bei unserem vorigen Abenteuer erwähnt. Gegen halb ein Uhr morgens verließen zwei Inder mit langen Bärten den Polizeihafen und ruderten stromabwärts bis zur letzten der vier Brücken, die die Gumti überspannen. Lucknow ist eine sehr weitläufig gebaute Stadt. Fast 1¼ deutsche Meilen zieht sie sich am Flusse entlang.

Die Lage des Palastes des Prinzen Achmed Ibur Dau hatte Harst aus dem Stadtplan ersehen. Wir lenkten bald in einen Nebenfluß der Gumti ein, der das ärmliche, schmutzige Eingeborenenviertel durchfloß. Harst ruderte; ich steuerte. Nachdem wir noch einige Schneidemühlen am Ufer des Flüßchens hinter uns gelassen hatten, tauchte rechts auf einer bewaldeten Anhöhe, deren Fuß eine hohe Mauer umgab, ein burgähnliches, sehr ausgedehntes Gebäude auf.

Wir verbargen das Boot in einer sumpfigen Ausbuchtung des Flusses und schlichen dann einen Pfad entlang, der durch Buschwerk sich bis zur Westseite des Parkes und weiterhin nach einem kleinen Eingeborenendorfe hinzog. Die Parkmauer bestand aus mächtigen Steinblöcken, deren Bindemittel ein rotbrauner, steinhart werdender Flußschlamm war. Es gab jedoch überall genug Risse und Vorsprünge, mit deren Hilfe man hinaufklettern konnte. Harst war auch im Augenblick oben.

„Warte,“ rief er mir leise zu. „Bin ich bei Tagesanbruch nicht zurück, so bleibe auf dem Kutter, bis ich wieder da bin. Ich kann Dir nämlich noch schnell eine kleine Neuigkeit mitteilen: Warbatty hat auch hier seine Hand im Spiele!“

Dann verschwand er von der Mauerkrone. Um mich her tiefe Stille und das Halbdunkel der Tropennacht; in mir aber sehr bald eine nervenverzehrende Unruhe, die sich mit jeder entschwindenden halben Stunde zu ernstester Sorge um meines Freundes Sicherheit steigerte.

Ich hatte mich in die nahen Büsche gesetzt und schaute nur zu oft nach dem Leuchtzifferblatt meiner Uhr.

Und – es wurde im Osten heller und heller. Aus dem Grau der Nacht traten die Umrisse der Türme und Türmchen, der Kuppeln und Dächer der Stadt Lucknow klarer und klarer hervor.

Ich mußte an den Rückweg denken. Schwer genug entschloß ich mich dazu, das kleine Boot wieder flott zu machen und nach dem Polizeihafen und unserem Kutter zu rudern. – „Warbatty hat auch hier seine Hand im Spiele,“ hatte Harst gesagt. Das genügte! Wo Warbatty, da auch allergrößte Gefahr!

Ich kam unbemerkt längsseit des Kutters, kletterte an Deck, nachdem ich die Kette des Bootes an einem Ringe festgeschlossen hatte. Mein Blick fiel zufällig auf das Oberlichtfenster der Wohnkajüte.

Licht da drinnen – Licht! Die Lampe brannte!

Und in der Tür jetzt eine Gestalt.

„Guten Morgen, lieber Alter,“ sagte Harst herzlich. „Du wirst Dich meinetwegen geängstigt haben. Aber ich konnte leider nicht wieder nach der Parkmauer zurück. Dazu war es zu spät geworden, viel zu spät –“

Er drückte mir warm die Hand. –

Wir setzten uns in die Kajüte und er erzählte.

„Ich bin recht enttäuscht,“ begann er. „Ich hatte mir mehr von diesem Ausfluge versprochen. Ich hoffte, ich würde wenigstens –“ – Eine kurze Pause. Ich sah, daß sein Blick ein paar Sekunden auf seinem Koffer ruhte, der rechts von uns an der Wand auf dem Boden stand. Dann hüstelte Harst. „Mir ist doch wahrhaftig eine dieser verdammten Stechmücken in die Kehle geraten,“ fuhr er fort. „Wozu nur dieses Viehzeug da ist. Man müßte hier in der Kajüte dauernd Räucherkerzen brennen, um diese Plagegeister zu verscheuchen. – Ja – also ich hoffte, Warbatty würde uns in einem Boote unauffällig folgen. So wollte ich ihn ins Freie außerhalb der Stadt locken und ihn dort irgendwie überraschen und festnehmen. Du hast wohl gemerkt, lieber Schraut, wie häufig ich scharf hinter uns spähte. Als wir dann auf gut Glück in das Nebenflüßchen eingebogen waren und uns verborgen hatten, um nach einem verdächtigen Boote abermals Ausschau zu halten –“

Was sollte dies?! Wozu erzählte Harst mir hier Dinge, die doch der Wahrheit gar nicht entsprachen?! – Ich fiel ihm jetzt denn auch ins Wort.

„Entschuldige, – aber diese merkwürdigen –“

„Unterbrich mich nicht!“ rief er unliebenswürdig. „Du weißt, wie sehr ich darüber stets ungehalten bin. Ich vertrage das nicht. – Also – ganz recht, diese beiden merkwürdigen Gestalten, die wir dann in der Ferne bemerkten, hätte ich nicht so voreilig für unseren alten Feind und einen seiner Verbündeten halten und ihnen nicht zwecklos nachsetzen sollen. Es war ein Zuviel von Jagdeifer dabei. Wir hätten überhaupt besser diese Nacht zum Schlafen benutzt –“

Er gähnte zwanglos und fügte schnell hinzu, als ich gerade meinerseits nun erklären wollte, ich begriffe nicht recht, weshalb er mir diesen Unsinn auftische:

„Hundemüde bin ich. Gönne mir jetzt ein paar Minuten Ruhe und schweige bitte. Ich bin verteufelt abgespannt – wirklich!“

Ich hatte jetzt das Gefühl, daß hinter seinem sonderbaren Benehmen eine ganz bestimmte Absicht steckte.

Er saß in Hemdärmeln mir gegenüber auf dem kleinen Ledersofa. Ich kenne seine ganze Art und Weise so genau, daß mir auch jetzt auffiel, wie sein Gesicht allmählich den Ausdruck einer bis aufs äußerste gesteigerten Spannung angenommen hatte.

„Wo habe ich nur mein Feuerzeug?“ meinte er jetzt und suchte in den Taschen seiner Beinkleider. „Reich mir doch bitte mal meine Jacke dort vom Stuhl herüber. Auch die Zigaretten befinden sich in der Außentasche –“

Ich wollte mich vorbeugen.

Wollte. – Da kam schon die Überraschung.

Die niedrige Tür nach der Schlafkajüte flog auf. Und auf der Schwelle, in jeder Hand einen Revolver, stand ein kleiner, schmächtiger Eingeborener mit hellem Turban.

„Bitte – keine Bewegung, meine Herren! Diesmal haben wir die Partie gewonnen! Ich schieße sofort, wenn einer von Ihnen auch nur die Nasenspitze rührt –“

An Cecil Warbatty – sein höhnisches Meckern kannte ich nur zu gut! – vorbei drängten sich vier Kerle, vier Hindu, lange, sehnige Burschen. Auf diese Weise war für Sekunden Warbatty das Schußfeld gesperrt.

Harst schnellte hoch. Ein Satz nach der Tür.

Er wäre auch hinausgelangt. Aber Warbatty hatte diesmal an alles nur zu gut gedacht. Harst lief zwei weiteren braunen Halunken gerade in die Arme.

Dann saßen wir mit dünnen, geölten Stricken an Händen und Füßen gefesselt in der Kajüte nebeneinander auf dem Sofa, und uns gegenüber hatte unser Todfeind mit behaglichem Lächeln Platz genommen, während ein Teil seiner Verbündeten den Kutter losmachte, andere wieder den Motor in Gang brachten.

„Alam Bandur hat Sie doch fraglos vor den Schwertbrüdern gewarnt, Herr Harst,“ begann Warbatty und steckte sich eine Mirakulum aus Harsts Silberdose an. „Ich begreife nicht, daß Sie nicht vorsichtiger waren. Sie hätten sich doch sagen müssen, daß es nicht schwer ist, in einen Kutter einzudringen, sich zu verstecken und –“

„– und wer sagt Ihnen, Warbatty, daß ich nicht gemerkt habe, wie es hier um unsere Sicherheit bestellt war?“ fiel ihm Harst ins Wort. „Schraut sollte mir nur deshalb die Jacke reichen, weil ich meinen Revolver in die Hand bekommen wollte. Das Feuerzeug steckt hier in meiner Weste; der Revolver steckte in der Jacke. – Sehen Sie, Warbatty, – die Sache liegt so. Ich hatte mich kaum hier an Bord begeben, kaum die Lampe hier angezündet, als Schraut mit dem Beiboot schon zurückkehrte. Ich gebe zu – ich vergaß darüber, den Schlafraum nebenan zu durchsuchen. Erst als wir uns unterhielten, fiel mir etwas auf, das mich die Gefahr merken ließ, eine Kleinigkeit. Ich wußte nämlich genau, daß ich meinen Koffer dort anders hingestellt hatte, als er jetzt steht, – mit der linken Seite etwas vorgerückt. Und nun steht er parallel zur Bordwand. Mithin mußten während unserer Abwesenheit hier Fremde eingedrungen sein, die den Koffer durchsucht hatten. – Im übrigen ist das alles auch recht gleichgültig. Die Hauptsache: ich habe meinen Zweck erreicht.“

„Was heißt das nun wieder?“ fragte Warbatty mit leisem Argwohn in der Stimme. „Zweck erreicht?! – Soll das nur ein Witz sein?“

„Es ist ein witziger Einfall, kein direkter Witz, Warbatty. – Seit einigen Tagen hatte ich den Entschluß gefaßt, den Kampf gegen Sie unmaskiert weiterzuführen.“

„Ja – ich war erstaunt, als mir gemeldet wurde, daß Sie ganz offen wieder als Harst und Schraut hierher unterwegs waren –“

Die Schraube des Kutters begann zu arbeiten. Der Motor puffte. Das Schwanken des Fahrzeugs zeigte, daß es aus dem Polizeihafen in den Fluß hinausglitt.

„Sie werden sehr bald noch erstaunter sein,“ warf Harst gleichmütig hin.

„Worüber?“ Warbatty wurde noch unruhiger.

„Schauen Sie sich hier mal bitte genauer um –“ Harsts Stimme klang ironisch.

Mein Herz schlug schneller. Ich ahnte irgend etwas voraus, – etwas uns Günstiges.

Warbattys Augen eilten hin und her. Er hatte seine beiden Revolver vor sich auf den Tisch gelegt. Er fühlte sich bisher ganz sicher. Er glaubte nie und nimmer, daß Harst derartiges ausführen könnte, was nun geschah.

Harsts auf dem Rücken gefesselt gewesene Hände schnellten plötzlich nach vorn. Die Stricke fehlten. Die beiden Revolver richteten sich auf Warbatty.

„Sitzen Sie ganz still,“ sagte Harst drohend. „Nicht Sie haben mich diesmal überlistet, sondern ich Sie! – Daß Sie hier irgend etwas gegen mich unternehmen würden, war selbstverständlich –“

Das Motorgeräusch verstummte plötzlich. Laute Stimmen draußen. Dann drei – vier Schüsse. Ein paar schrille Angstrufe.

Warbatty lächelte, verneigte sich.

„Mein Kompliment Herr Harst. Ich begreife jetzt alles. Sie haben den Kutter absichtlich so dicht am Ausgang des Polizeiboothafens am Bollwerk festgemacht, damit wir leichter an Bord könnten. – Wie aber sind Sie Ihre Stricke losgeworden?“

Unter dem Sofa kroch ein kleiner, kräftiger Hindu hervor.

Harst zeigte auf ihn. „Ein Detektiv! Er hat die Fesseln durchgeschnitten. – Und vor dem Polizeihafen lagen zwei Motorboote auf der Lauer –“

Warbatty nickte. „Mein Kompliment nochmals. Es tut mir leid, daß ich nicht gleich abgedrückt habe, als ich dort in der Tür stand. Nun – das nächste Mal!“

Gegen seine kaltblütige Frechheit gab es kein Mittel. – Welch ein Mensch, dachte ich wieder.

Die Treppe zur Kajüte kamen schnelle Schritte herab. Inspektor Greaper trat ein.

„Guten Morgen. – Also das ist der berüchtigte Warbatty. Freue mich sehr –“

Das weitere blieb dem guten Greaper im Munde stecken.

Warbatty hatte mit einem Satz, sich dabei tief bückend, seinen Platz verlassen.

Harst schoß – schoß vorbei.

Warbatty packte Greaper von hinten, schleuderte ihn gegen den Tisch, halb auf Harst herauf. Im Nu war er dann zu der noch offenen Tür hinaus.

Wir jagten hinterdrein.

Revolverschüsse knallten. Die Polizeibeamten hatten dem Flüchtling, der sofort mit Hechtsprung in den Fluß gesaust war, Kugeln nachgeschickt. –

Der erste helle Schimmer des erwachenden Tages lag über dem gelbbraunen Wasser der Gumti, über den Gebäuden, den nahen Parkanlagen des Europäerviertels.

Auf dem Deck unseres Kutters sah ich drei regungslose Körper; drei gefesselte Hindu hockten auf dem Vorderdeck.

Wir suchten nach Warbatty eine halbe Stunde lang. Harst war einer der eifrigsten. Er hatte das kleine Beiboot losgekettet und ruderte hin und her.

Endlich mußten wir’s aufgeben. Der Inspektor fluchte. Harst schwieg, meinte nur: „Jetzt ist die Geschichte gründlich verfahren!“

Unser Kutter wurde darauf mehr im Innern des Hafenbassins vertäut, und zwar an zwei Pfählen etwa zehn Meter vom Bollwerk ab. Greaper verabschiedete sich kleinlaut. Von dem, was wir im Interesse der Prinzessin Singawatha vorhatten, wußte er noch immer nichts.

 

3. Kapitel.

Glasaugen.

Wir waren wieder allein, saßen unter dem Sonnenzelt des Hecks und sprachen über unsere Lage; das heißt: Harst sprach, und ich streute nur selten eine Bemerkung ein.

„Wir haben heute wieder einmal unverschämten Dusel gehabt,“ meinte er. „Tatsache! Daß Warbatty uns entkommen ist, ohne zu merken, daß er entkommen sollte, gehört mit dazu –“

„Aber zu Greaper sagtest Du doch, die Geschichte sei gründlich verfahren –“

„Ja – man sagt so manches. Ich konnte doch nicht gut ihm folgenden Vortrag halten: Herr Inspektor, wir haben Ihnen bisher etwas verheimlicht. Die Prinzessin Singawatha will fliehen, und wir wollen dabei helfen. Außerdem hat Warbatty mit dem Vater der Prinzessin offenbar ein kleines Geschäft vor, das wir stören möchten. Wenn wir Warbatty nun dingfest gemacht hätten, würde sich uns keine Gelegenheit geboten haben, dahinter zu kommen, um was es sich handelt. Und dies herauszufinden ist mehr wert, als Warbattys Verhaftung, denn ich werde ihm bestimmt bei diesem „Geschäft“ abermals eine feine, haltbare Schlinge legen können. – So etwa hätte ich reden müssen. Ich hütete mich. Die Polizei hat mir zu viele Zungen, die leicht mit meinen Geheimnissen durchgehen können. Und dann ist Warbatty gewarnt, der jetzt auch nicht im entferntesten ahnt, daß wir in dieser Nacht Seiner Hoheit dem Prinzen Achmed einen Besuch abgestattet haben. Du wundertest Dich über meine Phantasiegeschichten vorhin. Die tischte ich nur für unseren Cecil auf. Er denkt nun, wir haben es hier lediglich auf ihn abgesehen. Ein Riesenvorteil für uns! Und der zweite: er ist seiner Schwertbrüder-Leibgarde verlustig gegangen. – Die Kerle haben einen bösen Denkzettel bekommen: drei tot, drei verhaftet! Ich hoffe, sie werden hier in Lucknow nur zu sechsen vertreten gewesen sein. Warbatty muß also auf die Helfershelfer verzichten und vielleicht allein arbeiten. – Begreifst Du nun, weshalb ich von Dusel redete?“

„Hm. – Du hattest doch aber für Warbatty diese Falle auf dem Kutter vorbereitet. Und dennoch wäre die Falle gar nicht nötig gewesen –“

„Aber Schraut! Ich sagte doch schon: die Leibgarde sollte weg! Ich dachte, Warbatty würde sich nicht in Person hier einschleichen, sondern nur die braunen Halunken herschicken.“

„Nun verstehe ich!“

„Na also! – Jetzt will ich ganz kurz meine Erlebnisse in dem prinzlichen Parke schildern. Dieser war scharf bewacht. Vier Wächter stellte ich fest. Ein Beweis, daß Seine braune Hoheit mit Fluchtgedanken seiner Tochter rechnet. – Mir lag bei diesem Eindringen in den großen Garten lediglich daran, die Örtlichkeit ein wenig kennen zu lernen. Der Palast selbst muß sehr alt sein. Die Granitquadern sind ja auch wie für die Ewigkeit bestimmt. – Der Harem liegt nach Westen zu in einem Anbau von quadratischer Form. Er hat einen offenen Hofraum; darin ein Gärtchen, einen Springbrunnen und nachts als Wächter drei – Panther, die frei umherstreifen. Ich war nämlich auf das Dach geklettert. Es ist flach. Man kommt bequem an den Ziergittern der Fenster empor. – Von diesem Dache turnte ich auf den Balkon hinüber, der an der Rückseite des Palastes in Höhe des zweiten Stockwerks entlangläuft. Die Fenster des riesigen Gebäudes waren bis auf zwei dunkel. Und diese zwei erleuchteten waren die des ganz europäisch eingerichteten Arbeitszimmers des Prinzen selbst. – Ich habe diese braune Hoheit gesehen. Er war am Schreibtisch bei einer sehr interessanten Arbeit. Er rechnete nämlich offenbar an einem Spielsystem für das Roulette, hatte ein kleines Roulette neben sich stehen und drehte, schrieb, drehte, fluchte, warf den Bleistift hin und – machte sich zum Ausgehen im Nebenzimmer fertig, erschien wieder als sehr bescheiden angezogener Eingeborener und zwang mich so, ihm voraus an die Hauptpforte des Parkes, die nach Osten zu liegt, zu eilen und ihn hier zu erwarten.“

Harst lächelte mich an. „Du hättest in dieser Nacht eine Spielhölle und eine Opiumhöhle, beides in praktischer Vereinigung, kennen gelernt, wenn ich noch Zeit gehabt hätte, Dich von der Westseite der Parkmauer abzuholen. Das war unmöglich. Deshalb genoß ich allein den Vorzug, die Lucknower braune Lebewelt bei Jeu und Opium – natürlich von draußen – in einem äußerlich sehr schäbigen Hause des Eingeborenenviertels bewundern zu können. Zu bewundern war hauptsächlich die abgeklärte Ruhe mit der die Leute ihr Geld verloren. Ich hing draußen an einem langen Feuerhaken, den ich auf einen Fenstervorsprung gestützt hatte. Meiner Schätzung nach muß Seine Hoheit der Prinz Unsummen gewonnen haben. Ich brachte ihm Glück –“

Harst gähnte. „Das wäre alles. – Ich denke, wir gehen jetzt schlafen. Am Tage wird niemand einen Anschlag auf den Kutter wagen. Dort auf dem Bollwerk sitzen zwei Detektive und angeln scheinbar nur. Es ist unsere Schutzwache. Greaper sorgt gut für uns.“ –

Wir schliefen bis gegen Mittag.

Heute war nun der 23. Dezember, – ein Tag vor dem heiligen Abend! Ich erinnerte Harst daran, als wir uns ankleideten.

„Vielleicht verleben wir den Christabend mit der Prinzessin zusammen,“ meinte Harst. „Und zwar hier auf dem Kutter.“ –

Greaper holte uns im Auto nach seinem Bungalow ab. Wir blieben dort bis gegen zehn Uhr. Als wir auf unserem Kutter wieder anlangten, fanden wir zwei Detektive auf dem Deck, die sich nun zurückzogen. Trotz dieser Überwachung durchsuchten wir das Fahrzeug vorsichtshalber vollständig. Dann warf Harst den Motor an. Wir verließen das Hafenbassin und hatten Lucknow eine halbe Stunde später weit hinter uns, bogen nun in einen von hohem Röhricht bedeckten Seitenarm ein, verbargen den Kutter und kehrten im Beiboot nach der Stadt zurück, jetzt ganz sicher, daß Warbatty selbst bei schärfster Wachsamkeit unmöglich wissen konnte, wo wir geblieben waren.

Die Nacht war sternenklar. In der Nähe der Stadt war der Bootverkehr trotz der nächtlichen Stunde recht lebhaft. Die Gumti ist ja auch für größere Dampfer schiffbar, und die Landesprodukte gehen vielfach zu Wasser auf riesigen, flachen Segelfahrzeugen stromabwärts.

Als wir die mittelste Pfeilerreihe der Eisenbahnbrücke erreicht hatten, sahen wir sofort, weshalb die Prinzessin oder doch die dieser ergebene Person gerade diesen Platz als Stelldichein ausgewählt hatte. Es gab hier eine winzige Felsbank, auf der die Pfeiler ruhten, und infolge des flachen Wassers wurden die Durchgänge der Brücke rechts und links von diesen Pfeilern für den Schiffsverkehr nicht benutzt. Wellenbrecher aus Beton, in Halbkreisen gruppiert, sperrten den Zugang und ließen nur kleinere Boote durch. Daher war es hier auch ganz still und einsam.

Wir legten unser winziges Beiboot an einem der Pfeiler fest und warteten, nur zuweilen ein paar Bemerkungen austauschend, der Dinge, die da kommen sollten. Es war jetzt etwa 20 Minuten vor Mitternacht.

Eine nervöse Unruhe bemächtigte sich meiner. Ich wehrte die Gedanken ab, aber sie kehrten immer wieder zurück, verdichteten sich stetig mehr zu dem Verdacht, dieses Stelldichein könnte doch vielleicht eine Falle sein.

Schließlich vermochte ich nicht länger zu schweigen.

„Harald,“ flüsterte ich dem mir auf der zweiten Ruderbank gegenübersitzenden Freunde zu, „hältst Du es für gänzlich ausgeschlossen, daß die Prinzessin etwa mit Warbatty unter einer Decke steckt? – Unser Cecil hat ja leider derartig weitverzweigte Verbindungen, daß man bei ihm auf alles gefaßt sein muß.“

„Lieber Schraut, ich habe Beweise, daß Warbatty nichts mit der Prinzessin zu schaffen hat, wenigstens nicht in dem Sinne, wie Du Dich soeben äußertest.“

„Beweise?! – Dann – hast Du mir auch wieder etwas verschwiegen. Du hast mehr in der verflossenen Nacht erlebt, als Du mir mitteiltest.“

„Vielleicht –“

Ich blickte ihn etwas verstimmt an. „Du fällst abermals in den alten Fehler zurück,“ meinte ich leicht gereizt. „Weshalb vor mir immer wieder dieses Versteckspielen?! Du hast damit, denke ich, schon genug schlechte Erfahrungen gemacht –“

„Aber lieber Alter,“ unterbrach er mich. „Jeder Mensch muß seine kleinen Schwächen haben. Damit wir uns aber nicht heute am Weihnachtsvorabend entzweien, will ich nachgeben. – Seine braune Hoheit der Prinz ging nicht direkt nach der Spiel- und Opiumhöhle, sondern vorher noch zu einem eingeborenen Goldwarenhändler, der dicht am Ufer der Gumti ein kleines, angenehm durch seine Sauberkeit auffallendes Haus nebst Garten besitzt. Ich hatte infolge meiner Frechheit wieder Glück. Die Fenstervorhänge schlossen nicht dicht. So stellte ich fest, daß der Prinz mit einem Europäer verhandelte, der unserem Cecil auffallend glich. Nun – es ist Warbatty gewesen. Er sah sehr würdig aus, spielte offenbar die Rolle irgend eines Gebildeten. Die beiden saßen an einem Tischchen bei einer Petroleumlampe. Freund Cecil zeigte dem Prinzen vier kleine Gegenstände von derselben[1] Form, ovale Dinger in Größe kleiner Pflaumen etwa. Erst wußte ich nicht recht, was es war. Dann erkannte ich – na, rate mal was?“

„Wie soll ich das raten?“

„Oh, denke bitte an das Gerücht, daß die Prinzessin bei einem Anschlag auf ihr Leben ein Auge verloren haben soll.“

„Wie – etwa Glasaugen?“

„Ganz recht: vier Glasaugen legte Warbatty dem Prinzen vor. – Ahnst Du nun, welche Rolle er Achmed Ibur Dau gegenüber spielt?“

„Hm – vielleicht die eines Augenarztes –“

„Ohne Zweifel. Jedenfalls dürfte er die vier Glasaugen in Europa – die Schweiz ist ja berühmt für diese ihre Spezialindustrie – besorgt haben. – Das sogenannte Attentat ereignete sich den[2] Gerüchten nach vor sechs Monaten. Damals war Warbatty bestimmt hier in Indien, wie wir wissen, und hat schon da mit den Vorbereitungen für seine großangelegten Gaunerstreiche begonnen. Seine Bekanntschaft mit dem Prinzen dürfte also vielleicht durch den Verlust des Auges Singawathas vermittelt worden sein – vielleicht! Ich sehe in dieser Beziehung noch nicht ganz klar. Du vielleicht?“

„Ich?! – Wenn ein Harald Harst –“ – Ich schwieg plötzlich. Mein Blick war auf ein Boot gefallen, das ich draußen auf dem Flusse zwischen den Wellenbrechern hindurch bemerkte. Es war klein; und es zeigte ein rotes und ein grünes Licht.

„Das Boot!“ rief ich Harst leise zu. „Dort –“

Er wandte schnell den Kopf. „Wirklich – es ist’s –“

Kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, als sich etwas ereignete, das uns beide für Sekunden geradezu lähmte.

Neben dem Boote tauchte ein zweites, größeres auf. Wir hörten das Puffen eines Motors, hörten zwei Angstschreie, schrill, heiser, sahen die beiden Insassen des kleinen Nachens hochschnellen, vernahmen das Splittern und Krachen von Holz, dann wieder halberstickte Rufe.

Das rote und grüne Licht waren wie weggewischt. Auch das kleinere Boot war verschwunden. Das größere glitt weiter. Die Wellenbrecher entzogen es unseren Blicken.

All das spielte sich so blitzschnell ab, daß das Ganze wie ein Spuk wirkte bei diesem ungewissen Dreivierteldunkel. –

Ich griff nach den Rudern.

„Nein – wir bleiben!“ sagte Harst ruhig. „Es hat keinen Zweck. Es ist besser, man bemerkt uns nicht –“

„Aber – das war doch eben eine geradezu unerhörte Fahrlässigkeit!“ meinte ich empört. „Das Motorboot hat den Nachen überrannt, und man müßte doch wenigstens versuchen –“

„– versuchen, die Sache wieder einzurenken,“ vollendete Harst. „Sehr richtig! Das werden wir auch. – Von Fahrlässigkeit war hier keine Rede. Im Gegenteil. Das Motorboot wollte das Boot rammen. Es fehlt Deinen Augen an der nötigen Übung, lieber Alter, Vorgänge auseinander zu halten, die sich sehr schnell abspielen. Den Leuten in dem Motorboot kam es lediglich darauf an, sich der beiden Insassen des Nachens, offenbar Frauen, ohne Aufsehen zu erregen zu bemächtigen. Sie haben die Frauen an Bord gehoben, bevor das kleine Boot unterging. Ich fürchte, diese Frauen werden die Prinzessin und deren Vertraute gewesen sein. – So, jetzt können auch wir ins offene Wasser hinaus. Ich werde sehr kräftig rudern. Steuere auf dem kürzesten Wege nach dem Nebenflüßchen hin, in dem wir gestern nacht waren –“

Das Beiboot schoß davon. Wenn ein Harst mit seinem trainierten Körper sich in die Riemen legte, dann schaffte es auch. – Zehn Minuten später bereits landeten wir an derselben Stelle wie gestern; und abermals zehn Minuten drauf hatten wir die Mauer des Parkes unweit der Hauptpforte überklettert und huschten in den Büschen um den Palast herum. Dann begann eine für mich geradezu lebensgefährliche Kletterpartie an den Fenstergittern und Mauerverzierungen empor bis zu einem balkonartigen Vorbau des zweiten Stockes. Hier auf dem Balkon duckten wir uns hinter einer Rollwand zusammen. Die Fenster vor uns waren dunkel.

„Seine braune Hoheit wird ohne Zweifel bald erscheinen,“ meinte Harst flüsternd. „Hinten im Park in der Autogarage war noch Licht. Das Auto dürfte die beiden Nacheninsassen hierher zurückgeschafft haben –“

„Also Achmed Ibur Dau hat –“

„Natürlich hat er die beiden Frauen überfallen oder doch überfallen lassen –“

Im gleichen Moment, als Harst dem letzten Worte ein warnendes „Pst!“ folgen ließ, flammten in dem Zimmer vor uns die sechs Birnen einer elektrischen Krone auf.

Die Fenster hatten Seidenvorhänge. Man sah die phantastischen Blumen und Drachen darauf mit scharfen Umrissen gegen diese Lichtfülle sich abheben.

Harst stand auf, schlich an die Tür, die auf den Balkon hinausführte, und winkte mir dann. Die Vorhänge klafften in der Mitte dreifingerbreit. Diese Spalte genügte, den Raum überblicken zu können.

In einem altertümlichen, geschnitzten Sessel mit überreichen Elfenbeinverzierungen saß ein junges Weib in einem dunklen, seidenen Mantel. Um das blonde Haar war ein dunkler Schleier geknotet. Das linke Auge aber hatte eine schwarze Augenklappe, deren Bändsel über Stirn und Wange hinliefen.

Rechts von dem Mädchen lehnte an einem mit Büchern und Zeitschriften bedeckten Tisch ein schlanker, elegant gekleideter Hindu. Der dunkle Jackenanzug, der blendend weiße Kragen, die Krawatte mit großer Perle als Nadel, das gescheitelte, leicht ergraute Haar, das von einem gleichfalls bereits weißlich schimmernden Spitzbart umrahmte Gesicht, die hellbraune Hautfarbe des schmalen, länglichen Antlitzes und die großen, schwarzen Augen darin gaben ein vollkommenes Bild von einem jener modernen indischen Nabobs, die zu Dutzenden besonders gern ihre Millionen in dem leichtlebigen Paris verprassen.

Alles in allem war der Prinz Achmed – denn er konnte es ja nur sein, eine nicht gerade unsympathische Erscheinung. Sehr sympathisch dagegen wirkte auf mich das Mädchen. Trotz der entstellenden Augenklappe erkannte man sofort den zarten Liebreiz dieses Gesichts, in dem nur der Mund und das Kinn insofern den Eindruck holdester Weiblichkeit verwischten, als beide einen überaus zielbewußten Charakter fast zu stark ausprägten. Die Lippen waren schmal und bildeten jetzt nur eine gerade, rote Linie, so fest waren sie aufeinander gepreßt.

„Singawatha,“ flüsterte Harst. „Man sieht es ihrer Hautfarbe an, daß ihre Mutter eine Deutsche war.“

 

4. Kapitel.

Prinz Achmed Ibur Dau.

Bisher hatten wir aus dem Zimmer keinen Laut vernommen.

Jetzt aber rief der Prinz strengen Tones:

„Ich befehle Dir – antworte! Was sollten die beiden farbigen Laternen?“

Er sprach das Englische fehlerfrei und fließend.

Seine blonde Tochter hob den bis dahin leicht gesenkten Kopf.

„Du weißt, daß ich mir nichts befehlen lasse, – nichts und von niemandem! Du hast das Recht längst verwirkt, als Vater von mir Gehorsam verlangen zu dürfen –“ Ihre schlanken Hände hatten sich in heftiger Erregung nach ihm ausgestreckt. „Gib mich frei! Nochmals bitte ich Dich darum! Ich habe von meiner Mutter deutsch fühlen und denken, an einen dreieinigen Christengott glauben gelernt. Nichts verbindet mich mehr mit diesem Hause, diesem Lande! Ich will keine Gefangene sein wie all diese armen Geschöpfe, die Ihr, ob Frauen ob Mädchen, in Eure Harems einsperrt, die dort aus Langerweile geistestötendem Grübeln verfallen, die Ihr geistig mordet –“

Der Prinz zuckte die Achseln.

„All das habe ich so oft von Dir gehört, daß ich nicht mehr zu versuchen brauche, Dir klar zu machen, weshalb ich nie – niemals dulden kann und werde, daß Achmed Ibur Daus Tochter als Abtrünnige der Lehre des Propheten in die Fremde zieht!“ Seine Stimme schwoll mit jedem Worte an. „Niemals wirst Du dieses Haus verlassen – verstehst Du mich?! Ich werde Deinen Trotz zu brechen wissen, werde die Verräterin Suleimah und Dich so festhalten, daß ein Entweichen fernerhin unmöglich! Vor den Toren meines Palastes, vor dem Eingang meines Harems macht auch die englische Polizei, die Allah wie sämtliche Engländer verderben möge, respektvoll halt! – Ich warne Dich zum letzten Male, Singawatha. Willst Du mir sagen, weshalb Ihr beide vor anderthalb Stunden –“

Eine kurze Handbewegung der Prinzessin hieß ihn schweigen. Sie erhob sich, trat dicht auf ihn zu.

„Du hast meine Mutter über alles geliebt. Das weiß ich,“ sagte sie eindringlich. „Auch mich hast Du bis vor jenem unseligen Abend geradezu auf Händen getragen. – Vater – beim Andenken meiner Mutter flehe ich Dich an: gib mir die Freiheit – laß mich hinüber nach Deutschland, wo die wohnen, die mich freudig aufnehmen werden, wenn sie auch bettelarm sind, – eben die Verwandten meiner Mutter –“

Achmed Ibur Dau hatte plötzlich die Linke wie schützend über die Augen gelegt.

Sekunden verrannen. Dann ließ er die Hand sinken. Und seine Stimme war hart und liebeleer, als er seiner Tochter zurief:

„Niemals! Niemals! – Du wirst bleiben, wo Du bist. Deine Zukunft kennst Du. Der Maharadscha von Alwar will Dir die Ehre erweisen, Dich zu seiner Gattin zu erheben. Sobald der Doktor Paresquieux den Verlust des Auges ausgeglichen hat, und das wird übermorgen vormittag geschehen, erfolgt meine Benachrichtigung an den Fürsten, daß der Hochzeit nichts mehr im Wege steht –“

Singawatha kehrte langsam zu dem Sessel zurück, setzte sich, spielte nervös mit einem blitzenden Armband an ihrem linken Handgelenk.

Eine Weile drückendes Schweigen. Dann der Prinzessin helle, klare, feste Stimme:

„Ich werde nie des Maharadschas Weib werden – niemals! – Ich warne Dich! Denn nur aus Angst vor den Miteingeweihten Eurer politischen Verschwörung ist Dein Herz zu Stein mir gegenüber geworden. Meinst Du, ich weiß nicht, weshalb Du vorhin Deine Augen bedecktest?! – Wer die Mutter so über alles geliebt hat wie Du die meine, der kann das Unglück seines Kindes nur wollen, weil er – dazu gezwungen wird!“

Achmed Ibur Dau hatte die Arme über der Brust verschränkt. Fast feierlich sagte er nun:

„Über der Liebe, selbst der größten, steht das Vaterland, steht die Freiheit von Millionen! Wer Achmed Ibur Dau aus dem alten Königsgeschlecht der Tallabisser einen Feigling nennt, kennt ihn schlecht. – Was sollte das rote und grüne Licht, Singawatha? – Sprich! Zwinge mich nicht dazu, Dich bis zur Ankunft des Maharadschas wie eine Verbrecherin dort einsperren zu lassen, von wo Suleimah nie wieder –“

Die Prinzessin schnellte hoch. „Wollt Ihr sie erdrosseln, stumm machen?“ keuchte sie, und ihre Gestalt flog wie im Schüttelfrost. „Wollt Ihr sogar vor einem Morde nicht zurückschrecken, Ihr erbarmungslosen Sklavenhalter, die Ihr auf Grund Eurer aberwitzigen, veralteten Religion Euch anmaßt, jedes Weib nach Eurem Belieben knechten zu können! Ich warne Dich! Hörst Du – ich warne Dich!“

Ihre Erregung schwand urplötzlich. Sie lachte kurz auf. „Ja – laß mich nur einsperren! Ich kenne die Kellerräume! Dort wird so mancher Weiberseufzer ungehört verhallt sein. Tu’s doch! Rufe Deine Diener, Deine Mitwisser, Deine Wächter, Deine Herren!“

Achmed Ibur Daus dunkle Augen musterten die Tochter jetzt mißtrauisch.

„Was soll dieses lächerliche: „Ich warne Dich!“?! Was soll’s? Glaubst Du, Du könntest mich schrecken durch derlei billige Redensarten?!“

„Oh – ich habe Dich schon erschreckt! Ich sehe es Dir an. – Vater, uns trennt eine unüberbrückbare Kluft,“ fügte sie weich hinzu. „Vater – sorge, daß die erstorbene Kindesliebe sich nicht noch in Haß verwandelt –“

Der Prinz wandte sich kurz um, nahm eine Zeitung vom Tische auf.

„Geh!“ sagte er befehlend. „Ich will Dir bis morgen vormittag Zeit gewähren, Dich auf Deine Pflicht als Mohammedanerin zu besinnen –“

Singawatha schritt zur Tür. –

Der Prinz war allein. Er begann unruhig das Gemach zu durchqueren. Dann drückte er auf den Knopf des Haustelegraphen.

Ein Diener trat ein, verneigte sich tief.

„Ich brauche Dich nicht mehr, Hassan. Bestelle dem Hausmeister, daß die Prinzessin vorläufig im Harem bleibt.“ – Der Prinz hatte sich der Landessprache bedient. Harst hat mir später diese Sätze deutsch wiederholt.

Der Diener blieb aufgerichtet stehen.

„Und Suleimah?“ fragte er.

„Ja doch – bringt sie hinab,“ rief der Prinz gereizt.

Hassan verbeugte sich und verschwand.

„Sehr vielsagend!“ flüsterte Harst mir zu. „Diese soeben belauschten Szenen haben mir nun auch das Letzte klar gemacht. Wir werden uns erlauben, Seiner Hoheit einen Besuch abzustatten –“

Er richtete sich auf, pochte an die Scheibe der Balkontür.

Der Prinz schlug den Vorhang zurück. Das Licht der Krone fiel voll auf den schwarzbärtigen Inder, der so echt aussah und doch ein Deutscher war.

Die Tür ging auf.

„Wer bist Du?“ fragte Achmed Ibur Dau, und seine Haltung und Stimme bewiesen, daß ihm Furcht völlig fremd.

Dann bemerkte er mich, wollte mit einem Satze zurück ins Zimmer. Aber Harst hielt ihm schon den Revolver vor das Gesicht.

„Staatspolizei!“ flüsterte er. „Keine Bewegung ohne meine Erlaubnis, Hoheit! Ihr Palast ist völlig umzingelt –“

Der Prinz wurde aschgrau im Gesicht.

Harst deutete auf den Sessel. „Nehmen Sie Platz, Hoheit. Wir haben einiges zu besprechen –“

Ich schloß die Tür und die Vorhänge, verriegelte auf Harsts Wink auch die beiden anderen Türen.

Wir setzten uns dem Prinzen gegenüber auf zwei gepolsterte Elfenbeinhocker.

„Hoheit, ich habe vorhin gelogen,“ begann Harst, den Revolver auf den Schenkel stützend. „Wir sind nicht Beamte der Staatspolizei. Ihr Palast ist auch nicht umstellt. Ich bin der deutsche Privatdetektiv Harald Harst. Das dort ist mein Freund Schraut. Vielleicht haben Sie schon von uns gehört?“

„Genug, um auch bestimmt zu wissen, daß Sie mich und meine Tochter belauscht haben,“ meinte Achmed gelassen und nahm eine noch zwanglosere Haltung ein. „Weshalb dieser Überfall, Master Harst?“

Er schlug ein Bein über das andere, fuhr fort: „Wollen Sie sich nicht lieber als meine Gäste betrachten, Master Harst? – Ich habe seit Stunden nicht geraucht. Bitte – vielleicht reicht Master Schraut mir dort das Glaskästchen herüber –“

Da Harst mir zunickte, holte ich es von dem Rauchtischchen. Der Prinz hielt es uns entgegen.

„Bitte – bedienen die Herren sich. Die Höflichkeit verbietet mir, eine Zigarette zu genießen, wenn meine Gäste nicht dasselbe tun –“

Harst lehnte nicht ab, sagte jedoch: „Hoheit, ich komme in einer Angelegenheit zu Ihnen, die sich vielleicht nicht ohne eine gewisse Zwangsausübung meinerseits erledigen läßt –“

„Oh – ein Harald Harst vertritt stets nur die Sache des Rechts,“ lächelte der Prinz liebenswürdig.

Wir rauchten die ersten Züge schweigend. Ich merkte Harst an, daß die Höflichkeit Seiner braunen Hoheit ihm nicht recht angenehm war. Er hätte lieber in anderem Tone mit ihm verhandelt.

„Sie haben die Hilfe eines gewissen Doktor Paresquieux in Anspruch genommen, Hoheit, um Ihrer Tochter ein Glasauge einsetzen zu lassen,“ begann Harst wieder. „Sie kennen diesen Doktor seit einem halben Jahre etwa, nicht wahr?“

Der Prinz nickte. „Eine Zufallsbekanntschaft, Master Harst. Der französische Arzt wurde mir hier in einem Spielklub vorgestellt, besser, er ließ sich mir vorstellen, und im Laufe der Unterhaltung kam das Gespräch auf den künstlichen und künstlerischen Ersatz menschlicher Augen. Da nun Singawatha dem Maharadscha – Sie haben auch das wohl erlauscht – nicht gut einäugig als Gattin zugeführt werden konnte, war es mir sehr lieb, daß –“

„Danke. Ich verstehe. Der Maharadscha sollte nicht ahnen, daß die Prinzessin das linke Auge eingebüßt hatte. Deshalb hielten Sie, Hoheit, Ihre Verbindung mit dem Doktor auch geheim und trafen in der verflossenen Nacht mit ihm bei dem Goldschmied, der unten am Flusse wohnt, zusammen. – Hoheit, haben Sie mal in den Zeitungen von jenem Verbrecher gelesen, dem – ich –“

Ich weiß nicht, ob Harst plötzlich die Worte wirklich so schwer über die Zunge kamen oder ob die Ohnmachtsanwandlung, die mich mit einem Male kraftlos von meinem Hocker gleiten ließ, an einer Gehörstörung schuld war. Ich lag jedenfalls auf dem Teppich, suchte mich umsonst wieder aufzuraffen.

Dann ein ironisches Lachen und die lauten Sätze: „Ja – meine Zigaretten sind etwas sehr schwer! Man dringt nicht ungestraft bei Achmed Ibur Dau ein!“ – Das war das Letzte, was meine Sinne begriffen.

Ich verlor die Besinnung.

 

5. Kapitel.

Der Augenarzt.

Tiefste Finsternis ringsum; muffiger Kellergeruch; feuchtkalte Luft.

Das waren dann die ersten Eindrücke, als ich zu mir kam. – Ich lag auf einem Haufen Stroh. Das Stroh raschelte, als ich mich aufrichtete. Ich war nicht gefesselt.

Und nun dicht neben mir Harsts Stimme:

„Lieber Alter – ein schlechter Weihnachtsabend! – Ja – Du bist volle siebzehn Stunden bewußtlos gewesen. Diese Inder sind doch geriebene Kerle. Auch ich fiel auf die Zigaretten hinein. Das Gift, mit dem der Tabak getränkt war, muß ein wahres Teufelszeug gewesen sein. Ganz plötzlich schwanden mir die Sinne. – Still. Man kommt. Ich bin seit vier Stunden wach. Der erste Besuch –“

Lautlos ging eine schwere, eiserne Tür auf; blendende Helle dreier Laternen bestrahlte unseren kahlen Kerker, die schimmligen Steinquadern.

Der Prinz hieß die beiden Diener vor der Tür warten. Er lehnte sich an die Mauer uns gegenüber und begann mit eisiger Höflichkeit das Verhör. Er wollte wissen, ob und wie seine Tochter sich mit uns in Verbindung gesetzt hätte. – Harst erwiderte:

„Hoheit, wir können diese Unterredung schnell beenden. Bevor wir gestern nacht von unserem Motorkutter aus aufbrachen, der keinen Liegeplatz im Polizeihafen hat, vereinbarte ich mit Detektivinspektor Greaper, daß, falls wir innerhalb 24 Stunden nicht zurück seien, er durch seine Beamten und durch Militär Ihren Palast umzingeln und dann durchsuchen sollte. Diese 24 Stunden sind sehr bald um. – Ich weiß nun nicht, ob es Ihnen gleichgültig ist, wenn Sie und alle männlichen Insassen Ihres Hauses sowie unzählige andere Mohammedaner, die gleichfalls in das Komplott gegen die englisch-indische Herrschaft eingeweiht sind, ins Zuchthaus oder an den Galgen wandern. Das Komplott besteht. Ich besitze die Beweise. Diese Beweise übergab ich Inspektor Greaper im versiegelten Umschlag mit der Weisung, den Umschlag im Falle meines Todes oder Verschwindens zu öffnen. – Hoheit – ich bin Deutscher, und Ihre Verschwörungen hier gehen mich nichts an. Von mir haben Sie keinen Verrat zu fürchten. Mein Wort darauf. – Natürlich müssen Sie uns beiden sofort die Freiheit wiedergeben und ebenso die Prinzessin und deren Dienerin Suleimah unbelästigt[3] nach Deutschland reisen lassen. Gehen Sie auf diese Bedingungen nicht ein, so muß ich leider – nun, ich brauche wohl nicht deutlicher zu werden –“

Der Prinz entgegnete nichts, stand regungslos. Dann schritt er hinaus. Die Tür fiel zu. Wir waren im Dunkeln.

„Fein gelogen, wie?!“ meinte Harst. „Greaper weiß von nichts. Der Umschlag mit den Beweisen ist frei erfunden. Trotzdem wird der Weihnachtsabend vergnügter enden, als er anfing. Wetten?“

Ich lehnte die Wette ab. Ich hätte sie verloren. Bereits nach zehn Minuten erschienen zwei Diener und führten uns sehr höflich durch endlose Kellergänge, über endlose Treppen, dann durch strahlend helle, läuferbelegte Flure in Seiner Hoheit Arbeitszimmer, wo dieser uns erwartete. –

Harst eilte dann – zum Schein! – in einem Auto des Prinzen alsbald zur Stadt, um – angeblich – Greaper zu melden, daß es uns gut gehe. Er fuhr auch nach der Polizeidirektion, kam nach einer halben Stunde in demselben Auto wieder zurück und gerade zur rechten Zeit, um dem Souper alle Ehre antun zu können, das uns drei dann im Speisesaale vereinigte. Der Prinz hatte seinen Dienern strengste Verschwiegenheit über unsere Anwesenheit im Palaste befehlen müssen, damit der Doktor Paresquieux nicht etwa vorzeitig gewarnt würde. Er wurde nun bei Tisch, bei unserer Weihnachtsfeier, zunächst von Harst gebeten, zu berichten, wo und in welcher Weise Paresquieux der Prinzessin, ohne daß jemand hiervon erführe, das Glasauge einpassen wolle.

„Der Doktor soll,“ so teilte der Prinz jetzt mit, „morgen vormittag sich hier einfinden. In meinem Arbeitszimmer wollte er Singawatha dann –“

„Das genügt, Hoheit. – Wir werden morgen von einem Versteck aus diesen Schurken beobachten, und dann werden Sie erkennen, daß Ihr und Ihrer Tochter Leben in ernstester Gefahr schwebte.“ –

Ich will hier unseren Weihnachtsabend im Palaste des Prinzen Achmed Ibur Dau in Lucknow nicht näher schildern. Es wurde ein sehr heiterer Abend, an dem nachher auch die verschleierte Prinzessin teilnahm und mit uns in deutscher Sprache plauderte. Singawatha war in der Tat ein Wesen von seltener Energie. – Wir erfuhren nun auch die näheren Umstände, wie sie das Auge eingebüßt hatte. Der Prinz vertraute unserer Verschwiegenheit vollkommen. Die Prinzessin hatte bereits vor etwa sechs Monaten einen Fluchtversuch gemacht und sich hierbei auf ihre Kenntnis der unterirdischen Räume des Schlosses verlassen, von denen aus ein gemauerter Gang nach einer Schlucht nordwestlich von der Parkmauer führte. Als sie ganz allein als Mann verkleidet die Tür zu dem größten der Kellergelasse öffnete, war sie unversehens in eine Versammlung der Führer der Verschworenen geraten und sofort von einem dieser Leute, die sie für einen Spion hielten, durch einen Revolverschuß, der das linke Auge und die Nasenwurzel streifte, niedergestreckt worden. Seitdem wurde sie im Harem überaus scharf bewacht. Es gelang ihr dann aber, sowohl den Brief an Harst zu schreiben und befördern zu lassen, als auch in der Nacht zusammen mit ihrer Jugendgespielin und Dienerin Suleimah abermals zu fliehen, während sie ursprünglich nur beabsichtigt hatte, Suleimah zu dem Stelldichein unter der Brücke zu senden. Ihr Entweichen war bemerkt worden, und es hatte sich dann auf dem Flusse die von uns beobachtete und von Harst sofort richtig gedeutete Szene abgespielt.

Erwähnen will ich noch, daß es Harst gelang, eine Aussöhnung zwischen Vater und Tochter herbeizuführen. Dies mag genügen. –

Dann kam am nächsten Vormittag der eigentliche Höhepunkt dieses unseres Abenteuers in Lucknow. Wir hatten die Nacht im Palaste zugebracht. Um zehn Uhr vormittags standen wir in einem leer gemachten, großen Bücherschrank, dessen mit Seidenvorhängen versehene Türen nur angelehnt waren. Wir konnten durch die Vorhänge das Arbeitszimmer des Prinzen vollständig überblicken.

Kurz nach zehn wurde Doktor Paresquieux dem Prinzen gemeldet. Die Prinzessin befand sich im Nebenzimmer. – Warbatty als eleganter, geschmeidiger Arzt trat sehr sicher auf. Er war es, denn – der linke Zeigefinger fehlte.

Singawatha erschien. Warbatty-Paresquieux hatte die vier Glasaugen nebst allerlei Fläschchen und Instrumenten auf den Mitteltisch gelegt. Er untersuchte die leere Augenhöhle, meinte dann zu Achmed Ibur Dau, er müsse die Prinzessin leicht chloroformieren. – Singawatha mußte sich auf einen Diwan legen. Harst gab genau acht, was der Schurke tat, der jetzt die feuchte Chloroformmaske der Prinzessin auf das Gesicht drückte, wobei er mit dem Rücken nach uns stand.

Harst stieß die Schranktüren auf. Lautlos waren wir im Nu hinter Warbatty, packten seine Arme, während Harst mit der einen Hand die Maske fortstieß. Der Prinz half uns, den Verbrecher zu fesseln, der auch heute jene überlegene Ruhe bewahrte, die ihn stets auszeichnete.

„Ah, – das hatte ich nicht vermutet,“ meinte Warbatty mit einem feinen Lächeln. „Sie sind in der Tat ein sehr unangenehmer Störenfried, Master Harst. Ich wollte hier einmal ein gutes Werk tun, und –“

„Ja – Sie wollten nebenbei aber auch,“ unterbrach Harst Warbatty, „und das war Ihnen die Hauptsache! jenen in die Wand halb eingelassenen Stahlschrank ausplündern. Ihre Absichten wurden mir klar, als der Prinz erwähnte, das Einfügen des Glasauges sollte hier stattfinden – hier, wo Sie mit Vater und Tochter allein sein würden, wo Sie erst die Prinzessin und dann auch den Prinzen wehrlos machen konnten.“ Harst öffnete die Handtasche, die Warbatty mitgebracht hatte, entnahm ihr ein Paket allerfeinste, moderne Einbrecherwerkzeuge. „Da – Sie haben für den Fall, daß der Prinz die Schlüssel zu dem Stahlschrank[4] nicht bei sich haben sollte und Sie diese auch nicht finden könnten, den veralteten Tresor erbrechen wollen. Sie vermuteten darin die Juwelen, auf die allein Sie es abgesehen hatten. Es ist ja allgemein bekannt, daß der Prinz Familienkleinodien im Werte von vielen Millionen besitzt. Ich nehme weiter wohl mit Recht an, daß Sie schon vor sechs Monaten wußten, wo diese Kleinodien zu finden waren. Da die Juwelen jedoch wegen der zahlreichen Dienerschaft hier im Palast und wegen der nächtlichen Wachen im Parke anders nicht für Sie erreichbar waren, boten Sie sich dem Prinzen als Arzt an, versprachen, das Auge so tadellos zu ersetzen, daß die Prinzessin in keiner Weise entstellt bliebe.“

Warbatty nickte. „Ich leugne nicht, daß Ihre Mutmaßungen richtig sind, Master Harst. Ohne Ihr Eingreifen wäre mein Plan auch fraglos geglückt. Den Prinzen irgendwie unschädlich zu machen, wäre ein leichtes gewesen. Und bevor die Wahrheit an den Tag gekommen wäre, hätte ich mich längst in Sicherheit gebracht. Schade, daß Sie mir immer meine am sorgfältigsten vorbereiteten Tricks verderben. Nun – es ist ja noch nicht aller Tage Abend.“ –

Warbatty wurde von der Polizei abgeholt. Prinz Achmed hatte nun erkannt, daß Harst ihn in der Tat vor einer sehr großen Gefahr bewahrt hatte. Es unterlag ja keinem Zweifel, daß der Mann, dem Menschenleben ein Nichts galten, auch ihn kaltblütig ermordet hätte, schon deshalb, um seine Verfolgung zu erschweren. Und ebenso bestimmt erklärte Harst, daß Warbatty die Chloroformnarkose der Prinzessin absichtlich bis zu einem Todesschlaf fortgesetzt hätte. –

Singawatha ließ sich durch einen englischen Arzt das passende Auge einfügen und reiste dann in Begleitung Suleimahs, von ihrem Vater überreich mit Geldmitteln versehen, in aller Stille nach Deutschland. Wir haben sie später in Wiesbaden besucht, wo sie inzwischen die glückliche Gattin eines deutschen Rechtsanwalts geworden war. – Prinz Achmed verunglückte zwei Monate später bei einer Autotour, wurde in einen Abgrund geschleudert. Harst hatte über diesen Unfall seine besonderen Gedanken. „Der arme Achmed hat sich durch die Nachgiebigkeit seinem Kinde gegenüber fraglos den Haß seiner Mitverschworenen[5] zugezogen. Vielleicht ist dieser Unfall kein Unfall, sondern –!“ – Ich verstand, was er meinte. –

Und Cecil Warbatty?

Die Geschichte von dessen raffinierter Flucht mit Hilfe der Schwertbrüder kann ich in dieser Erzählung nicht mehr schildern. Der Leser findet sie zu Anfang unseres folgenden Abenteuers.

 

 

Der Kammerdiener des Maharadschas.

 

1. Kapitel.

In Warbattys Zelle.

Cecil Warbatty saß im Gefängnis von Lucknow als Untersuchungsgefangener.

Das Unwahrscheinliche war Tatsache geworden: Harst hatte seinen Gegner nun endgültig besiegt!

Aber – Harst traute der Zelle ebensowenig wie den Gefängniswärtern, obwohl das große Zentralgefängnis erst wenige Jahre stand, ganz modern eingerichtet und das Personal nach Inspektor Greapers Angaben alterprobt war.

Harst hatte sich die Zelle vorsichtshalber selbst angesehen und zwar gleich am Nachmittag, der der Gefangennahme Warbattys folgte. Gegen fünf Uhr geleitete Greaper uns wie verabredet in den Riesenbau, der jeder europäischen Metropole Ehre gemacht hätte. Der Inspektor war offenbar auch sehr stolz auf diese modernste Errungenschaft Lucknows, zeigte uns beim Durchschreiten der weiten Gänge und Stockwerke dies und jenes, was ihm besonders praktisch dünkte, und meinte wiederholt lächelnd:

„Verehrtester Master Harst – von hier rückt niemand aus! Niemand! Sechs Jahre wird das Zentralgefängnis jetzt benutzt. Und noch nicht ein einziger Gefangener ist von hier entwichen – noch nicht einer!“ – So oder so ähnlich lauteten seine Sätze stets, mit denen er Harsts Besorgnis, Warbatty könnte irgendwie ausbrechen, zu beschwichtigen suchte.

Der Wärter, ein Hindu, öffnete uns die Zelle Nr. 9 im Flügel für Untersuchungsgefangene.

Trübe Erinnerungen tauchten in mir auf. War ich doch selbst einer von denen gewesen, die der bürgerlichen Gesellschaft den harmlosen Kleinkrieg erklärt hatten und dafür eingesperrt worden waren. Wenn ich auch nur als Taschendieb mich betätigt hatte, nachdem ich die Schmierenschauspielerei wegen allzu starken, ständigen Hungers aufgegeben, – ich blieb ein Gezeichneter! Gewiß – all das lag jetzt weit – unendlich weit hinter mir. Harst hatte mir damals die rettende Hand entgegengestreckt, er war’s dem ich das neue Leben verdankte – als anständiger, ehrlicher Mensch.

Seltsamer Gegensatz! Der frühere Taschendieb war nun ein Freund und Gehilfe des berühmtesten Liebhaberdetektivs, den es zur Zeit gab, – des berühmtesten Detektivs überhaupt. Man brauchte ja nur in die Zeitungen zu sehen: überall fand man dies oder jenes über den merkwürdigen Kampf zwischen Verbrecher- und Polizeigenie, zwischen Warbatty und Harst. –

Blitzschnell schoß mir das durch den Kopf, als ich hinter Harst jetzt die Zelle betrat.

Warbatty als vielfacher Mörder genoß nicht das Vorrecht der Untersuchungsgefangenen, ungefesselt sich frei in dem kleinen, hellen Raum bewegen zu dürfen. Er trug Handschellen, zwischen denen eine Stahlstange von vierzig Zentimeter Länge hing. Ebenso waren seine Füße mit Stahlfesseln versehen, von denen eine dünne Kette nach einem Ringe unter dem Tischchen hinlief, an dem er jetzt saß und trotz der Handschellen einen großen Bogen bereits zur Hälfte mit Zahlen, Strichen, Punkten und hieroglyphenähnlichen Zeichen bedeckt hatte. Er legte den Federhalter hin, korkte die Tintenflasche (sie enthielt eine ungiftige Tinte, hellblau) zu und erhob sich, wie es die Vorschrift verlangte.

Harst beachtete seinen Gegner nicht. Aufmerksam musterte er nun jede Einzelheit der Zelle.

Ich beobachtete Warbatty. Jetzt ohne Schminke, Perücke und falschen Bart hatte ich das Gesicht eines kleinen, schmächtigen Mannes vor mir, dessen Bartlosigkeit und glatte Haut einen Rückschluß auf das Alter sehr erschwerte. Die schmalen Lippen und ein brutal breites Kinn, dazu eine eckige Stirn und dünne, hellblonde Augenbrauen verrieten vielleicht etwas von dem Charakter dieses Menschen, der seinen Weg mit Toten gezeichnet hatte, seit wir hinter ihm drein waren. Gerade diese Augenbrauen, die wie lächerliche helle Striche über den großen, farblosen Augen lagen, wirkten eigenartig unschön. Sie paßten nicht zu den sonstigen Einzelheiten, nicht zu der schmalen, messerscharfen, ganz leicht gebogenen Nase und den dicken Muskelwulsten, die sich als Falten geradezu drohend von den Mundwinkeln zum Kinn hinzogen. Sie sahen wie die gemalten Brauen eines Puppenkopfes aus, und man war daher desto unangenehmer berührt von dem Ausdruck der Augen, der ganz deutlich ironische Geringschätzung widerspiegelte.

Inspektor Greaper ärgerte sich offenbar über diese Blicke, die erst eine Weile auf Harst ruhten und dann uns mit erhöhter Geringschätzung streiften.

„Was schreiben Sie da, Warbatty?“ fragte er streng.

„Mein Testament, Herr Inspektor,“ erwiderte der große Verbrecher mit übertrieben tiefer Verbeugung.

Harst drehte sich interessiert um.

„Ihr Testament?“ meinte er. „Wohl ein ähnliches wie damals in Madras?“

„Vielleicht, Master Harst, – vielleicht –“

„Oh – Sie werden Ihre Frechheit bald einbüßen!“ schnaubte Greaper ihn an. „Mensch – wo nehmen Sie nur diese Abgebrühtheit her?“

„Ich bin weder frech noch abgebrüht, Herr Inspektor. Nur ein schlechter Charakterbeurteiler kann mich so einschätzen. – Doch – bei Master Harst finde ich dafür mehr Verständnis. Er weiß, daß ich unzählige Male Gelegenheit gehabt hätte, ihn durch einen Messerstich, eine Revolverkugel oder eine Bombe beseitigen zu können. Wer wie ich auf so grobe, unfeine Mittel, einen Gegner loszuwerden, verzichtet, der steht für Durchschnittsgeister unter dem Horizont ihrer Urteilskraft.“

Greaper lachte kurz auf, zuckte die Achseln.

„Größenwahn!“ sagte er zu Harst. „Ich habe bereits den Irrenspezialarzt Professor Makkaray gebeten, Warbatty häufiger hier zu besuchen. Sie selbst, Master Harst, haben ja geäußert, daß Warbatty sehr wahrscheinlich nicht ganz zurechnungsfähig ist.“

„Ich bin auch geistig nicht normal,“ warf Cecil Warbatty sehr bestimmt ein. „Als Arzt vermag ich das zu beurteilen.“

„So. Sie geben also zu, Arzt zu sein. Dann nennen Sie uns doch auch Ihren richtigen Namen,“ sagte Greaper schnell.

Warbatty lächelte. „Arzt bin ich. Gut. – Mein Name? – Bitte – mag Master Harst den doch irgendwie aufspüren. Ich will ihm etwas helfen: ich bin sogar ein sehr angesehener Arzt, wohne in einer Hafenstadt, besitze dort eine prächtige Villa, besitze ein liebendes Weib und reizende Kinder. – Suchen Sie mich nun in allen fünf Erdteilen – bitte!“

Höhnischer Triumph ließ seine Blicke aufleuchten.

Harst schaute Warbatty fest an.

„Ist das alles wahr?“ fragte er. „Sie nicken. Ich glaube Ihnen. Ich werde Ihren richtigen Namen ermitteln, Warbatty! Verlassen Sie sich darauf!“

Der seltsame Mensch, für den auch Harst genau so wie ich etwas wie Sympathie empfand, wurde merklich unruhig. Plötzlich bat er nun in gänzlich verändertem Tone:

„Versprechen Sie mir eins, Harst, alter Gegner, – daß die Meinen nie erfahren, was ich trieb, wenn ich angeblich zu Forschungszwecken in der Welt umherreiste. Meine arme Frau liebt mich über alles. Meine Kinder hängen an mir. – Versprechen Sie’s mir!“

„Es sei! – Warbatty – weshalb in aller Welt dieses Verbrecherdasein? – Weshalb?!“ Harst redete eindringlich und gütig.

Abermals etwas ganz Merkwürdiges.

Ein Zug von hilfloser Traurigkeit erschien auf Warbattys magerem Gesicht.

„Weshalb?!“ flüsterte er. „Weshalb?! – Ja – wenn ich das wüßte!“

Schauspielerte er nur?! – Es war schwer zu entscheiden.

Er hatte den Kopf gesenkt.

Ich sah, daß Harst ihn genau beobachtete. Jedenfalls war diese Szene so eindrucksvoll, daß Minuten in lautlosem Schweigen verstrichen.

Dann schaute Warbatty auf.

„Bitte – ersparen Sie mir die Quälerei einer Untersuchung durch Irrenärzte,“ sagte er zu Greaper. „Ersparen Sie sie mir – ich flehe Sie an! Meine Nerven würden das nicht ertragen. Der Kampf mit Harst hat mich erschöpft. Ich würde wahnsinnig werden, wenn –“

Inspektor Greaper machte eine bedauernde Handbewegung.

„Tut mir leid. Darüber hat der Untersuchungsrichter zu bestimmen. – Wir können nun wohl gehen, Master Harst –“

Wir verließen die Zelle. Die Tür fiel lautlos zu.

„Na – sind Sie nun beruhigt?“ meinte Greaper zu Harst. „Eine Zelle wie die dort läßt niemanden gegen unseren Willen heraus.“

Harst schwieg.

„Aber Verehrtester!“ lachte Greaper kopfschüttelnd. „Fürchten Sie wirklich noch immer, daß –“

„Abwarten!“ fiel ihm Harst ins Wort. „Ich war weniger besorgt, als ich die Zelle betrat, als jetzt, wo ich sie besichtigt und Warbatty von einer neuen Seite kennengelernt habe.“

„Wie soll ich das verstehen?“ Der Inspektor machte plötzlich ein recht ernstes Gesicht.

„Warbatty, wette ich, hat bereits einen Plan entworfen, wie er fliehen kann. Er spielte Komödie vorhin. Diesen Menschen habe ich noch immer unterschätzt. – Nun – ich werde vorläufig hier in Lucknow bleiben und auch meinerseits aufpassen. Fragen Sie jetzt nicht weiter, bester Inspektor. Ich kann mich ja vielleicht auch irren.“ –

Wir wohnten jetzt im Hotel Viktoria im Europäerviertel. Wir hatten zwei Zimmer im ersten Stock mit großem Balkon und Aussicht auf den Gumtistrom mit seinem lebhaften Schiffsverkehr.

Wir waren vom Zentralgefängnis in einem der leichten Ponywägelchen nach dem Hotel gefahren, da wir uns für die Abendgesellschaft bei dem englischen Gouverneur Lord Davenprooft umkleiden mußten, der uns zu dem heute in seinem Palais stattfindenden Gartenfest eingeladen hatte, – auch ein Beweis, welches Ansehen Harst jetzt in der ganzen zivilisierten Welt genoß.

Harst lernte damals so zahlreiche hohe Beamte, Großkaufleute und indische Nabobs kennen, daß wir für die nächsten vier Tage mit weiteren Einladungen geradezu überschüttet waren.

Am fünften Tage morgens nach einer etwas wilden Sektkneiperei bei dem Oberbefehlshaber der englisch-indischen Truppen in Lucknow erklärte Harst beim Frühstück, er würde noch heute abreisen, nach Baroda, wo er zur Tigerjagd eingeladen war. – „Lieber Alter, setz’ Dich also sofort hin und schreibe Entschuldigungsbriefe an all die Leute, die mich ihren Gästen in Freiheit dressiert als Überdetektiv vorführen wollten. Unser Zug geht um sechs Uhr nachmittags.“

Er gähnte herzhaft. „Ich wünschte, Warbatty wäre noch in Freiheit,“ fügte er dann hinzu. „Wie entsetzlich langweilig ist doch das Leben ohne ihn –“

Nun – ich war darüber gerade entgegengesetzter Ansicht! Aber – ich behielt sie für mich.

Der braune Zimmerkellner kam und meldete Inspektor Greaper.

Harst wurde lebendig. „Du – sollte unser Cecil etwa bereits ausgekniffen sein? Ich hatte eigentlich gedacht, er –“

Da erschien Greaper – in bester Laune, schüttelte uns die Hände, setzte sich, nahm eine Zigarette und meinte:

„Oh – wir haben Warbatty bald so weit! Erst hat Professor Makkaray ihn bearbeitet, dann der Doktor Tompson, und heute trifft aus Benares der Oberspezialist für kriminelle Irre, der Professor Haberton aus Kalkutta hier ein, der gerade in Benares weilte. Warbatty wird, so hoffe ich, in den nächsten Tagen ein umfassendes Geständnis ablegen und uns dadurch einen Riesenprozeß ersparen –“ Er redete weiter, bis Harst ihn plötzlich unterbrach:

„Eine Frage. – Daß Makkaray und Tompson Warbatty untersuchen sollten, wußte ich ja. Gestern aber erwähnten Sie von Professor Haberton noch keine Silbe, als wir uns vormittags sprachen.“

„Ganz recht. Aus dem einfachen Grunde, weil Haberton erst gestern abend sich dem Untersuchungsrichter telegraphisch zur Verfügung stellte – aus rein wissenschaftlichem Interesse. Richter Dakberty hat sofort zurückdepeschiert, er würde sich freuen, wenn auch Haberton sein Urteil über Warbatty abgeben wollte. Denn mit dem, was Makkaray und Tompson schriftlich über Ihren Gegner geäußert haben, Master Harst, läßt sich ja für das Strafverfahren nichts anfangen – gar nichts! Alte Geschichte: zwei Ärzte – mindestens drei Meinungen! Tompson sagt: Total unzurechnungsfähig, beginnende Gehirnerweichung und so weiter, – und Makkaray: Total verantwortlich für jede Kleinigkeit – sehr intelligent – sehr habgierig, eitel – und so weiter. Bin nur neugierig, was der berühmte Haberton ausklügeln wird!“

„Wann kommt er an?“ fragte Harst.

Greaper sah nach der Uhr. „Der Zug von Benares ist vor einer halben Stunde eingetroffen –“

Harst erhob sich. „Bitte warten Sie, Greaper. Ich ziehe mich schnell fertig an. Dann wollen wir nach dem Zentralgefängnis fahren. Ich möchte Haberton sprechen. – Schraut, bitte, begleite uns. Die Absagen haben Zeit.“

 

2. Kapitel.

Der berühmte Professor.

Der Inspektor blieb auf dem Balkon am Frühstückstisch. Wir rasierten uns im Schlafzimmer. Harst hatte es auffallend eilig. Dies veranlaßte mich zu der Frage:

„Fürchtest Du etwa, daß Warbatty heute den Plan, von dem Du damals andeutungsweise sprachst, ausführen und entfliehen könnte?“

„Ja. Hoffentlich kommen wir nicht zu spät. – Nimm doch ein anderes Messer! Du wirst heute mit Deinen Bartstoppeln überhaupt nicht fertig!“

Ich schnitt mich natürlich dreimal, mußte dann mit bepflastertem Kinn mit in den Wagen hinein, den der Kellner für uns besorgt hatte.

Ach – es war damals ein Prachtwetter! Wie herrlich fuhr es sich durch die Parkanlagen am Flusse, wie freundlich nickten die Riesenpalmen mit ihren Wedeln, wie heiter glitzerte der Gumtistrom, auf dem Frachtboot an Frachtboot mit singenden braunen Menschen dahinzog.

Warbatty verdarb mir schon wieder den Genuß. Harst saß da mit steinernem Gesicht, mit schmalen Lippen, halb zugekniffenen Augen. Ich kannte diese Miene. Sie war wie der Sturmball an den deutschen Küstenstationen: Alarmsignal!

Wir fuhren in den Garten des Riesengebäudes ein; bogen um die Gebüschanpflanzung des runden Rasenplatzes vor dem Haupteingang. Ein Auto kam uns entgegengefaucht; ein eleganter offener Wagen. Darin saß außer dem Lenker nur noch ein Herr mit weißgrauem Spitzbart, goldener Brille und breitem Strohhut.

Harst schnellte hoch, wandte sich um, schaute dem Auto nach.

„Was gibt’s?“ fragte Greaper etwas bestürzt.

„Wenden – umkehren!“ brüllte Harst.

Auch Greaper und ich blickten jetzt unwillkürlich zurück.

Der Kraftwagen jagte gerade außerhalb des Gitters die Allee zur Stadt entlang.

Und – der Herr mit der Brille stand halb aufrecht – winkte – winkte nach uns herüber.

„Zu spät!“ sagte Harst dumpf. „Wir holen ihn nicht mehr ein.“

„Wen?“ Der Inspektor machte ganz entsetzte Augen.

„Wen? – Warbatty! – Hinauf in seine Zelle! Ich muß sehen, ob ich richtig vermutet habe!“

Wir sprangen die Stufen zum Eingang hinauf. Greaper war hier gut bekannt. Ohne Aufenthalt ging’s in den Seitenflügel nach Zelle Nr. 9. Der hier patrouillierende Wärter war gerade am Ende des endlosen Flurs.

„Hallo – hierher!“ rief der Inspektor.

Der Aufseher lief auf uns zu.

„Zelle Nr. 9 öffnen. Schleunigst!“ befahl Greaper. Auch er – fieberte förmlich vor Ungeduld.

Die Schlüssel klirrten. Die Tür ging auf.

Vor dem vergitterten Fenster hing ein Leinenvorhang. In der Zelle war’s halbdunkel. Trotzdem erkannten wir am Tische einen schreibenden Menschen.

Harst riß den Vorhang herab. In der Lichtflut stand nun ein kleiner, magerer Mensch, der auf den ersten Blick entfernte Ähnlichkeit mit Warbatty hatte.

„Wer sind Sie?!“ donnerte Greaper den Mann an, der genau so wie Warbatty gefesselt war.

Der Kerl grinste und schwieg. – Nichts half, – nichts! Er war nicht zum Reden zu bewegen.

Der Aufseher erzählte folgendes:

Vor einer Viertelstunde war Professor Haberton mit einem schriftlichen Ausweis des Untersuchungsrichters erschienen. Dem Wortlaut des Ausweises nach sollte das Gefängnispersonal alle Anordnungen des Professors genau befolgen. – Haberton war mit dem Gefangenen ein paar Minuten allein in der Zelle geblieben, hatte den Aufseher dann durch die Klingel herbeigerufen und befohlen, daß der Gefangene fortan in der halb verdunkelten Zelle gehalten werden solle. Ein Vorhang sei sofort herbeizuschaffen – irgend ein Stück Leinen. Später könnte etwas anderes am Fenster angebracht werden. Der Aufseher holte das Gewünschte, und Haberton verweilte abermals etwa acht Minuten bei Warbatty. Dann schellte er wieder nach dem Aufseher und erklärte, er würde nach einer Stunde mit Professor Makkaray wiederkommen. Inzwischen solle man Warbatty nicht stören. Dieser würde ganz sicher noch heute sein Geständnis zu Protokoll geben. Da der Gefangene an seinem Tische saß, hatte der Aufseher keinerlei Verdacht geschöpft. –

Wir fuhren, da der „falsche“ Professor Haberton noch immer beharrlich stumm blieb, sofort zu Richter Dakberty nach dem Distriktsgericht.

Dieser wollte zunächst gar nicht glauben, daß Warbatty tatsächlich entflohen sei.

„Ich kenne allerdings Professor Haberton nicht persönlich,“ meinte er dann, „aber doch von Bildern her. Er war’s ohne Zweifel –“

Er kramte in einem Stoß Zeitschriften, holte eine Nummer der Kalkutta Morning Post hervor und wies auf ein Bild, unter dem gedruckt stand:

„Indiens berühmter Gerichtsarzt, Professor Thomas Haberton, Kalkutta.“

Allerdings – das Bild glich fraglos dem Herrn im Auto! –

Nun – ich will hier nicht im einzelnen schildern, wie Harst in zwei Tagen den Schwindel vollständig aufdeckte und bewies, daß nur auf diese Weise Warbatty hatte entfliehen können, – nämlich so:

Der falsche Haberton trug auf der linken Fußsohle eine Tätowierung: zwei gekreuzte Schwerter, darüber eine halb aufgerichtete Schlange. – Dieses Zeichen bewies seine Zugehörigkeit zum Geheimbunde der Putra Rakisana, der Schwertbrüder, dessen Mitglied auch Warbatty war, wie wir genau wußten. Die Verbrechergeheimgesellschaft hatte sofort alles nur Erdenkliche getan, Warbatty zu befreien, wobei sie sich genau an die Anweisungen hielt, die Warbatty bereits vor seiner Festnahme für alle Fälle einem Vertrauten erteilt hatte. – Die Putra Rakisana ist über ganz Indien verbreitet. In Benares wohnte nun ein Engländer namens Middleton, der zum Schein einen Barbierladen besaß, in Wahrheit aber Diebeshehler spielte. Dieser Middleton mit seiner kleinen, mageren Gestalt wurde dazu ausersehen, den Professor Haberton zu spielen, der damals tatsächlich in Benares weilte und im Alexandra-Hotel abgestiegen war. Haberton wird also in Benares abends überfallen und zwei Tage von maskierten Leuten gefangen gehalten. Seine Kleider zog Middleton an, begab sich ins Alexandra-Hotel, wo er, da es inzwischen elf Uhr geworden, unangefochten auf Habertons Zimmer gelangte. Hier lag schon die inzwischen aus Lucknow eingetroffene Antwortdepesche des Richters Dakberty. Die erste Depesche an diesen hatte Middleton abgesandt. – Man sieht, wie fein jeder Zug dieses Spiels berechnet gewesen. – Middleton reist als Haberton mit dem Nachtzuge sofort nach Lucknow, zeigt hier dem Richter Dakberty die Antwortdepesche, erhält den Ausweis, fährt im Auto Dakbertys nach dem Gefängnis, läßt die Zelle halb verdunkeln, wechselt mit Warbatty die Verkleidung, öffnet natürlich auch die Hand- und Fußschellen, und ermöglicht Warbattys Flucht, indem er getrost die seiner wartende Strafe für Gefangenenbefreiung der hohen Belohnung wegen, die ihm von den Schwertbrüdern zugesagt worden ist, ruhig auf sich nehmen will. –

Der von den Schwertbrüdern wieder freigelassene echte Professor Haberton hat dann Harsts Feststellungen genau so bestätigt wie auch Middleton, der es plötzlich mit der Angst bekam, als er einsah, daß seine Zugehörigkeit zur Putra Rakisana und seine Hehlertätigkeit ihn ins Zuchthaus bringen würde und der nun durch ein Geständnis mildere Richter zu finden hoffte. –

Ich hätte dieses Zwischenspiel unseres Kampfes gegen Cecil Warbatty sehr gern ganz eingehend beschrieben, da auch hier Harald Harsts seltene Fähigkeiten wieder im hellsten Lichte erstrahlten. Ich will jedenfalls noch eine Äußerung Harsts hier anführen, die er mir gegenüber tat, als er von dem Abstecher nach Benares hochbefriedigt zurückkehrte.

„Lieber Alter,“ sagte er, „als Inspektor Greaper vor drei Tagen auf dem Hotelbalkon die Depesche erwähnte, durch die Haberton sich Richter Dakberty anbot, da wußte ich so ziemlich Bescheid, was bevorstand. – Haberton ist berühmt, sehr berühmt. Aber dabei als einer der bescheidensten, zurückhaltendsten Menschen bekannt, die es nur gibt. Seine angebliche Depesche entsprach so gar nicht seinem Charakter. Nie hätte er sich in dieser Weise vorgedrängt. Er selbst hat mir das ja nachher bestätigt. – Die Depesche war also das Verdachterregende, war das Hauptmoment, nachdem ich längst ahnte, daß Warbatty damals in der Zelle bei unserem Besuch es darauf abgesehen hatte, auf den Inspektor einen möglichst widerspruchsvollen Eindruck zu machen, – das heißt, Greaper zu veranlassen, recht viel Irren- und Polizeiärzte heranzuziehen, die ihn beobachten sollten. – Kurz: ich habe von vornherein damit gerechnet, daß Warbatty mit unfreiwilliger Unterstützung eines dieser Ärzte zu entfliehen suchen würde. Und der Barbier Middleton, diese gescheiterte Existenz mit der Vergangenheit des Studenten der Medizin, hat ja auch zugegeben, daß Warbatty den Schwertbrüdern verschiedene genau ausgeklügelte Pläne zu seiner Befreiung vorsichtshalber entwickelt hat, daß diese weitverzweigte Verbrecherbande unschwer in der Lage war, den Professor Haberton für ihre Zwecke auszunutzen. – Ich gestehe ehrlich, lieber Alter: Warbatty im Bunde mit der Putra Rakisana kann einem direkt auf die Nerven fallen! Wenn dieses Genie sogar so schlau ist, selbst für den Fall seiner Verhaftung derartige Vorkehrungen zu treffen, so ist gegen ihn kaum noch aufzukommen! – Nun – wir werden trotzdem den Krieg fortsetzen! Wir reisen noch in dieser Nacht ganz heimlich ab. Wie? – Das wirst Du schon sehen!“

 

3. Kapitel.

Der tote Kammerdiener.

Auf Grund der seiner Zeit bei einem Spießgesellen Warbattys gefundenen Aufzeichnungen (daß diese in unsere Hände geraten, ahnte Warbatty noch immer nicht) durften wir hoffen, den großen Verbrecher in der Hauptstadt Gwalior des gleichnamigen indischen Vasallenstaates wiederzufinden. Auch dort würde „unser“ Cecil – denn jetzt war er ja wieder unser Gegner geworden! – eines seiner fein vorbereiteten Plänchen ausführen wollen. Nun – Harst war bereits wieder hinter ihm drein, und ich nahm mit Gewißheit an, daß Warbatty in Gwalior eine neue Niederlage erleben würde, zumal Harald Harst durch dessen Flucht in einen Zustand erhöhten Tätigkeitsdranges versetzt worden war.

Wir hatten noch drei Stunden Zeit wie er mir sagte. Genau um Mitternacht würden wir aufbrechen. Nichts deutete auf unsere Abreise hin. Nur den Hoteldirektor, einen Schweizer, zog Harst ins Vertrauen.

Bis halb elf blieben wir im Speisesaal mit einigen englischen Offizieren zusammen. Dann verabschiedeten wir uns. Mir fiel auf, daß Harst mit Hauptmann Randall, dem Kommandeur der Fliegertruppe, einige leise Worte austauschte. Sollten wir etwa im Flugzeug den Weg nach Gwalior zurücklegen?

Wir stiegen die Treppe nach unseren Zimmern empor.

„Wird Randall uns nach Gwalior bringen?“ fragte ich leise.

„Ah – sehr unangenehm!“ meinte Harst. „Du hast also gemerkt, daß zwischen Randall und mir ein geheimes Einverständnis besteht. Dann können es auch andere herausgemerkt haben. Der Saal war dicht besetzt. Weiß man, wer sich unter den Gästen befand?!“

Hinter uns eine Stimme:

„Master Harst – Hier ein Brief für Sie –“

Es war einer der braunen Kellner, uns von Ansehen schon bekannt. Er reichte Harst einen Umschlag, der offenbar sehr eilig zugeklebt worden war.

„Ein Herr gab mir soeben den Brief,“ erklärte der Kellner. „Ich hatte den Herrn bedient. Er saß mit einer Dame zusammen. Es müssen Touristen sein. Hier bei uns wohnen sie jedoch nicht. Ich halte die Herrschaften für Italiener –“

„Danke! Hier – nimm!“ Harst reichte ihm einen Fünfrupienschein.

Wir gingen weiter. Harst riß die Briefklappe auf. Der Umschlag, dessen Adresse mit Bleistift geschrieben war – „Master Harald Harst“ –, enthielt die Hälfte einer Speisekarte des Viktoria–Hotels. Auf der unbedruckten Rückseite stand, gleichfalls in Bleistiftschrift:

„Ich erinnere Sie an Ihr Versprechen! Sie wollten meine Familie nicht wissen lassen, was ich heimlich nebenbei noch trieb! Nur Ihnen traue ich es zu, meinen wahren Namen und meinen Wohnort herauszufinden. – Cecil Warbatty, alias Doktor –?“

Harst hatte mir den Zettel gereicht.

„Was bedeutet das nun wieder?“ meinte er flüsternd und schloß die Tür unseres gemeinsamen Wohnzimmers auf. „Dieser Mensch scheint tatsächlich Familiengefühl zu besitzen und an den Seinen sehr zu hängen, – oder aber –“ – er schaltete das Licht ein und sah sich mißtrauisch um – „er wollte mir nur beweisen, daß er wieder ganz in meiner Nähe gewesen, daß wir in demselben Saale den Klängen der „echt ungarischen“ Zigeunerkapelle gelauscht hätten. Ich halte das Letztere – also so eine Art Wichtigtuerei – für das wahrscheinliche. Wir kennen ja Warbattys Eitelkeit.“ –

Unsere Koffer wollte der Hoteldirektor uns an eine Deckadresse nach Gwalior nachsenden. Um ¾12 schlichen wir, jeder nur mit einer Handtasche und dem Mantel ausgerüstet, durch den Hotelpark in die Anlagen, wo uns ein Militärauto erwartete. In einer Viertelstunde waren wir auf dem Flugplatz. Damals steckte die ganze Fliegerei noch halb in den Kinderschuhen. Aber Randall versicherte mir, daß der große Doppeldecker absolut zuverlässig sei.

Es war meine erste Fahrt in einem der modernen Riesenvögel. Das Herzklopfen verlor ich erst nach einer halben Stunde. Wir schwebten zunächst in 200 Meter Höhe dahin. Die Nacht war mondhell und windstill. Das Knattern des Motors schläferte mich langsam ein, zumal von der Landschaft unter uns nur zuweilen ein paar lodernde Feuer oder winzige Lichtpünktchen zu sehen waren.

Drei Stunden vergingen. Dann hörte selbst mein ungeübtes Ohr, daß der Motor unregelmäßig arbeitete. Jetzt setzte er ganz aus. Ich wurde munter. Harst, der hinter mir in dem engen bootsähnlichen Kasten saß, rüttelte mich.

„Aufgepaßt, Schraut! Notlandung!“

Ich beugte mich vor. Die dunkle Masse unter uns entwirrte sich zu Baumwipfeln.

Hauptmann Randall rief: „Stillsitzen und festhalten!“

Ich klammerte mich an meinen Sitz mit aller Kraft fest. – Baumäste streiften die untere Tragfläche. Dann vor uns ein Urwaldriese wie ein schwarzer Hügel.

„Köpfe einziehen!“ brüllte Randall.

Ein Krachen, Splittern; der Apparat kippte nach links über; noch ein paar Rucke; dann saßen wir festgekeilt zwischen den Baumästen.

„Wir haben Glück gehabt,“ lachte der Fliegeroffizier sorglos. „Großes Glück! Gwalior ist keine zehn Meilen entfernt. Wir werden schon irgendwo einen Wagen auftreiben. Dörfer gibt’s hier genug in der Nähe. Warten wir den Morgen ab. Der Horizont lichtet sich im Osten schon –“

Wir machten es uns nach Möglichkeit bequem, unterhielten uns und freuten uns über eine Affenherde, die von einem Nachbarbaume aus uns als Störenfriede wütend mit Aststücken bombardierte.

Harst fragte Randall über Gwalior aus.

„Alles in allem ein Drecknest, diese Residenz des Maharadscha Tomara Sing Bekur, Master Harst. Das neuere Viertel, die Lakschar, geht an. – Aber die Einwohner sind fleißig und intelligent. Seine Hoheit der Maharadscha gehört zu den reichsten Fürsten Indiens. Seine Jahreseinkünfte betragen 140 Millionen Rupien.“ (Die Rupie 1,25 Mark etwa).

„Donnerwetter!“ entfuhr es mir. „Glücklicher Mann!“

„Oh – Sie irren, Master Schraut! Auch dieser Nabob hat seine Sorgenlast zu tragen. Wenn auch eine, die uns Europäern nur ein Lächeln entlocken kann –“

„Erzählen Sie,“ bat Harst.

Der Hauptmann machte eine bedauernde Handbewegung. „Ich weiß nichts Näheres, nur das, was so an Gerüchten an die Öffentlichkeit dringt. Seine Hoheit soll an Gespensterfurcht leiden. Es spukt in seinem Palaste –“ Randall lachte. „Diese braunen Fürsten, die sich als die modernen Herren aufspielen, bleiben ja doch stets Halbwilde trotz englischer Kammerdiener, trotz Autos, Lackschuhen, Bügelfalten und so weiter. Tatsache ist, daß der Maharadscha sich vor einigen Monaten einen Detektiv aus London verschrieben hatte, der aber den – Gespenstern auch nicht auf die Spur kam. Der Detektiv hieß Hektor Wellerley. Sein Name ist in ganz England bekannt.“

„Stimmt,“ meinte Harst. „Wellerley ist eine allererste Kraft.“

„Und nebenbei ein Gentleman,“ fügte der Hauptmann hinzu. „Ich lernte ihn auf der Festung kennen. – Sie wissen doch, daß die Stadt Gwalior von einem enormen, freistehenden Felsen im Westen überragt wird, der zu einer der stärksten Festungen Indiens ausgebaut ist und mehrere Regimenter als Besatzung hat. Wellerley war dort häufiger Gast im Offizierhause. Aber über den Spuk sprach er nicht. Er hatte Hoheit Verschwiegenheit zusichern müssen.“

Inzwischen war’s hell genug geworden, um den Marsch durch den Urwald antreten zu können. Wir fanden einen Pfad, der nach einem Dorfe hinlief. Der Wald hörte bald auf. Die Gegend war felsig; die Vegetation meist dürftig. Dabei herrschte bereits um 7 Uhr morgens eine fürchterliche Hitze. Gwalior ist seiner Backofenglut, seines Fiebers und seiner Giftschlangen wegen berüchtigt. Ich lernte so eine indische Landschaft kennen, die von dem bisher Geschauten grundverschieden war.

Randall trieb in dem Dorfe einen zweiräderigen Wagen auf, der von einem Kamel gezogen wurde. Diese genügsamen Zugtiere trifft man in Nordindien weit häufiger an, als ich je gedacht hatte. Der Wagenbesitzer lief nebenher. Harst und ich galten gleichfalls als Offiziere. – Die Fahrt war interessanter als der nächtliche Flug. Mir fielen die riesigen Mohnfelder am Wege auf. Randall belehrte uns, daß in Gwalior sehr viel Opium gewonnen würde. Bekanntlich werden die halbreifen Mohnköpfe angeritzt, worauf das Opium in kleinen Tropfen heraustritt, erhärtet und mühevoll eingesammelt wird.

Der Wagen brachte uns nach der Festung. Die Stadt umgingen wir. Der Anblick von Gwalior mit dem riesigen Naturbollwerk im Westen (der Felsen ist 104 Meter hoch, 1890 Meter lang und 600 Meter breit) ist überaus malerisch. Die drei Hauptgebäude, zwei riesige Hindutempel und der Palast des Fürsten, wirken inmitten der niedrigen Steinhütten und -häuser besonders imposant. –

Ich könnte hier vieles über die zwanglose Gastfreundlichkeit der englischen Offiziere sagen; könnte auch schildern, wie wir Zeugen einer Hinrichtung von drei Straßenräubern noch an demselben Tage wurden, wobei mir die Gelassenheit auffiel, mit der die braunen Banditen sich aufhängen ließen. All das würde Seiten füllen.

Auf Harsts Bitte wurde unser Inkognito streng bewahrt. Nur die Offiziere der Fliegerabteilung wußten, wer wir waren. Wir galten weiter als Engländer, als Heeresangehörige. Harst hatte – für mich etwas überraschend – den Gedanken fallen lassen, offen als Harst gegen Warbatty vorzugehen.

Wir bewohnten in einer langgestreckten Steinbaracke ein großes Zimmer, denn an Unterkunftsräumen war auf der Festung kein Überfluß. Nachmittags um sechs – wir hatten gerade Mittagsruhe gehalten – erschien Randall bei uns und teilte Harst mit, daß der Maharadscha uns heute abend unauffällig empfangen würde. – Jetzt erst erfuhr ich auf diese Weise, daß Harst den Hauptmann sozusagen als Unterhändler zu dem Fürsten geschickt hatte. Nun – es war nicht schwer, herauszufinden, was Harst bei dem Maharadscha wollte. Natürlich lockten ihn die Gespenster, die der Londoner Berufskollege Wellerley nicht hatte bewältigen können.

Um acht Uhr führte uns Randall in ein Gehölz unweit der Festung. Dort wartete schon ein geschlossener Kraftwagen. Randall begleitete uns. Durch ein Parktor des Palastes und über einen breiten Kiesweg rollte das Auto in eine Halle hinein, deren Tore sich hinter uns sofort wieder schlossen.

Ein sehr würdevoller englischer Kammerdiener in Kniehosen, Schnallenschuhen und schwarzen Seidenstrümpfen öffnete die Tür des Kraftwagens, ging uns dann voran über eine enge Treppe und durch endlose Säle, in denen sämtliche elektrische Flammen brannten und die überladene Pracht dieser Räume enthüllten.

Der Maharadscha empfing uns in seinen Privatgemächern in der Bibliothek. Er war damals 33 Jahre alt. Seine helle Hautfarbe, die europäische Tracht, ein grauer Anzug, sein tadelloses Englisch und seine ganze Art des Auftretens ließen mich schnell vergessen, daß ich einen eingeborenen Fürsten vor mir hatte.

Ich will das Gespräch zwischen ihm und Harst nicht im einzelnen wiederholen. Der Maharadscha gab seiner Freude wortreich Ausdruck, Harst kennen zu lernen. Dieser erklärte dann, er habe gehört, daß hier im Palaste geheimnisvolle Vorgänge sich abspielen sollten; er würde Seiner Hoheit gern helfen, diese Dinge aufzuklären.

Der Fürst hatte wohl ein ähnliches Anerbieten erwartet. Nachdem er uns das Versprechen abgenommen hatte, über das zu schweigen, was er uns mitteilen würde, erzählte er folgendes:

Sein erster englischer Kammerdiener, den er sich vor vier Jahren von einer Europareise aus London mitgebracht hatte und mit dem er außerordentlich zufrieden gewesen, war vor etwa sieben Monaten in seinem Zimmer eines Morgens tot aufgefunden worden, und zwar war dieser Albert Wrihgton eines gewaltsamen Todes gestorben, obwohl vieles für einen Selbstmord zu sprechen schien. Wrihgton hatte nämlich in einer Hanfschlinge am Türgerüst gehangen. Der Leibarzt des Fürsten, gleichfalls ein Engländer, hatte jedoch festgestellt, daß der Kammerdiener vorher vergiftet und dann erst aufgeknüpft worden war. Der Maharadscha hatte durch einen Polizeibeamten aus Benares, den Inspektor Halberty, die Sache insgeheim untersuchen lassen – ohne Erfolg. Daß Wrihgton ermordet, blieb Geheimnis; nur ganz wenige hatten eben gehofft, die Mörder doch noch entdecken zu können und persönlich alles getan, um das Dunkel dieses Todesfalles zu lüften. – Etwa fünf Wochen nach Wrihgtons Ermordung hatte der Maharadscha eines Abends hier in der Bibliothek gesessen, als er plötzlich vor dem den Eingang zum Billardzimmer verschließenden dicken, golddurchwirkten Vorhang (es war dies ein Kunstwerk mit aufgestickten altindischen Kampfszenen) seinen toten Kammerdiener stehen sah, der langsam die rechte Hand hob und seinem Herrn dann traurig zuwinkte.

Hier unterbrach Harst den Maharadscha zum ersten Male.

„Hoheit – Sie erkannten Wrihgton ganz deutlich?“

„Ja. Es war damals genau so hell hier wie heute. Die elektrische Krone und die Wandleuchter brannten. – Ich bin nicht ängstlich, Master Harst. Ich sprang sofort auf, ging um den Tisch herum und auf die Erscheinung zu. Da – verschwand sie lautlos hinter dem Vorhang, der sich noch bewegte, als ich ihn wieder zur Seite zog und in das Billardzimmer eilte. Auch dort brannte das Licht. Die Gestalt war spurlos verschwunden. Ich läutete nach Edward –“

„Wohl der jetzige Kammerdiener?“

„Ganz recht – Edward Armstrong – eine Perle in seiner Art. – Edward kam sofort. Wir durchsuchten –“

„Danke Hoheit. – Und die weiteren Erscheinungen?“

„Zeigten sich stets an derselben Stelle. Oft verging eine Woche, ehe die Gestalt wieder vor mir auftauchte, oft nur zwei Tage. Und stets war ich allein, wenn Wrihgton –“

„Das genügt, Hoheit. – Auch am Tage erschien der Tote Ihnen?“

„Ja – leider! – Ich wurde dadurch sehr bald etwas nervös und ließ mir schließlich, als auch die schärfste Überwachung das Gespenst nicht verscheuchte, einen berühmten Londoner Detektiv kommen. Aber – er richtete nichts aus. Er kehrte wohl mit der Überzeugung nach London zurück, daß ich an Gespensterfurcht leide und nur Halluzinationen hätte. Das ist jedoch Unsinn. Ich bin ein sehr gesunder Mensch, treibe viel Sport, schieße vorzüglich. Richtig – ich habe zweimal auf die Erscheinung geschossen. Beide Male versagte meine Repetierpistole. Ich habe die Patronen nachher untersucht. Die Zündhütchen waren durch den Schlagbolzen angeschlagen. Die Ladung war in Ordnung. Immerhin blieb’s ein merkwürdiger Zufall, die beiden Versager.“

 

4. Kapitel.

Die Billardpartie.

Der Maharadscha hatte für unseren Empfang bereits vorher allerlei Erfrischungen bereitstellen lassen. Er bediente uns in liebenswürdigster Weise selbst. Es gab Sekt von Eis, Röstbrötchen mit Kaviar und andere Kleinigkeiten. – Harst nippte nur an seinem Glase, rauchte desto eifriger die vorzüglichen Zigaretten.

Wir saßen in hochlehnigen Ledersesseln um den Mitteltisch herum. Plötzlich erhob sich Harst und erklärte, er wolle nur mal das Billardzimmer sich ansehen. Er verschwand hinter dem Vorhang. Wir hörten ihn hin und her gehen, dann das Klappern der Billardbälle, dann seine Stimme:

„Hoheit,“ rief er, „ich bin leidenschaftlicher Billardspieler. Würden Sie mit mir eine kurze Partie machen.“

Der Maharadscha erklärte sich sofort dazu bereit. Ich merkte ihm aber an, daß er etwas erstaunt über Harsts Bitte war.

Das Zimmer enthielt zwei Billards. Harst wählte dasjenige aus, das am nächsten nach der Bibliothek stand. Randall und ich sahen zu.

Ich muß bemerken, daß Harst niemals leidenschaftlicher Billardspieler gewesen ist, trotzdem aber recht gut spielte. Er wechselte heute sehr oft die Stöcke und verbrauchte sehr viel Kreide zum Einreiben.

Der Fürst gewann die Karambolagepartie.

Harst stellte seinen Stock weg und bat, der Maharadscha möchte ihm doch die Gemächer jenseits des Flures zeigen. Wir traten durch die zweite Tür des Billardzimmers in den erleuchteten Korridor und gelangten nachher von der anderen Seite wieder in die Bibliothek, ohne den Billardsaal wieder zu durchschreiten.

Wir nahmen abermals Platz. Harst begann sich nach des ermordeten Kammerdieners näheren Verhältnissen zu erkundigen.

„Wrihgton war Junggeselle,“ erklärte der Fürst. „Er hatte in England nur ganz entfernte Verwandte, um die er sich nicht weiter kümmerte. Hier war er allgemein beliebt, besonders, nachdem er sehr bald zum Brahmanismus übergetreten war. Ich kann nur sagen: er besaß nicht einen einzigen Feind. Sein Tod ist desto unerklärlicher.“

Harst fragte dann, wie damals die Bewachung dieser Räume durchgeführt worden sei, um der Erscheinung auf die Spur zu kommen. – Der Fürst sagte, daß in den Fluren Tag und Nacht Wachen patrouilliert hätten. Trotzdem wäre Wrihgton vor dem Vorhang zweimal aufgetaucht.

„Hoheit, wann sahen Sie die Gestalt zum letzten Male?“ wollte Harst wissen.

„Vorgestern gegen neun Uhr abends. Ich hatte Gäste bei mir, General Koowper und Oberst Ardington. Wir saßen drüben im Salon. Ardington spielte Klavier. Ich wollte dem General ein Buch hier aus der Bibliothek holen. Als ich hier eintrat, stand Wrihgton wie stets –“

„Danke, Hoheit. – Er zeigte sich stets in demselben Anzug?“

„Ja. Er trug die übliche Kammerdienertracht – wie jetzt auch Edward.“

„Haben Sie vielleicht ein Bild von Wrihgton, Hoheit?“

„Gewiß.“ Der Maharadscha trat an einen Schrank, schloß ein Schubfach auf und stellte dann eine Stahlkassette auf den Tisch, öffnete deren kompliziertes Schloß und nahm ein Päckchen heraus, band die Schnur ab und entnahm den Papieren zwei Photographien.

Wrihgton trug einen halblangen, dunklen Vollbart, glatt gescheiteltes Haar und hatte sehr dicke Augenbrauen, die dem Gesicht einen etwas strengen Ausdruck gaben.

„Den Bart,“ warf der Fürst ein, „ließ er erst wachsen, als er sich zum Brahmanismus bekehrt hatte. Bis dahin ging er glattrasiert.“ Er legte Harst nun auch die Papiere hin, die das Päckchen bildeten. „Falls es Sie interessiert – dies ist so eine Art Tagebuch Wrihgtons. Es enthält jedoch nichts, was den Mord auch nur im geringsten klären könnte. Wellerley, Ihr Kollege, Master Harst, hat die Aufzeichnungen sehr sorgfältig geprüft.“

„Oh – ich möchte sie doch mal flüchtig durchsehen, Hoheit, – jetzt gleich.“

Während der Maharadscha dann Randall und mir von seiner letzten Tigerjagd erzählte, blätterte Harst in den losen Blättern. So verging mindestens eine Viertelstunde. Dann legte Harst die Aufzeichnungen des Ermordeten wieder auf den Tisch.

„Wrihgton muß ein vielseitig gebildeter Mann gewesen sein und an Ihnen, Hoheit, mit großer Treue gehangen haben,“ meinte er und erhob sich. „Ich will mir jetzt nochmals das Billardzimmer ansehen, auch den kostbaren Vorhang dort vor der Türöffnung.“ Er verschwand, kam nach fünf Minuten zurück, setzte sich wieder und sagte:

„Hoheit, sind Sie fest überzeugt, daß Sie auf keinen Fall, was diese Erscheinung angeht, einer Sinnestäuschung zum Opfer fallen?“

„Ausgeschlossen!“

„Hm – ich würde das selbst von mir nicht mit so großer Bestimmtheit behaupten, Hoheit. Unser Hirn erlaubt sich mit uns zuweilen die seltsamsten Scherze. – Nun – jedenfalls will ich die Sache nach drei Tagen etwa ganz gründlich untersuchen. Wir sind nämlich zu einer Jagd auf Wasserbüffel eingeladen, die ich mir nicht entgehen lassen möchte. Sobald wir wieder hier eingetroffen sind, melde ich mich, Hoheit.“

Jagd auf Wasserbüffel? – Harst log. Ich wußte nichts von einer solchen Einladung. Ebenso wie er vorhin gelogen hatte, als er sich als Billardfex hingestellt hatte.

Randall sah Harst überrascht an. Auch ihm fiel diese Büffeljagd auf.

Wir verabschiedeten uns nach einer halben Stunde von dem Maharadscha, der nach seinem Kammerdiener läutete und uns wieder hinab nach der geschlossenen Halle geleiten ließ, wo das Auto noch wartete.

Harst bat dann nachher auf der Festung Randall noch in unser Zimmer.

„Ich habe eine Bitte,“ sagte er leise. „Sie müssen mir helfen, diesen Geist zu entlarven, der da mit dem Fürsten Versteck spielt. Ich weiß bereits, wer es ist, der diesen Mummenschanz treibt, weiß jedoch nicht, weshalb dieses „Gespenst“ sich so häufig und so andauernd zeigt.“

Randall und ich waren in gleicher Weise überrascht.

„Wie – Sie kennen den –“, rief der Hauptmann, wurde aber von Harst unterbrochen.

„Bitte – leise! Ich kann nicht vorsichtig genug sein! – Meine Bitte geht dahin: Sie müssen einen Jagdausflug gleich morgen vorbereiten, so daß wir nachmittag aufbrechen können. Morgen vormittag müssen Sie aber auch ganz unauffällig dem Maharadscha einen Brief von mir aushändigen. Der Fürst reitet ja jeden Morgen aus. Suchen Sie eine Begegnung mit ihm und geben Sie ihm den Brief mit einigen aufklärenden Worten so, daß niemand von der Begleitung Seiner Hoheit etwas davon merkt. Der Fürst soll den Brief sofort während des Rittes ebenso unbemerkt lesen und auch sogleich vernichten, am besten einen Stein hineinwickeln und ihn unauffällig ins Wasser werfen. Bestellen Sie ihm, daß der Erfolg meiner Tätigkeit davon abhängt, daß er meinen Weisungen genau nachkommt.“

Randall versprach alles zu tun, was Harst wünschte.

Als er uns dann verlassen hatte, winkte [Harst][6] mich neben sich auf das Bambussofa und sagte:

„Lieber Alter, die ganze Geschichte riecht nach einem Schurkenstreich, dessen eigentlicher Knalleffekt noch bevorsteht. Ich kann mich irren, aber – ich glaube fast, daß unser Freund Cecil hier wieder mitwirkt. Dieser Verdacht kam mir bereits, als Randall heute früh in der Baumkrone von dem enorm reichen und doch sorgenbelasteten Herrscher von Gwalior sprach. Ein Mann wie dieser Fürst ist ein sehr lohnendes Objekt für Leute vom Schlage Warbattys. Sieh mal – unser Cecil war vor rund einem halben Jahre hier in Indien und hat hier, wie wir wissen, so allerlei Geniestreiche eingeleitet, deren Früchte er jetzt pflücken wollte und will. Die meisten dieser Früchte haben wir ihm wieder aus der Hand gleiten lassen. – Also: er war vor rund sechs Monaten hier. Und – etwa zu derselben Zeit ist auch Albert Wrihgton ermordet worden. Das mag ein zufälliges Zusammentreffen sein. Jedenfalls stimmt es aber nachdenklich, nicht wahr? – Nun also! Du nickst eifrig. Und Du wirst abermals nicken, wenn ich Dir sage, daß doch kein anderer bessere Gelegenheit hat, den Geist Wrihgtons zu mimen, als Edward, der neue Kammerdiener, der überall ungehindert ein- und ausgeht. Gerade ein Gesicht wie das Wrihgtons ist leicht zurechtzumachen und schnell wieder in das Edwards zu verwandeln. Edward trägt Scheitel, hat dasselbe längliche Gesicht, dieselbe Allerweltsnase, geht stets in derselben Tracht, wie seiner Zeit Wrihgton, hat dieselbe Größe etwa, dieselbe Figur. Der Bart und die dicken Augenbrauen lassen sich im Moment anbringen und wieder entfernen. – Als der Fürst uns die Erscheinung schilderte, dachte ich gleich an Edward Armstrong, den Glattrasierten, die – Perle! Ich sagte mir weiter, daß es einen ganz besonderen Grund haben müsse, weshalb die Spukgestalt sich stets gerade vor dem Vorhang zeigt. Um nun festzustellen, ob dieser Edward uns etwa hinter dem Vorhang stehend belauschte – und dann hatte er natürlich ein schlechtes Gewissen! –, spielte ich mit dem Fürsten Billard und bestreute die Schwelle so mit Kreidestaub, daß ich nachher, als ich zum zweiten Male allein in dieses Zimmer ging, notwendig merken mußte, ob auf der Schwelle jemand gestanden hätte. Wir waren ja von der anderen Seite in die Bibliothek zurückgekehrt. – Ich fand auch Spuren. Edward hat für einen Mann sehr kleine Füße. Seine Lackschnallenschuhe haben hohe, schmale Absätze. Und die Abdrücke im Kreidestaub zeigten genau ein ähnliches Sohlenbild. – Kurz: Edward hat gehorcht! Er wußte ja, daß wir Gäste ganz besonderer Art sein müßten, da wir so geheimnisvoll in den Palast gebracht wurden. Und da hat ihn eben das schlechte Gewissen und die Vorsicht verleitet, den Lauscher zu spielen.“

„Das hast Du sehr gut –“, wollte ich ihm wohl mit Recht meine Anerkennung aussprechen.

„– sehr gut und sehr schnell herausgefunden,“ setzte er selbst meinen Satz fort, „daß einige Teile von Wrihgtons Aufzeichnungen gefälscht sind.“ – Kleine Pause. „Tadellos gefälscht, lieber Alter. Auch der berühmte Wellerley, gewiß kein Dummkopf, hat sich täuschen lassen. Es gehört ein sehr geübter Blick für Handschriften dazu, diese von anderer Hand eingefügten Sätze – sie stehen stets am Schluß jedesmaliger Tagesniederschriften – zu erkennen. Ich werde Dir nachher beim Fürsten diese Sätze zeigen. Sie handeln stets von Wrihgtons – „liebem Freunde Edward Armstrong“! – Geht Dir ein Licht auf? – Die ersten Sätze lauten etwa:

„Ich habe gestern an Edward geschrieben. Er sollte eine so gute Stellung finden wie ich. Warum kommt er nicht nach Indien?“

„Edward ist mein bester Freund. Es gibt keinen vorzüglicheren Kammerdiener als ihn – und so weiter.“

In den ferneren gefälschten Sätzen wird erwähnt, daß Armstrong ohne Stellung ist und in London, Gardenfleet 15, wohnt. –

Merkst Du, weshalb jemand all dies einfügte? – Natürlich zu dem Zweck, um den Fürsten auf Armstrong als tadellosen Nachfolger für Wrihgton aufmerksam zu machen. Die Sache ist sehr geschickt eingefädelt worden. Ich wette, Seine Hoheit ist lediglich durch diese Fälschungen auf seine jetzige – Perle von Kammerdiener hineingefallen.“

„Ah – in der Tat ein Komplott, das –“

„– das eines Cecil würdig wäre, lieber Alter! – Höre weiter. In seinen Aufzeichnungen erwähnt Wrihgton hie und da auch Leute, die er nur flüchtig kennen gelernt hat. So spricht er von einem Kaufmann Galver zweimal kurz vor seinem Tode, mit dem er zufällig bekannt wurde und der wie Wrihgton emsiger Käfersammler war oder sein wollte. Wrihgton hat ihm verschiedene seltene Exemplare von Riesenkäfern von den Sunda-Inseln abgekauft oder sie gegen andere eingetauscht. Vielleicht ist dieser Galver „unser“ Mann, das heißt der Mörder und Fälscher. Er hat Wrihgton ohne Zweifel im Palaste besucht. – Nun – alles weitere werden wir sehr bald herausfinden, was noch mit zu diesem Streich an Einzelheiten gehört. – Jetzt ins Bett! Hier auf der Festung können wir ruhig schlafen. Selbst ein Warbatty dürfte hier schwerlich eindringen können.“

 

5. Kapitel.

Ein alter Bekannter.

Unsere Jagdgesellschaft bestand aus Hauptmann Randall, einem Leutnant Dagbore, uns beiden und vier eingeborenen Soldaten. Wir brachen um ½6 am folgenden Nachmittag auf – hoch zu Roß. Das heißt, die Pferde waren nur Bergponys. Nach zweistündigem Marsche erreichten wir ein Dorf, in dessen Rasthaus wir die Nacht zubringen wollten.

Randall und der Leutnant waren in alles eingeweiht. Nachdem wir im Rasthause zu Abend gegessen hatten, wollten Randall und wir beide angeblich noch eine kleine Pirsche unternehmen. Wir wanderten nach Osten zu, bis wir die Hauptverkehrsstraße Gwalior-Agra vor uns hatten. Inzwischen waren wir – Randall und ich – von Harst dahin belehrt worden, daß er den Fürsten gebeten hatte, den Kammerdiener Armstrong nachmittags irgendwie unauffällig bis zehn Uhr abends aus dem Palaste zu entfernen und uns persönlich von hier mit einem Kraftwagen und einem durchaus verschwiegenen Chauffeur abzuholen.

Das Auto erschien denn auch sehr bald. Der Fürst saß, ganz gut unkenntlich gemacht, neben dem Lenker, einem Hindu. Es war ein geschlossener Wagen, den der Maharadscha sonst nicht mehr benutzte.

Wir beide stiegen nach kurzem Abschied von Randall ein.

In dem Auto lag alles bereit, was Harst an Verkleidungsstücken erbeten hatte. Wir maskierten uns während der Fahrt und langten an einer entlegenen Seitenpforte der Parkmauer gegen halb zehn abends an, wurden, jetzt als würdige Brahmanen, von dem Fürsten auf Schleichwegen in den Palast gebracht und lernten so eine Eigentümlichkeit altindischer Bauten abermals kennen, nämlich geradezu genial angelegte Geheimtüren und schmale Gänge zwischen doppelten Zimmerwänden. So befanden wir uns ganz plötzlich in des Fürsten Schlafgemach, das als letztes der Flucht der Privaträume in einer Linie mit dem Billardzimmer und der Bibliothek lag.

Harst hatte offenbar seinen Feldzugsplan bereits vollständig fertig. Im Billardzimmer standen zwei Ottomanen, von denen die eine als neueres Möbelstück auf Füßen stand und uns genügend Raum bot, um darunter zu kriechen.

Harst lag so, daß er am leichtesten wieder hervorkonnte; ich an der Wand. Lüfteten wir die Decke ein wenig, so konnten wir die Tür nach der Bibliothek genau beobachten – besser die Türöffnung mit dem Vorhang. Die getäfelte Türfüllung war sehr breit, entsprechend der für die Ewigkeit berechneten Dicke der Mauern, und bestand aus einem dunkel gebeizten Holz, das über und über mit Schnitzereien bedeckt war. –

Der Maharadscha hatte, ganz wie Harst dies erbeten, seinen Hausminister (ich finde keine passendere Bezeichnung für diesen Posten, der den eines Schloßvogts eines Zeremonienmeisters und eines Schatullenverwalters in sich schloß) durch einen Diener zu sich befohlen, saß nun mit dem braunen Herrn in der Bibliothek und unterhielt sich mit ihm in der Landessprache.

Es war jetzt kurz nach zehn Uhr geworden. Unser Versteck gestattete uns eine leise Unterhaltung, und Harst benutzte die Gelegenheit, mir zuzuflüstern, daß er auf den Ausgang dieses Abenteuers sehr gespannt sei.

„Ich weiß tatsächlich noch immer nicht, weshalb dieser Edward Armstrong auf so raffinierte Weise sich hier als Kammerdiener eingeschmuggelt hat,“ fügte er hinzu. „Wir werden vielleicht mehrere Abende hier zubringen müssen. Ich könnte den Menschen ja sofort entlarven. Aber dann würde mir Warbatty entgehen, der ohne Zweifel auch hier wieder der eigentliche „Macher“ ist.“

Ich konnte nicht anders. Ich ließ ein zweifelndes „Hm – stimmt das alles auch?!“ hören. „Du hast so oft schon so getan, als wüßtest Du nichts. Und dann stellte sich nachher heraus, daß Du mir die Hauptsachen wieder vorenthalten hattest. – Zum Beispiel kommt mir die Bestimmtheit, mit der Du jetzt von einer Beteiligung Warbattys an diesem Streiche sprichst, stark verdächtig vor. Woher diese Bestimmtheit?!“

„Auf Grund der Tagebuchaufzeichnungen Wrihgtons. In diesen findet sich nämlich noch folgender Satz über den Kaufmann und Käferfreund, der um die Zeit von Wrihgtons Ermordung hier in Gwalior weilte:

„Ich wünschte, ich besäße eine solche Geschicklichkeit im Präparieren der Käfer mit meinen zehn Fingern wie dieser Howard Galver mit seinen neun!“

Genügt Dir dies, lieber Schraut? Neun Finger! Und unserem Cecil fehlt der linke Zeigefinger!“

„Allerdings! Jetzt erkläre auch ich: Warbatty –“

„Still!“ unterbrach Harst mich da. „Armstrong hat soeben die Bibliothek betreten und meldet sich bei dem Maharadscha zurück.“

Der Fürst hatte die Angewohnheit sehr laut zu sprechen.

„Ich brauche sie nicht mehr, Edward. Sie werden auch müde sein. Wie sieht es in Dholpur aus?“ sagte er vertraulich. (Dholpur liegt nördlich von Gwalior im Gebirge. Der Maharadscha besitzt dort ein Schloß, in dem er während der heißen Jahreszeit wohnt.)

Die Antwort Armstrongs war nicht zu verstehen. –

Zehn Minuten später verabschiedete sich der Hausminister. Kaum war er gegangen, als wir den Fürsten fragen hörten: „Wie – noch nicht im Bett, Edward?“

Mithin war Armstrong abermals nebenan eingetreten. Die beiden, Herr und Diener, gebrauchten die englische Sprache.

Des Kammerdieners Erwiderung entging uns. – Dann wieder der Maharadscha:

„Ah – gewiß bin ich einverstanden! Der Herr suchte Deine Bekanntschaft in Dholpur? – Ob er denn wirklich mehr kann als jener Wellerley, der unverrichteter Sache von hier abziehen mußte?“

Harst kniff mich in den Arm – Das hieß: Achtung!

Nach ein paar Sekunden abermals des Fürsten Stimme:

„Gut – ich bin bereit, diesen Herrn Hawkins sofort zu empfangen. Hole ihn aus dem Hotel Prince of Wales mit dem Auto ab. Ihr könnt in einer halben Stunde wieder hier sein –“

Eine Weile verging. Dann betrat der Fürst das Billardzimmer.

„Master Harst,“ rief er leise, „bitte, kommen Sie hervor. Armstrong hat den Palast im Auto soeben verlassen –“

Wir standen dann zwischen den beiden Billards, an diese gelehnt und Harst erklärte dem Maharadscha:

„Hoheit, ich weiß so ziemlich Bescheid, was sich jetzt ereignen wird. Armstrong hat Ihnen vorgelogen, er habe in Dholpur heute zufällig die Bekanntschaft eines Touristen – nicht wahr – Touristen –?“

„Ja, so ist’s –“

„– gemacht, der sich erbot, die rätselhafte Erscheinung hier zu entlarven. Er wird in kurzem mit diesem angeblichen Hawkins hier eintreffen. Ich bitte Sie, ganz so zu tun, als glaubten Sie an die Absicht dieses Menschen, Sie von diesem Gespenst zu befreien. Ich rate Ihnen aber, Hoheit, bei der Unterredung mit Hawkins sehr auf ihn zu achten. Stecken Sie eine Pistole zu sich und feuern Sie, sobald der Mensch auch nur eine verdächtige Bewegung macht –“

„Weshalb diese –“

„Hoheit, – Hawkins ist kein anderer als jener große Verbrecher Warbatty! Er hat es auf Sie irgendwie abgesehen. – Was er beabsichtigt, wird sich zeigen –“

Der Maharadscha, der zunächst etwas um seine Sicherheit besorgt war, beruhigte sich jedoch schnell, als Harst ihm mitteilte, wir würden während des Besuches Hawkins hinter dem Türvorhang stehen. –

Wir mußten abermals unter die Ottomane. Die Minuten reckten sich jetzt fast zu Stunden. Ich fieberte förmlich vor Ungeduld. Harst schwieg, sprach nicht ein Wort.

Dann endlich nebenan ein kurzes Anklopfen, das „Herein“ des Fürsten.

Im Billardzimmer war’s jetzt dunkel. Harst schob sich schnell über den Teppich auf die Tür zu. Der Vorhang war unten etwas umgeschlagen, so daß man ganz deutlich verstand, was in der Bibliothek gesprochen wurde.

„Schade,“ meinte der Fürst. „Also plötzlich abgereist ist dieser Hawkins –“

„Ja. Ich bin selbst sehr enttäuscht, Hoheit. Er hat für mich keinerlei Nachricht zurückgelassen. Nur für Eure Hoheit diesen Brief.“

Schweigen. – Wir vernahmen das Reißen von Papier. Der Maharadscha öffnete also den Brief.

Dann: „Wirklich eine sehr merkwürdige Nachricht dieses Hawkins! Einfach unverständlich! Oder begreifen Sie, Edward, was dies bedeuten soll?“ – Der Fürst las laut vor:

„Ich war überzeugt, Hoheit würden ein sehr gutes hypnotisches Medium abgegeben und dann sehr freigebig sein. Besondere Umstände zwingen mich jedoch, Gwalior schleunigst wieder zu verlassen, nachdem ein alter Bekannter von mir hier aufgetaucht ist, der mir bewiesen hat, daß die Fieberluft des Landes Eurer Hoheit mir nicht zuträglich ist. – Hawkins.“

Harst war plötzlich mit einem Satz in der Bibliothek, sprang auf Edward Armstrong zu, packte ihn beim Kragen und rief:

„Schraut – binde ihm mit dem Taschentuche die Hände.“

Der Kammerdiener war so überrascht, daß er keinerlei Widerstand leistete. Er stand jetzt mit verbissener Miene da und stierte zu Boden.

„Hoheit,“ begann Harst, indem er den an den Fürsten gerichteten Brief schnell überflog, „Sie sehen in diesem Armstrong hier einen der vielen Helfershelfer Cecil Warbattys, die dieser im Augenblick der Gefahr rücksichtslos preisgibt. Der – „alte Bekannte“ in diesem Schreiben bin ich. Warbatty hat also gewußt, daß ich mich hier im Palaste befinde, hat mich ständig beobachtet, die Täuschung mit dem Jagdausfluge durchschaut und ist entflohen. Wir wissen jetzt, was er plante. Er wollte sich bei Ihnen als Detektiv einführen, wollte die Unterredung mit Ihnen dazu benutzen, Sie zu hypnotisieren. Er ist Arzt. Er versteht alles. Da nun nicht jeder Mensch für Hypnose empfänglich ist, sollte Ihr Nervensystem erst durch die Geistererscheinungen recht stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Deshalb mußte Wrihgton sterben, deshalb mußte Armstrong dessen Nachfolger werden. – Hauptmann Randall erzählte mir, daß Sie aus Vorsicht Ihre sämtlichen Kleinodien und Familienschätze in den Gewölben des Palastes in einer absolut sicheren Stahlkammer aufbewahren. Selbst ein Warbatty konnte mit den gewöhnlichen Mitteln der Herren Einbrecher und Gauner nicht an diese Schätze heran. Er konnte es nur, wenn er Sie hypnotisierte und Ihnen den Befehl gab, Sie in die Stahlkammer zu führen. Sie hätten diesen Befehl fraglos befolgt. Die Erscheinungen des toten Wrihgton haben Sie für die Beeinflussung durch einen fremden Willen sehr empfänglich gemacht. Ihr unruhiger Blick, Ihre überlaute Sprache, gewisse unwillkürliche überhastete Bewegungen bewiesen mir schon gestern, daß Sie mehr durch diesen „Geist“ gelitten haben, als Sie zugeben wollen. Kurz: Warbatty hoffte hier vielleicht unermeßliche Schätze zu erringen! Das ist’s! Und Armstrong ist sein Helfershelfer!“

Er wandte sich dem bleichen Kammerdiener zu. „Gestehen Sie ein, den toten Wrihgton hier gemimt zu haben? Geben Sie zu, daß alles sich verhält, wie ich’s soeben Seiner Hoheit auseinandersetzte?“

Armstrong richtete sich auf. „Hoheit,“ rief er, den Gekränkten nicht schlecht spielend, „Hoheit, ich bin unschuldig! Ich –“

„Schweigen Sie!“ unterbrach Harst ihn kalt. Er ging auf den Vorhang zu, schlug ihn hoch, schaltete im Billardzimmer das Licht ein, stand nun im Türrahmen, deutete auf den Boden. „Hier lag der feine Kreidestaub. Hier an dieser Seite der Türfüllung erschienen die Spuren eines, der eine in dieser Täfelung verborgene Tür dazu benutzt hat, als Geist schnell aufzutauchen und wieder zu verschwinden –“

Der Fürst eilte zu Harst hin. „Ich weiß nichts von einer solchen Tür, Master Harst. Freilich – der Palast enthält so zahlreiche – Ah – wirklich!“

Harst hatte den Verschluß gefunden, hatte eine schmale, niedrige Tür nach innen aufgestoßen. Ein enger Gang lief hier nach einer steilen Treppe, die dann als Fortsetzung einen zweiten Gang hatte, der vor einer anderen Geheimtür endete und diese mündete in dem Zimmer des Kammerdieners. –

Der Fürst und Harst hatten[7] dies festgestellt, kamen nun in die Bibliothek zurück wo ich inzwischen Armstrong bewacht hatte.

Armstrong gab das Leugnen gegenüber dieser ihn so schwer belastenden Entdeckung auf. Er sah auch ein, daß Warbatty ihn heimtückisch verraten hatte. Warbatty hätte ihn ja warnen und ihm zu schleuniger Flucht raten können. Nichts davon: er war allein geflüchtet, hatte sogar in seiner prahlerisch-zynischen Art noch dem Fürsten den Brief geschrieben, der ja eigentlich mehr für Harst bestimmt war.

Wir erfuhren nun von Armstrong, daß Warbatty als Kaufmann Howard Galver sich vor etwa sieben Monaten an Wrihgton wirklich herangemacht und diesen dann auch ermordet hatte. In derselben Nacht hatte er auch die Angaben über Armstrong in Wrihgtons Tagebuch nachgetragen. Wrihgton hatte ihm von diesen Aufzeichnungen erzählt gehabt, und Warbatty war sofort auf den Gedanken gekommen, sie für seine Zwecke auszunutzen.

Weiter räumte Armstrong ein, bereits in London vor etwa einem Jahre Warbattys Bekanntschaft gemacht zu haben, wo dieser mit ihm vereinbart hatte, ihn irgendwie für einen lohnenden Streich zu benutzen. Genaueres konnte Armstrong über Warbatty nicht angeben. Er war von Hause aus Kellner und Diener, zuletzt jedoch Taschendieb in London gewesen. Er hieß mit richtigem Namen Parker. Die Zeugnisse auf dem Namen Armstrong, die er nachher dem Fürsten vorgelegt hatte, waren von Warbatty beschafft worden. Dieser wollte in der Tat die Stahlkammer ausplündern. Und auch insofern stimmte Harsts Vermutung vollständig, als der Geist Wrihgtons lediglich des Fürsten widerstandsfähige Nerven hatte lahmlegen sollen. –

Der Maharadscha behielt uns als Gäste bei sich. Er ließ sofort drei Zimmer für uns herrichten. Als wir in unseren Gemächern dann allein waren und noch vor dem Schlafengehen eine Zigarette rauchten, meinte Harst:

„Ich weiß nicht recht, ob ich mich über diesen halben Fehlschlag hier ärgern soll. Warbatty hat diesen Streich so schlau vorbereitet, daß man geradezu staunend vor der verbrecherischen Vielseitigkeit dieses Menschen dasteht, der doch aller Wahrscheinlichkeit nach zu jenen Unglücklichen gehört, bei denen eine bestimmte Erkrankung des Gehirns eine überreiche Phantasie zugleich mit einem unwiderstehlichen Hange zum Verbrechen erzeugt hat. Wenn ich dann noch daran denke, daß selbst in diesem rücksichtslosen Mörder gute Triebe wie Anhänglichkeit an seine Familie und eine gewisse Großmut mir gegenüber schlummern, so –“ Er vollendete den Satz nicht, fuhr vielmehr nach einer Weile fort:

„Jedenfalls muß ich herausbringen, wer Warbatty eigentlich ist. Daß er Arzt ist, hat er selbst zugegeben. Und ein Arzt ohne linken Zeigefinger muß zu finden sein, selbst wenn er am Nordpol seine Praxis haben sollte. Ich weiß auch schon, wie ich’s anfange, die Schleier von Warbattys Persönlichkeit zu lüften. Vielleicht werden wir schon in den nächsten Tagen –“ Er gähnte, stand auf. „Na – wir werden ja sehen, mein Alter. – Gute Nacht!“ –

Was uns dies „Schleierlüften“ eintrug, will ich im nächsten Bande schildern, dessen erstes Abenteuer ich betiteln werde:

 

Das Löschblatt von Amritsar.[8]

 

 

Anmerkungen:

  1. In der Vorlage steht: „derseben“.
  2. In der Vorlage steht: „dem“.
  3. In der Vorlage steht: „uebelästigt“.
  4. In der Vorlage steht: „Sthlschrank“.
  5. In der Vorlage steht: „Miverschworenen“.
  6. Fehlendes Wort „Harst“ ergänzt.
  7. In der Vorlage steht: „hatetn“.
  8. In der Vorlage steht: „Das Löschblatt in Amritsar“.