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Das Geheimnis der Drabu-Fälle

 

 

 

Der Detektiv

 

Kriminalerzählungen

von

Walther Kabel.

 

Band 129:

 

Das Geheimnis der Drabu-Fälle

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin 26, Elisabeth-Ufer 44

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschl. das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1924 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.
Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

1. Kapitel.

Die Schlucht des Lokalla.

Wir saßen vor unserem Zelt, diesem wunderbar bequemen, großen Wohnzelt inmitten der Sommerstadt Gagho des gleichnamigen Tuaregstammes …

Wir drei: Harst, ich und unser schwarzer Diener Gurma, ein Neger vom Stamme der Fulbo[1], ein kleiner breitschulteriger Kerl mit unglaublichen Säbelbeinen und einem Wollschädel wie schwarzer Krimmer …

Abend war’s, und der Himmel erstrahlte in all den prächtigen Farben, die hier in der Sahara nach Sonnenuntergang für kurze Zeit das Firmament in eine strahlende Malerpalette von Rot, Gelb und Violett verwandeln. –

Wie wir drei hier nach Gagho gelangt waren, habe ich im vorigen Band erzählt.

Nun weilten wir hier als Gäste der Sultana, der Herrscherin des kriegerischen Tuaregvolkes, wurden mit Aufmerksamkeiten aller Art überschüttet, führten seit Tagen ein wahres Schlaraffenleben und … langweilten uns unglaublich, wenigstens Harald und ich. Unserem Diener Gurma dagegen erschien dieses Dasein als Himmel auf Erden. Ich habe Gurmas Charaktereigenschaften ja bereits gekennzeichnet. Essen und Trinken ging ihm über alles, Arbeit hielt er für das größte Übel und die Tapferkeit für Leichtsinn. So war er. Im übrigen aber treu, zuverlässig und ein ganz geriebener Bursche, der hier in Senegambien und der Südwestsahara tadellos Bescheid wußte. –

Soeben hatten wir unsere Abendmahlzeit beendet. Gurma räumte die Teller und Schüsseln weg, die auf einer sauberen Bastmatte als Tisch zwischen uns gestanden hatten.

Und – Harald gähnte … Gähnte immer wieder, sagte schließlich:

„Lieber Alter, wir rosten hier ein … Regelrecht! – Ich brauche Bewegung … Gurma hat Dir doch irgend etwas von einem Geisterberge erzählt … Vielleicht …“

Und dieses Vielleicht hieß: vielleicht lohnt es, den Geisterberg einmal zu untersuchen!

Ich rief Gurma herbei …

„He, Freund Gurma, wiederhole hier mal vor Mr. Harst, was Du mir da letztens von dem Lokalla-Berge vorgeschwatzt hast …“

Gurma, der Schlaukopf, ahnte wohl, weshalb wir für seine Geister so plötzlich Interesse hatten, und meinte achselzuckend:

„Oh – dumme Nigger viel Unsinn reden … Nichts daran sein, Massa Schraut …“

Harald lachte.

„Du Spitzbube hast ja nur Angst, wir könnten den Lokalla mal besuchen, was Deiner Tapferkeit sehr gegen den Strich geht … – Heraus mit der Sprache, Gurma! Wie steht es mit der Schlucht, von der Du da allerhand zu sagen wußtest. Sie soll so tief sein, daß noch niemand hinabgestiegen ist? Und Geister sollen darin hausen?“

Gurma grinste verlegen …

„Dummes Niggergeschwätz, Massa Harst … Lokalla heißt Berg der Toten, und in der Schlucht liegen die Knochen der dreihundert Auelimmiden-Krieger, die der Sultan von Timbuktu vor fünfzig Jahren zur Strafe in die Schlucht werfen ließ …“

Harald blickte unseren Freßsack scharf an.

„Mein Sohn, Du verschweigst fraglos so allerlei …! Wenn Du weiter so mit der Wahrheit zurückhältst, bist Du … entlassen. Dann kannst Du Deine Sachen packen und nach Karabare allein zurückkehren.“

Der entsetzte Luftsprung Gurmas wirkte so überwältigend komisch, daß wir beide herzlich lachten.

Und mit uns lachte auch der Tuareg-Nachwuchs, all die Dutzende von Kindern, die unser Zelt schon von Sonnenaufgang an regelrecht belagerten und uns als Wundertiere anstarrten.

Das nächste, was Gurma tat, war eine erzieherische Maßnahme gegenüber dieser unbändigen Gagho-Jugend …

Er ergriff einen Knüttel, verdrosch ein paar der frechsten Rangen, verscheuchte so die ganze Rotte und hockte sich dann uns gegenüber nieder.

Kläglich erklärte er nun:

„Massa Harst sollen alles wissen. Lokalla heißt Berg der Toten. Und an der Südseite des Berges liegt die Schlucht, die Schlucht der Geister. Oben ist sie nur ganz wenig offen, Massa Harst, da eine Felsplatte sich wie ein Dach darüberschiebt. Wenn man sich nun auf diese Felsplatte legt und den Kopf über den Rand hinwegschiebt, kann man zuweilen die Geister in der Finsternis unten brüllen und kreischen hören. Noch nie, Massa Harst, war jemand dort unten, noch nie … Als ich im vorigen Jahre den Massa Greag, den Ingenieur aus New York, als Führer zum Lokalla brachte, wollte Massa Greag mit Tauen dort hinab. Aber es war unmöglich. – Mehr weiß ich nicht …“

Offenbar hatte Gurma nun wirklich seine ganze Wissenschaft ausgekramt. Ich fand, daß es sich doch wahrhaftig nicht lohnte, dieser „Geister“ wegen die acht Stunden zum Lokalla zu reiten.

Als ich dies zu Harald äußerte, meinte er lächelnd:

„Es wäre doch immerhin eine Abwechslung … Gurma, geh und sattele unsere Reittiere. Nimm genügend Proviant und Wasser mit … Und beeile Dich, mein Sohn … Wenn in einer halben Stunde nicht alles bereit ist, jage ich Dich zum Teufel.“ –

Nun – für Gurma gab es nichts Schrecklicheres als diese Drohung, und so geschah’s denn wirklich, daß die drei prachtvollen Reitdromedare genau eine halbe Stunde später vor unserem Zelte standen.

Inzwischen war Harald noch bei dem Unterscheich der Gaghos gewesen und hatte diesem anstandshalber mitgeteilt, daß wir einen Jagdausflug unternehmen wollten und vielleicht zwei bis drei Tage fortbleiben würden. –

Gegen halb zehn verließen wir die Zeltstadt, über deren Lage und Umgebung ich bereits im vorigen Band Näheres berichtet habe.

Nach Mitternacht erreichten wir jene stufenartigen Abdachungen der Gagho-Berge, die nach Süden zu in die offene Wüste hinabführen.

Unsere trefflichen Tiere kletterten spielend leicht die zum Teil recht schroffen Hänge abwärts, und als wir nun den weichen Sand der Wüste unter den Hufen unserer Tiere knirschen hörten, schlugen wir ein rascheres Tempo an.

Die völlig ausgeruhten Dromedare fegten nur so dahin, und bereits fünf Stunden später tauchten im Süden die uns bekannten phantastischen Umrisse des mächtigen Bergmassivs des Lokalla auf.

Ja – wir kannten ihn bereits … Denn hier hatte ein verräterischer Tuareg uns einen Hinterhalt gelegt gehabt, – hier waren wir vor vier Tagen nur durch Haralds List und Aufopferung den uns bestimmt gewesenen heimtückischen Kugeln entgangen. –

Bisher hatten wir drei nicht viel miteinander gesprochen. Nur Gurma – auch das war eine Schwäche von ihm – schnatterte in einem fort und erzählte Geschichten, die uns nur langweilten …

Jetzt, als wir die Tiere angesichts des Lokalla in Schritt fallen ließen, fragte Harald ganz unvermittelt:

„Wie lange dientest Du dem Amerikaner Greag als Führer, Freund Gurma?“

„Oh – das waren so fünf Wochen, Massa Harst …“

„Und Greag fuhr dann wieder nach New York zurück?“

„Nein, nein … Er blieb in Timbuktu am Niger-Fluß, Massa Harst. Dort lohnte er mich ab.“

„Was wollte er denn dort?“

„Sich ausruhen und nachher zu Schiff weiter nach der Guinea-Küste …“

„Und Du selbst?“

„Ich bin mit einer Karawane nach Kuka am Tschad-See gegangen … als Kameltreiber …“

„So … so …!“

Und dieses „So … so!“ verriet mir, daß Harald der Person dieses Greag eine Beachtung schenkte, die wohl ihre besondere Bedeutung haben mußte.

In Gegenwart Gurmas mochte ich jedoch nicht fragen, blickte Harald nur fragend an und – – erhielt als Antwort ein feines Lächeln und ein kurzes Kopfnicken. –

Wir umritten den Lokalla nun nach Osten zu in weitem Bogen. Der Berg glich in seinen oberen zerklüfteten Teilen genau einer ungeheuren Burgruine. Das Sternenlicht und der Mondenschein machten diese Täuschung noch vollkommener.

Als wir jetzt wieder nach Süden einschwenkten, rief Gurma, dessen Augen wirklich selten scharf waren, plötzlich ganz aufgeregt:

„Massa Harst, – – dort oben … Ein Licht aus dem Berge … ein Licht …!!“

Es stimmte: etwa in halber Höhe des Lokalla schimmerte ein weißes Licht, und daß es sich hier nicht etwa um eine kleine Laterne handeln könnte, sah ich auf den ersten Blick. Dazu war es viel zu weit bis zu jener Stelle, wo das einsame weiße Licht so grell leuchtete.

Harst hielt sein Dromedar an …

Griff in den Gürtel, nahm das Fernglas zur Hand …

Und – gerade als er es eingestellt hatte, verschwand das Licht für Sekunden, flammte dann abermals auf, erlosch, erschien von neuem – in dauerndem Spiel von Hell und Dunkel – in ungleichen Zwischenräumen …

„Lichttelegraphie,“ flüsterte Harald …

Und er wandte den Kopf, suchte nun mit dem Glase den südlichen Horizont ab …

Sagte wieder:

„Dort – meilenweit entfernt – antwortet jemand, – auch mit Lichtblitzen …“

Indem erlosch die Lichtquelle auf dem Berge.

„Oh – die Geister des Lokalla …!“ murmelte Gurma, der Tapfere, und sein Panthergebiß schlug vor Angst klappernd aufeinander.

„Du bist verrückt, Freund Gurma,“ meinte Harald grob. „Geister, die mit einem Hohlspiegel und einer Karbidlaterne hantieren, sind sehr körperlicher Natur. – Steigen wir ab … Verbergen wir unsere Tiere. Es wird sich fraglos vor Morgengrauen noch etwas ereignen …“

In einem mit Felsblöcken übersäten Tale fanden wir ein gutes Versteck.

„Du bleibst hier bei den Dromedaren, Gurma,“ befahl Harald. „Und unter keinen Umständen verläßt Du diesen Platz. Wenn Du dort den Eingang zu diesem kleinen Felsenhof mit Steinen verrammelst, kann niemand zu Dir herein.“

„Massa Harst – ich bleibe, und wenn ich drei Wochen warten sollte!“ erklärte der Freßsack feierlich. Jetzt war er wieder obenauf. Jetzt konnte er wieder faulenzen, essen, trinken, schlafen …

Und doch: als wir beide nun davonschritten, kam er uns plötzlich nachgelaufen …

„Massa Harst … Massa Harst mich doch lieber mitnehmen sollten …“

In seinen Augen schimmerte es feucht. Ich merkte: er war um unser Leben besorgt. Er war doch ein braver Kerl!

Wir gaben ihm die Hand …

Und Harald meinte halb scherzend:

„Sollten wir bis zum Abend nicht wieder hier sein, so kannst Du uns ja folgen, Freund Gurma. Wir werden die Schlucht aufsuchen. – Nicht wahr, dort, wo das Licht aufflammte, liegt doch die Schlucht?“

„Ja, Massa Harst, … ja! So ungefähr …“

Und trübselig machte er kehrt und verschwand in dem von Felsblöcken eingezäunten Lagerplatz.

 

2. Kapitel.

Als die Felsen barsten …

Mondnachtzauber …! Unnennbarer Reiz der grandiosen Einsamkeit der Wüste …! Feierliche Stille des Sandmeeres, die nur unterbrochen wurde von dem fernen Kläffen beutegieriger Aasfresser, der Schakale …

Und wir beide, die Mauserbüchsen neben uns, auf flachem mächtigen Felsblock am Fuße der Südabhänge des Lokalla …

Wir beide als Naturschwärmer all dies Schöne genießend.

Und hinauslauschend gen Osten, woher jetzt auch das dumpfe Grollen einer Löwenstimme herüberklang. –

Die Löwen sind selten geworden in der Sahara. Denn dort, wo es Wasserstellen gibt, wo grüne Oasen das Gelbgrau der Wüste beleben, weiden die Herden der Beduinen, oder der Tuaregs … Und all diese Söhne der Sahara sind jetzt zumeist mit modernen Büchsen bewaffnet, schießen den Löwen, den Herdenwürger, gefahrlos ab …

So selten sind die Löwen geworden, daß viele Afrikareisende behaupten, es gebe überhaupt keinen einzigen Löwen mehr zwischen Nordafrika und Senegambien. Was natürlich übertrieben ist, was wir beide am besten widerlegen könnten. –

Und gerade als das tiefe Grollen zum zweiten Male an unser Ohr drang, gerade da stieß Harald mich an …

„Bitte – drei Reiter, drei Lastdromedare …!“

Ich schaute gen Süden … Und dorther, wo vorhin am Horizont als Antwort die anderen Lichtsignale aufgeflammt waren, – dorther kamen die Reiter im schwindenden Mondlicht – einer weit voraus, die beiden anderen mit den Lasttieren, gleichfalls im vollen Galopp …

Wie Spukgestalten … Lautlos, windschnell …

Auf unser Versteck zu …

Dicht an uns vorüber, so daß nur die Steinbarriere der Felsenplattform uns schützte …

Hielten kaum fünfzig Meter hinter uns … Sprangen von den hochbeinigen Dromedaren …

Wir hatten unsere Stellung gewechselt, hatten nun die Gesichter dem Berge zugekehrt, beobachteten … –

Nicht lange, und aus einer wüsten Masse von Felsstücken tauchten drei andere Männer auf – auch Europäer … Trugen Säcke auf dem Rücken, begrüßten die Reiter mit Handschlag, flüsterten, warfen die Säcke auf den Boden, eilten davon, tauchten zwischen den Felsen unter, erschienen von neuem …

Wieder mit Säcken …

Halfen den drei anderen, die sechs offenbar zentnerschweren Lasten den Dromedaren aufzubürden …

Nur Minuten dauerte das …

Dann nur noch ein paar Händedrücke, und die Reiter jagten wieder gen Süden …

Die drei anderen verschwanden gleichfalls …

Und so rasch hatte sich das alles abgespielt, daß der Eindruck des Spukhaften, Unwirklichen nur noch verstärkt wurde.

Wie ein Traum war’s gewesen …

Ein Traum, geträumt am Rande der Sahara … –

Und doch – neben mir nun Harald – mit leisem Lachen:

„Das waren die Geister des Lokalla! Sechs Europäer!“

„Und drei davon hausen in der unzugänglichen Schlucht!“

„Vielleicht auch noch mehr …“

„Und – was tun sie dort?“

„Goldgräber …!“

„Ah – und der Amerikaner Greag?“

„Ist der Obermacher, der Impresario …“

„Und wir?“

„Werden nach zehn Minuten den Berg erklimmen … Werden Mr. Greag besuchen und uns die Goldwäscherei ansehen …“

„Hm …“

„Du meinst, wir werden nicht sehr willkommen sein! Mag schon stimmen! Die Herrschaften wollen ihr Geheimnis hüten … Denn die Franzosen als Herren dieser Landstriche würden die Goldausfuhr wohl sehr hoch besteuern. – Wenn Mr. Greag erst weiß, wen er vor sich hat, wird er uns freundlicher behandeln. Wir werden nichts verraten …“

All das klang so logisch, so einleuchtend. – Goldgräber – was sonst?! Goldschmuggler – natürlich …! – So dachte auch ich. Und doch waren wir von der Wahrheit weiter entfernt als von der deutschen Heimat! Harsts Vermutungen trafen nicht zu. Alles war anders …

Und hätten wir geahnt, wie es war, dann würden wir vielleicht umgekehrt sein … vielleicht!

So aber warteten wir, bis im Osten die ersten Anzeichen der Morgendämmerung sich bemerkbar machten …

Und begannen den Anstieg, kletterten in dieselbe Felswildnis hinein, aus der die drei Männer mit den schweren Lasten aufgetaucht waren …

Kletterten mit größter Vorsicht, geräuschlos und voller Mißtrauen. Fanden hier zwischen den riesigen Blöcken beim Lichte unserer Taschenlampen etwas wie einen Pfad …

Kamen höher und höher – durch Schlünde und kleine Täler, über Felsterrassen, am Rande von Abgründen entlang …

Immer noch diesen Pfad vor Augen, der sich auf dem Gestein nur als breiter Strich abzeichnete …

Und der nun plötzlich in einer steilen Schlucht, die wie ein Schornstein wirkte, ein Ende hatte … –

Harald kniete jetzt …

Suchte … suchte … – Der Pfad mußte ja eine Fortsetzung haben …

Und – doch war nirgends etwas zu finden. Mitten auf einem flachen Stein erkannte man die letzte blanke Stelle, das Ende der Spur … Und dann – nichts mehr … –

Harst kroch rückwärts, flüsterte:

„Es kann eine blinde Spur zur Täuschung anderer sein … Die richtige Fährte mag schon vorher seitwärts abbiegen …“

Und – richtete sich plötzlich wieder auf, zwinkerte ganz lustig mit den Augen und bog den Kopf zurück …

Trat genau auf das Ende der Spur … Hob den linken Arm mit der Taschenlampe …

Ein Sprung – und er erreichte eine vorgewölbte Stelle der Schluchtwand, faßte hier festen Fuß, duckte sich und – und war mit einem Male verschwunden …

Ich wartete … wartete …

Angst, Sorge um Harald wuchsen …

Ich hielt es hier in dem engen steilen Felsenschlund so allein nicht länger aus …

Und kurz entschlossen wagte ich denselben Sprung – langte auch oben an, sah, daß der vorgewölbte Teil der Felswand nach hinten zu aus einer breiten zackigen Öffnung bestand … Leuchtete in das Loch hinein, stellte fest, daß es der Eingang zu einem natürlichen schrägen Schacht war … –

Während ich noch zauderte, Harald dort hinab zu folgen bemerkte ich ihn plötzlich in der Tiefe, wie er auf allen Vieren, die Taschenlampe in den Zähnen, emporklomm – als befände er sich auf der Flucht …

Und gewahrte dann auch hinter ihm andere Gestalten … Neger … Drei … vier splitternackte Schwarze, die Gesichter verzerrt, das Weiß der Augen leuchtend – unheimlich anzuschauen …

Dann wich ich zurück, machte Harald Platz …

Hatte schon die Clement in der Hand, wollte feuern …

Er riß die Lampe aus dem Munde …

„Nicht schießen …!“ keuchte er … „Spring hinab – – schnell …!!“

Und halb riß er mich mit sich in die Schlucht …

Mit zerschundenen Händen stürmten wir abwärts …

Hatten kaum die Terrasse erreicht, auf die diese Felsenesse mündete, als ein geradezu ungeheurer Knall den Berg erschütterte …

Felsen wankten, stürzten …

Steinlawinen kamen herab …

Und wir beide lagen mit jagenden Herzen und Lungen dicht an die Rückwand der Terrasse geschmiegt … Erlebten hier eine Katastrophe, wie sie großartiger und furchtbarer kaum je vorgekommen sein dürfte …

Der Berg schien zu leben … Immer neue Detonationen erfolgten … Ganze Steinterrassen lösten sich, ganze Zacken brachen ab, füllten Täler … Und wo Täler und Schluchten gewesen, entstanden Hügel und Kuppen …

Der Berg lebte … Gebar Neues, verschlang Altes …

Wie bei einem Erdbeben …

Gleich als ob in den Tiefen des Lokalla enorme Gasmassen explodierten … –

Mehr noch sahen wir …

Da kamen vier – acht – zehn Neger aus der Felsenesse heraus … Wie irrsinnig vor Angst … Splitternackt … Standen wie blöde, wie gelähmt …

Bis ein neuer Steinhagel herabsauste, ein Strom von Blöcken, und die armen Schwarzen mit in die Tiefe fegte … –

So ungeheuerlich war dieses Schauspiel, daß ich selbst völlig vergaß, wie ernst diese Gefahren auch uns bedrohten.

So völlig waren alle meine Sinne von diesen unerhörten äußeren Eindrücken in Anspruch genommen, daß auch nicht ein einziger Gedanke der Ursache dieser Katastrophe galt. Nur ganz flüchtig dachte ich an ein Erdbeben … So flüchtig, wie eben die Gedanken an etwas Unmöglichem vorübergleiten. Denn noch nie hatten diese Teile Afrikas, das wußte ich, unter der verheerenden Gewalt unterirdischer Naturkräfte zu leiden gehabt. –

Nach diesem Getöse, nach dieser raschen Aufeinanderfolge verschiedenartigster Geräusche stärkster Schallwirkungen, unter denen es uns noch wie nach einer Kanonade in den Ohren dröhnte, – nach diesem jähen Erleben eines Naturereignisses von solch gigantischer Großartigkeit erschreckte uns die plötzliche Stille fast noch mehr als der wilde Lärm der durcheinander geworfenen Felsmassen.

Hier und dort kollerte vielleicht noch ein Steinchen abwärts. Sonst Stille …

Die Stille der toten, wieder zur Ruhe gekommenen Bergwildnis …

Die Stille des Grabes der armen Schwarzen, die dort im Tale unterhalb der Terrasse zerschmettert, verschüttet lagen und nie wieder zum Vorschein kommen würden … –

Und als wir nun erkannten, daß wir beide wirklich dem Unheil glücklich entronnen waren, als mit dem Abflauen des schmerzhaften Vibrierens aller Nervenstränge die klare Überlegung wieder die Oberhand gewann, da formte sich alles, was in meinem Innern an Fragen und Zweifeln wogte, zu einem einzigen Satz:

„Was – – war das, Harald?“

Und er, der Freund, der die Ursache der Katastrophe kannte, blickte mich mit seltsam leeren Augen an, schloß einen Moment die Lider, wie betäubt von dem, was er gesehen, öffnete sie wieder und sagte schwer und ernst:

„Ich werde Dich jetzt hinabführen in die Schlucht der Geister, falls der Gang nicht verschüttet ist. Dort wirst Du begreifen, daß mir der Herzschlag aussetzte, als ich beobachtete, was geschehen mußte und dann auch wirklich geschah … – Komm’, die Gefahr ist vorüber …“

 

3. Kapitel.

Der Zettel.

Er kletterte voran …

Die Felsenesse war jetzt zur Hälfte mit Gestein ausgefüllt.

Unendlich schwer war es, dorthin zu gelangen, wo wir vor kaum fünf Minuten von dem Vorsprung der Wand gerade noch im letzten Augenblick geflüchtet waren.

Und der Weg bis dahin – – ein Weg des Grauens, ein Weg, gepflastert mit verkrümmten, zerquetschten Leibern von Negern, über denen die Steinlast der geborstenen Felsen lag …

Zwanzig Leichen zählten wir. Wieviel noch unter den tieferen Geröllschichten ruhten, war nicht einmal zu schätzen.

Und dann der schräge Schacht … Dunkel, unheimlich.

Der Eingang noch frei. Und soweit das Licht unserer Taschenlampen reichte, auch keinerlei Veränderung des Gesteins. –

Harald wieder voran …

Sehr vorsichtig – sehr langsam …

Ich hinterdrein … Und mir war die Kehle wie zugeschnürt … Ich ahnte, daß ich noch Unerhörteres sehen würde … Noch andere Bilder des Schreckens, für die ich bisher keine Erklärung hatte.

Meter um Meter rutschten wir hinab …

Ein eigentümlicher Geruch erfüllte die Luft hier im Schacht. Ich möchte sagen: es roch erfrischend, so, als ob große Mengen Ozon hier lagerten … –

Dann ein Hindernis …: Leichen – Neger, acht Tote, splitternackt, – ein Knäuel von Leibern, der den Schacht wie ein Pfropfen verschloß.

Harald packte kaltblütig zu, schaffte Raum …

Wir schoben uns vorüber – bis zur ersten Biegung, hinter der dieser Schlund sich trompetenartig erweiterte.

Die Lichtkegel unserer Lampen verloren sich in schwarzer Unendlichkeit …

„Die Schlucht der Geister …“ sagte Harald leise. „Eigentlich eine riesige Höhle mit einem breiten Spalt oben …“

Und er zeigte in die Höhe, wo ein ganz schwacher Schimmer von Tageslicht sichtbar war.

Die beiden Lichtkegel tasteten nun die nähere Umgebung ab …

Und das war nichts als ein Chaos von Felstrümmern, zersplitterten Balken, menschlichen Gliedmaßen, Maschinenteilen …

Noch immer begriff ich nichts – nichts …

Neben mir sagte Harald:

„Als ich bis hierher gelangt war, erstrahlte die Höhle im Lichte zahlloser Laternen … Gegen hundert nackte Schwarze sah ich in der betäubenden Glut der überhitzten Grotte vor Schmelzöfen arbeiten, Gestein herbeischleppen. Feuerungsmaterial … Sah auch drei Europäer mehr im Hintergrund vor riesigen Glasgefäßen. Sah, daß die Höhle einem Fabrikraum glich und erkannte, wie sehr ich mich geirrt hatte: nichts von Goldgräbern! Nicht Gold wurde hier gewonnen, sondern …“

Pause …

„… sondern Radium, mein Alter … Radium, von dem ein Gramm ungezählte Millionen wert ist, – Radium, das aus der sogenannten Pechblende gewonnen wird. – Ingenieur Greag hat hier fraglos Spuren von Pechblende gefunden, hat dann ohne Gurma die Schlucht genauer untersucht, hat als unternehmender Mann die Gewinnung von Radium im großen in die Wege geleitet. Und das, was seine drei Vertrauten auf den Lastkamelen in den Ledersäcken wegbrachten, waren eben Bleizylinder, gefüllt mit Radiumteilchen! Bleizylinder! Denn den Strahlen des Radiums widersteht nur ein Metall: Blei!“

„Und – die Katastrophe …?“

„Gasexplosionen, mein Alter … – Es müssen sich in der Höhle gerade heute, vielleicht infolge falscher Handhabung der Apparate, große Mengen eines explosiven Gases angesammelt haben. Ich beobachtete von dieser Stelle aus, wie ein intensiv blaues Flämmchen plötzlich aus dem einen Schmelzofen hochleckte, wie aus diesem Flämmchen förmliche Strahlenbündel mit leisem Puffen nach allen Seiten schossen … Da – floh ich … – Alles andere weißt Du …“

Er hob seine Lampe höher empor …

Drehte sie seitwärts …

Da lag zwischen zwei Felstrümmern die Leiche eines Europäers … eines blondbärtigen Mannes …

Scheinbar ohne Verletzungen. Also wohl vom Luftdruck der Explosionen getötet und hierher geschleudert.

Wir gingen näher heran. Harald öffnete die Joppe des Toten … zog eine Brieftasche hervor …

Und – packte meinen Arm …

Rief:

„Da – die Glühfäden unserer Lampen …! Vor der Linse ein violetter Kreis!! Fort von hier …! Gefahr!!“

In wilder Hast ging’s in den Schacht zurück …

In wilder Eile nach oben – an die frische, klare Morgenluft …

Und hinab zur Terrasse – hinab von dem Berge der Toten, der jetzt in Wahrheit diesen Namen verdiente …

Denn neue Gasexplosionen schienen ja zu drohen … Die Höhle war abermals mit Gas angefüllt. Das hatten unsere Taschenlampen verraten, hatten uns gewarnt. –

Erst unten am Fuße des Berges mäßigten wir unsere Eile.

„Es gibt doch immer noch Ereignisse, Dinge, die man mit der Phantasie nicht enthüllt,“ meinte Harald jetzt. „Wer hätte wohl gedacht, daß in der Schlucht der Geister ein chemisches Laboratorium eingerichtet war – hier in der Sahara, zweihundert Meilen vom Wüstensaume entfernt! – Ich bewundere und bemitleide diesen Greag. Es muß ein Mann von ungeheurer Energie gewesen sein.“

So ehrte ein Harald Harst den Toten, dessen Brieftasche er als einziges Andenken an die gasverpestete Höhle bei sich trug.

Und als wir uns nun der Stelle näherten, wo Gurma, der Freßsack, mit unseren Dromedaren hinter der Steinmauer verborgen war, da bewegten wir uns absichtlich lautloser vorwärts.

Da erreichten wir unbemerkt diese Steinverschanzung, schauten hindurch und …

Ja – wie göttlich ist doch ein herzliches Lachen! Wie sehr befreit es die Seele von trübem Druck! Wie sehr hilft es vergessen, was uns noch soeben Grauen und Kälte in die Nerven getrieben!

Wir … lachten … lachten …

Denn da drinnen im sicheren Port der Felsen saß Gurma vor einem kleinen Feuer, hatte in jeder Hand eine Keule eines gebratenen Huhns … und … fraß … fraß … mit einem Behagen, daß sein Gorillagesicht nur so glänzte!! –

Harald nahm einen kleinen Stein, – – warf und traf …

Traf unseren Helden genau gegen die Stirn – – genau!

Da hätte man Gurma sehen sollen …!!

Die Hühnerkeulen fielen ihm vor Schreck aus den Händen.

Und – er selbst … fiel hintenüber, rollte sich mit unglaublichem Geschick in eine Art Hundehütte hinein, die er sich aus Felsstücken errichtet hatte …

Und dann erst schob er den Lauf seiner Büchse aus dieser Deckung hervor und brüllte:

„Wir schießen Euch tot …! Wir sind hier zu dreien!! Entfernt Euch …!!“

Dieser Unsinn, diese lächerliche Drohung wirkte noch überwältigender …

Wir lachten abermals – jetzt aus vollem Halse …

Und – der Erfolg war verblüffend. Gurma kroch grinsend heraus, setzte sich wieder an das kleine Feuer, hob die halb benagten Keulen auf, wischte die Asche ab und sagte dabei ganz gelassen:

„Die Massas kommen gerade zur rechten Zeit … Ich esse …“

Wir kletterten über den Steinwall. Wir hatten tatsächlich über diesem komischen Intermezzo das aufregende Erlebnis vergessen.

Wenn wir jedoch gehofft hatten, daß Gurma auch für uns ein Frühstück bereithielte, so war das ein böser Irrtum gewesen. Der Freßsack hatte nur an sich gedacht, und bevor er uns Tee zubereitet und das Hirsebrot über dem Feuer aufgefrischt hatte, fanden wir überreichlich Zeit, die Brieftasche Greags genau auf ihren Inhalt zu prüfen. –

Stuart Alva George Greag hatte der Ingenieur mit vollem Namen geheißen, wie aus einer Mitgliedskarte des New Yorker Ingenieurvereins hervorging. Er war 35 Jahre alt, unverheiratet und zuletzt Angestellter der Maschinenfabriken von Julian, Exter & Comp. gewesen.

Im übrigen enthielt die Brieftasche nichts von Bedeutung: Briefe eines Bekannten Greags, dann ein paar Skizzen von Maschinen und 1500 Dollar in größeren Banknoten.

Harald, der stets so überaus gründliche, befühlte jetzt die lederne Tasche auch daraufhin, ob etwa zwischen Leder und Seidenbezug der einzelnen Abteilungen etwas verborgen sei.

„Aha!“ sagte er plötzlich. „Hier ist die Naht ein wenig aufgetrennt, hier steckt noch ein zusammengefaltetes Papier!“

Und er brachte so ein durchfettetes schmales Papierstück zum Vorschein, das etwa einem zerknüllten Straßenbahnfahrschein glich und das jeder andere seiner Unsauberkeit wegen weggeworfen hätte.

Harald strich es sorgfältig auf dem Schenkel glatt und meinte:

„Nun – es wird schon seine Bedeutung haben!“

Aber – es war leer …

Leer und nur unglaublich fettig und schmutzig.

„Hm –!“ brummte Harst … „Sollte ich mich so irren?!“

Und er hielt es gegen die Sonne …

Wo die fettigen Stellen sich befanden, flimmerte das Licht matt hindurch.

Doch damit ließ sich nichts anfangen. Es war eben nur ein Wisch Papier, der fraglos zufällig zwischen Futter und Leder gerutscht war.

Achselzuckend schob Harald ihn ebenfalls wieder in die Brieftasche.

Hierbei fiel die Klappe der Tasche zu, so daß das Licht vom Innern abgesperrt wurde …

Und – plötzlich stieß Harst einen leisen Pfiff aus … Hatte noch Daumen, Zeige- und Mittelfinger in der Brieftasche, zog den Zettel wieder hervor und sagte nur:

„Gib mal unsere Beduinenmäntel her, mein Alter …“

Ich tat’s …

Und zu Gurmas maßlosem Erstaunen breitete Harald nun beide Mäntel so über unsere Köpfe aus, als wollten wir uns eine provisorische Dunkelkammer herstellen.

Jetzt – sah auch ich, daß der schmierige Zettel doch sein Geheimnis hatte. Da waren mit Leuchtfarbe, die sehr intensiv strahlte, eine Anzahl Silben niedergeschrieben, deutlich lesbar.

Ich will diese beschriebene Seite hier genau wiedergeben, damit auch meine Leserfreunde Gelegenheit haben, sich im Entziffern einer Geheimschrift zu versuchen. Den im Original englisch abgefaßten Text habe ich ins Deutsche übertragen.

Für   den   Di     Soll    len    su
Mor    Dra    am    te    kön    chen,
ton.     bu    an    ich    nen,     sie
Ich    Fäl    ten    sie    so    Dir
ha    len    ge    nicht    magst    an
be    schwar    fun    mehr    Du    zu
in    ze    den.     ho    ver    eig    nen.

Nun – diese „Geheimschrift“ ist ja so überaus einfach zu lösen, daß ich wohl kaum eine Erklärung dazu abzugeben brauche. Der Leser wird sie genau so glatt entziffern können wie ich damals auf unserem Lagerplatz in der „Dunkelkammer“.

Es handelte sich also um schwarze Diamanten, die offenbar in größerer Menge in den Drabu-Fällen von Greag entdeckt worden waren und die er gleichsam als Erbschaft seinem Freunde Morton hinterließ. –

Wir beide enthüllten uns nun wieder, setzten uns bequem auf die jetzt zusammengelegten Mäntel und besprachen flüsternd das große Geheimnis.

Ein – großes Geheimnis …! Denn schwarze Diamanten sind bekanntlich äußerst selten und werden daher oft zu phantastischen Preisen gehandelt.

Harald meinte leise:

„Unwillkürlich muß man bei dem Inhalt dieses Zettels an unser voriges Abenteuer denken … Auch da spielten drei schwarze Diamanten eine gewisse Rolle …“

„Und ein präparierter Käfer in einer Bibel!“ nickte ich.

„Ja, mein Alter … Auch das. Hier interessieren uns nur die Diamanten … Nur. Nicht aus Goldgier. Das brauche ich nicht zu betonen. – Ich habe mein Lebtag nichts von Drabu-Fällen gehört. Fragen wir mal Gurma …“

Und er rief dem Freßsack zu:

„He, Freund Gurma, kennst Du die Drabu-Fälle?“

Der Freßsack ließ sich beim Brotrösten nicht stören, erwiderte gleichgültig:

„Drabu sein Nebenfluß von Niger, Massa Harst … Kleiner Fluß in Hombori-Bergen … Sehr viele Wasserfälle dort und Urwälder und Zwerge, die Menschen fressen …“

„Angenehme Gegend …!“

„Und auch Krokodile, Gorillas und große Schlangen, Massa Harst … Massa Greag dort gewesen sein, bevor er mich mietete. Hat mir viel erzählt … Zwergenvolk nennt sich Barrattu und schießt mit vergifteten Pfeilen. Krokodile dort so viel wie hier die Schakale in der Wüste … Massa Harst dort sterben würden …“

Harald drohte ihm mit dem Finger …

„Gurma, Gurma, Du willst uns den Drabu-Fluß nur verekeln!! Du hast Angst, wir könnten uns dorthin wenden.“

Gurma hielt das für einen Witz.

„Ich nie Angst haben, Massa Harst,“ erklärte er stolz. „Und was sollen Massa Harst dort in den Urwäldern, wo so selten ein Europäer hinkommt?!“

Sprach’s und servierte uns das Frühstück …

Wir aßen. Und ich wußte, daß uns nun eine Bootsfahrt den Niger hinab bevorstand, daß Harald nicht eher ruhen würde, bis er die schwarzen Diamanten für jenen uns unbekannten Morton geborgen hatte.

 

4. Kapitel.

Das Zinkboot.

Zehn Tage später …

In diesen zehn Tagen war so vieles geschehen, daß man darüber ein dickes Buch schreiben könnte:

  1. Rückkehr nach der Residenz der Sultana. Abschiedsfeier für uns, Geschenke.
  2. Reise bis Timbuktu hoch zu Dromedar. Drei Zwischenfälle mit Beduinen. Gurma wird verwundet, und Harst muß ihm die vereiterte linke Ohrmuschel entfernen. Gurma ist … einohrig.
  3. Ankunft in Timbuktu. Abschied von Gurma. Rückkehr Gurmas nach einer Stunde. Er hat sich die Sache überlegt, will uns doch begleiten – treue verfressene Seele.
  4. Dampferfahrt den Niger hinab bis zum Dorfe Bodiru, wo ein schwarzer Sultan an der Mündung des Drabu residiert. Wir kaufen in Bodiru ein Boot mit Mattensegeln, mieten sechs Ruderer, die sich die Löhnung halb vorauszahlen lassen und schon in der nächsten Nacht spurlos verduften.
  5. und letztens: in derselben Nacht werden wir von anderen Negern bestohlen. Wir behalten nur das elende Boot und unsere Waffen sowie eine Proviantkiste.

Und so war denn der Morgen des zwölften Tages für uns angebrochen.

Harst war übelster Laune. Er beschuldigte Gurma, der von Mitternacht bis zwei Uhr morgens hatte wachen sollen, geschlafen zu haben. Nur so sei der Diebstahl möglich gewesen.

Und Gurma verteidigte sich tief gekränkt und behauptete, daß er jetzt nach Verlust der linken Ohrmuschel so gut wie nichts mehr hören könne und sich daher zum Wächter gar nicht mehr eigne …!!

Oh – Gurma war schlau! Gurma hoffte, fortan nachts in voller Ruhe verdauen zu können …!!

Harald war noch schlauer, flüsterte mir ganz leise zu:

„Du – Vorsicht, mein Alter! Hinter uns im Gebüsch liegt ein Leopard sprungbereit …!“

Und – da hätte man den schwerhörigen Gurma sehen sollen …! Wie der mit einem Satz vom Ufer im Boot war und brüllte:

„Massa – – schießt, schießt …! Leopard nur Negerfleisch fressen …!“

Und wir – – lachten, lachten …!

Der Freßsack aber machte ein sehr bekniffenes Gesicht und hat fortan nie mehr den Schwerhörigen gespielt.

So begann unsere Flußfahrt auf dem Drabu …

Auf diesem geradezu wundervollen, fünfzig Meter breiten Strome, dessen Uferpartien all die Schönheiten des Nigers weit in den Schatten stellten …

Gerade weil der Drabu sich zumeist zwischen urwaldbedeckten Berghängen hindurchschlängelt, gerade weil seine verschiedenen Tücken den Europäer bisher von ihm ferngehalten haben, bietet er dem Naturfreunde unendlich viel Neues und Reizvolles.

Auch jetzt wie so oft schon bedauere ich aufrichtig, daß mir nicht vergönnt ist, den Freunden der Harald Harst-Abenteuer im einzelnen schildern zu können, was alles die Tropen an oft überwältigender Schönheit, an steter Abwechselung der Landschaftsbilder und an Seltsamkeit der Tierwelt für das Auge des Europäers zur Verfügung haben.

Drei Tage hier auf dem Drabu, und ich hatte nicht nur vier Gorillas zu Gesicht bekommen, sondern auch zwei Leoparden, einen Wasserbüffel und eine Schlange von vier Meter Länge erlegt …!

Freilich – der Drabu hatte ja auch seine Schattenseiten, und das waren die zahlreichen Wasserfälle, die wir umgehen, also unser Boot schleppen mußten, und dann … die Nächte!

Diese Nächte mit ihren Legionen von Stechmücken aller Art, mit all dem anderen Getier, das stets durch unser Feuer angelockt wurde …

Diese Nächte, die so wenig Ruhe brachten, die endlos erschienen, die erfüllt waren von den tausendfältigen Stimmen des Urwaldes!

Stets suchten wir zwar eine schmale Landzunge als Lagerplatz aus, die sich nach dem Flußufer hin leicht durch einen Dornenverhau absperren ließ.

Was galt solch ein Verhau einem Leoparden?! Nichts – gar nichts …! Was galt er Giftschlangen, skorpionartigen Riesenkäfern und Riesenfledermäusen, die so frech waren, daß sie im Fluge uns das Brot aus der Hand rissen …! –

Nein, ehrlich: die Nächte waren furchtbar! Und wir drei hätten gern den Weg zu Fuß fortgesetzt, wenn dies möglich gewesen wäre. Doch – der Urwald an den Ufern war zu dicht, außerdem hatten wir auch keine Lust, uns heimtückisch aus den Baumwipfeln einen Giftpfeil in den Leib schießen zu lassen …! –

Um die Mittagszeit am fünften Tage vernahmen wir dann schon von weitem das Donnern und Toben eines größeren Wasserfalles.

Noch einige Krümmungen, und wir hatten ihn vor uns …

Vierzig Meter tief stürzt hier der Drabu senkrecht in einen Abgrund hinab.

Die Gewalt der dadurch entstehenden Strömung ist so ungeheuer, daß noch tausend Meter unterhalb des Falles in der Mitte des Flusses das Wasser pfeilschnell dahinschießt.

Wir hielten uns am linken Ufer, wo zahlreiche Barrieren entwurzelter Urwaldriesen sich wie Wellenbrecher in den Strom hineinschoben und stille Buchten schufen.

Wir schleppten unser Boot über diese Wälle hinweg und kamen so den Fällen näher und näher …

Bis wir dann in einer dieser Buchten etwas fanden, das uns sehr zu denken gab: ein angetriebenes, umgekipptes Zinkboot mit Luftkästen …

Eines jener Boote, wie die moderne Technik sie für Forschungsreisende erfunden hat: aus fünf Teilen bestehend, die leicht aneinander zu schrauben waren und doch ein durchaus sicheres und dabei bequem zu regierendes Fahrzeug ergaben. –

Als wir dieses Zinkboot jetzt aufrichteten, kam die zweite Überraschung: festgeklemmt unter den mittleren Ruderbänken fanden wir die völlig verweste Leiche einer Europäerin!

Ich will nicht beschreiben, wie abschreckend diese Tote, die schon monatelang im Wasser gelegen haben mußte, aussah und welch fürchterlicher Verwesungsgeruch uns schleunigst dazu zwang, die Unbekannte am Ufer zu verscharren.

Und doch hatte Harald noch die Kleider der Leiche durchsucht, hatte in einer Tasche des Sportrockes einen kleinen verrosteten Damenrevolver und eine silberne Kettenbörse gefunden, in der drei goldene Ringe und eine goldene Brosche, ein Hufeisen nebst Peitsche darstellend, enthalten waren.

Einer der Ringe mit in Platin gefaßten Perlen zeigte eine Gravierung:

H. M. 1912. – F. K. R.

Damit war nicht viel anzufangen.

Mehr sagte uns schon der Revolver. Er trug den Stempel einer New Yorker Waffenfabrik, dazu ein Plättchen mit folgender Gravierung:

H. M. 1918. – St. A. G. G.

Und da sagte Harald:

„St. A. G. G. – also Stuart Alva George Greag ist der Spender dieser Waffe. Und diese Frau hieß H. M. – vielleicht … Helene Morton, vielleicht eine Verwandte jenes Morton, der die schwarzen Diamanten erben soll …!“

„Hm …?!“ machte ich sehr zweifelnd. „Doch wohl ein zu kühner Schluß!“

„Nur etwas, das einem unwillkürlich in den Sinn kommt, lieber Alter … – Doch – all das hat noch Zeit. Jetzt wollen wir das Zinkboot als unser Eigentum ansehen und den elenden Negerkahn schwimmen lassen …“

Wir beide standen noch am Ufer, noch dort, wo wir die Unbekannte bestattet hatten.

Und Gurma saß sechs Schritt weiter in unserem Boot, hielt die Büchse auf den Knien und beobachtete die Umgebung, damit wir nicht heimtückisch überfallen werden könnten.

Gurmas Augen waren tadellos …

Und so kam denn auch jetzt sein Warnungsruf noch zur rechten Zeit:

„Massas – – Barrattus – –!! Schnell ins Boot! Schnell!“

 

5. Kapitel.

Die blonde Erscheinung.

Das Zwergenvolk der Barrattus oder Gorikaras (Affenmenschen) ist noch heute den Forschern ein Rätsel, denn weder seiner Hautfarbe noch Gesichtsbildung nach kann es der Negerrasse zugerechnet werden.

Wir selbst hatten von diesen hellbraunen hinterlistigen Knirpsen, die das lange schwarze Haar sämtlich, Weiber, Männer und Kinder, durch Lehm zu drei unförmigen Wulsten auf dem Kopfe festlegen, bisher nur durch Gurma und durch die Erzählungen einiger französischer Kolonialoffiziere Kunde erhalten. Auch die Offiziere, die wir auf dem Dampfer nach Timbuktu kennenlernten, warnten uns vor den Barrattus, die ihre Pfeilspitzen mit Leichengift tränkten, so daß schon die allergeringste Wunde sicheren Tod zur Folge hat.

Kein Wunder also, daß wir schleunigst das Zinkboot nach dem Ufer hin so über unseren plumpen Nachen deckten, daß es uns gegen Pfeilschüsse aus den Baumkronen genügend schützte.

Dann erst lösten wir die Taue, mit denen wir unser Boot an einem Baumstumpf befestigt hatten, und drückten es vorsichtig vom Ufer weiter in die Bucht hinaus.

Der blecherne Ton, der gegen das Zinkboot prallenden Pfeile belehrte uns, daß die Zwerge wohl hofften, ihre Geschosse würden unser gewölbtes Schutzdach durchschlagen.

Gerade als wir etwa zehn Meter mit äußerster Vorsicht vom Ufer uns entfernt hatten, ereignete sich etwas, das wieder einmal bewies, wie sehr Menschenschicksale völlig von Zufällen abhängig sind.

Ein Speer war’s, der, mit großer Kraft geschleudert, das Zinkblech durchbohrte und noch in einen der Luftkästen hineinfuhr.

Wir beachteten ihn zunächst nicht. Erst als wir dreißig Meter vom Ufer ab unser Boot an einer der Treibholzbarrikaden vertäut hatten und Harald nun durch ein paar gut gezielte Schüsse drei Barrattus aus den Baumkronen herabholte und die ganze Bande dann lautlos unter Mitnahme der Verwundeten verschwunden war, zog ich den Speer mühsam heraus und sah so in dem Luftkasten durch das runde Loch etwas Weißes schimmern.

Während Gurma einen Holzpflock zurechtschnitzte, um das Leck im Zinkboden zu verstopfen, erweiterten Harald und ich mit unseren Jagdmessern die kleine Öffnung des vorderen Luftkastens und konnten schließlich ein zusammengefaltetes Stück Papier herausziehen.

Wir hätten ja auch die in Gummischeiben eingebettete kleine Tür des Kastens öffnen können, fanden den Verschlußriegel aber derart verrostet, daß er sich weder vorwärts noch rückwärts bewegen ließ.

Das Papier war ein halber Briefbogen. Die kritzlige Schrift verriet, daß eine bereits von Mattigkeit unsichere Hand den Bleistift geführt hatte.

Englische Worte … Der letzte Gruß einer dem Tode Geweihten an einen Toten …

Tief erschüttert lasen wir:

„Ich, Helene Morton, Braut des Ingenieurs Stuart Greag, war in Begleitung meines Bruders Percy und meiner jüngeren Schwester Felicitas meinem Verlobten nach der Hafenstadt Karabare gefolgt. Unsere Briefe müssen Stuart nicht erreicht haben, denn wir trafen ihn in Karabare nicht an und erfuhren erst nach mühsamen Nachfragen, daß er zuletzt in Timbuktu gewesen und von da den Drabu-Fluß aufwärts gerudert sei. Wir folgten ihm, mieteten ein Boot und erreichten am 6. Mai die großen Drabu-Fälle, wo wir dann von einer Schar von Zwergen überraschend angegriffen wurden. Es gelang uns, mit dem Zinkboot, das wir bereits oberhalb der Fälle vertäut hatten, vom Ufer freizukommen. Die Strömung trieb uns auf den Felsen zu, der inmitten der stürzenden Wassermassen herausragt. Percy und Felicitas konnten sich aus dem Boot auf den Felsen schwingen. Ich selbst und unsere sechs schwarzen Ruderer schossen in den Abgrund hinab. Ich hatte mich krampfhaft an die eine Ruderbank festgeklammert, wurde ohnmächtig und erwachte neben dem umgekippten Boot in einer stillen Bucht unterhalb der Fälle. Unsere Neger waren ertrunken. Ich war allein, bin es noch … Bin schwer verletzt, fühle, daß ich sterben muß … Beide Beine sind mir gebrochen … Fieber schüttelt mich … Mit letzter Kraft will ich versuchen, diesen Zettel in einen der Luftkästen des Zinkbootes zu legen, das dem Kaufmann Lavergne in Timbuktu gehört … – Meine Kräfte schwinden immer mehr. Meine Hilferufe verhallen im Schweigen der Uferwälder … Ich weiß nicht, was aus meinen Geschwistern geworden ist, wo Stuart sein mag … – Der Tod naht … Sollte dieser Zettel gefunden werden, so flehe ich mitleidige Europäer an, nach meinem Bruder und meiner Schwester zu suchen … – Gott sei mir gnädig … – Helene Morton aus New York, Brackler-Street 188.“

Harald schob das Blatt in die Tasche …

„Arme, arme Helene …! Dieses entsetzliche Ende …“

Seine Stimme zitterte … Selten habe ich ihn so bewegt gesehen …

„Nun, sie soll nicht umsonst gehofft haben, daß mitleidige Europäer ihre letzte Bitte erfüllen würden. Wir werden ihre Geschwister suchen, mein Alter … Nur – ich fürchte, es wird umsonst sein … Wir werden nur noch … Leichen finden. Vielleicht auch nicht einmal Leichen …“

Ich schwieg … Mir war die Kehle wie zugeschnürt … Eine Braut, die dem Verlobten nachreist, die sich in die Wildnis wagt, hier elend umkommt … Und der Mann ihrer Liebe gleichfalls tot, hinweggerafft durch die Katastrophe im Lokalla-Berge … Ein Mann, der seinem Schwager Morton das Geheimnis der Fundstelle der schwarzen Diamanten hinterließ … Und wo war dieser Schwager, wo war Percy Morton, wo Felicitas Morton …?!

Ich schwieg … Ich fühlte in der Seele ein tiefes Grauen vor der grausamen Willkür der Vorsehung …

Und empfand es wie eine Erlösung, als Gurma nun mit dröhnenden Schlägen den Pflock in das Leck des Zinkbootes trieb und uns zurief, ihm zu helfen, das Boot zu Wasser zu bringen.

So verstauten wir denn unsere geringe Habe in das geräumigere Zinkboot …

Und schleppten es auch über diese Baumbarrikade, gelangten in die nächste Bucht, fanden hier das felsige Ufer baumfrei und sahen die Fälle nur noch hundert Meter vor uns, waren umtost von dem ungeheuren Lärm der stürzenden Wasser und trugen das Boot nun neben den Fällen in mühseliger Arbeit die Abhänge empor …

Sahen mitten in den Fällen den einzelnen Felsblock, von Gischt umsprüht …

Begriffen nicht, wie Percy und Felicitas Morton es fertiggebracht hatten, diesen Fels zu erreichen, um den herum das Wasser niedersauste in nimmermüder Wucht.

Schweißtriefend, völlig erschöpft, erreichten wir eine kahle, nur von Büschen umsäumte Terrasse, über die sich die Felswände schützend wölbten. Hier ruhten wir aus – hier oberhalb der Fälle – die Büchsen schußfertig im Arm … stets auf der Hut vor dem kleinen schleichenden Gewürm der Barrattus mit ihren Giftpfeilen …

Hier war es, wo Haralds spähende Blicke auf dem entwurzelten Baumriesen haften blieben, den ein Orkan halb über die Wasserfälle gedrückt hatte …

„Eine Leiter für uns …“ sagte er nur und erhob sich. „Deckt mir den Rücken. Ich werde den Baum erklettern …“

Und Gurma und ich teilten nun unsere Aufmerksamkeit zwischen dem Rande des Urwaldes und dem schrägen Baumriesen, den Harst schnell und gewandt erklomm …

Nichts geschah …

Kein Feind … Nichts … Nur Affenherden kreischten. Und der Donner der Fälle war die gewaltige Begleitmusik des Wagnisses eines Mannes, der dort über den Strudeln von Ast zu Ast sich schwang …

Bis er etwa acht Meter über dem Felsen hing – dem Felsen inmitten der Drabu-Fälle …

Bis er wieder zu uns beiden zurückkehrte, tiefen Ernst im schweißfeuchten Antlitz …

Und leise sagte:

„Auf dem Felsen liegt ein Skelett … Und der schräge Baum ist schon vor mir von einem Manne als Weg benutzt worden … In den unteren Ästen hängt noch ein zusammengerolltes Tau. Dieser Mann muß Stuart Greag gewesen sein. Wenn er in seiner Geheimschrift sagt, daß die Diamanten in den Fällen zu finden sind, so kann das nur bedeuten: in dem Felsen! – Nur das kann Greag gemeint haben … Und nur dort werden wir auch das Rätsel lösen, was aus den Geschwistern Morton geworden ist.“ –

Spätnachmittag war’s jetzt …

Der Abend nahte …

Und wir drei, die wir hier von unserer Terrasse nur die äußerste Spitze des Felsblockes in den tosenden Wassern erblicken konnten, – wir drei, die unwillkürlich dorthin geschaut hatten, wo auch das Skelett ruhte, fuhren nun gleichzeitig hoch …

Gleichzeitig ein Schrei auch von drei Lippenpaaren:

„Ein Weib – – ein Weib …!“

Ja – dort am alleräußersten Rande des Felsens stand sie – ein Weib mit blondem herabhängendem Haar …

Stand und hob wie beschwörend die Arme … –

Felicitas Morton …!! – Sie mußte es sein …!

Doch – bevor wir uns noch von dieser jähen Überraschung erholt hatten, war das blonde Weib wieder verschwunden …

Wie ein Spuk …

Wie eine Fata Morgana – wie eine Sinnestäuschung.

Und hiermit schließe ich den ersten Teil dieses afrikanischen Abenteuers …

Den zweiten nenne ich … – bitte nächste Seite:

 

 

Der Fetischmann der Barrattus.

 

1. Kapitel.

Belagert.

„Wir haben ja bis zum Eintritt der Dunkelheit noch eine Stunde Zeit,“ meinte Harald, indem er sich wieder auf seinen Stein setzte und den Blick über den Urwaldrand schweifen ließ. „Diese Stunde dürfen wir jedoch nicht dazu benutzen, sofort den Versuch zu wagen, Felicitas Morton dort auf dem Felsen aufzusuchen. Wir müssen zunächst an unsere eigene Sicherheit denken. Das Zwergenvolk lauert ja fraglos dort im Dickicht. Vorwärts, bauen wir die Terrasse zur Festung aus. Du, mein Alter, wirst Wachtposten spielen. Gurma und ich häufen eine Mauer auf. Das Zinkboot benutzen wir als Hüttendach. Strauchwerk für ein Lagerfeuer liegt genug herum.“

Eine halbe Stunde später war unsere Festung fertig. Die Büsche, die uns das freie Schußfeld sperrten, waren beseitigt worden. Menschlicher Berechnung nach konnten wir der Nacht getrost entgegensehen.

Harald schoß noch vier Wildtauben, und Gurma fing unten am Flusse zwischen den Steinen mit einem aus Zweigen geflochtenen Kescher mehrere große Fische.

Dann kam der Abend – die jähe Finsternis …

Dann lebte der Urwald auf …

Die dumpfen trommelnden Kehllaute von Gorillas hallten herüber. Das schrille Schreien eines jagenden Leoparden mischte sich in das behagliche Grunzen einer Herde Wasserschweine, die dicht unter unserer Terrasse sich im Schilfschlamm wälzten …

Unsere drei Wachtfeuer lohten auf, brannten oben auf der Mauer auf flachen Steinen.

Der Nachtwind drückte den Qualm über den gurgelnden Fluß – bis zu den Fällen hin – hüllte den schrägen Urwaldriesen wie in Nebelschwaden ein … –

Gurma spielte wie immer Koch. Die über der Glut am Spieße gebratenen Fische und Wildtauben mundeten vortrefflich. Einer von uns jedoch stand stets an der Mauer hinter den als Schutzschilde aufgerichteten flachen Steinen.

Der zuckende Lichtschein der drei Feuer fiel bis zum Urwald, beleuchtete das ganze Vorgelände. Und über uns hing die vorgewölbte Felswand – steil und glatt … Auch von oben gelangte kein Giftpfeil eines Barrattu in unser Lager …

Im dunklen Gestrüpp drüben funkelten zuweilen grünliche Raubtierlichter …

Ein Gorilla watschelte einmal auf unser Lager zu … Der Feuerschein scheuchte ihn zurück. –

Gurma schlief. Harald stand neben mir …

„Sie sind um uns herum wie die unsichtbaren Kobolde,“ sagte er leise. „Überall sind sie … Seit zehn Minuten hat sich kein Tier mehr gezeigt. Ein Beweis für die Nähe der Zwerge – außer den anderen Beweisen …“

Und nach kurzem Schweigen, indem er die Büchse hob:

„Sie sollen merken, daß wir Augen haben …“

Die Büchse lag im Anschlag …

Ein Feuerstrahl aus der Mündung …

Und aus den unteren Ästen des halb entwurzelten Baumriesen plumpste ein Körper in den Fluß – trieb in die Fälle …

„Lege Dich jetzt nieder, mein Alter,“ meinte Harald. „Bis ein Uhr morgens wache ich. Dann löst Du mich ab. Auf Gurma ist kein Verlaß …“

So kroch ich denn unter das Boot, hüllte mich in meinen Beduinenmantel und schob das Kopfkissen aus Gras und Laub zurecht.

Schlafen …?!

Ich hätte den sehen mögen, der in dieser Umgebung unter diesen Umständen eingeschlafen wäre …!

Freilich: Gurma schlief …! – Gurma war ein primitiver Naturmensch … Was kümmerte es ihn, daß dort auf dem Felsen sich für Sekunden ein blondes Weib gezeigt hatte …!

Ich lag mit offenen Augen da … Ich sah Harald in der Mitte der halbkreisförmigen Mauer – Zigarette im Munde, hinausspähend nach den schlauen kleinen Feinden.

Und ich dachte an die Tragödie des Brautpaares, der Mortons …

Daran, daß der riesige Felsblock in den Fällen doch fraglos hohl sein müsse. Und fragte mich, wie es Felicitas Morton möglich gewesen sein könnte, dort all die Monate ihr Leben zu fristen … zusammen mit einem Skelett …!!

Tausend andere Fragen kamen mir, blieben unbeantwortet …

Schlafen – – und Harald dort allein lassen, – – ich erhob mich …

Im selben Augenblick knallte ein Schuß …

Mit zwei Sprüngen war ich neben dem Freunde …

„Nicht getroffen!“ murrte er und schob eine neue Patrone in den Lauf. „Ein Knirps erkletterte da soeben den schrägen Stamm. Nun ist der Bursche in den Ästen in Sicherheit.“

Wir belauerten das Vorgelände … Jeden Stein, jeden Busch, besonders den Urwaldriesen, der da halb über den Fällen hing.

Der Mond erschien …

Und da sahen wir, wie von dem äußersten Ast über dem Felsbalkon der Fälle eine Gestalt blitzschnell hinabglitt – an einem Tau – und auf dem Felsen verschwand …

Wieder hatte Harald gefeuert – und gefehlt …

„Unglaublich!! Der Kerl scheint kugelfest zu sein!“ meinte er – gar nicht mehr ärgerlich, sondern mehr scherzend.

Und ich – erregt, angstvoll:

„Du – – der Barrattu wird Felicitas Mortons Versteck entdecken!! Sie schwebt in Lebensgefahr! Sie …“

Neben mir Harald Harst, mich unterbrechend:

„Mein lieber Alter, Du irrst Dich … Felicitas ist nie sicherer als in diesem Augenblick …“

Harald Harst sagte es. Und ich hätte nicht weiter zweifeln sollen. Ich hätte mir klarmachen müssen, daß ein Harald Harst selbst durch Wasserfälle und Steinblöcke schaut … geistig natürlich!

„Wie kannst Du etwas Derartiges behaupten?!“ fuhr ich auf. „Wie soll …“

Eine Hand legte sich leicht auf meine Schulter.

„Max Schraut, eine Frage … Wir nehmen an, die Blonde sei Felicitas Morton. Und es wird auch stimmen. Sie ist’s. Sie haust also auf einem so gut wie unzugänglichen Felsen inmitten der Wasserfälle des Drabu. Sie kann selbst mit Hilfe des schrägen Urwaldriesen den Steinblock nicht verlassen, es sei denn, daß jemand ihr von den Baumästen das Tau zuwirft, an dem sie emporklettern könnte …“

Ich lauschte – ahnte etwas, das wie eine Offenbarung kommen würde …

„Wer also hat ihr dorthin Lebensmittel gebracht all die Monate – fünf, sechs Monate lang? Wer war ihr Freund, ihr Beschützer?“

Und ich – zögernd:

„Der Barrattu etwa, der da soeben zum Felsen hinabglitt?! Ein Barrattu – ein Wildling, ein halbes Tier?!“

„Wer sonst?! – Die Art, wie der Zwerg da soeben den Steinblock besuchte, bewies wohl zur Genüge, daß der Mann diesen Weg kannte, schon öfters zurückgelegt hat …! Einer, der zum ersten Male das Tau durch die Hände gleiten läßt, um zu jenem Felsen zu kommen, würde niemals so schnell den Abstieg gewagt haben – niemals!“

Das sah ich ein …

„Allerdings …!“ nickte ich …

„Dieser Barrattu ist der Beschützer der Blonden, ihr Freund, behaupte ich … Und ich freue mich, daß meine Kugeln bei der unsicheren Beleuchtung fehlgingen …“

Er hatte den Kopf wieder gewandt und spähte hinaus …

Milchiges Mondlicht kämpfte mit dem flackernden Schein unserer Feuer …

Mitternacht war’s jetzt …

Und noch immer draußen die trügerische Ruhe, als ob nirgends die Giftpfeile der wilden Knirpse auf ein Ziel warteten … –

Harald legte die Büchse aus der Hand, nahm dafür das Fernglas und richtete es auf den Baumriesen und die äußerste Spitze des Blockes …

„Da – das Tau ist zu erkennen,“ sagte er wieder. „Sonst nichts …“

Jetzt war ich es, der mehr bemerkte …

„Zwei – drei Barrattus erklimmen den Baum!“ rief ich.

Haralds Fernglas schwenkte zur Seite …

„Wir müssen abwarten …“ meinte er hastig. „Wenn der Beschützer der Blonden heimlich diese Rolle spielt, wenn er ohne Wissen seines Stammes das weiße Mädchen ernährt, dann – – muß sich das jetzt sehr bald herausstellen …“

Ich begriff …

Ich war förmlich im Fieber. Die Spannung zerrte an meinen Nerven …

Noch vier Barrattus erklommen geschickt wie die Affen den Baum …

Und wir, die Büchsen schußfertig, warteten – warteten ab …

Sahen, daß einer der Knirpse nun das Tau packte, vorsichtig abwärtsturnte …

Und als er etwa die Hälfte der Entfernung zum Felsblock zurückgelegt hatte, tauchte der andere Barrattu auf – der erste, der bereits den Block häufiger besucht hatte, wie Harald annahm …

Er stand am Rande des Felsens im vollen Mondlicht.

Er mußte wissen, daß er unseren Büchsen ein gutes Ziel bot.

Und doch blieb er regungslos …

Bewegte nur den rechten Arm wie befehlend …

Hatte das Gesicht uns und dem anderen zugekehrt, der an dem Tau hing …

„Ein … Fetischmann …,“ sagte Harald leise und gepreßt. Und aus dem seltsamen Klang seiner Stimme merkte ich, daß auch er erregt war.

„Ein Fetischmann, ein Priester ist der Beschützer … Die übrigen tragen Schurzfelle, Haarwülste … Er trägt eine spitze Mütze, mit Federn verziert, trägt Leopardenfelle um den Leib … – Ah – der andere macht kehrt, klettert wieder in die Baumkrone zurück …“

Atemlos beobachteten wir …

Sahen den Fetischmann wieder verschwinden …

„Er hat dem Kletterer befohlen, umzukehren,“ meinte Harald wieder. „Wir werden diesen einen Barrattu, den Fetischmann, schonen …“

Er wollte noch mehr hinzufügen …

Schwieg …

„Da – drei … vier!“ kam’s mir über die Lippen …

Harald riß die Büchse empor …

Vier Barrattus hingen am Tau …

Vier …

Rutschten abwärts …

Und wieder stand der Fetischmann im Mondenlicht da, drohte ihnen …

Hob plötzlich auch die andere Hand …

Wir erkannten: er … schoß – – mit dem Bogen …! Er verteidigte den Felsblock …!

Harsts Mauserbüchse knallte …

Die meine ebenso …

Unsere Kugeln griffen ein …

Vier armselige Knirpse sanken in den Wasserschwall der tosenden Fälle …

Und noch immer stand der Fetischmann dort auf dem Block … Und winkte … Ein Winken, das nur uns gelten konnte …

„Ah – der Mann bedankt sich,“ sagte Harald ganz ernst. „Er merkt, daß wir seine Rolle begriffen haben …“

Plötzlich war der Barrattu verschwunden …

„In der Baumkrone stecken noch mehr von dem kleinen Gesindel, mein Alter … Vielleicht haben sie auf ihn geschossen …“ Und Harald lud seine Mauser wieder. „Wir werden nun wohl Ruhe vor ihnen haben, und das Tau wird auch keiner mehr berühren … – Geh’ schlafen, Max Schraut … Felicitas ist in guter Hut …“

Ich ging …

Und als ich mich neben den Freßsack Gurma niederlegte, da blinzelte er mich schlaftrunken an …

„Worauf schießen, Massa?“ brummte er …

„Auf die Stechmücken, Freund Gurma … Natürlich nur auf die Stechmücken …“

Er grunzte, drehte sich um und war schon wieder eingeschlafen …

Beneidenswerter Gurma …!!

 

2. Kapitel.

Und am Morgen …

Zwei Uhr war’s, als Harald mich weckte …

„Nichts geschehen,“ sagte er leise. „Der Fetischmann steckt noch auf dem Felsen.“

Er gähnte herzhaft …

„Ich habe die drei Feuer frisch mit Nahrung versorgt, mein Alter … Mir scheint, die Barrattus sind verduftet. Soeben war ein Rudel Schweine am Flusse, und hinterher schlich ein Leopard … Als dritter folgte ein Gorilla … Die Tiere fühlen sich sicher. – Gute Nacht …“ –

Eine langweilige Wache … Das Zwielicht bekämpfte bereits die Dunkelheit. Die Tiere des Urwaldes zeigten sich nicht mehr. Der Morgen brach an …

Andere Stimmen übertönten nun das Tosen der Fälle: Vogelstimmen!

Entenschwärme fielen in die Buchten des Flusses ein … Schwarze Kraniche hockten auf Baumstümpfen und begrüßten schrill den Morgen … –

Meine Augen hingen zumeist an dem schrägen Urwaldriesen und an der sichtbaren Spitze des Felsens …

Doch auch dort nichts als der Frieden des ersten Tagesschimmers … Wildtauben in den Ästen, drei Kraniche auf dem Felsen …

Und nichts von feindseligen Menschen – nichts. –

Die Sonne kam. Das Flußtal erstrahlte im hellen Glanz …

Die Wassernebel der Fälle leuchteten in allen Regenbogenfarben …

Da kam Gurma zu mir, rieb sich die Augen …

„Massa Schraut, ich nun Frühstück zubereiten werde. Ich werde fangen Fische … Massa werden gut aufpassen, daß Barrattus nicht schießen …“

„Geh’ nur … Ich passe auf …“

Und er nahm seinen Kescher, kletterte über den Steinwall und turnte die Terrasse hinab zum Flußufer. –

Eine Stunde später hatten wir drei gefrühstückt …

Und Harald hatte dabei seinen Schlachtplan entwickelt …

„Wir werden nachher den Wall öffnen und das Zinkboot dort bis zum Fuße des Baumes tragen. Es wird Dir, Freund Gurma, als Schutzschild dienen, während Schraut und ich den Baum erklettern und den Felsen untersuchen …“

Gurma machte ein sehr langes Gesicht …

„Ich lieber mit auf Baum kommen, Massa Harst,“ meinte er.

„Nein, mein Sohn … Du wirst das Boot bewachen. Außerdem wird auch Schraut vom Baume aus dasselbe tun. Dir wird nichts passieren, Du Held …! Die Barrattus sind weg.“

„Können im Walde stecken, Massa Harst …“

„Wahrscheinlich. Sie haben aber bereits einen solchen Denkzettel bekommen, daß sie sich hüten werden, die Nasen aus dem Gestrüpp hervorzustecken …“

Gurma wollte noch allerlei einwenden, aber Harald wurde grob, und das half ja stets. –

Wir schleppten das Boot bis zum Urwaldriesen und legten es hier so in die niederen Büsche, daß es den gewölbten Boden dem Urwald zukehrte.

Dann begannen wir beide die nicht gerade schwierige Kletterpartie an dem schrägen, rissigen, mächtigen Stamm.

Als wir erst die Äste erreicht hatten, war alles weitere eine Kleinigkeit. Wir kamen bequem bis zu dem einen mannsdicken Ast, der über den Felsblock hinwegragte.

Hier hing auch das Tau.

Es war ein geteertes Schiffstau, und der Knoten oben am Ast war ein echter Seemannsknoten.

Nun hatten wir auch den Felsen so nahe unter uns, daß wir seine Gestalt genau unterscheiden konnten. Der vordere Teil war flach. Dort lag das Skelett. Nach hinten zu hatte der Block einige Wülste. Von einer Öffnung war jedoch nichts zu sehen.

Harald packte das Tau und pendelte nun über den Fällen hin und her …

Und gerade da … ein Schuß …

Ich sah, daß Gurma seine Büchse wegwarf, daß er an dem Baumriesen hochkletterte, im Grün der Zweige verschwand …

Sah auch die Barrattus, die jetzt auf das Boot zustürmten …

Ich schoß … schoß nochmals …

Pfeile flogen empor zu uns …

Zum Glück war die Entfernung für Pfeilschüsse zu groß … –

Aber – anderes geschah …

Da mußte doch einer der Zwerge mit Feuerwaffen umzugehen verstehen …

Da knallte plötzlich ein Schuß von unten – aus Gurmas Büchse, die der Feigling preisgegeben hatte …

Harald, der bereits auf dem Felsen neben dem Skelett stand, winkte mir …

Auch Gurma kam rasch herbeigeturnt, brüllte etwas …

Aber das Tosen der Fälle verschlang jeden Laut.

Ich drohte Gurma mit der Faust … Er war schuld daran, daß nun abermals eine schlecht gezielte Kugel durch die Zweige pfiff und Splitter von einem Aste riß … –

Harst winkte – winkte … Er kniete jetzt … Ich sah, daß er beide Hände auf den Fels gestemmt hatte …

Gurma hockte neben mir mit kläglicher Armesündermiene. Ich zeigte auf das Tau. Er sollte vor mir hinab …

Hatte natürlich Angst …

Stierte in die tobenden Wassermassen. Seine Augen wurden gläsern, seine Haut aschgrau, der Unterkiefer zitterte.

Ich holte mit dem Büchsenkolben aus …

Ein sanfter Rippenstoß – ein zweiter, weniger sanft …

Und Gurma griff nach dem Tau, sauste abwärts, lag nun platt auf dem Felsen, neben dem Skelett … auf dem Bauche … sicher halbtot vor Entsetzen …

Als auch ich dann auf dem Block gelandet war, als ich nun ringsum nichts als die schießenden, schäumenden Wasser sah, da wurde auch mir sekundenlang förmlich schwindelig …

Harst – Harst hatte inzwischen schon gefunden, was hier ja notwendig vorhanden sein mußte: zwei flache große Steine, die als Deckel genau ein Felsloch verschlossen hatten.

War auch schon halb hineingeklettert in die enge Öffnung, tauchte immer tiefer hinein …

Meine Augen glitten abwärts, zum Fuße des Baumes …

Meine Büchse fand ein Ziel …

Ein Barrattu wollte den Stamm erklimmen …

Kopfschuß … Er prallte unten gegen das Boot, blieb liegen …

Und die andern stoben jetzt davon – dem Urwalde zu – mit Sprüngen, die unendlich komisch wirkten.

Ich ließ sie entkommen. Wandte mich um und sah mir das Skelett an. Einzelne Zeugfetzen hingen noch daran. Wahrscheinlich hatten Vögel die Leiche gefressen. Überall lag Vogelunrat in grauweißen Haufen herum.

Drei Schritte dann, und ich stand vor dem Felsloche.

Unten in der Tiefe der helle Schein von Haralds Taschenlampe …

Schwächer und schwächer werdend …

Bis nur noch die Finsternis dort unten lauerte.

Gurma kam zitternd herbeigekrochen. Dieser schmale Fleck festen Bodens inmitten des in den Abgrund stürzenden Flusses hatte offenbar so viel Entsetzliches für ihn, daß er jetzt ohne Zögern die Beine in das Felsloch schob und sich hinabgleiten ließ … verschwand … –

Ich war allein – mitten in den Drabu-Fällen – allein mit dem Skelett, das nur die Gebeine Percy Mortons sein konnten …

Mein Blick schweifte über den Fluß hin, über den Urwald …

Und unwillkürlich verglich ich dieses Bild mit einem anderen: den berühmten Niagara-Fällen, die von der Goldgier der Menschen ja längst verschandelt sind …

Ein Vergleich?!

Nein – diesen Drabu-Fällen hätte man eine schwere Kränkung zugefügt, wenn man sie mit dem Niagara in einem Atem genannt hätte …

Hier die unberührte Natur in all ihrer tropischen Pracht.

Dort die sogenannte Kultur mit all ihrem Widersinn: mit Riesenhotels, Fabriken, Kraftwerken, Drahtseilbahnen …!

Und doch war es nicht gut, hier derartigen Gedanken nachzuhängen.

Dazu war die Natur hier zu unverfälscht.

Ein langer gefiederter Pfeil, der matt neben mir auf den Felsblock prallte, warnte mich …

Ein Blick zum Ufer zeigte mir einen der Zwerge, der sich wieder bis zum Boote vorgewagt hatte …

Sein unförmiger Kopf mit den Haarwülsten verschwand gerade hinter dem Bootsrand.

Ich duckte mich, legte mich lang auf das feuchte Gestein, das dauernd von einem feinen Tropfenregen übersprüht wurde.

Lag nun genau wie vorhin Gurma neben dem Skelett …

Die Knochen, der Schädel waren tadellos weiß gebleicht. Die Zähne in den Kiefern blitzten hie und da: Goldplomben!

Percy Morton – armer Morton!! Wie mochte er hier den Tod gefunden haben?! –

Minuten verstrichen …

Minute reihte sich an Minute … Und allgemach wurde ich besorgt.

Wo blieb Harald?! Weshalb kehrte er nicht zurück …

Und – was trieb denn Gurma dort unten?

Nur zu gern wäre ich den beiden gefolgt. Meine Taschenlaterne war in Ordnung. Ich hatte noch zwei Ersatzbatterien zu mir gesteckt.

Aber – durfte ich denn das Boot unbewacht lassen?! Das Boot war ja die einzige Möglichkeit für uns, den Niger wieder zu erreichen. Durch die Urwälder des Hombori-Gebirges gab es keinen Weg für einen Europäer.

Und wieder Minuten … Minuten …

Wieder die Gedanken, die sich allerlei Schreckliches ausmalten, was da im hohlen Felsen geschehen sein könnte …

Ich sah nach der Uhr.

Nahm mir vor, noch zehn Minuten auszuharren. Dann wollte ich das Boot preisgeben.

Angst, Sorge zerrten an meinen Nerven …

Und wieder huschte drüben vom Urwalde her ein Zwerg hinter das Boot …

Wieder kam ein Pfeil in hohem Bogen, fiel in die Strudel …

Kein Harst …

Kein Gurma …

Und dort gähnte geheimnisvoll die schwarze Öffnung …

Wohin mochte dieser schräge Schacht führen? Vielleicht unter den Fällen entlang als weite Höhle in die Uferberge?

Und – wo mochte Stuart Greag die schwarzen Diamanten gefunden haben?!

Gedanken … Gedanken, schwer wie dichte Rabenschwärme …

Und dort am Ufer: ein Barrattu nach dem andern zum Boote hin …

Pfeil auf Pfeil flog empor …

Sie verschwendeten ihre Geschosse, die Knirpse! Sie hofften auf einen Zufallstreffer …

Bis mir dieser Hagel giftiger Grüße doch zu lästig wurde …

Da drückte ich ab – zielte auf das Boot … Wußte, daß die Kugeln das Zinkboot glatt durchschlagen würden …

Drei Schüsse …

Und wieder stob die Bande davon, schleppte zwei Verwundete mit sich … –

Ich hatte Ruhe …

Noch drei Minuten, dann kroch ich hin zu dem engen Loche, stieg hinein, nahm die Taschenlampe und rutschte und kletterte abwärts …

Der Schacht wurde breiter …

Eine scharfe Biegung nach Osten hin …

Und – wie gebannt stand ich still …

Wahrlich – allein dieser Anblick, der sich mir hier bot, lohnte die Mühen der Ruderfahrt von Timbuktu …

Man denke:

Die Wand der Höhle hatte hier ein fast genau viereckiges Loch nach den Fällen hin, ein Loch von etwa drei Meter Seitenlänge …

Und über dieses Loch hinweg stürzte unaufhaltsam wie ein gläserner beweglicher halb durchsichtiger Vorhang der Drabu-Fall …!

Wie ein Fenster war diese Öffnung, von Menschenhand geschaffen, um das Wunderbare schauen zu können. Und doch nur ein Spiel der Natur – ein grandioses Spiel.

Näher trat ich an das Fenster heran. Streckte die rechte Hand weit vor – und das Wasser umsprühte meine Fingerspitzen …!

Ein Naturwunder ohnegleichen …! Etwas, das in zivilisierten Gegenden Tausende und aber Tausende herbeigelockt hätte … Leider – leider – –! Und mit den Tausenden wären die gewinnsüchtigen Spekulanten gekommen – Hotels – – Kultur!!

Hier nichts von alledem … Hier die Heiligkeit völliger Unberührtheit … Hier die Weihe des Unverfälschten, wahrhaft Großen!

Nur schade, daß mein Dichterherz, meine Poetenseele von so anderen Gedanken gequält wurde.

Wo – – war Harald?

Wo Gurma, der Feigling?

Und – ich nahm Abschied von dem Fenster der Drabu-Fälle …

Für immer …

Ich habe es nicht wiedergesehen … Weder das Fenster noch den Felswürfel noch das Skelett … Wenigstens bis heute nicht! Vielleicht, daß uns der Weg nochmals nach Timbuktu führt, der Weg unserer Abenteuer … Und sollte dies geschehen, so werde ich auch wieder die Drabu-Fälle besuchen … Das schwöre ich mir zu. –

Abschied …

Und weiter hinein in die Höhle – ins Unbekannte …

Wohin – – wohin?!

Und weiter die Blicke auf den felsigen, feuchten, zum Teil mit grünem Moos überzogenen Höhlenboden …

Den Spuren nach, die mir den Weg wiesen …

Ganz frische Spuren …

Und allein … allein …

Und – – wohin … wohin?!

 

3. Kapitel.

Um die Diamanten.

Meine Vermutung war richtig gewesen. Die Höhle lief unter den Fällen entlang und stieg dann wieder an, wurde trockener, noch ausgedehnter, so daß ich mich hier fraglos verirrt hätte, wenn ich nicht die Fährten immer sorgfältig im Auge behalten haben würde.

Tief gebückt schritt ich dahin, die Büchse im rechten Arm, die Taschenlampe in der linken Hand.

Vor mir her tanzte der Lichtkegel. Um mich her das Schweigen des Grabes …

Bis in weiter Ferne der schwarzen Finsternis ein Funke aufglomm.

Größer wurde …

Eine Fackel, die in eine Felsspalte gesteckt worden war.

Daneben eine Gestalt – ein Mensch, der die Hand zum Munde führte, kaute, aß … fraß:

Gurma!

Natürlich unser Gurma! Natürlich!

Er hatte mich längst bemerkt, grinste mich vergnügt an …

„Gut, daß Massa Schraut kommen … Ich Massa Schraut holen sollte …,“ meinte er gemütlich[2].

Er hatte einen der Bratfische in den Pfoten, die vom Frühstück übriggeblieben.

„Seit wann sitzt Du denn hier, mein Sohn?“ fragte ich und – die Wut stieg in mir hoch …

„Oh – schon ganze Weile, Massa Schraut …“

Das ging mir doch über die Hutschnur!

Ich holte aus – und die knallende Ohrfeige schleuderte auch die Reste des Bratfisches in die Finsternis …

Gurma stierte mich an …

Und nickte … nickte … sagte weinerlich:

„Ich solchen Hunger hatten, Massa Schraut …“

„Wo ist Harst?“

„Draußen …“

„Wo – draußen?“

„Auf Waldlichtung bei blonde Miß und kleinen Fetischmann …“

„Und wie bist Du mit Harst wieder zusammengetroffen?“

„Hatte doch Bootslaterne mit, Massa Schraut … Habe angezündet, bin Massa Harsts Spur gefolgt – sehr einfach …“

Er rieb seine Backe … Es war die erste Ohrfeige, die ich ihm dargereicht, und sie war wohl recht kräftig ausgefallen. –

Wir gingen weiter.

Gurma führte … Und nach fünf Minuten sah ich den ersten Schimmer von Tageshelle …

Die Höhle öffnete sich in ein flaches bewaldetes Tal. Der Ausgang war breit wie ein Scheunentor. Und neben diesem riesigen gewölbten Torweg lagerten im Schatten eines Brotfruchtbaumes Miß Felicitas Morton, der Fetischmann und mein Harald.

Die junge Amerikanerin war gerade dabei, Harald ihre Erlebnisse zu erzählen. In ihren Augen glänzten noch Tränen, denn Harst hatte ihr bereits mitgeteilt, daß auch ihre Schwester Helene umgekommen sei.

Nachdem auch Gurma und ich nun an dem kleinen Lagerfeuer Platz genommen hatten, nachdem der Fetischmann der Barrattus mich zu meinem Erstaunen durch Handschlag und die englischen Worte:

„Freut mich, Sie kennen zu lernen, Mr. Schraut …“ ganz gesittet begrüßt hatte, nachdem auch Miß Morton mir warm die Hand gedrückt hatte, sagte Makiru, der Barrattu-Priester, – wieder in leidlichem Englisch:

„Miß Morton, ich werde den Herren alles Nötige berichten. Weshalb wollen Sie sich durch all diese Erinnerungen noch mehr aufregen …“

Ich schaute mir den Zwerg nun genauer an.

Allerdings – vom Negertyp hatte dieser Barrattu nichts – gar nichts!

Wenn daher einige Forscher behaupten, die Barrattus seien Nachkommen brasilianischer Zwergenvölker, die einst irgendwie nach Afrika gelangt seien, so kann ich dem nur zustimmen.

Das Gesicht des Fetischmannes glich in der Tat ganz dem eines südamerikanischen Indianers, verriet hohe Intelligenz und wirkte nur dadurch etwas abstoßend, daß die Tätowierungen um die Augen diese weit größer erscheinen ließen – sogar unnatürlich groß und starr. –

Makiru berichtete nun also folgendes:

Vor acht Jahren sei er von Negern gefangen genommen worden. In Timbuktu kaufte ihn ein Amerikaner den Negern ab und nahm ihn mit nach New York, wo Makiru im Zirkus Barnum & Bailey drei Jahre als Zauberer-Zwerg auftrat.

Ein Zufall führte Makiru eines Tages mit der damals zehnjährigen Felicitas in New York zusammen. Obwohl er das Kind nur ein einziges Mal sah, hatte ihr reiches blondes Haar doch einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht, daß er, in die Heimat zurückgekehrt und bei seinem Volke zum Fetischmann aufgerückt, bei einem Jagdausflug nach den Drabu-Fällen in der verzweifelt auf dem Felsen neben der Leiche ihres Bruders sitzenden Weißen sofort jenes Mädchen wiedererkannte.

Er wollte sie retten, wußte aber nur zu gut, daß seine wilden Stammesbrüder niemals dulden würden, daß die Weiße lebend das Gebiet der Barrattus verließe. Er versorgte sie mit Nahrung, baute ihr hier auf der Lichtung eine Hütte und vertröstete sie immer wieder, bis sich eine Gelegenheit ihm bieten würde, sie nach Timbuktu zu bringen.

Auf seinen Rat wurde die Leiche Percy Mortons auf der Felsplatte zurückgelassen, damit die Barrattus, die eine unüberwindliche Scheu vor Toten haben, niemals den Felsen von dem Baumriesen aus betreten sollten.

Percy Morton wieder war an einem Pfeilschuß gestorben – – durch einen Giftpfeil, hatte nur noch einen Tag gelebt, nachdem es ihm und Felicitas geglückt war, den Felsblock zu erreichen. –

Manches, was der Fetischmann in seiner wenig übersichtlichen Art berichtete, erschien mir recht widerspruchsvoll. Anderseits war ja gar nicht daran zu zweifeln, daß er es mit Miß Morton völlig ehrlich gemeint und selbstlos und treu an ihr gehandelt hatte.

Auch Harald schien an Makirus Ehrlichkeit in keiner Weise zu zweifeln.

Nachdem so diese notwendigsten gegenseitigen Aufklärungen erledigt waren, fragte Harst Miß Morton, ob sie denn in der Höhle der Fälle nichts von Diamanten bemerkt habe.

Er betonte dabei nochmals, daß Stuart Greag doch fraglos in der Höhle die Diamanten entdeckt haben müsse, zeigte ihr den Zettel mit der Leuchtschrift und schloß seine Ausführungen mit den Worten:

„Jedenfalls dürfen Sie sich als Erbin Ihres Bruders und somit auch als Erbin des Diamantengeheimnisses betrachten, Miß Morton. Wir werden also die Höhle nochmals durchsuchen.“

Der Fetischmann, der in seinem wunderlichen Aufputz wie ein Zirkusklown ausschaute, schien für die Diamanten keinerlei Interesse zu haben und beschäftigte sich jetzt ausschließlich mit dem über dem Feuer am Spieße schmorenden jungen Wildschweinbraten, fing den herabträufelnden Saft mit den kelchähnlichen Blättern des Annissastrauches auf und goß den Saft wieder über den langsam sich bräunenden Leckerbissen, der tatsächlich ganz prächtig duftete. –

Miß Morton erklärte nun, daß ihr an den Edelsteinen früher wenig gelegen gewesen …

„So lange Percy lebte, hat er Helen und mich stets reichlich mit Geld versorgt. Jetzt aber stehe ich völlig mittellos da, Mr. Harst, bin ja auch Waise, habe in Amerika nur noch ganz entfernte Verwandte.“

„Also – suchen wir nachher!“ meinte Harald nochmals. „Zunächst wollen wir Makirus Braten alle Ehre antun.“

Miß Morton, deren Sportkostüm bereits äußerst mitgenommen aussah, führte uns dann nach der Mahlzeit zunächst zu ihrer Hütte.

Makiru hatte diese sehr umsichtig in einem Dornendickicht erbaut, wo sein Schützling auch nachts vor wilden Tieren völlig sicher war.

Als wir noch die geräumige Blockhütte besichtigten, gab Gurma mir heimlich einen Wink, und wir beide verließen als erste das Dickicht, traten wieder auf die Lichtung hinaus, und hier war es, wo Gurma mir zuraunte:

„Massa Schraut, der Zwerg treiben falsches Spiel … Makiru weiß, wo Diamanten sind … Ich gesehen habe, wie er grinste, als Massa Harst sagte, wir würden in Höhle suchen …“

Nun – so ganz überraschend kam mir diese Warnung unseres treuen Freßsacks doch nicht.

Auch ich hatte dem Fetischmann gegenüber das Gefühl, daß dieser von der Kultur so etwas beleckte Barrattu zugleich mit dieser Kultur auch allerlei kleine Schuftigkeiten sich zu eigen gemacht habe.

Ich nahm mir vor, den Burschen fernerhin recht scharf zu beobachten, zumal es mir gar nicht einleuchten wollte, daß er in all den Monaten niemals Zeit und Gelegenheit gehabt haben sollte, Miß Morton nach Timbuktu zu bringen.

Als wir nun mit der Durchsuchung der Höhle beginnen wollten, erklärte der Fetischmann, er wolle zu unserer aller Sicherheit einmal nach seinen Stammesgenossen Ausschau halten …

Worauf die blonde Felicitas ihn sehr erstaunt anblickte und meinte, die Barrattus kämen doch niemals in dieses unzugängliche Tal. Makiru solle sich nicht unnötig der Gefahr aussetzen, von ihnen erwischt zu werden, denn sie würden ihn jetzt doch fraglos grausam ermorden.

Und dann – griff Harald ein …!

Eine Lektion über Detektivkunst auf einer Urwaldlichtung im wildesten Afrika …!

Eine Lektion, so spannend, wie ein Kapitel aus einem Roman eines Kriminalschriftstellers …!

Man lese – höre – staune …!

 

4. Kapitel.

Die Lektion.

Harst setzte sich mit einem Male wieder an das Feuer.

Winkte uns anderen …

„Bitte … Ich möchte Makiru noch einiges fragen …“

Und sein scharfer durchdringender Blick, der den Menschen bis in die geheimsten Winkel der Seele sticht, rief auf Makirus Gesicht eine Wolke von Angst und Verlegenheit hervor.

„Setz’ Dich, Makiru!“ wiederholte Harald nochmals, als der Zwerg zauderte. Und – mit einem Male brachte Freund Harald seine Clement zum Vorschein …

Knackend klappte die Sicherung zurück.

Da verfärbte der Fetischmann sich …

Und … hockte nieder – finster, die Lippen zusammengepreßt … –

Miß Morton musterte uns erstaunt, fast unwillig …

Harald nickte ihr zu …

„Sie werden sofort begreifen, Miß Morton,“ meinte er freundlich. „Meine Pistole darf Sie nicht stören. Ich will Makiru nur beweisen, daß ich klüger bin als er.“

Und er wandte sich an den Fetischpriester.

„Du hast in New York Schreiben gelernt?“ fragte er.

„Ja …“

„Und Du erhältst auch hier in der Wildnis noch schriftliche Mitteilungen?“

Der Barrattu schüttelte den Kopf …

„Wie sollte ich, Mr. Harst …?! – Nein, seit ich zu meinem Volke zurückgekehrt bin, habe ich …“

„Du lügst …!“

Harsts Stimme war wie ein Messer …

„Du lügst! – – Was ist dies hier?“

Und er holte aus der Tasche ein zu einem Fidibus zusammengelegtes Papier hervor, das an einem Ende verbrannt war.

„Dies, Makiru, lag hier in der Asche des Feuers … Ich habe das Papier geglättet. Es ist ein Brief … an Dich gerichtet, von einem Manne aus Timbuktu …“

Der Barrattu war grau im Gesicht geworden …

Seine Augen suchten den Boden … –

Harald hob die Pistole …

„Makiru, wenn auch nur noch ein unwahres Wort über Deine Lippen kommt, drücke ich ab … – Wie heißt der Mann, der Dir diesen englischen Brief zugeschickt hat?“

„Ali Magur?“

„Ein Tunese?“

„Ja …“

„Ein … Sklavenhändler?“

„Ja …“

„Und er liefert Sklavinnen nach Tunis und Algier – – in die Freudenhäuser?“

„Ja …“

„Du hast ihm Miß Morton angeboten. Du hast für sie 30 000 Francs verlangt?“

„Ja …“

„Und Ali Magur sollte Miß Morton von hier abholen?“

„Ja …“

„Wann?“

Makiru zauderte …

Sein Gesicht war verzerrt …

Aber die Pistole drohte, und in Harsts Augen war ein Funkeln, das jeden gewarnt hätte …

„Morgen …!“ preßte der Fetischmann hervor.

„Mit einem Boote?“

„Nein …“

„Durch Reiter?“

„Ja …“

Harst winkte Gurma.

„Fessele ihn …!“

Da schnellte Makiru hoch … Doch schon war unser Freßsack über ihm, warf ihn zu Boden …

Ich half … Und Miß Morton saß leichenblaß da, vollkommen verstört … –

Makiru war gefesselt.

„Durchsuche ihn,“ sagte Harald zu mir.

Die Leopardenfelle hatten auf der Innenseite geräumige Taschen. Und aus diesen Taschen kamen jetzt außer anderem auch zwei Beutelchen zum Vorschein, gefüllt mit … schwarzen Diamanten, von denen keiner unter Haselnußgröße[3] war.

„Sehen Sie, Miß Morton,“ meinte Harst gelassen, „so ist es mit der Treue dieses Burschen bestellt!“

Und zu Makiru:

„Du hast die übrigen Steine verborgen. Wo?“

Makiru lachte schrill …

„Sucht sie doch!! Tötet mich! Ihr werdet sie nie finden!“

„Oh, wir werden nicht suchen, Makiru. Diese einundvierzig ungeschliffenen Steine stellen ein Vermögen dar, das für Miß Morton genügt.“

Und er schob die beiden Beutel in seine Tasche. „Ich bewahre Ihnen den Schatz auf, Miß … Und nun will ich Ihnen das Brieffragment vorlesen …“

Und er strich den Fidibus glatt …

Las:

„An Makiru, den Barrattu, durch Omar, meinen Vertrauten.

Der Preis für den gelben Papagei ist zwar sehr hoch. Trotzdem will ich ihn Dir abkaufen. Ich bin einverstanden, daß Omar ihn von Dir abholt und Dir dann das Geld übergibt. Auch für die Steine habe ich Verwendung. Wir werden …“

Der Rest des Schreibens war durch Feuer vernichtet. –

Vielleicht wäre auch ein anderer, der diesen Brief unter solchen Umständen wie Harst gefunden hätte, sofort auf den Gedanken gekommen, daß mit dem gelben Papagei nur Felicitas Morton, die Blondhaarige, gemeint sein konnte.

Vielleicht …

Ob ich dies sofort durchschaut hätte? – Ich will ehrlich sein: Nein! – –

Doch – die Lektion war noch nicht zu Ende.

Die Hauptsache kam noch …

Harald schaute Makiru an – lange, endlos lange, schweigend …

So starr, daß der Zwerg, obwohl er den Blick gesenkt hielt, immer unruhiger wurde …

„Makiru!!“ sagte Harst dann laut. „Makiru, wann kommt Omar, der Vertraute des Mädchenhändlers?“

„… Morgen …“

Harald wandte den Kopf. „Gurma, nimm hier meine Pistole, halte sie dem Lügner ins Genick. Und drücke ab, sobald er abermals die Unwahrheit spricht …“

Und zu dem Fetischmann:

„Wann kommt Omar?“

Zaudern …

Dann – zischend: „Heute abend …!“

„Und wo triffst Du mit ihm zusammen?“

„Dort nordwärts – auf einer Hochebene, an der Quelle des Sabar, des Nebenflusses des Drabu …“

Harst stand auf.

„Wir werden Omar empfangen. – Wir könnten im Boote nach Timbuktu zurückkehren. Aber der Landweg ist sicherer.“

 

5. Kapitel.

Vergeltung.

Makiru mußte uns führen. Mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen, um den Hals ein Lianenseil, das Gurma in den Händen hielt, – so marschierte der Fetischmann voran.

Durch den Urwald schlängelten sich wie überall Wildpfade. Der Weg war beschwerlich, und erst nachmittags gegen drei Uhr erreichten wir offenes Gelände, eine steinige Hochebene, die sich nach Osten zu in Terrassen zum fernen Niger herabsenkte.

Und hier fanden wir auch inmitten einer in ihrer Wildheit großartigen Felswüste die Quelle des Sabar, – wir als die ersten Europäer.

Hier lagerten wir dreihundert Meter nördlich der Quelle in einer Schlucht. Hier bezog ich die erste Wache mit einem Fernglase auf einem hohen Hügel, der nach Nordost weite Fernsicht bot. Von dort war Omar zu erwarten.

Ich hatte hier kaum eine Stunde gelegen, als ich auch schon vier Dromedarreiter erspähte, die im Schritt aus einem Walde auf einer der tieferen Abdachungen auftauchten.

Ich eilte sofort zu unserem versteckten Lagerplatz und meldete das Nahen der Erwarteten.

Was Harald vorhatte, wußte ich noch nicht recht. Jedenfalls blieb er jetzt ruhig neben Miß Morton sitzen und sagte nur:

„Es ist gut, mein Alter … Wir haben noch Zeit …“

Zehn Minuten darauf schlich er allein davon.

Miß Morton, die jetzt Makiru keines Blickes mehr würdigte, fragte mich leise, ob wir etwa Omar und dessen Begleiter überwältigen wollten …

„Bedauere Miß … Harst hat seine Eigenheiten. Ich weiß genau so viel oder so wenig wie Sie.“

Harald kehrte nach einer Stunde zurück, begrüßte uns lächelnd und meinte:

„Omar ist damit einverstanden, daß wir die Dromedare zum Reiten benutzen und daß er zu Fuß geht … – Bitte, wir wollen zu den Herrschaften hinüber … Makiru muß ja auch seine dreißigtausend Francs in Empfang nehmen …“

Wenn Harald ironisch wird, steht die Sache allemal faul für die, denen die Ironie gilt.

Gurma nahm das Leitseil unseres Gefangenen. So verließen wir unseren Lagerplatz und waren wenige Minuten später inmitten der Felsentrümmer, die hier wie ein Steinwald die Quelle des Sabar einschlossen.

Und hier an dem murmelnden klaren Bächlein standen vier Dromedare …

Hier … lagen vier Männer eng aneinander, alle vier einzeln gefesselt und mit Lederriemen an einen großen Stein gebunden[4]

Vier braune Araber mit schwarzen Bärten, funkelnden Augen, geifernden Lippen …

Miß Morton stand wie erstarrt …

Rief ungläubig:

„Mr. Harst – Ihr Werk? Sie allein haben die vier gefesselt?“

„Nein, durchaus nicht … Die Herrschaften erwiesen sich gegenseitig diesen Liebesdienst. Nur den letzten habe ich gefesselt.“

Die Sonne war bereits halb hinter den Bergen verschwunden …

Ihre Strahlen beleuchteten die wilden Gesichter der vier Vertrauten des Mädchenhändlers – und Makiru, den Fetischmann, den Gurma jetzt auf Haralds Befehl an denselben Stein binden mußte.

„So, nun könnt Ihr fünf hier Eure Geschäfte abwickeln,“ meinte Harst dann durchaus höflich. „Ihr wißt ja, daß in Timbuktu der Mädchenhandel mit Erhängen bestraft wird. Ich würde Euch raten, niemals Euch wieder dort blicken zu lassen. – Gurma, nimm Omar die dreißigtausend Francs ab. Er schenkt sie Dir …“

Miß Morton blieb sprachlos …

Sprachlos, bis wir die Dromedare bestiegen und in die Abenddämmerung hinausritten – gen Nordost, dem Niger zu …

In scharfem Trabe ritten wir, bis die Dunkelheit uns zum Lagern zwang.

Und jetzt erst fand Miß Morton die Sprache wieder …

Meinte kopfschüttelnd:

„Mr. Harst, ich hatte ja schon allerlei von Ihnen gehört … Aber diese Szene da an der Quelle des Sabar wirkte stärker als …“

„Oh – das Stärkste wird sich dort erst abspielen, wenn die fünf Banditen ihre Fesseln an dem Stein durchgerieben haben und frei sind …! Ich fürchte sehr, daß Makiru lebend den Platz nicht verlassen wird. Die Wut der geprellten Händler wird sich allein gegen ihn richten, und – – vielleicht setzt Makiru sich zur Wehr …“

„Und … wie haben Sie die vier Reiter vorhin überwältigt, Mr. Harst – Oh – das müssen Sie mir noch erklären …“

Harald nahm die Clement hervor und streckte den Arm lang …

„So! So habe ich’s getan … – Bedenken Sie, Miß, daß diese vier Kerle keine freien Araber, sondern verkommene Wüstlinge sind … feige Kreaturen, Abschaum der Menschheit – wie alle Sklavenhändler! – Gurma, zünde ein Feuer an … In den Satteltaschen der Dromedare finden wir überreich Proviant …“ –

Ach – die blonde hübsche Felicitas Morton …! Sie war Weib … Und es ist schon immer Haralds Pech gewesen, daß Frauen, denen er einen Dienst als Detektiv erweisen durfte, sich nur zu leicht in ihn verliebten …

Während der drei Tage, die wir bis Timbuktu brauchten, wurde es immer offensichtlicher, daß Felicitas gern bereit gewesen wäre, den Namen Morton gegen den Namen Harst zu vertauschen …

Arme blonde Miß …

In Timbuktu gab’s dann einen tränenreichen Abschied …

Wir blieben dort nur zwei Tage, nur so lange, bis die Polizei uns über den Mädchenhändler Ali Magur zu Protokoll vernommen hatte. Auch der halb verbrannte Brief belastete Magur schwer, und später erfuhren wir, daß man ihn zur Strafe tatsächlich aufgeknüpft hat.

Nur zwei Tage in Timbuktu …

Obwohl dies fraglos die interessanteste Stadt am Sahararande ist …

Nur zwei …

Und zwar deswegen, weil wir hier einen Herrn trafen, der uns neue Arbeit gab, eine Arbeit, die uns lockte …

Doch – das gehört nicht mehr hierher.

Erwähnen will ich nur noch, daß Miß Morton letztens wieder aus New York an Harald geschrieben hat. Sie heißt jetzt aber Frau Smith und ist Mutter eines reizenden Mädchens.

Und Gurma, der Freßsack mit dem einen Ohr?

Ich glaube fast, die Freunde Harald Harsts, die Leser meiner Berichte, möchten Freund Gurma nochmals in all seiner scherzhaften Eigenart hier wiederfinden. Nun – ich will ja nichts vorher verraten … Aber … –

Und ganz zum Schluß noch die Bemerkung, daß ich zu meinem Bedauern hier über des Fetischmannes Schicksal gar nichts angeben kann. Wir haben nichts mehr über ihn gehört.

Vielleicht lebt er noch … Lebt und sitzt am Ufer des Drabu gegenüber den Wasserfällen und trauert seinen dreißigtausend Francs und dem gelben Papagei nach …

Vielleicht …! Und wenn er dort sitzt, ist er zu beneiden … Die Drabu-Fälle haben es mir angetan … Schön war es dort … Viel schöner noch, als ich es hier schildern konnte … –

Im folgenden Band führe ich den Leser in ein anderes Gebiet des weiten Afrika – in das Land der Verdammnis, in die Landstriche am Kongo, wo die grausame Würgerin, die Schlafkrankheit, ganze Dörfer entvölkert und schon die Kinder als Skelette in dumpfer Benommenheit durch die Wälder taumeln läßt …

 

Nächster Band:

Die Faktorei auf der Toteninsel.

 

 

Verlagswerbung:

An unsere Leser!

Die glänzende Erzählerkunst Walter Kabels, welcher doch nun schon seit Jahren tausende Leser an die Detektiv-Abenteuer unseres Harald Harst fesselt, schenkt uns in dem soeben erscheinenden großen Sensationsroman

Der Goldschatz der Azoren

ein neues Werk von so eigenartiger und packender Schönheit, daß auch dieser Roman zahlreiche Freunde finden und die Lesergemeinde der Kabelschen Arbeiten noch vergrößern wird.

Ein ganz eigenartiges Motiv hat sich der Autor für diese Arbeit gewählt: Die Macht des Goldes. Deutsche Männer und Frauen haben während des Krieges in unseren afrikanischen Kolonien einen großen Goldschatz gefunden, den sie dem Vaterlande schenken. Ein deutsches U-Boot nimmt das Gold an Bord, um es nach Deutschland zu schaffen. Im Atlantischen Ozean aber erleidet das U-Boot einen Maschinendefekt, es wird von einem englischen Kriegsschiff verfolgt und in der Nähe der Azoren-Inseln in den Grund gesenkt. Nur ein einziger der Besatzung, der Steuermann Hartwich, kann sich auf die Insel San Miguel retten, wo er drei Jahre lang als Robinson lebt. Als er dann nach Beendigung des Krieges in die Heimat zurückkehrt, findet er sein Vaterland am Boden liegend, das deutsche Volk unsäglich an den Folgen des Krieges leidend. Nun beschließt er den gewaltigen Goldschatz zu heben, um damit die Leiden seiner deutschen Volksgenossen zu lindern. Er trifft mit seinem Jugendfreunde Viktor v. Gaupenberg zusammen, der ein ganz neuartiges Luftschiff konstruiert hat, und mit Hilfe dieses Luftschiffes wollen die Freunde den Schatz bergen. Doch durch einen Zufall haben andere von dem Goldschatz erfahren, die nun mit allen Mitteln versuchen, für sich das Gold zu gewinnen. Und um diesen riesigen Goldschatz entbrennt nun einen Kampf, wie er gewaltiger und packender nicht geschildert werden kann.

Wir alle kennen Walther Kabel aus seinen Harald Harst-Erzählungen und wissen, wie er zu erzählen und zu fesseln versteht. Im „Goldschatz der Azoren“ aber hat er sich selbst übertroffen. Diese Erzählung ist von so eigenartiger und packender Schönheit, daß sich kein Leser ihr entziehen kann.

Gratis und franko

erhält jeder Leser der Harst-Erzählungen das 1. Heft des „Goldschatz der Azoren“. Wir bitten um Einsendung der Adresse, worauf wir sofort vollständig kostenlos das erste Heft zusenden.

 

 

Kabels Kriminal-Bücher

 

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27:

Ming Tschuan.
Thomas Bruck, der Sträfling.
Die rote Rose.
Das Atlantikgespenst.
Die Schildkröte.
Die grüne Schlange.
Das Teekästchen.
Die Todgeweihten.
Der Krokodillederkoffer.
Treff-As.
Der Wilddieb.
Die leere Villa.
Der Klub der Toten.
Der Mann mit der Narbe.
Die silberne Scheibe.
Die Billionenbeute.
Die Tigerinsel.
John Goodsteaks Hochzeitsreise.
Die roten Briefe.
Das Radiogespenst.
Die Rattenfalle.
Die eiserne Frau.
Das Teufelsriff.
Der Zauberblick.
Die Ladygaunerin.
Der Saal ohne Fenster.
Als Harst verschwand.

 

 

Der Detektiv

Eine Reihe höchst spannender Detektivabenteuer. Bisher sind folgende Bände erschienen:

 

Band
































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vergriffen.
Zwei Taschentücher.
Die Jagd auf einen Namen.
Die Augen der Jolante.
Der Fluch eines Geschlechts.
Die verschwundene Million.
Die Festung des Ali Azzim.
Die tote Lady Rockwell.
Der Fakir von Nagpur.
Der blinde Brahmane.
Das Auge der Prinzessin Singawatha.
Das Löschblatt von Amritsar.
Die leuchtende Fratze.
Schattenbilder.
Der Löwe von Flandern.
Der ewige Jude.
Das Armband der Lady Mellville.
Die Rätselbrücke.
Der Einsiedler von Tristan da Cunha.
Das Siegellacktröpfchen.
Die Gesellschaft der roten Karten.
Die Uhrkette des Bill Hamilton.
Der Tempel der Kali.
Nur ein Tintenfleck.
Der Stern von Siam.
Eine leere Streichholzschachtel.
Der sprechende Kopf.
Das Geheimnis des Scheiterhaufens.
Die Gefangene von Trawalkor.
Die Eishöhle in Nepal.
Der Mord im Warenhause.
Der Spielklub W W.
Ein gefährlicher Auftrag.
Der sterbende Fechter.

– Preis pro Band 20 Pf. –

Zu beziehen durch jede Buchhandlung oder vom

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 26,

Elisabeth-Ufer 44.

 

 

Anmerkungen:

  1. In der Vorlage steht: „Fulbe“.
  2. In der Vorlage steht: „gemülich“.
  3. In der Vorlage steht: „Hasalnußgröße“.
  4. In der Vorlage steht: „bunden“.