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Die Faktorei auf der Toteninsel

 

 

 

Der Detektiv

 

Kriminalerzählungen

von

Walther Kabel.

 

Band 130:

 

Die Faktorei auf der Toteninsel

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin 26, Elisabeth-Ufer 44

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschl. das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1924 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.
Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

1. Kapitel.

Das Schutznetz des Bettes …

In Timbuktu, der großen Handelsstadt am Niger-Fluß, begann’s …

Da begann jenes Abenteuer, von dem ich nicht einmal mehr träumen mag …

Jenes Abenteuer, das wie ein einziges unendliches Grauen war.

Und doch will ich es hier den Freunden unserer Erlebnisse nicht vorenthalten. Ungern nur versenke ich mich in diese Erinnerungen. Neben mir liegen meine wenigen Notizen aus jenen Wochen des uferlosen Entsetzens, des nervenzerfressenden Mitleids, des Gefühls der Machtlosigkeit gegenüber dem fürchterlichsten Würger Afrikas: der Schlafkrankheit! –

Meine Notizen …

Schmierige Blätter eines schmierigen Notizbuchs …

Und da steht als erste, als einleitende:

Timbuktu, 4. Nov. 1923.

Der englische Großkaufmann Lionel Saunder bietet uns 3000 Pfund Sterling. Abends an Bord seiner Jacht „Manchester“. Morgen früh Abreise.

Dieser Lionel Saunder, der mit seiner Jacht den Niger aufwärts bis Timbuktu gefahren war, hatte irgendwie gehört, daß wir uns im Grand-Hotel von den Strapazen unseres Ausfluges nach den Drabu-Fällen ausruhten.

Am 4. November vormittags besuchte er uns. Die geradezu höllische Hitze dieses Tages hatte uns ans Zimmer gefesselt. Saunder, lang, dürr, bartlos und offenbar ein Mensch ohne Nerven, liebte keine langen Vorreden.

„Mr. Harst, mein Bruder Kid hat London vor drei Jahren verlassen, um für mich eine Faktorei im Flußgebiet des Manjemo, eines kleinen Nebenflusses des Kongo, zu gründen.“ So leitete er die Sache kurz und bündig ein. „Seitdem habe ich von Kid nichts mehr gehört. Dringende Geschäfte hinderten mich, nach seinem Verbleib nachdrücklicher zu forschen. Jetzt will ich diese Geschäftsreise nach Westafrika dazu benutzen, auch das Kongogebiet zu durchstreifen, um Kid zu suchen. Ich will wissen, was aus ihm geworden ist. Wenn Sie und Ihr Freund Schraut mich begleiten wollen, biete ich jedem von Ihnen 1500 Pfund Sterling, zahlbar in jedem Falle nach Beendigung unserer Tour. – Bitte äußern Sie sich, Mr. Harst …“

Und Harst äußerte sich ebenso kurz und bündig.

„Abends acht Uhr geben wir Ihnen an Bord Ihrer Jacht endgültig Bescheid, Mr. Saunder.“

Saunder erhob sich, verbeugte sich steif:

„Ich bin zufrieden, meine Herren. Also – – abends acht Uhr zum Souper auf meiner Manchester.“

Und ging …, hager, steif, wie ein Ladestock …

Kein angenehmer Mensch, empfand ich sofort.

„Na, mein Alter, wie gefällt er Dir?“ fragte Harst.

„Gar nicht …“

Und ich rauchte mir eine Zigarre an.

„Absolut nicht!“ nickte Harst. „Der Mensch ist ein Verbrecher.“

„Oho …!! Großkaufmann ist er, besitzt eine eigene Jacht …!“

„Und die größten Tuchfabriken in England, ist Milliardär, war dreimal verheiratet, hat drei Frauen begraben und vor acht Wochen die vierte geheiratet, eine Miß Edith Longler, Tochter von Longler & Co., Seifenfabriken, Birmingham …“

Mir blieb der Mund offen …

Staunend fragte ich dann:

„Woher weißt Du das alles …?“

Er tippte an seine rechte Ohrmuschel …

„Gehört … vom Nebentisch aus – heute morgen beim Frühstück unten im sogenannten Speisesaal …“

„Ha – die drei Europäer?“

„Stimmt! Die unterhielten sich über die Jacht und über den Besitzer. Du schmökertest Zeitungen. Ich lauschte … Der eine der Herren war ein Vertreter einer Maschinenfabrik aus Birmingham … Und der kramte seine ganze Skandalchronik über den Milliardär Lionel Saunder aus … Kein gutes Haar ließ er an ihm. – Jedenfalls: Saunder ist mit Vorsicht zu behandeln! Sehr sogar!“

„Du wirst also sein Anerbieten ablehnen?“

„Ich denke nicht daran. Im Gegenteil, denn erstens kommt mir diese Geschichte von dem Bruder Kid, der am Manjemo verschwand, etwas eigentümlich vor, und …“

„Weshalb eigentümlich?“

„Weil ein Mann von Saunders Reichtum doch pflichtgemäß sehr bald Nachforschungen nach dem Verschollenen hätte anstellen müssen, was doch offenbar nicht geschehen ist, sonst hätte er sich näher hierüber geäußert. Dann – zweitens: ich kenne den Kongostaat[1] noch nicht. Und drittens: ich möchte Saunder etwas auf den Zahn fühlen. Der Mensch hat so unheimlich kalte Augen – Mörderaugen!“ –

So – – begann’s …

Abends acht Uhr dann an Bord der hellgrau gestrichenen ganz modernen Turbinenjacht Manchester eine Szene verfeinertster Kultur: Saunder im Smoking, eine Tafel, fürstlich gedeckt, Tafelmusik durch einen Fünfröhren-Radioapparat, der uns hier am Rande der Sahara Londoner Konzert klar und laut vermittelte …

Dazu noch Frau Edith Saunder, kaum zweiundzwanzigjährig, blond und ganz hübsch und – – sehr gedrückt, sehr still … Mit traurigen scheuen Augen …

Als fünfter an der Tafel der Kapitän der Manchester, ein Duzfreund Saunders, – unangenehmer Patron mit Bulldoggenschnauze, der uns wie hergelaufene Polizeispitzel behandeln wollte, bis Harald ihm in seiner Art in die Parade fuhr und sagte:

„Mr. Pittercray, Sie scheinen sich bisher nicht viel in guter Gesellschaft bewegt zu haben. Ich kann das beurteilen, denn ich rechne mich zur besten Gesellschaft …!“ – eine Pille, die Kapitän Pittercray schweigend hinabwürgte, da auch Saunder erklärte: „Benimm Dich etwas angemessener, lieber John …!!“ –

Und als sechster der Leibarzt Seiner Kaufmannshoheit Lionel Saunder: Doktor Emmery Jobbfiel, ein harmloses, kurzsichtiges, überbescheidenes Kaninchen … –

So hat der Leser denn nun auch gleich die Hauptinsassen der Jacht kennen gelernt …

Wird sich selbst sagen, daß der kleine affenähnliche, bulldoggesichtige Trunkenbold Pittercray uns schon am ersten Tage wie die Sünde haßte …

Und wird ahnen, daß diese junge vierte Ehe Lionel Saunders keineswegs glücklich war. – –

Meine zweite Notiz lautet:

An Bord der Manchester,

nachts ½12 Uhr, 4. 11. 1923.

Sind hierher übergesiedelt. Bewohnen große elegante Steuerbordkabine. Souper war um ½11 beendet. Saunder hat Einzelheiten über Bruder Kid erzählt.

Nun, diese Einzelheiten waren recht dürftig.

Kid Saunder, damals dreißig Jahre, also fünfzehn Jahre jünger als sein Bruder, war im April 1920 mit einem großen Motorkutter den Manjemo aufwärtsgefahren. Als Gehilfen hatte er zwei andere Engländer bei sich, außerdem noch acht Neger, ferner alles das, was zur Gründung einer Faktorei in einem entlegenen Gebiet gehört, – auch Waffen, denn die Manjemo-Stämme sind noch heute Menschenfresser. – Hierüber werde ich später noch manches zu sagen haben.

Der Kutter war zuletzt fünfzig Meilen nördlich der Manjemo-Einmündung von dem Frachtboot der belgischen Exportfirma Dirulieux gesehen worden. Seitdem fehlte jegliche Nachricht von ihm und den drei Europäern.

Lionel Saunders Nachforschungen hatten sich auf schriftliche Anfragen bei den Behörden des Kongostaates beschränkt.

Der Leser wird zugeben, daß Harst also recht gehabt hatte: der ältere Saunder war drei Jahre lang hinsichtlich des Schicksals seines einzigen Bruders unerhört gleichgültig gewesen. Und jetzt – jetzt mit einem Male wollte er viele Wochen seiner fraglos kostbaren Zeit für diesen selben Kid opfern!

Das war merkwürdig. Das mußte einen besonderen Grund haben!

Welchen aber?!

Wir beide rieten hin und her. Umsonst. – –

Meine dritte Notiz:

Auf der Manchester,

12. 11. 1923.

Wir schwimmen den Manjemo aufwärts. Ein lehmiger Urwaldfluß. – Wir tragen seit Tagen stets dicke lange Lederhandschuhe und Schutzschleier gegen die Glossina Palpalis-Stechfliegen[2], die als Verbreiter der Schlafkrankheit hier sehr gefürchtet sind. – Stimmung flau. Sonst nichts Neues.

Nein – nichts Neues …

Wir waren den Niger abwärts gedampft. Die Turbinen der Manchester schafften achtzehn Knoten. Das war für eine Privatjacht eine sehr anständige Geschwindigkeit.

Die Seereise über den Atlantik bis zur Kongomündung verlief dann in derselben Weise: Faulenzerdasein, Schlaraffenleben, endlose Schachpartien mit Jobbfiel und noch endlosere Saufereien mit Saunder und Pittercray.

Denn: dieser Milliardär und dieser Kapitän beteten zu Gott Bacchus in einer Weise, daß einem die Haare zu Berge standen!

Nun – wir machten mit! Wir vertrugen mehr. Und wir hofften Nacht für Nacht, daß Saunder mal in der Bezechtheit sich irgendeine Blöße geben würde.

Falsch spekuliert!! Der Mensch war überaus vorsichtig, und sein Vertrauter Pittercray war’s nicht minder!

Frau Edith Saunder taten wir einen Gefallen damit, daß wir den vollen Lionel so gründlich unter Alkohol setzten, denn sie war froh, wenn sie ihn nicht sah …! Das hatten wir schon am zweiten Reisetage festgestellt.

Überhaupt: die arme blonde Edith!!

Ein Kapitel für sich …! – Unbegreiflich war es uns, wie dieses junge, sympathische, reiche Mädchen diesen … Kerl hatte heiraten können! Diesen rüden Patron, bei dem der Gentleman-Firnis nur ganz dünn aufgetragen war – zu dünn …!! Und – achtzehn Jahre älter noch, dazu Witwer nach drei Ehen …!!

Unbegreiflich! –

Wenn ich Reiseschriftsteller wäre, würde ich hier die Fahrt den Kongo aufwärts mit Freuden recht genau schildern. Da ich’s jedoch nicht bin und da der Hauptzweck dieser Erzählung der ist, meines Freundes glänzende Geistesgaben durch seine Erfolge als Detektiv zu beweisen, muß ich mich darauf beschränken, nur das eingehend von Land und Leuten zu erwähnen, was mit zum Thema gehört. –

An diesem 12. November hatte ich morgens die angegebene Aufzeichnung in mein Notizbuch eingetragen.

Und mittags ein Uhr endete dann das … Vorspiel …

Da saßen wir beide in unserer Kabine und hörten drüben im Salon Saunder und Pittercray anzügliche Lieder gröhlen. Die beiden feierten seit acht Uhr Pittercrays Geburtstag.

Da … pochte es leise an die Tür …

Und herein schlüpfte Frau Edith …

Blaß, verstört …

Schloß hinter sich die Tür …

Lehnte sich dagegen …

Ihre Lippen zuckten …

Und über ihre Lippen kam nun die furchtbare Anklage – nur verständlich für den, der die Gefährlichkeit der Schlafkrankheit kennt …

Wir waren aufgestanden …

Lauschten …

Und stammelnd – zögernd erklang’s in angstvollem Flüsterton:

„In … der vergangenen … Nacht … hat er … abermals das … Schutznetz von meinem Bett halb entfernt und die beiden Fenster … ebenso heimlich geöffnet …“

Wie ein Riß durch einen dunklen Vorhang waren diese Worte …

Ein Riß, der alles zeigte …

Für Harst …! Nicht für mich, denn mein Gefühl sträubte sich dagegen, Lionel Saunder für einen … Blaubart[3] zu halten …!

 

2. Kapitel.

Der Mann am Pfahl.

Das arme Weib stierte uns an …

Harst schob ihr einen Sessel hin, drückte sie sanft hinein …

„Setzen Sie sich … Und seien Sie ganz offen, Frau Saunder … Vertrauen Sie uns …“

„Das tue ich …“ – Ihr Blick war der eines todwunden Rehes.

„Sie dürfen nicht allzu lange hier bei uns verweilen,“ meinte Harald schnell. „Weshalb haben Sie Saunder geheiratet?“

„Oh – Sie werden meine Handlungsweise kaum verstehen, Herr Harst … Ich liebte Kid Saunder, den jüngeren Bruder … Aber Kid war leichtsinnig, war nur Sportsmann, kein Kaufmann. Mein Vater wies ihn ab. Da ging er hier nach dem Kongostaat. Ich konnte ihn nicht vergessen. Ich habe auf eigene Kosten in aller Stille im Jahre 1921 einen Londoner Detektiv hier ins Manjemo-Gebiet geschickt, einen Mann, der Ihnen vielleicht dem Namen nach bekannt ist …“

„Etwa James Crooc? – Crooc ist seit Oktober 1921 spurlos verschwunden. Man weiß nur, daß er ins Ausland ging. Es muß James Crooc sein …“

„Er ist’s, Herr Harst … – Und als er nicht zurückkehrte, als wieder über ein Jahr vergangen war und Lionel sich mir nach dem Tode seiner Gattin wieder näherte, da …“

„Verzeihung – er hatte sich schon einmal um Sie bemüht?“

„Ja … Zugleich mit Kid …“

„Weiter … weiter …!!“

„… Da … da kam mir eines Tages ein … ein schrecklicher Verdacht …“

„Daß Lionel seinen Bruder absichtlich in diese mörderische Urwaldregion geschickt haben könnte …?“

„Ja …“ Nur ein Hauch war’s …

„Und – Sie opferten sich nun, um die volle Wahrheit zu erfahren.“

„Ich … ich verlobte mich mit Lionel, stellte ihm aber eine … eine Bedingung …“

„Daß er persönlich Kid suchen sollte?“

Sie nickte eifrig … Errötete wieder, flüsterte verschämt:

„Noch etwas … Ich wollte ihn heiraten, aber … … sein … Weib wollte ich erst in Wahrheit dann werden, wenn Kids Tod mit Sicherheit nachgewiesen sei …“

„Und er ist darauf eingegangen?“

„Nicht sofort … – Und jetzt, Herr Harst, jetzt … hat er nachts zum dritten Male, drei Nächte hintereinander, mit einem Nachschlüssel oder dergleichen sich Zutritt zu meiner Kabine verschafft und … und das Schutznetz entfernt und die Fenster geöffnet …“

Stille nun …

Stille nach dieser erneuten ungeheuerlichen Anklage …

Harst trat dicht neben das arme Weib, beugte sich zu ihr herab …

Was er flüsterte, verstand ich nicht …

Sah nur das Aufleuchten der grauen Augen Edith Saunders …

Sie erhob sich dann, schlüpfte wieder zur Tür hinaus.

Wir waren allein …

Harst warf sich in eine Ecke des Wandsofas …

Drüben im Salon brüllte der Trunkenbold Pittercray einen schamlosen Gassenhauer …

Und wir schauten uns an …

Bis Harald leise sagte:

„Nun weiß ich Bescheid, mein Alter … Nun ist Lionel Saunder entlarvt!“

Er langte nach einer Zigarette … Rauchte … Seine Stirn war tief gefurcht …

Ich wehrte mich gegen den Gedanken, daß dieser Saunder, in dessen Fabriken Tausende beschäftigt wurden, dessen Name weit über die Riesengrenzen Britanniens hinaus bekannt war, etwa … ein vielfacher Mörder sein sollte.

Ich blickte Harald fast scheu an …

Er nickte mir zu …

„Du zweifelst noch … Wir werden uns Sicherheit verschaffen. Komm’, gehen wir an Deck. Doktor Jobbfiel sitzt sicherlich schon wieder unter dem Sonnensegel und angelt. Ich halte ihn für einen anständigen Kerl. Wir werden ja sehen, wie er sich benimmt.“ –

Emmery Jobbfiel trank nicht, rauchte nicht, las nicht, spielte stets den großen Schweiger. Wir wußten, daß er erst seit einem Jahr die gut bezahlte und leichte Stellung bei Saunder übernommen hatte, nachdem er ein Jahrzehnt in Indien als Regierungsarzt tätig gewesen. Ein hoher Beamter hatte ihn Saunder empfohlen gehabt.

Jobbfiel hockte denn auch wirklich mit Kopfschleier, Handschuhen und Schleppangel an der Reling des Achterdecks und hatte neben sich einen Bottich mit Köderfischen stehen. Rechts von ihm lag ein … totes junges Krokodil, dem er den Leib aufgeschnitten hatte.

Als er uns sah, rief er lachend:

„Denken Sie, das Vieh dort hatte den Köder samt Haken sofort bis in den Magen hinabgewürgt. Immerhin – das Krokodilbaby gibt einen Handkofferbezug!“

Wir rückten uns Liegestühle heran und setzten uns.

Die Jacht fuhr mit mäßiger Geschwindigkeit, da es hier keine ausgesprochene Fahrrinne gab und überall durch Urwaldriesen und Unkraut kleine Inseln im Flusse entstanden waren, die zum Teil unter der Wasseroberfläche gefährliche Hindernisse bildeten.

Einer der acht Matrosen der Manchester mußte denn auch ständig vorn am Bugspriet Ausschau halten. – Um hier nun gleich über die Zusammensetzung der Leute der Jacht zu sprechen: außer Kapitän Pittercray waren noch ein Maschinist, zwei Heizer, ein Steuermann und acht Matrosen zur eigentlichen Besatzung zu rechnen, – sämtlich Engländer und ausgesucht tüchtige kräftige Jan Maate von jenem Seemannsschlag, der die englische Handels- und Kriegsmarine berühmt gemacht hat.

Der Manjemo war zumeist etwa hundert Meter breit, hatte aber zahlreiche seeartige sumpfige Ausbuchtungen, an denen hin und wieder Negerdörfer zu erkennen waren. Bisher hatten wir hier im Gebiete des Manjemo nirgends angelegt. Saunder wollte mit den Nachforschungen erst jenseits der letzten belgischen Regierungsstation, die den Namen Karibur führte und die wir noch heute zu erreichen hofften, beginnen.

Die dicht bewaldeten Flußufer erinnerten uns vollständig an die Landschaftsbilder des Drabu-Flusses. Der Leser kennt ja wahrscheinlich meine Schilderungen einer solchen tropischen Uferszenerie aus dem vorigen Band, „Geheimnis der Drabu-Fälle“. Tier- und Pflanzenwelt waren hier fast genau dieselben, nur sollten gerade am Manjemo die Riesenaffen noch zahlreicher als am Drabu sein. –

An Deck der Jacht befanden sich jetzt außer uns dreien nur noch der Mann am Bugspriet und oben auf der Brücke Steuermann Jack Lewis.

Wir waren also ganz ungestört und konnten Emmery Jobbfiel in aller Ruhe ins Verhör nehmen.

Harst fing die Geschichte wieder überaus geschickt an.

„Sie könnten uns eigentlich mal einen kleinen Vortrag über die Schlafkrankheit halten, Doktor,“ meinte er scheinbar gut gelaunt. „Wir befinden uns hier ja bereits in den verseuchten Gegenden, und da kann es nur von Nutzen sein, wenn man über die unheimliche Seuche recht genau unterrichtet ist.“

„Gern, sehr gern …,“ erklärte der kleine blondbärtige Arzt mit seiner stets gleichen Liebenswürdigkeit.

Ich will hier nur im Auszug wiedergeben, was er uns vortrug. – Die Schlafkrankheit wird einzig und allein durch den Stich der Glossina Palpalis übertragen. Sticht diese Fliege einen an Schlafkrankheit Leidenden und hinterher einen Gesunden, so infiziert sie diesen. Die ersten Anzeichen stellen sich nach Monaten, zuweilen auch schon nach Wochen ein: Kopfschmerzen, Benommenheit und eine dauernde Schlafsucht, dazu rasche Abmagerung. Diese Erscheinungen steigern sich rasch. Je nach der Widerstandsfähigkeit des Kranken erfolgt der Tod in tiefster Bewußtlosigkeit nach ein bis zwei Jahren. Im Anfangsstadium der Krankheit können die mit Schlafkrankheit Behafteten noch vollständig ihrer Tätigkeit nachgehen. Professor Robert Koch hat dieser Seuche einen Teil ihrer Schrecken genommen. Besonders in den ersten Monaten führen Atoxyleinspritzungen[4] zur völligen Genesung, obwohl auch nicht immer mit Sicherheit. Bevor die europäischen Kolonialmächte die Bekämpfung der Seuche mit Nachdruck beginnen konnten, waren in Zentralafrika bereits ganze Völker hingerafft worden. Diese Bekämpfung kann natürlich bei der ungeheuren Ausdehnung der Krankheitsgebiete stets nur eine rein örtliche sein, sich also nur auf geringe Länderstrecken beziehen. –

Jobbfiel betonte zum Schluß, daß für Europäer die Seuche am gefährlichsten sei, besonders für Frauen, deren zartere Naturen leider eine Behandlung mit Atoxyl kaum vertrügen.

Diese Bemerkung veranlaßte Harald zu folgenden, im ernstesten Tone gesprochenen Sätzen:

„Dann haben wir also die Pflicht, Frau Saunder nach Möglichkeit zu schützen, Doktor. – Wie ließe sich dieses tun?“

Jobbfiel schaute auf. Hinter dem Schleier war der Ausdruck seiner Augen schwer zu erkennen.

„Natürlich!“ nickte er. „Natürlich …! Gerade Frau Saunder …!“

Das klang merkwürdig.

Und Harst meinte nun:

„Am besten wäre, wenn vor die Fenster ihrer Kabine Gaze gespannt würde. Nicht wahr?“

„Gewiß … Ich habe ihrem Mann dies auch geraten. Aber Saunder ist ja so gleichgültig.“

Harst bückte sich tiefer zu Jobbfiel hinab.

„Doktor, es wäre doch ein Jammer, wenn dieses nette junge Frauchen der Glossina zum Opfer fiele – als vierte Gattin Saunders … – Kannten Sie eigentlich die dritte Gattin Saunders noch?“

„Nein … Ich kam erst drei Monate nach deren Tode zu Saunder.“

„Woran starb sie …?“

Jobbfiel zog die Angel ein.

„An … Erkältung … – Saunder war mit seiner Jacht nach Spitzbergen ins Polarland gefahren. Bei einem Jagdausflug, den das Ehepaar unternahm, verirrten sie sich und mußten dreimal in Nacht und Eis nächtigen. Als man sie fand, hatte Frau Saunder bereits so hohes Fieber, daß sie nur noch eine Stunde lebte.“

Mir rann es kühl über den Rücken. Entsetzen packte mich. Ich sah ein: Harst hatte recht. Saunder war ein Ritter Blaubart, Saunder hatte seine drei ersten Frauen auf scheußlich heimtückische Weise umgebracht! –

Da – von der Brücke her Steuermann Lewis’ Stimme:

„Die Station Karibur in Sicht!! Wenn einer der Herren vielleicht Mr. Saunder davon benachrichtigen will …!“

Ich eilte in den Salon hinab. Ich fand ein geradezu widerwärtiges Bild: auf dem Tische eine Batterie leerer Flaschen. In zwei Klubsesseln die beiden Zecher – schlafend jetzt, schnarchend … Weindunst und Zigarrenqualm verpesteten die Luft. Die Gesichter der Trunkenbolde, gedunsen und dunkelrot, wirkten so abstoßend, daß es mich Mühe kostete, Saunder zu berühren und wach zu rütteln.

Er glotzte mich an … Und jetzt zum ersten Male ließ er im Rausch und im Nebel des ersten Erwachens so etwas die Maske fallen …

In seinen hellen wässerigen Augen erschien ein bösartiger haßerfüllter Ausdruck …

„Was – – wollen – Sie?“ lallte er …

„Die Station Karibur ist in Sicht! Steuermann Lewis schickt mich.“

Ich bezwang mich, tat harmlos und freundlich, obwohl mir der Abscheu vor diesem elenden Verbrecher fast die Kehle zusammenschnürte.

„Karibur … Karibur …?“ – Er mußte sich erst besinnen … „Ach so – – Karibur!“

Er wurde zusehends nüchterner. Seine Energie würgte die Trunkenheit hinab.

„Ich komme, lieber Schraut …“ Und stramm und fest ging er an mir vorüber zur Tür – durch den Gang – die Treppe nach oben.

„Lieber Schraut!!“ – Ekelhaft war diese heuchlerische plumpe Vertraulichkeit …!

Und – gefährlich war dieser Mensch, gefährlicher, als ich’s bisher geglaubt hatte.

Ich folgte ihm … –

Draußen breitete sich vor der Jacht eine der seeartigen Buchten aus.

Rechter Hand war am Ufer eine große Lichtung, darauf fünf Wellblechbaracken, weiß gestrichen, im Hintergrunde ein Negerdorf.

An der Anlegebrücke der Station sahen wir drei große Boote und mehrere Nachen, sahen dicht dabei am Lande einen Haufen Schwarzer und zwei Europäer mit Tropenhelmen.

Harst stand neben mir … sein Fernglas in der Hand.

„Man hat da einen Menschen an einen Pfahl gebunden,“ meinte er … „Es scheint ein Europäer zu sein …“

Die Manchester schob sich an die Brücke heran …

Die beiden Belgier, die Stationsleiter, kamen an Bord, waren überaus erstaunt über den Besuch, freuten sich aber ehrlich, hier in ihrer Einsamkeit einmal Weiße begrüßen zu können. Auch sie trugen Schleier und Handschuhe, zeigten sich äußerst liebenswürdig und erzählten sofort, daß vor einer Stunde ein unbekannter, völlig verwilderter Europäer von Negern im Urwalde aufgefunden worden sei. Der Mann leide an jenem schrecklichen Stadium der Schlafkrankheit, in dem die Kranken wie Tobsüchtige jeden anderen anfallen und daher notgedrungen gefesselt werden müßten.

Wir gingen an Land, gingen hinüber zu dem Unglücklichen …

Und da sahen wir dann das erste furchtbare Bild der verheerenden Wirkungen der Seuche …

Ein Mensch hing da in den Stricken am Pfahle, dem der Schaum vor dem bartumwucherten Munde hing – ein halbnackter[5], von Insekten bis zur Unkenntlichkeit zerstochener blonder Mann, die Haut überall mit Geschwüren bedeckt, das Gesicht nur noch ein verquollener Fleischklumpen, das Kopfhaar verfilzt, die Fingernägel überlang und krumm gewachsen, die Augen in Eiter schwimmend und wild und toll wie die eines wütigen Tieres …

Mir graute …

Wir alle waren stumm …

Und um uns her halbnackte Neger, – Weiber, Kinder … Männer …

Und – die meisten offenbar ebenfalls schon krank, zum Erbarmen mager, mit vorquellenden Bäuchen, stumpfen Zügen …

Grauenvoll …!! –

Der eine Belgier sagte leise: „Der Mann muß jahrelang allein in der Wildnis gehaust haben … Vielleicht ist es einer der drei Engländer, die vor drei Jahren mit einem Kutter den Manjemo weiter aufwärts fuhren. Wir haben sie gewarnt … Sie hörten nicht auf uns …“

Saunder trat vor.

Harst stieß mich an … Ich beobachtete Saunder scharf …

Ganz dicht vor dem Unglücklichen machte er halt, musterte das grauenvolle Antlitz, rief dann einen Namen:

„Carson!!“

Und da ruckte der Kopf des Mannes am Pfahle hoch …

Da schimmerte für eine Sekunde etwas wie klarer Verstand in den eitrigen Augen …

„Carson …!!“ wiederholte Saunder nochmals …

Ein heulendes Bellen kam über die Lippen des Ärmsten.

Und dann – ein Tobsuchtsanfall, der so gräßlich war, daß selbst Harst fluchtartig an Bord der Jacht zurückkehrte, freilich als Letzter … hinter mir … und mir zuraunend:

„Also einer der Verschollenen, einer der Begleiter Kid Saunders!“

 

3. Kapitel.

Doktor Jobbfiels Experiment.

Die nächste meiner Notizen:

Auf der Manchester

12. 11. 23,
11 Uhr nachts.

Soeben war Jobbfiel heimlich in unserer Kabine. Er will uns mitnehmen. Wir sind jetzt seinetwegen beruhigt.

Diese kurzen Andeutungen besagten weit mehr, als jemand ahnen konnte, der vielleicht meinen Koffer durchsuchte und mein Notizbuch fand. –

Ich will hier ganz kurz den Rest dieses Tages schildern, an dem wir zum ersten Male erkannten, was die furchtbare Seuche für Zentralafrika bedeutet.

Nach der nervenaufpeitschenden Szene am Ufer waren wir mit den belgischen Herren in den Salon gegangen.

Inzwischen war auch Kapitän Pittercray munter geworden. Als Saunder uns nun hier im Salon erklärte, daß der Tobsüchtige fraglos ein gewisser Bill Carson sei, der als Begleiter Kids die Expedition damals vor drei Jahren mitgemacht habe, gröhlte der Kapitän lachend dazwischen:

„Carson – – he, he, – der schöne Carson!! Einer von den dreien – – he, – he!! Hoffentlich sind …“

„Schweig’!“ brüllte Saunder ihn an, und sein verzerrtes Gesicht bewies, daß er den Schwätzer am liebsten niedergeschlagen hätte. „Scher’ Dich in Deine Koje und schlaf’ Dich aus …!!“

„Oho – – oho …!!“ krähte der Kapitän. „Brüderchen, das ist nicht der Ton, in dem ein John Pittercray mit sich verkehren läßt! Ich …“

Saunder hatte ihn schon am Arm gepackt, schob ihn zur Tür hinaus, brachte ihn in seine Kabine.

Die Belgier schauten uns und Jobbfiel fragend an.

Da sagte der Doktor achselzuckend:

„Säufer – alle beide!“ – Und fügte hinzu:

„Was soll nun mit Carson werden? Er kann doch unmöglich dort am Pfahle festgebunden bleiben!“

„Wir werden ihn in eine der Baracken nehmen,“ erklärte der eine der Belgier höflich. „Wenn Sie uns helfen wollten, meine Herren …“

Carson hing jetzt bewußtlos. Wir legten ihn auf eine Leiter und trugen ihn rasch in eine der Warenbaracken in eine kleine Kammer, wo wir ihn möglichst zart auf einem Lager von Decken und Stroh wieder festbanden.

Als wir hiermit noch beschäftigt waren, kam Lionel Saunder herbeigeeilt, offensichtlich sehr erregt und fraglos nur deshalb, weil er fürchtete, Carson könnte in einem Augenblick klaren Geistes irgendetwas ausplaudern.

Dies ging schon daraus hervor, daß er Harst zögernd fragte, ob Carson vielleicht inzwischen die Besinnung wiedererlangt hätte.

Und – da machte ich abermals eine sehr wertvolle Beobachtung – – hinsichtlich Emmery Jobbfiels. Der Doktor lächelte nämlich – ein grausames Lächeln, das selbst unter dem Schutzschleier zu erkennen war und erwiderte an Stelle Haralds, während sein Gesicht wieder den altgewohnten Ausdruck annahm:

„Carson wird die Nacht nicht überleben. Das Herz setzt bereits aus. Für ihn ist der Tod eine Erlösung. Ich werde ihm eine Morphiumeinspritzung machen, damit er schmerzlos und still hinüberschlummert …“

Er ging zur Jacht und holte das Nötige. Nach der Einspritzung wurde Carsons Atem ruhiger. Jobbfiel wusch dem Ärmsten noch die Augen aus und säuberte die brandigen Hautwunden, so weit dies möglich war. Dann befahl der eine Belgier einem der schwarzen Stationsdiener, bei dem Schwerkranken die Wache zu übernehmen. –

Um halb neun abends speisten wir mit den Belgiern gemeinsam im Jachtsalon. Auch Frau Edith saß mit an der Tafel. Sie fragte die Belgier wiederholt, ob denn nicht durch Neger aus dem Innern irgendeine Kunde über die Insassen des Kutters hier bis zur Station gelangt sei.

„Nichts,“ erklärten die Herren bedauernd. „Wir hätten sonst ja sofort Schritte unternommen, um die Verschwundenen zu suchen.“

Um halb elf verabschiedeten die Belgier sich. Auch Doktor Jobbfiel und wir zogen uns in unsere Kabinen zurück. Saunder und Pittercray hatten schon bei Tisch sehr scharf getrunken und schienen das Zechgelage fortsetzen zu wollen.

Als wir beide im Schiffsgang dem kleinen Doktor gute Nacht wünschten, flüsterte er uns ganz überraschend zu: „Um elf bin ich bei Ihnen. Halten Sie sich bereit.“

Dann verschwand er in seiner Kabine und schloß die Tür sehr geräuschvoll – absichtlich wohl, damit Saunder hörte, daß Jobbfiel tatsächlich seine Schiffskammer betreten hatte. Diese lag dicht neben der einen Wand des Salons.

Kaum hatte Harald dann auch unsere Kabinentür ins Schloß gedrückt, als er sich jäh umwandte und mir scharf in die Augen sah, ganz so, als erwartete er von mir eine Äußerung.

Nun – ich konnte leider nur eine Redensart vorbringen, die nicht sehr vieldeutig war.

„Hm – der Zweck der Übung?!“

Harald erwiderte gedämpft:

„Jobbfiel ist nicht Arzt … Oder – nicht nur Arzt.“

„Was denn sonst?“

„Kollege …!“

„Ah – Detektiv?!“

„Ohne Zweifel. – Sein Vortrag über die Schlafkrankheit war viel zu wenig mit Fachausdrücken gespickt. Ich bleibe dabei: er ist das, was wir sind: Detektiv!“

„Und – was wird um elf Uhr geschehen?“

„Um elf Uhr wird er uns zu dem sterbenden Bill Carson führen …“

„Und dann?“

„Wird er irgendwie versuchen, das nur noch schwach flackernde Lebenslicht des Ärmsten etwas anzufachen, damit Carson … antworten kann …“

„Ich verstehe jetzt … Jobbfiel ist …“

Da hatte Harald schon den Zeigefinger auf die Lippen gelegt, deutete mit der Linken an mir vorüber auf die Tür …

Ich lauschte …

Und … vernahm im Schiffsgang draußen schleichende Schritte … Wispern von Stimmen …

Plötzlich gähnte Harald ganz laut, rief ebenfalls gähnend:

„Nun ins Bett, mein Alter …! Hundemüde bin ich …! Hundemüde …!! Hoffentlich läßt die Hitze uns schlafen … Stelle beide Ventilatoren ein … Das Surren ist doch immer angenehmer als diese stickige Luft.“

Komödie – für die Horcher draußen berechnet!

Im Schiffsgang war’s jetzt still …

Ein Türschloß knackte – das des Salons schräg gegenüber.

Und wir beide dann im Dunkeln auf dem kleinen Sofa sitzend – wartend …

Beste Gelegenheit für mich, eine Frage anzuschneiden, die mir schon oft die Gedanken beschwert hatte:

„Weshalb hat Saunder uns beide in Timbuktu aufgesucht und hierher mitgenommen?“ flüsterte ich. „Wir sind ihm doch nur unbequem, falls er wirklich jetzt auch seine vierte Frau beseitigen will …!“

„Er will es, mein Alter … Und sie … ahnt es, sie weiß es. Daß er gerade uns mitnahm, ist ein ganz feiner Schachzug: Harst und Schraut an Bord der Manchester beweisen, daß Saunder ernstlich und mit allen Mitteln das Schicksal seines Bruders klären will! – So soll’s die Welt ansehen … So spekuliert er …“

Stille wieder. Ich gab Harald recht. Saunder brauchte uns, damit niemand auf den Gedanken käme, er hätte sich hier in die verseuchten Gebiete des Kongos nur deshalb hineingewagt, um seine Frau, die nicht sein Weib war, durch die Glossina jammervoll hinwelken zu lassen!

Stille …

Die Jacht schwankte ganz wenig. Über die weite Flußausbuchtung strich ein kräftiger, aber glühend heißer Wind. An Deck schritt mit schwerem Tapp Tapp die Bordwache auf und ab … –

Und dann ein Geräusch …

Fast lautlos ging die Tür auf. Licht flutete herein. In der Lichtbahn stand Doktor Jobbfiel, winkte …

Wir hatten uns schon erhoben. Harald schloß die Tür leise hinter uns ab. Leise nun die Treppe empor … Bis zu der Bordwache hin, die an der Reling lehnte.

Dieser Matrose hieß Sandfort, war noch ein ganz junger Bursche und erst kurze Zeit auf der Jacht.

Jobbfiel raunte Sandfort zu:

„Sie schweigen … Sie wissen von nichts!“

„Sehr wohl, Herr Inspektor …“

Jobbfiel drehte den Kopf nach uns hin …

„Sie haben’s wohl schon geahnt … Ich bin Detektivinspektor Reginald Snider von Scotland Yard …“ (Hauptquartier der Londoner Geheimpolizei).

„Immerhin, eine kleine Überraschung ist es doch,“ nickte Harald. „Ich hielt Sie für einen Privatdetektiv im Dienste der Angehörigen einer der drei ermordeten Frauen Saunders.“

„Gehen wir …,“ meinte Snider kurz.

Über die Landungsbrücke glitten drei Schatten in die Finsternis der Tropennacht hinein – der Station zu – der einen Wellblechbaracke.

Snider-Jobbfiel hatte unter dem linken Arm ein Kästchen.

Als wir uns der Baracke näherten, sagte er:

„Einer von Ihnen beiden muß draußen aufpassen. Ich traue Saunder nicht. Ich fürchte fast, er hat Verdacht geschöpft.“

„Ich übernehme die Wache,“ erklärte Harald sofort. „Ich habe bessere Augen als Schraut …“ –

Die Tür des kleinen Barackenraumes war weit offen. Neben der Tür erkannten unsere bereits an die Dunkelheit gewöhnten Augen im matten Sternenlicht einen Neger. Der Schwarze saß zusammengesunken da und schlief.

„Ein Kranker im ersten Stadium der Seuche,“ meinte der Detektivinspektor. „Hören Sie: der Mann atmet röchelnd wie ein Erstickender! – Er wird uns nicht stören.“

Snider und ich traten ein. Ich zog die Tür mit einem Ruck zu, ohne sie einzuklinken. Der Inspektor hatte schon seine elektrische Laterne eingeschaltet.

Da lag Bill Carson – oder besser das, was von Carson noch übrig war …

Mir lief’s kalt über den Rücken, als ich im blendenden Strahlenkegel der Laterne diese jammervolle Ruine, dieses verwahrloste, wundenbedeckte Etwas da auf dem Lager von Decken mitleidig musterte.

Snider war schon mit seinem Kästchen beschäftigt, meinte nun:

„Ich habe da eine Art Elektrisiermaschine zusammengebaut … Helfen Sie mir, Mr. Schraut. Carsons Herz muß zu letzten Kraftanstrengungen angefeuert werden. Das vergiftete Blut muß das Hirn lebhafter durchkreisen. Vielleicht gibt Carson Antwort …“ –

Und – er gab Antwort …

Es war ein Experiment, das sich nur durch die zwingende Notwendigkeit entschuldigen ließ, ein Versuch, über den Verbleib Kid Saunders eine bestimmte Auskunft zu erhalten.

Dieses allerletzte Aufglimmen eines bereits völlig umnachteten Geistes, dieser allerletzte Beweis von Intelligenz eines Menschenhirns hatte mit all den seltsamen und unheimlichen Begleitumständen etwas unendlich Aufregendes an sich.

Während ich dem Inspektor half, die eine Elektrode auf das Herz und die andere auf die Stirn zu drücken, lief mir der Schweiß in Strömen über das Gesicht.

Der entsetzliche Pesthauch, der von dem armen Carson ausging, ließ Übelkeit mir in der Kehle hochsteigen.

Und dann … dann die ersten zuckenden Bewegungen des Unglücklichen …

Dann …

Doch wozu hier in Einzelheiten wühlen, die noch heute meine Seele mit Mitleid und Entsetzen erfüllen …?!

Genug daran, daß ich hier berichte, was Snider fragte … immer wieder fragte, bis der sieche Verstand des Ärmsten die Frage begriff …

„Wo befindet sich Kid Saunder …? – Wo befindet sich Kid Saunder …?“

Ein Lallen – kaum verständlich …

Ein paar Worte nur …

Und wir beide dicht über dem Kranken, lauschend – horchend …

„Insel … Tschikua-Insel … Tschikua … Gorilla.“

Das – – war alles …

Carsons letzte Kraft war dahin …

Und da auch schon von der Tür her Harsts Stimme …:

„Licht aus – –! Saunder und Pittercray …! Rasch – hinter die Baracke …!! Kriechen …!!“

 

4. Kapitel.

Der Neger mit dem Lehmturban.

Wir krochen …

Dicht an dem schlafenden, röchelnden Neger vorüber …

Nicht hinter die Baracke, sondern hinter einen Stapel leerer Kisten …

Von hier aus konnten wir die Tür im Auge behalten, sahen Saunder und den Kapitän herankommen, aber nicht von der Jacht her, nein, von Norden aus der Richtung des Negerdorfes.

„Sie wollten die Bordwache täuschen,“ meinte Harald leise …

„Sandfort läßt sich nicht täuschen,“ flüsterte Snider-Jobbfiel. „Er ist einer meiner besten Detektive, obwohl erst zweiundzwanzig Jahre alt …“

Saunder, der Milliardär, der Besitzer eines der schönsten Schlösser Schottlands, trennte sich jetzt von Pittercray und schritt allein der Tür der Baracke zu …

Blieb stehen, beugte sich über den Neger, richtete sich wieder auf und betrat die kleine Kammer.

Erschien jedoch sofort wieder, nachdem er Bill Carsons Jammergestalt für Sekunden mit einer Taschenlampe beleuchtet hatte …

Dann gingen er und der Kapitän zusammen in die Baracke hinein, trugen den Sterbenden dem Flusse zu …

„Sie wollen ihn ins Wasser werfen,“ meinte der Inspektor erregt. „Wir dürfen das doch auf keinen Fall dulden, wenn auch Carson wieder in so tiefer Bewußtlosigkeit sich …“

„Sie werden sich hüten,“ unterbrach Harald den englischen Beamten. „Sie schaffen Carson an Bord der Jacht, damit sie ihn dort bewachen können und damit wir nie mehr allein mit ihm sind! Das ist’s!“

Und – es war auch so …

Wir folgten ihnen in vorsichtigem Abstand. Mir war eins nur unklar: weshalb Saunder und der Kapitän den Umweg über das Negerdorf gemacht hatten! Im Grunde brauchten sie doch diesen Transport des Schwerkranken gar nicht zu verheimlichen, konnten es auch gar nicht! – Jedenfalls – mir kamen allerlei Vermutungen, die ich jedoch nicht gern schon jetzt aussprechen wollte, da sie doch zu sehr jedes tatsächlichen Beweises entbehrten.

Wir beobachteten, wie sie nun den Bewußtlosen über das Deck und die Achtertreppe hinabtrugen … Wir standen im Schutze einiger Uferbüsche und wollten warten, bis wir selbst wieder an Bord gehen konnten …

Und da war’s, daß Harald plötzlich erklärte[6]:

„Hier … stimmt irgend etwas nicht … Glauben Sie mir, Mr. Snider: die beiden Schufte führen was Besonderes im Schilde. Weshalb waren sie zuerst im Dorfe drüben? Weshalb? Ich sah sie schon, als sie die Jacht verließen und im Bogen nach Osten zu die Baracken vermieden …“

„Hm!!“ brummte der kleine Inspektor, der so glänzend den Doktor Jobbfiel zu spielen wußte. „Hm – in dem Niggerdorfe gibt es doch für Leute vom Schlage der beiden nichts zu holen …! Nicht mal … Whisky!“

Er belachte leise seinen Witz und fragte dann:

„Was vermuten Sie denn, Mr. Harst.“

„Dasselbe wie Schraut vielleicht … Äußere Dich, mein Alter …“

Und ich erklärte: „Möglich, daß Saunder im Dorfe ein paar Schwarze gedungen hat, die uns an den Kragen sollen – ganz heimlich …!“

„Meuchelmörder?!“ meint der Inspektor zweifelnd. „Offengestanden, das will mir nicht so recht in den Sinn! Diese Neger hier könnten doch zu leicht den Belgiern verraten, daß man sie habe bestechen wollen. – Ob Saunder so unvorsichtig sein wird?!“

Harst blieb stumm …

Ich verteidigte jedoch meinen Argwohn, sagte recht zuversichtlich:

„Gold ist auch hier eine unheilvolle Macht, Mr. Snider … Und ein Nigger, der in der Nähe einer Station lebt, ist meist noch verdorbener als seine Stammesgenossen in der Urwaldwildnis.“

Harst … blieb stumm …

„Immerhin: wir werden aufpassen!“ nickte der Inspektor. „Saunder ist der gefährlichste Mensch, mit dem ich es je zu tun gehabt habe. Ich bin überzeugt, daß er seine beiden ersten Frauen genau so wie die dritte absichtlich dem Tode in die Arme geführt hat. Seine erste Gattin verunglückte in den Schweizer Alpen, stürzte ab. Er erbte von ihr acht Millionen, baute die Fabriken aus und heiratete nach drei Jahren die Witwe Gwendolin Dorrow. Und diese seine zweite Frau … verunglückte beim Baden in Biarritz. Sie war mit Saunder weit ins Meer hinausgeschwommen, ging mit einem Male unter. Und die dritte – nun, das wissen Sie ja schon. Jedenfalls hat Frau Dorrows Bruder mich auf Saunders Fährte gesetzt. Wir mußten das sehr schlau anfangen, denn Saunder ist überaus vorsichtig bei der Auswahl seiner Angestellten. Es gibt tatsächlich einen Doktor Jobbfiel, der in Indien war. Und dessen Rolle spiele ich nun mit seinem Einverständnis.“

Tropennacht …

Ringsum das Außergewöhnliche einer tropischen Flußlandschaft mit all ihren Besonderheiten. Und wir drei hier dicht am Ufer hinter einem Busche, Dinge erörternd, die einem das Haar sich sträuben ließen …

Snider fügte hinzu: „Nun soll Frau Edith dasselbe Schicksal zuteil werden … Durch die Glossina Palpalis … Aber Saunders Rechnung ist dieses Mal falsch. Ich habe Frau Edith gestern abermals angeblich eine Arsen-Injektion ihrer Blutarmut wegen gemacht. Das Arsen war Atoxyl, das Gegengift gegen die Schlafkrankheit – als Vorbeugungsmittel …“

„Gott sei Dank!“ sagte Harald erleichtert aufatmend. „Sie nehmen eine schwere Sorge von mir, lieber Snider …“

„Nennen Sie mich nur weiter Doktor … Ich bin’s nämlich, wenn auch nicht Doktor der Medizin, sondern der Chemie. Ich ging aus Neigung zur Detektivpolizei über …“

Der Mond kam jetzt über den Rand der Urwaldkronen hinaus – als breite Sichel …

Milder Glanz schimmerte auf dem Wasser …

Ein Krokodil zog seine Bahn durch die flimmernde Fläche, warf kleine Wellen …

Vom Urwalde her kam das Jaulen eines Leoparden … Dann urplötzlich ein wildes vielstimmiges Kreischen einer aufgestörten Affenherde …

Und von Norden nun, wo dunkle Bergmassen die Wildnis überragten, ein seltsames dröhnendes Trommeln: ein Gorilla, der mit den Fäusten gegen den mächtigen Brustkasten schlug nach Art seiner Sippe …!

Wir kannten dieses Trommeln schon, vom Drabu-Flusse her …

Aber für Snider war es etwas Neues …

Und als ich es ihm erklärte, da erst fiel mir ein, daß wir Harald noch nicht einmal Bill Carsons wenige Worte mitgeteilt hatten, da holte ich dies nach, berichtete kurz den Erfolg des Experiments …

Harald meinte:

„Wahrscheinlich befindet sich Kid Saunder also auf einer Insel, die bei den Negern Gorilla-Insel heißt … Tschikua wird Gorilla bedeuten.“

„Dasselbe nehme auch ich an,“ sagte der Inspektor. „Ich hoffe, wir werden auf diese Weise die Insel entdecken …“

„Das hoffe ich ebenfalls,“ nickte Harst. „Und Saunder, hoffe ich weiter, wird in Ketten wieder englischen Boden betreten. Sein Maß ist voll.“

„Hm – – beweisen Sie ihm etwas, Harst …!! – Nichts können Sie ihm bisher beweisen – gar nichts!“

„Es wird sich noch manches ereignen, Doktor … Warten Sie nur ab. – Ich denke, wir können nun wieder an Bord gehen. Das Fenster der Kabine Saunders wurde soeben dunkel …“ –

Als wir dann auf Deck der Jacht den Detektiv Sandfort fragten, ob Saunder ihm über Carson irgend etwas erklärt habe, erwiderte Sandfort, der Milliardär hätte nur gesagt, daß er es für Christenpflicht halte, Carson nicht so elend in der Baracke sterben zu lassen.

Snider lachte leise und drohend.

„Christenpflicht – – der Lump!!“

Dann begaben wir uns in unsere Kabinen … –

Und als ich bereits unter meinem Moskitonetz im Bett lag, als Harald mir leise gute Nacht zurief, da fügte er noch hinzu:

„Unter den Negern, die den Pfahl nachmittags umstanden, befanden sich drei, die das Haar mit Lehm zu einem Turban zusammengekleistert hatten – drei von einem anderen Stamme. Und mit dem einen sah ich Saunder flüstern, als wir die Faktorei besichtigten. Ich wette: Saunder und der Kapitän haben sich vorhin im Dorfe mit diesem Schwarzen getroffen. Wir werden also sehr vorsichtig sein, lieber Alter … Nochmals – gute Nacht …!“

 

5. Kapitel.

Die Schlangenhaut.

Die nächste meiner Notizen:

13. 11. 23,

vormittags elf Uhr.

Die Jacht hat die Station um neun Uhr verlassen. Wir fahren den Manjemo weiter aufwärts. Saunder hat einen der Schwarzen mit dem Lehmturban als Führer mitgenommen. Der Neger gehört zum Volke der Biruwu, die gleichfalls Menschenfresser sein sollen. – Carson ist morgens acht Uhr verschieden und neben der Station feierlich beerdigt worden. Saunder hielt eine rührende Grabrede.

An diesem dreizehnten November angelte Doktor Jobbfiel wieder den ganzen Tag, und wir beide leisteten ihm Gesellschaft. Saunder war zu uns unverändert. Der Neger Biruwu, übrigens einer der wenigen, die die Schlafkrankheit überstanden haben und nun immun gegen das Gift der Stechfliege sind, spricht leidlich englisch, da er mal an der Küste als Stauer gearbeitet haben will. Harst hatte sich mit ihm längere Zeit in Gegenwart Saunders unterhalten.

Frau Edith blieb unsichtbar. Erst nachmittags sahen wir sie im Salon, wo Harald ihr dann irgend etwas zuflüsterte.

So verging auch dieser Tag. Wir legten an drei Negerdörfern an, und Saunder fragte mit Hilfe des Biruwu, der den Dolmetscher spielte, die Schwarzen gründlich aus – ohne jeden Erfolg.

Es wurde Abend …

Und noch immer saß Doktor Jobbfiel und angelte …

Wir lagen neben ihm in den bequemen Deckstühlen, rauchten …

Bis Harald mit einem Male sehr leise sagte:

„Die Jacht kriecht förmlich, und bei jedem der Dörfer haben wir eine Stunde zugebracht …“

Der Inspektor schaute auf.

„Was argwöhnen Sie, Harst?“

„Daß dieses Schneckentempo der Jacht nur den Zweck hat, den beiden anderen Biruwu, die in der Station weilten, Zeit zu geben, die Dörfer des Stammes am Ufer des Galebo, des rechten Nebenflusses des Manjemo vor uns zu erreichen …“

„Ah – unseretwegen!“

„Freilich …! – Saunder will uns vier verschwinden lassen, auch Sandfort … Er ahnt die Wahrheit. Er hat auch Sie durchschaut, Inspektor … Ich fing heute ein paar Blicke auf, die Ihnen und Sandfort galten … Mörderblicke …“

Snider zuckte die Achseln …

„Mich kriegt er nicht, und Sandfort erst recht nicht …! Im schlimmsten Falle legitimiere ich mich der Besatzung gegenüber. Das sind alles brave Kerle, die den Saufbold Pittercray verachten und Saunder nicht minder.“

„Hm – wenn es uns vieren an den Kragen gehen soll, lieber Inspektor, so wird Saunder das schon so fein einrichten, daß die Geschichte geräuschlos klappt und er außer jedem Mordverdacht bleibt … – Ich hoffe trotzdem, Sie noch rechtzeitig warnen zu können. Ich werde schon noch herausbekommen, wie wir umgebracht werden sollen …!“

Snider riß an der Angelschnur …

Er hatte jetzt wahrhaftig einen Riesenburschen am Haken, eine Art Wels, einen Kerl von anderthalb Meter Länge …

Wir halfen ihm, den Prachtfisch an Deck zu hissen …

Das war nicht ganz einfach … Die geteerte Schnur drohte zu reißen …

Und als der Fisch dann im roten Glanz der untergehenden Sonne auf den Deckplanken lag, als die ganze Besatzung um uns herumstand, als auch Saunder rief: „Donner – welch ein Bursche!“ … da rief einer der Matrosen fast in einem Atem:

„Der Fisch trägt einen Metallring vor der Schwanzflosse …!!“

„Laternen her!“ befahl Harst …

Ein anderer Matrose hatte dem ungebärdigen Wasserbewohner schon durch einen Beilhieb den Rest gegeben …

Und bei Laternenlicht erkannten wir nun, daß der Metallring nichts anderes war als ein verrosteter Faßreifen aus Eisen, den irgend jemand dem offenbar bereits einmal in Gefangenschaft geratenen Fische um den Schwanz genietet hatte …

Der Reifen war jedoch über und über mit Rost bedeckt, und es ließ sich nicht mehr feststellen, ob er etwa eine Inschrift gehabt hatte, was wohl mit Sicherheit anzunehmen war.

Der vom Fischschwanze losgelöste Reifen wanderte von Hand zu Hand, und schließlich trug Saunder ihn dann in seine Kabine hinab, indem er erklärte, er wolle ihn als Andenken aufbewahren.

Die Matrosen zerstreuten sich wieder.

Wir drei waren allein.

Harald säuberte sich die Hände in einem Wasserbottich und flüsterte:

„Der gute Saunder ist um einen Posttag zu spät gekommen … Der Faßreifen ängstigt ihn. Deshalb nahm er ihn mit. Es könnte ja ein Lebenszeichen Kids sein! – Nun, wenn Sie, lieber Doktor, und Sandfort sich so um Mitternacht in aller Stille bei uns in der Kabine einfinden wollen, werde ich Ihnen den Inhalt der kleinen Konservenbüchse zeigen, die mit Draht an dem rostigen Reifen befestigt war und die ich verschwinden ließ – – zum Glück!“

Er lachte leise …

Und Snider meinte atemlos:

„Sollte dieser unglaubliche Zufall uns wirklich eine zweite Kunde über Kids Schicksale in die Hände gespielt haben?!“

„Das ist wohl kaum anzunehmen … Immerhin wird die Büchse Interessantes bergen … – Also gegen zwölf Uhr, Inspektor …“

Dann gingen wir in den Salon, um den Mückenschwärmen zu entfliehen, die jetzt schon in ganzen Wolken über dem abendlichen Flusse schwebten. –

Um halb zehn abends legte die Jacht am rechten Ufer an einer Ansammlung von Treibholz an. Um zehn waren wir mit dem Abendessen fertig, und um elf hatten Saunder und der Kapitän bereits wieder das musikalische Stadium ihrer Trunkenheit erreicht – das heißt, sie gröhlten Gassenhauer …

Eine Stunde später schienen sie in ihren Sesseln eingeschlafen zu sein. Snider und Sandfort konnten also ohne Gefahr uns besuchen, kamen kurz vor zwölf Uhr und wurden so Zeugen, wie Harald nun erst mit der großen Klinge seines Taschenmessers den stark eingefetteten Deckel der Büchse lossprengte …

Wir vier waren gleich gespannt, was wir in dem rostigen Behälter finden würden …

Und – siehe da – in der kleinen Büchse lag … ein Stück Schlangenhaut, eng zusammengerollt …

Bunte Schlangenhaut von einer der bis drei Meter langen Bissaka-Schlangen, die als giftige Wasserreptile den Kongo und dessen Nebenflüsse bewohnen. –

Gerade als Harald nun den Streifen Haut auf dem Tische glatt strich, erklang auf Deck ein halb erstickter Schrei …

Unsere Kabinenfenster waren offen. Die Vorhänge jedoch vorgezogen.

Ganz deutlich hatten wir den Schrei gehört …

Schauten uns an …

Und – verloren kostbare Sekunden …

Denn nun – – flog plötzlich unsere Tür auf …

Und im selben Augenblick war’s, als ob die Hölle ringsum erwachte …

Ein Gebrüll ertönte – so satanisch, daß wir zusammenschraken …

Herein wälzte sich eine Woge heulender schwarzer Teufel.

Im Nu hatten wir jeder vier, fünf Neger am Halse …

Keulenhiebe dröhnten …

Ich knickte zusammen … Verlor das Bewußtsein … schien in einen endlosen Abgrund zu fallen – endlos – finster …

Das letzte, was mein Hirn noch als äußeren Eindruck verarbeitete, war der Klang von Schüssen auf Deck … –

Hiermit will ich den ersten Teil dieses Abenteuers schließen …

 

 

Die Gorillainsel[7]

 

1. Kapitel.

Fünf Tage.

Aufzeichnungen aus meinem Notizbuch stehen mir für diesen zweiten Teil nicht mehr zur Verfügung, denn – mein Notizbuch geriet erst weit später wieder in meine Hände, als wir längst wieder frei waren … längst …! –

Um nun weiter bei dem Bilde zu bleiben, das ich in den letzten Zeilen des ersten Teiles benutzte, – bei dem Bilde von dem unendlichen Abgrund, in den ich stürzte: dieser Abgrund endete – in einem großen Nachen, der von zwölf Schwarzen gerudert wurde, das heißt, in diesem Nachen kam ich wieder zur Besinnung, gefesselt mit Baststricken – auf einem Haufen Moos – neben Harald, Snider und Sandfort …

Ein Negerkahn war’s, hergestellt aus einem Urwaldriesen, hinten mit Matten überdacht. Unter diesem Dache lagen wir zu Füßen eines Schwarzen, der offenbar eine hervorragende Persönlichkeit seines Stammes war, denn er hatte einen belgischen grasgrünen Uniformrock an, dessen Schultern an Stelle von Achselstücken mit mächtigen Bronzescheiden verziert waren.

Als ich ganz allmählich Ordnung in meine Gedanken brachte und mir trotz der wahnsinnigen Schmerzen im Schädel und im Genick die letzten Ereignisse ins Gedächtnis zurückrief, – als mein noch halb verschleierter Blick meine drei Unglücksgefährten streifte, da wußte ich, wem wir diese Gefangennahme zu verdanken hatten: Lionel Saunder! Nur ihm!! Der Überfall auf die Jacht hatte nur uns vieren gegolten – denn die Angreifer waren ja ihren Lehmturbanen nach Biruwu gewesen! Und – Biruwu saßen auch hier im Baumkahn als Ruderer, und der schwarze dicke Kerl im Uniformrock war gleichfalls ein Freund des lehmverkleisterten Kopfschmuckes! –

Ich hatte nach dem ersten flüchtigen Rundblick die Augen schnell wieder geschlossen. Ich hielt es für vorteilhafter, noch den Ohnmächtigen zu spielen. Man konnte nicht wissen, wozu es gut war.

Nach einer Weile, als ich mich schon leidlich erholt hatte, blinzelte ich abermals durch die Lider hindurch und schaute mir den Uniformierten genauer an.

Fraglos war dieser Menschenfresser ein Häuptling, König, dergleichen …

Auf seinem verfleckten Rock trug er stolz die Kongomünze, die die Belgier jenen schwarzen Herrschaften verleihen, mit denen sie auf gutem Fuße stehen möchten …

Außerdem trug der fette Bursche im Ledergurt zwei Revolver nebst Lederfutteralen, und neben ihm lehnten zwei zu Jagdbüchsen umgearbeitete Militärgewehre.

Sein Gesicht zeigte den abstoßendsten Negertyp, den ich je gesehen. Die Unterlippe war irgendwie künstlich verlängert und hing wie eine Zunge herab. Die Vorderzähne waren spitz gefeilt, eine Sitte, die man übrigens auch bei den Kannibalen der Südsee findet.

Dieser schwarze Monarch rauchte …

Man denke: er rauchte Haralds Mirakulum-Zigaretten. Das goldene Etui meines Freundes lag aufgeklappt auf der Bank neben ihm …

Mirakulum …! – Ich roch es sofort, roch aber auch etwas anderes, einen nicht angenehmen würzig-scharfen Duft, der so stark war, daß er mich fast zum Niesen reizte. – Später lernte ich dieses Parfüm noch genauer kennen. Es handelte sich um den Saft einer Pflanze, die in den Biruwu-Bergen häufig wächst und deren Geruch ähnlich wie Nelkenöl alle stechenden Plagegeister verscheucht. –

Nachdem ich so Seiner schwarzen Majestät genügend Aufmerksamkeit gewidmet hatte, wandte ich mich meinen Leidensgefährten mit ebenso vorsichtigem Blinzeln zu …

Ich sah: sie waren noch bewußtlos! – Und das schlimmste: sie waren genau wie ich ohne Schleier und Handschuhe! – Wenn also eine Glossina-Stechfliege uns anfallen wollte oder schon gestochen hatte, dann … waren wir Opfer der Seuche, dann harrte unser ein Schicksal, wie wir es so vielfach in traurigsten Menschenbildern auf der Station vor uns gehabt hatten …!

Dieser entsetzliche Gedanke ließ meinen Herzschlag stocken.

Doch – im selben Augenblick hörte ich auch schon ein pfeifendes Geräusch, und ein kühler Luftzug strich über mein Gesicht hin …

Und sah, daß Seine Majestät jetzt in der Hand eine Art Fliegenklatsche hielt, mit der er nun einen zweiten wütenden Hieb nach einer schrill summenden großen Fliege führte …

Da – – begriff ich: er hielt uns und sich die kleinen Teufelsbestien vom Leibe!

Ein Gefühl der Erleichterung überkam mich …

Und – ein jäher Gedankensprung leitete mich jetzt von der gefährlichen Glossina Palpalis zu … Frau Edith Saunder hin …

Ich erschrak aufs neue …

Die Ärmste war ja nun ohne jeden Schutz auf der Jacht zurückgeblieben …!

Und der Gedanke verscheuchte mir auch den letzten Rest von Mattigkeit …

Leben und Tatendrang erfüllte mich. Diese Biruwu-Menschenfresser sollten schon merken, daß mit uns nicht zu spaßen war. Diesen Niggern würden wir sehr bald entfliehen …

Und – ich stieß ganz sacht den dicht neben mir liegenden Harald mit dem Ellenbogen an …

Ganz sacht …

Erhielt auch sofort Antwort …

Die Freude da …!! Harst war bei Bewußtsein, das war die Hauptsache: wenn nur er durch die Keulenhiebe nicht so schwer verletzt war, daß er untätig bleiben mußte, dann sollten die schwarzen Kannibalen sehr bald merken, mit wem sie hier angebunden hatten …!

Und – er gab nicht nur Antwort …

Er telegraphierte … Langer Ellenbogendruck, kurzer Ellenbogendruck: Morsezeichen …!

Ich gab genau acht …

„Hände … schon … frei …,“ depeschierte er. „Werde die Gewehre an mich bringen …“

Aha – – der Tanz stand also dicht bevor.

Und – da konnte ich nicht anders. Ich mußte den schwarzen Fettkloß höhnisch anblinzeln …

Leider … leider …!

Denn – er merkte es …

Er beugte sich zu mir herab …

Leider …

Zu spät schnellte Harst da empor. Der Eimerschädel des Negers war ihm im Wege …

Und – ebenso schnell hatte da Seine kannibalische Majestät sich nach vorn fallen lassen, hatte Harst bei der Kehle, lag mit seinen zwei Zentnern Gewicht auf ihm und hielt ihm die Arme fest …

Brüllte dazu – wie ein gestochenes Schwein …

„Rindvieh!“ rief Harald mir wütend und keuchend zu …

Ein paar der Ruderer sprangen herbei, fesselten ihm aufs neue die Hände auf den Rücken …

Und ich … ich schämte mich, hätte mich am liebsten selbst ohrfeigen können …

Drückte die Augen fest zu. Wollte nichts mehr sehen und hören …

Bis vor mir jemand in einem fürchterlichen Englisch sagte:

„Makoba schießen, wenn Ihr nicht still liegen …!“

Makoba – – Makoba!!

Das war der Halunke, den Saunder an Bord der Jacht genommen hatte. Das war der Macher des Ganzen …! – Ich erkannte seine Stimme, sein Englisch … Und – riskierte wieder einen Blick … sah Makoba vor uns hocken, in der Hand eine unserer Clementpistolen …!! –

Rindvieh – – Rindvieh!!

Mit Recht Rindvieh! Alles hatte ich verdorben, hatte uns vielleicht für immer ins Unglück gestürzt! Denn – sobald Harald eins der Gewehre in der Hand gehabt hätte, wäre die schwarze Bande ja geliefert gewesen! Ausgekniffen wären die Burschen – ins Wasser gesprungen!

Und nun – – alles verdorben!

Ich … wollte Harald versöhnen …

Stieß ihn wieder an …

Nichts … Er rührte sich nicht, meldete sich nicht … –

Weiter und weiter glitt der große Nachen …

Viele Stunden …

Und vor uns hockte Makoba, der Schurke …

Neben uns rauchte der Fettkloß Mirakulum …!

Stunden – endlose Stunden …

Bis die Sonne sank, bis der Fluß zwischen bergigen Ufern dahinströmte …

Und hier in einem weiten Tale am linken Ufer ein Negerdorf – eine Negerstadt, der Hauptort der Biruwu: Caradibu[8], die Residenz des schwarzen Herrschers Mandagossa!

Und – unser Gefängnis …

Der Beginn unseres … Sklavendaseins, – Sklaven schwarzer Menschenfresser …!

Das war unser Los …

 

2. Kapitel.

Die Steinzacke.

Der große Nachen landete. Einige hundert Neger, Negerinnen und Kinder standen am Ufer. Ein Geheul begrüßte uns, als ob die Hölle ihre sämtlichen Teufel hierher beordert hatte.

Inzwischen waren auch Snider und Sandfort wieder zur Besinnung gekommen. Wir vier hatten großes Glück gehabt, denn ein Hieb mit einer der Ebenholzkeulen der Biruwu knickt für gewöhnlich einen Menschenschädel wie eine Eierschale. Offenbar konnten die Schwarzen also in der Kabine nur mit geringer Kraft zugeschlagen haben und mußten dies auf höheren Befehl getan haben.

Man nahm uns jetzt die Baststricke von den Füßen ab und brachte uns an Land.

Jeder von uns war von einem Dutzend bewaffneter Neger umringt. Ein Dutzend Lanzenspitzen umdrohten mich, und so schwankte ich, doch noch recht schwach und gepeinigt von wütenden Kopfschmerzen, dem ausgedehnten Dorfe zu, dessen Bienenkorbhütten sämtlich aus Steinen hergestellt waren. Als Mörtel benutzen die Biruwu Kuhdung und Lehm, eine Mischung, die steinhart wird und keine Feuchtigkeit anzieht.

Begleitet von der heulenden Rotte, von Trommelschlägern und Antilopenhornbläsern ging’s durch die leidlich sauberen Straßen der Residenz. Zum Teil trugen die Neger bereits brennende Fackeln, da die kurze Abenddämmerung sehr bald von der Nacht abgelöst werden mußte.

Das große Dorf war rings von einer wohl fünf Meter hohen Mauer umgeben, und vor dieser war wieder ein Gürtel von Dornengestrüpp angelegt worden.

Was mir weiter auffiel, war die große Anzahl moderner Gewehre, die die Biruwu besaßen. Wohl jeder zehnte Mann hatte eine Büchse, und Vorderladegewehre waren in unzähligen Exemplaren zu bemerken. Das Biruwu-Volk stellte also in der Tat für die Herren des Kongostaates keinen geringfügigen Gegner dar.

Vor den Hütten waren oft ganze Pyramiden von Menschenschädeln aufgebaut. Bei den Biruwu ist der Leichenhandel seit langem die einfachste Art, sich das vielbegehrte Menschenfleisch zu beschaffen. Stirbt ein minder Begüterter, so verschachern die Verwandten die Leiche an einen Reichen. Dieser widerwärtige Handel ist übrigens auch bei anderen Negervölkern des Kongogebietes Sitte.

Und dann – auch hier überall die traurigen Anzeichen, daß man sich in einer von der Schlafkrankheit verseuchten Gegend befand. Auch hier diese Schreckensbilder der Kranken in allen Stadien, auch hier Tobsüchtige, die wie wilde Tiere an Pfähle gekettet waren. Am allertraurigsten wirkten die kranken Kinder, wahre Skelette mit unförmig aufgetriebenen Bäuchen, in den Augen einen Ausdruck unendlichen Stumpfsinns.

Immerhin – so schlimm waren die Verheerungen der Schlafkrankheit hier doch nicht wie in den Uferdörfern des Manjemo, die wir mit der Jacht während des vergangenen Tages besucht hatten. Vielleicht war ich gegen all dies grauenhafte auch bereits etwas gleichgültig geworden. –

Der Zug bewegte sich mit uns durch das Dorf und nach Norden zu, dann weiter in ein ebenso ausgedehntes Seitental hinein, wo der Reichtum der Biruwu weidete: Rinder, Schafe, Ziegen – zu Tausenden.

Und all diese Herden waren von bewaffneten Schwarzen bewacht, waren jetzt bei Anbruch der Dunkelheit von lodernden Feuern umgeben, denn aus den Schluchten der Biruwu-Berge stiegen nachts die schlimmsten Feinde der Neger herab, Löwe und Leopard, und suchten ein Rind, ein Schaf zu erbeuten, hatten es aber noch weit mehr auf die Schwarzen selbst abgesehen.

Eine Berglehne ging’s nun hinan – bis zu einer kleinen Schlucht mit senkrechten Hängen. Und hier band man uns Baststricke um die Brust, ließ uns in die Finsternis des Abgrundes hinabgleiten – mit gefesselten Händen, wohl zwanzig Meter tief.

Das war unser Kerker hier bei den Biruwu …

Die Basttaue warf man dann auf uns herab, und im Finstern standen wir vier nebeneinander, Opfer der Heimtücke eines Mannes, der in England zu den angesehensten Großindustriellen gehörte und der doch ein Verbrecher war.

Opfer auch meines Leichtsinns, eines unvorsichtigen Blickes!

Viel gutzumachen hatte ich an den Gefährten …! Und in dieser Minute, da wir angesichts eines ungewissen Schicksals hier auf hartem nackten Gestein nebeneinander standen, nahm ich mir vor, meinerseits alles zu tun, was ich irgend vermochte, um unser ernstes Los schleunigst zu ändern. –

Es ist mir nicht möglich, hier Einzelheiten über die fünf Tage unserer Gefangenschaft zu bringen. Ich will nur erwähnen, daß Harald kein Wort mit mir sprach, daß man uns in dem engen Schlund sehr schlecht verpflegte und daß Makoba, der englisch sprechende Biruwu, uns am Morgen an Stricken fünfzehn Gewehre herabließ, die wir mit ganz ungenügenden Werkzeugen wieder in Ordnung bringen sollten. Unsere Handfesseln hatten wir uns gegenseitig abgenommen. – Die Schlucht war etwa dreißig Meter lang und acht Meter breit, ein ungeheurer Schacht mit glatten Wänden, die zum Teil sogar überhingen. An Flucht aus diesem Felsloche war nicht zu denken, zumal Tag und Nacht oben am Rande zehn mit Büchsen bewaffnete Biruwu Wache hielten. –

Vier Tage gingen so für uns hin. Harald blieb mir gegenüber unversöhnlich. Ich war Luft für ihn.

Wir hatten weder Decken noch irgend etwas Weiches als Lager, mußten auf dem kahlen Gestein schlafen und lagen nachts eng aneinander, denn die Nächte waren recht kalt.

Zum Glück trugen auch Detektivinspektor Snider und der jugendliche Sandfort ihr Schicksal mit männlicher Fassung, sogar mit Humor. Besonders Percy Sandfort entpuppte sich als ein stets heiterer, sorgloser Gefährte, der dieses Abenteuer mehr als guten Scherz hinnahm und unseren Oberwärter Makoba häufig durch Zurufe schwer ärgerte.

Daß wir die Aussichten einer Flucht immer wieder erörterten, ist wohl selbstverständlich. Snider brachte dabei die unmöglichsten Vorschläge zur Diskussion. Harald bewies ihm dann stets, daß sie unausführbar waren. Er blieb schweigsam und in sich gekehrt, selbst wenn wir über die arme Frau Edith sprachen.

Anderseits war er es, der die Waffen mit viel Geschick wieder gebrauchsfertig machte. Er hatte Makoba veranlaßt, uns Brennmaterial in die Schlucht hinabzuwerfen, weil wir einzelne Teile der Büchsenschlösser ausglühen müßten. Auf diese Weise konnten wir in der dritten Nacht, die bitter kalt war, uns wenigstens an einem Feuer wärmen. –

Für den, der diese meine Erinnerungen, vielleicht behaglich in der Sofaecke sitzend, gierig überfliegt, mag diese Gefangenschaft nicht gar zu schlimm erscheinen. Ich möchte deshalb hier noch auf eins besonders aufmerksam machen: auf unsere geheime unbeständige Angst, daß eines Tages einer von uns von den Biruwu – – als wohlschmeckender Braten auserwählt werden könnte!

Und diese Angst beunruhigte uns fortdauernd. Keiner von uns verriet sie, und doch sah ich es selbst Harald an, daß er mit einem solch tragischen Ende rechnete. –

Vier Tage schlichen so hin … Der fünfte brach an. Wir hatten inzwischen schon zweiundzwanzig Büchsen repariert und waren durch etwas bessere Kost belohnt worden. Meine Annäherungsversuche wies Harald nach wie vor mit eisigem Schweigen zurück. Ich litt sehr darunter, und mein ganzes Sinnen und Trachten ging dahin, doch irgend eine Möglichkeit zur Flucht herauszufinden. Wenn ich mit einem rauhen Stein einen Ersatzteil für ein Büchsenschloß nach Harsts Anweisungen zurechtfeilte, waren meine Gedanken stets bei demselben Gegenstand: Flucht – – Flucht.

Am Mittag des fünften Tages, als wir den eklen, mit Hammeltalg gekochten Hirsebrei mit den Fingern aus schmieriger Tonschüssel auslöffelten, glitten meine Blicke zum so und so vielten Male über die steilen Wände unseres Kerkers hin …

Und blieben plötzlich an einer Stelle haften …

Bohrten sich förmlich ein in die Spalte, aus der unten etwas wie eine Steinzacke herausragte – vielleicht fünf Meter über dem Boden …

Und gleichzeitig ein prüfender Gedanke, eine Frage: war denn diese Steinzacke schon gestern da? Sollte ich sie wirklich übersehen haben?!

Und ebenso gleichzeitig ein kühner Plan – wie ein Blitz aufleuchtend im grübelnden Hirn … –

Wenn nur die Nacht erst da wäre …

Die schwarze Nacht vor Mondesaufgang … – –

Die Nacht war da …

Dunkles Gewölk umflorte den Himmel. Kein Stern zu sehen.

Elf Uhr mochte es sein. Die Gefährten schliefen. Das Feuer neben uns war erloschen.

Aber oben am Rande der Schlucht loderten an vier Stellen Holzstöße, an denen Gestalten hockten …

Qualm und Funken schossen in die Luft, vom Winde gejagt. Zuckender Schein fiel mitunter bis zum Grunde der Schlucht.

Ich kroch davon. Lautlos, dicht an die Felswand geschmiegt, zwischen Steintrümmern hindurch – der Nordseite zu. Unter dem Rocke trug ich eins der Basttaue.

Unter der Zacke, die etwa ein Meter aus der keilförmigen Spalte herausragte, machte ich halt.

Eine Schlinge knotete ich in das Tau – wie eine Lassoschlinge.

Und – – begann nach der Felszacke zu zielen, zu werfen, wollte die Schlinge über den Steindorn gleiten lassen, dann emporklettern und zusehen, ob die Spalte nicht groß genug, einen Menschen aufzunehmen. Hinter der Spalte konnte ein Hohlraum liegen, eine Höhle. Wir waren hier ja im Gebirge. Weshalb sollte es hier nicht Höhlen geben?! Und – die Steinzacke war ja bestimmt gestern noch nicht vorhanden gewesen – bestimmt nicht! Irgend jemand mußte dieses Felsstück dort angebracht haben, und dieser Jemand konnte nur durch eine Höhle bis an die kleine Spalte gelangt sein …! –

Ich schleuderte das Tau – wohl einige Dutzend Male … Ohne Erfolg … Ich bin kein Cowboy, kein Lassowerfer. Und es war finster, so finster, daß ich nur ungefähr die Richtung meines Zieles kannte.

Ich wurde müde und mutlos. Der rechte Arm tat mir weh, erlahmte …

Ich stand da mit hängendem Kopf, ruhte aus …

Plötzlich – eine Hand auf meiner Schulter …

Ich fahre herum …

Harald …!!

Er sagt freundlich: „Ich werde es versuchen, mein Alter … Es genügt, daß Du Snider und Sandfort gegenüber als unser Retter giltst. Sie wissen, daß Du uns so böse hineingelegt hast, und sie schweigen nur aus Zartgefühl. Ich spielte den Gekränkten, damit Du so etwas aus Deiner Bequemlichkeit wachgerüttelt wirst …“

Und seine Hand griff nach der meinen.

Der Händedruck wischte alles weg.

Dann nahm er den Lasso …

Und beim dritten Wurf war die Schlinge über die Zacke geglitten, hielt, ließ sich zuziehen …

„Ich werde nach oben klettern,“ flüsterte Harald …

„Nein – bitte, laß mir den Vortritt …“

„Gut … – Und wenn Du so James Crooc als erster begrüßt, sage ihm nur gleich, daß seine Schlangenhaut in gute Hände geraten ist …“

Ich – – war sprachlos …

Crooc – James Crooc?! – Das war ja der Detektiv, den Frau Edith hier nach dem Kongo geschickt hatte und der spurlos verschwunden war …

Und – – die Schlangenhaut aus der Blechbüchse, – – Croocs Werk?!

„Ja, an die Schlangenhaut habt ihr gar nicht mehr[9] gedacht, ihr drei …,“ meinte Harald gutgelaunt. „Als die Schwarzen uns in der Kabine überfielen, schob ich sie rasch noch in den Ärmel, habe sie nun längst genau besichtigt. Crooc hat sie dem Riesenfisch an den Schwanz genietet und mit Pflanzensaft folgendes auf die Haut geschrieben:

Bin seit einem Jahr Gefangener der Biruwu-Neger am Galebo-Fluß und in einer Höhle am Flußufer westlich des Dorfes eingesperrt, wo ich für die Schwarzen Pulver herstellen und ihre Gewehrpatronen frisch laden muß. – James Crooc, Privatdetektiv, London, Zübbarstreet 18. –

Natürlich hat Crooc nachts das Felsenstück aus der Spalte herausgeschoben,“ fügte Harald hinzu. „Mehr hat er nicht gewagt. Es muß hinter der Spalte eine Höhle geben, und …“

Wir beide prallten zur Seite …

Am Basttau war blitzschnell ein Mensch herabgeglitten – ein endlos langer Europäer …: James Crooc!!

„Schnell – schnell!!“ flüsterte er … „Eine Gelegenheit wie diese bietet sich nie wieder … – Holen Sie Ihre beiden Gefährten …“

Harst glitt schon davon …

„Wer sind Sie eigentlich, meine Herren?“ fragte Crooc ebenso hastig. „Und wie sind denn Sie in diese Lage geraten? – Ich hätte niemals geahnt, daß die Biruwu abermals ein paar Europäer aufgegriffen haben, wenn nicht Ihr lärmender Empfang vor fünf Tagen mich stutzig gemacht und mich veranlaßt hätte, eins der Negermädchen auszuforschen, für die ich gelegentlich Schmucksachen aus Kupfer arbeite …“

Ich nannte die Namen der beiden Engländer und die unsrigen.

Crooc packte meinen Arm. „Herr Gott –Harst und Schraut …!! – Bin ich denn blind gewesen? Ich kenne Sie doch … Und trotzdem …“

„Die Stoppelbärte machen’s,“ lachte ich leise. „Nur die Stoppelbärte, Mr. Crooc …“

Dann kamen schon Snider, Sandfort und Harald herbeigehuscht. Harst trug fünf Büchsen im Arm, die wir heute repariert hatten.

Ohne viele Worte einigten wir uns dann. Crooc kletterte als erster empor, ihm folgten Sandfort, Snider und ich. Harst kam als letzter.

Die Spalte war so eng, daß ich bei meiner Leibesfülle nur mit genauer Not hindurchkam.

Die Höhle dahinter war ein System von Grotten in mehreren Stockwerken. Crooc hatte fünf Harzfackeln mitgebracht und spielte nun den Führer. Etwa zwanzig Minuten brauchten wir, um bis zu seinem Kerker zu gelangen, einer kleinen Höhle dicht am Fluß, von der die Biruwu annahmen, daß sie keinen zweiten Ausgang hätte. Und doch war ein solcher vorhanden, freilich dicht unter der Decke und wieder so eng und schmal, daß ich mich förmlich hindurchquetschen mußte.

Der eigentliche Ausgang dieses Gefängnisses war von den Biruwu bis auf zwei schmale Lichtlöcher und eine Türöffnung vermauert worden. Die Tür bestand aus Balken und vor ihr gab es noch zu allem Überfluß einen Dornenwall.

Crooc erzählte uns dies ganz kurz, zeigte auf die Balkentür und erklärte dann:

„Ich werde ständig von drei Schwarzen bewacht. Die Wächter heute sind Schlafkranke im vorgeschrittenen Stadium. Sie werden der Schlafsucht nicht widerstehen können und wahrscheinlich jetzt schon wie die Bewußtlosen daliegen. Die Türriegel habe ich schon früher derart bearbeitet, daß ich sie von innen wegschieben kann, und die Dornenbüsche vor der Tür lassen sich leicht wegräumen.“

„Sehr gut, Mr. Crooc,“ nickte Harald. „Eine Frage: haben Sie Gewehrpatronen hier? Sie sind doch der Munitionsarbeiter der Biruwu … Wir haben Ihre Schlangenhaut gefunden – dank Sniders Angelleidenschaft …“

Der lange Crooc war geradezu erschüttert …

„Herr im Himmel – welch ein Zufall, meine Herren …! Man lernt als alter Kerl wahrhaftig noch an eine Macht der Vorsehung glauben! – Gewiß sind Patronen da – in Mengen. Sehen wir nach, ob sie auch für die Büchsen passen …“

Sie paßten zum Teil. Jeder von uns erhielt vierzig Stück. Wir waren nicht mehr wehrlos. Wir schauten uns an – mit strahlenden Augen! Und dann – hinaus ins Freie …

Die armen schwarzen Todeskandidaten schliefen wirklich …

Crooc eilte in eine nahe leere Hütte uns voraus. Eine Überraschung brauchten wir hier nicht zu fürchten. Das Dorf lag zehn Minuten entfernt, und nachts wagte sich unnötig kein Biruwu ins Freie.

In der Hütte sagte Crooc, er wolle jetzt schnell noch Marassar-Kräuter sammeln, damit wir uns mit dem Saft Hände, Hals und Gesicht zum Schutz gegen die Glossina-Fliegen einreiben könnten.

So lernte ich denn nun den scharfen Duft des Marassar-Krautes, das mir schon an Seiner schwarzen Majestät aufgefallen war, persönlich kennen. Wir – – stanken in der Tat zehn Meilen gegen den Wind, was uns jedoch nicht weiter belästigte, wenn wir auch zuerst reichlich niesen mußten.

Zu unserem nicht eben angenehmen Erstaunen erklärte Harald dann, daß er ohne seine Sachen, ohne sein Zigarettenetui, seine Uhr, seine Pistole und den sonstigen Inhalt seiner Taschen nicht fliehen würde …

„Ich nehme an, daß König Mandagossa auch Schrauts und Ihr Eigentum in seinem … „Palaste“ hat …,“ fügte er hinzu. „Ich werde die Sachen holen, und Sie können mir die Geschichte etwas erleichtern, meine Herren …“

Crooc warnte vor solcher Tollkühnheit …

„Mr. Harst, die Biruwu zählen gut tausend Krieger, und die meisten sind leidliche Schützen. Bedenken Sie, wie schwer es uns werden wird, der Bande zu entrinnen, wenn wir sie erst auf den Fersen haben.“

„Das sehe ich durchaus ein, Mr. Crooc,“ erwiderte Harald liebenswürdig. „Ich möchte jedoch auch mit König Mandagossa gern ein Wörtchen unter vier Augen reden. Sie wissen noch nicht, Mr. Crooc, daß wir vier auf Lionel Saunders Jacht den Manjemo aufwärtsgefahren sind und daß Mr. Snider hier Detektivinspektor und auch hinter Saunder her ist …“

Wir standen in rabenschwarzer Finsternis in der Hütte. Wir konnten Croocs Gesicht nicht sehen. Aber wir hörten, daß er mit den Zähnen knirschte, daß ein Zischen über seine Lippen kam, dann ein Name:

„Ah – – Saunder, Lionel Saunder! Dem Schurken verdanke ich ja meine Gefangenschaft – dessen Gold, dessen Helfershelfern!“

„Nun also, Mr. Crooc …! Und ich wieder will aufklären, wie all das zusammenhängt, will aus König Mandagossas Munde hören, ob nicht auch Kid Saunder von den Biruwu beseitigt worden ist. – Gibt es irgend einen Zugang ins Dorf, der nicht nachts bewacht wird?“

„Ja, Mr. Harst, – ein paar Schlupflöcher durch den Dornenwall und die Mauer, die nur den Kriegern bekannt und sehr gut verdeckt sind.“

„Warten Sie hier … Schraut mag mitkommen …“

Ganz schlicht sagte er’s. Kein Befehl. Und doch einer, denn – Harst sagte es, und dem widersprach niemand.

Wir gingen …

 

3. Kapitel.

König Mandagossa.

Im allgemeinen haben wir selten Abenteuer erlebt, deren Einzelheiten so etwas an Karl Mays Indianerromantik erinnerten.

Dieses Kapitel erinnert daran, und deshalb will ich mich auch möglichst kurz fassen, denn es gehört nicht recht in eine Detektiverzählung hinein.

Wir beide schlichen zu Croocs naher Höhle zurück und trugen einen der schlafenden Wächter so rasch nach der Hütte, daß der Ärmste erst richtig zur Besinnung kam, als er bereits gefesselt war.

Crooc machte jetzt den Dolmetscher. Er hatte während seiner Gefangenschaft einiges vom Biruwu-Dialekt gelernt, und sehr bald war denn auch dem Schwarzen klar, daß ihm der Tod drohte, falls er uns nicht verriete, wo eines der Schlupflöcher durch Dornenwall und Mauer zu suchen sei.

Der Mann beschrieb uns recht genau eine Stelle, die wir unmöglich verfehlen konnten, und Crooc wieder gab uns noch wertvollere Winke, wie wir am leichtesten in die von hohen Zäunen umfriedeten Höfe des Palastes Mandagossas[10] eindringen könnten.

So verschwanden wir beide denn wieder in Richtung des Dorfes. Inzwischen hatte ein leichter Regen eingesetzt, der uns nur willkommen war. – Wir fanden den Durchschlupf, nachdem wir uns vorher die Umgebung noch für alle Fälle recht sorgfältig angesehen hatten. Ebenso hatten wir einen Treffpunkt verabredet, falls wir uns trennen mußten oder sonstwie auseinander kämen.

Harald kroch voran. Das in den Dornenwall geschnittene Loch war vielleicht ein Meter hoch und ebenso bereit. Was uns sehr behinderte, war der Mangel jeglichen Beleuchtungsmittels. Wir mußten uns ganz auf unsere Augen und auf unseren Tastsinn verlassen.

Auch durch die Mauer gelangten wir ohne Schwierigkeit, obwohl das Mauerloch durch Balken verrammelt war, die wir erst wegräumen mußten.

Hätten die Biruwu sich Hunde gehalten, so wäre unser Unternehmen von vornherein unmöglich gewesen. Der Hund ist jedoch in ganz Afrika recht selten.

Die Gassen des Dorfes waren still und leer. Hin und wieder hörten wir wohl Stimmen aus den Steinhütten, auch mal das Krähen eines Hahns, der sich in der Zeit[11] geirrt hatte. Aber keine Menschenseele begegnete uns, und unangefochten erreichten wir den geflochtenen Zaun, der die Baulichkeiten des sogenannten Palastes umgab.

Wir kletterten hinüber. – Ohne Croocs Beschreibung würden wir uns hier in den vielen Höfen, Hütten und Vorratshäusern nie zurechtgefunden haben. Für einen Negerfürsten war dieser Palast wirklich recht imposant.

Zwei Zwischenfälle ereigneten sich hier. Zweimal hätte man uns beinahe bemerkt, obwohl wir so vorsichtig waren, uns nur auf allen Vieren vorwärts zu bewegen.

Die eigentliche Wohnhütte des fetten Mandagossa war ein Riesenbau von gut fünfzig Meter Länge, ebenfalls aus Stein, außen aber durch Flußmuscheln verziert, die man in den Mörtel eingedrückt hatte.

Wir betraten die Hütte durch den Haupteingang, der nur durch eine Matte verschlossen war. Zu unserer Freude zeigte sich der Längsgang des Gebäudes durch sechs Öllampen erleuchtet. Wir sahen eine Menge Mattentüren und mußten nun das Schlafgemach Seiner Majestät durch eigenes Geschick uns heraussuchen.

Hier in dem Längsgange war die Gefahr des Entdecktwerdens für uns am größten. Crooc hatte uns darauf aufmerksam gemacht, daß der Harem Mandagossas dreißig Weiber umfaßte, die alle dasselbe Gebäude bewohnten.

Harald ließ sich jetzt einzig und allein durch das Gehör leiten. Mit verblüffender Sicherheit führte er mich zu einer Mattentür, hinter der anscheinend ein an der Schnarchkrankheit leidendes Riesennashorn erstklassige Schnarchübungen abhielt.

Ich mußte unwillkürlich lächeln, als ich diese Töne vernahm, die fraglos nur der verfetteten Kehle Seiner Majestät entströmen konnten …

Und dabei war mir wahrhaftig gar nicht behaglich zu Mute!

Harst hob die Matte …

Wir schauten hinein … Drei Öllampen spendeten Licht. Auf einem Lager von Fellen lag Mandagossa, und neben ihm … eine große, vierkantige Whiskyflasche, – genau so eine, wie sie zu den Vorräten der Jacht Manchester gehörte, mit hellgrünem Papierschild, darauf das Bild eines Matrosen …

Zum Glück war Mandagossa im übrigen allein …

Wir krochen näher … Die Luft hier benahm uns den Atem. Selbst in Palästen schwarzer Könige riecht es nie nach Rosen. Im Gegenteil.

Harald begann dann nach dem zu suchen, was wir holen wollten …

Fand nichts …

Wir krochen wieder hinaus – und in den leeren weit größeren Nebenraum hinein. Und hier waren wir an der richtigen Stelle: es war dies offenbar Mandagossas Audienzzimmer, Wohngemach, Speisesaal und … eine Stätte lieblicher Erinnerungen an delikate Mahlzeiten, denn in jeder Ecke waren mannshohe Pyramiden sauber präparierter Totenschädel aufgeschichtet!

Wieder suchte Harald …

Da gab es eine ganze Menge Holzkisten, die den mannigfachsten Inhalt hatten. Zwei der Lampen aus dem Längsgang leuchteten uns.

Ich stand an der Tür Posten – mit schußfertigem Gewehr …

Ich beobachtete, wie mein Freund in Eile eine Menge Gegenstände in eine Decke packte und die Decke nachher als Rucksack auf den Rücken band.

Dann reichte er mir dreierlei: meine Uhr nebst Kette, meine Taschenlampe und meine noch geladene Clementpistole!

Das genügte …! Und die Pistole war die Hauptsache.

Wir kehrten nun zu dem schnarchenden Nashorn zurück. Harald gab mir noch genaue Verhaltungsmaßregeln …

Und – was dann folgte, bringt auch nur ein Harald Harst fertig – nur er!!

Jedenfalls: Seine Majestät kam gar nicht dazu, um Hilfe zu rufen, war schon gebunden und geknebelt, bevor er sich aus seinem Whiskydusel auch nur etwas aufgerappelt hatte.

Harst hielt ihm die Pistole ins Genick, schob ihn vorwärts – durch den Gang – ins Freie …

Und weiter bis zum Zaune, bis zu einer der verriegelten Zaunpforten …

Weiter im Trab bis zur Mauer …

Als wir dann, abermals ohne jeden Zwischenfall, mit dem keuchenden, taumelnden König der Biruwu bei der einsamen Hütte anlangten, wo die drei Engländer uns erwarteten, – als diese nun im grellen Lichtschein unserer Taschenlampen Mandagossa erkannten, da … brach der Kollege James Crooc in ein höchst unehrerbietiges Gelächter aus, und der heitere junge Sandfort klatschte Seine Majestät mit der flachen Hand auf den nackten Speckbauch, – und Inspektor Reginald Snider sagte feixend:

„Oh – das haben Sie gut gemacht!“

Seiner Majestät Leiden und Demütigungen waren jedoch noch lange nicht zu Ende. Nein – er mußte nochmals traben, – zum Flusse hinab, wo wir uns einen mittelgroßen Nachen aussuchten und sofort dann vom Land abstießen.

Mandagossa saß hinten am Steuer – wie ein Häufchen Unglück …

Jetzt rauchte er keine fremden Mirakulum … Jetzt rauchte Harald eine Mirakulum, die letzte aus seinem goldenen Etui, das nun wieder sein eigen war. –

Snider steuerte. Wir anderen ruderten. Wir fuhren mit der starken Strömung flußabwärts. Einige Male rannten wir uns fest, kamen aber wieder frei. Die dunklen Ufer flogen nur so an uns vorüber.

Dann öffnete sich vor uns eine sehr große, seeartige Ausbuchtung des Stromes, und hier bogen wir nach Westen ab, landeten schließlich auf einer der zahlreichen Inselchen, deren dunkle Felsmassen nur wenig Baumwuchs besaßen.

Dieses Eiland bot uns ein überaus günstiges vorläufiges Versteck. Es vertiefte sich nach der Mitte schüsselartig, und einzelne Büsche gaben dem kleinen Tale auch ein freundlicheres Ansehen.

Bald flackerten drei mächtige Feuer empor, deren Qualm uns das fliegende Getier vom Leibe hielt.

Und dann – packte Harald seinen Rucksack aus, gab jedem, was ihm geraubt war …

Und …

 

4. Kapitel.

Das Krokodil.

… und hielt mit einem Male Seiner schwarzen Majestät … eine silberne Uhr mit Sprungdeckel unter die Nase …

Wieder spielte Crooc den Dolmetscher …

Folgendes Verhör begann …

„Wie kommst Du zu dieser Uhr, die innen eingraviert den Namen Bill Carson trägt?“ fragte Harst durch Crooc den Negerkönig.

Mandagossa, noch mehr ein Häufchen Unglück als bisher, stellte sich dumm, erklärte schließlich, einer seiner Krieger habe ihm die Uhr geschenkt …

Harald lachte hart …

„Du lügst!“ Und er nahm seine Clement und zielte auf Mandagossas dicht behaarte Brust …

Die Drohung half jedoch nichts. Seine Majestät saß stumpfsinnig da und blinzelte Harald verschlafen an. Er schien genau zu wissen, daß wir keine Mörder waren.

Harst zuckte die Achseln und sagte zu uns:

„Wenn nicht so, dann anders …! Er muß reden. Ich wette, daß Lionel Saunder diesen schwarzen Halunken hat bestechen lassen, damit dieser Kid und seine beiden Begleiter umbrächte. Saunder wollte Edith heiraten, und da war sein Bruder ihm im Wege.“

James Crooc, der Hagere, nickte …

„Es wird schon so sein. Meine Erlebnisse beweisen das. Ich kam bis zur Station Karibur am Manjemo und zog Erkundigungen nach Kid bei den Belgiern ein. Auf der Station lungerten ein paar Biruwu herum, die sich mir dann als Führer und Ruderer anboten. Einer der Kerle sprach leidlich englisch …“

„Ah – Makoba, nicht wahr?“

„Ja – Makoba! – Ich ahnte nichts Böses, nahm die sechs Schufte in meinen Dienst und wurde von ihnen dann eines Nachts überwältigt, nachdem ich am Abend bei Makoba einen Revolver bemerkt hatte, der im holzbeschlagenen Kolben den Namen Carson zeigte. – Ich kann nur vermuten, daß ein paar Biruwu sich ständig auf der Station als Spione aufhalten.“

Harald dachte eine Weile nach …

Dann mußte Crooc Mandagossa fragen, ob er den Kapitän John Pittercray persönlich kenne.

Mandagossa verneinte natürlich.

Und zu uns sagte Harald nun: „Pittercray ist nämlich vor einem Jahr etwa mehrere Monate beurlaubt gewesen, angeblich zum Besuch von Verwandten nach Amerika. Frau Edith erwähnte dies einmal. Wahrscheinlich hat Lionel Saunder seinen Intimus hier nach dem Kongo geschickt, damit der Kapitän Kid und die anderen beseitigen ließe. – Crooc, fragen Sie den Nigger doch nochmals und drohen Sie ihm, daß wir ihn ins Wasser werfen, wenn …“

Da – – verstummte Harst …

Fuhr hoch …

Wir anderen auch … Nur Mandagossa blieb sitzen, weil seine Fettmassen und seine auf dem Rücken gefesselten Hände ihn hinderten …

Ein fremder Gast hatte sich, angelockt durch den Feuerschein, hier eingefunden …

Kam langsam herangewatschelt, verpestete die Luft mit seinem intensiven Moschusgeruch:

ein Krokodil!

– ein riesiges Vieh, sicher ein Bursche, der seine hundert Jahre zählte, was für Krokodile noch nicht einmal viel ist …

Jetzt hatte auch Seine fette Majestät das Ungeheuer bemerkt …

Glotzte geradeaus …

Und begann zu kreischen – zu brüllen, rollte sich zur Seite, rollte vor Angst gerade in ein Feuer hinein …

Harst riß ihn empor … konnte jedoch nicht hindern, daß Mandagossas Kehrseite bereits einige Brandwunden erhalten hatte … –

Das Krokodil ließ sich durch des Negers Geheul nicht stören, watschelte noch schneller vorwärts …

Schilfhalme hingen in den Zacken des Panzers der Rieseneidechse. Die kleinen Augen funkelten tückisch …

Und – mit einem Male hatte Harst da die dicke große Wolldecke aufgerafft, in der er unsere Sachen bis hierher auf dem Rücken getragen …

Hatte die Decke ebenso blitzschnell dem Krokodil über den Kopf geworfen und dann Seine Majestät beim Genick genommen.

Während die Panzereidechse sich noch abmühte, die Decke wieder loszuwerden, rief Harst dem Kollegen Crooc zu:

„Drohen Sie Mandagossa, daß wir ihn dem Krokodil als Beute überlassen, wenn er nicht eingesteht, ob er Pittercray kennt.“

Und – siehe da! –, was die Clement nicht erreicht hatte, das bewirkte das Krokodil: Seiner Majestät Gedächtnis besserte sich, und er kreischte ein mehrfaches Ja …

Auch hinsichtlich Carsons Uhr gab er nun der Wahrheit die Ehre: Carson war monatelang der Gefangene der Biruwu gewesen und ihnen dann entflohen! –

Das Krokodil hatte jetzt den Kopf wieder frei. Harst ergriff einen brennenden Ast und hielt ihn der Bestie dicht vor die Nase. Auf diesen warmen Wink hin machte das gut drei Meter lange Ungetüm kehrt und watschelte wieder gemütlich von dannen. Wir hörten genau, wie es sich von einer steilen Uferstelle ins Wasser warf. –

Mandagossas Gedächtnis blieb jetzt vorzüglich. Man muß bedenken, daß die Neger vor Krokodilen fast noch mehr Angst haben als vor Löwen und Leoparden, zumal alle an Flußläufen lebenden Negervölker in den Wasserbewohnern eine Art überirdische Wesen verehren, so zum Beispiel die hellgrüne Kissa-Wasserschlange, die bei ihrem Götzendienst eine große Rolle spielt.

So erfuhren wir denn auch endlich die volle Wahrheit.

Lionel Saunder hatte tatsächlich den Kapitän John Pittercray nach dem Manjemo geschickt, und Pittercray hatte mit einem mit Tauschartikeln gefüllten Boot sich bis nach Caradibu, der Hauptstadt der Biruwu, vorgewagt, war jedoch nachts an der belgischen Station vorübergefahren, um nicht bemerkt zu werden.

Die außerordentlich reichhaltige Last des Kutters hatte denn auch Mandagossa dazu bestimmt, Pittercray zu versprechen, die drei Weißen, die, wie er sehr wohl wußte, noch weiter aufwärts am Manjemo auf einer Insel hausten, dort zu überfallen. – Die Insel hieß bei den umwohnenden Negern allgemein Tschikua-Insel, weil es dort früher sehr viel Gorillas gegeben hatte. Mandagossa schickte denn auch hundert seiner Krieger unter Führung Makobas in zwanzig Kähnen dorthin. Der Angriff auf die drei Holzhütten der neuen Faktorei mißglückte jedoch insofern, als es Kid Saunder und einem seiner Gefährten gelang, in den Urwald der Insel zu entfliehen. Die Biruwu nahmen nur Carson gefangen und machten alle schwarzen Diener der Faktorei, die einem anderen Volke angehörten, nieder. Über Kids und des zweiten Weißen weitere Schicksale wußte der Neger nichts. Und offenbar entsprach dies auch der Wahrheit. –

Nachdem so zunächst dieser Teil der Schandtaten Lionel Saunders geklärt war, fragte Crooc Mandagossa, ob Kapitän Pittercray ihm nicht auch für später allerlei Verhaltungsmaßregeln gegeben habe. – Der Fettkloß bejahte: Pittercray hatte gewünscht, daß Mandagossa die Station Karibur dauernd überwache und jeden verschwinden lasse, der dort nach Kid Saunder Erkundigungen einziehe. –

Trotz dieses Geständnisses waren wir – mit Recht! – sehr enttäuscht, zumal Mandagossa versicherte, daß keiner seiner Leute je wieder die Faktorei besucht habe, nachdem seine Krieger tagelang auf die beiden Flüchtlinge Jagd gemacht hatten.

Er beschrieb uns dann die Lage der Insel ganz genau und versprach uns, er würde fernerhin nichts gegen uns unternehmen, wenn wir ihn jetzt freigeben wollten. –

Alles in allem war dieser Mandagossa für einen Negerkönig kein schlechter Kerl. Er hatte ja sowohl James Crooc als auch uns keineswegs unmenschlich behandelt. Sein Verführer war … ein Europäer gewesen, ein Verbrecher, neben dem dieser Nigger als Unschuldsengel erschien: Lionel Saunder!

Deshalb waren denn auch Snider, Crooc und Sandfort durchaus nicht abgeneigt, Mandagossa einfach laufen zu lassen.

Noch in derselben Nacht schafften wir also den Neger nach einer Insel im Stromlauf des Galebo, wo seine Krieger ihn sehr bald finden mußten. Als wir uns von ihm trennten, versicherte er nochmals hoch und heilig, daß wir fortan seine Freunde seien und daß wir auf seine Hilfe und Unterstützung jeder Zeit rechnen könnten.

Man merkte ihm an: er meinte es ehrlich!

Und als unser Nachen dann wieder in die Dunkelheit hinausschoß, rief er als letzten Gruß uns nach:

„Fahrt glücklich, Banas (Herren) …! Fahrt glücklich …!“

Morgens erreichten wir die Einmündung des Galebo in den Manjemo. Nun hieß es vorsichtig sein, denn wir wußten nicht, ob die Jacht umgekehrt oder noch weiter den Manjemo aufwärts gedampft war.

Wir wollten ihr nicht begegnen. Die Abrechnung mit Lionel Saunder sollte später erfolgen. Snider betonte auch, daß Frau Edith durch die Injektionen vor der Schlafkrankheit genügend geschützt sei. –

Harte Arbeit gab es jetzt. Wir mußten ja gegen die Strömung anrudern, und diese wurde immer stärker, je mehr die Landschaft ringsum gebirgigen Charakter annahm.

Der Tag ging vorüber, – und von der Jacht hatten wir nirgends etwas bemerkt.

An vier Dörfern waren wir vorübergekommen, hatten uns jedoch schon vorher rings um den Nachen eine Schutzwand von Zweigen hergestellt, die uns genügend deckte. Wir wollten nicht als Weiße erkannt werden.

Der Manjemo war hier stellenweise noch recht breit. Aber die Luft war gesünder, die Ufer nicht mehr sumpfig, und die Vogelwelt weniger scheu als in den südlicheren Gebieten. Harst schoß sechs Wildtauben, und Crooc holte mit einem in der Eile zurechtgezimmerten Fischspeer einen meterlangen Wels aus dem Wasser heraus.

So gab es denn als Hauptmahlzeit Geflügel und Fisch – am offenen Feuer vorn im Nachen gebraten, wo sich eine mit Lehm und Steinen ausgelegte Feuerstelle befand.

Den Angaben Mandagossas nach mußten wir nun der in einer meilengroßen Flußbucht gelegenen Gorilla-Insel ganz nahe sein. Eifriger noch als bisher handhabten wir die Ruder. Die Sonne versank gerade hinter den Bergen, als links von uns, nur durch eine schmale Einfahrt mit dem Flusse verbunden, sich jene Bucht nun endlich in all ihrer Mannigfaltigkeit der vielen Inseln und der verschiedenartigen Uferpartien öffnete.

Der Nachen schoß in die Einfahrt hinein. Wir waren am Ziel …

Schon mit dem bloßen Auge erkannten wir in weiter Ferne eine besonders umfangreiche Insel und an deren uns zugekehrtem Ufer auf dem grünen Hintergrunde hochstämmiger Urwaldriesen drei helle kleine Hütten …

„Hallo – –!!“ rief da Percy Sandfort plötzlich. „Hallo – das ist ja keine Gorilla-Insel, sondern eine Toteninsel …! Beim Admiral Nelson!! Da sitzen vor der einen Hütte drei … Gerippe!! Auf meine Augen ist Verlaß!!“

Wir hörten zu rudern auf …

Erhoben uns im Nachen …

Starrten hinüber …

Und – blieben stumm …

Sahen, daß Sandfort recht hatte, daß dort tatsächlich drei gelbweiße Knochenmänner an einem Brettertisch vor der größten Hütte saßen …

Bis Harst aufmunternd meinte:

„Vorwärts – wir müssen der Sache nun völlig auf den Grund gehen! Schraut und ich werden uns vorn ins Boot stellen und die Büchsen bereithalten …! Los denn – heran an die Toteninsel!!“

 

5. Kapitel.

Und doch – – Gorilla-Insel!!

Unsere drei Gefährten legten sich mächtig ins Zeug. Der Nachen glitt näher und näher. Hier, wo keine Strömung die treibende Kraft der Ruder schwächte, bewies der Negerkahn, daß er tadellos gebaut war.

Harst und ich standen vorn, die entsicherten Gewehre in der Hand …

Diese einsame, verlassene kleine Faktorei dort machte jetzt, vergoldet von dem roten Widerschein des Abendhimmels, einen so unheimlichen Eindruck, daß selbst Harst mir zuraunte:

„Wer weiß, was noch hinter dieser scheinbaren Leblosigkeit steckt …! Mir gefällt die Geschichte sehr wenig! Also – Augen auf, mein Alter …!“

Dreißig Meter mochten wir noch vom Ufer entfernt sein, als aus der offenen Tür der Wohnhütte … ein riesiger Gorilla schwerfällig herauskam, nach Art der Menschenaffen sich mit den Händen auf den Boden stützend.

Er sah uns, blieb stehen …

Die mächtigen Reißzähne des rostbraunen Untiers leuchteten in dem wilden Gesicht wie weiße Hauer …

Bei mir war’s da ein Augenblick jenes Jagdfiebers, dem man nur zu leicht unterliegt …

Ohne Besinnen hatte ich die Büchse emporgerissen, hatte gezielt – abgedrückt …

Der Riesenaffe taumelte nach hinten, raffte sich wieder auf und entfloh rasch in die nahen Sträucher.

„Wozu das?!“ meinte Harald tadelnd. „Wir hätten das Tier auch so verscheucht …“

Anders Inspektor Snider, der auch hier den sportlustigen Engländer nicht verleugnete …

„Ihm nach – ihm nach!!“ rief er … „Wir dürfen uns den kapitalen Burschen nicht entgehen lassen …!“

Harald drehte sich um. „Wenn Sie Ihre Haut zu Markte tragen wollen, dann bitte – dann verfolgen Sie das angeschweißte Tier. Es war ein Streifschuß am Schädel, der dem Riesenkerl nichts ausmacht, nur – – seine Wut und Angriffslust steigert …!“

Snider schwieg …

Wir landeten. Und schritten nun langsam der Wohnhütte zu – sehr vorsichtig, die Büchse im Arm, die Augen nach allen Seiten spähend umherschickend …

So kamen wir denn bis zu der Hütte, bis zu den drei stillen Knochenmännern …

„Neger!“ sagte Harald kurz. „Die Schädelform verrät es … Vielleicht drei der schwarzen Faktoreiarbeiter. – Aber – wer hatte die Gerippe in dieser etwas theatralischen Weise hier aufgebaut?! Und weshalb?! Etwa um die Neger der Umgegend zu verscheuchen, oder …“

Inzwischen war der kecke Sandfort schon in die Hütte eingetreten, rief von drinnen:

„Leer – vollständig leer! Auch nicht eine Kiste mal ist hier zu finden – nur ein paar Kistenbretter …“ –

Gleich darauf hatten wir auch die beiden anderen Hütten uns angesehen, hatten dort ebenfalls nur leere Räume durchwandert und standen nun wieder unschlüssig am Ufer neben unserem Nachen.

Harst schlug vor, den Nachen in die Wohnhütte zu tragen und dort zu nächtigen …

„Morgen früh besichtigen wir die Insel genauer …,“ fügte er hinzu. „Es dürfte lohnen …!“ – Und – – er hob den rechten Arm hoch … hielt in den Fingern ein kleines längliches matt blinkendes Etwas …

„Dies lag hinter der Wohnhütte neben einer noch recht frischen Stiefelspur,“ erklärte er. „Und – dies ist …“

„… ein Goldkiesel …!!“ rief Kollege Crooc …

„Ja – ein Goldkiesel von Fingergliedgröße, – ein Stück Naturgold, herausgewaschen aus feinem hellen Sand. Hier in diesem Riß stecken noch Sandkörner.“

Der Kiesel ging von Hand zu Hand. – Harst mahnte, daß wir uns beeilen sollten. Die Nacht würde sofort anbrechen … Und wir mußten doch noch rasch Gras für unsere Lagerstätten und Holz für ein Feuer sammeln. –

Gegen zehn Uhr saßen wir fünf dann in der Hütte um die glimmenden Reste des Feuers herum und erörterten die Frage, wer den Goldkiesel hier verloren haben könnte und ob dies der Mann gewesen, dessen Stiefelspuren Harald bemerkt hatte.

Harst selbst beteiligte sich nicht an dieser Unterhaltung. Er hatte soeben die Tür der Hütte von innen noch durch ein paar starke Äste abgestützt und reinigte jetzt seine Büchse …

Meldete sich nun ganz unvermittelt, indem er nur einen Vornamen aussprach:

„Kid …!!“

Da fragte Snider ungläubig: „Wie, Sie meinen, daß Kid Saunder das Gold verlor?“

Eine Antwort konnte Harald nicht geben …

Zwei gellende Schreie ertönten draußen – zwei so furchtbare Schreie, daß wir hochschnellten und im Nu die Gewehre in den Händen hatten …

Harst riß schon die Türstützen weg …

Und hinaus stürmten wir in die mondhelle Nacht …

Sahen unweit des Ufers einen Haufen Gestalten …

Hörten nochmals einen halb erstickten Schrei …

Standen trotzdem jetzt wie gelähmt …

Sechs – sieben Riesenaffen waren’s … Gorillas, die jetzt nach zwei Schüssen Harsts im Nu im Dickicht verschwanden …

Noch mehr sahen wir: an Land ein kleines Boot – zwei reglose Gestalten – und drüben auf dem Wasser die Jacht, die Manchester … –

So … fanden wir Saunder und Pittercray, von den Gorillas zerfleischt, mit durchbissenen Kehlen …

Sie waren an Land gerudert, um die Hütten zu durchsuchen, waren dem Verhängnis in die Arme gelaufen, hatten eine Strafe erhalten, wie sie furchtbarer kaum sein konnte … Ihre wahnwitzigen Schreie sagten genug.

Wir ruderten sofort zur Jacht hinüber, hatten dort kaum Frau Edith und der Besatzung unsere Erlebnisse berichtet, als ein Nachen am Fallreep der Manchester anlegte …

Zwei Europäer kamen an Bord – verwildert, bärtig, braungebrannt wie Neger fast …

Zwei … Totgeglaubte: Kid Saunder und Edward Smith, sein Gefährte … – –

Ich bin nicht Familienromanschreiber. Ich könnte sonst so wundervoll die Wiedersehensszene zwischen Edith und Kid ausmalen.

Ich beschränke mich darauf zu erwähnen, daß Kid und sein Freund auf ihrer Flucht vor den Biruwu drüben am Ufer in einer Schlucht im Abfluß eines kleinen Wasserfalles Gold gefunden und dann als Goldwäscher hier volle drei Jahre in der Einsamkeit gehaust und – – ein ungeheures Vermögen erworben hatten. Die Negerskelette hatten sie selbst als Abschreckungsmittel vor die Tür gesetzt. Die Insel hatten sie nur selten besucht, und lediglich der Knall der Schüsse hatte sie jetzt in der Nacht aus ihrer Schlucht hierhergelockt. – –

So endete unser Abenteuer im Gebiete der Schlafkrankheit …

Und das nächste?

Das nächste …: andere Szenerie, andere Menschen und … Filigranarbeit für uns – feinste Detektivarbeit – eines Autos wegen …

 

Nächster Band:

Das gestohlene Auto.

 

 

Verlagswerbung:

Wir weisen alle Freunde dieser Detektiverzählungen darauf hin, daß das Bild Harst–Schrauts mit eigenhändiger Unterschrift der beiden berühmten Gentlemandetektive gegen Einsendung von 1,60 Mark vom Verlag zu beziehen ist.

 

 

Männe und Max

Lustige Bubenstreiche

von

Walther Neuschub

mit Bildern von R. Hansche

Diese Ausgabe hat den Beifall weitester Kreise gefunden. Der zündende Humor der Dichtung und die goldige herzerfrischende Komik der Illustrationen kann nicht übertroffen werden. Die Heftchen haben ein dreifarbiges Titelbild und enthalten meist über 25 Textillustrationen.

Bisher sind die nachstehenden Heftchen erschienen:

1. Onkel Adolars Geburtstag – 2. Schornsteinfeger Krause. – 3. Das Gespenst. – 4. Der Gang zum Photographen. – 5. Der Schweinestall. – 6. Köchin Line. – 7. Räuber Trald. – 8. Die Kindtauffeier. – 9. Die Reise nach Berlin. – 10. Knödelmeyers neue Köchin. – 11. Eine Kremserfahrt. – 12. Der Ritt nach Afrika. – 13. Kohn, der Papagei. – 14. Der Flohzirkus. – 15. Daniel in der Löwengrube. – 16. Der tote Puterhahn. – 17. Die Kartoffeldiebe. – 18. Der strenge Kandidat. – 19. Bobbis Begräbnis. – 20. Das Motorrad. – 21. Sonntagsjäger Haberland. – 22. Die Moorbadkur. – 23. Äppelschnuts Lehrlinge. – 24. Die Gauner Klapp und Pelle. – 25. Der Boxkampf. – 26. Der Indianer Heitawai. – 27. Josua Grind, der Pirat. – 28. Die Fuchsjagd. – 29. Der Dreibund im Zoo. – 30. Der Meisterschuß. – 31. Die Walfischjagd. – 32. Die sechs Mohren.

 

 

Anmerkungen:

  1. „Kongostaat(es)“ / „Kongo-Staates“ – Beide Schreibweisen vorhanden. Einheitlich auf „Kongostaat(es)“ geändert.
  2. Glossina Palpalis – Tsetsefliege, Überträger der (Afrikanischen) Schlafkrankheit. Siehe auch Wikipedia: Tsetsefliegen.
  3. Blaubart – Synonym für Frauenmörder.
  4. Atoxyl – Robert Koch entdeckte als erster, daß dieses Mittel (mäßig) gegen Schlafkrankheit wirkt. Siehe auch Wikipedia: Atoxyl.
  5. In der Vorlage steht: „halb nackter“.
  6. In der Vorlage steht: „erklätre“.
  7. Im Text beider Erzählungen heißt es durchgängig „Gorilla-Insel“, während dagegen in der Hauptüberschrift der zweiten Geschichte „Gorillainsel“ verwendet wird. Daher die jeweiligen Schreibweisen so belassen.
  8. „Caradibu“ / „Karadibu“ – Beide Schreibweisen vorhanden. Einheitlich auf „Caradibu“ geändert.
  9. Die folgende Zeile ist in der Vorlage doppelt.
  10. Die hier in der Vorlage folgende Zeile gehört erst 21 Zeilen später in den Text.
  11. Zeile aus Anm. 10 hier eingefügt.