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Das Geheimnis des Scheiterhaufens

 

 

Der Detektiv

 

Kriminalerzählungen

von

Walther Kabel.

 

Band: 33

 

Das Geheimnis des Scheiterhaufens

 

Der Oberpriester der Schwe Dagon-Pagode in der ostindischen Hafenstadt Rangun hatte Harst und mich zu einer genauen Besichtigung der weitläufigen, mit zu dem Heiligtume gehörigen Baulichkeiten eingeladen gehabt. Seine Exzellenz Scham Chulakawi war, wie ich bereits in der vorigen Erzählung erwähnt habe, ein feingebildeter, alter Herr, der sogar ein wenig Deutsch sprach.

Unser Rundgang durch die Pagode war beendet. Nachdem wir noch in der Wohnung des Oberpriesters eine Erfrischung zu uns genommen hatten, verabschiedeten wir uns von dem liebenswürdigen Greise, der uns jedem dann noch schnell ein Päckchen in die Hand drückte.

„Ein kleines Andenken, meine Herren,“ sagte er und winkte einem Mönch, der uns durch die Höfe zum Haupteingang führen sollte.

Als wir nun die große Freitreppe hinabstiegen, war es genau 1 Uhr mittags. Wir warfen noch einen Blick über die Hafenstadt Rangun hin und nahmen so Abschied von ihr.

Plötzlich Harsts leise Stimme:

„Wahrhaftig – da ist der Kerl schon wieder!“

„Welcher Kerl?“

„Hast Du ihn denn wirklich nicht bemerkt? Gestern bereits drückte er sich stets in unserer Nähe herum. – Bitte, schau’ nicht nach ihm aus. Du würdest ihn doch nur schwer entdecken. Es ist ein sehr elegant gekleideter Chinese von über Mittelgröße mit einer goldenen Brille, so ein Vertreter jenes Chinesentyps, der sich jetzt überall hier breit macht; fraglos ein reicher Kaufmann, der in Europa sich den nötigen Schliff angeeignet hat und nun mit den faden Charakterschwächen des modernen, überkorrekten Europäers alle inneren Nachteile seiner eigenen Rasse zum Schaden anderer verbindet.“

„Wieder ein Chinese!“ entfuhr es mir. „Mit den Gelbgesichtern haben wir weiß Gott in letzter Zeit genug zu tun gehabt. Meine Finger schließen sich ganz von selbst zur Faust, wenn ich einen solchen Burschen nur von weitem sehe.“

„So ganz unrecht hast Du nicht, mein Alter. – Jedenfalls müssen wir herausbringen, was dieser bebrillte Chinamann von uns will. – Komm’, wir wollen diese Gelegenheit benutzen und den Menschen einfach stellen.“

Harst faßte mich unter. Scheinbar harmlos plaudernd schritten wir die Treppe vollends hinab, bogen dann in einen Nebenweg ein, der nach den Anlagen des Großen Königssees führte.

Diese Anlagen mit ihren prachtvoll gepflegten Promenaden und vornehmen Lokalen sind der Vergnügungspark der oberen Zehntausend Ranguns. Gärtnerische Kunst hat hier aus einer ehemaligen Wildnis ein Paradies geschaffen.

Gleich auf der ersten Bank saß da unser Mann. Ich erkannte ihn schon von weitem an der goldenen Brille und der ganzen äußeren Aufmachung, die beinahe etwas geckenhaft war.

Harst nahm mit einem kühlen: „Sie gestatten“ auf derselben Bank Platz und zwar neben dem Chinesen, den ich auf etwa vierzig Jahre schätzte. Ich wieder saß neben Harst, der nun eine Zigarette hervorholte und auch mir sein goldenes Etui hinhielt.

„Morgen früh verlassen wir Rangun ganz bestimmt,“ sagte er und versuchte Rauchringe zu formen, die ihm aber der Wind stets nur zu schnell zerstörte. „Falls Du noch etwas einkaufen willst, erledige es noch heute.“ Er griff in die Tasche und wickelte das Päckchen auf, das der ehrwürdige Oberpriester ihm beim Abschied gereicht hatte.

Es war ein kunstvoll geschnitztes Achatkästchen, das aus der Papierumhüllung zum Vorschein kam. Harst drückte auf einen Knopf. Der Deckel sprang auf. In schwarze Seide gebettet lag da ein alter, seltsamer Ring in Form einer kleinen Schildkröte, deren Rückenpanzer aus einem wunderbar klaren Edelstein bestand. Es war ein wasserheller Diamant von fast Bohnengröße, von vorzüglichem, hohem Schliff.

„Donnerwetter – ein anständiges Andenken!“ lachte Harst. „Hole doch auch mal Dein Päckchen hervor –“

Ich tat’s. Es war genau dasselbe Kästchen, nur der Inhalt war etwas weniger kostbar: ein indischer, ebenfalls altertümlicher Doppelschlangenring mit zwei linsengroßen Diamanten und zwei Smaragden.

„Sehr wertvolle Ringe!“ sagte da der Chinese ziemlich laut. Wir schauten hin. Er lüftete den Strohhut, verbeugte sich leicht.

„Ich bin Fachmann, meine Herren,“ fügte er ebenfalls in deutscher Sprache hinzu. „Sie gestatten, daß ich mich vorstelle: Diamantenhändler Samli Tschong aus Kalkutta.“

Harst nannte seinen Namen, ich den meinen. – So lernten wir den Mann kennen, mit dem wir noch viel Arbeit haben sollten. –

Ich kann nicht sagen, daß dieser Samli Tschong mir irgendwie unsympathisch war. Harst hatte sich in diesem bescheidenen Menschen offenbar gründlich getäuscht. Sein ganzes Benehmen war so ausgeglichen, so ungezwungen gewandt und bei aller Lebhaftigkeit zurückhaltend, daß ich sehr bald vergaß, einen Chinesen vor mir zu haben.

„Ich habe Sie gestern vormittag bereits bemerkt – auf dem Soolay-Platz, Herr Tschong,“ warf Harst jetzt ein. „Auch nachmittags erblickte ich Sie am Bollwerk des Zollhafens, wo meine Motorjacht Standard vor Anker liegt. Und abends saßen Sie im Savoy-Hotel am Nebentisch.“

Der Diamantenhändler schaute Harst überrascht an. In sei[nem Blick lag aber auch noch etwas ganz anderes: Und dieses][1] war, so schien es mir, versteckte Angst.

„Das ist unmöglich, Herr Harst,“ sagte er jetzt zögernd. „Ich bin erst heute früh mit dem Dampfer Godawari in Rangun eingetroffen und im Viktoria-Hotel abgestiegen. Beim Frühstück las ich dann in der Expreß Post[2] den Artikel über das Ende des Malcapier.“

„Dann müssen Sie gerade einen Doppelgänger haben, Herr Tschong, der Ihnen wie ein Ei dem anderen gleicht,“ meinte Harst gleichmütig. „Ich kann mich auf meine Augen verlassen. Sie waren mir von Ansehen sehr gut bekannt, als wir uns hier zu Ihnen setzten. Und ich tat dies nur, um Sie ganz offen zu fragen, weshalb Sie sich seit gestern stets in unserer Nähe halten.“

Der Händler wechselte die Farbe, wurde verwirrt und stammelte:

„Ich – ich vermag Ihnen leider nur dasselbe zu wiederholen, was ich bereits behauptet habe. Sie glauben mir nicht, Herr Harst. Dann ist es besser, wir trennen uns sofort. Ich – ich bin kein Lügner, obwohl ich Chinese bin.“

Er erhob sich, grüßte und schritt der Haupttreppe der Pagode zu. – Harst schaute ihm schweigend nach, bis er im Innern des Heiligtumes verschwunden war.

„Hm!“ machte er dann. „Na, mein Alter, wie gefiel er Dir?“

„Recht gut, bis – auf diese Lügerei zuletzt!“

„Ob er gelogen hat?! – Nehmen wir einen Wagen und fahren wir nach der Anlegestelle des Godawari. An Bord des Dampfers werden wir schnell herausbringen, ob Herr Tschong, wie ich vermute, vor uns nur die Existenz dieses Doppelgängers verschweigen wollte, den er vielleicht aus irgend welchen Gründen fürchtet.“

Wir fuhren in einem der leichten Mietwägelchen nach der Stadt. Harald saß und grübelte eine Weile vor sich hin. Dann sagte er, indem er sich näher zu mir hin beugte:

„Ich ahne hier etwas ganz Besonderes voraus, mein Alter. Ich wette, Tschong weiß sehr gut, daß er einen Doppelgänger hat. Er wechselte nur deshalb die Farbe, weil ihn die Mitteilung, dieser Doppelgänger sei in Rangun und schleiche uns nach, böse erschreckte.“

Ich nickte zustimmend. – Eine halbe Stunde später wußten wir, daß Tschong nicht gelogen hatte. Er war wirklich erst heute morgen in Rangun angelangt.

Wir schritten dem Zollhafen zu.

„Die Sache interessiert mich,“ meinte Harst. „Der Doppelgänger Tschongs war genau so gekleidet wie der echte Tschong. Dahinter steckt doch fraglos eine ganz bestimmte Absicht. – Ah – da kommt Kommissar Worbster auf uns zu, der jetzt Chatarsan zunächst vertritt, unseren armen, kleinen, toten Chatarsan. – Morgen, Worbster! – Sie sehen ja so erhitzt aus. Was gibt’s denn?“

Worbster, ein noch junger, sehr höflicher Engländer, reichte uns hocherfreut die Hand.

„Ein Glück, daß ich Sie treffe, Mr. Harst. Zunächst: ich bin endgültig zu Chatarsans Nachfolger, also zum Detektivinspektor von Rangun ernannt worden. Und – es gibt auch sofort neue Arbeit für mich. In der verflossenen Nacht ist in der Polizeidirektion ein Einbruchsdiebstahl verübt worden.“

„Was Donner – in der Polizeidirektion?!“

„Ja, Mr. Harst. – Wollen wir nicht an Bord Ihrer Jacht gehen? Ich möchte Ihnen alles in Ruhe erzählen, da es dabei verschiedene sehr merkwürdige Punkte gibt.“

Gleich darauf saßen wir im Wohnsalon des Standard in bequemen Sesseln um den Mitteltisch herum. Worbster berichtete folgendes:

Der Einbruch war erst heute früh um sieben Uhr entdeckt worden. Der oder die Diebe hatten ihren Weg über die hintere Mauer des zur Polizeidirektion gehörigen Gartens genommen, hatten ein Kellerfenster des linken Seitenflügels eingedrückt und waren dann bis in die sogenannte Fundkammer im Erdgeschoß des Hauptflügels vorgedrungen, wo die gefundenen Gegenstände aufbewahrt werden. Sie hatten jedoch nur eine recht geringe Beute hier gemacht, kaum der Rede wert.

„Ich kann mir nun nicht denken,“ fügte Worbster hinzu, „daß Diebe sich der Gefahr aussetzen werden, gerade im Polizeigebäude leichter als anderswo abgefaßt zu werden, nur um in eine Fundkammer einzubrechen, die kaum je wertvolle Stücke enthält. Ich habe das Gefühl, als ob dieser Einbruch lediglich einen anderen Zweck verschleiern soll.“

„Ich auch,“ meinte Harst. „Und – fanden Sie irgend welche Hinweise auf diesen verschleierten Zweck, Worbster?“

„Nichts, Mr. Harst, nichts. Ich wollte Sie daher auch bitten, ob Sie nicht –“

„Verstehe schon: ich soll die Geschichte aus nächster Nähe nachprüfen! – Gut, bin gern bereit dazu. Wenn es Ihnen recht ist, brechen wir sofort auf.“

Worbster erhob sich rasch. „Ob es mir recht ist! Ich bin Ihnen ja so dankbar, Mr. Harst. Ich möchte von Ihnen doch noch so einiges lernen. Machen Sie mich bitte auf alle Fehler aufmerksam, die ich bei dieser Untersuchung beging. Ich bin in keiner Weise empfindlich.“

„Soll geschehen!“ lächelte Harst. „Man lernt nie genug. – Vorwärts also!“

Wir hatten es vom Zollhafen bis zum Polizeigebäude nicht weit. Unterwegs begann Worbster dann noch von unserer toten Feindin Eugenie Malcapier zu sprechen.

„Ah,“ rief er plötzlich, „beinahe hätte ich vergessen, Ihnen zu erzählen, daß ich gestern, eingenäht in die Unterwäsche, so etwas wie ein Testament der Malcapier gefunden habe.“

Er entnahm seiner Brieftasche einen vielfach zusammengelegten Zettel aus sogenanntem überseeischen, dünnen Briefpapier, das bekanntlich sehr dauerhaft ist.

„Bitte, Mr. Harst, lesen Sie selbst –“

Wir blieben stehen. Harst hielt das Papier so, daß ich mit hineinschauen konnte. Da stand in der mir unvergeßlichen, klaren, schlichten Handschrift der Malcapier in englischer Sprache folgendes:

Im Falle meines Todes wünsche ich verbrannt zu werden und zwar auf einem Scheiterhaufen. Meine Leiche soll nicht etwa einem medizinischen Institut überwiesen werden. Ich bitte, mich in denselben Kleidern zu verbrennen, die ich bei meinem Tode trug. Vielleicht wird sich jemand melden, der, mit einem schriftlichen Ausweis von mir versehen, die Einäscherung meiner Leiche übernimmt. – Dies ist mein letzter Wille. – Eugenie Malcapier.

Harst reichte Worbster den Zettel zurück und fragte:

„Hat sich jemand gemeldet?“

„Ja – und zwar ein sehr angesehener Chinese aus Kalkutta namens Samli Tschong.“

„So so. – Wann denn?“

„Heute früh um 9 Uhr. Ich habe ihn zum Polizeidirektor geführt. Tschong hatte tatsächlich einen solchen Ausweis der Malcapier bei sich. Der Polizeidirektor hat befohlen, daß Tschong morgen früh unter meiner Aufsicht die Leiche einäschern darf.“

„Dieser Tschong ist hier also den Behörden bekannt?“

„Gewiß, Mr. Harst. Er ist der reichste Edelsteinhändler Indiens, besitzt in Kalkutta einen wahren Palast von Villa, tut viel Gutes, hat eine Deutsche zur Frau und ist seit langem Christ. Ich kenne ihn seit zwei Jahren persönlich. Ein Ehrenmann durch und durch, dabei vielseitig gebildet und klug, ohne raffiniert zu sein.“

„Seltsam, daß ein solcher Ehrenmann der Testamentsvollstrecker einer Verbrecherin ist,“ meinte Harald nun, indem er weiterschritt. Wir blieben neben ihm, und Worbster erwiderte:

„Tschong hat dies in genügender Weise erklärt, Mr. Harst. Die Malcapier war vor fünf Jahren in seinem Hause Erzieherin und wurde ganz zur Familie gerechnet. Erst nachdem sie diese Stellung aufgegeben hatte, geriet sie auf Abwege.“

Harst sagte nichts mehr, ging mit gesenktem Kopf zwischen uns. Nach einer Weile fragte Worbster schüchtern:

„Gefällt Ihnen etwas an diesem Testament nicht?“

„Hm – darüber möchte ich mich jetzt noch nicht auslassen.“ –

Wir waren angelangt. Worbster zeigte uns das Kellerfenster, das der oder die Diebe eingedrückt hatten, um mit der Hand hindurchlangen und den Riegel öffnen zu können.

Dann betraten wir vom Kellergang aus diesen Raum, der nur alte Akten, Tische, Stühle und Gerümpel enthielt. Eine Holztür führte in den Gang. Sie war nicht verschlossen gewesen.

Harst war wieder sehr wortkarg. Nachdem er diesen Kellerraum flüchtig sich angesehen hatte, meinte er: „Wie ist der Dieb nun in das Erdgeschoß gelangt?“

„Durch den Gang, der zwischen den einzelnen Kellergelassen entlangläuft und vor einer Treppe endet, die in den hinteren Flur des Mittelgebäudes hinaufläuft. – Bitte, Mr. Harst, folgen Sie mir nur.“

Wir kamen an mehreren Kellertüren vorüber. Dann machte Harst plötzlich halt.

„Hier gibt es ja auch eine eiserne Tür,“ sagte er und deutete nach rechts.

„Es ist der Sezierraum, Mr. Harst,“ erklärte Worbster.

„Sezierraum?! – Und – gestern wurde doch die Malcapier seziert. Liegt die Leiche noch da drinnen, Worbster?“

„Ja. In einem Kühlsarge auf Eis. Hier in Rangun gehen Leichen so schnell in Verwesung über.“

„Kann ich die Leiche mal sehen?“

„Gewiß. Warten Sie bitte. Ich hole nur den Schlüssel.“

Worbster eilte davon. – Harst bückte sich und besichtigte das Schloß der schweren, eisernen Tür.

„Hm,“ brummte er, „hier hat jemand mit Nachschlüsseln sein Heil versucht. Und – wie muß der Mensch sich abgemüht haben! Die Umgebung des Schlüsselloches ist vollständig zerkratzt.“

Er leuchtete in das Schlüsselloch hinein. „Ein modernes Kunstschloß! – Der Esel! Das kriegt man doch nur mit Gewalt auf!“

Worbster kehrte zurück. Als er den Schlüssel eingeführt hatte, mußte er sich erst lange anstrengen, ehe der Riegel zurücksprang.

„Es muß geölt werden,“ meinte er.

„Ja – scheint so!“ lächelte Harald und zwinkerte mir zu. Ich verstand: das Schloß war durch die Nachschlüssel halb in Unordnung gebracht worden!

Wir traten ein. Ein betäubender, scharfer Geruch[3] schlug uns entgegen: Formalin! – Linker Hand standen drei Seziertische; an den Wänden Zinkblechbottiche, in denen in Formalin Leichen lagen. – Rechts stand der schmucklose Sarg der Malcapier, eingepackt in Eis und umgeben von einer riesigen Zinkwanne.

Der Sezierraum hatte zwei längliche, sehr stark vergitterte Fenster. Harst öffnete die Fenster und untersuchte die Eisenstäbe der Gitter.

„Was will er dort nur?“ flüsterte Worbster mir zu.

„Weiß nicht,“ meinte ich achselzuckend.

Harst kam zu uns zurück.

„Haben Sie die Kleidungsstücke der Malcapier auch ganz sorgfältig geprüft, Worbster, ob nicht vielleicht noch etwas anderes darin verborgen ist als nur das Testament?“ wollte er nun wissen.

Der junge Detektivinspektor versicherte eifrig, er hätte noch nie Kleider so genau befühlt und besichtigt wie diese.

„Unser Detektivsergeant Willing hat mir dabei geholfen, Mr. Harst. Und Willing ist ein alter Praktikus. Sogar die Sohlen der Sandalen hat er halb losgetrennt, weil sie ihm so verdächtig dick erschienen. Auch die flachen Absätze rissen wir ab.“

„Hm! – Na – heben wir mal den Deckel ab.“

Harst befühlte die Ledersandalen. Die Sohlen hatte Sergeant Willing nur flüchtig wieder angeheftet. – Harald nahm sein Federmesser und trennte sie wieder ab, daß sie nur noch unten ein wenig festhielten.

Ich trat mehr zurück. Der Leichengeruch war jetzt zu stark.

„Die Sohlen enthalten wirklich nichts,“ versicherte Worbster nochmals.

„Schon gut,“ sagte Harst. „Legen wir den Deckel wieder auf.“ –

Wir verließen den Sezierraum. – Oben in der Fundkammer war das Türschloß mit einem Dietrich geöffnet worden. Der Dieb hatte lediglich ein goldenes Armband, eine silberne Taschenuhr und ein Fernglas mitgehen heißen.

Harst schlug Worbster leicht auf die Schulter.

„Hier gibt’s für Sie nichts zu lernen, mein Bester. Es ist eben ein armer Kerl gewesen, der schon froh war, ein Armband erhascht zu haben. Beruhigen Sie sich nur dabei.“

Worbster blickte Harst zweifelnd an.

„Verhehlen Sie mir auch nichts, Mr. Harst?“

„Warten Sie ab,“ sagte Harald. „Wann wird die Leiche verbrannt und wo?“

„Morgen um 7 Uhr in den Ruinen des alten Königspalastes am Pazundaung-Kanal. So hat es Tschong bestimmt.“

„Nun, dann gebe ich Ihnen einen guten Rat, Worbster. Lassen Sie die Leiche nicht einen Moment aus dem Auge, sobald Sie sie dem Chinesen übergeben haben. – Auf Wiedersehen. Und – schweigen Sie über meinen Besuch hier, verstanden?!“

Worbster blieb mit sehr erstauntem Gesicht stehen. Er mußte ja ahnen, daß hier nicht alles so war, wie es sein sollte.

– – – – – – – –

Als wir die Straße entlangschritten, fragte ich Harst:

„Nicht wahr, der Dieb hat es in Wirklichkeit auf die Leiche der Malcapier abgesehen gehabt?“

„Ohne Zweifel, mein Alter. Es ist ihm aber nicht geglückt, in den Sezierraum hineinzugelangen.“

„Die Leiche trägt also noch etwas bei sich das der Dieb sich aneignen wollte?“ fuhr ich fort.

„Ja. – Wir wollen die Sache jetzt jedoch nicht weiter erörtern. Sie ist noch lange nicht spruchreif. Es wäre besser, Du würdest den Leuten auf der Straße mehr Beachtung schenken. Du begehst stets dieselben Fehler. Es liegt doch klar auf der Hand, daß dieser Doppelgänger des Diamantenhändlers ein höchst fragwürdiges Interesse an uns nimmt. Da hättest Du, als wir das Polizeigebäude verließen, Dich sorgfältig und unauffällig nach ihm oder sonst jemand, der sich irgendwie verdächtig benahm, umschauen sollen. Dann wäre Dir ein zerlumpter, alter chinesischer Straßenhändler aufgefallen, der jetzt noch immer hinter uns her ist. – Bitte, dreh’ Dich gefälligst nicht um!“

Was sollte ich erwidern?! Harst hatte ganz recht: ich hätte daran denken müssen, daß man uns vielleicht weiter beobachtete.

Schweigend setzten wir unseren Weg fort. Harst führte mich ins Viktoria-Hotel am „Strand“. Wir setzten uns auf die Terrasse, hatten so die Straße und weiterhin den Rangun-Fluß vor uns.

Der eingeborene Kellner begann das bestellte Menü zu servieren. Harst blieb still und schaute oft versonnen auf den breiten Strom hinaus.

Gegen 5 Uhr nachmittags fuhr eins der leichten birmanischen Wägelchen vor dem Hotel vor, und ihm entstieg der Diamantenhändler Tschong. Als er die Tischreihen der Terrasse durchschritt und uns bemerkte, tat er so, als wären wir ihm völlig fremd. Er verschwand dann im Hotel.

Harst rief den Kellner herbei, gab ihm seine Karte und ließ sich bei Mr. Tschong anmelden.

„Sehr wohl,“ dienerte der Birmane. „Mr. Tschong ist soeben auf seine Zimmer gegangen.“

Nach einer Weile brachte der Kellner uns den Bescheid, Mr. Tschong würde es sich zur Ehre anrechnen, uns empfangen zu dürfen.

Der reiche Chinese wohnte im ersten Stock Nr. 6. Dies war eine Gelegenheit von drei Zimmern, sogenannte Luxusgemächer. Ein Hotelboy meldete uns an. Wir traten in einen eleganten Salon ein, der einen großen Balkon nach dem Flusse zu hatte. Der Boy bat uns, Platz zu nehmen. Mr. Tschong würde sofort erscheinen.

Wir setzten uns.

„Billig dürften diese Räume nicht gerade sein,“ meinte Harald. „Da steht sogar ein Pianino. Wie lange habe ich nicht gespielt!“ Er erhob sich und schlug den Deckel des Instrumentes auf und ließ die Finger über die Tasten gleiten. Ganz leise präludiert er erst, dann entwickelt sich eine bekannte Melodie, etwas Kraftvoll-Hinreißendes: der Feuerzauber aus Wagners Walküre.

Harst schien vergessen zu haben, wo er sich befand. Lauter und lauter entquollen die Töne dem vorzüglichen Instrument.

Da – von der Tür des linken Nebengemaches her eine Stimme:

„Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches, meine Herren?“

Harst stand auf, schloß das Instrument und entschuldigte sich.

„Ich bin ein leidenschaftlicher Klavierspieler, Herr Tschong. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen –“

„Oh bitte. – Nehmen die Herren wieder Platz –“

Tschong setzte sich zu uns an den Tisch. Er trug jetzt einen tadellos gearbeiteten Smoking. Die Unterhaltung wurde wieder deutsch geführt. In seinem Benehmen lag jetzt jedoch eine kühle Zurückhaltung.

„Ich möchte an unser Gespräch von heute mittag vor der Schwe Dagon-Pagode anknüpfen,“ begann Harald nun. „Ich habe mir inzwischen so manches überlegt, Herr Tschong, und ich bin zu der Überzeugung gelangt, daß Sie einen Doppelgänger haben müssen, der Ihnen wohlbekannt ist, von dem Sie aber nicht gerne sprechen. Ich bitte Sie nun, mir gegenüber ganz aufrichtig zu sein. In meiner und meines Freundes Schraut Brust ist jedes Geheimnis so sicher wie in Ihrer eigenen, Herr Tschong. Vielleicht kann ich Ihnen auch irgendwie helfen.“

Der elegante Chinese mit dem klugen, bartlosen Gesicht entgegnete sehr förmlich:

„Weshalb interessiert Sie dieser Doppelgänger, Herr Harst?“

„Nun, weil er sich gestern stets in unsere Nähe drängte, wie Sie ja bereits wissen.“

„Ist das der ganze Grund?“

„Vorläufig ja.“

„Vorläufig?“

„Allerdings – vorläufig! – Wer wie dieser Mann, der Ihnen so aufs Haar gleicht, für einen Detektiv so viel Teilnahme zeigt, dürfte eine ganz bestimmte Veranlassung haben, das Tun und Lassen dieses Detektivs zu überwachen. Und darauf läuft doch dieses Interesse letzten Endes hinaus.“

Tschong nickte. „Sie vermuten in diesem Doppelgänger also einen Verbrecher,“ meinte er.

„Oh – das ist zu viel gesagt. Ich pflege nur allen Dingen, die mir ausfallen, auf den Grund zu gehen. Ich muß sehr vorsichtig sein. Wie Sie wissen, habe ich hier den berüchtigten Eidechsen-Bund sprengen helfen, der doch eine sehr weitverzweigte Verbrecher-Geheimgesellschaft darstellte. Es dürften noch mehrere dieser „Eidechsen“ entschlüpft sein, deren oberste Führerin die Malcapier war. Sie werden sich an mir zu rächen suchen. Ich bin darauf vorbereitet.“

„Ich verstehe,“ nickte Tschong wieder und lächelte etwas. „Nun – was den Doppelgänger betrifft, so kann ich Sie beruhigen. Der Mann ist ganz harmlos, mehr ein Sonderling, dem es Spaß macht, mich zu kopieren.“

Das war ohne Frage glatt gelogen! Ich hatte Tschongs ängstlichen Gesichtsausdruck von jener Parkbank her noch zu gut in der Erinnerung.

„Sie gestatten,“ fuhr Tschong jetzt weit liebenswürdiger fort, „daß ich Ihnen Näheres über diesen Sonderling erzähle, Herr Harst. Dann werden Sie einsehen, daß der Mensch das hat, was man in Deutschland einen „Sparren“[4] nennt.“

Er lächelte abermals. „Darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten? Trinken Sie vielleicht ein Glas Eispunsch? Das Viktoria-Hotel hat einen tadellosen Mixter in der Bar.“ Er stand auf, läutete nach der Bedienung, holte von einem Nebentischchen ein Silberkästchen mit Zigaretten und zündete ein Spirituslämpchen an.

Ein Kellner erschien. Tschong bestellte Eispunsch und eine Platte Erfrischungen. Von dem Doppelgänger war zunächst nicht mehr die Rede. Tschong bat, ob Harst ihm nicht nochmals den Feuerzauber aus der Walküre vorspielen wolle. Er hatte, wie er betonte, die Festspiele in Bayreuth mitgemacht und war seitdem Wagnerschwärmer.

Harst tat ihm gern den Gefallen. Ein zwanglos-gemütlicher Ton herrschte jetzt zwischen uns. – Als der Kellner das große Servierbrett auf den Tisch gestellt hatte, stieß Tschong beim Ordnen der Gläser die Zigarettenschale vom Tisch. Ich bückte mich und las die Zigaretten wieder auf.

Oh – wie ahnungslos war ich damals – wie ahnungslos! Und wie raffiniert hatte dieser gelbe Bursche alles berechnet! –

Dann kam Harst zu uns an den Tisch zurück. Der Eispunsch duftete köstlich. Tschong trank uns zu.

„Ihr Wohl meine Herren!“

Harst nahm eine Zigarette. Ich reichte ihm das Lämpchen. Mein Arm war plötzlich so seltsam schwer. Eine unnatürliche Müdigkeit befiel mich.

Jäh zuckte ein furchtbarer Verdacht in mir auf: Wir waren in eine Falle geraten. Tschong hatte in den Eispunsch ein Betäubungsmittel gegossen!

Ich stierte Harst an. Das Lämpchen entfiel meiner Hand, schlug klirrend auf die Platte mit den Erfrischungen auf. Ich sah Harsts weit aufgerissene Augen, sah, daß er kraftlos herabsank, daß er taumelte, sich auf den Tisch stützte.

Dann verlor er das Gleichgewicht, stürzte mit dem Oberkörper über den Tisch, warf die Gläser um, rutschte auf den Teppich, raffte sich nochmals auf, lallte ein paar unverständliche Worte und glitt in seinen Sessel zurück.

Vor meinen Augen verschwamm jetzt alles. Als letztes prägte sich mir noch das höhnisch grinsende Gesicht des eleganten Chinesen ein. Meine Beine versagten mir den Dienst; ich knickte zusammen. Irgend jemand fing mich auf.

Dann wußte ich nichts mehr. –

Als mir allmählich das Bewußtsein zurückkehrte, war der erste äußere Eindruck, den mein wieder erwachtes Empfinden mir vermittelte, der heftiger Schmerzen in den Beinen. Matt, noch halb betäubt, riß ich die Augen auf. Tiefe Dunkelheit umgab mich. Ich merkte, daß ich irgendwo mit angezogenen Beinen in einem engen Behälter steckte. Die Schmerzen in den Beinen waren Wadenkrämpfe, hervorgerufen durch die unbequeme Lage.

Ein ununterbrochenes Rollen und Rütteln sagte mir, daß mein Gefängnis auf irgend einem Fortbewegungsmittel transportiert wurde. Als ich nun den Beinen eine andere Lage zu geben versuchte und mich bewegte, erklang plötzlich Harsts Stimme dicht neben mir.

„Ah – also wach, mein Alter! Wie fühlst Du Dich?“

„Es geht.“ Die Zunge gehorche mir nur widerwillig.

„Wir sind zur Zeit Kisten- oder Kofferreisende. Der Halunke hat uns nach Mandalay (die zweite Hauptstadt des ehemaligen Königreiches Birma) als Eilfracht aufgegeben.“

„Du scheinst ja leidlich guter Laune zu sein,“ brummte ich und begann meine Waden zu kneten.

„Wir haben allen Grund dazu, lieber Alter. Die Sache auf Zimmer Nr. 6 im Viktoria-Hotel hätte böse ablaufen können, wenn ich nicht rechtzeitig gemerkt hätte, daß wir es dort gar nicht mit dem ehrenwerten Herr Tschong, sondern dem Doppelgänger zu tun hatten.“

Mein Kopf wurde immer klarer.

„Wie – nicht Tschong, sondern –“

„Ja ja, es ist so! Weiß der Himmel, was der Kerl mit Tschong angestellt[5] hat. Vielleicht hat er ihn ermordet. Das werden wir schon noch herausbringen.“

Mein Hirn arbeitete bereits recht genau. „Woher weißt Du denn, daß wir nach Mandalay unterwegs sind? Du mußt doch auch eben erst erwacht sein.“

„Keine Rede, – ich war nie bewußtlos! – Laß Dir alles in Kürze erzählen. Als der falsche Tschong sich mir durch seine Brille verraten hatte –“

„Brille?“ meinte ich erstaunt.

„Nun ja. Der echte Tschong ist recht kurzsichtig und hatte in seiner Brille sehr scharfe Gläser. Der andere aber trug nur Fensterglas. Das erkannte ich sehr bald. Man muß eben sehen können. Das war aber auch das einzige Unterscheidungsmerkmal der beiden. Sogar genau dieselben Ringe trug der falsche Tschong. – Jedenfalls: ich wußte nun, daß der Doppelgänger jetzt im Viktoria-Hotel die[6] Rolle des Diamantenhändlers spielte. Ich gab auf alles scharf acht, was er tat.“

„Gestatte,“ unterbrach ich ihn da. „Brillengläser aus Fensterglas als einziger Beweis für –“

„– genügen vollauf für die Gewißheit, einen anderen Menschen vor sich zu haben,“ ergänzte Harst gelassen. „Wer so kurzsichtig ist wie Tschong, kann durch Fensterglas so gut wie nichts sehen und wird daher doch nicht eine solche Brille plötzlich zwecklos tragen! Überlege Dir das mal.“

„Allerdings –“

„Na also! – Ich ließ den „Unechten“ also ruhig den Eispunsch bestellen, setzte mich auf seine Bitte auch ans Klavier. Der Kerl ist schlau, aber nicht schlau genug. Links vom Klavier stand ein hoher Eckspiegel. Wenn ich mich auf dem Klaviersessel etwas nach links beugte, konnte ich im Spiegel den Tisch bequem beobachten. – Mich hatte der Halunke durch den „Feuerzauber“ kalt gestellt. Dich beförderte er auf den Teppich, indem er die Zigarettenschale vom Tische warf. So hoffte er unbemerkt den Inhalt des in seiner Hand verborgenen Fläschchens in unsere Gläser gießen zu können. Aber der Spiegel verriet alles. Und nachher, als wir tranken, behielt ich den Punsch im Munde, fiel dann über den Tisch, warf die Gläser um und ließ den Punsch aus dem Munde auf das Tischtuch rinnen. Meine Betäubung war Komödie. Der Kerl schleppte uns nacheinander in sein Schlafzimmer, leerte uns die Taschen und verstaute uns in des echten Tschong Riesenkoffer. Wahrscheinlich rechnet er damit, daß wir hier bereits erstickt sind. Und dies wäre wohl auch geschehen, wenn nicht mein linker Ärmelaufschlag gewesen wäre mit dem stets darin befindlichen kleinen, starken Messer, das uns schon wiederholt gute Dienste geleistet hat. – Da – siehst Du den schwachen Lichtschimmer. Ich habe sechs Löcher dort in die Hinterwand des Rohrplattenkoffers gebohrt. Und die beiden Schlösser werden in kurzem völlig herausgeschnitten sein. Es war eine mühselige Arbeit so ganz im Dunkeln nur nach dem Tastgefühl. Ich habe überall schon Blasen an den Händen. Aber was tut das! Wir werden in kurzem frei sein. – Daß wir uns im Güterwagen eines nach Mandalay bestimmten Personenzuges befinden, hörte ich beim Verladen aus den Zurufen der Bahnbeamten. – So – das wäre alles.“

– – – – – – – –

Meine Wadenkrämpfe hatten aufgehört. Ich war jetzt völlig munter und wieder bei Kräften.

„Weshalb in aller Welt sprangst Du dem Schuft nicht im Salon des Hotels sofort an die Kehle?“ fragte ich leicht gereizt. „Weshalb müssen wir hier wie die Pökelheringe hocken und –“

„Verdirb mir doch nicht die Siegerlaune,“ unterbrach Harald mich. „Was hätte es uns geholfen, wenn ich den Kerl überwältigt hätte? Wäre ich dann wohl in der Lage gewesen, alle Geheimnisse dieses gefährlichen Menschen aufzuklären?! Er hätte sich in Schweigen gehüllt. Und wir – hätten dann mühsam ermitteln müssen, in welchen Beziehungen er zum echten Tschong steht, weshalb er in die Polizeidirektion eingebrochen ist und warum er in den Sezierraum hineinwollte.“

„Ah – ich verstehe: dieser Doppelgänger ist’s, der als Tschong mit dem Ausweis der Malcapier zum Polizeidirektor kam und die Erlaubnis zur Einäscherung der Leiche erwirkte.“

„Fraglos ist es so. Der echte Tschong ist ja erst morgens um neun Uhr mit dem Dampfer Godawari in Rangun angelangt, und zur selben Stunde war ja der andere bereits mit dem Ausweis im Polizeigebäude.“

„Hm – eine verzwickte Sache, Harald! Was soll das alles?“

„Ja – wenn ich das wüßte! Es ist ja auch lediglich eine Vermutung von mir, daß der „Unechte“ der Einbrecher war. Ich reime mir die einzelnen Vorgänge so zusammen: der falsche Tschong ist ein sehr guter Bekannter der Malcapier. Er war im Besitze des Ausweises, der ihn berechtigt, die Leiche zu verbrennen. Er hat wahrscheinlich den echten Tschong irgendwie zu der Reise nach Rangun bestimmt, um dann hier als Tschong auftreten zu können, den man als Ehrenmann überall kennt.“

„Halt – eine Zwischenfrage. – Man fährt mit dem Dampfer von Kalkutta bis Rangun meines Wissens mindestens vier Tage. Vor vier Tagen lebte die Malcapier noch. Und der falsche Tschong konnte deren Tod doch nicht vorausahnen! Was wollte er also in Rangun? Wozu lockte er den „Echten“ hierher?“

„Bedauere – die Fragen müssen noch offen bleiben. Ich kann sie wirklich noch nicht beantworten – noch nicht! – Weiter aber. – Der falsche Tschong hatte Kenntnis davon, daß die Malcapier etwas bei sich trägt, das von Wert ist. Dieser „Wert“ kann irgend welcher Art sein. Ich glaube nicht, daß es sich direkt um Geldwert handelt. Jedenfalls wollte der „Unechte“ diese Werte an sich bringen. Er versucht es also mit einem Einbruch. Doch Fenstergitter und Schloß des Sezierraumes halten seinen Anstrengungen stand. Er hat nämlich auch an den Fenstergittern mit einer Stahlsäge gearbeitet, wie ich feststellte, als ich mir die Fenster ansah. Zum Schein stattet er der Fundkammer dann einen Besuch ab. Er wollte also jeden Verdacht vermeiden, der Einbrecher könnte an der Leiche ein besonderes Interesse gehabt haben. Da die gewaltsame Inbesitznahme der an der Toten verborgenen Werte mißglückt war, ging er am anderen Morgen um 9 Uhr zum Polizeidirektor mit dem Ausweis. Um 9 Uhr! Denn – der Godawari sollte ja schon um 7 Uhr am Kai festgemacht haben, verspätete sich aber um 2 Stunden. Das wußte der unechte Tschong offenbar nicht. Sonst wäre er erst um 10 Uhr beim Polizeidirektor erschienen. – Nun noch etwas über sein Verhältnis zu uns. Er hat uns vorgestern dauernd beobachtet. Er benahm sich wenig geschickt dabei. Er fürchtet uns. Deshalb ist er uns auch in der Verkleidung als Straßenhändler von dem Polizeigebäude bis zum Viktoria-Hotel nachgeschlichen. Vorher muß er Tschong schon beseitigt gehabt haben. Daß wir mit Tschong auf jener Bank saßen und sprachen, hat er fraglos gewußt.“

„Ich bleibe dabei: eine verzwickte Sache!“ meinte ich nachdenklich. „So vieles hängt dabei in der Luft! – Und – was nun?“

„Welche Frage, mein Alter! Was nun? – Sehr einfach: Wir werden aus unserem Gefängnis schlüpfen, werden auf der nächsten Station heimlich den Güterwagen verlassen und nach Rangun schleunigst zurückkehren, um rechtzeitig zur Einäscherung der Malcapier einzutreffen. Bei dieser Einäscherung dürfte sich so manches ereignen. – Ich will jetzt die Schlösser vollends herausschneiden. –“

Nach einiger Zeit befahl Harst dann, ich solle mich mit dem Nacken fest gegen den Kofferdeckel stemmen. Er half mit. Wir lüfteten den Deckel jedoch trotz aller Anstrengungen nur ganz wenig.

„Es stehen Gepäckstücke darauf,“ meinte Harald. „Ein böses Pech! Versuchen wir’s nochmals. – Eins – zwei – drei, – feste, mein Alter, feste!“

Da, – diesmal gelang’s. Polternd stürzten schwere Gegenstände herab.

Wir warteten, ob jemand durch den Lärm herbeigelockt werden würde. Nichts regte sich. So konnten wir denn nun den großen Koffer verlassen, drückten den Deckel wieder zu, tasteten nach den herabgefallenen Kisten, legten sie wieder hinauf und verkrochen uns hinter einem Stapel von Fässern. – Es war hier ebenfalls vollständig finster. Wir hörten Regentropfen auf das Wagendach klatschen.

Plötzlich kreischten die Bremsen. Der Zug fuhr langsamer, hielt. Der Stationsname wurde ausgerufen.

„Ah – Pegu!“ meinte Harst. „Eine größere Stadt. Hier kommt sicher noch Fracht hinzu. Sobald der Wagen geöffnet wird, drücken wir uns, und wenn wir ein paar Boxhiebe austeilen müßten. Bleibe stets dicht hinter mir. Wir schlüpfen zwischen den Waggons durch nach der dem Stationsgebäude entgegengesetzten Seite.“

Nun, die Boxhiebe erübrigten sich. Wir kamen unbemerkt davon. Es goß in Strömen, und die Regenschleier erleichterten unsere Flucht. –

Die erleuchtete Bahnhofsuhr zeigte fünf Minuten nach elf Uhr abends, als wir auf diese Weise die Freiheit wiedererlangt hatten. Harst fragte sich dann bis zur Wohnung des Polizeidirektors von Pegu durch. Wir klingelten Mr. Rotterkold rücksichtslos heraus. Es war ein älterer Herr, Stockengländer, aber sehr entgegenkommend, als Harst ihn in alles eingeweiht hatte. Er wollte uns sein Dienstauto zur Rückkehr nach Rangun zur Verfügung stellen. Harst lehnte ab. „Dann haben wir zu viel Mitwisser,“ meinte er. „Nennen Sie mir jemand, der ein gutes Auto verleiht, und helfen Sie mir mit 500 Pfund aus, die ich Ihnen telegraphisch dann wieder zustelle.“ –

Genau um Mitternacht fuhren wir in einem tadellosen Rippley-Wagen von Pegu ab. Bis Rangun sind es 132 Kilometer. Das Auto schaffte sie in 1¼ Stunde. Der Chauffeur erhielt ein gutes Trinkgeld und machte sofort wieder kehrt. Wir hatten uns am Bahnhof absetzen lassen und schlichen nun durch enge Seitengassen zum Zollhafen hinunter. Auch hier in Rangun regnete es. Wir gelangten unbemerkt an Bord unserer Jacht. Im Wohnsalon brannte noch Licht. Als wir eintraten, sprang unser braver Kapitän Jakob Weber sofort auf, rief:

„Gott sei Dank! Wenn Sie bis 6 Uhr morgens nicht erschienen wären, hätte ich Inspektor Worbster benachrichtigt.“

Auch unser Maschinist Jürgensen war noch munter. Er kam halb angezogen in den Salon und besorgte uns dann schnell in der kleinen Küche eine warme Mahlzeit. –

Bevor es hell wurde, verließen zwei zerlumpte bärtige Inder die Jacht und drückten sich am Flußufer entlang dem Pazundaung Kanal zu. Die Inder waren Harst und ich. Wir hatten nun wieder alles bei uns, was wir stets bei uns trugen: Repetierpistolen, Taschenlampen, Ersatzbatterien und starke Taschenmesser mit allerlei Instrumenten daran.

Harst deutete plötzlich auf einer kleinen Lichtung, in die wir soeben eingedrungen waren, auf eine Wagenspur.

„Da – der Wagen ist hier hinein- und wieder herausgefahren. Vielleicht hat er das Holz für den Scheiterhaufen gebracht. Folgen wir den Eindrücken der Räder.“

Die Spur führte um einen eingestürzten, rankenüberwucherten Turm herum. Dann hatten wir den Holzstoß vor uns. Er stand dicht neben der einen Turmmauer, die noch drei Meter hoch hier emporragte.

Harst packte plötzlich meinen Arm und riß mich zur Seite.

„Hinwerfen!“ raunte er mir zu.

Ich tat’s. Er kroch nun auf allen vieren zwischen die Steintrümmer, bis wir in das mit Geröll angefüllte Innere der Turmruine gelangten. Harst war genau so erstaunt über das Aussehen dieses quadratischen, oben offenen Raumes wie ich. Offenbar konnte man nur gerade auf dem schmalen Kriechpfade, den Harst mehr durch Zufall entdeckt hatte, hierher gelangen. Das Geröll war nur Blendwerk sozusagen. Erkletterte man es, denn es lag wie eine zwei Meter hohe Schanze da, so gewahrte man unter sich den aus Steinplatten bestehenden ehemaligen Fußboden dieses untersten Turmgemachs. Diese Platten waren sauber gefegt und zeigten noch deutlich das hübsche Bogenmuster und ihre schwarzen, roten und gelblichen Farben. Es war hier auf diese Weise ein nur schwer auffindbares Versteck geschaffen worden, dessen Grundfläche mindestens 12 Quadratmeter hatte. In einer Ecke stand ein kleiner eiserner[7] Kochherd; daneben eine Kiste aus dunklem Holz. Hinter der Kiste lagen in einer Nische des höchsten Mauerteiles zerkleinertes Holz, Kohlenstücke und ein Emaillekochtopf.

Harst kniete jetzt oben auf der Geröllschanze, schaute sich sehr genau um und flüsterte dann: „Ich sah vorhin hinter dem Scheiterhaufen in den Büschen einen Mann, einen Birmanen, der uns den Rücken zukehrte und ein langes Messer im Munde hatte. Was der Kerl dort tat, war nicht zu erkennen. Er bückte sich nachher, und ich merkte nur an den Bewegungen der Büsche, daß er am Boden mit irgend etwas herumhantierte. Am besten ist, wir erklettern ganz leise die Mauerkrone dort. Sie ist sehr breit, und es wächst so viel Unkraut da oben, daß es uns völlig verbergen wird. Ich fürchte, der Kerl da draußen hat hier seinen Schlupfwinkel. Vorwärts, ich helfe Dir hinauf.“

Der noch am besten erhaltene Mauerteil war die westliche Turmwand. Sie war, wie schon erwähnt, gegen drei Meter hoch und oben glatt abgebrochen. Es war nicht allzu schwer hinaufzugelangen. Sie hatte eine Stärke von zwei Meter. Kleinere Büsche und allerlei hochstämmiges Unkraut wucherten hier so dicht, daß wir uns erst mit dem Messer Platz schaffen mußten. Wir legten uns so, daß wir mit den Köpfen dicht beisammen waren, während unsere Körper auseinanderstrebten. Dies bot den Vorteil einer leichten Verständigung. Außerdem waren wir so von unten kaum zu bemerken.

Harst schnitt nun noch Aussichtslöcher sowohl nach außen als nach innen in das Gestrüpp, zog jeden Busch sehr langsam heraus und schob ihn zur Seite. Dann kroch er etwas vor und hielt nach dem Birmanen Ausschau. Als er den Kopf mir wieder zuwandte, hatte er die Augen halb zugekniffen. Sein Mund war zu einer schmalen Linie zusammengepreßt.

„Was gibt’s, Harald?“ fragte ich flüsternd.

Er deutete stumm auf das andere Aussichtsloch. Ich verstand. Behutsam schob ich mich näher heran. Harst tat dasselbe. Wir konnten nun das Innere der Ruine bequem überblicken.

In dem Gestrüpp, durch das auch wir hier eingedrungen waren, rauschte und knisterte es. Jemand kam also den Schleichweg entlang.

Da – jetzt erschien – der Kopf einer Ziege; dann ein gelbbrauner Männerarm.

Der Birmane, ein schon grauhaariger Kerl mit einer geradezu auserlesenen Gaunervisage, schleppte eine frisch geschlachtete Ziege in die Ruine.

Nachdem er den Geröllwall überklettert und das Tier auf die Steinplatten gelegt hatte, kam für uns die größte Überraschung.

Der Alte zog sein Messer, steckte es in eine Ritze zwischen die Steinplatten, drückte und – plötzlich klappten vier der Platten, die einen Kreis bildeten, langsam nach unten auf.

Harst gab mir einen gelinden Stoß. Ich sah ihn an. Seine Augen leuchteten jetzt förmlich vor Triumph.

Der Birmane kletterte in das runde Loch hinein. Es mußte da eine Leiter geben. Dann zog er die tote Ziege hinterdrein. Mann und Tier verschwanden, und die steinerne Falltür schloß sich wieder völlig geräuschlos.

„Na?!“ meinte Harst. „Ganz interessant, nicht wahr?!“

„Etwas reichlich Proviant für einen einzelnen Mann,“ flüsterte ich. „Das Fleisch muß doch verfaulen, ehe der Kerl es ganz aufessen kann, – bei der Hitze!“

Harst lachte lautlos in sich hinein.

„Lieber Alter, guck’ doch mal nach außen an der Mauer hinab. – Aber leise, vorsichtig, daß ja kein Steinchen abrutscht.“

Ich wechselte den Platz. – Was sollte es da wohl zu sehen geben? – Nun hatte ich den Kopf in das zweite Aussichtsloch gesteckt, lugte durch die Stauden, die Harst als Schirm noch hatte stehen lassen, hindurch. – Richtig – dicht vor mir lag da der große, länglich viereckige Holzstoß, der Scheiterhaufen! Aber – weiter bemerkte ich nichts – gar nichts.

Ich legte mich wieder neben Harst. „Außer dem Scheiterhaufen kann ich –“

„Nun – genügt das nicht?!“ unterbrach er mich. „Pst – der Kerl erscheint wieder!“ fügte er hinzu.

Ja – die Falltür war wieder herabgeklappt. Der Birmane entstieg dem Loch. Die Steintür ging von selbst wieder hoch. Er zog eine billige Nickeluhr hervor, nickte zufrieden, setzte sich und begann sich dann eine Zigarette zu drehen, die er mit einem Benzinfeuerzeug anzündete.

Nach ein paar Zügen tauchte er in dem Gestrüpp des Schleichweges unter.

Harst richtete sich halb auf, bis er über die Stauden hinwegsehen konnte. Dann bückte er sich.

„Der Birmane geht nach der Stadt,“ sagte er halblaut. „Wir können es jetzt getrost wagen, den unterirdischen Raum zu durchsuchen.“

– – – – – – – –

Die Falltür öffnete sich prompt, als Harst die große Klinge seines Taschenmessers in die Spalte eingeführt und nur leicht gedrückt hatte. Wir sahen jetzt das obere Ende einer Leiter. Harst stieg als erster in den engen Schacht ein. Dieser mündete in einen ausgemauerten Keller, der sich nach Westen zu, abgeteilt durch Zwischenwände, gut fünfzig Meter weit hinzog.

Der Keller war mit Ballen, Kisten, Tonnen und altertümlichen Geräten angefüllt. Der erste Raum hatte quadratische Form und maß etwa acht Meter im Geviert. Die tote Ziege lag in der Mitte, und daneben eine zweite, breitere Leiter. Aber – merkwürdig genug! – der Tierkadaver war jetzt vollständig in helle, bunte Decken gehüllt. Hätte Harst mich nicht darauf aufmerksam gemacht, so würde ich den länglichen Gegenstand nie als den Tierkadaver erkannt haben. – Aber: der Kopf und die Füße des Tieres fehlten jetzt.

„Ganz wie ich vermutete,“ meinte Harst und hüllte die Ziege wieder ein.

„Was vermutetest Du denn?“

Er deutete nach oben und ließ den Lichtkegel seiner Taschenlampe über die gewölbte, gemauerte Decke des Kellers gleiten.

Gerade über dem Tierkadaver gewahrte ich ein viereckiges Loch.

„Ein Ausgang ins Freie,“ sagte Harst und hob die Leiter auf, lehnte sie an die Wand des Schachtes und stieg empor. „Eine Steinplatte als Deckel,“ meldete er. Und dann gewahrte ich einen schwachen Schimmer von Tageslicht. Harst hatte die Steinplatte angehoben.

Er kletterte wieder herab, nachdem er den Deckel wieder eingefügt hatte, brachte die Leiter an den alten Platz und meinte:

„Dort hinter jenen Kisten ist Raum genug für uns. Verbergen wir uns.“

Als wir in dem Versteck dicht nebeneinander hockten, fragte ich: „Was ist’s nun eigentlich mit der eingewickelten toten Ziege?“

„Ersatz für eine menschliche Leiche,“ erwiderte er lakonisch.

Ich begriff jetzt alles.

„Ah – die Steinplatte dort liegt gerade unter dem Scheiterhaufen, und der Birmane wird die Ziege gegen die Leiche austauschen.“

„Stimmt! Damit nachher doch Knochenreste vorhanden sind! – Wenn der falsche Tschong zuerst durch feuchtes Holz beim Anzünden des Holzstoßes genügend Qualm erzeugt, kann der Birmane ohne Gefahr in dem kastenartig errichteten Scheiterhaufen hochklettern und den Austausch unbemerkt vornehmen.“

„Eine unglaubliche Geschichte! – Wir werden den Doppelgänger dann also hier abfassen?“

„Gewiß! Sicherer als hier haben wir ihn nirgends in der Hand.“

Wir saßen in völliger Finsternis hinter den Kisten. Nicht ein Lichtstrahl des sonnigen Morgens drang in diese Räume hinein, in denen eine feuchtwarme, stickige Luft lagerte.

„Hörst Du?!“ flüsterte Harst plötzlich.

Ich fuhr aus halbem Schlummer empor, lauschte.

Irgendwoher kam ein leises, dumpfes Röcheln, dann ein qualvolles Aufstöhnen.

Mir lief ein eisiger Schauer über den Leib.

„Was – was bedeutet das?“ stammelte ich.

„Bitte – leise! – Da – die Falltür ist geöffnet worden. Sieh die breite Lichtbahn –“

Der Birmane stieg die Leiter herab. Der Lichtschein verschwand wieder. Dann leuchtete eine große Petroleumlaterne auf. Der Alte schlurfte faul auf die Ziege zu, blieb stehen, versetzte dem Kadaver einen Tritt und brummte etwas ärgerlich vor sich hin. Er stellte nun seine Laterne auf ein Faß und entnahm einer Kiste einen Teller, den er mit gekochtem Reis füllte. Dazu legte er auch noch ein paar Stücke gebratenes Fleisch. Mit dem Teller und der Laterne ging er weiter in die entfernteren Kellerräume hinein.

Harst hatte seine Bastschuhe abgestreift. „Ich folge ihm. Warte hier,“ raunte er mir zu. Er kehrte jedoch sehr bald wieder zurück. „Ich darf nicht wagen, meine Lampe einzuschalten,“ flüsterte er. „Der Alte ist verschwunden, als hätte ihn die Erde verschluckt. Ich sah noch den rötlichen Lichtschein seiner Laterne an der hintersten Wand. Dann – nichts mehr. Totenstille! Da gab ich die Sache auf.“

„Was wollte er wohl mit den Speisen?“ meinte ich.

„Vielleicht diniert er jetzt in seinem Eßzimmer,“ witzelte Harst, fügte aber sofort in ganz ernstem Tone hinzu: „Der Fußtritt gefiel mir nicht!“

„Welcher Fußtritt?“

„Den er der Ziege versetzte. – Still – da ist er wieder.“

Des Alten träge Schritte waren schon von weitem zu hören. Er trug jetzt nur die Laterne, stellte sie wieder auf das Faß und setzte sich auf eine leere Kiste, drehte sich eine Zigarette und lehnte sich an die Mauer. Der Schein der Laterne fiel gerade auf die Ziege. Wir in unserem Versteck konnten getrost über die Kistenränder hinweglugen. Der Birmane konnte uns unmöglich bemerken.

Nachdem er die Zigarette aufgeraucht hatte, wickelte er die Ziege aus den Decken heraus, legte diese sauber zusammen, trug den Kadaver in den nächsten Kellerraum und legte die Decken als Polster auf die Kiste. –

Unsere Geduld wurde auf eine sehr harte Probe gestellt. Der Alte rauchte eine Zigarette nach der anderen. Es war jetzt längst 7 Uhr vorüber. Die Einäscherung mußte also schon begonnen haben, falls sie nicht gerade aufgegeben worden war.

Da – der Birmane stand auf, begann hin und her zu gehen, murmelte allerlei vor sich hin. So trieb er es mindestens zehn Minuten. Man merkte, daß er ungeduldig war, daß er auf irgend etwas wartete.

Dann – hob er die Leiter auf, lehnte sie oben gegen die viereckige Deckenöffnung und stieg langsam empor.

Wie ein Hauch jetzt Harsts Stimme: „Wir sind die Hereingefallenen. Das Programm ist geändert worden. Schon als der Kerl der Ziege so ärgerlich den Fußtritt gab, kamen mir Bedenken. Der Fußtritt besagte: „Schade, ich habe Dich nun ganz umsonst geschlachtet!“ – Der falsche Tschong hat eben die Werte auf andere Weise an sich bringen können und dem Alten irgendwie bedeutet, daß der Austausch nicht mehr nötig sei.“

Durch den Schacht fiel jetzt Tageslicht in den Keller. Der Birmane mußte die Steinplatte ziemlich weit gelüftet haben. Aschenteilchen flatterten herab in ganzer Wolke. – Das Tageslicht erlosch. Der Alte kletterte nach unten, trug die Leiter weg. Dann nahm er die Laterne und schlurfte, abermals allerlei vor sich hin brummelnd, nach dem runden Zugangsschacht, der in die Turmruine führte. Wir konnten ihn jetzt nicht mehr sehen. Aber der Tageslichtschimmer von dorther bewies, daß er die Falltür geöffnet hatte und in das Innere des Turmes hinaufgestiegen war. – Und wieder begann für uns dies quälende Warten, jetzt doppelt unangenehm, da wir befürchten mußten, daß der Doppelgänger uns mit den Werten entwischte. Als ich dies zu Harst äußerte, flüsterte er zurück: „Noch ist nichts verdorben. Auch ich habe jetzt mein Programm geändert. Sobald der Kerl hier wieder erscheint, packen wir ihn. Ich glaube, der falsche Tschong hat ihn hintergangen. Der Alte ist wütend. Vorhin verstand ich ein einzelnes birmanisches Wort „Pitochula“. Das bedeutet so viel als „gelber Pestpilz“ und ist hier das gebräuchlichste Schimpfwort für die Chinesen. Wir – Ah – er kommt.“

Ja – er kam! Und er ging jetzt ganz anders als vorhin, fuchtelte mit der rechten Hand herum und sprach laut und sehr erregt mit sich selbst.

Harst schlüpfte hinter den Kisten hervor. Der Alte wollte gerade die Laterne auf das Faß setzen, als Harald ihm die Hand schwer auf die Schulter legte.

Der Birmane kreischte entsetzt auf, fuhr herum.

Er sah einen großen, schlanken, schmierigen Inder vor sich. Aber – der Inder hielt ihm jetzt eine Pistole vor das Gesicht und sagte in tadellosem Englisch:

„Wie heißt Du?“

Für alle Fälle hatte ich mich hinter den Birmanen geschlichen, räusperte mich.

Der Kerl prallte zur Seite, fiel nun plötzlich in die Knie, winselte vor Angst.

Er glaubte, wir seien Polizeibeamte. Er versprach hoch und heilig, die volle Wahrheit zu sagen. –

„Gut, setz’ Dich dort auf die Kiste,“ meinte Harst. „Wo trugst Du vorhin den Teller Reis und Fleisch hin?“

„Ich habe dort hinten alles allein aufgegessen,“ stotterte der feige Halunke.

„So so! – Wozu hast Du die Ziege geschlachtet?“

„Für mich und meine Familie. Ich wollte sie nachher mit nach Hause nehmen.“

„So so! – Ist die Leiche oben verbrannt worden?“

„Ja –“ Das kam sehr ängstlich heraus.

„Weshalb hast Du die Ziege nicht gegen das tote Weib ausgetauscht?“

Der Alte riß den Mund vor Schreck ganz weit auf. Dann stotterte er: „Ich – ich verstehe nicht, was –“

Harst machte eine kurze Handbewegung. „Schweig! Deine Zunge kennt nur Lügen. – Schraut, binde ihn. Dort liegen Stricke.“

Der Kerl heulte vor Angst. Aber – er gestand nichts. Wir banden ihn an eine Tonne fest. Dann durchsuchten wir die hinteren Kellerräume. Zuerst fanden wir nichts, bis – bis mir wieder ein eisiger Hauch über den Rücken strich. Ich hatte abermals dieses qualvolle Stöhnen gehört!

Woher nur drang es zu uns – woher? – Harst lauschte, flüsterte dann: „Der arme Tschong muß sich in einer furchtbaren Lage befinden!“

„Tschong? Tschong?!“

„Nun ja! Die Vermutung liegt doch sehr nahe, daß der Doppelgänger den Diamantenhändler hier gefangen hält und daß der Reis für diesen Gefangenen bestimmt war. Als der alte Schuft von Birmane mit dieser Mahlzeit hier verschwand, dachte ich sofort an Tschong. Oder besser: ich dachte schon an ihn, als ich das erste Stöhnen hörte.“

Da – wieder dieses entsetzliche Wimmern.

„Ich hab’s!“ rief Harald. „Ich hab’s!“ Er eilte geradeaus bis zur Hinterwand des Gewölbes, brüllte ganz laut:

„Tschong, Tschong, wo stecken Sie? Hier ist Harst! Melden Sie sich!“

Wir horchten. Wir regten kein Glied.

Und abermals rief Harst, jetzt noch lauter: „Tschong – Tschong!“

Wieder nur dieselbe Totenstille.

Harst schaute mich an. „Begreifst Du das?! Er muß uns doch hören! Und – er könnte stöhnen, wimmern, also Antwort geben! Weshalb tut er’s nicht?!“

Nochmals brüllte er:

„Tschong, Harst ist hier! Wir vernahmen Ihr Stöhnen!“

Kein Laut – nichts! –

Wir suchten dann eine volle Stunde nach einem geheimen Gelaß. Es mußte ja ein solches geben. Wir fanden nichts – nicht eine Spur eines Eingangs.

Da ging Harst nach vorn, setzte dem gefesselten alten Schuft die Pistole an die Schläfe und sagte:

„Wo habt Ihr Tschong versteckt? – Willst Du uns hinführen, ja oder nein? Ich zähle bis drei, dann drücke ich ab!“

Der Kerl kreischte.

„Ich weiß nichts von einem Tschong – gar nichts! Ich bin ein armseliger Flußfischer, der –“

„Schmuggler bist Du! Diese Waren hier sind geschmuggelt,“ unterbrach Harst ihn kalt. „Ich beginne zu zählen: Eins – zwei –“

Der Alte winselte nur noch leise und schnappte halb ohnmächtig nach Luft. Aber auch jetzt verriet er nichts.

Harst schob die Repetierpistole in die Tasche.

„Ich biete Dir 300 Pfund, wenn Du uns Tschongs Gefängnis zeigst,“ erklärte er dann. „Weißt Du, wer ich bin?“

Der Alte hob den Kopf, grinste schlau.

„Herr, Du riefst vorhin ja Deinen Namen –“

„Nun also. – Ich halte mein Wort. 300 Pfund ist viel Geld. Außerdem verspreche ich Dir, Dich nicht der Polizei auszuliefern.“

Der Birmane nickte eifrig. „Herr, schnüre mich los. Ich vertraue Dir.“

Er führte uns dann in den hintersten Kellerraum, stieg auf eine große Kiste und öffnete über dieser eine in die Wand eingelassene Holztür, die täuschend ähnlich wie Mauerwerk dick mit Farbe bemalt war. – Harst schwang sich in das Loch hinein. Eine Steintreppe lief in einen kleinen Raum hinab, in dem in Drahtschlingen, die um Hand- und Fußgelenke geschlungen waren, von der Decke ein Mensch herabhing, eng zusammengekrümmt, den Rücken nach unten mit einem Knebel im Munde.

Es war der reiche Edelsteinhändler Tschong aus Kalkutta.

Im Nu hatten wir ihn befreit. Er knickte kraftlos zusammen. Seine Gelenke waren durch die Drähte zerschnitten. Er mußte Folterqualen ausgestanden haben.

Er erholte sich schnell. Die Chinesen sind zäh.

Und dann – dann kam für uns die maßlose Enttäuschung. Als Harst ihn bat, uns mitzuteilen, wer nun eigentlich der Doppelgänger sei, da antwortete er höflich, aber sehr bestimmt:

„Ich bin Ihnen zu großem Danke verpflichtet, Herr Harst. Ich bitte Sie jedoch, nicht weiter mit Fragen in mich zu dringen. Ich werde weder Ihnen noch sonst einem Menschen eine Erklärung über all diese Dinge abgeben. Verargen Sie mir diese Weigerung nicht. Ich – darf nicht sprechen!“

Harst musterte Tschong durchdringend, sagte dann:

„Gut, wie Sie wollen. Ich erfahre die Wahrheit doch! – Gehen wir.“

– – – – – – – –

Harst winkte einen leeren Wagen heran. „Polizeidirektion“ befahl er dem Lenker.

„Himmel – was bedeutet all das?!“ fragte ich jetzt. „Aus diesem Verhalten Tschongs wird ja kein Mensch klug.“

„So?! Du irrst! So etwas klug bin ich doch daraus geworden. – Wollen sehen, was Worbster zu berichten hat.“

Der junge Inspektor war in seinem Dienstzimmer. Harst verschwieg, was wir erlebt und durchgemacht hatten, wollte nur schnell hören, ob die Einäscherung ohne Zwischenfall vor sich gegangen sei.

„Ja – ohne jeden Zwischenfall,“ meinte Worbster. „Tschong fand sich heute früh rechtzeitig ein. Wir verluden die Leiche in einem Wagen und fuhren hinter diesem her, – wir, das heißt Tschong, Detektivsergeant Willing, ich und zwei Birmanen, die Tschong mitgebracht hatte. In den Ruinen stand der Scheiterhaufen schon bereit. Die Tote wurde hinaufgelegt, und bereits um ½10 Uhr war alles vorüber. Tschong sammelte die Asche zusammen, tat sie in eine silberne Büchse und fuhr mit uns nach der Stadt zurück.“

„Und doch sind Sie hintergangen worden, mein Lieber,“ sagte Harst und stand von seinem Stuhle auf. „Hatte die Leiche noch die Sandalen an, als sie auf dem Scheiterhaufen lag?“

Worbster machte ein sehr langes Gesicht. „Hm – ja, ich besinne mich, – die linke Sandale war unterwegs wohl verloren worden. Sie fehlte.“

„Ja – und sie war – die Hauptsache. – Auf Wiedersehen. Wir haben’s eilig!“

Worbster wollte uns zurückhalten, aber wir eilten schon den Flur entlang. Auf der Straße faßte ich Harald unter.

„Du – das Geheimnis steckte in der Sohle der Sandale, nicht wahr? – Du hast die Sohle damals im Sezierraum sicher nicht umsonst abgetrennt.“

„Sehr richtig, mein Alter. Die Sohle war doppelt. Dazwischen lag noch eine weiße Sohle aus faserigen Stoff, den ein Dummer für Filz halten konnte. Aber – es war Asbest! Also ein Stoff, dem weder Feuer noch Wasser etwas anhaben kann. Und – in dieser Zwischensohle liegt der Schlüssel aller Rätsel, liegen „die Werte“, wie ich mich ausdrückte. Wozu wohl eine Asbestsohle zwischen Ledersohlen, wenn sie nicht eine bestimmte Bedeutung hat?! Ich kenne keine Schuhe oder Sandalen, die man in dieser Art herstellt.“

„Was vermutest Du?“

„Eine Urkunde oder dergleichen, geschrieben auf Asbestpapier und nachher als scheinbar harmlose Filzsohle mehrfach zusammengelegt verarbeitet. – Ich weiß nicht, ob dies richtig ist. Ich – werde es aber wissen!“

Wir fuhren nach dem Viktoria-Hotel. Der Portier wollte uns dreckige Inder hinausweisen. Harst flüsterte seinen Namen. Das genügte. Wer kannte in Rangun nicht den deutschen Liebhaberdetektiv?!

„Melden Sie uns Mr. Tschong,“ befahl Harst.

„Sehr wohl. Mr. Tschong ist soeben heimgekehrt. Er ist gefallen und hat sich verletzt. Er war beim Arzt, sagte er mir.“ – Der Portier gab uns einen Boy mit. Dieser meldete uns an, kam zurück, bestellte:

„Mr. Tschong bedauert sehr, die Herren nicht empfangen zu können. Er packt seine Koffer und reist mit dem Tourdampfer abends nach Kalkutta ab.“

Harst schob den Knirps einfach beiseite, öffnete die Salontür und trat schnell ein. Ich blieb dicht hinter ihm.

Der Edelsteinhändler lag in einem Sessel und hatte eine Karaffe Kognak vor sich stehen. Er erhob sich mühsam seiner schmerzenden Fußgelenke wegen und verbeugte sich kühl.

„Ich habe wirklich keine Zeit, meine Herren,“ sagte er sehr förmlich.

Harst trat dicht an ihn heran, schaute ihm auf die Brillengläser, meinte dann:

„Ich sehe, Sie sind der echte Tschong. – Ich habe nur einiges mit Ihnen zu besprechen.“ Er setzte sich unaufgefordert. „Ich will Ihnen in aller Kürze einiges vorhalten, Herr Tschong,“ fuhr er dann fort. „Ihr Doppelgänger ist Ihr Zwillingsbruder. Nur Zwillinge sehen sich derart ähnlich und haben auch dasselbe Organ. Ihr Bruder ist auf Abwege geraten und Verbrecher geworden, ein Helfershelfer der Malcapier gewesen, wahrscheinlich ein Mitglied des berüchtigten Eidechsen-Bundes. – Sie senken den Kopf, Tschong. Also stimmt das bisherige. – Nun weiter. – Die Malcapier war einst Erzieherin in Ihrem Hause in Kalkutta. Dort hat sie vielleicht Kenntnis erhalten von irgend einem – Geschäft, das, wenn es bekannt geworden wäre, Ihren tadellosen Ruf für immer vernichtet hätte. Ich gebe zu, daß dies lediglich eine Kombination von mir ist. – Sie schweigen, lieber Tschong, – also trifft auch dies zu. – Die Malcapier wird von Ihnen ein schriftliches Schuldbekenntnis erpreßt haben, das Sie auf Asbestpapier niederschreiben mußten, sehr wahrscheinlich mit einer Tinte, die nur bei bestimmter Behandlung wieder sichtbar wurde. Dieses Bekenntnis ließ die Malcapier als Sohle in eine Sandale einarbeiten. –“

Tschong war aufgesprungen, rief: „Wo – woher wissen Sie das? Ist das wahr? Haben Sie diese Sandale?“

„Nein, leider nicht. – Wollen Sie nun aber nicht endlich offen uns gegenüber sein? Es wäre wirklich besser für Sie!“

Tschong sank in den Sessel zurück. „Ja – ich will. Die Hauptsachen kennen Sie ja doch schon, Herr Harst. – Wir Chinesen haben ein sehr stark entwickeltes Familiengefühl. Das muß ich vorausschicken. Unser Ahnenkult ist ja berühmt. Die Familie geht uns über alles. – Ich habe mich einmal auf einen Diamantenschmuggel eingelassen, habe dabei Millionen verdient. Die Malcapier als Erzieherin meiner Kinder kam dahinter. Ich erkaufte ihr Schweigen durch eine halbe Million, mußte ihr aber außerdem tatsächlich ein Bekenntnis meiner Verfehlungen aufsetzen. Ich hörte dann sehr lange nichts von ihr, bis ich in den Zeitungen ihren Namen fand – als den einer gefährlichen Verbrecherin. – Mein Zwillingsbruder Kuma Tawi hatte inzwischen aus Hongkong, wo er ein Seidenwarengeschäft besaß, flüchten müssen. Er hatte ebenfalls lange in Deutschland gelebt und – Doch das gehört nicht hierher. – Er kam heimlich zu mir. Gerade in jenen Tagen traf ein Brief der Malcapier für mich aus Bangkok ein, in dem sie mir mitteilte, sie mache mich durch den beifolgenden Ausweis zu ihrem Testamentsvollstrecker. Sie wolle nach ihrem Tode verbrannt werden. Und sie hätte so eine dunkle Vorahnung, daß sie vielleicht sehr bald gezwungen sein würde, selbst Hand an sich zu legen; sie kämpfe jetzt gegen einen Feind, der ihr zum mindesten ebenbürtig sei, gegen einen deutschen Liebhaberdetektiv namens Harst. Ich solle nach ihrem Tode und ihrer Einäscherung die Überbleibsel des Scheiterhaufens sehr genau durchsuchen. Dann würde ich das finden, was sie mir einst abgepreßt hätte und wovon sie doch nie irgendwie Gebrauch machen würde, da sie es in meinem Hause so sehr gut gehabt hätte. – Den Brief und den Ausweis vermißte ich nachher, als mein Bruder, reichlich mit Geld versehen, mich wieder verlassen hatte. Ich hatte Kuma Tawi nämlich zum Teil in jenes einstige Schmugglergeschäft eingeweiht gehabt und ihm auch von dem auf Asbest niedergeschriebenen Bekenntnis einiges angedeutet. Als er dann ohne mein Wissen den Brief der Malcapier gelesen hatte, mag er sich das, was ich ihm verschwiegen hatte, selbst zusammengereimt haben. Jedenfalls stahl nur er den Brief und den Ausweis. Er hat dann von mir dauernd Geld durch allerlei Boten verlangt. Er hätte mich ruiniert, wenn ich all diese Forderungen erfüllt hätte. Schließlich verweigerte ich jede weitere Zahlung. Da begann er zu drohen. Ich kümmerte mich nicht darum, bis er mir vor acht Tagen eine chiffrierte Depesche hier aus Rangun sandte, in der er sich erbot, mir jenes Schuldbekenntnis hier auszuhändigen, wenn ich ihm eine halbe Million zahlte; ich solle diese Ausgabe nicht scheuen, denn die Malcapier wolle jetzt aus mir durch das Bekenntnis weit mehr herauspressen. So fuhr ich denn wirklich mit dem Godawari hierher. Zu spät merkte ich, daß mein Bruder mich in eine Falle gelockt hatte. In den Anlagen des Großen Königssees wurde ich bald nach unserem Gespräch auf jener Bank überfallen und niedergeschlagen. Ich erwachte in jenem Keller der Ruinen. Mein Bruder wollte von mir nun einen Scheck über eine Million erzwingen. Ich blieb fest. Dann befreiten Sie mich, Herr Harst. – Nun wissen Sie alles –“

Das Geheimnis des Scheiterhaufens war jetzt aufgeklärt. Wir begannen Kuma Tawis Verfolgung, die uns nach Kalkutta führte, wo wir das gefährliche Wild auch zur Strecke brachten.

 

 

Der Mord in den Lüften.

 

Die erstickenden Glutwellen eines sonnigen, windstillen Sommertages lagerten über der hinterindischen Hafenstadt Rangun.

Die Straßen des Europäer- und Hafenviertels waren um die Mittagszeit wie ausgestorben. Nur an den Kais, wo die Tourdampfer nach den Nachbarhäfen ihre Liegeplätze hatten, herrschte einiges Leben. Wer nicht unbedingt bei dieser Backofenhitze ins Freie mußte, blieb daheim.

Wir saßen jetzt im Wohnsalon der Jacht und prüften abermals in längerem Zwiegespräch alles das, was wir bisher unternommen hatten, um den Anfang einer Fährte des Flüchtlings zu finden.

„Nein, wir haben nichts versäumt,“ meinte Harst und langte nach einer neuen Zigarette. „Wir verstehen uns doch auf derlei Dinge, mein Alter. Weder zu Schiff noch mit der Bahn, noch im Auto kann Kuma Tawi Rangun verlassen haben. Bleibt also nur die Annahme übrig, daß er sich hier noch verborgen hält.“

Wir hörten schnelle Schritte auf Deck. Dann eilte jemand die Kajütentreppe hinab. Es klopfte. Es war Inspektor Worbster.

„Guten Morgen. – Hier ist eine Depesche für Sie, Mr. Harst, die an mich gesandt worden ist als Diensttelegramm. – Bitte, lesen Sie. Es gibt Arbeit, und scheinbar recht außergewöhnliche.“

Harst las laut vor, damit auch ich sofort Bescheid wußte.

Mr. Harald Harst durch Detektivinspektor Worbster,

Rangun.

Heute früh 6 Uhr von eingeborenen Arbeitern in der Nähe des Dorfes Prabang leicht verwester Kopf eines Europäers gefunden. Gesichtszüge offenbar absichtlich durch Schläge mit stumpfem Instrument völlig unkenntlich gemacht. Würde sehr dankbar sein für Besuch hier. – Detektivinspektor Bloosley, Akyab.

Harst legte die Depesche weg.

„Hm – offenbar hat man also den Leib nicht entdeckt,“ meinte er. „Nur ein Kopf! Freilich, das könnte mich reizen. Aber ich habe ja Tschong versprochen, Kuma Tawi aufzustöbern.“

„Mit einem schnellen Auto sind Sie in 16 Stunden in der kleinen Hafenstadt, Mr. Harst,“ suchte Worbster seinem Kollegen Bloosley zu Hilfe zu kommen. „Ich stelle Ihnen ein Dienstauto zur Verfügung, einen Rennwagen.“

„Das sind mit Rückfahrt 32 Stunden, und mit Aufenthalt in Akyab rund vierzig, lieber Worbster, also fast zwei volle Tage!“

„Ganz recht. Aber Sie sind hier mit der Kuma Tawi-Geschichte ja doch so etwas auf dem toten Punkt angelangt. Ich verspreche Ihnen auch, während Ihrer Abwesenheit ebenso rührig zu sein wie bisher.“

„Alles sehr schön. Tschong würde ein sehr langes Gesicht machen, wenn ich Rangun verließe. Er ist ein braver Mensch alles in allem. Und – kann man wissen ob dieser Europäerkopf mich nicht tagelang in Akyab festhält? Wenn ich erst einmal –“

Er schwieg plötzlich, rief dann lebhafter: „Worbster telephonieren Sie mal sofort mit Bloosley. Oder nein, ich will es selbst besorgen. Von der Polizeidirektion aus werden wir ja sehr bald Anschluß bekommen.“

Worbsters Dienstauto wartete am Kai. Wir waren also in wenigen Minuten im Polizeigebäude und in des Inspektors Zimmer. Er meldete ein dringendes Gespräch nach Akyab an. Und bereits nach fünf weiteren Minuten hatte Harst den Inspektor Bloosley am anderen Ende des Sprechdrahtes.

Worbster und ich wurden von Harst stets sofort über Bloosleys Antworten unterrichtet. – Die Unterhaltung nahm folgenden Verlauf, nachdem Bloosley seiner Freude wortreich Ausdruck gegeben hatte, auf diese Weise den „weltberühmten Liebhaberdetektiv“ kennen zu lernen. (Zu dieser faustdicken Schmeichelei schnitt Harst eine wütende Grimasse.)

Harst. „Bevor ich mich entscheide, ob ich nach Akyab komme, einige Fragen, Mr. Bloosley. – Ist der Kopf auf freiem Felde gefunden worden?“

Bloosley. „Nein, unter einem riesigen, uralten Baume in einer steinigen Wildnis.“

Harst. „Ist der Kopf vom Rumpfe durch Schnitte oder einen Hieb mit einem Messer, Schwert oder dergleichen abgetrennt?“

Bl. „Das läßt sich kaum noch feststellen. Ameisen haben sich über den Kopf hergemacht und die Halsteile so stark benagt, daß auch unser Distriktarzt erklärt habe, er könnte in dieser Hinsicht kein sicheres Urteil abgeben.“

H. „Der Rumpf ist nirgends zu finden?“

Bl. „Nein. Ich habe einen tadellosen Polizeihund. Nicht einmal eine Fährte hat dieser angenommen. Freilich, der Arzt meint, der Kopf hat dort mindestens schon drei Tage gelegen.“

H. „Gut, danke, Mr. Bloosley. Ich bin morgen früh in Akyab.“

– So endete dieses Gespräch.

Harst setzte sich in Worbsters Schreibsessel und versank in Nachdenken. Ganz mechanisch griff er nach der Zigarette, die Worbster ihm anbot. Als ich ihm ein Streichholz hinhielt, winkte er ungeduldig ab.

Wir beide, der Inspektor und ich, saßen schweigend und erwartungsvoll da. Dann sagte Harald ganz unvermittelt:

„Worbster, bitte die hiesige Expreß Post der letzten vier Tage.“

Der Inspektor suchte die Zeitungen heraus, die Harst dann hastig durchsah.

„Was suchen Sie, Mr. Harst?“ fragte Worbster. „Vielleicht kann ich Ihnen helfen –“

„Danke. Bin schon unterrichtet. Mich interessierten die Wetterberichte.“

Worbster und ich schauten uns erstaunt an. – Wetterberichte?! – Ich war überzeugt, daß Harald soeben geschwindelt hatte. Er ließ sich nicht gern in die Karten sehen.

Harst hatte sich erhoben. „Um 4 Uhr nachmittags steht dann wohl der Rennwagen bereit, lieber Worbster. Ich will mich auch gleich von Ihnen verabschieden. Sehr wahrscheinlich kehre ich nicht mehr nach Rangun zurück.“

„Ah – haben Sie die Verfolgung Kuma Tawis aufgegeben?“

„Hm –, vorläufig ja. – Alles Gute also –“

Gleich darauf brachte uns das Polizeiauto nach dem Zollhafen zurück. Harst war sehr wortkarg. Als ich ihn fragte, ob er Kuma Tawi wirklich zunächst ungeschoren lassen wolle, entgegnete er nur:

„Vielleicht finden wir in Akyab eine Spur –“

Er rief den Maschinisten Jürgensen herbei.

„Jürgensen, wo steckt der Kapitän?“

„Bei Mutter Olderlong, Herr Harst, schätz’ ich. Dort nimmt er ja stets seinen Frühschoppen ein.“

Es war jetzt genau 12 Uhr mittags. Harst bat mich, alles zur Abreise vorzubereiten. „Unsere Koffer nehmen wir mit,“ fügte er hinzu. „Ich gehe mal zu Mutter Olderlong hinüber.“

Es war das eine kleine, blitzsaubere Hafenkneipe, in der nur Kapitäne und Steuerleute verkehrten.

Ich begann sofort zu packen. Jürgensen half mir freiwillig. Ich erzählte ihm, daß wir nach Akyab im Auto wollten.

Wir wurden in unserer Arbeit durch das Erscheinen Tschongs, des Kalkuttaer Edelsteinhändlers, gestört.

Tschong war furchtbar aufgeregt.

„Wo ist Harst?“ rief er, ohne sich Mühe zu geben, seine völlige Verstörtheit zu verheimlichen.

Ich schickte Jürgensen hinaus. Tschong sank auf das Wandsofa und stöhnte:

„Entsetzlich, Herr Schraut, – entsetzlich! Ich habe soeben von meiner Frau eine Chiffredepesche erhalten.“

Er holte ein Blatt Papier hervor. „Da – es ist die Übertragung der Chiffren. Lesen Sie –“

Der arme Mensch tat mir aufrichtig leid. Er war der erste Chinese, für den ich einige Sympathie hatte. – Das Telegramm lautete:

„Dein Bruder gestern abend bei mir gewesen. Verlangt Schweigegeld von einer Million binnen zwei Tagen, sonst sendet er Dein Schuldbekenntnis der hiesigen Polizei ein. Weiß mir keinen Rat. Bitte Chiffreantwort umgehend. – Helene.“

„Wie – Kuma Tawi ist bereits in Kalkutta?“ entfuhr es mir, und ich wurde wahrhaftig rot vor Verlegenheit. Harst und ich hatten uns diesmal böse blamiert: wir suchten noch hier in Rangun nach diesem Schurken, und er befand sich längst in Kalkutta!

Tschong nickte mir mit einem Blick zu, der etwa besagte: „Ich nehm’s Euch nicht übel! Auch Ihr seid nicht allwissend!“ Dann fragte er abermals in bekümmertem Tone:

„Wo ist Harst?“

„Haben Sie denn wirklich noch Vertrauen zu ihm?“ entschlüpfte es mir halb gegen meinen Willen.

„Wenn er mir nicht hilft und rät, Herr Schraut?! Wer sonst wohl?!“ meinte der Diamantenhändler kläglich.

„Er ist in der Kneipe von Mutter Olderlong. Er wird aber wahrscheinlich bald wieder hier sein.“

„Dann warte ich. – Wozu würden Sie mir raten, Herr Schraut? Soll ich die Million opfern? – Ich gebe zu: ich bin dann wieder ein armer Mann fast. Mein Bruder hatte mich ja schon vorher gehörig ausgesogen.“ Und Tschong seufzte wieder, nahm die goldene Brille ab und putzte umständlich die Gläser mit seinem Seidentüchlein. Sein bartloses Gesicht war ganz verfallen. Während er mit seinen trüben, kurzsichtigen Augen nun zu mir hinüberblickte, fügte er hinzu, wobei er nur flüsterte:

„Ich – ich habe noch ein zweites Telegramm aus Kalkutta erhalten – auch vor einer halben Stunde. Aber – aber ich weiß nicht recht, ob ich es wagen darf, darüber zu sprechen. Es – es enthält nämlich eine noch gefährlichere Drohung.“

Er setzte die Brille wieder auf, schaute sich argwöhnisch um.

„Noch gefährlicher? – So reden Sie doch. Hier sind wir vor Lauschern sicher,“ ermunterte ich ihn.

Tschong starrte vor sich hin. „Ich habe ja schon recht kopflos gehandelt, daß ich überhaupt herkam,“ meinte er nach einer Weile.

Diese Bemerkung genügte mir. „Ich verstehe, Herr Tschong. Die zweite Depesche warnte Sie davor, etwa unsere Hilfe in Anspruch zu nehmen gegenüber diesem Erpressungsversuch.“

Er griff plötzlich in die Tasche.

„Da – lesen Sie! Ich habe nun ja doch schon die Unvorsichtigkeit begangen, in meiner ersten Bestürzung hierher zu eilen.“

Gerade jetzt hastige Schritte auf Deck, auf der Treppe.

Es war Harst. Beim Anblick des verstörten Edelsteinhändlers stutzte er, rief dann:

„Schlechte Nachrichten, lieber Tschong, – wie? – Kuma Tawi ist in Kalkutta, nicht wahr? Wohl schon die erste Anzapfung mit Hilfe des verwünschten Bekenntnisses –“

Er drückte Tschong die Hand, setzte sich neben ihn. Der Chinese reichte ihm jetzt mit kurzer Erklärung die Übertragung der Chiffredepesche und das zweite Telegramm.

Dieses hatte folgenden Wortlaut:

„Tschong-Kalkutta, zur Zeit Rangun, Viktoria-Hotel.

Mit Bezug auf vorgeschlagenes Geschäft lehne Beteiligung der beiden deutschen Kompagnons aufs energischste ab. Sobald ich erfahre, daß mit ihnen in Verbindung, trete zurück und sende Warenschein an Konkurrenzfirma. Iwa Tamuk u. Co.“

Der Sinn war klar: das vorgeschlagene Geschäft bedeutete die Erpressung; die deutschen Kompagnons waren Harst und ich; der Warenschein aber das Schuldbekenntnis, und die Konkurrenzfirma die Polizei. Die Unterschrift war der Name von Tschongs Bruder von rückwärts gelesen. –

Harst blickte grübelnd vor sich hin. Dann sprang er elastisch auf.

„Ich muß nochmals zu Inspektor Worbster, bester Tschong,“ sagte er. „Depeschieren Sie Ihrer Gattin, sie soll versuchen, Kuma Tawi um 24 Stunden hinzuhalten. – Seien Sie unbesorgt. Ihnen wird kein Unheil aus diesen Drohungen entstehen. Reisen Sie getrost mit dem nächsten Tourdampfer nach Hause. – Auf Wiedersehen in Kalkutta.“

An der Tür blieb er jedoch wieder stehen, drehte sich um und rief: „Nein – depeschieren Sie lieber etwas anders und zwar: „Mache Geld flüssig. Bin einverstanden. Treffe mit nächstem Dampfer ein.“ – Ich halte diesen Text für geeigneter, lieber Tschong, weil es nicht ausgeschlossen ist, daß Ihr Bruder Helfershelfer in Ihrem Hause hat, die Depesche stehlen oder abschreiben läßt und entziffert.“

„Aber – aber wenn meine Frau ihm nun die Million auszahlt?!“ stotterte Tschong. „Ich kann ja erst in vier Tagen in Kalkutta sein – frühestens!“

„Allerdings! – Aber wir beide werden rechtzeitig dort sein! – Lieber Alter,“ wandte er sich an mich. „Wir wollen unser Programm ändern. Wir beginnen die Probefahrt mit dem Rennwagen nach einer halben Stunde und nicht erst um 4 Uhr.“

Dann eilte er davon. – Tschong fragte verwundert:

„Probefahrt? Rennwagen?“ Er machte dazu ein sehr enttäuschtes Gesicht. Er fürchtete, wir könnten mehr an Sport als an seine Angelegenheiten denken.

Ich flüsterte ihm zu: „Keine Sorge. Der Rennwagen bringt uns nach Akyab und von da weiter nach Kalkutta.“

Seine Miene hellte sich auf.

„Oh, ich wußte ja, nur Harst konnte mir helfen!“ sagte er hoffnungsfroh. „Ich will dann nicht weiter stören. Auf Wiedersehen, Herr Schraut.“

– – – – – – – –

Ich verschloß gerade unseren Requisiten-Koffer, in dem wir unsere Perücken, Bärte, Schminken, Kleidungsstücke aller Art und vieles andere aufbewahrten, als Harst wieder erschien.

„Erledigt,“ rief er. „Flink nun. Der Rennwagen wartet schon am Kai.“

„Also in aller Öffentlichkeit fahren wir ab? Ist das nicht reichlich unvorsichtig?“

Harst lachte. „Keine Rede! Ich habe ja den hiesigen Verbündeten des schuftigen Kuma Tawi einen festen Riegel soeben vorgeschoben. Aus Rangun gelangt keine Depesche heraus, die irgendwie verdächtig ist. Worbster war sehr gern bereit, uns auch in dieser Hinsicht zu unterstützen. Nun mag also so ein Halunke getrost an Kuma Tawis Deckadresse nach Kalkutta depeschieren, daß Tschong soeben hier auf der Jacht war und daß wir im Rennwagen abgereist sind: dieses Telegramm wird zurückgehalten werden! – Und – so schlau ist Worbster doch, eine Depesche mit verdächtigem Text herauszufinden.“

„Ah – ein feiner Gedanke!“ nickte ich. „Dann werden wir allerdings nicht zu fürchten brauchen, daß –“

Da trat Weber ein, unser Kapitän. Harst erteilte ihm verschiedene Befehle. Der Standard sollte sofort in See gehen und mit voller Geschwindigkeit Kurs auf Kalkutta nehmen.

Wir verabschiedeten uns nun von der Besatzung.

Jürgensen, Ewald und Kersten, unsere drei Leute, schleppten unsere Koffer nach dem langen, niedrigen Rennwagen. Der Chauffeur war ein Mischling, ein noch junger Mensch. Aber dabei ein erstklassiger Fahrer von einer Ruhe, Tollkühnheit und einer schnellen Entschlußfähigkeit, wie man sie nicht oft findet. Er hieß Charles Pennworld und war der Sohn eines Schotten und einer Birmanin.

Der Wagen ruckte an. Unsere drei Jachtleute und Kapitän Weber brüllte uns noch ein „Frohes Wiedersehen“ nach. Dann begann das Auto schon zu beweisen, was es leisten konnte.

Kaum hatten wir die Stadt und die Kanalbrücken hinter uns, als die Geschwindigkeit fast beängstigend wurde. Ich hatte noch nie in einem Rennauto gesessen. Ich bekam Herzklopfen. Meine Nerven wurden rebellisch. An jeder Biegung der tadellos gepflegten Straße sah ich uns schon im Graben liegen.

Harst reichte mir ein Kognakfläschchen. „Trink’, mein Alter, Du bist ganz blaß.“

Bei dem Städtchen Prome bog das Auto links auf eine Bergstraße ab. Die Gegend wurde jetzt immer romantischer, immer einsamer. Nur selten trafen wir auf ein Eingeborenendorf; noch seltener begegneten wir einen Wanderer. Wir passierten endlose Tunnels, vor deren Eingängen wir die Laternen anzünden mußten. Schauerlich hallte das warnende Tut-Tut-Tut der Hupe in diesen von Menschenhand geschaffenen Höhlengängen.

Unser Chauffeur fuhr weiter, als gelte es, einen Rekord aufzustellen. Um 6 Uhr nachmittags machten wir vor einem Unterkunftshause in einem Städtchen halt und kauften frische Früchte. Das Städtchen hieß Palembano. Der Name hat sich uns gut eingeprägt. Weshalb, das wird der Leser sehr bald merken.

Wir wollten gerade weiter, als ein eingeborener Postbeamter brüllend auf uns zustürzte.

„Eine Depesche – für Master Harald Harst, unterwegs nach Akyab!“

„Harst? – Her damit!“ rief Harald.

Er riß die Depesche auf. Ich beobachtete sein Gesicht. Seine Stirn legte sich in Falten.

„Was soll das?“ sagte er und hielt mir die Depesche hin.

„Bitte sofort umkehren. Hier nötiger. – Worbster,“ lautete das Telegramm.

Der Postbeamte stand noch da und wartete wohl auf ein Trinkgeld. Harst reichte ihm eine halbe Pfundnote.

„Ist die Depesche als Diensttelegramm gekommen?“ fragte er den Birmanen.

Der schüttelte den Kopf. „Nein. Nur als dringend.“

Harst lachte ironisch auf. „Da hätten wir uns bald schön anschmieren lassen!“ sagte er leise zu mir. „Schau – das Ding ist nicht in Rangun, sondern in dem Nachbarstädtchen Twante aufgegeben worden. Worbster ist niemals der Absender! – Merkst Du was, mein Alter: der Eidechsen-Bund!“

Wir stiegen ein. Harst flüsterte Pennworld noch schnell zu: „Seien Sie vorsichtig! Wir müssen mit irgend einer Teufelei rechnen!“

Und weiter ging’s. – Ich rückte ganz nahe an Harst heran.

„Der Schuft, der Worbsters Namen in Twante mißbraucht hat, kann von dort aus nach Kalkutta depeschiert haben,“ meinte ich.

Harald verneinte. „Das kann er Gott sei Dank nicht. Die Telegraphenlinie nach Kalkutta geht über Mandalay. Und das Postamt in Mandalay ist gewarnt. Diese Telegraphenlinie endet in Akyab. – Die Halunken haben uns einfach zurücklocken wollen, damit wir Zeit verlieren. Jedenfalls sind wir aber ständig beobachtet worden, und die „Eidechsen“ müssen irgendwie ausspioniert haben, daß unser nächstes Ziel Akyab ist. Peinlich wäre es nur, wenn dies Verbrechergesindel hier an der Bergstraße Freunde wohnen hätte, die uns auf telegraphische Weisung hin so ein wenig belästigen –“

Er knöpfte den hellen Staubmantel auf, holte aus der Schlüsseltasche der Beinkleider die neunschüssige Clement-Pistole[8] hervor, schob die Sicherung zurück und steckte die Waffe in die rechte Manteltasche.

Ich folgte unaufgefordert seinem Beispiel. Und ebenso teilten wir uns dann ganz von selbst in die Arbeit des Beobachtens. Ich übernahm die linke Straßenseite, Harald die rechte.

Unser Fahrer gab ebenfalls auf alles acht. Er saß zusammengeduckt wie ein Gnom da, den Kopf weit vorgereckt.

Die dünne Höhenluft wirkte. Ich wurde müde. Ich konnte kaum mehr die Augen aufhalten. Zum Glück bestätigte sich Harsts Verdacht nicht. Die Landkarte, die Worbster uns mitgegeben hatte, zeigte uns, daß wir jetzt auf viele Meilen völlig unbewohntes Gebiet vor uns hatten. Die Gefahr eines Überfalles oder dergleichen war vorläufig beseitigt.

Das Auto kletterte gerade bei Dunkelwerden in Serpentinen zum Kamm des westlichen Küstengebirges empor. Es war empfindlich kühl geworden. Ich nickte wiederholt ein. Unsere Scheinwerfer leuchteten weithin, enthüllten uns tiefe Abgründe, wilde Felspartien.

Wieder ein Tunnel. Pennworld mäßigte das Tempo. Wir glitten in den schwarzen Schlund hinein. In gleichmäßigen Zwischenräumen ertönte die Hupe.

Harst stand plötzlich auf, beugte sich vor, rief dem Chauffeur ein: „Noch langsamer!“ zu.

Ich erwachte im Nu aus meinem Halbschlaf.

„Was gibt’s, Harald?“

„Ich kann mich getäuscht haben. Aber mir war’s so, als läge da ein Kerl dicht am Tunneleingang –“

Da – Pennworld bremste. Der Wagen stand. Wir sprangen auf. Dicht vor uns stand einer jener plumpen zweiräderigen Ochsenkarren, wie wir sie schon wiederholt auf der Bergstraße getroffen hatten.

In dem Holzkasten des Karrens hockten zwei Weiber, Birmaninnen. Neben dem Gefährt tanzte ein älterer Kerl wie verrückt umher und brüllte uns allerlei zu.

„Eine Falle!“ flüsterte Harst. „Wir müssen –“

Er stieß einen gurgelnden Schrei aus. Von hinten waren ein paar gelbbraune Kerle auf das Auto geklettert. Einer hing wie eine Katze auf Harsts Rücken und würgte ihn.

Blitzschnell folgte ich der Eingebung des Augenblicks, warf mich nach vorn, fiel halb unter den Vordersitz.

Nur so entging ich einem ähnlichen Angriff. Im Nu warf ich mich herum, riß die Pistole aus der Tasche.

Einer der Angreifer bückte sich gerade, wollte mir an den Hals.

Ein Knall. Der Kerl schnellte hoch, plumpste schwer zur Seite.

Ich schoß nochmals – nochmals. Ich sah, wie Harst nun ebenfalls trotz der braunen Finger, die seinen Hals umkrallten, die Waffe hob, nach hinten hielt, feuerte.

Ein gellender Schrei.

Das Auto war vom Feinde frei. – All das hatte nur Sekunden gedauert. Harst sprang heraus, sprang auf den Ochsenkarren zu.

Und Pennworld schoß jetzt gleichfalls, schoß auf die Gestalten, die gespenstergleich davonhuschten.

Wir schoben den Karren zur Seite.

„Weiter!“ rief Harst. „Weiter, ehe die Bande zur Besinnung kommt!“

Der Kraftwagen sauste davon. Jetzt eine Biegung, dahinter eine lange, gerade Strecke. Wir sahen die Birmanen flüchten. Sie rannten wie gehetzt. Es waren vier Männer und zwei Weiber. Wir flogen an ihnen vorüber. – Sie heulten auf vor Angst.

Der Tunnel lag hinter uns. Um elf Uhr erschien der Mond über den Schneefeldern des Gebirgskammes. Dann begann der Abstieg. Wir hatten das Hochgebirge überwunden. Der Rest der Fahrt verlief ohne jeden Zwischenfall. Um 2 Uhr morgens waren wir in Akyab; um 3 Uhr hatten wir Inspektor Bloosley herausgetrommelt, und um 4 Uhr fuhren wir drei dann mit unserem Rennwagen nach dem Dorfe Prabang, in dessen Nähe der Kopf gefunden worden war.

In Prabang wurde dann zunächst bei dem Dorfältesten der in Spiritus aufbewahrte Kopf besichtigt. Daß es der eines Weißen war, sah man auf den ersten Blick. Der Kopf hatte leicht ergrautes, dunkles Haar. Von den Gesichtszügen war tatsächlich nichts mehr zu erkennen. Das Gesicht war nur noch eine formlose Masse.

Harst[9] scheute sich nicht, jetzt den Unterkiefer mit aller Kraft zu öffnen. Dann faßte er in den Mund, holte die Stücke eines künstlichen Gebisses heraus.

„So, das genügt mir,“ meinte er und ließ sich Wasser und Seife zum Händewaschen geben.

Bloosley, ein etwas schwerfälliger, älterer Herr mit rotem Vollbart, fragte erstaunt.

„Inwiefern genügt Ihnen das, Mr. Harst?“

„Nun – zur Feststellung der Identität des Toten, dem dieser Kopf gehört.“

Ich war jetzt genau so gespannt wie Bloosley, auch genau so ungläubig-verwundert. Harst hatte sich ja zu mir bisher über diesen Kopf in keiner Weise geäußert.

„Identität – Identität?!“ brummte der Detektivinspektor. „Das – das kann doch nur ein Scherz sein, Mr. Harst. Wie wollen Sie wohl –“

„Oh, lassen Sie nur,“ unterbrach Harst ihn. „Bei solchen Anlässen scherze ich nie!“

Wir gingen nun zu Fuß nach dem Baume, unter dem der Kopf gelegen hatte. Es war ein sehr alter Rasamala-Baum mit einer ungeheuren Krone, eine Seltenheit in dieser Gegend.

Inzwischen war es völlig Tag geworden. Bloosley zeigte uns genau den Fleck, wo der Kopf halb in einer mit Laub und Zweigen ausgefüllten Vertiefung des steinigen Bodens gelegen hatte. Diese Stelle war vom Stamm des Baumes etwa acht Meter entfernt.

Harst hatte wenig Interesse für diese Einzelheiten, sprach kaum ein Wort. Bloosley schilderte, wie er versucht hätte, auch den menschlichen Rumpf zu finden.

„Ich habe alles getan, was ich tun konnte, Mr. Harst. Gestern habe ich noch durch ein Aufgebot von 200 Eingeborenen die Umgebung durchstreifen lassen. Im Umkreise von einer halben Meile – dafür garantiere ich! – befindet sich kein menschlicher Leichenteil.“

„Garantieren Sie nicht!“ meinte Harst ernst. „Der Rumpf ist in nächster Nähe.“

Bloosley polterte sofort los: „Ausgeschlossen! Jede Wette gehe [ich][10] ein, daß –“

Harst winkte mit der Hand. Bloosley schwieg. Dann hob Harst den Arm und deutete in das dichte Blätterdach des Baumes hinauf.

„Dort hängt der Rumpf, Mr. Bloosley. – Schicken Sie nur ein paar Leute hinauf.“

Der Inspektor lächelte ungläubig. „Na – weil Sie es behaupten!“ sagte er.

Drei junge Birmanen erstiegen dann den Baumriesen. Harst befahl ihnen, das Blätterdach dort zu durchsuchen, wo unten der Kopf gelegen hatte. Die flinken Burschen verschwanden. Wir hörten sie nur noch. Sie riefen einander zu; Äste und Blätter kamen herab. Zu sehen war nichts.

Dann –: „Wir haben ihn!“

Bloosley stieß ein „Verdammt – also wirklich!“ aus.

Harst hatte sich eine Zigarette angezündet, meinte nun:

„Für mich ist die Sache hier erledigt, Mr. Bloosley. Ich habe es eilig, muß weiter. Telegraphieren Sie nach Rangun an Madame Sarah Prestilant, Strandstraße 15, daß ihr Mann hier tot aufgefunden worden ist und vorläufig beerdigt wird. Sie wird Ihnen dann ja mitteilen, ob sie die Leiche nach Rangun überführen will.“

Bloosleys Gesicht hatte im Ausdruck jetzt fraglos die größte Ähnlichkeit mit dem meinigen: wir sahen beide gleich verständnislos aus!

Bloosley schnappte sogar förmlich nach Luft vor maßlosem Staunen.

„Mr. Harst, – sind Sie denn ein Hexenmeister?“ rief er schließlich. „Wie in aller Welt wollen Sie behaupten –“

„Ich habe wirklich keine Sekunde länger Zeit,“ fiel Harst ihm ins Wort. „Bitte, notieren Sie sich Namen und Adresse: Madame Sarah Prestilant, Rangun, Strandstraße 15. – So, und nun leben Sie wohl. Was ich sonst noch über diesen Kopf weiß, gebe ich in Kalkutta zu Protokoll.“ –

Wir schritten dem Dorfe wieder zu. Unser Chauffeur Pennworld ging links neben uns. Er wiederholte mehrfach leise den Namen des Toten.

„Hm – Prestilant – Prestilant!“ meinte er nun. „Der Name ist mir nicht unbekannt. – Halt, nun hab ich’s! Das ist ja der verrückte Erfinder, der einen Wagen konstruiert hatte, mit dem er die Treppen zur Schwe Dagon-Pagode hinauffuhr; so ein Ding ohne Räder war’s.“

„Ja – das ist er!“ nickte Harst. Dann sprach er von der Weiterreise. Pennworld sollte uns mit dem Rennwagen nach Kalkutta bringen. Harst fragte, ob er sich auch zurechtfinden würde.

„Wir haben ja eine gute Karte, Mr. Harst,“ erklärte der Chauffeur. „In 18 bis 20 Stunden hoffe ich dort zu sein.“ –

Wir bestiegen das Auto, versorgten uns dann in Akyab noch mit Benzin und jagten auf der unweit der Küste nach Norden führenden Straße davon.

– – – – – – – –

Harst lehnte rechts von mir in den Polstern, die Beine weit von sich gestreckt. Er wandte plötzlich den Kopf. „Wir werden jetzt frühstücken, mein Alter, und dann mußt Du zu schlafen versuchen. Wir gehen bösen Stunden entgegen.“

„In Kalkutta,“ meinte ich kurz.

„Nein, vorher. Wir bilden uns ein, Kuma Tawi zu jagen, und wir werden selbst gejagt. Ein Kesseltreiben auf uns fand im Tunnel hinter Palembano schon statt. Wo droht uns das zweite – wo?! – Jedenfalls vor Kalkutta.“

„Du rechnest also bestimmt mit einem zweiten Überfall?“

„Überfall?! – Das will ich nicht behaupten. Aber mit irgend etwas, das uns vorläufig von Kalkutta fernhält. Dieses Etwas kann ja sehr verschieden sein.“

„Aber man kann sich dagegen schützen. – Von meiner Seite läge nun die Frage nahe, weshalb Du so bestimmt dieses „Etwas“ voraussiehst. Ich verzichte auf die Frage. Du hast diesmal wieder die alte Geheimniskrämerei Dir in einer Weise zu eigen gemacht, die mich verletzen würde, wenn ich nicht so sehr daran gewöhnt wäre.“

Er legte mir seine Linke leicht auf den Arm.

„Lieber Alter, niemand kann für seine – Schrullen. Jeder hat seine Eigentümlichkeiten. Wir beide kommen sonst so vortrefflich miteinander aus. Ich habe mich daran gewöhnt, daß Du für alles andere bessere Augen hast als für die Dinge, die doch nun mal zu unserem freiwilligen „Beruf“ gehören. Du aber siehst mir nicht mal die kleine Eigenart nach, Dich – zum Denken zwingen zu wollen. Ich weißt ja, was Dein Hirn jetzt beschäftigt: der Erfinder Prestilant und das Rätsel des Kopfes unter dem Rasamala. Wenn Du in Rangun auf alles achtgegeben hättest, was ich tat und sprach, würdest Du diesem Rätsel so ziemlich auf die Spur –“

Ich ließ ihn nicht ausreden, fragte schnell:

„Ja – was wolltest Du denn zum Beispiel bei Weber in der Hafenkneipe? Ich glaube, von ihm hast Du wohl den Namen Prestilant erfahren.“

„Allerdings. – Wichtiger ist jedoch, daß ich die Wetterberichte in den Zeitungen durchsah.“

„Das – das war also kein Schwindel?! Ich dachte, Du redetest nur von Wetterberichten, während Du –“

„Schon gut. Es waren wirklich die Wetterberichte. – Hast Du in Akyab, als wir die Benzinbehälter füllten, den schieläugigen Chinesen bemerkt, der Pennworld so gute Zigaretten so sehr billig verkaufte? Ich wette, dieser alte Halunke hat Pennworld ausgehorcht, wohin unsere Reise geht. Frage unseren Chauffeur mal –“

Ich stand auf, klopfte Pennworld auf die Schulter. Er mäßigte die Geschwindigkeit. Ich fragte und erhielt die lachende Antwort: „Ja – der alte Kerl wollte mich ausholen. Ich hab’ ihm erzählt, wir seien Touristen, die Bengalen (indische Ganges-Provinz) bereisen wollten.“

Ich setzte mich wieder neben Harst, der gelassen erklärte:

„Der Schieläugige musterte uns so eigentümlich. Es war einer von Kuma Tawis Spürhunden oder – Treibern, – ganz wie Du’s nennen willst.“

„Autoreisende dürften in Akyab selten sein,“ meinte ich. „Da ist Neugier nach Woher und Wohin nicht gar so auffallend.“

Harald lachte leise auf. „Schon recht. Die Neugier gewinnt nur ein anderes Aussehen, wenn sie Hand in Hand mit einem halben Zigaretten-Bestechungsversuch geht und wenn derselbe alte Halunke nachher dicht vor der Stadt in einem Wägelchen sitzt und wie verrückt auf das Pferd einhaut, um – recht schnell nach dem nördlicheren Hafen Chitingong[11] zu gelangen, von wo aus er nach Kalkutta depeschieren kann. Schade, daß wir dort auf ihn nicht warten können. Du würdest ihn Dir dann ansehen können. – Kurz: der Kerl fuhr sofort davon, nachdem er uns genügend gemustert und mit Pennworld gesprochen hatte. Genügt Dir das?!“

„Es muß wohl,“ meinte ich kleinlaut.

„So – dann wollen wir frühstücken. Am Tage haben wir nichts zu fürchten und können uns ausruhen. Aber nach Eintritt der Dunkelheit werden wir Augen und Ohren gehörig aufsperren müssen, zumal wir die Sunderbands[12] zu passieren haben.“

„Sunderbands?“

„Geographie schwach, mein Alter. Wir treiben uns doch schon lange genug in Indien herum. Da könntest Du Deine Schulkenntnisse längst wieder aufgefrischt haben. Der heilige Ganges bildet ein dreieckiges Delta, dessen Grundlinie, der Küstenstrich, 164 Kilometer lang ist. Dieses riesige Gebiet ist eine Wildnis, bestehend aus unzähligen Inseln und Inselchen, aus Tausenden von morastigen Wasserläufen, aus tropischen Urwäldern, undurchdringlichen Dschungeln und Sümpfen. Nur im Norden wohnen dort Leute. Im übrigen hausen dort allerlei angenehme Tierarten in Überfülle: Tiger, Leoparden, Büffel, Nashörner, Krokodile, Giftschlangen und so weiter. Die Sunderbands sind ein Naturtierpark, wie die Welt keinen zweiten kennt. Jagdausübung verbietet sich dort von selbst der Fiebergefahr wegen. Lediglich Holzfäller wagen sich in die Wildnis, außerdem Leute, die Grund haben, sich zu verbergen. Wollten wir das Gangesdelta nach Norden zu umfahren, würden wir 12 Stunden mehr brauchen. Wir müssen also durch die Sunderbands unseren Weg nehmen. Ich beabsichtige Port Canning, den einzigen[13] größeren Ort in diesen Sümpfen und Wäldern, zu erreichen. Von dort führt eine Bahn nach Kalkutta, die wir benutzen werden, – falls „man“ uns eben bis Port Canning durchläßt. „Man“ – das ist eben Kuma Tawi nebst Anhang.“ –

Um 8 Uhr abends waren wir in Dakka, einer uralten Stadt an einem Nebenfluß des Brahmaputra. Um 9 Uhr begann es zu dunkeln. Um ½10 glitten wir über die letzte größere Brücke eines breiten Deltaarmes des Ganges hin, waren nun in den berüchtigten Sunderbands.

Immer einsamer wurde die Gegend. Bald trafen wir auch nicht eine einzige Hütte mehr an. Die Luft war feucht schwül und roch nach Moder. Der Straße sah man an, daß sie nur wenig benutzt wurde.

Harst hatte sich jetzt zu Pennworld auf den Fahrersitz gesetzt. Der Chauffeur ließ den Wagen mit voller Geschwindigkeit dahinrasen. Die Straße war zumeist gerade und unsere Scheinwerfer übergossen das Vorgelände mit blendender Helle.

So wurde es Mitternacht. Harst hatte die Landkarte auf den Knien und vergewisserte sich beständig, daß wir nicht etwa einen falschen Weg einschlugen. Es zweigten hin und wieder ähnliche Kunststraßen ab, die lediglich Transportwege für die Holzfäller darstellten.

Harald drehte sich nach mir um, rief:

„Noch eine Stunde, dann sind wir in Port Canning.“

Aber diese Worte klangen durchaus nicht freudig. Nein – sie waren mehr eine Warnung. Harst glaubte eben, diese Stunde sei die gefährlichste für uns.

Es ging jetzt etwas bergan. Die Wälder traten zurück. Neben der Straße gab es hier nur hellen Flugsand, eine seltene Erscheinung. Dann lag tief unter uns in der Ferne ein im Mondenlicht glitzernder, breiter Strich, ein größerer Deltaarm.

Pennworld mäßigte das Tempo.

„Es ist hier nur eine Fähre vorhanden,“ rief Harst mir wieder zu.

Die Scheinwerfer enthüllten mir jetzt das flache Ufer mit einer großen Anlegebrücke. An dieser lag die breite, plumpe Fähre. Daneben stand ein Häuschen, weiß gestrichen. Vor dem Hause hing in einem Gestell eine große Glocke.

Wir hielten erst auf der Brücke an. Pennworld sprang ab, läutete die Glocke. Hinter den Fenstern des Fährhauses wurde es hell. Nach einer Weile traten zwei Inder heraus, lange, kräftige Leute mit tiefschwarzen Vollbärten. Brummig schoben sie die Geländerbalken weg. Pennworld lenkte das Auto vorsichtig auf die Fähre. Es war eine Zugfähre mit einer Kette, die von Ufer zu Ufer reichte. Der Deltaarm hatte etwa 80 Meter Breite. – Die beiden Inder hakten ihre Zugriemen in die Kette ein, und die Fähre verließ die Brücke.

Harst stand auf dem Vordersitz und schaute sich argwöhnisch um. Pennworld kniete neben dem Auto und füllte die Ölkapseln des einen Vorderrades. Ich hatte mich halb auf die linke Tür gesetzt und beobachtete zwei Krokodile, die neben der Fähre herschwammen.

Die beiden Inder zogen langsam und gleichmäßig, sich weit vorbeugend, das flache, kastenähnliche Fahrzeug durch die kaum merkliche Strömung.

„Ein Boot, – sechs Leute darin!“ flüsterte Harald da.

Mein Kopf schnellte hoch. Wirklich – von Norden her kam ein langer, schmaler indischer Nachen dahergeschossen. Vier Leute ruderten; zwei saßen am Steuer.

Harst tippte Pennworld auf die Schulter.

„Achtung!“ raunte er ihm zu.

Der Chauffeur schaute sich um, sah das Boot, nickte und steckte die rechte Hand in die Tasche – genau wie wir.

Ich belauerte die Fährleute. Ja – der eine Kerl schielte ständig nach uns herüber, fing nun zu singen an, eines jener seltsamen Lieder, die kaum eine Melodie haben und doch so schwermütig klingen.

Das Boot schwenkte plötzlich ab, fuhr hinter der Fähre vorüber.

Harst hatte nur noch Augen für die Fährleute. Ich wußte: die Gefahr war da! – Was würde geschehen? – Das Boot war bereits hinter einer Insel mitten im Flusse verschwunden! Ich hielt uns jetzt für sicher.

Und doch: Harsts Hand blieb in der Tasche des Staubmantels, wo der Mehrlader steckte.

Dann – ein ärgerlicher Ausruf des einen Inders. Die Fähre drehte sich plötzlich.

Ich schaute genau hin: Die Kette mußte gerissen sein.

War das ein Zufall?!

Harst sprang mit einem Satz aus dem Auto, hob den rechten Arm. Das Mondlicht traf die matt blinkende Pistole.

„Hände hoch!“ befahl er den beiden Indern.

Pennworld war schon neben Harst, zielte gleichfalls auf die Kerle.

Sie gehorchten sofort.

„Sahib (Herr), weshalb bedroht Du uns?“ fragte der Ältere harmlos.

Harst flüsterte Pennworld etwas zu. Der holte schnell aus dem Werkzeugkasten des Autos ein paar Stricke. Ich half ihm, den Fährleuten die Hände auf den Rücken zu binden.

„Sahib,“ meinte der Ältere wieder, „ich verstehe nicht, weshalb Du uns wie Verbrecher behandelst. Wir sind Beamte der Regierung. Es ist dies eine staatliche Fähre. Wir können doch nichts dafür, daß die Kette gerissen ist.“

Harst achtete nicht darauf.

„Pennworld, Sie bewachen die beiden,“ befahl er.

Die Fähre war mit der Strömung langsam auf das Inselchen zugetrieben. Dieses besaß einen üppigen Pflanzenwuchs. Ein paar Palmen erhoben sich aus dem Dickicht. – Die Fähre drehte sich fortgesetzt.

Harst rannte nach vorn. Dort lag ein Anker. Ich sprang gleichfalls zu. Der Anker mit der Kette flog über Bord, faßte aber nicht sofort in dem schlammigen Flußgrund. So kam es, daß wir uns dem Inselchen bis auf acht Meter näherten. Dann erst straffte sich die Ankerkette; die Fähre stand. –

Die folgenden Ereignisse sind mir im Gedächtnis nur als ziemlich wirre Bilder haften geblieben. – Mir war es plötzlich, als sauste ein Stein oder dergleichen dicht an meinem linken Ohr vorüber. Gleichzeitig brüllte Harst: „Hinwerfen – hinwerfen!“ – Ich gehorchte wie ein Automat. Dann knallte schon links von mir eine Pistole. Es war der blecherne, harte Klang einer Repetierwaffe. Und – es war Harst, der über die Bordwand der Fähre hinweg nach dem Inselchen feuerte. Dann tauchte Pennworld neben mir auf.

„Die Schufte schießen mit Pfeilen, die sicher vergiftet sind,“ flüsterte er. „Der eine Fährmann hat einen Pfeil im Arm. Wir haben den beiden doch wohl unrecht getan. Sie sind nicht mitbeteiligt.“

Harsts Stimme nun: „Pennworld, versuchen Sie, den einen Scheinwerfer auf das Ufergestrüpp der Insel zu richten.“

Der Chauffeur kroch davon. Ich beobachtete ihn. Er mußte sich halb erheben. Kaum hatte er den rechten Arm hochgereckt, als zwei Pfeile den Scheinwerfer trafen.

Harst feuerte schon wieder. Dann drehte sich der Lichtkegel ruckweise, bis das Inselchen wie ein Kinobild vor uns lag. – Ich griff nach meiner Waffe, rutschte neben Harst und wollte gleichfalls schießen.

„Laß das!“ meinte er kurz. „Es ist besser, Du –“

Hinter uns ein gellender Schrei.

„Vorsicht, Master Ha –“ Der Warnungsruf erstarb. Ich erhielt einen Hieb über den Kopf, wurde umgerissen. Zwei Leute knieten auf mir. Ich war so benommen, daß ich kostbare Sekunden verstreichen ließ. Sonst hätte ich die Angreifer wohl noch abschütteln können. Da hatten sie mich schon auf den Bauch geworfen, schnürten mir die Hände auf dem Rücken zusammen. Man hob mich auf, schleuderte mich in das Auto. Ich kollerte unter den Vordersitz. Mein Kopf schmerzte entsetzlich. Immer wieder sprühten Funken vor meinen Augen auf, würgte mir die Übelkeit im Halse. Trotzdem richtete ich mich auf. Ich wollte sehen, was aus Harst und Pennworld geworden war.

Die Scheinwerfer waren ausgelöscht. Eine dicke Wolkenwand hatte den Mond verschluckt. Über dem Flusse lag jetzt das Dunkel der Nacht. Nur undeutlich erkannte ich, zumal das Funkensprühen in meinen Augen nicht aufhören wollte, die Fähre und die Leute darauf.

Die Fähre trieb mit der Strömung weiter, drehte sich wieder langsam um sich selbst. An dem einen Ende gewahrte ich einen Haufen von Menschen, einen dunkleren Klumpen. –

Wo ich damals den Mut und die Geschicklichkeit hergenommen habe, das auszuführen, was mir plötzlich durch den Kopf schoß, – ich weiß es nicht! Ich handelte wieder rein mechanisch, drückte mit dem linken Ellbogen den einen Türhebel herunter, kroch heraus, kroch nach dem anderen Ende der Fähre, ließ mich langsam von der durch Ketten festgehaltenen, in Angeln beweglichen aufklappbaren äußersten Spitze halb ins Wasser gleiten, indem ich dabei das Ende der einen Kette mit den zusammengebundenen Händen fest umklammerte.

Dann gab ich mir einen Schwung, plumpste ganz in den Fluß, hing nun halb unter der beweglichen Spitze der Fähre, die wie eine Zugbrücke über dem Wasser schwebte. Ich war nur sehr oberflächlich gefesselt worden. Ich konnte erst die eine, dann auch die andere Hand aus den Schlingen herausdrehen, worauf ich meinen Platz änderte und mich ganz unter dem Bretterdach versteckte und an die Bordwand der eigentlichen Fähre anklammerte.

Ich fühlte mit der Rechten die Bordwand ab. Sie hatte dicht unter Wasser einen starken, weit vorspringenden Balken. Ich schwang mich hinauf, streckte mich lang aus. Ich war geborgen. –

Bald hörte ich oben auf der Fähre Rufen und Schreien. Offenbar vermißte man mich, den man für betäubt durch den Schlag gehalten hatte. Bange Minuten folgten. Man fand mich nicht.

Die Fähre wurde jetzt mit langen Stoßstangen gelenkt. Der Mond erschien wieder. Der plumpe Kasten fuhr in einen engeren Flußarm ein, der nur eine schmale, krautfreie Rinne hatte. Dann gelangte er in ein seeartiges Becken. Weiße Sandbänke schimmerten überall. – Abermals ging es in einen Flußarm hinein, zwischen dunklen Urwaldwänden weiter.

Nicht mehr lange. – Die Fähre wurde am Ufer festgemacht.

– – – – – – – –

Ich wagte es, meinen Platz zu verlassen. Ein paar Schwimmstöße, und ich war im Röhricht, watete vorsichtig aufs Trockene und verbarg mich hinter einem von Lianen dicht umsponnenen Baume. So wurde ich Zeuge, wie man Harst, Pennworld und die beiden Fährleute gefesselt ans Ufer brachte. Im ganzen zählte ich jetzt zehn Kerle, die diesen Streich verübt hatten. Es schienen Inder und Chinesen zu sein. Die Bande verschwand im Dickicht. Es mußte dort also fraglos einen Pfad geben. –

Das weitere will ich hier nur kurz streifen. – Mir gelang es, mich an das Versteck dieser Halunken unbemerkt heranzupirschen. Es war dies eine gewöhnliche Holzfällerhütte, eigentlich mehr ein halb offener Schuppen. Auf einem Herde aus Schlammziegeln brannte ein mächtiges Feuer. Die Balken der Hütte hatten fingerbreite Spalten. Ich lauerte an der Rückwand und konnte alles bequem beobachten.

Die vier Gefangenen (also waren die Fährleute tatsächlich unschuldig!) saßen nebeneinander im hintersten Winkel auf der Erde. Um den Herd herum hatten sich die Inder und die Chinesen gelagert. Es waren sämtlich recht zweifelhafte Gestalten mit wahren Galgengesichtern. Sie schnatterten aufgeregt durcheinander. Ein älterer Chinese, ein vertrockneter, kleiner Halunke, führte das große Wort. Sie gebrauchten jene Mischung von Englisch, Französisch und Holländisch, die man am besten als „Hafendialekt“ bezeichnet. Sie berieten, was mit dem Auto geschehen solle. Die Fähre wollten sie versenken. Das Auto war ihnen zu schade dazu. Sie einigten sich, den Kraftwagen auseinanderzunehmen und die Teile vorläufig im Walde zu verbergen. Der kleine Chinese schickte sofort sechs Leute zu diesem Zweck nach der Fähre. Dann ging er in die Ecke der Hütte und brüllte Harst an:

„Folge mir, – setz’ Dich dorthin!“ Er wies auf einen Baumklotz neben dem Herde.

Harst hatte eine breite, rote Stelle auf der Stirn, offenbar von einem Hiebe mit einem stumpfen Gegenstand.

Er ging sehr elastisch, lächelte den vertrockneten Gelben fast freundlich an und meinte: „Hat Kuma Tawi Euch für diese Schurkerei gut bezahlt oder sollt Ihr die Bezahlung erst nachträglich erhalten? Wenn das letztere zutrifft, werdet Ihr das Geld nie sehen.“

Der Chinese hatte zu Harsts Äußerungen ein sehr verblüfftes Gesicht gemacht. Mutter Natur hatte ihn nicht gerade mit hervorragenden Geistesgaben ausgestattet. Das zeigte sich jetzt, da er zögernd erwiderte:

„Woher weißt Du, daß wir erst später bezahlt werden? Der Mann heißt auch gar nicht so, wie Du sagtest. Sein Name ist Tonga Lei.“

„Aber er trägt eine Brille und ist bartlos,“ meinte Harst.

Der dürre Halunke grinste. „Und Du sollst der beste Policeman der Welt sein?! Was redest Du da von einer Brille?! Der, dem wir jetzt gehorchen, ist –“ Er stockte plötzlich, wandte sich um. Die Leute, die er nach der Fähre geschickt hatte, kamen mit unseren Koffern herbei.

Der magere Kerl hatte große Eile, die sechs wieder los zu werden. Habgier funkelte jetzt in seinen Schlitzäuglein. Er betrachtete die Koffer, rieb sich die Hände, trat vor die Hütte, schaute den sechs Leuten nach und kehrte dann wieder an den Herd zurück. Seine drei Kumpane, die bei ihm waren, hatten ähnlich dummpfiffige, chinesische Gaunervisagen wie er.

Harst saß mit übereinander geschlagenen Beinen da und schaute gänzlich teilnahmlos in das Herdfeuer. – Der dürre Spitzbube räusperte sich, fragte dann: „Was ist in den Koffern drin?“

„Gold,“ erwiderte Harst, ohne sich zu regen.

Der Chinese grinste selig.

„Wirklich – Gold?“

„Ja. Aber Du wirst es nie erhalten,“ meinte Harst und lächelte spöttisch. „Hast Du mal etwas von Sprengverschlüssen gehört?“

Der Gauner schüttelte den Kopf.

„Nun, wer diese Koffer zu erbrechen oder mit dem Schlüssel zu öffnen versucht, der – doch, versuch’s nur. Du hast mir ja vorhin auch die Schlüssel abgenommen.“

„Es ist also ein Geheimnis dabei, wie man aufschließen muß,“ sagte der Kerl enttäuscht.

„Versuch’s!“ lächelte Harst wieder.

Die vier Gelbgesichter flüsterten miteinander. Dann erklärte der Dürre: „Du wirst aufschließen! Wir werden Dir die rechte Hand frei machen.“

Harst schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht daran!“

„Du wirst!“ fauchte der Halunke, der gar nicht merkte, wie schlau Harald ihn „einwickelte“.

„Ihr könnt mich nicht zwingen,“ spöttelte Harst. „Und wenn Ihr mir eine Kugel –“

Da riß der kleine Gelbe wütend Harsts eigene Pistole aus der Tasche, zielte und drohte. „Willst Du oder willst Du nicht?!“

Harst wartete eine Weile, zuckte dann die Achseln.

„Mir liegt schließlich nichts an dem Golde. Ich bin reich.“

Die Kerle banden ihm den rechten Arm los, und der Dürre reichte ihm die Schlüssel.

„Stellt die Koffer aufeinander,“ befahl Harald. „Aber ganz genau – Kante auf Kante. – So, nun müssen zwei von Euch hinten auf die Scharniere des Deckels drücken. Wenn ich „Los!“ rufe, drückt Ihr mit aller Kraft.“

Ich ahnte schon, was kommen würde. Und – ich wollte mit von der Partie sein! – Ich verließ also meinen Platz, kroch bis dicht an den Eingang der Hütte und – hörte gerade Harsts lautes „Los!“, sah, wie er den obersten Koffer den beiden dahinter stehenden Kerlen so wuchtig gegen die Brust schob, daß sie rückwärts taumelten.

Dann ein Hieb, und der Dürre ließ die Pistole fallen, – ein zweiter Hieb – der Kerl flog zu Boden.

Harst hatte die Waffe schon in der Hand.

„Keiner rührt sich, oder ich schieße!“

Da war auch meine Zeit gekommen. – Harald rief mir zu: „Schneide Pennworld und den Indern die Fesseln durch!“ – Er hatte kaum nach mir hingeschaut. Es war gerade so, als ob er mit meinem Eingreifen gerechnet hätte.

Wenige Minuten später waren die vier Gelben unschädlich gemacht, hatten Knebel im Munde und wurden von den Indern und Pennworld ins Gebüsch geschleppt und dort an Bäume aufrecht festgebunden. Vorher hatte Harst des Dürren Taschen und Kleider noch schnell durchsucht. Er fand aber nichts Wichtiges.

Die beiden Fährleute waren bald versöhnt, als Harst ihnen nun eine namhafte Summe als Entschädigung für die etwas rauhe Behandlung unsrerseits versprach. Und dann machten wir vier Unverletzten uns nach dem Liegeplatze der Fähre auf.

Die sechs braunen Strolche hatten das Auto schon ans Ufer gerollt und auch bereits Löcher in den Boden der Fähre gehauen. Wir kamen also leider zu spät. Die sechs Kerle nahmen wir fest. Die Fähre versank in der Mitte des Flußarmes.

Wir kehrten mit ihnen zur Hütte zurück. Unterwegs fragte ich Harald, ob er denn gewußt hätte, daß ich in der Nähe sei.

„Ja, mein Alter,“ meinte er und drückte mir kräftig die Hand. „Ich will jetzt nie wieder Dir Vorwürfe machen, daß Du so etwas lässig bei unserer Arbeit bist. Du hast Dich heute tadellos benommen.“

Die beiden Inder und Pennworld erboten sich freiwillig, die zehn Gauner hier zu bewachen, bis wir ihnen aus Port Canning polizeiliche Hilfe geschickt hätten.

Wir aber beeilten uns, ein primitives Baumfloß zu bauen, auf dem wir gegen Morgen, unsere Koffer als Fracht mit uns führend, lediglich nach dem Kompaß und mit Hilfe der Stoßstangen der Fähre, die am Ufer gelegen hatten, die recht beschwerliche Wasserfahrt antraten.

Ich will Einzelheiten übergehen. Wir kamen nur sehr langsam vorwärts und trafen erst mittags auf ein Flößerlager, wo wir einen Nachen und einen Führer heuerten. Wir hatten uns derart in den zahllosen Wasserstraßen verirrt gehabt, daß wir jetzt noch sechs Stunden brauchten, ehe wir das Städtchen in anbrechender Dunkelheit erreichten.

Hier in Port Canning gab es nur einen eingeborenen Polizeimeister, einen früheren Feldwebel der indischen Armee. Wir hatten schon vor der Stadt einen Wagen gemietet und uns nach dem Polizeigebäude fahren lassen. Es regnete. Das paßte ganz für unsere Stimmung. Harst war auch während der Floßfahrt sehr einsilbig gewesen, gab zu, daß er jetzt allen Ernstes fürchte, wir könnten zu spät in Kalkutta eintreffen; Frau Helene Tschong hätte vielleicht die Million dem Erpresser schon eingehändigt und dieser mit dem Raube das Weite gesucht.

Der Polizeimeister hatte auch seine Privatwohnung in dem Amtsgebäude. Er war ein älterer Mann. Als Harst seinen Namen nannte, musterte er uns lange prüfend und sagte dann ziemlich barschen Tones:

„Sie können nicht der deutsche Detektiv sein. Der weilt in Rangun.“

Harst lächelte freundlich. „Ihre Zweifel sind berechtigt. Ich werde Ihnen kurz schildern, wie wir so plötzlich und doch auch wieder zu langsam nach Port Canning gelangten.“

Der Polizeimeister hörte zu, aber sein Gesicht blieb streng und dienstlich. Dann ging er zur Tür und rief etwas ins Nebenzimmer hinein. Drei eingeborene Polizisten traten ein. – Mir wurde himmelangst. Wie – sollte es hier womöglich nochmals einen Aufenthalt geben?!

Der Polizeimeister erklärte jetzt: „Ihre Erzählung ist durchaus unglaubwürdig.“ Er zog eine Depesche aus der Tasche. „Heute früh erhielt ich aus Kalkutta dieses Telegramm, das mich anweist, auf zwei europäische Hochstapler zu fahnden, die wahrscheinlich im Auto hier erscheinen würden. Es tut mir leid, aber ich muß Sie beide vorläufig festnehmen.“

„Eine Frage,“ meinte Harst kühl. „Ist es eine Dienstdepesche?“

„Nein, aber der Absender ist der Detektivinspektor Palwson in Kalkutta. Das genügt mir.“

„Haben Sie Telephon? Können Sie sich mit diesem Palwson schnell in Verbindung setzen?“

„Natürlich –“

„So, dann fragen Sie bitte an, ob nicht ein Fremder Palwsons Namen mißbraucht hat. Die Antwort wird so ausfallen, daß Sie uns beiden dann Glauben schenken werden. Außerdem: haben Sie noch keine Meldung erhalten, daß die Fähre östlich der Stadt verschwunden ist?“

„Hm – das wohl. Sie wird sich eben losgerissen haben.“

„Telephonieren Sie!“ sagte Harst kurz und zog sich einen Stuhl herbei.

Ich setzte mich neben ihn. Der Polizeimeister verließ das Zimmer.

„Weshalb zeigt Du dem mißtrauischen Herrn nicht Deinen Ausweis?“ fragte ich leise. „Deine Photographie auf dem Ausweis –“

„– würde uns auch nichts nützen!“ vollendete Harald. „Der Mann will uns nicht glauben – sehr einfach! Merkst Du das nicht?! Er gehört eben auch mit zu den Treibern, die uns von Kalkutta fernhalten sollen. Ich werde ihm beweisen, daß er bestochen worden ist.“

„Ich bewundere Deine Ruhe, wo doch jetzt jede Minute kostbar ist –“

„Ruhe?! – Lieber Alter, das ist nur äußerlich. Bedenke, ich habe Tschong geraten, seiner Frau zu depeschieren, das Geld für Kuma Tawi zu besorgen und es ihm zu geben. Für mich steht also außer meinem Rufe als leidlich schlauer Detektiv noch eine Million auf dem Spiele. Denn ich müßte Tschong anstandshalber die Summe ersetzen, wenn dessen Zwillingsbruder damit verduftet.“ –

Nach zehn Minuten etwa erschien der Polizeimeister wieder im Zimmer. – „Ich habe keinen Anschluß bekommen,“ sagte er ärgerlich. „Sie beide müssen also schon hier bleiben. Morgen früh wird sich dann ja leicht herausstellen, ob –“

Harst sprang auf. „Morgen früh?! – Ah – das könnte Ihnen wohl passen! – Führen Sie mich sofort an das Telephon. Sofort! Tun Sie es nicht, sind Sie Ihre Stellung los. Dafür werde ich sorgen!“

Der Polizeimeister dienerte überhöflich. „Bitte sehr. Das Telephon steht zu Ihrer Verfügung.“ – Er ging uns voran in sein Amtszimmer. Aber – das Telephon dort war offenbar in Unordnung. – Harst wandte sich um.

„Sie haben den Apparat soeben beschädigt – irgendwie!“ meinte er streng. „Ich durchschaue Sie! Sie glauben, das Telegramm Ihres Auftraggebers in Kalkutta deckt Ihnen den Rücken. Sie irren! Sie sind die längste Zeit hier Polizeigewaltiger gewesen!“

Ehe ich mich noch recht in die neue Situation hineinfinden konnte, hatte Harst dem Inder einen wuchtigen Hieb vor die Stirn versetzt. Der Mann taumelte nach hinten, sank langsam zu Boden. Harst aber zerrte mich zur Tür hinaus in den Flur, dann auf die Straße. Wir sprangen in den Wagen; Harald rief dem Lenker zu: „Nach dem Polizeigebäude!“

Als wir um die Straßenecke bogen, hörten wir hinter uns schon das Gebrüll der Verfolger.

Harst packte den Kutscher, einen jungen braunen Burschen, beim Genick. Ein Stoß – der Bengel flog auf die Straße. Harald hatte schon die Zügel in der Hand. Der Wagen raste davon, um Straßenecken herum – kreuz und quer, bis wir an einem nur halb bebauten Wege linker Hand einen offenen Maisschuppen bemerkten. Dort verbargen wir uns und den Wagen. – In einer Ecke machten wir Toilette – beim Lichte unserer Taschenlampen. Wir ließen uns Zeit. Es goß ja noch immer in Strömen, und hier würde man uns nicht finden. –

Um zehn Uhr abends hörte der Regen auf. Bald darauf verließ ein Wagen einen entlegenen Maisschuppen. Auf dem Wagen standen hinten drei Koffer. Vorn saßen zwei Frauen, – besser zwei ältere Damen, beide mit leicht ergrautem Haar, auf dem schicke kleine Filzhütchen, mit Schleiern umwunden, thronten.

Der Wagen fuhr direkt zum Bahnhof. Ein Gepäckträger lud die Koffer ab. Die eine Dame kehrte mit dem Wagen um, fand sich aber gleich darauf im Wartesaal wieder ein, wo ihre Gefährtin bereits mit dem Bahnhofsvorstand wegen eines Extrazuges nach Kalkutta verhandelte, denn der nächste Zug nach Kalkutta ging erst um 5 Uhr morgens ab.

Der Beamte erlebte es zum ersten Male, daß ein Extrazug verlangt wurde. Schließlich erklärte er sich bereit, eine Maschine und einen Personenwagen in einer halben Stunde gegen Zahlung von 180 Pfund zu stellen. – Der Betrag wurde sofort beglichen, und gerade als der Polizeimeister dann auf dem Bahnhof erschien, um auch hier nach den „Hochstaplern“ zu forschen, dampfte die Lokomotive mit den beiden Damen davon. Der Polizeimeister stürzte auf den Bahnvorstand zu. Wir konnten diese Szene noch beobachten. Aber zu seiner Enttäuschung erfuhr der Polizeigewaltige, daß es nur „zwei weiße Ladys“ waren, die nach Kalkutta an das Sterbelager ihres Bruders eilen wollten.

– – – – – – – –

Harst hatte neben mir zum Fenster hinausgeschaut.

„Entwischt!“ meinte er. „Unsere Masken haben die Feuerprobe schon bestanden.“

Er setzte sich in die Polster des Abteils 1. Klasse, holte sein Zigarettenetui hervor, begann zu rauchen. Er sah als ältere Dame sehr würdig und vornehm aus.

„Wir wissen jetzt zweierlei,“ sagte er dann. „Erstens: Kuma Tawi wollte uns bis morgen früh hier festhalten lassen. Mithin dürfte er das Geld entweder schon haben oder doch in dieser Nacht sich abholen. – Zweitens: In Kalkutta heißt der Detektivinspektor Palwson.“

„Jedenfalls: wir kommen zu spät!“ meinte ich seufzend. „Himmel – eine Million!“

„Abwarten, mein Alter. – Übrigens: auf der Fähre habe ich mich blamiert. Ich glaubte, der Gesang, den der eine Fährmann anstimmte, sei ein Signal für das Boot, uns nicht sofort zu überfallen. – Dies war ein Irrtum von mir, wie sich ja nachher zeigte. Die Bande hatte einfach ohne Wissen der Fährleute die Kette gerade in der Mitte des Flußarmes so weit durchgefeilt, daß sie reißen mußte, sobald an der betreffenden Stelle ein stärkerer Druck ausgeübt wurde. Und sie riß auch! – Alles in allem war diese Fahrt Rangun-Kalkutta ein ziemlich kräftiges Nervenpulver. Ich glaube, Kuma Tawi hat sich während seiner Reise weniger aufgeregt als wir, obwohl –“

Er schwieg und blinzelte mich schlau an.

„Obwohl –?“ fragte ich.

„Das wirst Du vielleicht noch in dieser Nacht hören, falls eben Worbster in Rangun nicht gerade zu unbegabt sich benommen hat.“

„Worbster? Was hat der denn nun wieder –“

„Ja – er ist unsere große Hoffnung, ist – das Eisen, das ich im Feuer habe. – Unser Extrazug beeilt sich. Wir können gegen 1 Uhr in Kalkutta sein.“

Harst hatte eine halbe Stunde zu viel gerechnet. Wir waren bereits um ½1 auf dem Hauptbahnhof, gaben unsere Koffer zur Aufbewahrung ab, nahmen ein Auto und ließen uns nach der Besitzung Tschongs fahren, die der Chauffeur kannte. –

Tschongs prächtige Villa lag im Vorort Allipur im Süden der Millionenstadt. Harst ließ das Auto schon vorher halten und lohnte[14] den Chauffeur ab, hieß ihn aber vor dem Eingang des nahen Zoologischen Gartens auf uns warten.

Die Villa war von einer hohen Backsteinmauer umgeben. Wir läuteten am Tore. Ein Inder öffnete nach einer Weile. Es war der Pförtner und ein sehr mißtrauischer Mann. – Harst kritzelte auf eine Visitenkarte ein paar deutsche Worte:

„Bitte uns sofort zu empfangen – im Auftrage Ihres Gatten“

– und schickte die Karte durch den Pförtner in die Villa.

Fünf Minuten darauf standen wir in einem sehr stilvollen Salon einer blonden, hübschen Landsmännin gegenüber: Frau Helene Tschong.

Harsts Fragen klärten die Sachlage im Nu. – Um zehn Uhr abends hatte der schuftige Kuma Tawi sich das Geld geholt. Es waren nur 820 000 Mark nach deutschem Gelde. Mehr hatte Frau Tschong nicht auftreiben können. Die Summe hatte in 500-Pfund-Noten und kleineren Noten bestanden.

Frau Tschong konnte vor Tränen kaum sprechen. „Mein Mann ist ruiniert!“ jammerte sie immer wieder. „Und dabei hat dieser Elende mir noch nicht einmal das Schuldbekenntnis ausgehändigt!“

„Fassen Sie Mut!“ tröstete Harst. „Ich werde alles versuchen, den Schurken unschädlich zu machen.“ –

Als wir die Villa eilends verließen, meinte Harald:

„Nun kommt alles auf Worbster an!“

Wir bestiegen das Auto wieder, fuhren nach – dem Hauptpostamt. Hier fragte Harst am Nachtschalter nach postlagernden Depeschen für Master Howard Hasting.

Der Beamte suchte im Regal, reichte Harst dann ein Telegramm.

Harst riß es sofort auf, ließ mich mitlesen:

„Singspielhalle Zur lustigen Jane, Hafen“.

Das war alles. – Harst zog mich hastig mit sich fort.

„Wir werden siegen! – Nun zu Inspektor Palwson.“

Eine halbe Stunde dauerte es, bevor wir den behäbigen Master Palwson zur Verfügung hatten. – Harst zeigte ihm seinen Ausweis.

„Können wir von Ihnen andere Kostüme bekommen, Mr. Palwson?“ fragte Harst überstürzt. „Schnell – irgend etwas. Wir wollen einen Mörder in der Singspielhalle Zur lustigen Jane abfassen, der außerdem auch eine gehörige Summe erpreßt hat.“

Palwson machte große Augen. „Mörder?! – Da bin ich doch gespannt.“ – Dann holte er, was wir für die neue Verkleidung brauchten.

Harst teilte Palwson nur so einiges mit, verschwieg aber Tschongs schriftliches Bekenntnis und gab der Sache ein ganz anderes Aussehen, um Tschong zu schonen.

„Worbster sollte also die Telegramme in Rangun überwachen,“ erklärte er nun. „Und sobald er die Gewißheit hatte, daß einer der Spießgesellen dieses Kuma Tawi aus Rangun an diesen an eine Deckadresse telegraphieren wollte, sollte er mir die Adresse hierher postlagernd für Howard Hasting senden.“

„Und der Mord?“ meinte der dicke Inspektor.

„Darüber nachher, wenn wir den Burschen fest haben. – Bitte, lassen Sie jetzt doch sofort die Singspielhalle durch Ihre Leute umstellen, Mr. Palwson.“

„Oh – das ist in zwanzig Minuten geschehen.“ –

Es war kurz nach 2 Uhr morgens, als zwei indische abgerissene Hafenarbeiter die Hafenkneipe „Zur lustigen Jane“ betraten, wo noch großer Betrieb herrschte. Der Wirt war ein Chinese zweifelhaftester Güte.

Harst winkte den Wirt beiseite. „Ich komme aus Port Canning,“ flüsterte er. „Habe Tonga Lei etwas vom dortigen Polizeimeister zu bestellen.“

Tonga Lei. – Das war der Name Kuma Tawis, den der dürre Chinese verraten hatte.

Der Wirt musterte Harst argwöhnisch. – Harst flüsterte weiter: „Die Sache mit der Fähre ist geglückt –“

Der Wirt beruhigte sich, faßte Vertrauen.

„Tonga Lei ist nicht mehr hier. Er fiel hier auf. Er spendierte zu viel Wein. Er hat ein Frachtboot gekauft und will damit stromaufwärts. Das Boot liegt unter der großen Brücke am Westufer.“ –

Um ½3 bereits stiegen Harst, Palwson und ich vom Ufer über die Laufplanke auf den großen Frachtkahn. In der kleinen Heckkajüte brannte Licht. Wir stießen die Tür auf. Am Tische saß ein schlafender, ärmlich gekleideter Chinese. Der ganze Raum roch nach Fusel.

Harst legte dem Schläfer die Hand schwer auf die Schulter.

„Kuma Tawi!“

Der Mensch taumelte empor.

„Rufen Sie Ihre Leute, Mr. Palwson,“ sagte Harald. „Wir haben ihn!“

Kaum war Palwson draußen, als Harst dem Verbrecher in den Kittel faßte und seine Brieftasche herausriß. Er reichte sie mir.

Kuma Tawi wollte auf mich zuspringen. Harst hielt ihm die Pistole vors Gesicht.

„Du hast verspielt, Kuma Tawi,“ meinte er eisig. „Ich bin der, dem Du den Weg nach Kalkutta gern versperren wolltest!“

Ich blätterte schnell die Papiere der Brieftasche durch, fand auch das Bekenntnis Tschongs. – Harst nahm es, ballte es zusammen, drehte es spitz und steckte es ein Stück in den Pistolenlauf.

Die Kajüte hatte ein kleines Fenster. Harst öffnete es, feuerte in die Luft, so daß die Fetzen der gefährlichen Urkunde in den Fluß fielen.

Palwson stürmte herein. „Was gibt’s, Mr. Harst?“

„Oh – ich wollte Ihre Leute nur etwas anspornen,“ erklärte Harald.

Drei Beamte packten den Chinesen. Handschellen schnappten zu.

Kuma Tawi grinste jetzt frech. „Mein Bruder Tschong wird mit mir ins Zuchthaus wandern!“ rief er Harst zu.

„Du irrst!“ Harst fixierte den Verbrecher scharf. „Du wirst gehängt werden! Du hast den Franzosen Prestilant ermordet. – Als ich Deine Fährte in Rangun nicht finden konnte, als ich festgestellt hatte, daß Du auf dem gewöhnlichen Wege nicht entwichen sein konntest, fiel mir rechtzeitig noch – der Luftweg ein! – Ich ersah aus den Wetterberichten, daß um die Zeit, als Du Rangun verlassen haben mußtest, Nordwestwind geherrscht hatte. Es war also die Möglichkeit vorhanden, daß Du im Ballon entkommen warst. Mein Kapitän Weber wußte, daß in Rangun ein Erfinder wohnte, der auch einen Freiballon besaß. Dieser Erfinder war, wie ich bald ermittelt hatte, in aller Stille nachts mit seinem Ballon davongesegelt. Du wirst ihn bestochen haben, Dich aus Rangun zu entführen. Unterwegs hast Du den Franzosen dann aus der Gondel gestürzt. Der Körper fiel unweit von Akyab in einen Rasamala-Baum. Durch die Wucht des Falles riß ein Ast den Kopf des Unglücklichen ab. Der Rumpf blieb in den Zweigen hängen. Du wirst dann gelandet sein, wirst den Ballon verbrannt und Deine Flucht zu Lande allein fortgesetzt haben. Jedenfalls bist Du des Erfinders Mörder und gehörst an den Galgen.“

Da – Kuma Tawi hatte sich losgerissen, hatte sich durch das Fenster in den Fluß gestürzt. Er hoffte wohl, in der Dunkelheit schwimmend zu entkommen trotz der gefesselten Hände.

Palwson beugte sich zum Fenster hinaus. Der Chinese tauchte auf, stieß einen gellenden Schrei aus.

Vor ihm war ein Krokodil aufgetaucht.

Noch ein entsetzlicher, die Nerven aufrüttelnder Schrei. Dann waren Mensch und Krokodil verschwunden.

Palwson zuckte die Achseln.

„Auf diese Weise ist uns viel Arbeit und ein neuer Strick erspart worden,“ sagte er. „Suchen wir nach dem Gelde –“

Wir fanden es. Es fehlten gegen 10 000 Mark. –

Als wir Frau Helene Tschong das Paket Banknoten überreichten und Harst ihr erzählte, daß das Bekenntnis und der Erpresser auf dem Grunde des Flusses lägen, weinte unsere blonde Landsmännin Freudentränen. –

Leider sollte sie später noch mehr Tränen vergießen. Aber das gehört zu einer anderen Geschichte, die ich betiteln will:

 

Die Gefangene von Trawalkor.

 

 

Anmerkungen:

  1. Hier fehlt eine Zeile. Text sinngemäß ergänzt.
  2. „Expreß-Post“ / „Expreß Post“ – Beide Schreibweisen vorhanden. Einheitlich und bandübergreifend auf „Expreß Post“ geändert.
  3. In der Vorlage steht: „Geruchst“.
  4. Nicht ganz richtig im Kopf, Spleen.
  5. In der Vorlage steht: „aufgestellt“.
  6. In der Vorlage steht: „der“.
  7. In der Vorlage steht: „eserner“.
  8. In der Vorlage steht: „Klement-Pistole“.
  9. In der Vorlage steht: „Haust“.
  10. Fehlendes Wort „ich“ ergänzt.
  11. Siehe auch Wikipedia: Chittagong.
  12. Siehe auch Wikipedia: Sundarbans.
  13. In der Vorlage steht: „einzgen“.
  14. In der Vorlage steht: „lohnten“.