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Die Diamanten des Bettlers

 

 

 

Der Detektiv

 

Kriminalerzählungen

von

Walther Kabel.

 

Band 133:

 

Die Diamanten des Bettlers.

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin 26, Elisabeth-Ufer 44

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschl. das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1924 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin.
Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

1. Kapitel.

Ahmed Bissu, der Inder.

Nie ist ein Weib so heiß begehrt worden wie Eva Larda, die aschblonde schlanke Schönheit …

Nie haben sich eines Weibes wegen gleichzeitig Hunderte von intelligenten Männern derart bemüht: die ganze Berliner Kriminalpolizei!

Nie war ein Fangobjekt so schlau und so vielgestaltig wie Eva Larda, ließ sich von niemand umstricken – – selbst von Harald Harst nicht!

Zwei Morde auf dem Gewissen, dazu Diebstähle, Betrügereien, zuletzt den Juwelendiebstahl bei Generaldirektor Benatzki: kein Wunder, daß alle Welt nach ihr suchte!

Auch wir – auch wir, ganz umsonst …

Herr Benatzki hatte uns tausend Mark Honorar vorausbezahlt. Und am 1. September brachte Harald ihm die tausend Mark zurück. Ich war dabei. Er sagte:

„Acht Tage sind wir hinter Eva Larda ohne jeden Erfolg her. Jetzt gebe ich die Sache auf. Ich weiß nicht einmal, ob sie noch in Berlin steckt. Nichts weiß ich. Und Honorar für negative Bemühungen nehme ich nie an.“

Benatzki wagte es nicht, hiergegen etwas einzuwenden. Mit einem Händedruck verabschiedeten wir uns. –

Harald war damals durchaus nicht auf der Höhe. Die Grippe hatte wieder ihren Einzug in Berlin gehalten, und auch wir beide fühlten uns nicht ganz auf dem Posten.

Als wir nun die Potsdamer Straße hinabgingen, sagte Harald plötzlich:

„Ich habe Fieber. Ich werde mich daheim zu Bett legen …“

Er sah tatsächlich unnatürlich rot aus. Ich erschrak …

„Nehmen wir ein Auto,“ meinte ich besorgt. „Ich werde sofort unseren Sanitätsrat benachrichtigen.“

Wir stiegen am Potsdamer Platz in einen Kraftwagen. Ich hatte Harald untergefaßt. Er ging sehr schwerfällig und matt.

Es war ein geschlossenes Auto. Ein kühler Regentag lagerte über Berlin. Ein Tag, an dem alles Grau in Grau gemalt ist …

Und im Auto wandte mir Harald sein wieder in gesund-natürlicher Farbe schimmerndes Gesicht zu …

Lächelte …

„Mir war nur das Blut in die Wangen geschossen … Eva ist doch noch in Berlin!“

Das war wie eine belebende Dusche … Grippe – alles war vergessen.

„Du sahst sie?“

„Nein … Ich sah nur etwas sehr Merkwürdiges an der Terrassenmauer des Cafee Josty …“

„Und –?!“

„Einen Bettler.“

„Dort stehen immer mehrere …“

„Einen gebeugten Mann mit einem kleinen Rucksack auf dem Rücken – gebräuntes Gesicht – schwarzer Schifferbart, so eine Art Stromer … Der Bart war angeklebt, der braune Teint Schminke … Der Mann bot – Similisteine mit weinerlicher Stimme an …“

„Nun – und weiter?!“ Ich war wie Quecksilber … Ich ahnte: das Wichtigste kam noch …

„Und – es waren Diamanten, große Diamanten, keine Simili, die er auf der flachen Hand den Passanten anbot.“

„Unmöglich …! – Pardon – Du bist Sachkenner …“

„Das bin ich. Und ich bin auch wieder ganz gesund. Wenn ich daheim noch zwei Sherrygläser Kognak trinke, ersäufe ich die letzten Grippebazillen …“

„Du – willst zurück zum Potsdamer Platz …“

„Natürlich. Die Diamanten waren gut erbsengroß und könnten dem Armband der Frau Generaldirektor entstammen …“

„Hm – – entschuldige: ein verkleideter Kerl, der echte Steine als Simili anbietet – – etwas unwahrscheinlich, wenn auch merkwürdig …“

„Warte ab …“ –

Um elf Uhr waren wir daheim. Um zwölf Uhr verließen wir das Harstsche Familienhaus wieder. Das heißt: nicht wir, – bewahre! Zwei Herren gesetzten Alters, Typ Kleinrentner, etwas schäbig und gedrückt …

Mit der Straßenbahn fuhren wir bis zur Budapester Straße, stiegen aus. Ich war wie im Fieber. Das Problem interessierte mich …

Noch fünfzig Schritte bis Josty …

Kein Bettler mehr mit Similisteinen …

Nichts – nichts …

Wir schlenderten weiter. Haralds Lebendigkeit ließ nach. Diese Enttäuschung traf ihn wie ein Schlag.

Und als wir gegen halb zwei wieder zu Hause in der Blücherstraße 10 in Schmargendorf eintrafen, da flüsterte uns Mathilde, die alte bewährte Köchin, hastig zu:

„Ein Herr sitzt im Arbeitszimmer … Hier ist seine Karte!“

Auf der Karte stand:

Jean Ahmed Bissu,

Juwelier,
Allahabad, Lord-Gaynor-Str. 18.

„Ein Inder,“ meinte Harald. „Hm – ob der Jean Ahmed Bissu aus Allahabad etwa die Simili gekauft hat?!“

Dann öffnete er die Tür, und wir sahen uns dem hageren Inder gegenüber, der in seiner europäischen Tracht und mit dem langen schwarzen Bart für den Kenner doch den Zugehörigen zum Volke der Radschputen nicht verheimlichen konnte. In der Kleidung seiner Heimat hätte er imposanter gewirkt …

Er war aus dem Sessel hochgeschnellt, musterte uns nun mit angstvollen Augen.

„Ahmed Bissu!“ stellte er sich als indischer Gentleman vor. Sein Englisch war tadellos. Und seine Gestalt rief in mir sofort liebe, aufregende Erinnerungen wach …

Indien – – Indien!! Sehnsuchtstraum Tausender! Land der Wunder und Rätsel, Heimat von ungezählten Millionen, so verschieden an Farbe, Charakter, Religion und Gebräuchen wie in keinem anderen Reiche! – Wir kannten Indien ja. Und wie wir es kannten! Wie gern habe ich hier in früheren Bänden den Leser durch die Wunder Indiens geführt! –

Ahmed Bissu war erregt. Ihm mußte etwas Unerhörtes zugestoßen sein. Er konnte niemals lediglich Simili gekauft und diese Simili als echt erkannt haben. Deshalb war er nicht hier.

Und ohne Haralds Aufforderung zum Platznehmen zu beachten, begann er uns nun sein Leid zu klagen …

Er hatte heute vormittag auf der Terrasse des Cafee Josty gesessen, dicht an der Rampe, allein … Seit acht Tagen war er in Geschäften in Berlin – von London aus – ein Abstecher … – Da war ihm denn mit einem Male der Mann mit den blitzenden Steinen auf der Hand aufgefallen. Als Juwelenhändler erkannte er an dem Feuer der Steine, daß es sich zum mindesten um tadellose Imitationen handele. Er hatte seine Zeche schnell bezahlt und war zu dem Manne hingegangen, hatte einen der Steine geprüft, sah, daß die Unterseite zwar mit Spiegelfarbe wie bei den meisten Simili unterlegt war, daß es aber doch fraglos echte Steine seien.

Mühsam verständigte er sich mit dem Zerlumpten, nahm ihn mit in die nahe Pension in der Bellevuestraße, wo er abgestiegen war …

Der Mann legte ihm hier fünfundzwanzig dieser Steine vor. Als Bissu diese nun noch mit der Lupe prüfte und auf den Zerlumpten nicht achtete, erhielt er plötzlich von hinten einen solchen Schlag gegen den Schädel, daß er bewußtlos zusammenbrach …

Nach wenigen Minuten erwachend, fand er sich beraubt: er hatte um den Leib einen Ledergurt mit drei Taschen voll Diamanten getragen, und dieser Gurt sowie seine gut gefüllte Brieftasche waren ihm abgenommen worden. Der Dieb hatte das Pensionat inzwischen längst unbehelligt verlassen.

Bissu telephonierte die Polizei an. Der Beamte riet ihm, sich an Harald Harst zu wenden. Natürlich würde auch die Polizei ihr Möglichstes tun, den Dieb zu ermitteln. – –

Selten wohl ist ein Riesenraub auf so raffinierte Art ausgeführt worden wie dieser.

Es war ja klar, daß der verkleidete Kerl sich absichtlich vor Josty aufgestellt hatte, damit Bissu auf ihn aufmerksam würde. Der Plan mußte tadellos vorbereitet gewesen sein, und fraglos war der Inder schon vorher längere Zeit von den Gaunern – mehrere waren im Spiel, ohne Zweifel – beobachtet worden.

Der Inder betonte noch, daß er völlig ruiniert sei, wenn er seine Edelsteine und sein Geld nicht zurückerhielte.

Harst winkte nach dem Sessel zu …

„Setzen Sie sich, Ahmed Bissu … Etwas Derartiges muß in Ruhe erledigt werden. Überschätzen Sie mich auch nicht … Ich bin keiner der Fakire Ihrer Heimat, der Wunder vollbringen kann. Ich arbeite lediglich mit einem einzigen Hilfsmittel …“

Und er tippte sich leicht gegen die Stirn …

„Jetzt einige Fragen, Ahmed Bissu,“ fügte er hinzu, und sein Gesicht war wie ein gespannter Bogen. Ich merkte: der Fall war nach seinem Geschmack, zumal ja die Möglichkeit bestand, daß Eva Larda die zarten Fingerchen hier abermals gerührt hatte.

„Einige Fragen … Zunächst: Hat sich jemand hier in Berlin an Sie herangedrängt, haben Sie Zufallsbekanntschaften gemacht?“

„Nein – bestimmt nicht. Ich kenne hier nur drei Juweliere, die von mir Steine kaufen wollten. Drei der ersten Firmen …“

Harald fragte weiter …

Doch – nirgends ergab sich ein Anhaltspunkt! Bissu war äußerst vorsichtig gewesen, hatte sich sogar im Pensionat Wendel in der Bellevuestraße nur als Kaufmann ausgegeben und auch die drei Juweliere nur bei sich empfangen, mit denen er noch nicht handelseinig geworden. Er erklärte weiter, daß die drei Herren als alte Kunden von ihm durchaus verschwiegen seien und fraglos niemandem etwas von seinen Schätzen mitgeteilt hätten.

Kurz – die Sache sah für den Inder und für uns recht wenig aussichtsvoll aus.

Trotzdem entließ Harald den geknickten Bissu mit der Versicherung, er würde schon eine Spur entdecken.

Und als der Inder dann gegangen, trank er wieder zwei Gläser von unserem uralten Kognak und pfiff die bekannten Takte aus Carmen:

„Auf in den Kampf, Torero …“

Worüber ich mich reichlich wunderte …

Aber – nachher wunderte ich mich nicht mehr.

Der Leser möge achtgeben: Der Fall Bissu ist geradezu ein Schulbeispiel für Haralds Arbeitsmethode!

 

2. Kapitel.

Die Beichte in der Schreibmaschine.

Kaum hatte er den allerletzten Rest der Grippebazillen dergestalt in Alkohol ersäuft, als er sich an den Schreibtisch setzte, im Fernsprechverzeichnis blätterte und dann Juwelier Weißling, Unter den Linden, anläutete …

„Hier Harald Harst … Ich möchte Herrn Weißling selbst sprechen … Ah – Sie sind’s, Herr Weißling … Ja, wir haben uns lange nicht gesehen … Freuen Sie sich doch darüber … Wer mich sieht, hat entweder gestohlen oder ist bestohlen worden … – Auf Ihre Diskretion kann ich Wolkenkratzer bauen – wie immer! – Heute nur eine Auskunft … Haben Sie in letzter Zeit neues Personal eingestellt oder daheim neue Dienstboten? – Nein …? – Dann danke ich … Verzeihung, habe keine Zeit … Schluß!“

Und – Juwelier Moses Jelling, Leipziger Straße, kam an die Reihe …

Auch Herr Jelling war selbst am Apparat – ein Zufall wohl …

Die Unterhaltung spielte sich etwa im selben Wortlaut ab … Nur einige kleine Unterschiede:

„… Lieber Herr Jelling, wenn Sie nicht über das, was ich von Ihnen erfahren will, Ihren verehrten Schnabel halten, dann haben Sie nie mehr vorkommendenfalls auf meine Hilfe zu rechnen … – Schon gut, schon gut … Schwören Sie nicht. Sie wissen: Dein Eid ist … mein Eid!! – Also: haben Sie in den letzten zwei Wochen neues Personal eingestellt? – Ja …? – Wen denn …? – Eine Korrespondentin? – Wann? – Vor zehn Tagen …? So … so … – Na, die interessiert mich nicht … – Was los ist?! Bissu, der Inder, ist beraubt worden – total! Aber – das bleibt noch Geheimnis! Und wehe Ihnen, wenn Sie … – schon gut: Dein Eid ist … mein Eid! – Halt – hatte Bissu sich bei Ihnen angemeldet? Er kam doch von London … – Ja …?! Und haben Sie ihm nach London Briefe geschickt? – Ja … Wer schrieb die? – So – das neue Fräulein … – Interessiert mich nicht … – Schluß, und – Mund halten!“

Harald nickte mir zu …

„Merkst Du was, mein Alter?! Das riecht nach einer Spur, dieses … neue Fräulein!“

Trotzdem läutete er noch den dritten Juwelier an. Hier fiel die Auskunft jedoch genau so aus wie bei Weißling: negativ!

„Na – dann also das neue Fräulein,“ meinte Harald. „Schmieden wir das Eisen sofort …“

„Zu Jelling?“

„Ja – als Telephonarbeiter … Vorwärts! Die Leitungen müssen nachgesehen werden … Suche den Wisch vom Elektrizitätswerk heraus, der uns legitimiert …“ –

Doch – es kam anders …

Die schöne Fährte wurde – verwischt – – gänzlich …

Wir hatten kaum die Masken der Telephonarbeiter angelegt, als der Apparat auf dem Schreibtisch schrillend jemand an den Hörer rief …

Harst schickte mich hin …

„Hier Max Schraut!“ meldete ich mich. „Ah – Herr Jelling – – Sie?!“

Und stotternd und stammelnd berichtete Moses Jelling, daß seine neue Korrespondentin Fräulein Anna Mack vor vier Minuten plötzlich vom Stuhl gefallen und tot gewesen sei …

„Mausetot, Herr Schraut … Ich ließ nämlich gleich den hier im Hause wohnenden Sanitätsrat herunterbitten. Und der hat an der Erweiterung der Pupillen erkannt, daß die Mack sich vergiftet hat – mit irgend so ’nem ausländischen Gift, Herr Schraut … Und wie ich nun die Mutter der Mack benachrichtigen wollte – sie hatte angegeben, sie wohne mit ihrer Mutter zusammen in der Wilhelmstraße im Gartenhaus –, da … war dort keine Frau Mack zu finden … Und ich fürchte nun sehr, daß auch all die tadellosen Zeugnisse und Empfehlungen der Mack gefälscht sind. Harst soll mir helfen, das aufzuklären … Stellen Sie sich vor: womöglich hatte ich eine Gaunerin bei mir aufgenommen …!!“

Ich winkte Harald herbei.

Nachdem auch er noch mit Jelling gesprochen, warf er sich in den Schreibsessel …

„Mein Alter, – Evas Opfer, wette ich! Die Mack hat sich niemals selbst vergiftet. Du hörtest ja, wie ich Jelling fragte, in welcher Weise die Mack das Gift genommen habe. Das wisse man noch nicht … Sie habe gerade gefrühstückt. Eine angebissene Semmel sei mit auf den Boden gerollt. – Fahren wir hin – wie wir sind …“ –

Die Leiche war bereits weggeschafft worden, als wir vorn den eleganten Laden betraten. Ein Verkäufer, der uns für das hielt, was wir darstellen wollten, erzählte uns flüsternd, die Kriminalpolizei sei im Kontor, und war sehr erstaunt, als wir ohne weiteres dort eindrangen.

Jelling wollte uns hinausweisen.

Harst machte schnell die gepolsterte Tür zu …

„Harst …!“

„Ah – sehr gut!“ nickte Kriminalkommissar Rietmeyer. „Tag, lieber Harst … Sie sind bereits informiert …“

„Ja … – Wo ist die angebissene Semmel?“

„Hier – in meiner Tasche … Ich will sie chemisch untersuchen lassen. Ich nehme an, daß entweder in die Semmel, die Butter oder den Wurstbelag ein Körnchen Amylnitrat hineingebracht …“

„Ich auch … Dann wird die Untersuchung jedoch nichts ergeben. Von Amylnitrat reicht ein Körnchen wie ein Stecknadelkopf hin, ein Dutzend Menschen zu beseitigen. Die Obduktion wird sichereren Aufschluß geben. – Jelling, haben Sie eine Photographie der Mack?“

„Natürlich … Juweliere verlangen das. – Bitte!“

Wir schauten uns das Bild an …

Ein hageres, älteres, reizloses Mädchen … Nur die großen Augen waren seelenvoll und schön.

Harst drehte das Bild um …

„Hm – keine Firma … Sehr vorsichtig … Zeigen Sie die Zeugnisse, Jelling …“

Rietmeyer mischte sich ein …

„Jelling erzählte mir, ein Inder sei bestohlen worden.“

„Ja, bester Rietmeyer. Und ich habe Ihnen dieserhalb noch einiges unter vier Augen zu sagen.“

Er zog ihn in eine Ecke … Ich hörte mit zu, wie er nun leise den Verdacht äußerte, daß der Simili-Händler genau so einer von Eva Lardas Bande gewesen sein könnte wie Eva die Mack hier vielleicht eingeschmuggelt hätte, um die Gelegenheit zu einem Einbruch auszubaldowern …

„Als die Mack dann die Briefe an den Inder erledigte und als Eva hiervon erfuhr, wird sie es nur noch auf Bissu abgesehen gehabt haben …“

„Durchaus klar!“ nickte Rietmeyer. „Und – was nun weiter?!“

„Für Sie der übliche Weg: Sie müssen das Bild der Mack an alle Anschlagsäulen heften … Vielleicht meldet sich jemand, der sie kennt …“

„Hm – und Ihr Weg, Harst?“

„Muß erst gefunden werden … – Sehen wir uns die Zeugnisse an …“

Die waren echt. Nur – das Alter der Mack war in allen Papieren sehr geschickt geändert worden … –

Harst hatte sich jetzt auf den Stuhl gesetzt, von dem die arme Anna Mack tot niedergesunken war …

„Haben Sie die Kleider und das Handtäschchen genau durchsucht?“ fragte er Rietmeyer nach längerer Pause …

„Ja … Nichts gefunden, was über die Wohnung oder die Person dieser Unbekannten Aufschluß gegeben hätte … Denn: Mack heißt sie sicherlich nicht …“

„Nein …“ Und – da bückte er sich, hob einen zerknitterten Fahrschein der Straßenbahn auf …

„Der besagt nichts,“ meinte Rietmeyer achselzuckend.

„Vielleicht nur das eine, daß die Unbekannte immerhin weiter ab wohnte.“

Er sprach ohne Betonung – fast leiernd. Weiß Gott, wo seine Gedanken waren …

Wieder Stille …

Rietmeyer durchsuchte den Papierkorb neben dem Platz der Toten.

„Zum zweiten Male tue ich’s“ meinte er. „Man kann nie wissen …“

Harst starrte auf die Schreibmaschine …

Ein Bogen war eingespannt …

Und – plötzlich fuhr er hoch …

„Haben Sie gelesen, Rietmeyer?“

„Nein … Ein Geschäftsbrief doch …“

„So –?!“ Und Harald löste den Bogen heraus … „Hier steht:

Herrn M. Jelling …

Das Gewissen läßt mir keine Ruhe. Ich habe mich zum ersten Male aus bitterster Not durch ein Weib zu …“

Damit schloß dieses Bekenntnis … Vielleicht hatte der Tod die Hände gelähmt, die hier aus Reue eine Beichte niederschreiben wollten.

„Ein – Weib!!“ sagte Harst mit Nachdruck und schaute Rietmeyer an …

„Ja – – Ev…“

Da brach er ab, hüstelte … –

Und gleich darauf gingen wir drei ungleiche Herren die Leipziger Straße entlang – zwei Telephonarbeiter und der elegante Rietmeyer, … nicht zusammen, nein, er ging fünf Schritt voran. Erst in der stillen Wilhelmstraße, nachdem wir festgestellt, daß niemand hinter uns her war, gesellten wir uns dem Kommissar wieder zu.

„Sie sind also fest überzeugt, daß Eva Larda diese Geschichte befingert hat?“ fragte Rietmeyer und blickte Harald forschend an.

Harst nickte. „Wen sollte diese angebliche Mack wohl sonst in ihrer begonnenen Beichte mit „dem Weibe“ gemeint haben? Dieser kaltblütige Giftmord sieht ihr ähnlich …“

Der Kommissar nagte unzufrieden die Unterlippe mit den Zähnen. „Wenn man nur wüßte, wie man sie aufstöbern könnte!“ murmelte er. „Was haben wir nicht schon alles versucht! Die Berliner Zeitungen machen bereits spitze Bemerkungen über unsere – Rührigkeit! Infam ist das!“

„Allerdings! Diese Zeitungsschreiber sollten doch mal Eva suchen!“ Harst stieß das gereizt hervor. „Eine Kriminalpolizei wie die unsrige gibt es kaum noch! Nur eins fehlt: Geld! Man knausert am unrechten Ende. Die Beamten sollten mehr Bewegungsfreiheit haben. Mit dem Pflichtgefühl allein ist nichts getan. Liebe zur Sache gehört dazu.“

„Und ob!“ Rietmeyer machte ein melancholisches Gesicht. „Da haben Sie und Schraut es weit besser, lieber Harst … Sie beide sind Ihre eigenen Herren …“

„Gott sei Dank!“ rief ich …

Der Kommissar schaute Harald wieder so etwas mißtrauisch-forschend an.

„Sind Sie sich über einen Feldzugsplan nun vielleicht schon schlüssig?“ fragte er zaudernd …

Harald blickte auf die Steinplatten des Bürgersteiges.

„Ja, Rietmeyer, – ja …! Ich will nicht lügen … Aber mein Feldzugsplan ist für Sie ein Unding …“

„Weshalb?! Weshalb denn?!“

„Weil er – strafbar ist … Daher werde ich mich auch hüten, etwas davon zu verraten …“

„Strafbar – – strafbar?! – Das verstehe ich nicht … – Reden Sie doch, Harst … Reden Sie! Ich …“

„… werde mich hüten, Rietmeyer … – Mein Plan kann mißglücken … Ich blamiere mich nicht gern … Warten Sie ab …“

Und er zog die Schirmmütze und machte als Telephonarbeiter vor dem feinen Herrn eine Art Kratzfuß …

So trennten wir uns von dem Kommissar.

 

3. Kapitel.

Das Bild im Kino.

Wir schlurften mit unseren Handwerkszeugtaschen so recht gemächlich bis zum Wilhelmsplatz. Hier kaufte Harald bei einem Straßenhändler Zigaretten und begann ein Gespräch mit dem Manne. – Ich merkte: er beobachtete die Wilhelmstraße, wollte nochmals prüfen, ob wir nicht beobachtet würden.

Dann kehrten wir um, gingen denselben Weg zurück.

„Kein Spion – nichts,“ meinte Harald. „Eva ist außerordentlich vorsichtig geworden. – Hm – was hältst Du von der Frage, ob sie ihren ursprünglichen Plan, Einbruch bei Jelling, aufgegeben hat?“

„Natürlich … Sie wird die Finger hübsch davon lassen! Sie hat ja auch genug geerntet … Bissus Edelsteine waren an die dreimalhunderttausend Mark wert …“

„Hm – oder sie versucht den Einbruch trotzdem! Gerade weil sie sich sagt, daß die Polizei niemandem die Frechheit zutrauen wird, nach diesem Morde ein Geschäft heimzusuchen, das die Polente umschnüffelt …“

Wir standen jetzt auf der anderen Seite der Leipziger Straße vor dem Schaufenster von Herpich und taten so, als ob wir die wundervollen Perser anstaunten.

Ich warf Harst einen fragenden Blick zu …

„Beruht Dein Plan auf der Möglichkeit dieses Einbruchs?“ flüsterte ich.

„Ja. – Schau mal das Spiegelbild des Jellingschen schmalen Hauses an. Unten nur der Juwelierladen … Links die Ladentür, rechts der Hauseingang … Erste Etage: Damenmoden, Gebrüder Mandel … Zweite Etage ebenfalls Riesenfirmenschilder: Aktiengesellschaft für Betonbau … – Vierte Etage: Photographisches Atelier Alexander Wienand. – Dann – das flache Dach …“

„Nun – und?!“

„Das Haus ist mithin wahrscheinlich nur ganz oben bewohnt: der Photograph! Nachts dürfte man es nur mit Wienand und dem Portier zu tun haben …“

Ich begriff noch immer nicht recht.

„Nun – und?!“

„Wir werden – einbrechen, mein Alter … Regelrecht einbrechen … Mit allen Schikanen …“

Ich lachte … „Deine Witze sind etwas fade, lieber Harald. Jede Sache muß einen Zweck haben! Dies wäre zwecklos!“

„Glaubst Du?! – – Komm, gehen wir … Besuchen wir den Photographen. Ich will das Vorderhaus von innen kennenlernen …“

Wir wanden uns durch das Autogetute hindurch … Ich war nicht bei Laune. – Einbrechen?! Das war doch heller Unsinn!!

Die Treppen eng und schmal … Ein altes Gebäude. Überall brannte Licht … Harald hatte die Augen hier und dort, stieg bis zur eisernen Vorbodentür empor …

„Kunstschloß …!“ – Und im Nu hatte er den Dietrich bei der Hand – den einstellbaren Patentdietrich …

„Es geht!“ nickte er befriedigt. „Diese Kunstschlösser sind für die Katz’ …“

Nachdem er sich auch die Bodenräume rasch angesehen, während ich draußen Schmiere stehen mußte, verließen wir das Haus wieder. Der Besuch bei dem Lichtbildkünstler war überflüssig geworden.

Die Straßenbahn brachte uns heim. Wir wählten vorsichtshalber wieder den Weg am Laubengelände entlang bis zur Hinterpforte des Gemüsegartens. Und wir hielten die Augen gut offen … Niemand war in der Nähe, der nach einem Spion Evas ausschaute … –

Frau Harst, Haralds gütige Mutter, erwartete uns schon sehnsüchtig zum Mittagessen. Mathilde, die Köchin, maulte. Der Apfelstrudel wurde wieder in den Ofen geschoben und – „fiel“, wurde ein Fladen …

„Alles Aufgeblasene sinkt mit der Zeit,“ scherzte Harald. „Trösten Sie sich, liebe Mathilde … Auch aufgeblasene Menschen …! Die Hohlheit zeigt sich, und man lächelt.“

Er blickte mich scharf an und nahm eine zweite Portion Strudel. „Schraut hat mich heute auch ausgelacht … Er wird bescheiden werden!“

„Was habt Ihr denn?“ fragte Frau Harst. „Wie steht’s mit dem Inder?“

Vor ihr hatten wir keine Geheimnisse, und auch die dicke Mathilde strafte die Mär von der Geschwätzigkeit der Frauen Lügen …

„Die Sache ist so ziemlich aufgeklärt,“ antwortete Harald bereitwillig. „Nur die Anstifterin haben wir noch nicht, liebe Mutter … – Aber – lassen wir das … Es ist kein Thema für eine Mahlzeit …“

Er dachte an die arme Anna Mack – oder wie sie sonst heißen mochte … –

Mir aber gab dieses Wortgeplänkel die Gewißheit, daß Harst durch den Einbruch bei Jelling unsere Eva fangen wollte. – Wie er dies erreichen wollte, blieb mir ein Rätsel. –

Bis gegen sechs Uhr abends schliefen wir dann Vorrat – für die Nacht.

Um sieben Uhr standen in unserem Ankleidezimmer zwei schwarzhaarige, etwas dunkelhäutige Kavaliere von fragwürdiger Eleganz – Typ: Balkangauner!

Die angeklebten Scheitel, die gewichsten Schnurrbärte und das ganze Kostüm paßten durchaus in das Milieu jener Cafees und Kneipen des dunkelsten Berlins hinein, wo Taschendiebe, Einbrecher und sonstige Herrschaften verwandter Spezialfächer der Gaunerzunft sich bemühen, die harmlosen biederen Bürger zu spielen.

Unsere Masken wurden durch ein Paar schwarze steife Filzhüte, leichte Gummimäntel und breite seidene farbige Kragenschoner, genial um den Hals geschlungen, vervollständigt …

In unseren inneren Westentaschen aber steckten die Lederetuis mit dem allerfeinsten Einbrecherwerkzeug, das je in England heimlich hergestellt wurde. Dazu elektrische Leuchtstäbe mit Haken zum Anhängen, Ersatzbatterien, unsere Clementpistolen und je ein großes haarscharfes Klappmesser.

Harst musterte mich prüfend von oben bis unten …

„Mehr Schatten unter die Augen – im übrigen gut!“ nickte er und malte mir die gewünschten Schatten, so daß meine Sehorgane jetzt noch echter, echt balkanesisch, tief in den Höhlen lagen … –

In diesem Kostüm verließen wir das Haus durch den Gemüsegarten. Unsere Gummimäntel waren schwer durch die sauber eingewickelten Klappstullen, die Mathilde für uns zurechtgemacht hatte. Harst schien vorauszusehen, daß es eine lange Nacht werden würde.

Wir überzeugten uns bald, daß nichts Verdächtiges in der Nähe, sprangen in ein Auto und fuhren nach Tilsiter Straße – eine kleine Tagesreise!

Cafee Olympia hieß das Lokal, in dem wir landeten. Es war uns nicht fremd. Hier hatten wir mal stundenlang Billard gespielt und dabei einen Tisch beobachtet, an dem drei „Ehrenmänner“ einen Einbruch in die Villa des Geheimrats S. verabredeten. Der Einbruch war unterblieben. Die drei fanden Asyl auf der Polizeiwache.

Was wir heute hier sollten, war mir unklar. Harst hatte mir draußen noch zugeflüstert: „Also Ungarn, daß Du es weißt …!“

Und jetzt – spielten wir wieder Billard. Das Cafee war noch ziemlich leer. Ein Uneingeweihter hätte all diese Zeitung lesenden, plaudernden oder Skat dreschenden Leute fraglos für harmlose Müßiggänger gehalten.

Niemand schien uns zu beachten …

Schien … – Und doch wurden wir andauernd belauert … –

Der bucklige alte Kellner brachte uns Rotwein, Zigaretten und belegte Brötchen …

Harald kreidete seinen Billardstock umständlich ein …

„Sie, wir brauchen eine dritte Mann,“ raunte er mit hartem Akzent dem Kellner zu. „Eine Mann, auf dem man haben kann Verrrtrauehn …“

Der Buckel grinste. „Eenen Steher, wat?! Oder eenen Pfeifer?“

„Steherr – Steherr …“ tuschelte Harst. „Mit sehrr gutte Bezahlung …“ – Er drückte dem Buckel fünf Mark in die Biederfaust.

Der Kellner schob ab und schlängelte sich an einen blassen Menschen heran, der mit der Büfettdame philosophische Gedanken über Liebesverirrungen auszutauschen schien – dem Lachen nach zu urteilen …

Der Blasse kam, lehnte sich an das Billard, wartete …

Harald spielte eine Serie von fünfzehn Bällen und verhandelte zwischenein mit dem Blassen, der offenbar den verwüsteten Körper nur noch durch Alkohol vor dem völligen Zusammenbruch bewahrte, – – wie lange noch?!

„Also, Freinderl, wie haißt De?“ war die Einleitung nach dem dritten Ball gewesen …

„Der schöne Bodo … – Mensch, was is ’s nu mit die Chose?“

„Schmiere stehn sollst De …“

Und in dieser Art ging es weiter.

Der schöne Bodo war einverstanden: fünfhundert Mark in jedem Falle, bei Gelingen weitere tausend Mark …

„Ihr seid woll extra aus Wien oder da worum zu det Ding rieberjekommen?“ meinte er nachher, als er als Anzahlung hundert Mark in der Tasche hatte …

„Aus Prag,“ meinte Harst lakonisch. „Also – um Uhrre eins Ecke Friedrichstraße und Laipziger …“

Der Blasse zog sich zurück.

„Der Kerl ist tadellos,“ meinte Harald leise und winkte dem Kellner. „Dem sieht man den Professional auf zehn Schritt an …“

Er bezahlte …

Um die Zeit totzuschlagen, gingen wir nebenan in ein Kino. Loge natürlich …

Und – siehe da: Kommissar Rietmeyer hatte geradezu bewundernswert schnell gearbeitet! In der zweiten Pause erschien auf der Leinwand Anna Macks Bild, darunter kurze Angaben über den Giftmord, ein Hinweis auf die Belohnung von 500 Mark und die Aufforderung an alle, denen diese weibliche Person bekannt sei, sich im Polizeipräsidium, Zimmer 28, zu melden.

Tatsächlich – Rietmeyer hatte hier Unglaubliches geleistet! Das Bild war tadellos scharf, und – – der Erfolg ebenso tadellos, wenn auch ein stiller Erfolg …

Die sogenannte Loge war ein rechts an die Wand angebauter Holzkäfig. Vor uns lagen die Parkettplätze – wenig besetzt. Und da saßen auch zwei dicke Weiber, von denen die eine beim Aufleuchten des polizeilichen Fahndungsbildes einen ganz leisen, grunzenden Ton ausgestoßen hatte …

Jetzt zischelten die beiden Frauen miteinander, schauten sich argwöhnisch um und begannen abermals zu flüstern, schauten auch scheu nach dem Bilde hinüber und … – ein paar lautere Worte entschlüpften der einen:

„Aber Schmidten, – det scheene Jeld!!“

Die andere machte eine abwehrende Handbewegung …

Wieder zischelten sie.

Harst stieß mich an. „Merkst Du?!“

„Sie kennen die Mack …“

„Nur die eine – die Blonde …“ –

Das Bild verschwand …

Der letzte Akt des Dramas „Martha, die Enterbte …“ begann zu rollen …

Ein Kitsch sondergleichen. Aber vorn auf den billigen Plätzen flossen Ströme von Tränen.

Endlich dann das Ende. Martha, die Enterbte, heiratet ihren braven Franz, und der Verführer, der Herzog von Bratagio, bricht in Hoppegarten beim Hindernisrennen das Genick …

Endlich sind wir im Freien – in der Tilsiter Straße, atmen die Nachtluft tief ein. – Vor uns schlurfen die beiden Weiber dahin …

Die Blonde, etwas Schlankere, bleibt vor Nr. 61a stehen, zieht den Hausschlüssel aus dem Pompadour …

Wir gehen vorüber … Und hören:

„Aber Schmidten – fünfhundert Märker!!“

Dann ist die Schmidten im Hause verschwunden …

Und – wir auch … Haralds Dietrich hat uns die Tür geöffnet. – Wir beobachten die Schmidten. Im Hinterhause drei Treppen rechts wohnt sie. Wir stehen vor ihrer Tür. Mein Leuchtstab bescheint das Pappschild:

Wwe. Emma Schmidt,
Masseuse.

Masseuse …!! Vielversprechend!!

Harst läutet … – Schwere Schritte, eine fettige Stimme:

„Bist Du’s, Willem?“

„Nee – een Freind vom Willem … ’s is wat passiert, Schmidten …“

„Herr Jott …“

Die Tür geht auf … Ich halte mich verborgen. Die Sperrkette bleibt vorgelegt …

Und die fettige Stimme grunzt: „Ihnen kenn ick nich. Wer sind Sie denn …“

Da flüstert Harald:

„Anna Mack!! Öffnen Sie!“

„Herr Jott – – Polente!!“ (Polizei.)

„Öffnen Sie …!“

Sie gehorcht auch, ist gänzlich verdattert, führt uns in ihren „Salon“ …

Harst lüftet die Maske halb …

„Wir sind nicht Polizeibeamte, Frau Schmidt … Aber wir haben ein Interesse daran, alles über Fräulein Mack zu erfahren, was Sie wissen …“

„Hm …“ Ihre Schweinsäuglein werden ablehnend und tückisch. „Hm – damit Sie mir nachher die Belohnung wegschnappen … Ach nee – wir sind doch nich in Dummsdorf jeboren!“

„Was ich nicht bezweifle, Frau Schmidt … Hier sind fünfhundert Mark … Wollen Sie jetzt reden?“

Gier verdrängt die Tücke …

Und sie winkt, steckt das Geld ein, öffnet die Verbindungstür zum Nebenzimmer …

„Hier hat se gewohnt – seit dem 13. August …“

Sie kann uns im übrigen jedoch herzlich wenig mitteilen. – Die Mack hat nie Besuch erhalten, nie einen Brief, hat sehr solide gelebt … Und hat gut bezahlt. Nur polizeilich gemeldet wollte sie nicht werden …

„Keene Ahnung hatte ick, daß sie bei ’n Juwelier in Stellung war,“ betonte die Dicke.

„Lassen Sie uns hier allein,“ meint Harald. „Wir sind Detektive … Oder bleiben Sie auch …“

Er durchsucht das Zimmer. In dem Koffer der Mack findet er in einem Toilettenkasten mit doppeltem Boden eine schmale Brieftasche … Papiere darin, Legitimationen, allerlei – alle auf den Namen Vera von Peerland lautend.

Wir stehen am Tisch und sehen die Papiere durch. Über uns gluckert leise die Gaslampe. Die Schmidten ist hinausgegangen …

Harst horcht mit einem Male auf …

Im Flur ein dumpfes Geräusch …

Dann wird die nur angelehnte Tür aufgestoßen … Ein Mann tritt ein – hager, graubärtig, etwas zerlumpt. Halb zugekniffene Augen mustern uns …

Der Kerl lacht leise …

„Da haben wir sie ja …! Weiß der Teufel – Ihr feiner Riecher ist bewundernswert …“

Das ist keine Männerstimme … Ein Weib ist’s … Aber nicht Eva Larda …

Harald hat längst die Clement in der Hand … Hebt sie etwas … Die Sicherung schnappt zurück …

Die Verkleidete lacht wieder …

„Das – nützt Ihnen hier nichts – gar nichts nützt es Ihnen …“

Die Gaslampe brennt plötzlich dunkler … erlischt …

Und im selben Moment gleitet mir etwas über das Gesicht – wird mit einem brutalen Ruck von hinten zugezogen – – eine Schlinge …

Ich will mich wehren … Da sind ebenso plötzlich auch ein halbes Dutzend Hände, reißen mich zu Boden …

Sekunden nur … Widerlich süßer Geruch beizt mir die Nasenschleimhäute …: Chloroform! … Ein fettiges Kichern schlägt an mein bereits halb taubes Ohr: die Schmidt!! Sie hat uns hineingelegt! Sie war schlauer als wir! …

Und dann – nichts mehr …

 

4. Kapitel.

„Ich – habe telephoniert …“

Merkwürdig – ich kann doch nur ganz kurze Zeit bewußtlos gewesen sein …

Die gewaltsame Narkose kann auch nur ganz leicht gewesen sein …

Merkwürdig – ich sitze in einer Sofaecke und blinzele etwas matt in das gelbliche Licht einer Gashängelampe … Diese Lampe kommt mir so bekannt vor … Mein Kopf ruht auf der geschweiften Sofalehne … Und mein irrender Blick trifft drüben am Tisch ein liebes, bekanntes Gesicht: Harald! – In einem Schaukelstuhl lehnte er. Der Stuhl wippt langsam auf und ab … – Und noch mehr Gesichter sind da, alle um den Tisch herum …: die Schmidten, der Graubart, vier Kerle, die das Haar nach hinten gestrichen und Schillerkragen haben, dazu Manchesteranzüge …

Ich höre Harald sagen: „Wir verargen Ihnen diesen Irrtum nicht weiter … Mit Politik habe ich mich nie abgegeben … Wir werden schweigen …“

„Sehr liebenswürdig …“ Der Graubart verbeugt sich. Seine Stimme klingt ganz anders … „Ihr Freund ist zum Glück bereits wach, Herr Harst …“ – Es ist doch ein Mann. Er spricht das Deutsche mit fremdem Akzent.

„Dann darf ick Ihnen woll ’ne Tasse schwarzen Kaffee anbieten, Herr Schraut,“ meint die Schmidten … „Een Momang … Er is schon uffjebrieht … Det wird Ihnen wieder uff de Beene helfen …“

Harst nickt mir zu. „Ich konnte den Herren hier zum Glück noch rechtzeitig meinen Namen zuraunen,“ erklärt er. „Die Schlinge war mir nur bis zum Kinn gerutscht … Die Herren sind – Politiker und hielten uns für Kriminalbeamte …“

Er lächelt … „Wir scheiden nachher als beste Freunde – mit der Zusicherung gegenseitiger Verschwiegenheit …“ (Aus diesem Grunde will ich auch zugeben, daß die Tilsiter Straße nicht die richtige war, und aus demselben Grunde lasse ich hier weitere Einzelheiten weg.) –

Als wir gegen drei Viertel eins dann das Haus verlassen hatten und nun schleunigst in einem Auto dem Zentrum der Stadt zustrebten, sagte Harald lediglich:

„Wir waren da in einen Schlupfwinkel politischer Flüchtlinge geraten … Ich merkte es, da ich gerade noch vor dem Erlöschen des Lichts in dem Spiegel der Waschtoilette die drei Schillerkragen hinter uns gewahrte, die bisher unter den Fensterdecken gesteckt hatten … – Die Hauptsache: Anna Mack oder besser Vera von Peerland hat mit diesen Leuten nichts zu tun gehabt, und ihre Papiere trage ich in der Tasche …! Den Überfall auf uns müssen wir schon hinnehmen … Er hat uns immerhin einen Vorteil gebracht: wir wissen, wie der wahre Name der angeblichen Anna Mack lautet!“

Daß meine Stimmung so ziemlich auf dem Gefrierpunkt stand, konnte Harald mir nicht verargen. Ich fühlte mich noch hundeelend. Der Hals tat mir weh, und mein Hirn glich infolge des überstarken Kaffees der Schmidten etwa dem eines Studenten mit einem Mordskater.

„Gedenkst Du nun etwa wirklich noch dieses unsinnige Stückchen da bei Jelling auszuführen?“ fragte ich kleinlaut.

„Unter Umständen ja … Das hängt von mancherlei ab … Du, mein Alter, brauchst natürlich nicht mitzumachen …!“

Oh – dieser Filou!! Er wußte nur zu gut, daß ich ihn nie im Stich lassen würde!

Ich schwieg mißmutig. – Das Auto hielt …

Der schöne Bodo glänzte noch durch Abwesenheit. Wir schlenderten hin und her. Es wurde ein Viertel zwei – – kein Bodo!

Plötzlich vor uns ein eleganter Herr mit blondem Spitzbart, Monokel, knallrotes gesundes Gesicht …

Der bleibt vor uns stehen, tippt an den Velourhut …

„’n Abend … Also da sein wir … Die Chose kann losjehn …“

„Hochachtung – allerhand Hochachtung!“ nickt Harst. „Sie sind ein erstklassiger Steherrr … Kommen Sie mit main Freind nur hinterherrr …“

Wir gehen bis zur Wilhelmstraße, dann wieder auf der anderen Seite zurück. Der schöne Bodo erklärt geschäftsmäßig: „Also ich hab drei Mäntel an von verschiedene Kalühr … Wenn man so Schmiere steht, muß man alle Viertelstunde een anderet Jesicht und ne andre Kluft haben, sonst fällt man uff … – Hm, seid Ihr beede denn ooch sicher, det Ihr nich jeklappt werdt? Habt Ihr allens jut ausbaldowert …? Wißt Ihr ooch, det da heite bei den Juwelier Jelling een Tippfräulein vajiftet worden is?“

Harst überhebt mich jeder Antwort … Er winkt. Wir treten in eine Haustürnische …

„Also, Freinderl, Du kennst die Sach’ … Wenn’s was Verdächtges bemerkst, steckst Dir a Zigarettel an und werfst das Zündhölzerl im Bogen weg … – Verschwind, Freinderl …“

Und der schöne Bodo stelzt über die Leipziger Straße und baut sich vor Herpich auf.

Harald schaut ihm nach. „Nun sind’s drei,“ meint er zufrieden. „Unser Steher und zwei andere – zwei von Eva … Du hast sie doch gesehen?“

„Bedauere … Dazu ist es drüben noch zu belebt … Die Auswahl ist zu groß …“

„Hm – die Gesichter verrieten viel: zwei Weiber in Herrenanzügen – bestimmt Weiber!“

„Und – weshalb Evas Garde?!“

„Das – Gefühl sagt es mir …“

Er zieht mich weiter … Bis zum Juwelierhaus, schließt ohne Scheu die Tür mit dem Dietrich auf und läßt mich eintreten … Fragt gar nicht mehr, ob ich mitmachen will … Schließt von innen wieder ab …

Wir stehen im Dunkeln …

„Der Portier wohnt im Hinterhaus,“ erklärt er leise. „Jelling hat uns ja ahnungslos vieles verraten. Jede Stunde revidiert ein Beamter der uniformierten Nachtwach-Gesellschaft das Haus mit einem Hunde …“

Ich erstarre …

„Mit – einem – Hunde?!“

„Ja … Was schadet das?!“

„Der Hund wird uns wittern …!“ Mir tritt der Schweiß auf die Stirn! Das kann ja nette Unannehmlichkeiten geben!

„Natürlich wird er uns wittern … Ich habe ja telephoniert, als Du nachmittags schliefst …“

„Mit wem?! Ich …“

„Du scheinst noch immer nicht zu kapieren: mit dem Direktor der Nachtwach-Gesellschaft … Der Wächter ist eingeweiht … Er wird sehr bald erscheinen … Um halb zwei …“

Ich bin viel zu überrascht, um aufbrausen zu können …! Viel zu überrascht …! Das war wieder so recht Harst! Läßt mich bis zuletzt im Ungewissen!!

„Komm!“ sagt er. „Beginnen wir hier rechts an der Tür, die in Jellings Kontor führt …“

Diese eiserne Tür hat drei Kunstschlösser. Unsere Leuchtstäbe enthüllen all die Schwierigkeiten, diese erstklassigen Schlösser zu bewältigen.

Harst arbeitet mit dem Dietrich, dann mit dem Brecheisen, sprengt die Schlüssellochdeckel los und zerkratzt den Ölfarbenanstrich nach Kräften …

Dann – rüttelt jemand an der Haustür … Ein Schlüssel kreischt … Wir schlüpfen den Flurgang hinab in den Hof …

Minuten nichts … Ein leiser Pfiff … Und Harald sagt: „Der Wächter! Die Komödie kann beginnen …“

 

5. Kapitel.

Das Röllchen.

Der Wächter ist ein junger kräftiger Mensch, hält seinen Schäferhund fest am Halsband. Seine Lampe bescheint uns.

„Harald und Schraut,“ flüstert Harst das vereinbarte Kennwort.

„Gut, Herr Harst … – Hier sind die drei Schlüssel!“

Im Nu ist die eiserne Tür offen. Wir finden dahinter noch eine zweite. Auch diese Schlüssel hat der Wächter.

Wir drei und der Hund sind nun im Kontor. Die Türen haben wir nur eingeklinkt. – Vor den Fenstern dicke Eisenladen … Harst schaltet das Licht jetzt voll ein … – Strahlende Helle …

„Ich war beim Tierarzt, Herr Harst,“ sagt der Wächter. „Der Doktor hat dieses Stück Wurst präpariert …“

Er gibt es seinem Hunde. Schon nach drei Minuten legt der Hund sich nieder: ein unschädliches starkes Schlafmittel! –

Ich selbst bin nur Zuschauer wie bei einer echten Komödie … Ich weiß nichts von dem Inhalt des Schauspiels, das hier gegeben wird …

Der Wächter holt aus seinem Mantel drei Stricke hervor.

„Am besten dort in jener Ecke,“ meint Harald. „Legen Sie sich nur das Ruhekissen dort unter den Kopf …“ –

Ich selbst – nur Zuschauer! – werde Zeuge, wie Harald den jungen Menschen fesselt, ihm einen Knebel in den Mund steckt, dann ein Fläschchen aus der Tasche zieht und Stirn und Gesicht des Wehrlosen rot bekleckst: Blut – – unechtes Blut!

Den Hund schleppt Harst dann ebenfalls in die Ecke, begießt ihn ebenfalls mit – Blut … –

Ich habe als Haralds Freund schon allerlei mitgemacht. Dieses hier war doch so ziemlich das Tollste …!

„So,“ meint er nun und wirft die Dienstmütze des Wächters neben den scheinbar Bewußtlosen, der die Augen fest geschlossen hält, „jetzt kommt die Tür nach dem Laden an die Reihe …“

Er schaltet die elektrischen Lampen wieder aus. Unsere Lampen strahlen auf. Und er breitet den Inhalt unserer Einbrecheretuis säuberlich vor der Tür auf dem Teppich aus … nimmt den Zentrumbohrer, setzt ihn zusammen und – bohrt neben das obere der beiden hier vorhandenen Kunstschlösser das erste Loch …

Bohrt ein zweites – ganz so, wie es Leute von der Zunft tun würden …

Dann wendet er den Kopf …

„Halte jetzt Deine Clement bereit, mein Alter … Aber schieße nur im äußersten Notfall …“

„Auf wen?! Würdest Du mir nicht endlich mal …“

„Stopp – Ärger macht häßlich … – Die Sache ist die: draußen stehen zwei verkleidete Weiber Schmiere … Sie haben gesehen, daß wir das Haus betraten, haben natürlich auch den Wächter beobachtet und werden sich wundern, daß der Mann nicht wieder erscheint. Inzwischen werden sie auch auf unseren schönen Bodo aufmerksam geworden sein und so kombinieren: Hier steht einer Schmiere, dessen Kumpane offenbar den Wächter schon stumm gemacht haben …! – Sie werden dies alles ihrer Auftraggeberin melden: Eva! Und Eva wird jetzt den allgemeinen Angriff gegen die Konkurrenz, das sind wir, befehlen … Falls Eva hier mit eindringt, haben wir sie. Falls nicht, biedern wir uns mit den Kollegen an und überreden sie, gemeinsame Sache zu machen und den Geldschrank dort aufzuknabbern, in dem Jelling auf meinen Vorschlag von heute nachmittag lediglich eine große Schachtel mit unverspiegelten Similisteinen hineingestellt hat. Diese Steine halten wir für Diamanten, teilen mit der Konkurrenz den Raub und – schleichen den Brüdern nachher vorsichtig nach … – Die Sache muß klappen! – Ich arbeite weiter …“

Er bohrte das dritte Loch, beeilte sich durchaus nicht …

Ich stand da und überlegte den Plan, prüfte die Einzelheiten, fand ihn – genial! Denn wenn wir erst wußten, wo ein paar von Eva Lardas Bande wohnten, würden wir auch sehr bald Eva selbst haben!

War’s da wunderbar, daß mich langsam eine Nervosität packte, die ich kaum mehr unterdrücken konnte?!

War’s ein Wunder, daß ich dauernd die Flurtür im Auge behielt …?! –

Harst ölte den Stahlbohrer …

„Hm – sie läßt sich Zeit,“ meinte er flüsternd. „Sie ist mißtrauisch und vorsichtig und …“

Pause …

Auch ich hörte draußen ein Geräusch …

Nahm die Clement in Augenhöhe … –

Stille …

Wir lauschen …

Harald zieht mich hinter den Schreibtisch …

Und – wieder ein Geräusch …

Das war die äußere Eisentür …

Dunkelheit um uns her …

Der schlafende Hund keucht schwer …

Stille …

Mein Herz jagt … klopft mir bis in den Hals hinauf.

Wieder ein Geräusch … Aber nicht mehr an der Außentür … Vielleicht die Haustür – vielleicht …

Minuten vergehen … Ich werde ruhiger. Meine Nerven versagen nicht mehr. Ich freue mich auf den Strauß. Harst wird mit Evas Kumpanen schon im Guten fertig werden … Sie werden nicht ahnen, mit wem sie sich hier verbrüdern … Oder gar: wenn Eva dabei ist!! Das wird ein Tanz werden! Der Wächter kann ja seine Stricke im Moment abstreifen … Dann sind wir zu Dreien! –

Leider – – leider …

Wir – blieben zu Dreien …

Niemand kam …

Als eine Stunde vergangen, gab Harald das Warten auf …

„Verspielt!“ sagt er nur …

Das Licht flammt auf …

Und – – an der dunkelgelben Eisentür dort – der inneren Flurtür – hängt aus dem Schlüsselloch ein dünnes langes Papierröllchen heraus …

Harald entfaltet es:

„Bemühen Sie sich nicht weiter! Ich habe Sie erkannt … Ein Großer und ein Kleiner, selbst mit Ungarn- oder Italienermasken, sind allemal Harst und Schraut!

Eva.“

Hohn – wie immer! Und wir – – wieder die Blamierten!! – –

Nach ein paar Minuten verlassen wir beide die Stätte unserer Niederlage …

Von dem schönen Bodo nichts mehr zu sehen …

Wir – wandern heim. Still ist die Leipziger Straße geworden. Es regnet sacht. Der Himmel weint … Der Regen paßt zu unserer Stimmung … Wir nehmen ein Auto …

Harst schweigt …

Doch als das Auto uns dann am Anfang der Blücherstraße absetzen will, da – ruft er dem Chauffeur zu:

„Cafee Olympia, Tilsiter Straße …“ –

Und – – dieser Ruf entschied Eva Lardas Geschick …

 

 

Die Amazonen.

 

1. Kapitel.

Der schöne Bodo …

Drei Uhr morgens …

Das Cafee Olympia ist längst geschlossen. Alle Fenster dunkel …

Aber wir kennen die Eigenart solcher Verbrecherhöhlen. Da gibt es stets Hinterzimmer, in denen man sich bis zum frühen Morgen vergnügt. Da gibt es stets geheime Zeichen, die dem Eingeweihten Zutritt verschaffen …

„Warten wir,“ meint Harald …

Endlich öffnet er also den Mund – endlich …

„Meine letzte Hoffnung ist der schöne Bodo …“ fährt er ebenso leise fort. „Ich kann mir nicht recht denken, daß er seinen Posten als „Steher“ ohne zwingende Gründe verlassen hat. Er bekommt doch noch Geld von uns, und –“

„Achtung!“ rief ich mit gedämpfter Stimme dazwischen. „Achtung!! Da ist er schon!“

Quer über die Straße kam ein Mensch, in dem nur wir mit unseren geübten Augen den schönen Bodo wiederzuerkennen vermochten …

Ein Stromer war’s … Abgerissen – mit Schmalzlocke in der Stirn, beide Hände in den Hosentaschen – so recht frech und sorgenlos dahinschlendernd, als ginge ihn die ganze Welt nichts an …

In drei Schritt Entfernung bummelte er an uns vorbei. Und nur wie ein Hauch da aus dem bärtigen Munde für uns die Warnung:

„Nicht ansprechen …!!“

Wir beachteten ihn nicht …

Er bog in eine Seitenstraße ein, pfiff einen Gassenhauer:

„… Wenn Du Lust hast anzubändeln,
Ja – dann komme hinterdrein …“

Das galt ebenfalls uns … Und weshalb es uns galt, hatten wir längst gemerkt …

Ein Auto fuhr in auffallend langsamem Tempo die Tilsiter Straße hinab …

Verfolger …!!

Ohne Zweifel Leute darin, die es auf unseren Steher abgesehen hatten. –

Der Kraftwagen war dann kaum um die Ecke verschwunden, als Harald mir zuraunte:

„Einzeln …! – Um jeden Preis dem Auto folgen!“

Wir trennten uns. – Ich schritt auf der rechten Seite der dunklen Gasse entlang, Harald auf der linken …

Preis und Dank dem Berliner Magistrat, der mit der Straßenbeleuchtung so sparsam umgeht …!

Niemals hätten wir uns ja so dicht an das Auto heranwagen dürfen, wenn hier mehrere Straßenlaternen gebrannt hätten. Es waren nur zwei, und diese beiden armseligen Leuchten kämpften ganz vergeblich gegen die tiefe Dunkelheit an.

So wurden wir denn Zeugen, wie der Kraftwagen schneller fuhr, wie er den schönen Bodo überholte, wie zwei Männer heraussprangen …

Dann – ein rasch verhallender Schrei …

Bodo flog in das Auto … Die Männer sprangen wieder hinein – und, jetzt in wildester Gangart, sauste uns der Kraftwagen davon …

„Pech!“ meinte Harald …

Wir waren in einer Haustürnische wieder vereint. Eine Verfolgung wäre ja aussichtslos gewesen.

„Pech!! Und – ich möchte tausend gegen eins wetten, daß keine andere als Eva diesen Streich inszeniert hat. Sie muß gemerkt haben, daß Bodo für uns Schmiere stand, daß … er ihr nachschlich und daß er mehr gesehen, als ihr lieb sein konnte. Da hat sie eben nachher den Spieß umgedreht.“

„Hm – das leuchtet mir durchaus ein … Vielleicht hat Bodo gar Evas neues Quartier gefunden …“

„Dasselbe vermute ich. Wenn er schlau gewesen wäre – er wußte doch, daß das Auto ihm folgte! –, dann würde er für alle Fälle –“

„Was denn –?“

„Komm, komm, mein Alter! Ein Mensch wie Bodo ist doch mit allen Hunden gehetzt und wird …“

Er zog mich mit sich zu der Stelle, wo Bodo von den beiden Kerlen niedergeschlagen und dann verschleppt worden war …

Und – siehe da! – hier lag auf den dunklen Steinplatten des Bürgersteiges etwas, das – matt glänzte.

Ein Benzinfeuerzeug …

Harst ließ unter der nächsten Laterne, der zweiten und letzten dieser Gasse der Finsternis, den Deckel aufspringen.

Ich wußte noch immer nicht, was er von Bodos Verbrecherschlauheit erwartete. Nun – – sah ich es: innen im Deckel lag ein ganz schmaler, vielfach zusammengekniffter Zettel!

Harst schob Feuerzeug und Zettel in die Tasche …

„Nicht hier!“ sagte er kurz. „Prüfen wir, ob auch hinter uns jemand her ist …“

Nun – nach zehn Minuten wußten wir, daß niemand uns auf den Fersen war.

Wir hatten kreuz und quer allerhand Straßen durchschritten und waren wieder in die Tilsiter gelangt, wieder in die Nähe des Cafee Olympia.

Hier nun überflogen wir vor dem erleuchteten, stark vergitterten Schaufenster eines Uhrmachers die mit Bleistift gekritzelten Zeilen:

„Da waren zwee Weiber, die mir nich recht koscher schienen. Ick pendelte hinterdrein, und die eene jing bis nach ’n Wilhelmplatz, wo sie in Nr. 16 verschwand. Die andre walzte nach die Charlottenstraße 102, und auch sie hatte zu disses Haus ’n Schlüssel. Nu, wo ick nach ’n Cafee Olymp will, merk’ ick, daß mir ’n Benzinstänker immer nachjondelt … Wir sind helle! Ich denk’, Sie beede werden vor’n Olymp uff mir lauern. – Bodo Jüllich, jenannt der schöne Bodo …“

„Das kann wertvoll sein,“ meinte Harald nachdenklich. „Am besten ist, wir spielen unsere Rolle als ungarische Einbrecher weiter und –“

Pause – – ein scharfer Blick zum Olympia hinüber.

Da traten gerade drei Männer aus der Haustür, sahen uns, verschwanden wieder im Hause …

„Hm – späte Gäste mit wenig sauberem Gewissen,“ sagte Harald hastig. „Die drei könnten wir brauchen …“

Im Nu waren wir an der Tür.

Harst rief leise:

„Der schöne Bodo is soeben jeklappt worden … Wir sind mit von der Zunft … Öffnet …“

Und – siehe da: es half!

Die Tür wurde wieder aufgeschlossen …

Durch die handbreite Spalte musterte man uns. Dann eine weibliche Stimme, die des Büfettfräuleins:

„Ja – es sind die Richtigen …“

Man ließ uns ein … Und wenige Minuten später saßen wir in einem geheimen Kellerraum unter dem Cafee, der vollständig als Schenke und Spielhölle eingerichtet war.

Um uns herum am langen Tisch ein Dutzend dunkle Existenzen – alles Freunde Bodo Jüllichs …

Merkwürdig: die ganze Korona war eingeweiht, daß wir bei Jelling hatten einbrechen wollen!

„Wir verraten eener den andern nich,“ meinte ein schielender Kerl mit mächtigen Goldplomben in den Vorderzähnen. „Wir sind hier ein jeschlossener Klub, Jesangverein Olymp …“ – Er grinste … „So een Klub, in den ooch Ihr beede rinn kennt …“

Harst mußte über das verfehlte Unternehmen gegen Jelling Bericht erstatten. Er log, daß sich die Balken bogen. Seiner Schilderung nach waren wir dem Wächter mit genauer Not entkommen.

Und dann das andere: der Überfall auf den schönen Bodo! Da brauchte er nicht zu lügen. Da mußte er nur weiter sein deutsch-ungarisches Kauderwelsch reden …

Den Zettel und das Feuerzeug wies er vor. Beides wanderte von Hand zu Hand.

Wir tranken Rotwein, den Harald hatte auffahren lassen. Niemand fragte nach unseren Namen. Das war hier nicht üblich. Man duzte uns – wir gehörten ja zur Zunft!

Schließlich erklärten sich dann vier der „Kollegen“ bereit, die beiden Häuser Wilhelmplatz 16 und Charlottenstraße 102 unauffällig zu bewachen. Harst wollte mittags hier im „Olymp“ sich Meldung holen.

Erst gegen fünf brachen wir auf.

Auch nicht die Spur vor Argwohn war gegen uns aufgetaucht. Kein Mensch fragte, wo wir wohnten … Keinem fiel es ein, uns etwa heimlich zu folgen …

Wir nahmen ein Auto …

„Wilhelmplatz 14!“ befahl Harald.

Und in flottem Tempo gelangten wir so zum Wilhelmplatz, um hier das Haus Nr. 16 von außen zu besichtigen.

Links neben der mächtigen Haustür ein Schild aus schwarzem Sandstein:

Pension v. Keller.
Vornehmes Fremdenheim.
Jeder Komfort. – Billige Preise.

Wir gingen weiter …

Gingen – nach der Charlottenstraße …

„Wenn Eva etwa dort in dem vornehmen Pensionat wohnte …!“ meinte Harst sinnend. „Geld hat sie jetzt. Sie wird einen Teil des Schmuckes der Frau Generaldirektor Benatzki verkauft haben …“

Ich – – war hundemüde. Die letzten Tage hatten wieder Anforderungen an unsere geistige und körperliche Spannkraft gestellt, denen ich nicht mehr gewachsen war. Harald freilich schien noch immer frisch und rege zu sein wie stets.

Ich gähnte verstohlen …

Wir kamen in die Charlottenstraße …

Und – schon von weitem sahen wir da vor dem Hause Nr. 102 eine Menge Menschen stehen, sahen einen Löschzug der Feuerwehr und – oben im Giebel die letzten Anzeichen eines Dachstuhlbrandes …

Sehr bald erfuhren wir von einem der Neugierigen, daß ein Maleratelier dort oben durch Feuer vernichtet worden sei und daß man eine halb verkohlte Leiche vorhin nach dem Schauhaus geschafft habe … –

Und – eine halbe Stunde drauf waren wir im Schauhause vor den traurigen Überresten eines Menschen, der – für uns gleichsam in den Tod gegangen: Bodo Jüllich!

Nie werde ich vergessen, in welchem Tone Harald dann draußen auf der Straße sagte:

„Sie – haben ihn beseitigt! Der Brand ist angelegt worden! Die Leiche sollte unkenntlich werden.“

Und wieder eine Stunde drauf wußten wir, daß ein Maler namens Berthold Grimm das Atelier vor acht Tagen gemietet gehabt hatte und daß der Pförtner des Hauses Nr. 102 annahm, die halb verkohlte Leiche sei Grimm, der neue Mieter. –

Wir fuhren heim …

Beim ersten Morgengrauen betraten wir das Harstsche Familienhaus durch den Gemüsegarten …

Und – im Flur trat uns die dicke Mathilde entgegen …

Flüsterte: „Der Inder ist wieder da … Er kam vor wenigen Minuten und ließ sich nicht abweisen …“

Morgens sieben Uhr war es jetzt …

„Schwarzen Kaffee – schleunigst!“ rief Harald der Dicken zu …

Dann standen wir in seinem Arbeitszimmer Jean Ahmed Bissu gegenüber …

 

2. Kapitel.

In der Hölle …

Der Inder erhob sich sehr matt aus dem Sessel …

Sein dunkles Gesicht drückte tiefste Niedergeschlagenheit und Verzweiflung aus …

„Mr. Harst, jetzt – ist – mir auch der Rest meiner Diamanten gestohlen worden,“ sagte er mit klangloser Stimme. „Ich hatte noch eine Auswahl von Steinen in meine Weste eingenäht gehabt … Auch die wurden mir in dieser Nacht geraubt, als ich schlief – aus meinem Zimmer – samt der Weste, Mr. Harst, – von dem Stuhl neben meinem Bett …“

Bissu tat mir leid. Der arme Kerl sah wirklich fast wie ein Sterbender aus.

Harald drückte ihn in den Sessel zurück. „Bissu, ich liebe Ihre Heimat … – Und weil Sie Inder sind, will ich alles daransetzen, Ihnen zu helfen …“

Wir nahmen gleichfalls Platz. Harst fragte – fragte. – Bissu hatte auch nicht die leiseste Ahnung, wie jemand hatte herausbringen können, daß hinten im Westenfutter 24 Edelsteine eingenäht waren …

„Nicht einmal Ihnen habe ich dies verraten, Mr. Harst,“ fügte er etwas verlegen hinzu.

Mathilde brachte Kaffee, Aufschnitt und anderes …

Ich lebte nach der zweiten Tasse wieder auf. Auch Bissu wurde wieder Mensch.

Nochmals fragte Harald …

„Es muß einen Hinweis auf den Verrat Ihres Geheimnisses geben,“ sagte er zu Bissu. „Strengen Sie Ihr Hirn an … Durchwühlen Sie Ihr Gedächtnis nach jeder Kleinigkeit …“

Bissu verzagte. „Ich besinne mich auf nichts, was hier von Bedeutung sein könnte …“

„Haben Sie hier in Berlin Damenbekanntschaften angeknüpft?“

„Nein, nein … Nur heute abend, also gestern abend saß ich mit einer älteren Dame im Weinrestaurant Knauer an einem Tisch … Es war eine Holländerin, die aber auch leidlich Englisch spricht, eine sehr vornehme Frau mit grauem Haar …“

„Und – Sie sprachen mit der Dame auch über Edelsteine?“

„Ja … Zufällig … Sie hatte unter dem linken Ärmel ihres Spitzenkleides eine Perlenschnur um das Handgelenk geschlungen … Die Schnur sah ich erst, als der Ärmel sich verschob … Mein Sachkennerblick hing natürlich voller Interesse auf den kostbaren Perlen. Da sagte die Dame, sie habe leider das Schloß des Kolliers verloren und trage es daher als Armband. Ich erklärte, ich hätte zufällig ein mit Brillanten besetztes Schloß bei mir, ging in die Toilette und nahm das Stück aus dem Westenversteck heraus. Und wirklich – die Dame kaufte es …“

Harald schüttelte ernst den Kopf. „Sie waren unglaublich leichtsinnig, lieber Bissu. – Eine einzige Frage klärt das Ganze: Die Dame kam erst an Ihren Tisch, als Sie schon Platz genommen hatten?“

„Ja – allerdings …“

„Nun, dann wollte diese als ältere Frau verkleidete Verbrecherin lediglich feststellen, ob Sie noch Juwelen bei sich hätten … Und dies ersah sie daraus, daß Sie, lieber Bissu, eben die Toilette aufsuchten. Die Diebin wußte jetzt: Sie trugen die Juwelen in einem Versteck Ihrer Kleider, das Sie im Lokal selbst nicht öffnen konnten – – also eingenäht.“

Und sich zu mir wendend meinte Harald:

„Eva – – wieder Eva Larda!“

Jean Ahmed Bissu seufzte kläglich. „Ich sehe ein, daß ich mich abermals habe hineinlegen lassen …! Herr Harst – retten Sie mich! Ich habe jetzt nicht einmal mehr das Reisegeld, um die Heimreise bezahlen zu können!“ –

Gleich darauf ließen wir den Inder durch den Gemüsegarten hinaus. Harald hatte ihm versichert, daß er bestimmt darauf rechnen könne, die Steine sämtlich zurückzuerhalten.

Mithin mußte er bereits wieder einen festen Plan entworfen haben, Eva nun endgültig einzukreisen.

Und doch – er verlor kein Wort darüber.

„Schlafen wir!“ meinte er nur. „Das ist uns am nötigsten. Ich wecke Dich schon.“

Kein Wunder, daß ich nach Mathildens starkem Kaffee nicht sofort in das unruhige Reich der Träume hinüberglitt. Nein – ich lag noch mindestens eine Stunde wach. Meine beiden Zimmer, die im Erdgeschoß jenseits des Flures gelegen sind, stoßen mit der einen Wand an die Küche. Merkwürdigerweise hörte ich Haralds Stimme in der Küche, nachdem ich schon längst mich niedergelegt hatte.

Endlich schlief ich ein. Und – ein kräftiges Pochen gegen die Tür weckte mich dann gegen ein Uhr mittags. Mathilde hatte mich geweckt. Und die dicke brave Köchin war es auch, die mir nun einen Zettel durch die Türspalte reichte.

Ich ahnte: Harald war überhaupt nicht schlafen gegangen! Er war – ausgeflogen!

Ich las:

„Lieber Alter, mir ist der Schlaf nicht so nötig wie Dir. Hätte ich Dir erklärt, daß ich auf das Bett verzichte, so würdest Du es ebenfalls getan haben. – Ich bin Wilhelmplatz. – Geh sofort zum Olymp, alsdann Untergrundbahnhof Wilhelmplatz, wo ich Dich zwischen vier und fünf nachmittags erwarte. Sei sorgfältig bei Deiner Maske als Ungar!

H.“

Nun – so in Eile, wie ich damals Mittag aß, habe ich es selten getan. Mir saß die Sorge um Harald wie ein Gespenst im Nacken. Ich reimte mir leicht zusammen, daß er im Pensionat v. Keller jetzt abgestiegen war – natürlich zweckentsprechend verwandelt. Er hatte sich wahrscheinlich erst bei unserem Freunde, dem Kriminalkommissar Fritz Bechert, maskiert, denn sowohl seine Mutter als auch Mathilde betonten, daß er als gewöhnlicher Sterblicher, als Harald Harst, gegen acht Uhr davongegangen sei.

Bereits gegen halb zwei Uhr schlich auch ich durch den Gemüsegarten rasch in das Laubengelände hinüber. Mathilde hatte erst Ausschau halten müssen, ob die Luft auch rein sei. Sie war mit dem Bescheid zurückgekehrt, daß sie nichts Verdächtiges wahrnehmen könne …

Und doch …!! Und doch …!! Ich sollte nur zu bald merken, wie sehr Eva Larda sich jetzt anstrengte, uns beide, ihre gefährlichsten Gegner, auszuschalten …

Ich fuhr im Auto nach der Tilsiter Straße, stieg vor dem Cafee Olympia aus und ging das letzte Stück zu Fuß. Ein Motorradler, der jetzt an mir vorbeiknatterte, kam mir ein wenig auffallend vor, da er sich wiederholt nach mir umdrehte. Trotzdem war ich kaltblütig und völlig überzeugt, auch allein den Herrschaften vom „Klub Olymp“ gegenüber meine Rolle als ungarischer Kollege tadellos durchführen zu können.

In einem Hinterzimmer fand ich fünf der Leute versammelt. Sie spielten Gottes Segen bei Kohn, auch Kartenlotterie genannt.

Ich wurde sehr vertraulich empfangen. Als ich dann berichtete, daß Bodo Jüllich tot sei, schlug der „gelbe Anton“ mit der Faust auf den Tisch …

„Das wird jerochen …!! Die vafluchten Weiber!!“

Der gelbe Anton war einer von den vier von uns bezahlten Aufpassern. – Er hatte nichts feststellen können, ebensowenig die anderen drei.

Während nun an unserem Tische noch eifrig über Bodos schreckliches Ende debattiert wurde, erschien das strohblonde Büfettfräulein und winkte den gelben Anton hinaus. Sie warf mir dabei einen ganz merkwürdigen Blick zu, so daß ich schon in dem Moment recht unruhig wurde.

Der gelbe Anton kam sehr bald zurück und flüsterte:

„Die Polente is vorn im Lokal … Wir jehn besser in den Keller …“

Ich wollte mich verabschieden, da mir etwas unheimlich zumute ward. Und – wenn ich nur fest geblieben und wirklich gegangen wäre! Hier in diesem Zimmer hätte mir nichts geschehen können. –

Der gelbe Anton meinte grinsend:

„Mensch, wir haben doch noch allerlei zu bereden … Komm man mit … Ick bejleite Dir nachher …“

Und – eine Dummheit war’s, daß ich mich eine Memme schalt, die nur Gespenster sehe!

So – folgte ich den fünf Kollegen denn nach unten in die Spielhölle …

Spielhölle …!! – Nun – für mich wurde es eine andere Hölle …

Denn kaum hatte sich die Tür hinter uns geschlossen, als der gelbe Anton alle Lampen einschaltete und – mir dann einen Revolver unter die Nase hielt.

„Spion …!!“ zischte er. „Elender Spion …! Hier – – lies!!“

Die anderen vier hatten gleichfalls sehr wenig angenehme Instrumente hervorgeholt: zwei – – Browningpistolen, einen Gummiknüttel und ein Dolchmesser …

Ich ahnte: ich war verraten worden!

Und etwas blaß nahm ich nun den Brief entgegen, den der gelbe Anton mir hinhielt …

Da stand mit Bleistift auf dem graublauen Geschäftsumschlag:

„An einen der Herren, mit denen der kleine dicke Schwarzbärtige sich angefreundet hat.“

„Der Brief is von einem Motorradler abjejeben worden,“ erklärte der gelbe Anton grollend.

Meine Stirn wurde feucht …

Ich zog den Zettel aus dem Umschlag … Wieder Bleistiftzeilen …:

„Der kleine Schwarze ist der Detektiv Max Schraut, der Freund Harald Harsts! Hütet Euch vor ihm!“

Weiter nichts …

Und doch: übergenug!!

Blitzschnell überlegte ich …

Da rief der gelbe Anton: „Reißt ihm die Perücke ab! Der Schraut hat ’n kahlen Kopp …! Det weeß jeder!“

Und – da packte auch schon einer zu …

Meine Glatze leuchtete im Schein der elektrischen Lampen …

Und – auf der Glatze klebten die fünf Stücke Perückenwachs, mit denen der Skalp wie üblich befestigt gewesen …

Ein Wutgeheul erhob sich um mich her …

In dem Augenblick gab ich für mein Leben keinen Pfifferling …

Aber – ich wollte hier nicht abgekehlt werden!!

Ich sprang zurück …

Ein Schuß knallte …

Die Kugel ging zum Glück vorbei …

Ich brüllte:

„Denkt an Bodo! Eva Larda ist seine Mörderin! Dieselbe Larda, die auch Fräulein Anna Mack-Peerland und noch zwei Personen beseitigt hat!“ –

Man muß hier berücksichtigen, daß Leute vom Schlage dieser fünf über neuere Verbrechen stets tadellos unterrichtet sind.

Mein Anruf wirkte …

Ich hatte Sekunden gewonnen und mir dadurch – das Leben gerettet.

Immerhin – noch blieb das Spiel sehr unsicher für mich. Ich mußte die Situation aufs schlaueste ausnutzen, sonst – verlor ich trotz allem diese Partie um Sein oder Nichtsein.

Mit der Wahrheit kommt man am weitesten.

Hiernach richtete ich mich, erzählte jetzt in aller Kürze, weshalb Harald und ich gestern in das Cafee Olympia gekommen waren und daß wir Bodo Jüllich lediglich dazu hatten benutzen wollen, den Einbruch bei Jelling recht „sachgemäß“, das heißt mit Schmieresteher, auszuführen.

Nichts verschwieg ich – nichts …

Und immer deutlicher merkte ich, mit welchem Berufsinteresse die fünf lauschten, wie ich nun die Komödie in Jellings Kontor schilderte – die Fesselung des Wächters – und alles übrige …

Die Mienen der fünf glätteten sich. Und als ich geendet, meinte der gelbe Anton bedächtig:

„Hm – so feine Herren wie Sie beede, der Harst und Ihre Wenigkeit, halten ja wohl stets ihr Ehrenwort, Herr Schraut … Können Sie auf Ihr Ehrenwort vasichern, daß Sie uns nich wieder verkohlt haben?“

„Mein Wort – alles stimmt von Anfang bis zu Ende! Und derselbe Inder war heute früh wieder bei uns …“

Ich berichtete den Rest …

Da nickten die fünf sich zu … Und der, der meinen Skalp in der Hand hatte, reichte ihn mir zurück …

„Da – nehmen Sie man, Herr Schraut … Wir jlauben Ihnen … Sie und Herr Harst sind ja als Schentelmen-Detektive bekannt und ooch dafor, daß Sie een Herz for unsereinen haben …“

Das war der Friedensschluß …

Und fünf Minuten später hatte ich die Kollegen abermals „engagiert“, falls ich ihre Hilfe nötig haben sollte. – Sie waren zuverlässig … Sie hätten mit mir kein unehrlich Spiel getrieben … Sie wollten den schönen Bodo rächen … Und die Hauptsache: sie waren auch ein wenig stolz darauf, mit Harst und Schraut gemeinsam „arbeiten“ zu können. Außerdem lockte das Geld! Sie wußten, daß sowohl Generaldirektor Benatzki als auch der Inder mit „Zaster“ nicht knausern würden, wenn es uns gelang, die Juwelen wieder herbeizuschaffen!

 

3. Kapitel.

Der Schmetterlingskescher.

Ich möchte hier betonen, daß es das erstemal in unserer nunmehr zehnjährigen Berufstätigkeit war, daß wir mit gewerbsmäßigen Gaunern so völlig gemeinsame Sache machten. Die Umstände hatten uns dazu gezwungen, und dieses Bündnis sollte für uns alle nur zum Vorteil werden, wie die Weiterentwicklung der Dinge zeigte. –

Bis gegen vier Uhr blieben wir in dem geheimen Kellerraum zusammen. Dann verschwand ich durch eine Hintertür des Hauses, die auf einen Nebenhof führte. So gut es ging hatte ich mein Äußeres verändert. Einer der „Kollegen“ beschaffte einen blonden dicken Schnurrbart, der mir denn auch zusammen mit einem biederen Nickelkneifer das Aussehen eines harmlosen Büromenschen verlieh.

Mit der Untergrundbahn fuhr ich bis zum Wilhelmplatz, blieb auf dem Bahnsteig und schlenderte hin und her.

Es wurde fünf …

Kein Harst ließ sich sehen …

Es wurde ein Viertel sechs, und meine Angst wuchs …

Wenn Eva Larda mich hatte verfolgen lassen, dann waren ja auch fraglos hinter Harald Spione her gewesen, und vielleicht hatte man ihn in einen Hinterhalt gelockt, vielleicht war er längst in Evas Gewalt …!

Ich hatte mich jetzt auf eine der hier stehenden Bänke gesetzt. Ich hoffte noch immer …

Und – – endlich, endlich: gegen halb sechs kam ein alter graubärtiger Herr mit goldener Brille, der sich schwer auf einen Stock stützte …

Der Herr machte den Eindruck eines Schwerkranken … Stöhnend ließ er sich neben mir nieder …

Ich lauerte auf ein Zeichen …

Ich war mir meiner Sache wirklich nicht sicher … Es konnte Harald sein – konnte …!

Und dann – ein Flüstern:

„Sie ist tot …“

Ich erstarrte …

„Wer ist tot?“

„Eva …“

„Unmöglich …!“

„Sie hat sich vergiftet … Sie merkte, daß sie nicht mehr entschlüpfen konnte … Ich hatte sie mit Becherts Hilfe völlig umzingelt … Aber noch lebt ihre Bande – noch fehlen uns die Juwelen … Der Kampf geht weiter … Daher – Vorsicht!! Du besteigst jetzt den nächsten Zug und fährst bis zum Gleisdreieck. Dort verschwindest Du in der Menge. Jetzt um diese Zeit sind die Züge überfüllt. Ich erwarte Dich vor der Pfandleihe von Robert Gremzig in der Klosterstraße – Nummer vierzehn ist’s …“

Und er erhob sich stöhnend …

Schlurfte gebückt davon …

Niemand konnte gemerkt haben, daß wir uns unterhalten hatten. Leute wie wir können flüstern, ohne die Lippen zu bewegen. Diese Fertigkeit eignet man sich leicht an. Es gehört nur ein wenig Übung dazu. –

Daß ich das Wiedersehen mit Harald voll Spannung erwartete, wird jeder begreifen. – Eva Larda tot …!! Vergiftet hatte sie sich …! Ausgerechnet Gift gab ihr den Tod! So waren denn ihre Opfer bereits gerächt …! So hatte auch Vera von Peerlands heimtückisches Ende bereits seine Vergeltung gefunden.

Und die näheren Umstände dieses Selbstmordes?! – Ungefähr konnte ich mir das Geschehene zusammenreimen … Harst war in der Pension v. Keller heute vormittag abgestiegen, hatte dort bald ermittelt, daß Eva in irgendeiner Maske dort weilte … Dann hatte er Bechert angerufen und zusammen mit ihm und dessen Beamten Eva verhaften wollen. Als sie erkannte, daß es für sie kein Entrinnen mehr gab, hatte sie den Tod durch Gift dem anderen ihr drohenden Tode, dem Henkerbeil, vorgezogen …

So – mußte es sein …

Glaubte ich …!

Aber wie weit ich von der Wahrheit entfernt, ahnte ich nicht … –

Dann die andere Frage: Weshalb hatte Harald mich nach der Klosterstraße bestellt?!

Weshalb …?!

Eine Pfandleihe – – Nr. 14 … Und auch den Namen des Besitzers kannte er schon: Gremzig! Robert Gremzig …! – Das mußte doch etwas ganz Besonderes auf sich haben! Ob dieser Gremzig etwa einer jener dunklen Ehrenmänner war, die das Pfandleihgeschäft nur als Deckmantel für das Hehlergewerbe benutzen?! Ob etwa Eva bei diesem Manne einen Teil der Juwelen in bare Münze umgesetzt hatte?!

In dieser zweiten Frage half kein Grübeln und Kombinieren. Da gab es zu viele Möglichkeiten … Da konnte gerade das Widersinnigste richtig sein. –

Gleisdreieck!!

Aus drangvoll fürchterlichster Enge hinaus aus dem Abteil auf den Bahnsteig …

Und hinein in den dichtesten Menschenstrom …

Hinein in einen Zug, der nach der entgegengesetzten Richtung fuhr …

Dann – – die Klosterstraße …

Alt-Berlin … Das älteste Berlin sogar. Und hier ein engbrüstiges Haus, das nur einen kleinen Laden unten hatte: die Pfandleihe!

Ein Riesenschild über dem Schaufenster, in dem ein grell beleuchtetes Plakat hing:

Auch der Ärmste hier stets fand
Geld für jeden Gegenstand.
Robert Gremzig, treu und ehrlich,
Macht’s Verpfänden nicht beschwerlich!

Dieser brave poetische Erguß war aber auch alles, was das Schaufenster zeigte. Es war stark vergittert, innen und außen, und innen schienen noch Metalläden vor den Fenstern befestigt zu sein.

Unter diesem Verslein stand noch in ebenfalls handlangen Buchstaben:

Geöffnet von 9–7 durchgehend.

Und – jetzt war’s drei Viertel sieben … –

Ich schlenderte weiter …

Mit einem Male kam mir jemand elastischen Schrittes entgegen: Harst – unmaskiert!! Harst mit Sportmütze, Joppe und Kniehosen.

„’n Abend, mein Alter!“

Händedruck …

„Wir sind zur rechten Zeit hier … Das Weib ist soeben in dem Laden verschwunden … Gremzig ist eingeweiht, hat die Ladentürglocke abgestellt … – Vorwärts!“

Er war frisch und munter wie stets – und hatte doch seit vierundzwanzig Stunden kein Auge zugetan …

Wir machten kehrt. Ich hätte zu gern allerlei gefragt. Aber ich fand keine Zeit dazu.

Harald hatte einen Spazierstock mit. Im Hausflur zog er ihn auseinander …

Und – es war ein Angelstock, an dem er nun einen – Schmetterlingskescher befestigte …

„Das Weib könnte die Steine noch im letzten Moment verschlucken … Das gäbe dann nur Weiterungen,“ flüsterte er ganz ernst.

Und legte die Hand auf den Drücker der Ladentür, die links in die Pfandleihe führte.

Ganz lautlos, mit äußerster Behutsamkeit, drückte er die Tür auf …

Sie war gut geölt … Und – ein Blick in den Laden hinein …, ein Blick aus geradezu gierigen Augen …, die mir gehörten …

Ein Ladentisch … Dahinter ein Kerl mit einem Kürbisschädel – in Hemdärmeln … mehr einem Hausknecht eines Bauerngasthofs als einem Berliner Pfandleiher gleichend.

Und – – vor dem Ladentisch …

Ja – der eine Blick genügte: Das war der Bettler mit dem Rucksack, der am Cafee Josty die „Simili“ angeboten hatte …

Kein Weib! Ein Mann! – Oder – – doch ein Weib?! Eine von Evas Bande?!

Der Bettler hielt die rechte Hand vorgestreckt …

Auf dieser Hand sprühte und funkelte es – genau wie damals, genau wie – gestern …!! – Was alles lag doch zwischen gestern und heute! Welche Überfülle von Ereignissen kann sich in einem Zeitraum von zweimal zwölf Stunden zusammendrängen …!

Und – – Harst schob das Netz vor …

Hob es …

Und … – –

Nein, lieber Leser: er versuchte nicht etwa, mit dem Kescher die Steine einzufangen!

Nein – er hatte mich … düpiert, getäuscht …!

Mit kräftigem Schlag stülpte er den Kescher jetzt dem Manne über den Kopf …

Und – – da merkte ich dann, weshalb er’s getan: der Kerl hatte die Linke in der Tasche gehabt, hatte jetzt blitzschnell, nachdem er vor Schreck gegen den Ladentisch getaumelt war, diese Hand zum Munde führen wollen …

Und – – fand den Eingang versperrt …

Ließ das Kügelchen Gift fallen …

Lachte schrill …

Ein Weiberlachen …

Und im selben Moment packte der stiernackige Gremzig auch schon zu … Von hinten – beide Handgelenke …

Harst hatte die Handschellen schon bereit …

Ein metallisches Knacken …

Und – ein trockenes Schluchzen stieg da aus der Kehle des Weibes hoch …

„Ver – spielt!“ lallte sie …

Ich dachte, es müßte Eva sein …

Ich glaubte, Harald hätte mir auch, was Evas Tod anging, einen Bären aufgebunden …

Es stimmte nicht: als er der Frau nun Perücke und Bart abnahm, kam ein faltiges Gesicht zum Vorschein – graue dünne Haarsträhnen dazu und eine breite rote Narbe am Kinn …

„Die Giesecke!!“ rief der Pfandleiher. „Charlotte Giesecke, die Hoteldiebin …!!“

Und – das genügte, mein Gedächtnis aufzufrischen …

Charlotte Giesecke war vor einem halben Jahr zu langjähriger Zuchthausstrafe verurteilt worden. Ihr Name war berüchtigt. Sie war eine jener unverbesserlichen Diebinnen, die es vortrefflich verstehen, die alte würdige Dame zu spielen – ein Stern am Verbrecherinnenhimmel, ein Typ für sich …! –

Harst begann sie genau zu durchsuchen …

Und – – was dieses Weib, eingenäht in die Lederschäfte der plumpen Männerstiefel, an Edelsteinen und Pretiosen bei sich getragen hatte, war ein Vermögen wert!

Was sage ich! Ein Vermögen!! Nein – für fast eine halbe Million Schmuck und Steine förderte der findige Harald zutage.

Dann drückte er die Giesecke auf einen Stuhl …

„Sie wissen, daß Eva Larda tot ist?“ fragte er die stumpfsinnig vor sich hin Starrende …

Sie nickte nur …

„Eva hat Ihnen bei der Flucht aus dem Zuchthaus geholfen?“

Abermals nur ein widerwilliges Nicken …

„Sie beide kennen sich schon länger … Eva hat ja ein Doppelleben geführt – als ehrbare Zeichnerin und als Verbrecherin …“

Da lachte die Giesecke. „Doppelleben?! – Die Eva hatte sieben, acht Wohnungen, spielte sieben, acht Rollen … – Aber – mehr werden Sie von mir nicht erfahren, Herr Harst … Ich wandere wieder ins Zuchthaus …“

„Es wäre besser, Sie würden sprechen. – Haben Sie vielleicht … den Maler Berthold Grimm vorgestellt, haben Sie in der Charlottenstraße 102 im Atelier gewohnt?! Sie waren ja einmal Künstlerin, Malerin …“

Die Giesecke duckte sich scheu zusammen …

„Nein, nein, Herr Harst … Ich –“

„Sie lügen …!! – Wer hat den Mann in der vergangenen Nacht ermordet?! Wer steckte das Atelier in Brand?!“

„Eva – – Eva …!! Gegen meinen Willen …!“

Sie hob den Kopf … „Bei Gott, Herr Harst: gegen meinen Willen! Ich bin stets gegen Gewalttaten gewesen! Ich …“

„Das wird die Untersuchung klären … – Sie waren also Berthold Grimm?“

„Ja … Aber ich –“

„Schon gut. – Wer gehört außerdem noch mit zu Evas Bande? – Ich rate Ihnen, offen zu sein …! Es steht nicht besonders günstig um Sie …!“

Und die alte Verbrecherin flüsterte scheu:

„Es – es waren im ganzen sechs, die zu – zu Eva hielten …“

Dann kamen nähere Angaben … Adressen …

Harst notierte …

Und ich mußte auf seinen Wink hin Bechert telephonisch verständigen. –

Während wir dann auf Becherts Eintreffen warteten, erzählte mir Harald leise seine mir bisher unbekannten Erlebnisse …

 

4. Kapitel.

Evas Testament.

Als Harald Harst gegen acht Uhr morgens sein Haus verlassen hatte, war er zunächst auf allerhand Umwegen zu Fritz Bechert gefahren.

Hier hatte er sich, ganz wie ich vermutet, in den alten, vornehmen und kränklichen Oberst a. D. v. Stümmling verwandelt, war dann mit einem Koffer vor der Pension Keller vorgefahren und hatte hier ein Zimmer belegt, angeblich aus Dresden kommend, um einen Berliner Spezialarzt seines Beinleidens wegen zu konsultieren.

Das alte Fräulein v. Keller, von ihm ins Vertrauen gezogen, hatte ihm die anderen Insassen des Pensionats sehr genau beschrieben. Notwendig mußte Haralds Verdacht auf eine Dame aus Hamburg fallen, die erst zwei Tage hier wohnte und die sich als Deutsch-Amerikanerin namens Mabel Weber ausgegeben hatte.

Was diese Weber als recht zweifelhafte Persönlichkeit erscheinen ließ, war zuerst ihre Vorliebe für dichte Schleier und dann ihre andere Vorliebe für Zimmer mit Flureingang. Sie hatte ferner auch sofort einen Hausschlüssel verlangt und war erst spät in der Nacht heimgekehrt.

Kleinigkeiten ergaben hier allerlei belastende Momente. Kleinigkeiten ließen Harst vermuten, diese Weber könnte sehr wohl Eva Larda sein.

Ein Vergleich ihrer Eintragung im Fremdenbuch des Pensionats mit den Schriftproben, die Harst von ihr besaß, gaben vollste Gewißheit: Eva war hier in dieses vornehme Heim für Reisende geflüchtet! –

Als Harald dies festgestellt hatte, legte er sich im Nebenzimmer auf die Lauer. Es war dies ein Raum, den Fräulein v. Keller selbst bewohnte.

So gelang es ihm denn, gegen halb zwölf kurz hinter „Miß Weber“ das Haus zu verlassen und ihr dicht auf den Fersen zu bleiben.

Sie war außerordentlich vorsichtig und mißtrauisch.

Dreimal wäre sie Harald beinahe entschlüpft. Nur seiner vielseitigen Erfahrung in dieser Art Verfolgungen hatte er es zu danken, daß er ihre Spur stets wiederfand.

So kam er denn hinter ihr her bis in den hohen Norden Berlins – bis in die endlos lange Müllerstraße.

Und hier war’s, wo er an einer Straßenecke einen Bettler stehen sah: den vom Cafee Josty!

Er machte vorsichtig vor einem nahen Schaufenster halt und benutzte dieses als Spiegel. So konnte er denn beobachten, wie Eva dem Bettler eine Münze reichte, die sie erst aus ihrem Handtäschchen hervorsuchte …

Aber – zugleich mit der Münze fiel noch etwas Weißes in den schäbigen Filz des bärtigen Gauners: ein kleiner, eng zusammengedrückter Zettel.

Eva ging weiter, als sei nichts geschehen.

Und – mein Harst nun humpelnd auch an dem Bettler vorüber …

Der Mann hatte inzwischen den Zettel überflogen.

Hatte ihn noch in der Hand …

Da – – entglitt dem alten humpelnden Herrn der Spazierstock, flog dem Bettler vor die Füße …

Der Mann bückte sich …

Und – warf dabei den Zettel hinter sich durch das Schutzgitter eines Kellers …

Hob den Stock auf …

Eine Mark lohnte die Gefälligkeit … –

Als Harst mir seine Abenteuer so weit geschildert hatte, fügte er hinzu:

„Der Mann wollte den Zettel los sein … In der Linken hielt er den Hut … Mit der Rechten mußte er, um seiner Rolle treu zu bleiben und auf ein Trinkgeld zu spekulieren, den Stock aufheben. Da war ihm der zusammengeknüllte Zettel hinderlich. – Freilich, daß er ihn in den Keller werfen würde, hatte ich nicht vorausgesehen. Nein, ich rechnete darauf, daß er ihn zunächst fallen lassen würde. Dann wollte ich den einen Fuß wie unabsichtlich auf den Zettel stellen und hätte den Mann nach einem Auto geschickt, so tuend, als sei es mir unmöglich, mich zu bewegen. – Nun – all das war nicht nötig. Ich humpelte weiter … Und aus sicherer Entfernung beobachtete ich wieder, wie der Bettler davonschlurfte. Ich zurück – zum Portier jenes Hauses … Mich legitimiert … Und dann – hatte ich den Zettel … – Rate, was darauf zu lesen war?“

Ich zuckte die Achseln …

„Nun, mein Alter, – – folgendes:

Abmarsch muß bald erfolgen. Zu Robert Gremzig, Klosterstraße 14, erst abends – nur wenig. Morgen wie heute.

Das stand auf dem Zettel … Und das hieß fraglos:

Wir müssen schleunigst aus Berlin fliehen. Gehe abends zu Gremzig, versetze oder verkaufe aber nur einen Teil der Beute. Morgen treffen wir uns wie heute zur selben Stunde und wieder in der Müllerstraße.

Mein nächstes war nun, Bechert zu informieren. Gremzig ist als Hehler längst verdächtig, war aber bisher nie zu fassen. Er ging auf alles ein. – Ich selbst war gegen halb drei wieder im Pensionat Keller. Und – mit mir Bechert und zwei Beamte. Kaum hatten wir mein Zimmer betreten, als Fräulein v. Keller hereinstürmte: „Die Larda geht wieder aus! Sie ist vor einer Stunde nach Hause gekommen.“ – Wir also hinter ihr her … Einzeln natürlich … Und – – wohin ging sie? Rate mal?“

„Schwer zu raten …“

„Ins – Leichenschauhaus, mein Alter …! Sie wollte feststellen, ob etwa Bodo Jüllich erkannt worden sei …“

„Ah … Und Ihr …?“

„Wir ließen sie ruhig erst mit einem der Beamten dort sprechen … Sie tat so, als ob sie als Fremde lediglich aus allgemeinem Interesse, also Sensationsbedürfnis, das Schauhaus besuchte. Ich stand in der Nähe … Vor der Abteilung, in der der arme Bodo lag, machte sie wieder halt. – „Wer ist das?“ – „Ein Maler, der in seinem Atelier verbrannt ist …“ – – Und da, da – griffen wir zu … Bechert trat vor … Es gab eine sehr dramatische Szene. Er sagte ihr den Mord auf den Kopf zu … Plötzlich – schob sie eine Giftpille in den Mund … Nach drei Minuten war sie tot … Ihre letzten Worte: „Ich habe ein Testament in meinem Koffer …!“ – Der Arzt konnte nur bestätigen, daß sie tot war. Der scharfe Bittermandelgeruch aus ihrem Munde besagte ja auch genug: Zyankali! – Die Leiche blieb gleich im Schauhause. Bechert und ich fuhren nach dem Wilhelmplatz zurück, wo wir auch das Testament fanden. Es war eine Niederschrift vom Juni dieses Jahres. Eva Larda wünscht im Falle ihres Todes eingeäschert zu werden. Sie hat die Beerdigungskosten von ihrem Verdienst bei der Firma zusammengespart, für die sie als Zeichnerin tätig war – also ehrlich erworbenes Geld. Außerdem lag dem Testament noch die für die Einäscherung notwendige polizeiliche Bescheinigung bei. – Bechert meint, die Behörden würden gegen die Verbrennung der Toten unter diesen Umständen kaum etwas einzuwenden haben. – So – das wäre alles …“ –

Dann wurde die verhaftete Zuchthäuslerin weggeschafft. Bechert war mit einem Dutzend Beamten erschienen. Wir hatten nun ja auch die Adressen der übrigen Mitglieder der Bande. Alle wurden in den nächsten sieben Stunden dingfest gemacht.

 

5. Kapitel.

Das Grauen …

Die Juwelen, die wir Charlotte Giesecke abgenommen hatten, wurden am nächsten Morgen den Eigentümern wieder zugestellt, nämlich dem Generaldirektor Benatzki, Ahmed Bissu und zwei anderen Leidtragenden.

Benatzki spendete 1200 Mark Honorar. Bissu 3000 Mark. Es war ein gutes Geschäft für uns – und für die „Kollegen“ vom Olymp, denn – die vergaßen wir nicht!

Nein, am zweiten Tage nach Evas Tode besuchten wir das Cafee in der Tilsiter Straße unmaskiert …

Saßen im Kreise der Olympier bei Rotwein und guten Zigarren …

Verteilten Spenden …

Und der gelbe Anton hielt eine Rede, die mit einem Hoch auf uns beide schloß …

Erst gegen ein Uhr morgens kehrten wir von dieser Kneiperei heim. Der Abschied von den zumeist stark bezechten „Kollegen“ war überaus herzlich gewesen. Der gelbe Anton hatte wiederholt noch seinem Bedauern darüber Ausdruck gegeben, daß wir beide leider „am anderen Ende des Stranges zogen“, wie er seine und unsere Tätigkeit fein umschrieb. Er war als „Klingelfahrer“, als Wohnungsdieb berüchtigt. –

So schien denn die Episode Eva Larda für uns erledigt zu sein …

Schien …!!

Auf die feuchtfröhliche, komische und auch wieder recht interessante Zusammenkunft mit unseren „Freunden vom anderen Strangende“ folgte – das Grauen …

Am Morgen waren wir gegen halb acht aufgestanden, hatten um acht auf der Veranda gefrühstückt …

Dann – rief Bechert uns an …

Die Giesecke war – entflohen … Vor einer halben Stunde … Raffiniert und kühn wie ihre Diebereien war ihre Flucht gewesen … –

Und kaum hatte Bechert uns dies mitgeteilt, als draußen vor dem Hause ein Auto hielt …

Wir sahen es von dem Fenster Haralds aus …

Sahen, wie – der gelbe Anton heraussprang, auf unser Haus losstürmte …

Taumelnd … Und doch wieder trotz seiner Trunkenheit leichenblaß …

Wir ihm entgegen …

Zogen ihn ins Zimmer …

Er lallte – schluckte …

„Der – der Motorradler damals, der den Brief im Cafee abjab, Herr Schraut … Sie wissen schon … Der Motorradler war die Jiesecke … Und heit is se aus ’m Polizeipräsidium jetürmt … Is in ihrer Angst ins Cafee jekommen …“

Er schnappte nach Luft …

„Weiter!!“ drängte Harald …

„Und – und da – da hat sie uns – wir waren ja alle voll bis oben – jefragt, wann – wann – die Larda verbrannt wird … „Heite vormittag …“ sagten wir ihr. Und da hat se losjebrüllt: „Sie is jar nich tot … Nee – se hat man ein Betäubungsmittel mit Bittermandelöl jenommen … Und ich sollte sie dann wieder aufwecken …!“ – Und da, Herr Harst, – – da sind wir alle mit ’n Mal nüchtern jeworden … Da haben se mir nu zu Ihnen jeschickt, und –“

Harald riß den gelben Anton mit sich …

Auf die Straße …

In das wartende Auto …

Zum Krematorium ging’s in der Berliner Straße …

Der Chauffeur fuhr wie der Teufel …

Um neun sollte die Einäscherung erfolgen …

Und jetzt: fünf Minuten vor neun …

Blaß und still saßen wir drei in dem schüttelnden Auto. Und – das Grauen saß neben uns …

Ein so ungeheures Grauen, daß mir der Unterkiefer flatterte, wenn ich mir vorstellte, daß Eva Larda – lebend, wenn auch bewußtlos, in die feurige Gruft hinabgesenkt würde …

Gewiß: den Tod hatte sie verdient! Freventlich hatte sie Menschenleben vernichtet …

Aber – – dieses Ende …!!

Und – mir lief der eiskalte Schweiß von der Stirn. –

Jetzt der Fehrbelliner Platz …

Jetzt die Berliner Straße …

Wir hatten es ja nicht weit bis dahin …

Noch zwei Minuten …

Die rote Kirchhofsmauer …

Ein Ruck …

Wir springen aus dem Auto …

Harst läuft wie gehetzt durch das Tor – nach rechts … Und …: um eine halbe Minute kamen wir zu spät …

Lehnten an der Tür der Halle …

Harald trocknete den Schweiß von der Stirn …

Und der gelbe Anton – faltete unwillkürlich die Hände:

„Jott sei ihr jnädig …!“

Selbst ihn hatte dies alles bis ins tiefste Seeleninnere erschüttert … – –

So starb Eva Larda …

Charlotte Giesecke stellte sich freiwillig der Polizei und – wurde in ihrer Zelle irrsinnig …

Sie mußte Eva Larda auf ihre Art wie ein Kind geliebt haben, und der Gedanke, daß durch ihr zu spätes Geständnis eine Lebende verbrannt worden, trieb sie dem Wahnsinn in die Arme. –

Hiermit schließe ich die Akten Eva Larda.

Nicht die Jean Ahmed Bissus, des Inders …

Darüber im folgenden, in den folgenden Bänden: Indien, Land der Wunderträume, – wir sahen Dich wieder!

 

Nächster Band:

Die Photographien des Sennor Trimaldo.

 

 

Verlagswerbung:

Der Detektiv

Eine Reihe höchst spannender Detektivabenteuer. Bisher sind folgende Bände erschienen:

 

Band
































40:
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63:
64:
65:
66:
67:
68:
69:
70:
71:
72:
73:

Die Gespenster-Rikscha.
Eine Löwenjagd im Sinai.
Der Afghan-Teppich.
Der Acht-Grad-Kanal.
Der leere Koffer.
Acht Stunden Frist.
Der Klub der Zwölf.
Die Bajadere Mola Pur.
Der goldene Gonggong.
Die Kugel aus dem Nichts.
Der Piratenschoner.
Die Büchse der Pandora.
Der Tintenlöscher des Sahdi Ahmed.
Auf des Messers Schneide.
Strandkorb Nr. 121.
Das Lichtbild ohne Kopf.
Das Haus in der Wildnis.
Das Geheimnis des Brasilianers.
Die Spielhölle in Hongkong.
Das Rätsel von Paragwana.
Ein amerikanisches Duell.
Die Ganges-Piraten.
Eine Wettfahrt ums Leben.
Die Bärenjagd in Kaschmir.
Das Licht in der Lehmhütte.
Der chinesische Messerwerfer.
Die leere Tonne.
Die Gauklergesellschaft Shingra Mao.
Der Klub der Zuchthäusler.
Lord Ralleys Schreckensnächte.
Das Geheimnis der Insel Morton.
Die Katzen der Gräfin Baltholm.
Der Tote im Fahrstuhl.
Die Höllenmaschine Doktor Blucks.

– Preis pro Band 20 Pf. –

Zu beziehen durch jede Buchhandlung oder vom

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 26,

Elisabeth-Ufer 44.