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Der Tennisschläger der Rani

 

 

Der Detektiv

 

Kriminalerzählungen

von

Walther Kabel.

 

Band 119:

 

Der Tennisschläger der Rani

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin 26, Elisabeth-Ufer 44

 

Nachdruck verboten. Alle Rechte einschließlich Verfilmungsrecht vorbehalten. Copyright by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 26. – 1924.
Druck: Buchdruckerei P. Lehmann G. m. b. H., Berlin.

 

1. Kapitel.

Ein Karawanenüberfall.

Dort in weiter Ferne, wo der gelbfahle Wüstenrand am Horizont mit dem im Morgenzwielicht ebenfalls gelbfahlen Himmel in eins verschwamm, zog eine Kamelkarawane gemächlich dahin, ein seltsames Bild, da die Tiere bei dieser Beleuchtung samt ihren beturbanten Führern in der Luft zu schweben schienen.

Wir, Harald Harst und ich, hatten soeben unser Frühstück beendet, und Harald war es gewesen, der mich auf die Lastkarawane, die da scheinbar in der Luft ihren Weg gen Süden nahm, aufmerksam gemacht hatte.

Wir waren vor zwei Tagen hoch zu Kamel von Sirsa (an der Bahnlinie Lahore–Alwar aufgebrochen und nach Südwesten in die indische Thar-Wüste, für uns ein längst bekanntes Gebiet, hineingeritten, um so nach Gagawar, der Residenz der Fürstin von Gagawar, zu gelangen. Wir hätten uns diesen Wüstenritt freilich auch sparen können, da Gagawar durch eine Kleinbahn mit der die Thar durchschneidenden Hauptstrecke verbunden ist. Harald jedoch hatte genau so große Lust nach ein paar Tagen freien Nomadenlebens verspürt wie ich, und so schickten wir denn unsere Koffer als Frachtgut voraus, kauften in Sirsa zwei vorzügliche Reitdromedare und ein ebenso gutes Lastkamel und kamen uns nach dem langen Aufenthalt in Europa wie die Götter vor, als wir nun wieder einmal vom Kamelsattel aus auf die ganze langweilige europäische Kultur pfiffen – gründlich pfiffen! –

Unser Lagerplatz hier in der Wüste lag am Abhang einer jener in der Thar so häufigen vereinzelten Felsenhügel, wodurch ein paar armselige Palmen beschattet und von Steinblöcken im Dreiviertelkreis umgeben. Unsere drei Tiere waren mit ihrer Morgenmahlzeit längst fertig und käuten mit dem ganzen phlegmatischen Wohlbehagen dieser hochbeinigen Viecher die kräftige Maiskost nochmals wieder.

Harald hatte jetzt sein Fernglas auf die Karawane eingestellt, die in der Tat einen seltsamen Anblick darbot, wie sie so scheinbar schwebend dahinzog.

„Du könntest dasselbe tun,“ meinte er nach einer Weile. „Ich finde, das da drüben ist jetzt wichtiger als Deine Morgenzigarre …“

Er hatte das scharfe Glas während dieser Worte nicht von den Augen genommen und rief nun schon nach wenigen Minuten, während ich noch die Schnalle meines Fernglasfutterals aufzog:

„Wahrhaftig – das sieht wie ein Überfall aus!!“

Ich schaute auf. Sah dort weit im Osten nun zwei Reiterketten, die im Galopp auf die Karawane zusprengten und sich zu einem engen Kreise vereinigten, da der Führer der Kamelkarawane anscheinend den Seinen den Befehl gegeben hatte, sich zur Abwehr des Feindes enger zusammenzuschließen.

Ich möchte hier erklärend bemerken, daß die Thar-Wüste noch heute wie ehedem die Zufluchtsstätte aller jener verbrecherischen Elemente ist, die in den Randgebieten dieses unermeßlichen Landstrichs der scharfen indischen Polizei sich entziehen wollen. Eine Verfolgung in die Thar hinein ist so gut wie zwecklos, da die größtenteils unbewohnten[1] Wüstenstrecken mit ihren zerklüfteten, armseligen Höhenzügen unzählige Verstecke bieten. –

Kaum hatte ich begriffen, was dort weit vor uns sich abspielte, als ich auch schon Harald meinerseits zurief, der Karawane doch zu Hilfe zu eilen.

„Wir haben unsere Winchesterbüchsen bei uns, und mit diesen sechzehn Schuß können wir –“

Harst unterbrach mich.

„Wie weit schätzt Du die Entfernung denn?“ fragte er.

„Eine halbe Meile.“

Er lachte. „Lieber Alter, die dünne Wüstenluft täuscht! Drei Meilen sind’s bestimmt, wenn nicht gar noch mehr! Bevor wir unsere Tiere gesattelt und die drei Meilen zurückgelegt haben, sind die Herren Banditen über alle Berge!“

Noch immer beobachtete er diese Wildwestszene durch das Glas. Noch immer spielte sich dort in der Ferne am Wüstenrande ein Räuberstückchen ab, wie es hier in der Thar immerhin eine Seltenheit ist; denn ein solches Waffenaufgebot von Karawanenplünderern hatte ich noch nie bisher hier gesehen, obwohl wir beide doch vor anderthalb Jahren in dieser „Sahara Indiens“ gerade mit „Lakschaias bin Tobranir“, mit Karawanenräubern, manchen blutigen Strauß ausgefochten hatten.

„Merkwürdig,“ sagte Harald dann plötzlich, „es macht ganz den Eindruck, als ob die Banditen auf keinerlei Widerstand gestoßen sind!“

Und gleichzeitig schraubte er sein Glas zusammen, fügte hinzu: „Vorwärts, mein Alter! Wenn wir uns beeilen, können wir wenigstens den Banditen auf der Spur bleiben. Die Rani von Gagawar wird uns dankbar sein, falls es uns gelingt, den Schlupfwinkel der Lakschaias bin Tobranir zu entdecken, denn dieses Gebiet hier muß schon zu ihrem Fürstentum gehören.“

In zehn Minuten hatten wir unser Lasttier wieder beladen, hatten den tadellosen Reitdromedaren die Sättel aufgelegt und jagten im Bogen nach Süden der Stelle des Überfalls zu, indem wir uns stets in Tälern hielten und es sorgfältig vermieden, uns auf einer Anhöhe zu zeigen.

Wir mochten so etwa fünfzehn Minuten geritten sein, als wir in einen schluchtartigen Engpaß mit felsigen Wänden einbogen, dessen vielfache Krümmungen es uns unmöglich machten, auf weitere Entfernung einen Nahenden zu bemerken.

So kam es denn, daß wir ganz überraschend der Spitze einer Lastkarawane begegneten, deren Führer einen Schimmel ritt.

Hellfarbene Pferde sind nun in Indien ziemlich selten. Und so konnte denn Harald mit einigem Recht mir zuflüstern:

„Der Führer der überfallenen Karawane ritt gleichfalls einen Schimmel! Wenn’s nun dieselbe Karawane wäre!“

Dann war der schwarzbärtige Radschpute[2], ein echter, stolz blickender Bewohner der Thar, schon dicht vor uns, musterte uns durchdringend und wollte ohne Gruß vorüber.

Harst rief ihm zu, indem er sich des Englischen bediente: „Zügle Dein edles Roß für kurze Zeit, Fremder. Wir möchten Dich einiges fragen.“

Der Radschpute drückte sein Pferd mehr an die Schluchtwand und winkte den vorderen Kameltreibern zu.

Die Karawane hielt.

Diese Bereitwilligkeit des Führers, uns Rede und Antwort zu stehen, machte mich stutzig. Wer jemals mit reinblütigen Radschputen zu tun gehabt hat, weiß, daß sie zu den erbittertsten Europäerhassern gehören.

„Frage, Sahib,“ erklärte der Radschpute nun, indem er uns nochmals seltsam scharf und prüfend anschaute.

„Ihr seid vorhin von Lakschaias bin Tobranir angehalten worden?“ begann Harst, während sich immer mehr Kameltreiber um uns versammelten.

„Du irrst, Sahib,“ entgegnete der Radschpute. „Wir sind von niemandem angehalten worden.“

„Dein Gedächtnis hat Dich verlassen. – Weshalb trägst Du um das linke Handgelenk einen Verband? Weshalb zeigt Dein Mantel frische Blutspuren?“

„Ich bin vom Pferde gefallen, Sahib!“

Harald lachte. „Ein Radschpute, der mit dem Pferde stürzt, ist eine Seltenheit! – Bist Du ein Untertan der Rani von Gagawar?“

Da senkte der Mann den Blick, zögerte.

„Nein, Sahib!“

„Du lügst! – Kennst Du dies hier?“

Und er entnahm seiner Brieftasche ein dreimal gefaltetes Blatt jenes dicken, faserigen Papiers, das in Indien noch heute auf die primitivste Art für bestimmte Zwecke – für besonders wichtige Urkunden – lediglich zu persönlichem Bedarf einiger eingeborener Fürsten hergestellt wird.

Dieses Blatt hier war mit feinster leuchtender Indigofarbe künstlerisch beschrieben und hatte unten neben dem Namenszug der Rani von Gagawar eine Art Siegel aus vergoldetem Wachs.

Harald zeigte die entfaltete Urkunde dem Radschputen und sagte strengen Tones: „Dies ist ein Geleitbrief der Fürstin Aranda ben Soharawi von Gagawar. Jeder, wer es auch sei, hat mir dem Wortlaut dieser Urkunde nach Gehorsam zu leisten, sobald ich mich innerhalb der Grenzen des Fürstentums befinde. Ich befehle Dir also, mir die Wahrheit zu sagen. – Man hat Euch überfallen?“

Der Radschpute senkte den Kopf noch tiefer. Und dann, dann kam über seine Lippen ein schriller Pfiff.

Blitzschnell hatten sich da drei Kerle von hinten mit geradezu affenartiger Gewandtheit auf mein Dromedar geschwungen, rissen mich aus dem Sattel …

Und genau so erging es Harald. Auch ihm kam dieser Angriff so überraschend, daß er genau so wenig wie ich an Widerstand denken konnte.

Wir fielen in das Steingeröll, und wie eine Meute Hetzrüden lagen die schweißstinkenden braunen Kameltreiber auf unseren Leibern, umkrallten unsere Arme, Beine, preßten uns übelduftende Decken auf die Gesichter, fesselten uns und schleppten uns fort.

Der Tragekorb eines Lastkamels nahm mich auf. Und volle sechs Stunden wurde ich hier in dem engen Bastbehälter derart durchgerüttelt, daß ich kaum noch auf den Beinen stehen konnte, als man mich nach diesem endlosen Ritt heraushob.

Noch immer mußte ich den Gestank der meinen Kopf umhüllenden Decke atmen. Schwankend stand ich da. Hörte allerlei Geräusche ringsum, die jedoch allmählich verklangen.

Und sengend und peinvoll brannte die Sonne mir auf die über der Brust kreuzweise gefesselten Hände. Ich japste nach Luft …

Und – vernahm nun dicht neben mir Haralds dumpf klingende Stimme:

„Ein lieblicher Anfang, mein Alter! Aber – ein vielsagender Anfang! Die Rani von Gagawar hat uns brieflich durch ihren Privatsekretär hierher bestellt, damit wir den Dieb des berühmten Gagawar-Smaragdes ermitteln, hat dem Briefe auch gleich den Geleitschein beigefügt und hoffte, uns durch diese Urkunde besonders zu nützen. Da wir ja in ihrer Hauptstadt verkleidet erscheinen sollten. Und jetzt – jetzt sind wir, behaupte ich, lediglich dieser Urkunde wegen überfallen und verschleppt worden!“

„Hm – –!“ meinte ich nur, denn ich zweifelte sehr stark an der Richtigkeit dieser Vermutung meines Freundes.

Harald blieb nun eine Weile still. Dann erklang seine Stimme bedeutend heller: „So – die Augenblende bin ich los! Ah – ein Talkessel, und was für ein Talkessel! – Warte, meine Zähne werden Dir sehr bald die Stricke abnehmen.“

Und gleich darauf waren wir beide wieder frei.

Nun sah auch ich, daß wir uns in einer langgestreckten Schlucht mit haushohen senkrechten Wänden befanden und daß dort nach Westen zu in diesem schroffen Tale ein winziges Palmenwäldchen und ein paar grüne Grasflächen freundlich herüberwinkten.

Dort weideten auch unsere drei Tiere.

Und – – Harald sagte jetzt noch ernster: „All das täuscht, mein Alter! Wir sind Gefangene. Da oben an den Rändern der Schlucht drohen Gewehrläufe hinter Felsblöcken hervor!“

Ich war jetzt wieder Herr meiner Sinne. Auch ich bemerkte dort oben die vier Gewehrläufe und vier schmierige Turbane der hinter den Felsen hockenden Wächter.

„Meine Clementpistole hat den Besitzer gewechselt,“ sagte Harald da. „Und unsere Büchsen dürften gleichfalls verschwunden sein. Immerhin: die Geschichte ist als Einleitung nicht zu unterschätzen!“

Langsam schritt er den Palmen zu.

Und als wir hier eine kleine Quelle aus der westlichen Felswand hervortreten sahen, meinte Harald wieder:

„Ein Gefängnis mit frischem Wasser! Wir sollen offenbar längere Zeit an diesem Orte festgehalten werden, eben so lange, bis in Gagawar irgendwie der Diebstahl des grünen Edelsteins wieder in Vergessenheit geraten ist!“

„Das heißt also,“ erläuterte ich Harsts Andeutungen, „der Dieb oder die Diebe des Gagawar-Smaragdes haben uns diese Haft zudiktiert!“

„Gewiß! Wer sonst. – Nehmen wir dort im Schatten Platz und sorgen wir für unser leibliches Wohl. Ich habe Hunger nach den sechs Stunden Kamelritt im Tragkorbe.“

Daß war so recht mein alter unverwüstlicher Harald, der nun zunächst seine Taschenuhr sorgfältig aufzog und dabei meinte: „Halb ein Uhr mittags am 29. Juli! Merken wir uns das!“

 

2. Kapitel.

In Gagawar.

Und um vier Uhr stellten wir bei einer Besichtigung des Tales fest, daß dieses nur einen einzigen schmalen, gewundenen Ausgang in Form eines steil abfallenden Kanons hatte.

Dieser Ausgang aber war durch Steine verrammelt, und aus den Lücken zwischen den Steinen drohten uns wieder zwei Gewehrläufe entgegen.

„Aha!“ lächelte Harald und machte kehrt. „Nun wissen wir ja endgültig Bescheid: Gefangene!! – Die Herrschaften vergaßen nur bei diesem Bewachungssystem das eine: auf jeden Tag folgt eine Nacht, und Nächte sind dunkel, und den Wächtern dürften kaum Scheinwerfer zur Verfügung stehen, um unser Treiben zu beobachten! Wir werden morgens ein Uhr vergnügt davonreiten. Wollen wir wetten, mein Alter?“

„Danke!“

Gegen Harst zu wetten, ist eine mißliche Sache. Wenn er so bestimmt behauptet, daß wir um ein Uhr frei sein würden, dann stimmt das zumeist, dann hat er eben seinen Befreiungsplan schon fix und fertig im Kopfe.

Und – so war’s denn auch.

Als gegen zehn Uhr tiefste Dunkelheit das Tal erfüllte, fertigten wir aus Zweigen, Gras und den stinkenden Decken zwei Puppen in aller Stille an, die nachher – uns vertreten sollten.

Dann flackerte ein Lagerfeuer auf. Die Puppen lagen im Schatten an der Felswand.

Wir aber krochen in aller Gemütsruhe vor, aßen, tranken, rauchten, unterhielten uns, ließen das Feuer immer niedriger brennen, streckten uns zum Schlafe aus, zogen unsere Sportmützen über die Gesichter und warteten, bis das Feuer vollends erloschen war.

Noch war der Mond nicht über die Randhöhen des Tales hinausgestiegen.

Und als er nun erschien und die eine Hälfte unseres Gefängnisses mit milchigem Lichte erfüllte, da – lagen wir immer noch vor den Palmen und schliefen.

Da – waren’s die Puppen, die von den Wächtern beruhigend als dunkle Gestalten bemerkt werden mußten.

Wir beide aber hockten längst dicht am Steinverhau des Kanons, hörten, daß auf der anderen Seite des Walles zwei Männer leise miteinander sprachen, und – triumphierten, als nun auch die beiden anderen hinzukamen. Vier waren’s nur, die uns hier bewachten. Das wußten wir! Und diese famose Garde bildete sich nun ein, Harst und Schraut schliefen dort bei den Palmen wie die Murmeltiere!

Ach, die armen Kerle taten mir nachher aufrichtig leid, als wir ihnen urplötzlich von der Höhe der Barrikade aus in Strümpfen über den Hals kamen. Sie hockten da so gemütlich um ein Feuerchen, hatten ihre Gewehre neben sich gelegt und kauten ihr hartes Maisbrot!

Harald flog mitten unter sie, hatte im Moment drei Flinten aufgerafft.

Die vierte richtete ich auf die braven, zerlumpten Kameltreiber, die ihrer Aufgabe doch nicht ganz gewachsen waren, hier einen Harald Harst festzuhalten! –

Während ich die verblüffte Gesellschaft dann in Schach hielt, band Harald ihnen die Hände auf dem Rücken zusammen, räumte die Steine weg und deutete in das Tal hinein.

„Vorwärts – bis zu den Palmen!“ befahl er auf englisch.

Und die Kerle gehorchten.

Hinterher schlenderten wir beide, noch immer auf Strümpfen, die Schuhe über dem Rücken. Sie wären uns beim lautlosen Erklimmen der Barrikade hinderlich gewesen.

Dann mußten die vier sich niedersetzen. Unser Lagerfeuer flammte wieder auf, und – – das Verhör begann. Zuerst wollten die Leutchen Harst anlügen. Sie gaben es bald auf. Er bewies ihnen, daß sie schwindelten, und er drohte, sie der Rani von Gagawar auszuliefern, falls sie noch weiter Ausflüchte machten.

So vernahmen wir denn endlich die Wahrheit, und die war vieldeutig genug.

Die vier stammten aus einem Dorfe bei Gagawar und verdienten seit Jahren als Kameltreiber ihr ärmliches Brot. Die von uns beobachtete Karawane hatte die Residenz Gagawar vorgestern abend verlassen. Die sämtlichen zweiunddreißig Lastkamele samt der Ladung waren Eigentum des Kaufmanns Harum[3] Said, eines Persers, der in Gagawar das größte Exporthaus besaß. Der Führer der Karawane, jener Schimmelreiter, hieß Marsa Sibra und war des Persers vertrauter Freund und Bevollmächtigter. Heute morgen dann hatten sechzig Radschputen die Karawane umzingelt. Diese Leute waren sämtlich maskiert gewesen und hatten Tücher mit Augenlöchern vor dem Gesicht getragen. Ihr Anführer hatte den Radschputen Marsa Sibra, der nicht sofort gehorchen wollte, durch einen Revolverschuß an der Hand verwundet. Die Maskierten raubten jedoch nichts, sondern durchsuchten nur Marsa Sibras Kleider und die Satteltaschen seines Pferdes. Dann hatte ihr Anführer den Freund des Persers beiseite genommen und eine Weile mit ihm geflüstert, hatte Marsa Sibra ein Fernglas gegeben und ein Päckchen und war mit den Seinen davongesprengt. Die Karawane brach wieder auf, wurde aber von Marsa Sibra nunmehr derart geführt, daß sie uns beiden begegnen mußte. Der Radschpute hatte den von uns eingeschlagenen Weg lediglich dadurch erkannt, daß wir immer wieder ganze Schwärme von Onus, von indischen Wüstenstaren, aufgescheucht hatten, und diese aufschwirrenden Vogelwolken waren uns mithin verhängnisvoll gewesen. Der Radschpute hatte inzwischen auch seine zwölf Kameltreiber eingeweiht und ihnen Geld versprochen, wenn sie ihm hülfen, zwei Europäer gefangenzunehmen. –

Mehr konnten die vier tüchtigen Wächter uns beim besten Willen nicht verraten. Sie wußten eben nur das, was sie uns mitgeteilt hatten.

Harald fragte den Intelligentesten von ihren noch allerlei über die Rani und die Stadt Gagawar. Dann befahl er ihnen, mindestens noch fünf Tage hier in diesem Tale zu bleiben. Andernfalls würde er dafür sorgen, daß ihre Frauen und Kinder ins Gefängnis gesteckt würden. –

Es war genau zehn Minuten vor ein Uhr morgens, als wir hoch zu Kamel, jeder mit zwei Büchsen bewaffnet, das Tal verließen.

Und als dann am Abend dieses Tages Harst und Schraut durch das Westtor von Gagawar in das ärmste Viertel der Residenz der Rani einritten, saßen in unseren Sätteln zwei gefärbte Inder mit wundervollen schwarzen Vollbärten, die unter dem Turbanrand auf der Stirn ein Bildchen in weißer Farbe trugen, – das eines Fisches als Zeichen, daß sie der über ganz Indien verbreiteten Sekte der Ellawin (eigentlich „ohne Zunge“), der freiwillig Stummen, angehörten.

Und die beiden Ellawin mieteten sich dann bei einem uralten Inder ein, den einer unserer tüchtigen Wächter uns als zuverlässig und verschwiegen empfohlen hatte. Der Mann besaß eine Hütte nebst Garten an der Ostmauer des fürstlichen Parkes. Und – darauf war es Harald angekommen, daß wir recht bequem und unbemerkt uns mit der Rani in Verbindung setzen könnten.

Des alten Inders aus getrockneten Lehmziegeln hergestellte Hütte schien uns jedoch nur allzu reichlich von jenen hüpfenden und kriechenden Blutsaugern bevölkert zu sein, die sich auch daheim in Deutschland unter dem Namen Flöhe und Wanzen geringer Beliebtheit erfreuen. In Indien heißen die Plagegeister natürlich anders, aber ihre Frechheit und Zudringlichkeit ist dieselbe, eher noch größer. Daher zogen wir es vor, in Moalis leerem Stalle zu nächtigen, den wir in kurzem gründlich gesäubert hatten, und den wir auch deshalb als Behausung bevorzugten, weil er sich mit der Rückwand an die hohe Parkmauer lehnte.

Immerhin war es elf Uhr geworden, bevor wir daran denken konnten, uns auf unserem Spirituskocher ein Abendbrot zuzubereiten. Der alte Moali, vor dem wir aus Vorsicht weiter die Ellawin spielten, hatte uns soeben verlassen. Die Verständigung mit ihm war dank Haralds Fertigkeit in ausdrucksvoller Zeichensprache nicht allzu schwierig gewesen, und die Hauptsache blieben dem Alten die kleinen indischen Goldmünzen, mit denen wir unser Quartier für eine Woche vorausbezahlt hatten.

Nun waren wir allein. Moali konnte uns nicht belauschen. Wir hatten die Tür des Stalles weit offen gelassen und mußten jeden sehen, der sich unserer erbärmlichen Behausung näherte. Draußen schien der Mond, die Bäume des verwilderten Gartens rauschten leise, und drüben im fürstlichen Park sangen die Bul-Bul, die indischen Nachtigallen, den Mond mit schmetternden und weichen Tönen vielstimmig an.

Harald saß auf einem Holzklotz am Türpfosten, ich brühte Tee auf.

Alles ringsum war so unendlich friedlich.

Harsts Mirakulum-Zigarette duftete mit der an der Stallwand wuchernden Grisgra-Sträuchern um die Wette.

Und da war’s, daß mein Freund unvermittelt flüsterte: „Nun sind es vier!“

Ich hatte ihm gerade den mit Tee gefüllten Aluminiumbecher gereicht. Seine Lippen bewegten sich kaum.

Und als Nachsatz hörte ich ebenso leise, nur eindringlicher: „Vorsicht!! Wir werden beobachtet!“

Er erhob sich.

Trat vor die Hütte, reckte die Arme empor und begann das Nachtgebet der Sekte der Ellawin zu verrichten.

Er tat’s mit allen Schikanen, mit der ganzen würdevollen Gemessenheit des Orientalen.

Er tat’s, das wußte ich, um die Spione dort in den Büschen zu überzeugen, daß wir tatsächlich nur harmlose fremde Händler seien.

Aber – ob all das einen Zweck hatte?! – Ich bezweifelte es.

Und doch erschien nun auch ich neben Harald und begann wie er die seltsamen Gliederverrenkungen, die uns alten Indienfahrern längst bekannt und vertraut waren.

Ein höhnisches Auflachen hinter uns beendete die Komödie.

Wir schauten uns um.

An der Tür des Stalles, zwei Schritt nur entfernt, lehnte ein Mann mit einem grauen Tuche vor dem Gesicht, in das zwei Löcher für die Augen geschnitten waren.

Ein Inder, groß und schlank, in gelbweisem Leinenanzug, fraglos ein sehr wohlhabender Inder. Seine Kleidung verriet das. Merkwürdig war, daß er – weiße Zwirnhandschuhe trug.

Mit offenbar verstellter Stimme sagte er in leidlich fließendem Englisch:

„Ich mache Sie zunächst darauf aufmerksam, Mister Harst, daß die erste verdächtige Bewegung Ihrerseits durch ein paar Pfeilschüsse dort aus den Büschen beantwortet werden würde. Sie wissen ja, daß die radschputischen Hirten der Thar noch heute die Wölfe mit Pfeil und Bogen erlegen. Also – richten Sie sich danach! – Dann: ich hätte einiges mit Ihnen beiden zu besprechen. Wenn Sie mir versichern, in keiner Weise gewalttätig gegen mich vorzugehen, könnten wir hier im Innern des Stalles miteinander verhandeln.“

Harald nickte nur, und der Inder trat sofort in den Innenraum hinein und schob einen Holzklotz als Sitz neben die Kiste, auf der unsere kleine Karbidlaterne brannte.

Wir folgten ihm. Harald zog die Tür zu, und wir nahmen gleichfalls auf Holzklötzen Platz.

Eigentümliche Situation war das.

Ich fragte mich immer wieder, während der Vermummte stumm und regungslos dasaß, wer dieser moderne Inder wohl sein könnte, der den tadellosen weißen Leinenkragen und die bunte Krawatte zu einem bastseidenen Oberhemd mit dem Schick des Berliner Lebejünglings trug.

Das Schweigen hielt an.

Harald rauchte schon die zweite Mirakulum.

Da endlich begann der Unbekannte: „Die Zigarette hat Sie verraten, Mr. Harsts. Kein Ellawin wird je durch Tabak oder Alkohol seinen geweihten stummen Mund verpesten. Das haben Sie übersehen. Im übrigen meine Hochachtung: Ihre Verkleidung und Ihr Benehmen mußten den alten Moali täuschen. Meine Leute waren denn auch im Zweifel, ob Sie und Ihr Freund es sein könnten, die da durch das Westtor in die Stadt einritten.“

Harald blieb stumm.

Es ist das ja eine sehr schlichte Taktik, andere unsicher zu machen. Doch zumeist hat sie Erfolg. Besonders bei Menschen, die nicht gewohnt sind, durch diplomatisches Verhalten aus dem Gegner etwas herauszulocken.

Der Inder wurde jetzt offensichtlich etwas unruhig. Er setzte mehrfach zum Sprechen an, räusperte sich und platzte schließlich heraus: „Sie müssen Gagawar wieder verlassen!“

Und nun meldete sich Harald, sagte sehr bestimmt: „Ich denke gar nicht daran! – Ich würde Ihnen dringend raten, uns unsere Waffen und den gleichfalls geraubten Geleitbrief der Rani, ebenso auch den gestohlenen Gagawar-Smaragd schleunigst herbeizuschaffen. Ich gebe Ihnen dazu drei Tage Zeit. Entweder sind Sie selbst der Dieb des berühmten Edelsteins, oder Sie stehen mit dem Diebe im Bunde. Sie haben irgendwie Kenntnis davon erhalten, daß die Fürstin sich auf den Rat ihres Privatsekretärs Sir Marringow an uns wandte, damit wir hier in aller Stille den geheimnisvollen Diebstahl aufklären möchten. So konnten Sie uns Spione entgegenschicken, so konnten Sie den Karawanenführer dazu bestimmen, uns gefangenzunehmen und in jenes Tal im Nordosten einzusperren. Und infolge Ihres tadellos arbeitenden Spionagesystems müssen Sie auch sehr rasch von unserem Entweichen aus dem Tale unterrichtet worden sein. Die Sachlage ist mithin klar. Sie sind imstande, den gestohlenen berühmten Smaragd mir auszuhändigen. Wenn Sie dies binnen drei Tagen tun, werde ich Sie und Ihre Helfershelfer schonen. Wenn nicht – dann haben Sie die Folgen zu tragen. Bitte, entscheiden Sie sich!“

Des Inders Augen funkelten wie schwarze Diamanten in den Löchern der Stoffmaske. Diese Augen sprühten Wut, Überraschung und – Angst.

Kein Wunder war’s! Nur ein Harald Harst konnte einem Menschen, der sein Tun so ganz in undurchdringliche Schleier gehüllt zu haben hoffte, derart wuchtig die Wahrheit ins Gesicht schleudern.

Kein Wunder, daß des Inders behandschuhte Fäuste sich krampfhaft öffneten und schlossen.

Dann – zischte er Harald an: „Oh – Sie sind ein – Narr, Mr. Harst! Was Sie da über meine Zugehörigkeit zu den Dieben des heiligen berühmten Smaragds zusammenphantasieren, ist so lächerlich, daß –“

Harst unterbrach ihn schroff: „Der Narr wird Sie an den Galgen bringen! – Ihnen versprach ich Waffenruhe hier in dieser Hütte, nicht aber Ihren Helfershelfern da draußen.“

Und – ein Griff brachte eins der Gewehre in seine Hand.

Donnernd dröhnte der Knall des Schusses in dem niederen Raume.

Draußen vor der Tür ein gellender Schrei.

Der Inder fuhr hoch; schien sich auf Harst stürzen zu wollen.

„Gehen Sie!“ befahl Harald kurz. „Ich gestatte Ihnen, den Verwundeten mitzunehmen. Morgen früh werde ich Sie suchen und finden. Gehen Sie!“

Der Mann eilte auch wirklich hinaus, hob einen vor der Tür mit durchschossenem Knie liegenden anderen Inder kraftvoll auf und verschwand nach rechts hin.

 

3. Kapitel.

Der Polizeichef Mr. Britt.

Und drei Minuten später kam schon unser alter Quartierwirt herbeigestürzt.

Das hagere Männlein hopste wie verrückt umher, sog schnuppernd den Pulverdampf ein und rief in einemfort:

„Man wird Euch einsperren! Die Wache der Fürstin wird Euch verhaften! Der Schuß ist gehört worden! Hier liegt Blut – – Blut – – – Blut!“

Und dann fügte er zur Abwechslung hinzu: „Zwei berühmte Sahibs aus Germanistan sind bei der Rani, zwei von der Polizei! Die werden Euch überführen! Ihr habt hier gemordet, und mich wird man mitaufhängen!!“

Die Angst des armen vertatterten Moali wirkte recht komisch. Und doch achteten wir beide nicht mehr auf ihn, hatten keinerlei Verständnis für die nicht geringe Komik der Szene.

Nein – wir sahen uns nur an. Uns war Moalis Äußerung von den beiden berühmten Sahibs wie ein Blitz in die Knochen gefahren!

Die beiden konnten ja nur Betrüger sein, die unsere Namen und den Geleitbrief der Fürstin mißbraucht hatten! Das waren fraglos zwei europäische Gauner großen Stils, die hier im Trüben fischen wollten!

Harald nickte mir zu.

Ich verstand ihn. Er vermutete genau dasselbe wie ich. Vielleicht vermutete er sogar noch mehr.

Und – mit zwei schnellen Griffen hatte er da Turban, Perücke und den falschen Bart entfernt, präsentierte sich nun dem zur Salzsäule erstarrten Alten als braungefärbten Harald Harst.

Hatte schon aus dem einen Tragekorb unseres Lastkamels den kleinen Koffer herausgenommen, hatte die Tube mit dem Entfärbungsmittel geöffnet.

Nie werde ich des alten Moali entsetztes Gesicht vergessen, als das schöne Braun unserer holden Züge immer mehr alles Indische verlor und schließlich nur noch die ehrliche Sonnenbräune bartloser Europäerwangen übrigblieb.

Und gerade als Harald nun in die Kniebeinkleider seines Sportanzugs schlüpfte, gerade als auch ich über mein Bäuchlein den Hosenhaken schloß, erschienen tatsächlich zwei indische Polizeibeamte, um nachzuforschen, wer es gewagt habe, so in nächster Nähe der Parkmauer einen Schuß abzufeuern.

„Ich tat’s,“ erklärte Harald sofort. „Ein Dieb wollte hier eindringen.“

Auch diese beiden hochgewachsenen Hüter der Ordnung sahen staunend die Requisiten unserer Verkleidung am Boden liegen.

Und Harst fügte sehr energisch hinzu: „Weckt sofort Sir Marringow, den Privatsekretär der Rani. Sagt ihm, daß zwei Freunde von ihm ihn hier erwarten. Und – schweigt im übrigen gegen jedermann. Ich warne Euch! Falls Ihr Euch geschwätzig zeigt, wird die Rani Euch bestrafen. – Vorwärts – beeilt Euch!“

Die Polizeibeamten drückten sich. Der Einfluß und das Ansehen eines Europäers war hier in dem entlegenen Fürstentum noch weit bedeutender als in den zivilisierteren indischen Zentralstaaten.

Auch der alte Moali zog sich kopfschlackernd zurück. Wir waren ihm unheimlich geworden.

„So,“ meinte Harald nun auf deutsch zu mir, „so, jetzt kann der Tanz losgehen. Und – ein Tanz wird es werden! Die beiden Leute, die hier mit dem mir gestohlenen Geleitbrief und mit unseren gleichfalls aus meiner Brieftasche entwendeten Ausweisen Harst und Schraut spielen, dürften Kreaturen desselben Inders sein, den ich vorhin so rasch davon überzeugte, daß ich seine Ränke durchschaue. Freiwillig werden die Herren Konkurrenten kaum das Feld räumen. Wir werden vielleicht einen schweren Stand haben!“ –

Und eine Viertelstunde später erfolgte dann der – Kladderadatsch.

Sir Marringow schickte eine stattliche Polizeimacht aus, die uns festnehmen sollte. Er selbst zeigte sich nicht. Der Führer der zwanzig Polizisten war der Polizeichef von Gagawar in höchsteigener Person, ein früherer Kolonialhauptmann namens Lionel Britt, ein unleidlich aufgeblasener Herr, der sich auf keinerlei Verhandlungen einließ, der Harst gar nicht anhörte, sondern einfach befahl, uns vorläufig im Polizeigebäude einzusperren.

Harald hatte bisher nicht einmal unsere Namen genannt, hatte nur immer wieder verlangt, daß Sir Marringow herbeigeholt würde.

Die Stallhütte war jetzt mit Polizisten angefüllt, die uns eingekreist hatten. Fünf große Laternen beleuchteten die denkwürdige Szene.

Plötzlich von der Straße her Hupensignale und Autogeräusch.

Und gleich darauf begrüßte der Polizeichef sehr liebenswürdig einen schlanken Herrn im hellen Flanellanzug – den Privatsekretär Marringow.

Hinter diesem aber standen zwei weitere Europäer, zwei Männer, die fraglos unsere Konkurrenten, die falschen Harst und Schraut waren.

Marringow musterte uns hochmütig.

„Wer sind Sie? Ich kenne Sie nicht,“ sagte er kalt.

Harald trat vor.

„Wenn Sie jemals in einer illustrierten Zeitschrift ein Bild Harald Harsts gesehen haben, Sir Marringow, so müssen Sie mich – für den echten Harst halten!“ sagte er laut und mit unnachahmlicher Ruhe. „Ich bin Harald Harst – nur ich! Und dies hier ist mein Freund Schraut.“

Das Gelächter, das Mister Lionel Britt nun anstimmte, und Marringows ärgerlicher Ausruf: „So eine Frechheit!“ bewies uns, daß vorläufig die Konkurrenz hier mehr Chancen hatte als wir.

Der Privatsekretär wandte sich halb zurück und winkte den beiden Schwindlern, die immerhin unsere Größe hatten und auch bei einigem guten Willen als uns entfernt ähnlich erklärt werden konnten.

„Mr. Harst,“ meinte der Sekretär zu dem Pseudo-Harald, „was halten Sie von dieser Geschichte?“

Und der freche Kerl steckte sich nun eine Zigarette an, kreuzte die Arme über der Brust und kniff die Augen zu, wollte so den echten Harst markieren. Blies ein paar mißglückte Rauchringe und erwiderte im singenden Tonfall eines alle Geisteskräfte Anspannenden:

„Die Gesichter dieser Schwindler kommen mir bekannt vor. Vielleicht sind es Verbrecher, die steckbrieflich verfolgt werden. Lassen Sie sie jedenfalls festnehmen, Sir Marringow. Morgen vormittag werde ich Ihnen mitteilen können, wer die Leute sind!“

Harald – der echte Harald – lächelte seinen Doppelgänger freundlich an.

„Morgen vormittag werde ich den Beweis erbringen, wer Sie sind!“ sagte er gleichmütig. „Und Sie, Sir Marringow, werden dann sehr bereuen, daß Sie uns beide, Schraut und mich, nicht einmal hier erst einiges zur Aufklärung vorbringen ließen.“

Der Privatsekretär, dessen Macht innerhalb der Grenzen des Fürstentums offenbar ziemlich unbeschränkt war, zuckte lediglich hochmütig die Achseln und sagte zu dem Polizeichef:

„Sie sorgen dafür, daß diese Betrüger nicht etwa entfliehen! – Gute Nacht, Mister Britt!“

Er wollte den Stall mit seinen beiden Begleitern wieder verlassen.

„Einen Augenblick,“ rief Harald da. „Jetzt verlange ich, daß wir hier sofort –“

Sir Marringow kümmerte sich nicht um uns, und Britt schnauzte Harald grob an.

„Sollten Sie nicht bescheidener werden, lasse ich Sie beide fesseln!!“

Harst schwieg, blickte den dreien nach und – lächelte.

Unter starker Eskorte wurden wir dann durch die stillen Gassen in das neuere Viertel der Residenz nach dem Polizeigebäude gebracht, wo Britt uns ein Zimmer mit vergitterten Fenstern als Zelle anwies, denn nach den für Europäer geltenden gesetzlichen Bestimmungen darf in Indien kein Weißer mit Farbigen zusammen eingekerkert werden, und die Zellen des Polizeigefängnisses waren sämtlich besetzt.

Dieses Zimmer, ein Raum zur Aufbewahrung von Akten, wurde nun plötzlich zum Schauplatz höchst eigenartiger Vorgänge.

Mister Lionel Britt, dick und aufgeschwemmt, fraglos ein Liebhaber starker Getränke, stand noch in der Tür und befahl gerade, zwei Holzpritschen für uns herbeizuschaffen, als Harald auf ein Fenster zuschritt, wo ein Telephonapparat seinen Platz hatte.

Er nahm ohne weiteres den Hörer ab und verlangte mit der Polizei in Bikanir (größte Stadt der Thar, von Gagawar etwa zwanzig Meilen entfernt) verbunden zu werden.

Britt wurde blaurot vor Wut, brüllte dazwischen: „Was erfrechen Sie sich! – Weg da vom Apparat!“

„Oh – Mister Douglas Railfax, Polizeidirektor in Bikanir, ist ein so guter Bekannter von mir, daß er meine Stimme sofort erkennen wird, Mister Britt. Ich rate Ihnen, die Tür zu schließen, Ihre Beamten draußen warten zu lassen und nachher Douglas Railfax zu fragen, wer hier in der Thar vor anderthalb Jahren die Karawanenräuber unschädlich gemacht hat. Der Mann, der das tat, hieß nämlich Harald Harst. Vielleicht waren Sie damals schon hier in Gagawar und vielleicht besinnen Sie sich noch auf einige Einzelheiten.“

Und – siehe da! – jetzt wurde der Herr Polizeichef doch ein wenig unsicher, zumal Harald nochmals in die Muschel des Hörers hineinrief, man solle ihn schleunigst mit Bikanir verbinden.

Mehr noch: Mister Britt drückte die Tür zu, zog einen Revolver und sagte bedächtig:

„Gut – gut! Wir können ja mal die Probe aufs Exempel machen!“

„Das können wir,“ nickte Harst gemächlich. „Aha – das ist schnell gegangen. – Hier Harald Harst. Wer dort? Wer – wer?! – Ah, Sie sind’s, Banis! Also noch immer in Bikanir! – Sagen Sie mal, bester Banis, erinnern Sie sich noch an meine Stimme? – Ja? – Nun, das freut mich! Man hat Schraut und mich hier in Gagawar als Schwindler verhaftet, weil zwei Kerle gestern hier mit unseren uns gestohlenen Ausweispapieren auftauchten und weil Mister Britt diesen Halunken mehr glaubt als uns!“ – Er drehte sich nach Britt um. „So, Mister Britt, nun können Sie ja mal mit Banis sprechen. Bitte!“

Und Lionel Britt steckte den Revolver ein und brummte: „Eine verdammte Schweinerei! Daraus werde der Teufel klug!“

Dann nahm er den Hörer.

„Hier Britt. ’n Abend, Banis. Sie erkennen also Harsts Stimme mit Sicherheit wieder? – So, so, danke! Und würden Sie auch die Schrauts erkennen?“

Nun mußte ich Freund Banis am Telephon begrüßen, den kleinen Banis, der mit uns und Douglas Railfax eine volle Woche hinter den Karawanenräubern hergewesen war.

Mein Organ hat seine besonderen Reize. Es klingt wie die Stimme aus einem schlechten Trichterphonographen und ist daher unverkennbar. – Banis lachte, als ich meldete: „Armer Schraut, – – als Schwindler verhaftet! Der Britt ist ein Mordsesel! Bestellen Sie ihm das!“

Und abermals nahm dann Britt den Hörer.

Was Banis ihm zurief, konnten wir ja nicht verstehen. Jedenfalls wurde der Dicke wieder beängstigend blaurot. –

Britt legte den Hörer weg … schaute uns an. Machte ein Gesicht wie ein Kater, dem man Tabakssaft ins Maul geschmiert hat.

„Ja – was nun?!“ brummte er verlegen.

„Nun rufen Sie mal Ihre Garde herein, alle Mann hoch!“

Und die baumstarken Radschputen marschierten an der Wand auf.

„Tür zu!“ befahl Harald. „So, nun will ich Ihnen, Mr. Britt, erklären, was der falsche Harst und der falsche Schraut wahrscheinlich in dieser Nacht unternehmen werden. Der berühmte Gagawar-Smaragd verschwand bekanntlich vor sechs Wochen aus dem sogenannten Schatzsaale des Schlosses der Rani, in dem die gesamten Kleinodien des Fürstenhauses aufbewahrt werden. Sir Marringow schrieb mir nach Berlin, daß dieses dreifenstrige Zimmer im Westturme des Palastes im zweiten Stock liegt und durch ganz moderne Einrichtungen geschützt ist. Die Fenster haben Panzerläden, und die einzige Tür ist eine Doppeltür aus Stahl mit drei Kunstschlössern. Ich vermute nun, daß die Schwindler, die hier gestern als Harst und Schraut sich einfanden, sich das Schlafzimmer zeigen ließen und dort geraume Zeit sich zu schaffen machten –“

Britt nickte.

„Und ich vermute weiter, Mister Britt, daß die beiden jetzt, wo ihnen der Boden hier zu heiß sein dürfte, noch in dieser Nacht versuchen werden, weitere Kleinodien zu stehlen und dann für immer zu verduften. Ich würde Ihnen also raten, schleunigst den Palast zu umstellen und jeden zu verhaften, der ihn verläßt – jeden, denn die beiden Kerle werden ja fraglos verkleidet entwischen wollen. – Beeilen Sie sich, Mister Britt!“

Der Dicke tupfte sich den Schweiß von der Stirn.

„Begleiten Sie uns bitte, meine Herren,“ meinte er kleinlaut.

„Gern! Sorgen Sie aber dafür, daß die beiden nicht irgendwie gewarnt werden, denn sie haben Verbündete hier in Gagawar!“

„Keine Sorge, Mr. Harst! Wir ist jetzt ein Licht aufgegangen!“

Und er erteilte seinen Beamten rasch einige Befehle.

 

4. Kapitel.

Der Minister.

Der Palast der Rani von Gagawar liegt auf einem Felsenhügel, der inmitten des künstlich angepflanzten uralten Parkes den dürren Sandboden durchbricht.

Indische Paläste sind merkwürdigerweise zumeist von Europäern entworfen und erbaut worden. Die berühmtesten und phantastischen Baudenkmäler des Märchenlandes stellen somit nichts anderes als den durch orientalische Einflüsse umgewandelten Geschmack erfindungsreicher europäischer Architekten dar.

Das Gagawar-Schloß stammt aus den Jahren 1791 bis 1802. Das Baumaterial, weißer Marmor und roter Granit, mußte aus Haidarabad bezogen werden. Kein Wunder, daß elf Jahre vergingen, bis diese Nachbildung des berühmten Tatsch Mahal fertig wurde.

Kein Wunder auch, daß Harald und ich staunend stehen blieben, als wir am Ende einer Pinienallee nun den Palast im Mondlicht auf seinem Unterbau von Granit, umgeben von großen Rasenflächen, zweihundert Schritt vor uns erblickten.

Der berühmte Tatsch Mahal wird stets poetisch „Ein Traum in Marmor“ genannt.

Diesen Palast von Gagawar hier inmitten der Thar, inmitten öder Sandflächen und Felsmassen, – dieses Wunder hier, umrauscht von künstlich bewässerten und gedüngten Bäumen, die als Park wie eine grüne Barrikade die Wüste absperrten von diesem Platze erlesener Schönheit, – dieses indische Fürstenschloß verdiente den Namen, der jetzt unwillkürlich über meine Lippen schlüpfte:

„Stein gewordener Rausch!“

Und der dicke Britt sagte neben mir:

„Ja – das stimmt, Mr. Schraut. Das stimmt! Ich bin, weiß Gott, kein Künstler! Aber immer, wenn ich den Palast vor mir sehe, packt es mich doch wie Andacht.“

„Die heute sehr überflüssig ist!“ meinte Harald fast streng. „Warten Sie hier, Mr. Britt. Schraut und ich werden nach dem Westturm hinüberschleichen. Dort die Marmorbrüstung der Terrasse wird uns decken. Das Kriechen dürfte Ihnen schwer werden, Mr. Britt.“

Wir glitten davon – den mit Marmorplatten belegten Hauptweg entlang.

Und krochen dann auf allen vieren weiter.

Krochen bis zum Turme, trafen auf zwei Beamte, die hier hinter der Brüstung kauerten.

Sie erkannten uns.

„Sahib Harst, – nichts Verdächtiges!“ meldete der eine.

Wir umrundeten den Turm.

Gelangten nun an die Rückfront des Palastes, an die im Grünen halb versteckten Nebengebäude.

Harst richtete sich auf.

Da waren neben dem Westturme im Erdgeschoß des Palastes zwei Fenster erleuchtet.

Marringow hatte uns in seinem ausführlichen Briefe auch angegeben, daß er im Schlosse, und zwar neben dem Turme, wohne.

Harald flüsterte: „Wenn ich Dir auf die Schultern steige, mein Alter, kann ich in das Zimmer hineinschauen. Unsere Konkurrenten, behaupte ich, sind längst über alle Berge. Wir sind zu spät gekommen und brauchen uns kaum mehr im Dunkeln zu halten.“

Er kletterte mir denn auch tatsächlich auf den Nacken, stand dort eine ganze Weile, stieg wieder herab und raunte mir zu: „Sir Marringow flickt einen Tennisschläger aus. Eine sehr harmlose Beschäftigung!“

Das war alles.

Und so, wie Harst das sagte, mußte ich annehmen, daß Marringows nächtliche Arbeit ihm nicht weiter aufgefallen sei. –

Wir kehrten zu Britt zurück.

„Die Kerle sind schon entflohen, glaube ich,“ sagte Harst zu dem Dicken. „Wo hat man sie hier untergebracht?“

„Dort im sogenannten Basteia-Tempel hinter dem Palast, Mr. Harst. Der Tempel ist lediglich ein Wohngebäude im Tempelstil.“

„Gut, sehen wir zu, ob die Herrschaften noch anwesend sind.“ – –

Ich will mich jetzt kürzer fassen, denn die nächsten Geschehnisse sind für die handelnden Personen zu wenig charakteristisch.

Die beiden Gauner – – waren nicht in ihren Zimmern. Aus dem einen Fenster hing ein Strick heraus bis in ein dichtes Gebüsch an der Hauswand. Und eine Besichtigung der Panzertür des Schatzzimmers im Westturme zeigte, daß an den Schlössern mit Nachschlüsseln gearbeitet worden war. Daraufhin wurde der erste Minister der Rani, ein reinblütiger Radschpute, herbeigeholt – in aller Stille. Er war es, der die Schlüssel zum Schatzzimmer in Verwahrung hatte.

Dieser Maru bir Schamsa, ein älterer Mann, wohnte im Ostflügel des Palastes. Als Britt ihm nun in unserer Gegenwart Harsts Befürchtung mitteilte, das Schatzzimmer könnte von den beiden Betrügern beraubt worden sein, schüttelte der hohe Würdenträger sehr energisch den Kopf.

„Die Edelsteine und Perlen sind jetzt in zwei aus England bezogenen Panzerschränken untergebracht worden, Mr. Harst,“ wandte er sich an meinen Freund.

„Das ist mir allerdings neu,“ meinte Harald. „Trotzdem – auch Panzerschränke sind zu öffnen! Haben die beiden Schwindler sich an den Stahlspinden zu schaffen gemacht?“

„Sie baten mich, ihnen etwas von den Kostbarkeiten zu zeigen. Ich tat es.“

„Und die Schlüssel dazu?“

„Habe ich hier, Mr. Harst.“

„Ah – fünf Schlüssel an einem goldenen Ringe! Drei zu den Türen, zwei zu den Panzerschränken, nicht wahr?“

„So ist’s!“

„Dann konnten die beiden, falls Sie ihnen die Schlüssel auch nur für Minuten überließen, Wachsabdrücke nehmen!“

Maru bir Schamsas pockennarbiges bärtiges Gesicht wurde bestürzt.

„Allerdings, den Ring mit den Schlüsseln bat sich der – der falsche Harst aus. Er wollte sehen, ob es sich um sehr komplizierte Schlüssel handelte.“ –

Und – – wenige Minuten später hatte der Minister festgestellt, daß aus dem einen Tresor zwei Diamantgeschmeide und drei Perlenketten, alles alte Schmuckstücke von unschätzbarem Werte, fehlten.

Nun bewies dieser indische Würdenträger jedoch, daß er ein Mann von überraschender Umsicht und Energie war, mit dem wir gern zusammenarbeiteten.

Sofort wurden alle nötigen Maßnahmen getroffen, um der Flüchtlinge noch habhaft zu werden, die ja erst einen geringen Vorsprung gewonnen haben konnten.

Das 800 Mann starke Kamelreiterkorps der Rani wurde alarmiert und in Trupps von vier Mann auf die Verfolgung ausgeschickt, während die beiden Regimenter Infanterie die Stadt völlig einkreisen mußten.

Auch Sir Marringow, der Privatsekretär der Fürstin, war inzwischen von dem Geschehenen benachrichtigt worden, hatte sich sehr bald im Polizeigebäude eingefunden und zeigte sich durch die Art, wie er sich bei uns entschuldigte, als tadelloser Gentleman. Er war es, der für uns die von unseren beiden Konkurrenten bewohnten Räume in Ordnung bringen ließ, damit wir wenigstens noch einige Stunden ruhen könnten, denn es war ja vorauszusehen, daß die Rani uns schon mittags empfangen wollte.

Gegen vier Uhr morgens waren wir dann endlich in dem angenehmen kühlen Wohngemach unseres neuen luxuriösen Heims wieder allein. Die Schwindler hatten ihr ganzes Gepäck im Stiche gelassen, und diese drei Koffer standen noch in unserem gemeinsamen Schlafzimmer und sollten dort auf Haralds Wunsch vorläufig auch bleiben, weil er sie später genau durchsuchen wollte.

Ich fand, daß Harald auffallend schweigsam war, als wir uns nun entkleideten. Schließlich fragte ich ihn:

„Worüber grübelst Du eigentlich nach?“

„Über das, was Sir Marringow uns über den Gagawar-Smaragd erzählt hat, mein Alter, – über den Aberglauben, der mit diesem Edelsteine verknüpft ist.“

„Ach so!“ Ich gähnte herzhaft. „Eine ziemlich alberne Geschichte, finde ich. Allerdings, hier in Indien, wo das Volk so fanatisch an alten Bräuchen und Überlieferungen festhält, mag derartiges von größerer Bedeutung sein.“

„Ganz gewiß!“ nickte Harald sehr ernst. „Vielleicht hilft uns dieser Aberglaube, den Mann herauszufinden, der die beiden Betrüger anwarb, damit sie den ersten Diebstahl verschleiern halfen!“

Ich war bereite ins Bett geschlüpft und auch zu müde, um noch über dieses „Verschleiern“ weiter nachzudenken. Ich schlief ein, nachdem ich Harald kaum eine „Gute Nacht!“ zugerufen hatte.

 

5. Kapitel.

Die Fürstin.

Halb elf Uhr vormittags.

In unserem Wohngemach saßen wir beide am sauber und europäisch gedeckten Frühstückstisch. Zwei Inder bedienten uns, Männer mit undurchdringlichen Gesichtszügen, mit Augen, die der Stolz des Radschputenstammes kalt und gefühllos erscheinen ließ, jedenfalls keine angenehme Zugabe des im übrigen idyllischen Quartiers.

Harald stumm und in sich gekehrt, wie beim Zubettgehen. Und seine Augen unruhig und wie auf der Lauer.

Ich schenkte den Tee ein. Ich streckte die Hand nach dem frischen indischen Gebäck aus.

Und – Haralds Hand wehrte ab.

„Warte!“ –

Mr. Britt hatte uns vorläufig mit zwei Repetierpistolen ausgeholfen, denn unsere Clements waren uns ja von dem Karawanenführer abgenommen worden.

Eine dieser neuen Pistolen kam nun plötzlich zum Vorschein. Harst legte sie auf den Tisch. Sagte zu mir: „Stelle Dich an die Tür, mein Alter!“

Ich begriff im Moment: hier war ein Anschlag gegen uns vorbereitet worden – irgendwie!

Und als ich nun, die Brittsche Waffe schußfertig, an der Tür lehnte, waren die starren Gesichter der beiden Diener erdfarben geworden.

„Da – trinkt den Tee!“ befahl Harst den Radschputen und deutete auf die gefüllten Täßchen.

Sie zögerten, tauschten einen langen Blick aus.

Und – nahmen die Tassen, tranken.

Ihre Hände zitterten dabei, und ein Teil der Flüssigkeit tropfte auf den kostbaren seidenen Alwarteppich.

Bebende Finger stellten die Tassen auf den Tisch zurück.

Auch mein Herz jagte.

Und Harsts scharfe Stimme fragte strengen Tones:

„Wer hat Euch gedungen?“

Wie die Bildsäulen standen die Diener in Ihren schneeweißen Anzügen und weißen Turbanen da.

Und – blieben stumm. –

Dann im Flur des langen Gebäudes auf den Marmorfliesen hallende feste Schritte.

Es klopfte. – Sir Marringow trat ein.

Stutzte beim Anblick der Waffen. „Was geht hier vor?“ fragte er sichtlich bestürzt. „Haben diese Leute irgendwie –“

Und verstummte.

Fast gleichzeitig waren die beiden Diener mit entsetzlich verzerrten Gesichtern umgesunken, suchten sich wieder aufzurichten, fielen in Krämpfe.

Sir Marringow eilte ins Schloß hinüber. In vier Minuten war er mit dem englischen Leibarzt der Rani zur Stelle. Doktor Burson hatte eine Reiseapotheke mitgebracht. Wir flößten den bereits Bewußtlosen Gegenmittel ein. Burson fuhr dann mit den Dienern im Auto ins englische Hospital. Harst warnte ihn noch: „Lassen Sie keinen Inder an die Betten der Kranken heran!“ –

Marringow saß bleich im Sessel in unserem Wohngemach.

„Dieser infame Schurkenstreich muß restlos aufgeklärt werden, Mister Harst! Restlos!!“ sagte er, sich mühsam zur Ruhe zwingend. „Die Fürstin ist schon des zweiten Diebstahls wegen in großer Aufregung. Um zwölf Uhr wünscht sie Sie beide zu sprechen, ganz ohne Zeremoniell, meine Herren. Sie werden mich jetzt entschuldigen. Ich muß der Rani Meldung erstatten. Dieses Giftattentat ist jetzt das dritte seit einem halben Jahre!“

Harald horchte auf. „Gegen wen richteten sich die beiden anderen?“ fragte er gespannt.

„Gegen mich,“ erklärte der Privatsekretär zögernd. „Ich möchte darüber nicht weiter sprechen, Mr. Harst. Ich halte mir jetzt einen eigenen englischen Koch, und die Rani hat befohlen, daß außerdem meine sämtlichen Speisen, bevor sie mir serviert werden, geprüft werden müssen. – Entschuldigen Sie mich!“

Sein schmales, vornehmes Gesicht war noch immer verstört, und das Monokel im rechten Auge zeigte Streifen der von der Stirn herabrinnenden Schweißperlen. – Er verbeugte sich und ging.

Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, als ich auch schon Harald zuflüsterte: „Er selbst –!“

„Niemals!“ erklärte Harald da ebenso bestimmt. „Wäre er sonst wohl mit Doktor Burson so schnell hier wieder erschienen?! Ein paar Minuten noch, und des Doktors Gegenmittel hätten nicht mehr gewirkt. – Nein, mein Alter, so einfach liegen die Dinge hier doch nicht!“

Ich sann und sann. Der berühmte Gagawar-Smaragd hatte ein Chaos von Ereignissen heraufbeschworen, deren Zusammenhänge immer undurchsichtiger wurden. – Und kaum fünf Minuten drauf ein Diener der Rani: wir möchten ihm folgen, die Fürstin wolle uns sofort sprechen. –

So lernten wir nun den Palast von Gagawar von innen kennen. Staunten aufs neue, staunten noch mehr, als wir der jungen Rani gegenüberstanden.

Nur Sir Marringow war noch in dem hellen Gemache anwesend. Nur er war Zeuge, wie die Fürstin, nachdem sie uns in herzlichsten Form begrüßt hatte, in steigender Erregung über die Giftattentate sich äußerte und Harald geradezu flehentlich bat, diesem unheimlichen Treiben ein Ende zu machen. Jedoch weder die Rani selbst noch Sir Marringow konnten uns auch nur die geringsten Anhaltspunkte geben, wer etwa hier als Anstifter in Frage käme. –

Um mich noch kurz über die Fürstin zu äußern: sie war eine sehr liebreizende Frau, hatte eine Hautfarbe von mattem Bronzeton und beherrschte sechs Sprachen. Sie gehörte zu jenen indischen Herrscherinnen, die der europäischen Kultur und Technik in ihrem Lande gerade so viel Verbreitung gestatten, als es mit der Eigenart der Bevölkerung in Einklang zu bringen ist. –

Nach einer Stunde fand dann Frühstückstafel statt, an der auch der Minister Maru bir Schamsa, sein Sohn, der Kommandeur des fürstlichen Kamelreiterkorps, zwei weitere Würdenträger, Sir Marringow und Doktor Burson teilnahmen. Harst saß rechts von der Rani, ich den beiden gegenüber. Es ging jetzt ziemlich steif her, und das Gespräch drehte sich zumeist um Sport. Die Fürstin war leidenschaftliche Tennisspielerin und fragte ihren Privatsekretär so nebenbei, ob er ihren Tennisschläger repariert habe. Marringow bejahte. Es sei ja nur eine Kleinigkeit gewesen. – Die Unterhaltung wurde immer schleppender. Doktor Burson wurde plötzlich abgerufen. Den beiden Dienern ginge es schlechter.

Da verstummte die Rani vollständig. Das Gespenst heimtückischer Giftmorde schwebte unsichtbar über der Tafel. – Aber Burson kehrte schon nach zehn Minuten zurück und konnte der Fürstin melden, daß die Diener mit dem Leben davonkommen würden.

„Und doch werden sie nichts verraten,“ sagte die Rani leise zu Harald. „Ich kenne meine Radschputen. Sie werden niemals ins Zuchthaus wandern. Sie ziehen den Tod der Gefangenschaft vor!“

Endlich war diese unerquickliche Mahlzeit zu Ende. Die Rani zog sich zurück, rief Harald noch zu: „Um sechs Uhr dann also, Mr. Harst, – auf meinem Tennisplatz!“ –

In Marringows Wohnung am Westturme tranken wir drei dann eine Tasse Mokka und rauchten eine Verdauungszigarre. Die Räume des Privatsekretärs waren geradezu prunkvoll eingerichtet. Nun erfuhren wir auch, daß Sir Marringow der jüngste Sohn Lord Tespours, des ehemaligen Vizekönigs von Indien, war und bis vor neun Monaten noch als Major im 3. indischen Schützenregiment gestanden hatte; nun merkte auch ich endlich, daß fraglos die Liebe ihn bewogen hatte, in die Dienste der Fürstin zu treten, der er vielleicht ebenfalls nicht ganz gleichgültig war.

Marringow zeigte uns dann auch den Tennisschläger der Rani. „Das Lederplättchen unten am Stiel hatte sich gelöst,“ erklärte er. „Da – ich habe es mit kleinen goldenen Stiften wieder befestigt!“

Harald führte mit dem Schläger ein paar Lufthiebe aus, meinte: „Mir wäre er zu leicht.“

„Oh – für Sie habe ich eine Auswahl schwererer Art, Mister Harst. Die Rani wird heute nicht selbst spielen, da wir heute wieder einen der zahllosen Hindu-Feiertage haben. Wenn es Ihnen recht ist, spiele ich gegen Sie beide.“ –

Und nachmittags sechs Uhr kam dann die Entscheidung! Sie kam so überraschend für mich, daß ich durch Haralds Auftreten geradezu erschreckt wurde.

Man stelle sich vor: ein tadelloser Tennisplatz, als Hintergrund den tempelartigen Bau des Hauses, in dem wir wohnten. Und die Rani im kostbaren Sessel sitzend, überschattet von zwei Schirmen, die von Dienern gehalten wurden.

Und in einer Spielpause, als wir drei Herren am Netz standen und Sir Marringow, der den Tennisschläger der Fürstin benutzte, mit zwei Bällen jonglierte, – – da zog mein Freund Harald plötzlich die Pistole aus der Tasche und hielt sie dem Privatsekretär dicht vor das Gesicht.

Die Rani schrie auf. Marringows Monokel rollte auf den festen Zementboden und zerklirrte an dem Netzpfosten.

Und – ganz leise sagte Harald nun:

„Sir Marringow, Sie haben in der verflossenen Nacht unten in den Handgriff des Schlägers der Rani ein großes Loch gebohrt. Ich habe Sie durch das Fenster beobachtet! Und in dieser nun wieder verschlossenen Höhlung des Griffes steckt der – berühmte Gagawar-Smaragd!“

Die Fürstin kam schon herbeigeeilt.

Und ganz laut – für die Diener berechnet – rief Harald ihr entgegen: „Es sollte mir leid tun, wenn ich Eurer Hoheit erschreckt hätte. Ich wollte Sir Marringow nur dieses neue System von Mehrladepistole zeigen!“

Marringow war sehr bleich geworden.

Merkwürdigerweise tauschte er nun aber mit der Fürstin einen Blick aus, dessen Bedeutung mir völlig unklar blieb.

Harald lächelte. Ein liebenswürdiges, gütiges Lächeln war’s. Und sagte: „Hoheit, der Smaragd ist nun gefunden.“ Er sprach deutsch, damit die Diener ihn nicht verstünden. „Ich werde jedoch vergessen, daß ich ihn gefunden habe, wenn – Hoheit es wünschen!“

Meine ungläubig erstaunten Augen wanderten von einem Gesicht zum andern. Ich war ja der einzige von uns hier am Netz Versammelten, der noch immer nicht alles begriff.

Der Rani wie mit Blut übergossenes Gesicht senkte sich in holder Verwirrung.

„Dann – vergessen Sie es, Mister Harst,“ bat sie leise.

Und Harald verneigte sich.

„Wie Hoheit befehlen! Immerhin, wir vier könnten die Angelegenheit einmal genau durchsprechen. Denn – der Smaragd ist ja nicht das einzige, was gestohlen wurde.“ Seine Stimme klang ernst und nachdenklich. „Außerdem – die Giftattentate müssen doch endlich aufhören! – Schicken Hoheit bitte die Diener weg. Hier können wir nicht belauscht werden.“ –

Und dann erfuhr nun auch ich die geheimnisvollen und zarten Zusammenhänge der seltsamen Geschehnisse. Auch Du, lieber Leser, wirst jetzt eingeweiht werden. Und Du, verehrte Leserin, bereite Dich innerlich vor auf – eine indische – Liebesgeschichte!

Schlagt um! Der zweite Akt beginnt: Der Mann mit den Handschuhen.

 

 

Der Mann mit den Handschuhen

 

1. Kapitel.

Heimliche Liebe.

Wir vier saßen nun vor dem Tempel in bequemen Rohrsesseln.

Ein sanfter, aber heißer Wind ließ die Parkbäume rauschen, und die wispernden Stimmchen von unzähligen Blättern waren die diskrete Begleitmusik zu der Fürstin offenem Geständnis.

„Was wissen Sie, Mr. Harst, und was glauben Sie zu wissen?“ begann die junge Rani von Gagawar mit ihrem angenehmen weichen Organ.

Harald holte sein Zigarettenetui hervor.

„Hoheit gestatten. Zigarettenrauch hat etwas Versöhnliches, Beruhigendes.“

Auch wir bedienten uns, und Sir Marringow sagte dabei: „Die erste Mirakulum, die ich rauche. Ihre Spezialmarke ist berühmt geworden, Mister Harst.“

Harald nickte. „Der Gagawar-Smaragd ist in Fachkreisen ebenso berühmt, Sir. Als ich in Berlin Ihr Schreiben mit der Aufforderung erhielt, den Smaragd zu suchen, habe ich mich an den besten Indienkenner Berlins, den Geheimrat Rüdinger, gewandt. Der konnte mir über den Smaragd folgendes angeben: Ein Stein von drei Zentimeter Länge, zwei Zentimeter Breite und von gleichmäßigem Schliff, tadelloser Reinheit, wunderbarem Feuer und nur mit einem Fehler behaftet, der das Kleinod jedoch eher noch wertvoller macht, denn – in der Mitte des Steines ist ein winziges Käferchen eingeschlossen und so gut zu erkennen, daß man sogar festgestellt hat, zu welcher Familie es gehört. Einer uralten Sage nach soll nun zugleich mit dem Käferchen die Seele der ersten Fürstin von Gagawar in den Smaragd mit eingesperrt sein, angeblich zur Strafe dafür, daß jene Rani in heißer Liebe zu einem Fremden, einem Holländer entbrannt war. Und weiter heißt es in derselben Sage, daß der Edelstein einmal spurlos verschwinden würde, wenn abermals eine Fürstin von Gagawar ihr Herz einem Fremden schenken sollte und daß derjenige jedoch als Gemahl dieser Rani den Thron von Gagawar besteigen würde, der den Smaragd wieder herbeischaffen könnte. – Dies also war mir über den gestohlenen Stein bekannt, als ich mit Freund Schraut hier nach Indien reiste. Was uns dann in der Thar zustieß, wissen Hoheit bereits, und was hier im Schlosse sich abgespielt hat, haben Hoheit teilweise miterlebt. – Ich nehme nun folgendes an: Der Smaragd wurde auf bisher unaufgeklärte Weise von unbekannten Tätern aus dem Schlafzimmer entwendet. Einen dieser Diebe – es mag auch nur ein einzelner gewesen sein – lief jedoch Sir Marringow in die Arme, und es gelang Sir Marringow, dem Manne den Edelstein zu entreißen –“

Der Privatsekretär machte da eine kurze Handbewegung.

„Gestatten Sie, daß ich gleich jetzt einiges erkläre, Mr. Harst. – Ich kam in jener stürmischen und regnerischen Nacht vor etwa sechs Wochen verkleidet an der Rückseite des Palastes entlang –“

„Von einer geheimen – Unterredung mit Ihrer Hoheit –“ warf Harald ein.

„Ja!“ erwiderte da an Stelle Marringows die Fürstin mit voller Ehrlichkeit. „Reginald war bei mir gewesen. Der Rückweg in seine Wohnung um das Schloß herum erschien ihm sicherer als der durch die Korridore des Schlosses.“

Marringow nickte.

„Ja, deshalb wählte ich den Weg außen am Palaste entlang. Als ich mich dem Turme näherte, erblickte ich eine Gestalt, die aus der kleinen, sonst nie benutzten Pforte schlüpfte. Ich dachte sofort an einen Dieb. Da ich die Verkleidung eines alten Inders trug, scheute ich mich nicht weiter, den Unbekannten von der Seite anzuspringen. Ich packte ihn, erhielt jedoch einen Fausthieb gegen die Schläfe und konnte nur noch durch einen Gegenhieb einen Messerstich abwehren. Der Mann entfloh. Ich hatte ihm jedoch die Tasche seiner schäbigen Jacke völlig abgerissen, fühlte in dieser Tasche etwas Hartes und – fand so den Smaragd.“

Harald hatte mit größter Spannung zugehört.

„Und der Dieb?“ fragte er eifrig. „Haben Sie ihn genauer gesehen? Können Sie ihn mir beschreiben, Sir Marringow?“

„Nein. Es war ein hochgewachsener Mann wie alle Radschputen. Aber er trug einen Zeugfetzen mit Augenlöchern vor dem Gesicht. Nur eins fiel mir auf, er hatte weiße Handschuhe an!“

„Ah – genau wie der Mensch, der uns in Moalis Stall einen Besuch abstattete! – Sehr wichtig, diese Handschuhe! Und – was taten Sie weiter, Sir Marringow?“

„Ich verfolgte den Dieb nicht, da ein plötzlich niedergehender Regenguß dies unmöglich machte und mir auch Gelegenheit bot, unbemerkt in meine Wohnung zu gelangen, wo ich bei geschlossenen Vorhängen und Fensterladen nun die herausgerissene Tasche besichtigte. So entdeckte ich den Smaragd. – Am folgenden Vormittag teilte ich der Fürstin mein Erlebnis mit. Wir beschlossen vorläufig zu schweigen. Zwei Tage drauf kehrte der Minister Maru bir Schamsa von einer Wallfahrt aus Agra mit seinem Sohne zurück und begab sich in das Schatzzimmer des Westturmes, um nach seiner vierzehntägigen Abwesenheit zu prüfen, ob dort noch alles in Ordnung sei. So kam nun doch das Fehlen des Smaragds an die Öffentlichkeit. Im Schlosse und in der Stadt herrschte deshalb große Erregung. – Die Fürstin hielt es für richtig, den wahren Sachverhalt zu verschweigen und Sie, Mr. Harst, herzubitten, da ihr sehr viel daran lag, die Anstifter der Giftattentate gegen mich herauszufinden. Der Smaragd war also nur der Vorwand für Ihre Berufung, Mr. Harst.“

„Eine Zwischenfrage: Haben Sie all dies auch dem – falschen Harst mitgeteilt?“

„Nein, nein, – natürlich nicht!“

„Das dachte ich mir wohl. – Und dann wurden die beiden Panzerschränke angeschafft und die Kleinodien darin verschlossen.“

„Ja. Inzwischen war der Smaragd in meiner Wohnung noch immer unter einer losen Marmorplatte des Fußbodens verborgen. Als der falsche Harst und sein Begleiter hier erschienen waren, an deren Echtheit ich ja zunächst nicht zweifeln konnte, hielt ich den Edelstein in jenem Versteck jedoch nicht mehr für sicher genug und vereinbarte mit der Fürstin, ihn in dem Griff des Tennisschlägers unterzubringen.“

Harald nickte mit feinem Lächeln.

„Ganz wie ich vermutet habe! – Und nun will ich auch erklären, Hoheit, wie ich hinter das Herzensgeheimnis Sir Marringows gekommen bin. – Ich muß als Detektiv scharfer Beobachter sein. Bei der Frühstückstafel fing ich einige Blicke auf, die Sir Marringow mit Eurer Hoheit wechselten.“

Die Rani winkte da freundlich ab. „Sagen Sie Fürstin, Mr. Harst. Wir sind hier ja unter uns!“

„Und Sir Marringows Wohnung,“ fuhr Harald mit ebenso liebenswürdiger Vertraulichkeit fort, „war so prunkvoll eingerichtet, wie man einen Privatsekretär sonst wohl kaum unterbringt. Außerdem enthielt sie noch ein kleines Geheimnis: das drehbare Jagdbild im Schlafzimmer, wo ich eine Weile allein war! Und die andere Seite dieses so kostbar eingerahmten Gemäldes –“

„– ist – mein Bild,“ vollendete die Rani und errötete leicht.

„Ja – Ihr Bild, Fürstin! Und das war vielsagend genug. Deshalb brauchte ich auch nur noch eine kleine Probe aufs Exempel: und das war – die Pistole auf dem Tennisplatz! – Ihr Schreck, Fürstin, Ihre Angst und Ihr Aufschrei genügten mir. Da wußte ich, daß Sie Sir Marringow lieben und daß er Ihrem Herzen bereits sehr nahe steht.“

Die Rani blickte Reginald Marringow voll unendlicher Zärtlichkeit an und flüsterte:

„Wir hatten uns vor einem Jahr in Kalkutta bei einem Fest des Vizekönigs kennengelernt, Mister Harst. Reginald war mir als Ehrenadjutant zugeteilt worden. Drei Tage nur, – – und unsere Seelen waren eins!“

Marringows edles Gesicht strahlte.

„Und – werden eins bleiben, Mister Harst!“ erklärte er feierlich. „Der Smaragd soll uns helfen, das Vorurteil der Bevölkerung von Gagawar gegen eine Heirat der Fürstin mit einem Europäer zu zerstreuen. Die Sage vom Gagawar-Smaragd begrüßt ja den als Gemahl der Rani, der den Edelstein wieder herbeischafft. Raten Sie uns, Mister Harst, wie wir am besten –“

Und da, mitten in diese Erörterung einer hoffnungsfrohen Zukunft hinein platzte der kleine, hagere Polizeichef Britt wie ein finsterer Geist.

Nahte eilends vom Schlosse her, riß den Tropenhelm vom Kopf, keuchte hervor:

„Hoheit, ein neues Verbrechen! Ich mußte es sofort melden. – Hoheit, der Perser Harum Said, der reichste Mann Gagawars, ist soeben in seinem Hause ermordet aufgefunden worden. Er hatte sich heute noch nicht in seinem Geschäftsgebäude sehen lassen, und ein Angestellter ist dann durch ein Fenster in das verschlossene Häuschen eingedrungen und hat so den Mord entdeckt. Auch Saids beide Diener sind erstochen worden. Es liegt fraglos Raubmord vor, da des Persers Stahlschrank mit Hilfe eines modernen Sauerstoffgebläses gewaltsam geöffnet und ausgeplündert worden ist.“

 

2. Kapitel.

Zwirnhandschuhe.

Harum Said!

Dieser Name hatte mich sofort an den Schimmelreiter Marsa Sibra erinnert. Marsa Sibra war ja des Persers Vertrauter gewesen! –

Ich muß noch einflechten, daß wir weder Britt noch sonst jemandem hier bisher mitgeteilt hatten, daß wir den Namen des Karawanenführers kannten, der sich von dem maskierten Fremden zu dem Überfall auf uns hatte bestimmen lassen. Harald wollte absichtlich diese Einzelheit vorläufig verschweigen, da er hoffte, in aller Stille durch Beobachtung Harum Saids zu erfahren, wer der Maskierte gewesen, der mit seiner gleichfalls maskierten Reiterschar die Karawane umzingelt hatte.

Und nun – war der Perser tot, ermordet!

Nun war’s vorbei mit der friedlichen Erörterung der indischen Liebesgeschichte zweier Menschen, die mir beide so recht von Herzen schon jetzt sympathisch geworden! –

Britt bat Harald, daß wir ihn doch an den Tatort begleiten möchten. Die Fürstin schloß sich dieser Bitte an, und so jagten Harst und ich denn gleich darauf mit Britts Kraftwagen dem Geschäftsviertel von Gagawar zu.

Hier in der breiten Basarstraße, die sich in nichts von ähnlichen Straßen anderer indischer Städte unterschied, mußte sich das Gerücht von den Mordtaten bereits verbreitet haben, denn wir fanden des Persers recht imposantes Geschäftshaus von einer dichten Menge umlagert, die nur mit Mühe von ein paar Polizisten zurückgehalten werden konnte.

Harum Saids Grundstück zog sich bis zur nächsten Parallelgasse hin. Hinter dem Geschäftshaus lagen zwei Speicher, und hinter diesen wieder eine hohe Mauer, die den Garten und das Wohnhäuschen des Persers von den anderen Gebäuden trennte.

Dieses Häuschen war ohne Zweifel eines der ältesten der Stadt und mochte noch aus jenen Zeiten stammen, wo die Thar-Wüste von räuberischen Stämmen bewohnt wurde. Es hatte durchaus den Charakter eines kleinen Kastells, bildete ein Quadrat mit flachem Dache, besaß in den Außenmauern nur vergitterte Schießscharten und lediglich eine einzige Tür, die etwa drei Meter über dem Erdboden lag und deren eiserne Zugangstreppe oben in Zapfen drehbar war und durch Ketten sich hochziehen ließ.

Jetzt war die Treppe nach unten geklappt, und Britt erklärte uns, daß Saids Angestellter dort oben rechts von der Tür durch eine der größeren Schießscharten eingedrungen sei, deren Gitter nur noch lose in der Mauer gesessen hätte.

Die mit polierten Stahlplatten benagelte Tür hatte Britt durch einen Schlosser bereits aufbrechen lassen. Es sei dies ein schweres Stück Arbeit gewesen, betonte er jetzt nochmals.

Auf der Treppe oben standen zwei Polizisten. Sie stießen die Tür auf und ließen uns eintreten.

Ich möchte mich hier nicht mit der Beschreibung dieses merkwürdigen Hauses aufhalten, will nur erwähnen, daß der in der Mitte gelegene viereckige Hof den Innenräumen durch hohe breite Fenster genügend Licht spendete und daß die Einrichtung der auf zwei Stockwerke verteilten sieben Gemächer überaus kostbar und vollständig orientalisch war.

Unten im Erdgeschoß fanden wir den ermordeten Perser mitten in einem Zimmer liegen, das anscheinend sein Privatkontor sein sollte. Hier stand auch der mächtige Geldschrank, hier gab es auf einem Elfenbeintischchen ein Telephon und als weiteres Zugeständnis an moderne Technik eine elektrische Stehlampe, die durch Akkumulatoren den nötigen Strom erhielt.

Ekler Verwesungsgeruch der bereits stark aufgedunsenen Leiche des kleinen dicken Persers erfüllte die Luft. Said war in der Nacht ermordet worden, mußte schon geschlafen haben, als er den Einbrechern zum Opfer fiel, denn er trug lediglich ein hemdartiges seidenes Nachtgewand. Ein einziger Stich ins Herz hatte ihn niedergestreckt.

„Ich habe hier nichts anrühren lassen, Mister Harst,“ erklärte Britt nun, während wir noch an der Tür standen.

„Und die beiden ermordeten Diener?“ fragte Harald kurz.

„Liegen drüben im östlichen Flügel in der Küche. Auch sie haben nur je einen Messerstich erhalten.“

„Sehr auffallend!“ murmelte Harald. „Also keinerlei Spuren eines Kampfes?“

„Nein, nirgends!“ erwiderte Britt bestimmt.

„Bleiben Sie und Schraut an der Tür, bis ich meine Untersuchung beendet habe,“ meinte Harst und öffnete rasch beide Flügel des großen Fensters, damit der Verwesungsgeruch Abzug hätte.

Wenn man bedenkt, daß die durchschnittliche Tageswärme jetzt zu dieser Jahreszeit für Gagawar 30 Grad beträgt, wird man begreifen, daß der Verwesungsprozeß bereits begonnen hatte. –

Harald ging auch hier in gewohnt gründlicher Weise vor. Eine volle Stunde arbeitete er mit all der Feinheit, die er sich im Laufe der Zeit auf Grund vielfacher Erfahrungen angeeignet hatte. Britt mochte so manches, was Harst tat, für überflüssig halten.

Dann begann die Besichtigung der anderen Räume und des zweiten Tatortes, der Küche.

Auch die Leichen der beiden indischen Diener lagen mitten in der großen Küche nebeneinander auf dem Steinboden.

„Zu dumm!!“ sagte Harald ironisch. „Harum Said und diese beiden Inder sind in bewußtlosem Zustand erstochen und dann so fein säuberlich auf den Rücken gelegt worden. Das sehen Sie doch ein, Mr. Britt?“

Britt schwieg.

„Sie zweifeln? – Nun, ich behaupte, daß die Einbrecher sehr gute Bekannte Saids waren, die er auf ihr Klopfen hin in der vergangenen Nacht durch die Tür einließ und die er mit Tee bewirtete. Bitte – dort steht noch ein Teebrett mit drei Tassen. Die Tassen sind zwar ausgespült worden, aber – – nicht die Untertassen.“

Er holte eine der Untertassen. „Hier sind Spuren eines weißlichen Pulvers, Britt. Lassen Sie das Pulver durch den Chemiker der Polizei prüfen, und der Herr wird finden, daß es sich um ein geschmackloses Betäubungsmittel handelt.“

Britt meinte, es könne auch Zucker sein.

„So?! Jeder Zucker schimmert kristallisch. Dies Pulver ist wie Mehl. Es ist, vermute ich, der weiße Blütenstaub der Kukissastaude.“

„Ah – das könnte zutreffen! Diesen Blütenstaub verwenden ja leider Gottes hier die Weiber, um Säuglinge rascher in Schlaf zu wiegen. Nehmen sie mal zuviel, so wacht so ein armes Würmchen überhaupt nicht mehr auf.“

Harald stellte die Untertasse auf den Tisch zurück.

„Die Diener dürften jene beiden Tassen benutzt haben,“ sagte er und deutete auf das Fensterbrett. „Wenn Sie, Britt, meine Theorie für richtig halten, dann haben Sie auch gleich die Erklärung für die auffallende Tatsache, daß Said und die Diener sich so ohne jede Gegenwehr abschlachten ließen.“

„Allerdings! Sie werden recht haben!“

„Was die Mörder betrifft, Britt: es sind zwei gewesen, wie ich schon andeutete. Beide Inder, Radschputen!“

„So?! – Hm – ich vermute weit eher, daß es Europäer waren, und zwar die beiden Schwindler, die hier als Harst und Schraut auftraten.“

„Glauben Sie, daß die beiden gute Bekannte Saids waren, so gute Bekannte, daß er ihnen im Nachthemd die Tür öffnete?“

„Man kann ja nicht wissen! Bisher sind die Schufte leider nicht ergriffen worden, und wir tappen über ihre Persönlichkeiten daher noch völlig im Dunkeln umher, Mister Harst. Europäer waren’s! Das ist aber auch das einzige, was –“

„Sie irren, Britt. Ich weiß denn doch noch etwas mehr über die beiden, da ich ja ihre Koffer durchsucht habe, – zum Beispiel, daß der eine Koffer fraglos das Sauerstoffgebläse enthielt, mit dem Saids Tresor aufgeschmolzen wurde –“

Britt lachte. „Mein bester Mister Harst, da haben Sie sich ja soeben selbst widersprochen! Sie behaupteten, zwei Inder seien die Täter, und nun geben Sie zu, daß die beiden Schwindler das Sauerstoffgebläse mitgebracht haben!“

Harald blickte den Polizeichef merkwürdig an. Der Blick machte den kleinen Herrn denn noch verlegen, und er murmelte entschuldigend: „Ich verstehe Sie wirklich nicht ganz, Mister Harst!“

„Kommen Sie! Kehren wir in Saids Kontor zurück. Ich werde Ihnen an dem Tresor einige besonders geartete Fingerspuren zeigen!“

Auch ich schaute mir diese Fingerabdrücke an.

Und Britt erklärte sofort:

„Handschuhe!! Die Schufte haben mit Handschuhen gearbeitet, um keine verräterischen Fingerspitzenmuster zu hinterlassen!“

„Gewiß!“ nickte Harald. „Und nun denken Sie mal an den Menschen, der uns in Moalis Stall besuchte, lieber Britt!“

„Ah, – Sie sagten ja, der hätte ebenfalls Handschuhe getragen!“

„Ja – und zwar auch Zwirnhandschuhe! Diese Abdrücke hier rühren ja auch von schweißfeuchten Zwirnhandschuhen her! Außerdem aber, Britt, – und dies ganz im Vertrauen: der Dieb des Gagawar-Smaragds trug gleichfalls Zwirnhandschuhe!“

„Woher wissen Sie das?“

„Nun – ich weiß es eben!“

„Hm – und doch! – – das Sauerstoffgebläse, Mr. Harst!“

„Oh – das können die Mörder den beiden Schwindlern abgenommen haben, nachdem sie sich hatten zeigen lassen, wie man damit umgehen muß.“

Der brave Polizeichef machte ein ungläubiges Gesicht. „Offen gestanden: das klingt mir zu gekünstelt,“ meinte er bescheiden. „Trotzdem will ich natürlich einer Autorität wie Ihnen gegenüber auf jede eigene Ansicht verzichten.“

„Lieber Britt, in diesem Falle tun Sie nur recht daran, denn – ich kenne die Mörder bereits!“

Britts Kopf flog hoch. „Wie – Sie –“

„Ja – ich kenne sie! Aber noch nicht genügend. Das heißt also: ich will noch mehr Beweise sammeln! Und wenn diese Beweise dann für das Gericht ausreichend sind, werden wir die beiden verhaften. Bis dahin verlange ich von Ihnen tiefste Verschwiegenheit und – – den Verzicht auf alle weiteren Fragen.“

Britt seufzte. „Wenn’s sein muß! Meinetwegen! – Soll ich jetzt Saids Angestellte vernehmen?“

„Bitte! Wir werden dann wohl erfahren, was der Tresor enthielt.“ –

Zwei von Saids älteren Verkäufern sagten übereinstimmend aus, daß ihr Herr auch Juwelenhändler gewesen sei und daß in dem Stahlschrank außer beträchtlichen Barsummen auch zwei Kästen mit Edelsteinen und Perlen eingeschlossen gewesen sein müßten.

Hiermit waren die Nachforschungen an Ort und Stelle beendet. Saids Bruder, der im nahen Bikanir ein gleichartiges Geschäft betrieb, wurde telegraphisch von dem Geschehenen benachrichtigt und traf denn auch bereit nachts in Gagawar mit der Kleinbahn ein. Seine Person spielt hier weiter keine Rolle. Immerhin: er setzte für die Entdeckung der Mörder und für die Wiederherbeischaffung der Diebesbeute die Hälfte des Wertes des Gestohlenen als Belohnung aus.

Um halb neun abends waren wir beide wieder im Palast der Rani. Meine Fragen, wer die Mörder seien, hatte Harald mit dem unklaren Satz beantwortet: „Gefährliche Schurken von verblüffender Dummheit und Frechheit!“

 

3. Kapitel.

Ränke und Feinde.

Kaum waren wir in unseren Räumen in dem tempelartigen Nebengebäude angelangt, als sich auch schon Sir Reginald Marringow einfand.

„Die Fürstin bittet Sie beide, ihr sofort Bericht über den Mord zu erstatten und dann an der Abendtafel teilzunehmen,“ erklärte er, nachdem er uns herzlich begrüßt hatte.

Harald verriegelte die Tür unseres Wohngemaches und wandte sich mit einem so ernsten Gesicht an mich, daß ich auf Eröffnungen schlimmster Art gefaßt war.

„Schraut, durchsuche zunächst die beiden anderen Räume und verriegele auch dort die Türen. Wir beide, Sir, wollen hier das Oberste zu unterst kehren, denn – – wir drei sind unseres Lebens keine Minute mehr sicher.“

Und er ging und zog die Fenstervorhänge zu, ließ den elektrischen Kronleuchter aufflammen und fügte hinzu: „Man könnte auch von draußen auf uns Schießen. Möglich ist hier alles.“

Marringow stand wie betäubt da. Nicht aus Angst! Nein – sein Gesicht drückte lediglich ungeheure Spannung und ungläubiges Staunen aus. –

Ich betrat das zweite Zimmer. Es war dies eine Art Salon.

Ich schaltete das Licht ein und wollte mich dem rechten der beiden Fenster nähern, um die Vorhänge zu schließen. Dieses Fenster stand weit offen. Gewarnt durch Haralds eindringliche Worte warf ich einen Blick auf die Büsche jenseits des Parkweges. Es war bereits ziemlich dunkel, und so konnte ich die Gestalt dort in den Sträuchern nur undeutlich erkennen, die da aufgerichtet mit einer Maske vor dem Gesicht zwischen den Zweigen hindurchlugte.

Rasch sprang ich zur Seite.

Und – gerade noch rasch genug, um dem heimtückischen Pfeile zu entgehen, der nun lediglich durch den Stoff meines linken Ärmels drang.

Mein lauter Zuruf lockte sofort Harald herbei. Ich drängte ihn zurück.

„Vorsicht, – sieh hier – – ein langer Pfeil mit glatter Stahlspitze!“

Und drei Minuten später wußten wir, daß der Pfeil vergiftet war. Die Spitze hatte einen bräunlichen glasurartigen Überzug: Gift! –

Sir Marringow wollte nun sogleich die Schloßwache alarmieren.

„Bleiben Sie!“ meinte Harald mit Nachdruck. „Wir erledigen das besser telephonisch.“

Auf dem Schreibtisch stand das Telephon.

Harst ließ sich mit der Rani verbinden.

„Hoheit, gewisse Ereignisse lassen es ratsam erscheinen, den Palast und den Park mit Soldaten zu besetzen,“ erklärte er der Fürstin. „Geben Sie außerdem Befehl, daß nur die uns zugeteilten neuen Diener, die ja nach Sir Reginalds Ansicht durchaus zuverlässig sind, hier das Logierhaus betreten dürfen und daß hier die Flure durch Posten bewacht werden. Ich werde Ihnen, Hoheit, nachher die Gründe für diese meine Vorschläge zur Sicherung des Palastes und der Nebengebäude auseinandersetzen. Sobald das Militär Schloß und Park schützt, werden wir uns bei Eurer Hoheit einfinden.“ –

Bereits nach einer Viertelstunde wimmelte es draußen von Soldaten.

Dann erschien die Rani in Begleitung des Obersten Sadi bir Schamsa, des Kommandeurs ihres Kamelreiterkorps, bei uns und verriet durch ihr aufgeregtes Wesen nur zu deutlich, wie sehr sie sich wohl hauptsächlich um Sir Reginald gesorgt hatte.

Etwas bleich und nur mit Mühe ihre zärtlichen, dem Geliebten geltenden Blicke hinter den langen Wimpern verschleiernd, saß sie im Sessel, während Harald nun über die Ermordung Saids sich äußerte.

Und – wie entstellte Harst bei diesem Bericht die Wahrheit! Wie gut verbarg er seine geheimsten Gedanken! Die beiden Schwindler seien wahrscheinlich die Mörder, dafür spräche ja schon die Benutzung des Sauerstoffgebläses! Und diese beiden Verbrecher hielten sich fraglos noch in der Stadt verborgen und seien auch für den Pfeilschuß durch das Fenster verantwortlich zu machen. –

Oberst Sadi bir Schamsa, der Sohn des Ministers, ein Radschpute von überschlanker Figur und bartlosen, verschlossenen Zügen, erlaubte sich die Bemerkung, daß es vielleicht praktisch sei, wenn Polizei und Militär sämtliche Häuser der Stadt, insbesondere die Karawansereien (Gasthäuser) und die Hotels und Vergnügungsstätten durchsuchen würde.

Harald nickte. „Vielleicht hätte das Erfolg, gewiß. Ich gebe jedoch zu bedenken, daß die beiden Fremden fraglos eine Verkleidung tragen, die sie genügend schützt. – Wenn Hoheit aber wünschen, daß –“

„Nein, Mr. Harst,“ erklärte die Rani hastig. „Wenn Sie sich von einer solchen Razzia nichts versprechen, tragen wir nur unnötig Unruhe in die Bevölkerung.“

„Hoheit verzeihen,“ meinte der Oberst, der kaum dreißig Jahre zählen mochte, „die Unruhe wird noch größer sein, wenn man gar nichts unternimmt. Die Stadt ist voll von wilden Gerüchten, und wie stets benutzen unlautere Elemente diese Gelegenheit zur Aufhetzung des Volkes gegen die Europäer. Ich wage kaum anzudeuten, was alles geredet wird.“

Reginald Marringow, der am Schreibtisch lehnte, lachte leise auf.

„Sagen Sie es nur getrost, Herr Oberst! Mein Diener James hat mich bereits vorbereitet. Ich soll mit den Mördern im Bunde stehen! Ich soll sie hier nach Gagawar bestellt haben! Ich – –!!“

Sadi bir Schamsa machte eine unendlich verächtliche Handbewegung.

„Dies Geschwätz ist zu töricht, als daß es an Sie heranreichen könnte, Sir Marringow!“

Die Rani aber war noch bleicher geworden. Ihr Blick irrte unstät im Zimmer umher, blieb schließlich auf Harald haften.

„Ich möchte Sie und Ihren Freund allein sprechen, Mister Harst,“ erklärte sie gepreßt. „Bitte – die beiden anderen Herren warten wohl im Flur.“

Marringow und der Oberst entfernten sich.

Die Fürstin winkte.

„Bitte, rücken Sie Ihre Sessel näher heran, meine Herren. – So – und nun will ich Ihnen die ganze Not meines Herzens anvertrauen. Ich weiß, welcher Art die Gerüchte sind, die in der Stadt umlaufen, ich wußte es bereits vor einer Stunde, als der Oberpriester des heiligen Brahmanentempels von Gagawar sich bei mir hatte melden lassen. Sie kennen den ungeheurem Einfluß der Priester auf unsere fanatische Bevölkerung, Mister Harst. Und diese Priester sind“ – ihre Stimme sank immer mehr zum Flüstern hinab – „erbitterte Feinde all der Weißen, die in meinen Diensten stehen, besonders Reginalds Feinde, vielleicht deshalb, weil er der Sohn jenes so überaus energischen Vizekönigs von Indien ist, der hier ein strenges Regiment führte und der uns einheimischen Fürsten die geringe Selbständigkeit noch mehr beschnitt. Man hält Reginald für einen geheimen Agenten Englands, der mit meiner Bewachung betraut ist. – Der Oberpriester erklärte mir, daß die Volksstimmung in der Stadt so erregt sei, daß er mir nur raten könne, Sir[4] Marringow schleunigst zu entlassen. Und wenn mir dies ein so ränkevoller Greis wie der Oberpriester rät, ist das so gut wie ein Befehl. Meine Beliebtheit hier in der Residenz ist seit Monaten ganz systematisch untergraben worden. Die öffentliche Forderung, ich solle mir einen Gatten wählen, wird immer gebieterischer. Ich ahne nicht, wer hinter diesen dunklen Intrigen steckt. Jedenfalls gehen sie nicht von dem heuchlerischen Oberpriester aus. Er ist nur Werkzeug, ein sehr willfähriges Werkzeug, denn je unpopulärer ich als Fürstin werde, desto mächtiger wird er selbst.“

Sie hatte in steigender Erregung gesprochen. Ihre Hände zuckten im Schoße, und nun legte sie die Rechte leicht auf Haralds Arm.

Harald überlegte.

Dann flog ein leises Lächeln über sein Gesicht.

Er nahm die Hand der Fürstin, die noch immer wie beschwörend auf seinem Arme lag, in die seine.

„Hoheit – lassen Sie Sir Marringow durch Britt verhaften,“ sagte er leise.

Die Rani schrak zusammen.

„Oh – nur zum Schein, Hoheit,“ fügte Harald hinzu. „Wir müssen Zeit gewinnen. Telephonieren Sie von hier aus an Britt. Er hat drei Europäer unter seinen Beamten. Die sollen mit herkommen und Sir Reginald später bewachen. Die Verhaftung muß draußen im Flur erfolgen, ohne daß Sie Sir Marringow noch gesehen haben.“

„Nein – – nein!!“ wehrte die Rani verzweifelt ab. „Das ist unmöglich! Ganz unmöglich! Das würde Reginald mir nie verzeihen!“

„Glauben Sie, Hoheit?! Ich schätze ihn anders ein. Er ist Engländer, und die Engländer haben volles Verständnis für den diplomatischen Leitsatz „Der Zweck heiligt die Mittel“. – Ich verspreche Ihnen außerdem, Fürstin, die Mörder des Persers morgen vormittag zu – überführen. Der eine ist, um Ihnen dies schon jetzt anzuvertrauen, der – Mann mit den Handschuhen, derselbe Mann, der den Smaragd stahl und der uns in Moalis Hütte – umbringen lassen wollte. Haben Sie Vertrauen zu mir, Hoheit, volles Vertrauen! Es handelt sich hier weniger um einen vielleicht entstehenden Aufruhr, als um – drei Menschenleben. Sir Marringow, Schraut und ich werden den nächsten Morgen nicht mehr heraufdämmern sehen, wenn Sie nicht die Gefahr abwenden, indem Sie die Mörder täuschen!“

Die Rani lehnte jetzt halb betäubt in ihrem Sessel.

Ihre Stimme war farblos und ohne Kraft, als sie nun erwiderte:

„Ja – – ich vertraue Ihnen, obwohl ich eigentlich nicht begreife, wie –“

Harald deutete auf das Telephon.

„Bitte, Hoheit, – es eilt!“ –

Und eine Viertelstunde drauf hielt Britts Polizeiauto vor dem Logierhause.

Wir lugten durch die Vorhänge.

Wir sahen, wie Reginald Marringow hoch erhobenen Hauptes zwischen zwei Polizeibeamten dem Kraftwagen zuschritt. –

Und wieder zehn Minuten später ließ die Rani auf Haralds Wunsch in den Straßen der Residenz durch Ausrufer verkünden, daß die gerichtliche Untersuchung gegen Reginald Marringow wegen Verdachts der Mitwisserschaft der Ermordung Harum Saids mit aller Strenge durchgeführt werden würde und daß er aus seiner Stellung als Privatsekretär endgültig entlassen sei. Die Fürstin selbst würde sich bis auf weiteres nach dem unterhalb der Stadt gelegenen Sommerpalast Banarülli begeben. –

Tatsächlich erfolgte dann auch um Mitternacht bereits die Übersiedlung der Rani und ihres Hofstaates nach der berühmten alten Radschputenburg Banarülli, die in den Sabras-Bergen auf einer Insel des gleichnamigen Bergsees sich erhebt und in der heißen Jahreszeit häufig von der Rani besucht wurde.

 

4. Kapitel.

Eine wilde Nacht.

„So,“ sagte Harald da zu Mister Britt. „So, mein lieber Britt, nun haben wir drei hier freie Hand in Gagawar. Nun sollen Sie einmal mit Harald Harst und Max Schraut auf Verbrecherjagd gehen.“

Und Harald warf den Rest seiner Zigarette im Bogen in den Garten hinab, fügte hinzu:

„Ich habe der Rani versprochen, bis morgen früh die Mörder Harum Saids zu überführen. Wir haben also noch etwa zehn Stunden Zeit. Es werden ereignisreiche Stunden werden, bester Britt, und wir wollen sie damit beginnen, daß wir nach Bikanir an den dortigen Befehlshaber der englischen Truppen telephonieren.“

„Ja – wozu das?!“ meinte Britt kopfschüttelnd.

„Oh – Sie werden ja hören! Gehen wir in Ihr Arbeitszimmer hinab.“

Erst um halb ein Uhr morgens hatte Harst Verbindung mit General Pellingham, der uns kein Fremder war.

Als Pellingham hörte, wer ihn angerufen hatte, schien er sehr erfreut zu sein, – wenigstens sprach Harald in die Muschel hinein:

„Oh – auch ich freue mich aufrichtig, Sie auf diese Weise begrüßen zu dürfen, Exzellenz. Leider habe ich augenblicklich jedoch wenig Zeit, Eurer Exzellenz eingehend zu erklären, weshalb ich hier in Gagawar weile. – Ich hätte nun eine große Bitte … Wenn Exzellenz die Garnison von Bikanir sofort zu einer Nachtübung alarmieren und diese Nachtübung dann in der Gegend von Banarülli stattfinden lassen wollten, wenn ferner morgens gegen zehn Uhr der Banarülli-See von den Truppen umstellt wäre, so würden Exzellenz mir meine hiesige Aufgabe wesentlich erleichtern und außerdem der Rani von Gagawar einen großen Gefallen erweisen. Nur müßten die Bewegungen der Truppen möglichst geheim erfolgen und niemand dürfte erfahren, daß ich der eigentliche Urheber dieser – Nachtübung bin. Exzellenz können überzeugt sein, daß die Erklärung für diese meine etwas eigentümliche Bitte Eurer Exzellenz nicht nur im Schlosse Banarülli vollauf befriedigen wird, sondern Eurer Exzellenz als dem englischen Berater der Fürstin Gelegenheit geben wird, der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen!“

Was der General hierauf erwiderte, konnten Britt und ich natürlich nicht hören.

Harst horchte angestrengt und sagte dann:

„Meinen Dank werde ich Eurer Exzellenz also um zehn vormittags in Banarülli abstatten. – Auf Wiedersehen!“

Und – er legte den Hörer weg, lachte uns vergnügt an und meinte:

„So – nun zum zweiten Akt, lieber Britt. Bestellen Sie jetzt alle verfügbaren Polizeibeamten nach dem Palast. Die Leute sollen jedoch nicht Uniform tragen und sich vor dem westlichen Parktore, das am einsamsten liegt, versammeln. Zwanzig Mann würden im übrigen genügen.“

Britt seufzte. „Soll geschehen! – Aber wozu, wozu, Mister Harst?!“

„Das werden Sie ja miterleben! Vorwärts, telephonieren Sie!“

Britt tat’s.

Und nachdem er seine Befehle in das Polizeigebäude so weitergegeben hatte, verließen wir drei sein behagliches Haus und wanderten durch die stille Straße dem Palaste zu.

Am Haupteingang der Parkmauer befand sich auch jetzt die übliche Wache. Wir konnten ohne weiteres passieren, da Harst jetzt einen neuen Geleitbrief der Rani besaß, der im Wortlaut dem uns gestohlenen genau entsprach.

Wir umschritten den gewaltigen Bau und betraten das Logierhaus.

Hier standen an den Eingängen Posten, und auch im Flur und vor unseren Fenstern patrouillierten Soldaten der Leibwache auf und ab.

In unserem Wohngemach fanden wir James, den englischen Kammerdiener des verhafteten fürstlichen Privatsekretärs unserer wartend vor. – James Orglay war ein älterer Mann von bescheidenem Wesen, ein früherer Schiffssteward, den das Schicksal hierher in die Thar verschlagen hatte. Er hing mit größter Ergebenheit und Treue an seinem Herren, und es hatte Haralds ganzer Überredungskunst bedurft, den über die Verhaftung Sir Marringows geradezu ergrimmten James leidlich zu beruhigen.

Dieser James wurde nun von Harald mit einem besonderen Auftrag betraut.

„Gehen Sie wie zufällig nach dem Ostflügel des Palastes, wo der Minister Schamsa wohnt, und stellen Sie fest, was die hier zurückgelassene Dienerschaft des Ministers treibt. Wahrscheinlich werden die Leute längst schlafen gegangen sein.“

James verbeugte sich stumm und verschwand.

Kaum war er hinaus, als Britt leise rief:

„Zum Teufel, Mister Harst, was soll nun dies wieder?“

„Warten Sie ab, Britt, und versuchen Sie, sich das Staunen abzugewöhnen. Es wird in dieser Nacht noch vieles geschehen, was Sie zunächst nicht begreifen werden. – Bitte, rauchen Sie eine Zigarette. Schraut soll uns aus unseren Koffern Taschenlampen und für jede drei Ersatzbatterien hervorkramen!“ Er lächelte wieder, und – es war ein Siegerlächeln, das um seine Lippen spielte.

Aber auch ich durfte jetzt lächeln.

Denn – mir war plötzlich ein Licht aufgegangen! Sogar ein sehr helles Licht! Die Schleier waren gefallen: ich glaubte zu wissen, wer der Mann mit den Handschuhen war!! –

James kehrte zurück, als ich gerade Harst und Britt die Taschenlampen aushändigte.

James meldete, daß er sich im Mondlicht recht vorsichtig dem Ostflügel des Schlosses genähert und zu seinem Erstaunen beobachtet habe, wie ein paar Diener des Ministers Maru bir Schamsa drei Lastkamele beladen hätten. Außerdem habe er aber auch bemerkt, daß zehn Kamelreiter des Korps des Obersten Sadi bir Schamsa dicht daneben mit ihren Tieren gehalten hätten. Wahrscheinlich sollten diese zehn die Lasttiere und ihre Führer nach Schloß Banarülli begleiten, und die Kamellasten würden wohl aus dem Gepäck des Ministers bestehen.

„Danke, James, – bin zufrieden,“ meinte Harst scheinbar gleichmütig.

Dann zog er seine Taschenuhr.

„Halb zwei morgens. – Ob Ihre Leute schon am Westtore sein können, Britt?“

„Bestimmt sind sie da!“

„Gut – dann könnten Sie nun, lieber Britt, in aller Stille Ihre Garde nach dem Ostflügel bringen. Beeilen Sie sich jedoch. Und dort, wo die Kamele beladen werden, verteilen Sie Ihre Leute so, daß sie auf einen Pfiff von mir zuspringen können!“

Britt murmelte etwas Unverständliches und verließ das Zimmer.

Harst wandte sich an James.

„Sie lieben Ihren Herrn, James. Deshalb sollen Sie nun auch mit uns kommen. Besitzen Sie eine Waffe?“

„Jawohl, Mister Harst. Ich trage stets eine Remington-Repetierpistole bei mir. Dies braune Gesindel hier ist unzuverlässig.“

„Allerdings! – Gehen wir!“ –

Klarer Mondschein lag über Schloß und Park.

Auf halbdunklen Wegen näherten wir uns dem Ostflügel. Hier war ein Teil des Parkes für den Minister durch eine hohe Steinmauer abgetrennt worden. Die Pforte dieser Mauer stand offen. Auch James hatte sie vorhin benutzt.

Eine schmale Allee lief auf den Hintereingang des Ostflügels zu, und vor dieser Tür lagen rechts und links ein paar einstöckige Wirtschaftsgebäude.

Schon von weiten sahen wir, daß eine über dem Eingang angebrachte elektrische Lampe brannte und eine Gruppe von Menschen und Tieren bestrahlte.

„Wir überraschen sie noch!“ sagte Harald kühl. „Stecken wir die Pistolen entsichert in die Jackentaschen!“

James lachte grimmig auf.

„Mister Harst, ich weiß zwar nicht, worum es sich hier handelt, aber wenn’s zu einer Schießerei kommt, werde ich meinen Mann stehen!“

Harald schritt rascher aus.

Wir gingen zwischen den Wirtschaftsgebäuden hindurch.

Wurden jetzt bemerkt.

Ein Inder kam uns entgegen. Es war ein Offizier des Kamelreiterkorps, der Adjutant des Obersten Sadi bir Schamsa.

Als er uns erkannte, stutzte er.

Harst trat auf ihn zu.

„Was tun Sie hier?“ fragte er kurz.

Der junge Radschpute, ein wahrer Hüne, schaute uns drei geringschätzig an.

„Kehren Sie um!“ befahl er barschen Tones. „Sie haben hier nichts zu suchen!“ Er sprach ein tadelloses Englisch, und wir wußten, daß er mehrere Jahre in England gewesen. Er war der Sohn eines radschputischen Großen, eines jener Herren über ungezählte Herden, die an den Rändern der Thar weideten.

Harst zog das Schreiben der Rani hervor.

Sie haben mir zu gehorchen, Saba Dauli!“ sagte er sehr gelassen. „Hier – der Inhalt dieses Dokuments gibt mir unbeschränkte Vollmacht –“

Da geschah etwas, das so recht bewies, wie wenig die Rani auf die Treue ihrer Truppen rechnen konnte.

Der Offizier riß Harst das Schreiben aus der Hand und – knüllte es zusammen, steckte es nachlässig zwischen die Knöpfe seines gelben Leinenuniformrockes.

Dann rief er seinen Reitern, die neben ihren Tieren standen, einen Befehl zu.

Harst hatte schnell seine Pistole gezogen.

Die Lage war fraglos sehr kritisch für uns.

„James – Schraut, – – packt ihn!“ Und – wir beide sprangen zu, während Harst dem Inder die Pistole vor das Gesicht hielt.

„Zurück!“ brüllte er jetzt den zehn Heranstürmenden entgegen. „Zurück! Im Namen der Fürstin!!“

Und zu Saba Dauli gewandt: „Ich drücke ab, sobald Ihre Leute sich rühren! Verlassen Sie sich darauf!“

Ein Griff – und er hatte das Dokument der Rani wieder in der Hand, entfaltete es, strich es glatt und hielt es den Soldaten hin.

„Hier – wer von Euch wagt es, diesem ausdrücklichen Befehl der Fürstin, die mir unbeschränkte Vollmacht in jeder Beziehung erteilt hat, zu drohen?! Mag einer von Euch, der lesen kann, den Inhalt den anderen mitteilen!“

Ein schrilles Gelächter des Offiziers machte jedoch diese mahnenden Worte Harsts völlig wirkungslos, und ohne Zweifel hätten die Kamelreiter gegen uns ihre Waffen erhoben, wenn nicht Britt jetzt in langen Sätzen herbeigeeilt wäre, gefolgt von seinen Beamten, die nun zunächst Saba Dauli Handschellen anlegten und den Reitern die Karabiner wegnahmen.

Harst schickte einen der Beamten zum Haupteingang des Palastes, und im Nu war das Schloß von der Leibwache völlig umzingelt, so daß niemand hinaus und herein konnte.

Und ebenso schnell spielten sich dann die folgenden Szenen ab.

Harald ließ die Tragkörbe der Lastkamele trotz des wütenden Widerspruchs des gefesselten Offiziers öffnen.

Und – – so brachte er unter Decken und Paketen zwei halberstickte, brutal eng zusammengeschnürte und geknebelte Europäer zum Vorschein, zwei Leute, die sich dann rasch erholten, die ich bereits kannte: es waren unsere – Konkurrenten, die beiden Schwindler, der falsche Harst und der falsche Schraut!

Und weiter ließ Harald sämtliche Diener des Ministers und seines Sohnes, des Obersten, in einem Kellergelaß des Ostflügels einsperren.

All das war wie ein Film, wie ein unerhörter Sensationsfilm, dessen Bilder sich in wilder Hast abrollten.

All das wurde jedoch so ausgeführt, daß keinerlei Kunde der nächtlichen Ereignisse nach Schloß Banarülli dringen konnte. –

Ich kam erst etwas zu Atem, als wir nun mit Britt und sechs Beamten sämtliche Räume des Ostflügels zu durchsuchen begannen.

In dem modern eingerichteten Herrenzimmer des Obersten Sadi bir Schamsa im ersten Stock fanden wir in einem Gewehrschranke allerlei.

Noch mehr fanden wir in dem Badezimmer nebenan unter den Steinplatten des Fußbodens, die mit ihren leeren Fugen einem Harst kaum entgehen konnten.

Und schließlich gab uns dann der Inhalt eines Geheimfaches des Schreibtisches des Ministers die Erklärung für all diese unfaßbaren Schandtaten! –

Als wir endlich gegen fünf Uhr morgens in unser Heim zurückkehrten, wo die beiden Schwindler unter Bewachung einiger Polizisten nun ihrer Vernehmung entgegensahen, gab es vielleicht die größte Überraschung.

Denn derjenige, der hier den Harald Harst gespielt hatte, erklärte jetzt mit ehrlichstem Gesicht:

„Mister Harst, wir sind weder Betrüger noch Verbrecher. Wir sind – Betrogene, schändlich Betrogene! Mein Name ist Ernest Ellerton, und ich bin von Beruf Detektiv. Mein Freund dort heißt Allan Godwin und ist mein Teilhaber – Teilhaber der Detektivfirma Ellerton in Kalkutta!“

Der kleine Britt brüllte wütend: „Mensch, wo nehmen Sie nur die Frechheit her, sich hier für den hochangesehenen Ernest Ellerton auszugeben!! Das ist ja –“

„– ja, das ist die Wahrheit,“ fiel Harald ihm ins Wort. „Jetzt erkenne ich Sie, Mister Ellerton. Ich wußte längst, daß Sie einige Ähnlichkeit mit mir hatten.“

 

5. Kapitel.

Die beiden Mörder.

Eingebettet in die kahlen Sabras-Berge, träumt da im Sonnenglanz des Vormittags der grünumrankte Banarülli-See …

Wie ein Wunder erscheint dieses Bild des stillen Gewässers dem Wanderer, der durch eine der Schluchten emporsteigt, der noch soeben das öde Gemälde der endlosen Wüste ertragen mußte und nun plötzlich zu seinen Füßen die wunderbare Schönheit dieses Bergtales, dieses gleißenden Seespiegels wahrnimmt, aus dessen Tiefen die kleine Felseninsel emporwächst, die von der stolzen uralten Radschputenburg gekrönt ist. –

In dem großen Prunksaale dieser Burg empfing die Rani von Gagawar vormittags zehn Uhr in feierlicher Weise Seine Exzellenz, den General Pellingham, Oberkommandierenden sämtlicher anglo-indischen Streitkräfte von Radschputana.

Der Elfenbeinthron der Fürstin stand auf hohem Marmorpostament, und vergoldete Stufen führten hinab in den weiten Saal, der mit Beamten, Offizieren und Soldaten bis zum letzten Platz gefüllt war.

Hinter dem Throne standen die Minister der Rani und ein paar Hofbeamte.

Soeben hatte die Fürstin den General begrüßt, soeben war für Seine Exzellenz ein Sessel neben den Thron gerückt worden, als auch wir, soeben angelangt, den Saal betraten.

Wir beide – und unser Gefolge: Sir Reginald Marringow, Britt, die beiden Kollegen aus Kalkutta und zehn Polizeibeamte, die einige in Decken gehüllte Gegenstände trugen.

Unser Erscheinen rief allgemeine Erregung hervor. Besonders Reginald Marringow war der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, war das Ziel vieler feindseliger Blicke.

Die Rani hatte sich erhoben. Auch der General stand aufrecht da, leicht auf seinen Säbel gestützt. Er nickte Harald zu, während die Fürstin bereits mit ruhiger Stimme Harst fragte:

„Was haben Sie mir zu melden, Mister Harst? Sie versprachen mir, an dieser Stelle und zu dieser Stunde die Mörder Harum Saids mir zu nennen und Sir Marringows Schuldlosigkeit zu beweisen.“

Harst verneigte sich, schritt ein paar Stufen empor, machte eine halbe Wendung zum Saale hin und begann:

„Zunächst melde ich Eurer Hoheit, daß der See von den Truppen Seiner Exzellenz eng umstellt ist und daß jeder Versuch verräterischer Offiziere, Eure Hoheit gewaltsam zur Schonung der Schuldigen zu zwingen, zwecklos wäre. Ebensowenig wird jemand entfliehen können, der vielleicht in diesem Moment einsieht, daß das Spiel verloren ist.“

Ich beobachtete den pockennarbigen Minister Maru bir Schamsa und seinen Sohn. Beider Gesichter waren erdfahl geworden.

„Ich habe Eurer Hoheit außerdem zu melden, daß nunmehr genügend Beweise gegen die Mörder des Persers und seiner Diener vorliegen. Die beiden Mörder sind gleichzeitig die Urheber der Giftmordversuche gegen Sir Marringow und auch diejenigen, die durch ein Gespinst von Lug und Trug zwei Detektive aus Kalkutta hierher lockten, um angeblich zwei europäische Verbrecher – Schraut und mich – entlarven zu helfen und um ferner einen angeblich nicht mehr zu öffnenden Tresor mit einem Sauerstoffgebläse aufzuschmelzen. Wenn diese beiden Detektive überhaupt eine Schuld trifft, dann ist es die, daß sie sich durch den älteren der beiden Mörder dazu bestimmen ließen, in Gagawar sich für Harst und Schraut auszugeben. Aber auch das muß ihnen angesichts der teuflischen Niedertracht, mit der sie belogen wurden, nachgesehen werden.“

Pause.

Und jetzt war’s im Saale totenstill.

„Der Mann mit den Handschuhen, Hoheit, ist kein anderer als Maru bir Schamsa, und der zweite Mörder ist sein Sohn!“ –

Britt wußte, was er zu tun hatte. Er und seine Leute waren schon die Stufen emporgeeilt, hatten die beiden Verbrecher gepackt, gefesselt, zerrten sie in den Saal hinab.

Die Rani war langsam in den Thronsessel zurückgesunken. Ihre entsetzten Augen starrten den Mann mit wachsender Verachtung an, dem sie bisher ihr Vertrauen geschenkt hatte.

Harald sprach weiter: „Vielleicht hätte ich Maru bir Schamsa niemals entlarven können, wenn er nicht, um seine gleichfalls mit Pockennarben besäten Hände zu verhüllen, bei seinen Schandtaten Handschuhe getragen haben würde. Diese Handschuhe gaben mir zu denken. Ich sagte mir, daß der Unbekannte doch ohne Zweifel durch die Handschuhe ein besonderes Kennzeichen seiner Hände verbergen wolle. So wurde ich auf den Minister aufmerksam, schon bei der Frühstückstafel. Als leidlicher Beobachter merkte ich damals schon, daß der Oberst Sadi bir Schamsa Sir Marringow heimlich mit haßerfüllten Blicken bedachte, während er Eure Hoheit offenbar mit den Augen eines leidenschaftlichen, aber ebenso rücksichtslosen Verehrers zu mustern wagte. Dies und einige weitere Feststellungen ließen mich zu der Überzeugung gelangen, daß der Minister und sein Sohn nicht nur Schraut und mich hatten gefangennehmen lassen, sondern daß sie es auch gewesen, die den Gagawar-Smaragd stahlen, während sie angeblich eine Wallfahrt als fromme Hindu unternahmen. Da mir die Sage, die sich an den Smaragd knüpft, bekannt war, glaubte ich auch das Motiv dieses Diebstahls durchschaut zu haben, und die späteren Ereignisse bestätigten dies.“

Er winkte den Polizeibeamten, die die verhüllten Gegenstände trugen.

Die Hüllen fielen, und es kam so folgendes zum Vorschein: ein Sauerstoffgebläse, eine Sauerstoffflasche[5], die Schieblade eines Schrankes, in der graue Stoffmasken, falsche Bärte, Perücken und drei Paar weiße Zwirnhandschuhe lagen. Ferner eine zweite Schieblade, die mit Papieren angefüllt war, und ein Pappkasten, der die aus dem Schatzzimmer gestohlenen Juwelen sowie die aus dem Tresor des Persers geraubten Kostbarkeiten enthielt.

Harald fuhr fort: „All dies entdeckte ich im Ostflügel des Schlosses in den Räumen der beiden Mörder. Insbesondere haben die Schriftstücke mir restlos Aufschluß über die Pläne der beiden Verbrecher und über die Motive ihrer Untaten gegeben. – Sowohl der Minister als sein Sohn haben als moderne Inder sich schon seit Jahren auf Spekulationen an der Börse in Bombay eingelassen. Sie erlitten Verluste, und um diese zu decken, vergriff Maru bir Schamsa sich an Staatsgeldern. Dann wünschte der Oberst Schamsa aber auch, Gatte der Rani zu werden, da er die Fürstin auf seine Art liebte und da er als Prinzgemahl leichter sein verschwenderisches Leben hätte fortsetzen können. Der Vater stahl also den Smaragd, und der Sohn wollte ihn wieder herbeischaffen und dadurch ein Anrecht auf die Hand der Fürstin bekommen. Dem Vater wurde der Edelstein jedoch sofort nach dem Diebstahl von Sir Marringow entrissen, und so sahen sich die beiden denn um die Frucht ihres schlauen Plans betrogen. Nun begannen sie insgeheim gegen die Fürstin zu wühlen und zettelten eine Verschwörung an, die den Zweck hatte, die Fürstin zu zwingen, den Oberst zu ihrem Gemahl zu erwählen. Um jedoch ihre Griffe in die Staatskasse zu verheimlichen und das veruntreute Geld ersetzen zu können, beraubten sie nochmals das Schatzzimmer und ermordeten auch den Perser, dem sie bereits hohe Beträge schuldeten. Für den Diebstahl bei Harum Said hatten sie sich durch die Kalkuttaer Detektive das Sauerstoffgebläse verschafft. – Alle weiteren Einzelheiten wird die gerichtliche Untersuchung aufklären. – Bitte, Sir Marringow, – nun sprechen Sie!“

Marringow erstieg die Stufen des Thrones und überreichte der Rani auf goldenem Teller den Gagawar-Smaragd, sagte dazu mit einer Stimme, die bis in die fernsten Winkel des Saales zu verstehen war:

„Ich habe den heiligen Smaragd dem Diebe abgenommen! Ich übergebe ihn der Rani und bitte die Fürstin gleichzeitig um ihre Hand!“

Und die Rani?

Nun – sie tat das, was die klarste Antwort war: sie küßte ihren Reginald!

… Küßte ihn nochmals unter den lärmenden Beifallsrufen der Versammelten.

* * *

Das ist die Geschichte des Gagawar-Smaragds.

Vor zwei Wochen war in Berliner Zeitungen zu lesen, daß das englische Königspaar die Rani von Gagawar und den Prinzgemahl in London feierlich empfangen habe.

 

Nächster Band:

Der Mann am Kreuze.

 

 

Verlagswerbung:

Der Detektiv

Eine Reihe höchst spannender Detektivabenteuer. Bisher sind folgende Bände erschienen:

 

Band
































1–6:
7:
8:
9:
10:
11:
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13:
14:
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30:
31:
32:
33:
34:
35:
36:
37:
38:
39:

vergriffen.
Zwei Taschentücher.
Die Jagd auf einen Namen.
Die Augen der Jolante.
Der Fluch eines Geschlechts.
Die verschwundene Million.
Die Festung des Ali Azzim.
Die tote Lady Rockwell.
Der Fakir von Nagpur.
Der blinde Brahmane.
Das Auge der Prinzessin Singawatha.
Das Löschblatt von Amritsar.
Die leuchtende Fratze.
Schattenbilder.
Der Löwe von Flandern.
Der ewige Jude.
Das Armband der Lady Mellville.
Die Rätselbrücke.
Der Einsiedler von Tristan da Cunha.
Das Siegellacktröpfchen.
Die Gesellschaft der roten Karten.
Die Uhrkette des Bill Hamilton.
Der Tempel der Kali.
Nur ein Tintenfleck.
Der Stern von Siam.
Eine leere Streichholzschachtel.
Der sprechende Kopf.
Das Geheimnis des Scheiterhaufens.
Die Gefangene von Trawalkor.
Die Eishöhle in Nepal.
Der Mord im Warenhause.
Der Spielklub W W.
Ein gefährlicher Auftrag.
Der sterbende Fechter.

– Preis pro Band 20 Pf. –

Zu beziehen durch jede Buchhandlung oder vom

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 26,

Elisabeth-Ufer 44.

 

 

Anmerkungen:

  1. In der Vorlage steht: „ungewohnten“.
  2. In der Vorlage steht: „Ratschpute“. – Sämtliche Vorkommen von „Ratschpute(n), Ratschputenstammes, ratschputischen, Ratschputenburg, Ratschputana“ in Schreibweise mit „d“ geändert. Siehe auch Wikipedia: Radschpute.
  3. In der Vorlage steht: „Harun“.
  4. In der Vorlage steht: „Sie“.
  5. In der Vorlage steht: „Sauerstofflasche“.