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Die Postkutsche von Yallerpool

 

Erlebnisse einsamer Menschen

 

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Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 26, Elisabethufer 44.

 

Die Postkutsche von Yallerpool.

 

von W. Belka.

 

1. Kapitel.

Jonny Black zieht den kürzeren …

In Bulleyhill waren drei berittene Polizisten stationiert, die abwechselnd den weiten Distrikt zu Pferde abpatrouillierten. Ihr Dienst war anstrengend und im ganzen langweilig. Nur selten geschah etwas, das die drei Beamten aus ihrer schläfrigen Gleichgültigkeit aufrüttelte.

Bulleyhill bestand aus insgesamt zehn Wohnhäusern und acht Stallhütten. Es lag inmitten einer meilenweiten Lichtung des größten Skrub, der das Gebiet von Westaustralien bedeckt. Mit Skrub bezeichnet man jene immergrünen Gehölze, die sich zumeist aus einer Eukalyptusart, vermischt mit Fieberbäumen und einer Akazienart mit blaugrünen Blättern, sowie spärlichem Unterholz zusammensetzen.

Die Wellblechbaracke der Polizeiwache befand sich am Ostausgang der Station und war von Bäumen und Büschen umgeben, hatte aber freien Ausblick auf die nach dem Städtchen Yallerpool führende, armselige Straße.

Sergeant Black sonnte sich vor dem Eingang im Grase und studierte die Perther „Morning Post“, die freilich bereits fünf Tage alt war. Auf der Bank an der Hauswand saß der Polizist Greep, ein Mischling, putzte seine Dienstbüchse und ließ sich von Black, seinem Vorgesetzten, dies und jenes vorlesen.

Black, ein kleiner, sehniger Kerl, den man nur deswegen nach dieser einsamen Station (so wird in Australien jede kleine Ansiedlung bezeichnet) versetzt hatte, weil er sehr jähzornig und mit dem Revolver allzu rasch bei der Hand war, lachte plötzlich laut auf.

„Du, Tom,“ meinte er, „hier steht wieder was Neues über den sogenannten geheimnisvollen Buschklepper, den Allan Wrack. Hör’ zu:

„Ein neuer Streich des ritterlichen Buschkleppers.“ – Ah, jetzt heißt er der „ritterliche“!! Ne – was die Zeitungsschreiber auch alles zusammenphantasieren …! Ritterlich!! Buschklepper bleibt Buschklepper! – Na – mir sollte der Bursche mal begegnen!! Ich würde mich nicht so überlisten lassen, wie’s dem Kollegen Raoul Bourger passiert ist und jetzt wieder dem … – Doch – ich werde vorlesen. Also: Vor drei Tagen fand sich ein Reiter auf Station Jammary ein, die von Master Baker verwaltet wird (Station ist auch jede Unterfarm der großen Viehfarmen). Zufällig weilte dort Sergeant Lincoln als Gast. Da der Reiter, der gerösteten Kaffee und Rum einhandeln wollte, einen graugrünen Jagdanzug und Überschnallgamaschen, einen sehr großen Panama und auch ein Monokel vor dem rechten Auge trug, also ganz so gekleidet war, wie man Allan Wrack bei dem letzten Überfall auf das Palmersche Auto gesehen hatte, wußte Lincoln sofort Bescheid, ließ sich aber zunächst nichts merken und …“

So weit kam Black. Da ertönte auf der Straße der Galopp eines Pferdes. Und schon setzte auch ein Reiter mit elegantem Sprung über den Zaun des Vorgartens, brachte seinen Falben sofort zum Stehen, nahm den Panama ab und sagte zu Black mit einer tadellosen Verbeugung:

„Ich gestatte mir, Ihnen zu melden, daß gestern in Ihrem Distrikt am Gulbron-Bach unweit der Felsenquelle ein Mord verübt worden ist. Der Tote hat eine Kugel in die Stirn erhalten und ist von dem Mörder verscharrt worden. Ich habe die Leiche zufällig gefunden, ausgegraben und jetzt mit Zweigen bedeckt. Der Mord muß gestern verübt worden sein, da die Leiche noch warm war, als ich sie entdeckte.“

Sergeant Black hatte den Mund vor Staunen ein paar Sekunden weit aufgerissen, klappte ihn aber schnell wieder zu.

„Nur jetzt schlau sein!“ dachte er. „Dieser Kerl ist ja Allan Wrack – ohne Zweifel! Alles stimmt genau! Auch Monokel trägt der Halunke …! Na warte – ich will Dir beweisen, daß ich nicht so dämlich wie Bourger und Lincoln bin …!“

„Dank’ Euch, Master, für die Benachrichtigung,“ meinte er, gähnte und erhob sich aus dem Grase. „Ihr könntet uns hinführen, Master, falls Ihr nichts vorhabt.“ Er steckte die Hände in die Hosentaschen. „Tom,“ rief er dann dem Mischling zu, als der Monokelreiter zustimmend genickt hatte, „bring’ die Pferde. Wir werden sofort aufbrechen.“

Er hatte sich dabei halb nach dem Hause umgedreht und schnell die Rechte aus der Tasche und den Revolver aus dem Futteral gezogen.

Da – ehe er noch den Arm heben konnte, erklang des Buschkleppers Stimme: „Hände hoch, Ihr beiden! Nicht gerührt dann …!!“

Black wußte, daß dieser verdammte Halunke wie ein Kunstschütze schoß. Trotzdem versuchte er, den Revolver in der Hand zu behalten und beim Hochrecken der Arme zu schießen.

Er versuchte es … Doch – der Falbe tat einen langen Satz auf ihn zu, und dessen Reiter schlug dem Sergeanten die Waffe gewandt aus der Faust, richtete nun seine Repetierpistole auf den noch ganz verdutzt Dastehenden und meinte mit sorglosem Lachen:

„Wenn wir uns nochmals begegnen sollten, dann vergessen Sie nicht, auf den Befehl „Hände hoch!“ auch die Waffe fallen zu lassen …! Ich bin etwas kleinlich in solchen Dingen und verlange genaueste Befolgung der hier üblichen Anstandsregeln. – Im übrigen war Ihr Versuch, mich zu überlisten, leidlich geschickt.“

Black fühlte den feinen Spott. Er schäumte vor Wut. Aber – er wagte jetzt nicht mehr, sich zu widersetzen, stand mit verzerrtem Gesicht, tückisch funkelnden Augen und hochgehobenen Armen da – genau so wie Tom Greep, der Mischling, der seinen Gebieter mit Blicken musterte, die etwa besagten: „Schau, nun hat Allan Wrack auch Dich überrumpelt!“

Der Buschklepper, dessen Anzug hier inmitten einer von der Kultur noch nicht allzu stark angekränkelten Bevölkerung recht stutzerhaft wirkte, zumal auch ein gestreifter, hoher Gummikragen und eine hellgrüne Krawatte nicht fehlten, fuhr nach kurzer Pause fort: „Ich glaube, der Tote ist ein Goldgräber. Leider ist das Gesicht der Leiche durch Messerschnitte so zerfetzt – natürlich absichtlich, um ein Wiedererkennen zu erschweren –, daß ich nicht genau weiß …“ Er schwieg mit einem Male, denn er hatte in Blacks Mienen eine schnelle Veränderung bemerkt und auch beobachtet, wie dessen Augen den Bruchteil einer Sekunde die Richtung geändert hatten. Sein Argwohn war erwacht. Bevor er aber sich nach der Straße umschauen konnte, hörte er über sich ein leises Sausen … Es war eine Lassoschlinge, die ihm jemand geschickt über die Brust geworfen hatte.

Jetzt ein furchtbarer Ruck … Und Allan Wrack flog nach hinten aus dem Sattel. Sofort lagen auch schon Black und der Mischling auf ihm, und der Sergeant brüllte, indem er dem ohnedies Wehrlosen die Kehle zudrückte:

„Habe ich Dich doch gefangen, Du frecher Halunke …! Ja – mit Jonny Black ist schlecht anbinden, Du – Du ritterlicher Buschklepper …!!“

Da riß der, der den Lasso geschleudert hatte, den Sergeanten von seinem Opfer weg.

„Ihr irrt, Black, – ich habe ihn gefangen,“ meinte der baumlange junge Bursche ruhig. „Und mein Recht wär’s, ihn wie ’n Baumkänguruh, dessen Pelz man schonen will, zu erwürgen. Also – laßt den Mann in Frieden. Er ist ja ganz gefügig.“

Black schnauzte den „Amerikaner“, wie man den langen Schafhirten in Bulleyhill und Umgebung stets nannte, sofort giftig an: „He – in Frieden lassen, den Kerl?! Allan Wrack ist’s, der Straßenräuber, der …“

„Das habe ich sofort von der Straße aus erkannt, als ich Euch drei hier sah,“ unterbrach Andrew Holky den Beamten. „Sonst hätte ich auch nicht meine Geschicklichkeit im Lassowerfen, diese Erinnerung an meine Cowboy-Zeit in Neumexiko, so schnell verwertet. – Gewiß – jetzt ist der Allan Wrack Euer Gefangener. Ihr seid ja die Polizei. Aber – zu mißhandeln braucht Ihr ihn nicht. Das hat der Mann nicht verdient, der sein mitfühlendes Herz für Arme und Hilfsbedürftige schon so oft bewies …“

Black knurrte noch etwas in seinen verwilderten Bart, half Greep, den Buschklepper mit Riemen fesseln und in die Wellblechhütte tragen.

Andrew Holky aber setzte seinen Weg nach Kaspar Kaspersens Kramladen, der mitten in der Ansiedlung lag, gemächlich fort und hatte dann den Buschklepper über dem Geplauder mit Antje Kaspersen bald vergessen, denn die blonde, hübsche Holländerin war des einstigen Cowboy stille Liebe, – freilich eine recht aussichtslose Liebe, da Antjes Vater es in Bulleyhill zu Wohlstand gebracht hatte und von dem bettelarmen Bewerber nichts wissen wollte. – –

Allan Wracks Gefangennahme hatte gegen zehn Uhr vormittags stattgefunden. Bereits eine Stunde später ratterte ein klapperiger Kastenwagen, den Black zum Transport des gefährlichen Gefangenen von Kaspersen geliehen hatte, die Straße nach dem Städtchen Yallerpool entlang. In Yallerpool gab es ein richtiges Gefängnis, und dort amtierte auch der Bezirksrichter.

Black hatte Allan Wrack hinten in dem Kasten des Wagens auf ein Bündel Stroh gelegt und den Gefesselten so an die Seitenbretter festgebunden, daß jeder Fluchtversuch unmöglich schien. Außerdem hockte auch noch Tom Greep neben dem Gefangenen, während Black vorn auf dem gepolsterten Sitzbrett saß und den Einspänner lenkte.

Bis Yallerpool waren’s etwa zehn (deutsche) Meilen. Der Weg ging zumeist durch den berüchtigten, endlosen Skrub von Yallerpool, dessen Ausdehnung noch kein Mensch so recht festgestellt und in dem schon mancher sich verirrt hatte und jämmerlich verdurstet war.

Die Sonne brannte glühend heiß dem mit dem Gesicht nach oben festgebundenen Buschklepper ins Gesicht. Der Staub der Straße fiel wie Mehl auf ihn herab, verklebte ihm die Augen und beizte seine trockenen Lippen. Black hatte ihm, obwohl man nun bereits zwei Stunden unterwegs war, auch nicht einen Schluck Wasser gegönnt. Langsam trottete der Gaul dahin mit hängendem Kopf. Auch der Sergeant und der Mischling verfielen bald in eine Art Halbschlaf.

Allan Wrack war desto lebendiger. Er überlegte hin und her, wie er wieder freikommen könnte. Daß ihm dieses glücken würde, bezweifelte er nicht, denn schlimmstenfalls würde sein kleiner Gefährte Harry eingreifen. Das wußte er. – Harry Fleat, ein fünfzehnjähriger Junge, gehörte genau so zu Allan Wrack wie das Monokel und der Falbe Röschen, – für eine gelbbraune Stute immerhin ein nicht recht passender Name. (Wie Allan seinen kleinen Freund kennengelernt und weshalb sie dann unzertrennlich wie Brüder geworden, das ist im vorigen Heft geschildert worden.)

Also: der Buschklepper war keineswegs verzagt! – Sein reger Geist würde schon ein Mittel finden, selbst aus dieser bösen Patsche sich herauszuwinden.

Seine auf dem Rücken befestigten Hände machten ihm sein Lager trotz des Strohbündels recht unbequem. Er wollte die Hände daher tiefer in das Stroh einwühlen, um nicht mit dem Rücken hohl zu liegen. Da – er fühlte mit dem linken Ballen etwas Hartes, aus den Bodenbrettern des Kastens Herausragendes. Bald hatte er festgestellt, daß es ein starker Nagel war. Und nun begann unter dem Stroh eine geduldige, unsichtbare, auch recht schmerzhafte Arbeit, da es sich nicht vermeiden ließ, daß auch Hautfetzen der Gelenke den scharfen Rändern des Nagelkopfes zum Opfer fielen.

Die Sonne verschwand. Dichtes Gewölk zog auf. Wetterleuchten glitt über die Wolkenwand im Osten hin. Ein Gewitter nahte.

Black wurde munter, fluchte. Kein Wunder! Ein Gewitter in Westaustralien bedeutet stets ein Unwetter, wie man’s in Europa nicht kennt.

Es wurde dunkler und dunkler. Donner rollte, Blitze zuckten auf. Dann kam ein Wolkenbruch herab, der die Bezeichnung „es gießt mit Eimern“ mit Recht verdiente.

Der Sergeant hatte sich in seine Schlafdecke gewickelt und den leichten Filzhut tief über die Ohren gezogen. Jetzt wandte er sich nach Tom Greep um, rief ihm zu:

„Ich schätz’, wir fahren ins Gehölz und kriechen unter den Wagen, bis der Himmel sich wieder aufklärt.“

Ein Bündel Blitze fuhr in diesem Moment herab. Strahlende Helle für Sekunden. Und … Black stierte entgeistert in das Gesicht Allan Wracks, der des Mischlings Platz eingenommen hatte und dem Sergeanten einen der Revolver des Polizisten unter die Nase hielt.

„Hände hoch!“ brüllte Allan. Und Black gehorchte.

Weiter ratterte der Wagen. Black saß auf dem Bock und das Wasser lief ihm über die hochgereckten Hände bis zum Magen hinab. Und hinter ihm machte der Buschklepper aus einem Riemen eine Schlinge, legte sie nun um des Sergeanten Handgelenke und zog sie so fest zu, daß dieser aufschrie. Allan aber lenkte das Gefährt in den Busch unter ein paar Fieberbäume, band Black an einen der Stämme und … setzte sich unter den Wagenkasten ins Trockene.

Eine halbe Stunde darauf schien wieder die Sonne.

Wrack, der seine Handfesseln durchgerieben und dann den Mischling durch Würgen betäubt und an seiner Stelle auf den Kastenboden gelegt und sicher wie ein Bündel verschnürt hatte, lud nun auch Black auf den Wagen und fuhr aufs Geratewohl in den Skrub hinein, schirrte auf einer Lichtung das Pferd ab, fesselte mit der Lederleine seine Gefangenen noch sorgfältiger, schwang sich auf den Gaul und ritt mit einem „Auf baldiges Wiedersehen!“ davon, ritt im Gehölz parallel mit der Straße nach Bulleyhill zurück, schloß mit den dem Sergeanten abgenommen Schlüsseln Wohnbaracke und Stall der Polizeiwache auf und holte sich all sein ihm abgenommenes Eigentum wieder.

 

2. Kapitel.

Der Überfall auf die Postkutsche.

Als er bei dem Wagen nach zwei Stunden wieder eintraf, fand er auf dem Bock … Harry Fleat sitzen, der ihm vergnügt zunickte.

„Tag, Master Allan … – Schade, daß Sie sich selbst befreit haben. Ich war dicht hinter dem Wagen, mußte aber nachher erst die Fährte suchen, wo Sie in den Skrub eingebogen waren. Ich hätte Sie so gern mal herausgehauen.“

Sie tauschten einen Händedruck. Dann hob Allan die beiden Polizisten aus dem Wagenkasten, band sie Rücken an Rücken an den Handgelenken aneinander, löste ihre Fußfesseln und sagte zu Jonny Black:

„Sie sind ein roher Patron, Sergeant. Strafe muß sein! Sie können nun zu Fuß zu zweien nach der Straße zurückwandern, die dort hinaus liegt. Es wird ein etwas unbequemer Marsch werden. Aber – Strafe muß sein …! – Sollten wir uns wieder begegnen, rate ich Ihnen, mich anständiger zu behandeln. Ich habe Ihnen ein Verbrechen gemeldet, durch dessen Aufklärung Sie vielleicht Nutzen haben können. Als Dank sind Sie mit mir wie mit einem Raubmörder umgesprungen. – So, nun sind Sie beide also frei. Leben Sie wohl, und beherzigen Sie meine Mahnung!“

Er schwang sich in den Sattel, und der schlanke, kräftige Junge tat dasselbe. Harry ritt einen Braunen. Bewaffnet waren sie mit je zwei Pistolen, Doppelstutzen und Messer. Sie tauchten schnell in den immergrünen Büschen unter.

Black fluchte wie ein Irrsinniger, schimpfte auf Tom Greep, dem er alle Schuld an diesem vermaledeiten Pech zuschrieb. Da sie nur halb seitwärts ausschreiten konnten, erreichten sie die Straße erst nach gut anderthalb Stunden, wo ihnen dann … ausgerechnet Andrew Holky, der Amerikaner, zu Pferde entgegenkam und sie befreite.

Black schwor dem Buschklepper blutige Rache. Er füllte sich derart durch diesen „jämmerlichen Schuft“ blamiert, daß er hinter Andrews teilnehmenden Fragen nur Hohn und Spott witterte und den früheren Cowboy schließlich grob anschnauzte, sich seiner Wege zu scheren.

Inzwischen war es Abend geworden. Andrew Holky ritt weiter der Station Boller-Lake zu, einer Unterfarm, wo er angestellt war. Er hatte einen Tag Urlaub gehabt und diesen wie immer dazu benutzt, der blonden, rosigen Antje den Hof zu machen. Heute war er nun bei Antje einen entscheidenden Schritt vorwärtsgekommen: sie wollte als seine heimliche Braut treu zu ihm halten, bis der Vater seine Einwilligung gegeben hätte. – –

Allan Wrack und Harry suchten auf Umwegen jene nördlich gelegenen felsigen Hügelketten wieder auf, wo sie gestern die unweit des Gulbron-Baches verscharrte Leiche nur deshalb entdeckt hatten, weil Allans Falbe so auffällig an jener Stelle schnaubte und bockte.

In einem steinigen, engen Tale schlugen die beiden Heimatlosen ihr Nachtlager auf, brieten am Feuer ein unterwegs geschossenes wildes Kaninchen, kochten Kaffee und besprachen die Ereignisse des Tages, schliefen dann bis Sonnenaufgang und trennten sich nach dem Morgenimbiß. Harry blieb im Lager bei den Pferden zurück, derweil Allan beobachten wollte, was Black in der Mordsache unternehmen würde. –

Auch der Sergeant und Greep waren früh munter geworden und ritten alsbald nach dem fernen Gulbron-Bach, fanden die in der Gegend recht bekannte Felsenquelle leicht auf und dann den Zweighaufen, unter dem der Tote lag.

Black hatte als berittener Polizist genug Erfahrungen gesammelt und erklärte nach kurzer Untersuchung des Kopfschusses der Leiche, daß der Mann offenbar aus nächster Nähe und zwar mit einem Revolver großen Kalibers erschossen worden sei.

„Eine Büchsenkugel wäre hinten zum Schädel wieder hinausgegangen,“ erläuterte er seine Behauptung dem Mischling. „Die tödliche Kugel sitzt hier aber noch im Gehirn. Der Doktor in Yallerpool soll sie herausholen. Vielleicht gibt das Geschoß einen Fingerzeig, wer der Mörder sein mag.“

Allan Wrack lag keine sechs Schritt entfernt in den Büschen und hörte alles mit an. Als die beiden Polizisten den Toten dann auf eine aus Baumästen gefertigte Trage, die sie zwischen ihren Pferden befestigten, gelegt und sich entfernt hatten, kehrte er nach dem Lagerplatz zurück und hielt hier mit Harry Fleat längere Zeit Rücksprache, deren Folge dann ein sofortiger Aufbruch nach Yallerpool war.

Sie vermieden die Straße und ritten durch das Gebiet mehrerer Viehfarmen, öffneten zahlreiche Gatter der riesigen, drahtzaunumgebenen Hürden, die oft quadratkilometergroße Flächen darstellen, und langten nachmittags in der Nähe des Städtchens an, das seine Existenz nur den benachbarten Goldfundstellen verdankte.

Jetzt begann Harrys Aufgabe. Er entnahm seinem Mantelsack einen schmutzigen Leinenanzug (für gewöhnlich trug er einen Jagdanzug aus grüngrauem Englisch-Leder-Stoff wie Allan), zog billige Leinenschuhe an, stülpte eine kleine Reisemütze über und wagte sich dann keck in dieser Verkleidung in das Städtchen hinein, brauchte hier zwei Stunden, bis er das Nötige ausgekundschaftet hatte, und vereinigte sich wieder mit seinem älteren Gefährten, den er mehr als einen leiblichen Bruder liebte. – –

Australien ist nur, soweit der dichter besiedelte Küstengürtel in Betracht kommt, als ein moderner Kultur erschlossener Erdteil zu bezeichnen. Außerhalb dieses Küstenstriches bietet der so dünn besiedelte kleinste Kontinent etwa dasselbe Bild dar wie Mittel- und Südamerika, das heißt, weiter nach dem Innern zu reiht sich an diesen Kulturstreifen ein breiter Gürtel an, in dem es nur kleinere Ansiedlungen, Viehfarmen von meilenweiter Ausdehnung, Bergbaugebiete und Goldfelder gibt, wo noch ziemliche Wildwest-Zustände herrschten. Die Mitte des Erdteils wieder, zum Teil noch unerforscht, dient lediglich den Eingeborenen, Australnegern, zum Aufenthalt. Außerhalb der besonders in Westaustralien noch spärlichen Eisenbahnen wird der Verkehr durch Postkutschen vermittelt, mächtige, geschlossene Wagen mit sechs bis acht Pferden davor. Daß eine berittene Polizei in Innern für Ordnung sorgt, ist hier bereits gesagt. Diese Beamten, darunter viele Mischlinge zwischen Weißen und Eingeborenen, tragen vielfach nur Achselschnüre oder am breitrandigen Strohhut eine Kokarde als Abzeichen. – –

Von Yallerpool fährt täglich morgens eine Postkutsche nach dem nächsten, näher der Küste zu gelegenen Städtchen Olmaruku ab. Die Straße, die sie benutzt, führt zumeist durch endlose Weideflächen und die eintönigen, waldartigen Skrubs. Diese sind für Westaustralien ebenso charakteristisch wie die überall zu findenden Goldgräberlager. Denn Gold bildet ja neben Schafen, Rindern und Pferden den Hauptausfuhrartikel des westlichen Australiens.

Der mit sechs Pferden bespannte Postwagen hatte soeben die erste Zwischenstation verlassen. Der Kutscher, ein hellbrauner Mischling mit bereits ergrautem Vollbart, ließ die flinken Gäule flott traben. Sie kannten den Weg, und ihr Lenker durfte sich daher ein kleines Schläfchen hin und wieder schon erlauben, zumal der Verkehr auf diesem Wege gleich Null war.

Das Gefährt hatte heute sechs Fahrgäste, drei Frauen und drei Männer. Fünf davon unterhielten sich lebhaft miteinander, während ein junges Mädchen in städtischer Tracht sich scheu in eine Ecke gedrückt hatte und immer wieder das Taschentuch an die rotgeweinten Augen führte. Dieses Mädchen war hellblond, hatte einen zarten Teint und ein feines, schmales Gesichtchen. Neben ihr saß eine dicke, lächerlich herausgeputzte Person, die sich wie zu einer großen Gesellschaft mit Schmuck behängt hatte.

In der Kutsche führte der Polizeisergeant Webster aus Yallerpool das große Wort, klopfte jetzt auf den Kolben seines Revolvers und meinte zu der dicken Frau:

„Keine Sorge, Frau Jahrop! Er soll nur kommen, dieser verdammte affige Monokelräuber!! Aber – er wird sich hüten! Er beobachtet vor jedem Überfall erst, wer im Postwagen sitzt! An harmlose Reisende wagt er sich heran. Wo ein Polizeibeamter anwesend ist, läßt er die Finger von weg! – Gewiß – vorgestern hat mein Kollege Black von Station Bulleyhill einen kleinen Strauß mit ihm gehabt. Aber der gute Jonny hat sich dabei wie ein …“

Da schrie der Dicke gellend auf: „Ein Reiter – ein Reiter mit Monokel …!!“

Der Postwagen hielt in demselben Augenblick. Und Allan Wrack hielt den rechten Arm mit der Pistole durch das offene Türfenster hinein und rief:

„Hände hoch!! Keine Bewegung!! Aussteigen alle, dann nebeneinander in einer Reihe sich aufstellen!“

So machte er es immer. Und – niemand wagte auch jetzt Widerstand, selbst Webster nicht.

Auch der Kutscher war vom hohen Bock geklettert und hatte sich als siebenter angereiht. – Allan sprang aus dem Sattel. Röschen blieb regungslos stehen.

Nachdem der Buschklepper den Männern die Waffen abgenommen hatte, richtete er das Wort an einen schwarzbärtigen Menschen, der mit verbissener Wut den Buschklepper musterte und dabei doch auffallend blaß war.

„Holen Sie Ihren Koffer vom Wagendach herunter,“ befahl er.

Der Mann fluchte greulich und gehorchte nur zögernd, meinte dabei: „In meinem Koffer befinden sich nur Bücher. Wollt Ihr etwa in den Skrubs Weltgeschichte studieren?! – Ich bin Bücherreisender, damit Ihr’s wißt.“

Allan Wrack zielte auf den Kopf des Schwarzbärtigen.

„Wenn bei drei der Koffer nicht hier auf der Straße liegt, blase ich Ihnen eine Kugel durchs Hirn!“ erklärte er kurz.

Der Mann beeilte sich jetzt, stand nun oben auf dem blechbenagelten Dach und nahm seinen mittelgroßen Koffer auf, der recht schwer sein mußte. Trotzdem handhabte er ihn spielend. Er mußte wahre Bärenkräfte besitzen. Er schwang ihn hoch und … schleuderte ihn blitzschnell nach Allan Wrack. Hätte dieser nicht so scharf auf jede Bewegung des Schwarzbärtigen aufgepaßt, würde ihm der Koffer gerade auf den Kopf gesaust sein. So aber sprang er nur zur Seite, drückte im Sprunge ab …

Der Schuß und der Aufschrei des Mannes oben erklangen fast zusammen. Allan hatte diesem eine Kugel mitten durch die rechte Hand gejagt.

Die dicke Person heulte jetzt vor Angst, sank in die Knie und flehte weinerlich: „Ich will Euch gern 100 Pfund (Sterling gleich 2000 Mark) geben, nur tun Sie mir nichts an. So viel Geld habe ich bei mir. Meine Brillanten sind sämtlich unecht, Master Wrack …“

Der Buschklepper wartete, bis der Schwarze wieder in der Reihe stand und sagte dann zu der Dicken:

„Hier – legen Sie all Ihren Schmuck in meinen Hut – los denn! Auch das Geld! Finde ich nachher auch nur eine Kleinigkeit von Wert bei Ihnen, nehme ich Sie mit und lasse Sie von Ihrem Manne, Yallerpools berüchtigstem Wucherer, auslösen!“

Zitternd gehorchte das Weib. – Allan Wrack fragte nun in höflichstem teilnehmenden Ton das verweinte junge Mädchen:

„Miß, Sie scheinen irgend ein Herzeleid zu haben. Vertrauen Sie sich mir ruhig an. Sie sehen, ich habe die Macht, Ihnen zu helfen.“

„Oh, Master Wrack,“ klagte sie unter neuen Tränen. „Mir ist bitter Unrecht geschehen. Ich wurde vor drei Monaten von Frau Jahrop als Erzieherin verpflichtet. Ihr Mann stellte mir jedoch dauernd nach, und als ich dann kündigte, behauptete er, ich hätte ihm einen Brillantring gestohlen. Der Ring fand sich auch in meinem Koffer. Master Jahrop hat ihn dort natürlich selbst hineingetan, um mich zu verderben …“

„Freche Lüge!!“ kreischte die Dicke. „Mein Mann ist mir treu, und aus so semmelblonden Küken macht er sich überhaupt nichts …“

Allan Wracks Pistolenmündung beschrieb einen Bogen – gerade auf Frau Jahrops Brust zu. „Noch ein einziges Wort, und Sie sind eine Leiche!“ sagte er mit einem verächtlichen Lächeln. Dann wendete er sich an das Mädchen: „Miß, ersparen Sie sich weitere Worte, die Sie noch mehr erregen. Ich habe zufällig alles erfahren, was man Ihnen angetan hat. Ein Freund von mir hörte Ihre Leidensgeschichte in Yallerpool. Sie haben vierzehn Tage in Untersuchungshaft gesessen; dann hat man Sie wegen Diebstahls verurteilt, und nun soll die Sache vor dem Oberrichter in Olmaruku nochmals in der Berufungsinstanz verhandelt werden. Der Sergeant da bringt Sie nach Olmaruku zur Gerichtssitzung, und Frau Jahrop ist als Zeugin geladen, während deren Mann bereits im ersten Verfahren seine Aussage gemacht hat und … bemeineidigt hat.“

Frau Jahrop zitterte vor Wut. Aber sie schwieg.

Allan Wrack befahl nun dem Kutscher, mit den anderen Passagieren weiterzufahren; Frau Jahrop, Webster, den Bücherreisenden und das Mädchen würde er mit in den Busch nehmen.

Der Wagen rollte im Galopp davon, entschwand bald in der Ferne. Nun meinte Allan, indem er auf die dicke Vogelscheuche und den Sergeanten deutete:

„Was Sie beide angeht, so habe ich mir’s wieder anders überlegt. Sie können Ihren Weg fortsetzen. Schade, daß die Postkutsche schon außer Sicht ist. Es wird etwas beschwerlich werden, bis zur nächsten Station zu Fuß zu gehen. Aber – Ihrer Gesundheit wird es nur zuträglich sein. – Bitte – Sie können sich empfehlen! So … fort!! Verstanden!! Und wagen Sie nicht, sich umzudrehen …!“

Die beiden schritten hastig davon. Webster schimpfte, und die Dicke half ihm keuchend und schwitzend. Es gab keine Beleidigung, die Sie nicht für diesen verfluchten Lumpen von Buschklepper hervorsuchten.

Auf der Stelle des Überfalls befanden sich jetzt noch Allan Wrack, sein Falbe Röschen, das hellblonde Fräulein und der Schwarzbärtige. Diesem verband Allan zunächst die blutende Hand, fesselte ihm die Arme kreuzweis über der Brust und stieß dann einen gellenden Pfiff aus.

Aus dem Skrub setzte mit tadellosem Sprung ein jugendlicher Reiter über den Straßengraben. Es war Harry Fleat.

Allan verständigte sich leise mit ihm. Dann nahm er das Mädchen etwas abseits.

„Miß, ich werde Ihnen helfen,“ sagte er freundlich. „Sie müssen dann freilich einige Zeit mein Gast sein.“

Vertrauensvoll schaute sie ihn an. „Ich habe genug über Sie in den Zeitungen gelesen, Master Wrack,“ entgegnete sie einfach. „Sie werden der ritterliche Buschklepper genannt. Ich folge Ihnen gern. – Ich heiße Anni Müller, Master Wrack, bin eine Deutsche. Sie sollen ja wohl auch ein Deutscher sein.“

Er reichte ihr herzlich die Hand. „Ich freue mich, eine Landsmännin heraushauen zu können, Fräulein Anni,“ sagte er in deutscher Sprache.

Dann wurde aufgebrochen. Des Schwarzbärtigen Koffer mußte Harrys Pferd schleppen. Harry war es auch, der den Gefangenen und Anni Müller nach dem alten Lagerplatz in den Felsenhügeln führte. Allan Wrack hatte etwas anderes vor und wollte nachkommen.

 

3. Kapitel.

Doch einmal überlistet …

Das Haus Master Ephraim Jahrops lag etwas außerhalb des Städtchens, war von einer hohen Mauer umgeben und wurde Tag und Nacht von drei riesigen Bulldoggen bewacht.

Zwei Stunden nach dem Überfall auf die Postkutsche läutete ein Mann im langen, leichten Regenmantel an der Mauerpforte des Jahropschen Besitzes. Wütendes Hundegebell folgte dem Anschlagen der Zugglocke. Dann Schritte und eine Stimme durch das Guckloch der Tür:

„Was wünschen Sie?“

„Master Jahrop sprechen.“

„Ich bin Ephraim Jahrop.“

„Das kann jeder sagen. – Ihre Frau schickt mich. Ich traf sie unterwegs auf der nächsten Poststation. Ich soll Ihnen Wichtiges bestellen. – Ich bin Sam Burkley, Detektiv aus Olmaruku. Als Ausweis hat Ihre Frau mir diesen Brillantring mitgegeben. – Unsere Unterredung dürfte längere Zeit in Anspruch nehmen, Master. Sie befinden sich in Gefahr. Und gerade ich …“

Ephraim Jahrop hatte den Ring sogleich erkannt. Als er nun das Wort Gefahr hörte, ließ er den Detektiv schnell ein, da er bei seinem schlechten Gewissen alle Ursache hatte, eine ernste Botschaft seiner Frau nicht in den Wind zu schlagen.

Er führte den Detektiv, der unter dem Regenrock Überschnallgamaschen und an den braunen Schuhen zierliche, klingende Silbersporen, auf dem blonden Kopf aber einen Panama und den blonden Schnurrbart etwas nach oben gekämmt trug, in sein Arbeitszimmer, bot ihm eine Zigarre an, die der Gast als Nichtraucher jedoch ablehnte, und fragte nun, nachdem sie sich gesetzt hatten, was denn eigentlich geschehen sei.

„Master Jahrop,“ meinte der Detektiv, der seinen Gummimantel anbehalten hatte, sehr ernst, „bei Ihnen soll eine Haussuchung nach Darlehnsurkunden abgehalten werden. Der Oberrichter in Olmaruku hat Kenntnis von verschiedenen Fällen, in denen Sie Wucherzinsen genommen haben. Da ich auf Ihre Dankbarkeit rechnete, teilte ich dies in aller Eile Ihrer Frau mit. – Auch die Sache mit der Anni Müller steht für Sie faul. Sogar sehr faul! Weshalb – weiß ich nicht. Sie sollen aber wegen Meineids, weil Sie den Diebstahlsverdacht künstlich hervorgerufen haben, in Untersuchungshaft kommen.“

Der dürre, lange Jahrop, dessen Gesicht dem eines alten Habichts glich, war ganz grau vor Schreck geworden.

„Meine Frau will also, daß ich Ihren Rat befolge …?“ stotterte er verstört.

„Ja. – Ich werde die belastenden Papiere an mich nehmen, bis alles vorüber ist. Bei mir gehen Sie ganz sicher, denn ein Beamter, der sich bestechen läßt, kommt ins Zuchthaus. Wir haben also gegenseitig nichts zu fürchten.“

„Gut – gut. – Aber … Anni Müller? Was wird aus der Geschichte?“

„Hm. Das muß ich mir erst überlegen. Aber ich finde schon noch das Richtige … – Jetzt holen Sie die Papiere. Und – wenn Sie wiederkommen, hoffe ich Sie dadurch freudig überraschen zu können, daß wir auch Anni Müller erledigen. – Wo haben Sie die Papiere verwahrt?“

„Im Stall,“ grinste der Wucherer voller Zuversicht, daß der Detektiv alles ins Reine bringen würde. Dann verließ er das Zimmer, kehrte aber sehr bald mit einer kleinen Glanzledertasche zurück.

Er kehrte zurück, schloß die Tür und sagte zu seinem Gast:

„So, da hätten wir …“

Das nächste Wort blieb ihm im Halse stecken. Denn auf dem Stuhl saß jetzt einer, der … im rechten Auge ein Monokel trug, der den Mantel weit geöffnet hatte, so daß darunter Allan Wracks berühmter graugrüner Jackenanzug nebst Kragen und grüner Krawatte zu sehen kam, und der in der rechten Hand eine Pistole hielt.

„Keinen Laut, Master Jahrop!“ meinte der Buschklepper drohend und zielte auf des Wucherers Stirn. „Sie haben da über der Nase eine Warze. Soll ich sie Ihnen durch eine Kugel wegoperieren?“

Jahrop zitterte wie Espenlaub.

„Setzen Sie sich!“ befahl Allan weiter. „Legen Sie die Arme nach hinten.“

Er band sie mit einem dünnen Riemen an den Stuhl fest. Dasselbe tat er mit den Füßen. Dann nahm er Jahrop das bunte Schnupftuch aus der Tasche und schob es als Knebel zwischen die Zähne.

„So,“ meinte er, indem er die Glanzledertasche aufhob. „Nun folgendes. Das hiesige Gesetz gestattet die Rücknahme eines Strafantrags wegen Diebstahls gegen Hausangestellte noch im Berufungsverfahren. Sie werden also innerhalb drei Tagen den Strafantrag gegen Anni Müller zurücknehmen, oder aber ich liefere diese Papiere dem Oberrichter in Olmaruku aus. – Das wäre alles. Behalten Sie mich in gutem Andenken, Master Jahrop, und – wuchern Sie nie mehr, sonst – sehen wir uns wieder! All diese Darlehnsscheine und Wechsel werde ich verbrennen, nachdem ich Ihre Opfer benachrichtigt habe, daß Allan Wrack … die Schuld getilgt hat.“

An der Tür wandte er sich nochmals um. „Sollten Sie nicht gehorchen, so wird meine Kugel Sie zu finden wissen, Ephraim Jahrop! Merken Sie sich’s!!“

Er trat in den Flur hinaus. – Da – gerade über seinem Kopf hing die Glocke der Mauerpforte – da schlug diese Glocke wie toll an.

Ein schwarzer Diener stürzte herbei, wollte öffnen gehen. Allan hielt ihn fest. „Ich werde sehen, wer draußen ist, Freundchen. Dein Herr wünscht nicht gestört zu werden.“

Die Hunde hatte Jahrop eingesperrt. Allan eilte dem Ausgang zu, schob den Deckel des Gucklochs beiseite und … erblickte die knallroten Rosen von Frau Jahrops Riesenhut.

Er öffnete, lächelte, verbeugte sich und sagte: „Ihr Mann erwartet Sie … Wir haben soeben sehr nett von Ihnen gesprochen …“

Frau Jahrop kreischte auf:

„Allan Wrack …, Sie … Sie!!“ – Sie fand so schnell kein Schimpfwort, das zu dieser Situation gepaßt hätte.

Plötzlich lief sie ins Haus, brüllte:

„Die Hunde heraus …!! Die Hunde …!!“

Allan dachte: „Es ist besser, ich trabe etwas!“ Und er schwang sich im nahen Busch dann gerade auf sein Röschen, als die Bulldoggen seine Fährte gefunden hatten. Die spaltnasigen Bestien gaben die Verfolgung jedoch bald auf. – –

Sergeant Webster und Frau Jahrop hatten Glück gehabt. Als Allan Wrack sie weggeschickt hatte, trafen sie auf der Straße bereits nach zehn Minuten den Wagen eines Krämers aus Yallerpool, der nach Hause fuhr und sie mitnahm.

Webster war kaum auf der nächsten Polizeistation angelangt, als er von dort aus die Polizeiwachen der Umgegend telephonisch alarmierte und mit seinen Kollegen ein großes Kesseltreiben auf Allan Wrack verabredete.

Allan vermute Ähnliches, war noch vorsichtiger als sonst und hatte auch Harry ermahnt, ja recht wachsam zu sein. Als er jetzt durch Skrubstrecken und Hürden dem Lager zuritt, war es Mittag geworden. Die Sonne brannte glühend heiß vom lichtblauen Himmel herab. Allan kaute ein paar Keks und trank aus der Feldflasche den lauwarmen Kaffee. Seine Augen glitten überall hin. Nichts entging ihnen. Er überquerte jetzt eine weite, kahle Sandfläche, auf der nur einzelne Büsche und die merkwürdigen Grasbäume standen, die wie riesige Blumentöpfe aussehen. Einige Kasuare scheuchte er aus einer Bodenvertiefung auf, diese straußähnlichen, hochbeinigen Vögel, ebenso eine Känguruhherde von acht Tieren, die nun hinter den Kasuaren herstürmten.

Plötzlich änderten die Flüchtlinge die Richtung, bogen scharf nach rechts ab. So plötzlich geschah dies, daß Allan überzeugt war, in jenem größeren Buschstreifen etwa achthundert Meter vor ihm müßten Menschen stecken. Denn Raubtiere gibt es in Australien nicht, denen die Kasuare und Känguruhs hätten ausweichen wollen. Nur auf der zu Australien gehörigen Insel Tasmania kommt der Beutelwolf vor, der genau wie die Känguruhs seine Jungen in einer Bauchtasche mit sich trägt.

Allan ritt trotzdem weiter. Abermals trabte Röschen abwärts in eine Mulde hinein. Hier aber, wo er von jenem Buschstreifen nicht beobachtet werden konnte, kitzelte er den Falben mit den Sporen, jagte im Galopp nach Norden zu, während er bisher eine westliche Richtung verfolgt hatte. Die Mulde ging in lichtes Gebüsch über. Und fünf Minuten später kroch Allan auf allen Vieren von rückwärts dem Orte zu, vor dem die langbeinigen Vögel und die Känguruhs so jäh sich zur Seite gewandt hatten.

Zuerst bemerkte er zwei Pferde. Sie verrieten sich durch Schnauben und Stampfen. Er sah sofort, daß es Gäule von Polizisten waren. Sie trugen Dienstsättel mit einer eingebrannten Nummer. Gleich darauf fand er auch ihre Herren. Sie lagen am Rande des Buschstreifens, die Büchsen im Arm, und tauschten gelegentlich ein paar Worte aus.

Allan erkannte Sergeant Jonny Blacks knarrende Stimme. Der andere war Tom Greep.

„Der Schuft wird sich dort gelagert haben,“ meinte Black. „Er müßte sonst längst hier sein. Warten wir noch eine Weile. Vielleicht schläft er ein. Dann haben wir leichteres Spiel.“

Der Mischling Greep sog an einer Zigarette, sagte nach ein paar Sekunden:

„Diesmal kriegen wir ihn sicher, Sergeant. Gut, daß wir ihn kommen sahen.“

„Na – jedenfalls drücke ich ab, wenn er auch nur die Ohren bewegt. Webster wird schön spucken, daß wir ihm den Vogel, für den er die Leimruten bestellt hat, wegfangen.“ Er steckte sich gleichfalls eine Zigarette an. Und wieder nach einer Weile lachte er höhnisch auf.

„Dem langen Amerikaner werden nun wohl die Heiratsgedanken vergehen …! Und Antje wird sich die Augen rot weinen, wenn er erst in der Hanfkrawatte hängt. Mag sie …! Mich hat sie immer behandelt, als sei ich ein Scheusal … Ja, ja, der Jonny Black versteht seinen Kram …! Die Kugel, die der Doktor rausgemeißelt hat, paßt genau in Andrew Holkys amerikanischen Cold-Revolver hinein. Und ein Alibi hat er nicht. Er sitzt fest …! Cold-Revolver gibt’s hier sonst nirgends. Wer schleppt sich auch mit so veralteten Donnerbüchsen herum! – Natürlich hat der Bursche den Fremden nur deshalb beraubt, um Antje heiraten zu können … Es wird ’ne feine Hochzeit werden – am Galgen!!“

Allan wußte genug, kroch rückwärts, nahm die Polizeipferde am Zügel und suchte Röschen wieder auf.

Black erhob sich nach fünf Minuten. „Vorwärts, Tom, – jetzt wird der Halunke vielleicht eingeschlafen sein …“

Greep warf den Zigarettenstummel weg. Plötzlich Blacks aufgeregte Stimme:

„Da – – da – –, der … der Lump …!! Unsere Pferde …!!“

Allan Wrack war nach der Mulde zurückgeritten und sprengte nun in sicherer Entfernung an dem Buschstreifen vorbei. Die Polizeigäule hatte er an der Leine hinter sich.

Black wurde blaurot vor Wut. „Dieser Schuft steht mit des Teufels Großmutter im Bunde …!!“ brüllte er. „Nun können wir zu Fuß heim nach Bulleyhill, sind wieder die Blamierten …!!“

Allan nahm die beiden Pferde bis zur nächsten Schafhürde mit, ließ sie hier frei und setzte seinen Weg fort. Als er einen flachen, lehmigen Bach erreichte, ritt er im Wasser eine halbe Meile nordwärts, umwickelte dann Röschens Hufe mit häufiger benutzten Stücken einer Wolldecke, suchte harten Boden zum Verlassen des Baches aus und war sicher, daß selbst ein Indianer vom Schlage der Lederstrumpf-Rothäute seine Fährte nicht gefunden hätte. – –

Unter den gleichen Vorsichtsmaßregeln hatte Harry den Gefangenen und das Mädchen nach dem Lager in den kahlen, steinigen Hügeln geführt. Der Schwarzbärtige war unterwegs durchaus gefügig und auch recht schweigsam gewesen. Desto lebhafter arbeiteten seine Gedanken. Immer wieder überlegte er sich, weshalb Allan Wrack ihn mit nach seinem Schlupfwinkel schleppte. Wollte er sich noch weiter an ihm des Kofferattentats wegen rächen?! War’s nicht schon genug, daß der Buschklepper ihm den Handrücken durchlöchert hatte?! – Er grübelte und grübelte. Er sagte sich: Allan Wrack hat noch nie einen Menschen gemordet. Jedenfalls weiß man nichts davon. Was also hat er mit Dir vor? – Seine Gedanken änderten sich bald. Er überlegte, ob er nicht irgendwie fliehen könnte. Dieser Junge, der ständig hinter ihm herschritt und ihm gelegentlich die Marschrichtung angab, war doch kein ernst zu nehmender Wächter! – Plötzlich ein Gedanke: auf alle Fälle wollte er für die berittene Polizei, die doch sicher hinter dem Straßenräuber her sein würde, eine auffällige Spur hinterlassen. – In seiner Brusttasche steckten ein paar Zeitungen. Mit der gesunden Linken konnte er sie erreichen, riß nun kleine Stückchen ab, ballte sie etwas zusammen und ließ sie überall da, wo der Boden die Spuren wenig annahm, zu Boden fallen. Dies tat er besonders dicht vor dem Lager in den Felsenhügeln.

Als der Schlupfwinkel erreicht war, band Harry die Gefangenen an ein Felsstück und begann sofort für das junge Mädchen aus Zweigen eine geräumige Hütte zu errichten, die, in einem geschützten Winkel aufgestellt, Anni Müller ein freundliches Notquartier bot. Nachdem er sie auch mit Speise und Trank versorgt und auch den Gefangenen gesättigt hatte, verbarg er dessen fast einen Zentner schweren Koffer außerhalb des kleinen Tales in einer Felsspalte. So hatte Allan Wrack es befohlen.

Der Schwarzbärtige sah den Knaben mit dem Pferde, dem der Koffer wieder aufgeladen war, die Schlucht verlassen. Darauf hatte er nur gewartet. Harry hatte nämlich bei der Auswahl der Stelle, wo er den Gefangenen in sitzender Stellung angebunden, einen Fehler gemacht. Er hatte nicht beachtet, daß das Felsstück, um das die Riemen geschlungen waren, scharfe Kanten besaß. Für einen Menschen von der Riesenkraft des angeblichen Bücherreisenden war es daher ein leichtes, die aus drei Riemen geflochtenen Lederleinen so weit durchzuscheuern, daß sie bald unter dem Druck seiner Muskeln rissen.

Anni Müller hatte sich in die Hütte gelegt und schlief. Sie fühlte sich hier geborgen. Und bevor ihr die Lider zufielen, hatte sie immer nur an den ritterlichen Buschklepper gedacht, an diesen in vieler Beziehung rätselhaften Menschen, der ihr Landsmann war und der so wundervolle, klare Augen und ein so bestrickendes Wesen hatte … –

Der Schwarze war schnell bis zu der Hütte gehuscht, hatte die Bewohnerin fest schlafend gefunden und war dann dem Ausgange der Schlucht zugeeilt. Dieser bildete einen schmalen Kanon von etwa drei Meter Höhe. Der Bärtige legte sich oben flach an den Rand der einen Steilwand des Engpasses zwischen ein paar Distelstauden.

Zehn Minuten verstrichen. Dann Hufschläge. Harry erschien, sein Pferd am Zügel führend. Da – riß ihn jemand zu Boden, würgte ihn, daß er bald das Bewußtsein verlor. Der angebliche Reisende war ihm von oben auf den Rücken gesprungen …

Der Sieger lachte höhnisch, lud den Knaben auf die Schulter und warf ihn in der Schlucht ins Gras, fesselte ihn und band ihn mitten in einem niedrigen Gestrüpp an den Wurzelstauden fest. Dann machte er sich auf die Suche nach seinem Koffer. Aber – er fand ihn nicht.

Inzwischen war Harry wieder zu sich gekommen. Er lag so, daß er nur die fahlgrünen Stauden und Blätter um sich hatte. Sehen konnte er nichts von dem, was in der Schlucht vor sich ging.

Nun hörte er Stimmen, vernahm Anni Müllers Hilferufe, dann den raschen Hufschlag eines Pferdes und drei Pistolenschüsse.

Der Schwarzbärtige hatte das Mädchen noch im Schlaf überrascht und war zudringlich geworden. In ihrer Angst hatte sie sich rasch auf Harrys Braunen geschwungen und war geflohen. Reiten hatte sie hier in Australien gelernt, wo fast jeder Knirps nach neun Jahren schon sattelfest ist. Die ihr nachgefeuerten Kugeln gingen fehl.

Der Schwarze tobte vor Ingrimm. Verwünschtes Pech!! Nun war auch der Gaul hin, auf dem er hatte die nächste Ansiedlung aufsuchen wollen! Und auch der Stutzen des Jungen hatte noch am Sattel gehangen …!

Er überdachte seine Lage. Am besten, er wartete, bis entweder die Polizisten oder der Buschklepper selbst hier erschien. – –

Allan Wrack näherte sich der Schlucht sehr langsam. Er hatte vorhin bereits die Papierfetzen bemerkt, ahnte, daß der Gefangene diese List ersonnen. Jetzt bog er links ab, band Röschen in einem Gebüsch an und kroch auf Umwegen bis zum Nordrande des Tales, hatte von hier dann einen Überblick über den ganzen Schlupfwinkel.

Ah – da lag ja der schwarzbärtige Kerl lang ausgestreckt zwischen zwei Felsblöcken …! Allan sah die Riemen, die um die Steine geschlungen waren. – Und dort hatte Harry für das Mädchen die Hütte aufgebaut. – Aber wo war Harry? – Vielleicht gerade mit dem Koffer unterwegs, um ihn zu verbergen … – Und Anni Müller würde wohl nach all den Aufregungen sich in der Hütte ausruhen …

So dachte Allan, holte seinen Falben und betrat die Schlucht, sattelte Röschen ab und ließ sie grasen. Dann schritt er auf den Gefangenen zu.

Der hatte hier gezeigt, daß er kein zu verachtender Gegner war, hatte Allan von weitem erspäht und Harry schnell mit Zweigen bedeckt, sich selbst aber ganz das Aussehen eines wehrlos Daliegenden gegeben.

Allan blieb vor ihm stehen.

„Wie heißen Sie?“ fragte er und steckte sich eine der Zigaretten an, die er in der Satteltasche des einen Polizeigauls gefunden.

„Tom Fraser,“ entgegnete der Mann bereitwillig.

„Was sind Sie?“

„Schlauer als Du, Halunke …“ Wie ein Blitz war Fraser hoch, hielt nun mit der Linken Allan Wrack die Pistole vor die Brust, rief: „Hände hoch, oder es knallt!!“

„Hm – allerhand Achtung!“ meinte Allan und gehorchte. „Sie haben mich überlistet. Das kommt nicht oft vor.“

„Kehrt!“ befahl Fraser. „Arme auf den Rücken legen, Hände abspreizen …“

Gleich darauf teilte Allan Wrack Harrys Schicksal – war gefesselt und zwar so brutal eng, daß ihm das Blut unter den Riemen an den Handgelenken hervorquoll. Dann schleppte Fraser auch den Knaben herbei, legte ihn hohnlachend neben Allan …

„Da seid ihr wieder vereint, Ihr Schufte! Hoffentlich baumelt Ihr auch an demselben Galgen …“

„Ausgeschlossen!“ meinte Allan Wrack gelassen. „Wir werden noch manche Postkutsche anhalten, ehe es ans Baumeln geht. Erst kommen andere dran …“

Fraser zuckte leicht zusammen. „Andere? – Wer zum Beispiel?“

„Na – erstmal der Andrew Holky, der wegen Mordes verhaftet ist … Man hat nicht allzu weit von hier einen Toten gefunden, und dem hat der Holky das Lebenslicht ausgeblasen …“

„So, so. – Ihr beide werdet dann jedenfalls die nächsten sein … Straßenraub mit bewaffneter Hand wird mit …“

„… nur mit Zuchthaus bestraft,“ ergänzte Allan. „Also redet keinen Unsinn. Im übrigen: Euer Verband da muß erneuert werden! Eure Hand war schlecht gewaschen, und ich rate Euch, damit nicht eine Blutvergiftung hinzutritt, von mir diesen Samariterdienst anzunehmen. Ihr seht, wie besorgt ich um Euer Leben bin … Es ist mir sehr wertvoll …!!“

Fraser zuckte die Achseln. „Du bist ein Narr, ein Phrasendrescher! – Ich werde mich hüten, Dir die Hände freizumachen. Dazu bist Du zu gefährlich!“

Er ging davon, setzte sich ins Gras, rauchte nun ebenfalls eine Zigarette und kam dann wieder zu seinen Gefangenen, erklärte nun:

„Ich muß meinen Koffer wiederhaben – sofort! Du kleiner Spitzbube hast ihn versteckt. Führst Du mich nicht dorthin, so schieße ich Dir eine Kugel vor die Stirn, so war ich Tom Fraser heiße!“

Ihm war’s ernst mit dieser Drohung. Und vielleicht hätte Harry nachgeben müssen, wenn nicht in diesem Augenblick zwei Reiter und zwei Männer zu Fuß die Schlucht betreten hätten. – –

Black und der Mischling hatten Glück gehabt. Auf dem Rückwege nach Bulleyhill waren dem scharfäugigen Greep an einer steinigen Stelle die Papierstückchen aufgefallen. Bald hatten sie festgestellt, daß hier drei Menschen und ein Pferd vorübergekommen waren, nahmen die Fährte auf und waren ihr dann vielleicht eine Stunde gefolgt, als hinter ihnen Sergeant Webster und ein anderer Polizist auftauchten.

Gemeinsam ging’s nun weiter. Und als gerade die Sonne hinter den felsigen Anhöhen verschwand, hatten die vier die Schlucht gefunden.

Fraser erstattete kurz Bericht. Nur – den Koffer erwähnte er nicht.

Black und Webster, die ihren alten Gegner Allan Wrack nun so wehrlos vor sich hatten, konnten sich gar nicht genug tun mit höhnischen Redensarten.

Allan schwieg beharrlich, raunte nur Harry zu:

„Nichts über den Koffer, kleiner Freund …!“

 

4. Kapitel.

Der Reiter mit der Maske.

Allan und Harry wurden am anderen Morgen unter allen nur erdenklichen Vorsichtsmaßregeln nach Yallerpool als dem nächsten Städtchen geschafft.

Webster hatte schon vorher das Ehepaar Jahrop von der Gefangennahme Wracks benachrichtigt, und die Jahrops hatten sich aus Freude darüber einen Rausch angetrunken. Doch – die Enttäuschung kam nach. Umsonst forschte Jahrop nach jener Glanzledertasche und den Papieren. Man hatte bei Allan nichts gefunden. Und – allzu eifrig durfte Ephraim Jahrop nicht nach diesen Dingen fragen, die ihn selbst ins Gefängnis bringen konnten, wo jetzt Allan Wrack und sein kleiner Gefährte, jeder in einer Zelle, saßen.

Die Suche nach Anni Müller war ebenfalls umsonst gewesen. Die Polizei fürchtete, das Mädchen könnte in den großen Yallerpool-Skrub geraten sein, sich dort verirren und elend umkommen, wie es schon vielen in dieser eintönigen, endlosen Wildnis gegangen war.

Zwei Tage blieben Allan und Harry in Yallerpool. Dann wurden sie nach Olmaruku verladen, wo sie abgeurteilt werden sollten. Am Morgen fuhr eine Postkutsche vor dem Gefängnis vor. Halb Yallerpool war hier versammelt, denn schon tags zuvor war bekannt geworden, daß der berühmte Buschklepper fortgeschafft werden sollte.

Die Postkutsche bestiegen Black, Webster, Greep und Fraser, nachdem die mit eisernen Handschellen gefesselten Gefangenen hineingehoben worden waren.

Schweigend stand die dicke Mauer der Zuschauer da. Die meisten fühlten etwas wie Sympathie für diesen seltsamen Menschen, der überall, wo er auftauchte, sich als Beschützer der Bedrängten und in Wahrheit als Kavalier gezeigt hatte und der auch jetzt mit beinahe heiterem Blick die Leute ringsum musterte, indem er den Kopf zum offenen Fenster hinauswandte.

Die Postkutsche, heute nur mit vier Pferden bespannt, ruckte an.

Da – eine Stimme aus der Menge:

„Drei Hurras für den ritterlichen deutschen Buschklepper!“

Und wirklich: alles brüllte mit, schwenkte Hüte und Tücher …

So verließ Allan Wrack Yallerpool und fuhr dem Zuchthause entgegen … –

Die drei Polizisten und Fraser saßen auf der einen Bank, die Gefangenen auf der anderen.

Webster, der gern einen über den Durst trank, gedachte jetzt hier so eine kleine Siegesfeier zu veranstalten und Allan Wrack damit zu ärgern. Er hatte vier Flaschen Schnaps mitgenommen, Zigarren und allerlei Eßwaren.

Sehr bald begannen die vier denn auch den Aluminiumbecher kreisen zu lassen, prosteten Allan ironisch zu und fühlten sich sicher wie in Abrahams Schoß. Stahlfesseln sind keine Riemen …! Das Kunststück sollte ihnen mal einer vormachen, aus der Postkutsche mit solchen Arm- und Fußbändern zu entschlüpfen …!!

Allan Wrack schwieg heute zu Harrys Erstaunen durchaus nicht auf die Sticheleien seiner Gegner. Nein – in witzigster Weise parierte er ihre plumpen Scherze, und bereits nach der dritten Poststation meinte Webster, Allan auf den Schenkel schlagend:

„Buschklepper, du bist ’n feiner Kopf! – Da – trink!“

„Danke – ich muß nüchtern bleiben,“ lehnte Allan ab und lächelte den Sergeanten harmlos an.

Die vier spielten jetzt Karten, hatten als Tisch eins der Wagenpolster über ihre Knie und den Sitz gegenüber gelegt.

In der Kutsche herrschte bald eine fürchterliche Hitze. Zudem trieb der Wind ständig dicke Staubwolken hoch, so daß durch die geöffneten Fenster der graue Straßenschmutz in Menge hereinwehte.

Webster schnallte den Riemen ab, warf ihn in die Ecke, knöpfte den Rock auf. Die anderen machten’s ihm nach. Sie schwitzen, daß sie sich immer wieder die Augen wischen mußten.

Allan wartete … Er wußte: etwas würde sich fraglos ereignen. Er hatte ja in den Menschenmassen vor dem Gefängnis ganz vorn eine schmächtige Gestalt in schmutzigem Leinenanzug stehen sehen. Der Anzug war an Harrys Sattel angeschnallt gewesen, war des Jungen Verkleidung.

Allan wartete und dachte: „Es wäre ein tolles Stück, und es gehört Schneid dazu …“ –

Da, eine halbe Meile hinter der vierten Station, taucht urplötzlich aus den hochwirbelnden Staubmassen[1] ein Reiter auf …

Ein Schuß fällt. Eins der Vorderpferde bricht zusammen, und der Wagen steht wie angemauert …

Der Reiter hat eine aus blauem Tuch geschnittene Maske vor dem Gesicht, sitzt auf einem Braunen, trägt einen schmierigen Anzug und eine zerknitterte Reisemütze.

Sein Stutzen ist jetzt auf die vier Spieler gerichtet.

„Hände hoch!“ ruft er dumpf. „Aussteigen – in einer Reihe sich aufstellen – vorwärts!“

Die Revolver der Beamten liegen samt den Riemen in der Wagenecke.

Webster sitzt ganz dicht an der Tür, zögert etwas.

Da – eine Kugel pfeift über ihn weg …

Das hilft. Die vier klettern hinaus.

Und wieder die dumpfe Stimme des Reiters, der noch so blutjung der Figur nach zu sein scheint:

„Sergeant Webster, öffnen Sie den Gefangenen die Handschellen …!“

Webster gehorcht. Allan und Harry hatten sofort Revolver in den Händen.

Die Partie ist für die Polizisten abermals verloren.

Der Reiter wirft jetzt die Maske weg. Und darunter kommt ein … Mädchengesicht zum Vorschein; es ist … Anni Müller …

Webster knickt zusammen. „Auch das noch! Gerade ein Mädel …!“ brüllt er auf. „Hölle und Teufel, Black, – man wird uns aus dem Dienst jagen, ohne Zweifel!“

Allan hat dem Mädchen, das sich das Haar ganz kurz geschnitten hat, die Hand gereicht, nickt ihr zu. Dankesworte spart er sich für später auf.

Dann muß Harry die Pferde abschirren, während er die vier Gefangenen bindet. Den Postillon läßt er ungeschoren. Der Mann ist ein Neger und sieht durchaus harmlos aus.

Mitten im Skrub hat das Mädchen den Wagen angehalten. Und tief hinein in die Wildnis ziehen Allan und seine Gefährten mit den vier Männern und den drei Wagenpferden. Erst gegen Abend wird haltgemacht. Ein Dickicht von Pfeildornen, übermannshoch, mit Stacheln von Handlänge, nimmt den Trupp auf.

Allan verlangt von Webster Auskunft, was aus Röschen geworden, seinem Falben.

„Master Jahrop hat das Pferd und auch die Waffen gekauft,“ erklärt der völlig gebrochene Sergeant, der eine Entlassung mit Schimpf und Schande vorausahnt.

Allan Wrack besteigt den Braunen Harrys, nachdem er diesem und Anni Müller kurz Bescheid gesagt hat, und reitet eiligst davon.

Jonny Black kann sich nicht enthalten, den beiden Wächtern zu drohen.

„Ich rate Euch, gebt uns frei! Ihr wißt, daß Ihr nie wieder aus dem Zuchthaus in Perth herauskommt! Ich werde dafür sorgen, daß Ihr milde bestraft werdet, wenn Ihr vernünftig seid.“

Harry meint darauf empört: „Wir – wir sollen Allan Wrack verraten …!! – Schweigen Sie! Sie kennen ihn nicht. Er ist der beste, edelste Mensch. Und – er wäre auch ohne des maskierten Reiters Eingreifen freigekommen, damit Sie’s nur wissen!! Ich habe genau gesehen, daß er die rechte Hand schon aus der Stahlfessel einmal probeweise herausgedreht hatte. Er kann seine Hand ganz schmal zusammendrücken, und absichtlich hat er die Schweißtropfen von seiner Stirn immer auf den Handrücken fallen lassen, um die Haut feucht zu machen. Hätte er dann erst einen Ihrer Revolver in den Fingern gehabt, … na, – das Weitere können Sie sich selbst denken …!!“ – –

Allan Wrack ritt nach Yallerpool. Zwei Stunden, bis zum Abend, lag er dann im Garten bei Jahrops auf der Lauer. Die Bulldoggen trieben sich nur vorn auf dem Hofe herum. Dann endlich erschien das Ehepaar und genoß im Freien die Abendluft.

Jahrops sprachen über das Entweichen der beiden Gefangenen aus der Postkutsche. Die Kunde davon hatte sich blitzschnell verbreitet. Und die Yallerpooler machten kein Hehl aus ihrer Freude, daß der Buschklepper abermals entkommen war.

„Nun geht die Angst wieder los!“ brummte Ephraim Jahrop. „Der Schuft ist frei, und auch dieses verdammte Weibsbild, die Müller, ist als Schreckgespenst wieder aufgelebt! So eine Kanaille! Und ich Esel habe ihr’s Reiten und Schießen noch beigebracht …!! – Hm – sie hat ihre Hutschachtel noch hier. Wie wär’s, wenn wir in das Futter ihres Filzhutes noch ein Schmuckstück steckten und dieses dann wie durch Zufall finden ließen? Dann ist sie sicher geliefert …!“

Frau Jahrop nickte eifrig

Nach zehn Minuten stand das Ehepaar auf und besichtigte die Melonen hinten am Gartenzaun.

„Sie reifen schön,“ meinte Ephraim. „Australien ist ein gesegnetes Land. Nur den Schuft Allan Wrack wünsche ich zu allen Teufeln.“

Eine Stimme hinter ihnen:

„Dazu haben Sie auch alle Ursache, Master Jahrop.“

Der Dicke fiel beinahe in Ohnmacht.

Allan Wrack hatte es eilig. „Holen Sie mir sofort mein Pferd, meine Waffen, kurz alles, was Sie gekauft haben,“ befahl er dem Wucherer. „Sind Sie in fünf Minuten nicht zurück, wird Ihre Frau es zu büßen haben! Und – keinerlei Verrat! Ich warne Sie! – Mein Monokel befindet sich wohl auch bei den Sachen …“

Jahrop gehorchte. Hauptsächlich deshalb, um dieses unglaublichen Menschen Rache nicht herauszufordern

Allan klopfte Röschen zur Begrüßung den Hals … Und der Falbe wieherte freudig. –

Jahrops kehrten ins Haus zurück. Plötzlich lachte Ephraim laut auf.

„Du – Frau, – ich habe ihn doch hineingelegt, den Schurken! Ich habe die Hufe des Gauls schnell mit Petroleum eingerieben. Die Witterung hält tagelang an, und unsere Hunde werden den Kerl schon aufspüren. Ich laufe sofort zur Polizei.“

 

5. Kapitel.

Vor den Geschworenen.

Das Städtchen Olmaruku mit seinen achthundert Einwohner und liegt am Bache gleichen Namens inmitten einer hügeligen Landschaft.

Am nächsten Abend betrat ein Mann im langen Gummimantel und mit einer zerknitterten Reisemütze auf dem Kopf eine kleine Gastwirtschaft in der Nähe des Gerichtsgebäudes, setzte sich im Schankraum in die dunkelste Ecke und ließ sich einen Whisky-Soda vom Wirt bringen, unterhielt sich dann mit diesem und erfuhr so – was er schon vermutet hatte –, daß die Verhandlung gegen Andrew Holky morgen vormittag stattfinde.

Die Strafgesetzgebung Australiens ist nämlich in einer Beziehung mustergültig. Liegen genügend Beweise gegen einen Übeltäter vor, so muß die Verhandlung umgehend erfolgen. Bei Verbrechern, die auf frischer Tat ertappt sind, sogar binnen 24 Stunden. Dieses Prinzip unterstützt den Zweck jeder Strafe, abschreckend zu wirken, ganz wesentlich. Ein Verbrechen, das erst nach Monaten zur Verhandlung kommt, hat an Interesse für die Volksmassen verloren. Folgt der Tat die Strafe unmittelbar, macht dies einen weit nachhaltigeren Eindruck. –

Deshalb sollte auch Andrew Holky schon morgen vor das Geschworenengericht. – Allan Wrack – denn er war der Mann im Mantel – erfuhr aber auch, das Antje Kaspersen und ihr Vater als Leumundszeugen von dem Verteidiger geladen und hier im Gasthof seit nachmittag abgestiegen waren. –

Antje saß oben im ersten und einzigen Stock in ihrem Zimmerchen am Fenster und starrte trostlos auf die Straße hinab, wo nur armselige Petroleumlaternen brannten. Ihr Herz war wund geworden von all dem Leid. Weinen konnte sie nicht … Nie und nimmer war ja Andrew der Mörder jenes Unbekannten, – niemals!!

Es klopfte an die Tür. Antje hatte sich eingeschlossen. Sie fragte, wer draußen sei, was man wünsche.

Eine halblaute Stimme: „Ein Freund Andrews – Allan Wrack!“

Allan Wrack …!! Er, von dem doch damals, wie in allen Zeitungen gestanden hatte, zwei Verbrecher entlarvt worden waren, – er, der ritterliche Buschklepper …!!

Sie öffnete. – Allan redete hastig auf sie ein. Sie scheute erst den Gang zu dem Oberrichter. Dann – ging sie doch … – –

Harry und Anni Müller warteten nördlich der Stadt in einer verlassenen Goldgräberhütte am Ufer des Olmaruku-Baches auf Allan. Die Gegend hier war ganz einsam; nichts als Sand und Steine, ein paar Grasbäume und einzelne Büsche.

Sie hatten in der Hütte ein Feuer angezündet, kochten Kaffee und unterhielten sich leise. Das Mädchen trug wieder ihr Kleid; nur das Haar, das so ungleich kurz geschnitten war, erinnerte noch an den Reiter mit der Maske.

In einer Ecke lag auf einem Laubhaufen Tom Fraser in leichtem Fieber. Seine Hand war geschwollen und blauschwarz. Er hielt sie in einen Wasserkessel, dessen Inhalt Harry oft erneuerte. Die Linke hatte man ihm auf der Brust festgebunden.

Die drei Polizisten aber waren von Allan heute früh freigegeben worden. Sie wären ihm fernerhin nur lästig gewesen.

Das junge Mädchen näherte sich gerade dem Lager des Gefangenen, als die nur noch halb in den Angeln hängende Tür aufgerissen wurde und insgesamt acht Männer eindrangen, darunter auch Black, Webster, Greep und der vor höhnischem Triumph förmlich geschwollene Ephraim Jahrop.

Widerstand war hier ausgeschlossen. Harry wurde gebunden, und das arme Mädchen bekam Grobheiten zu hören, die ihr die Schamröte ins Gesicht trieben.

Mitten in diese wildbewegte Szene platzte dann Allan Wrack hinein.

Von der Tür plötzlich ein lautes: „Guten Abend, meine Herren …!“

Die Köpfe fuhren herum. Allan lächelte die lieben alten Bekannten Black, Webster und so weiter freundlich an, fügte dann hinzu: „Sie kommen zu spät, meine Herren. Es ist ja sehr anerkennenswert, daß Sie unsere Spur so weit verfolgt haben.“

„Oh – das ist mein Werk!“ krähte Jahrop stolz.

Allan beachtete ihn nicht. „Also – sehr anerkennenswert, nur insofern jedoch zwecklos, als der Oberrichter in Olmaruku mir, Fräulein Müller und Harry bis morgen abend freies Geleit zugesichert hat – schriftlich! Bitte – hier ist der Schein! Und draußen steht Sergeant Stuart aus Olmaruku, den mir der Oberrichter für alle Fälle zu unserem Schutz mitgegeben hat.“

Stuart trat in demselben Moment ein. „Master Wrack spricht die Wahrheit, Webster,“ sagte er zu seinem Kollegen und Duzfreund. „Macht, daß Ihr verschwindet und bindet den Jungen los.“

„Nur Tom Fraser und Ephraim Jahrop bleiben hier,“ erklärte Allan und nahm den Wucherer beim Kragen. „Die übrigen Herren: bitte, dort ist die Tür! Nur werden Sie beide, Webster und Black, erst noch Miß Müller um Entschuldigung bitten wegen der rüden Redensarten von vorhin. Tun Sie’s nicht, so wird Miß Müller Strafantrag wegen Beleidigung gegen Sie stellen. Außerdem werde ich noch deswegen bei Gelegenheit Rechenschaft von Ihnen fordern.“

Die beiden machten gute Miene zum bösen Spiel. Anni Müller wehrte ihre Entschuldigungen jedoch energisch ab.

„Lernen Sie von Allan Wrack, wie man eine Dame behandelt,“ meinte sie. – –

Am nächsten Vormittag war der Gerichtssaal bis auf den letzten Platz gefüllt. Wohl zweihundert Zuhörer standen eng zusammengepfercht da und harrten voller Spannung auf den Verlauf dieses Dramas. Ein Mord war hier seit einem Monat nicht mehr verhandelt worden.

Der Oberrichter eröffnete die Sitzung. Andrew Holky saß gefaßt auf der Anklagebank. Weiter hinten auf der Zeugenbank hatten Antje, ihr Vater und auch Frau Jahrop Platz genommen, die sehr in Unruhe über den Verbleib ihres Mannes war.

„Bevor wir in die eigentliche Verhandlung eintreten,“ begann nun der Oberrichter wieder, „sollen noch ein paar Entlastungszeugen hier vernommen werden.“ Er winkte, und aus dem Beratungszimmer nebenan erschienen Allan Wrack, Anni Müller, Harry, Jahrop und Fraser, letzterer gestützt auf einen Gerichtsdiener.

Ein Staunen ging durch das Publikum, schwoll an zu einem Ruf:

„Er ist’s! Es ist Allan Wrack!“

Der Oberrichter läutete heftig mit seiner Glocke. „Ruhe! – Ich erteile Master Allan Wrack das Wort.“

Allan trat vor die Geschworenenbank.

„Meine Herren, ich werde mich ganz kurz fassen. – Vor zwei Wochen stießen Harry und ich auf zwei Goldgräber, die eifrig den Sand eines Bächleins auswuschen. Wir beobachteten die beiden heimlich eine Weile und freuten uns, daß sie Glück hatten. Der Sand war offenbar sehr goldhaltig. Die Leute ahnten nichts von unserer Nähe. Wir zogen dann weiter, fanden nach Tagen eine Leiche. Dieser Tote war mit einem Revolver sehr großen Kalibers erschlossen worden – einem Cold-Revolver. Als dies feststand, fiel mir ein, daß einer der beiden Goldgräber eine solche Waffe, die an ihrem langen Lauf und dem kurzen Kolben leicht zu erkennen ist, im Gurt gehabt hatte, besann mich auch, daß die Kleidung des anderen mit der des Toten übereinstimmte. Harry brachte heraus, daß der Besitzer des Cold-Revolvers in Yallerpool weilte und mit der Post nach der Küste fahren wollte. Ich hielt den Postwagen an und nahm den Mann mit mir. – Dort steht er. Er heißt Tom Fraser. In seinem Koffer liegen in drei Ledersäcken einige neunzig Pfund Goldkörner. Er ist’s, der aus Habgier den anderen erschossen hat. Er wird nicht zu leugnen wagen, da er ohnedies dem Tode verfallen ist. Seine Handwunde hat eine Blutvergiftung zur Folge gehabt. Er ist nicht mehr zu retten.“

Tom Fraser nickte schwach. „Ich bereue bitter, was ich tat …“

Allan Wrack fuhr fort: „Ich will jetzt auch gleich noch eine andere Sache erledigen. – Dieser elende Schurke und Wucherer hier, Ephraim Jahrop, hat Miß Müller ins Gefängnis bringen wollen. Ich habe ihn und seine Frau vorgestern abend belauscht …“ Es folgte die Geschichte von der Hutschachtel.

„Ephraim Jahrop, geben Sie zu, diese neue Gemeinheit ausgebrütet zu haben?“ donnerte Allan den bleichen Wucherer an. „Geben Sie zu, daß all die Leute, die diese Wechsel und Scheine unterschrieben haben, von Ihnen schamlos ausgeplündert worden sind?“ Er hielt die Glanzledertasche hoch, die er im Sattelfutter Röschens verborgen gehabt hatte.

Jahrop knickte in die Knie, winselte: „Ich … ich will … alles bezahlen …“

Das genügte. Er wurde sofort für verhaftet erklärt, Anni Müller aber als Entschädigung für die unschuldig verbüßte Untersuchungshaft die Summe von 100 Pfund zugesprochen, die Jahrop zu bezahlen hatte.

Nach Verkündigung dieser Entscheidung verbeugte Allan sich vor Richter und Geschworenen.

„Meine Anwesenheit hier ist nicht weiter nötig,“ sagte er höflich. „Ich möchte nur noch Master Kaspersen bitten, Antje zu gestatten, Andrew Holky sofort hier den Verlobungskuß zu geben …“

Es geschah. Und dann verließen Allan, Anni Müller und Harry unter den lärmendsten Beifallsäußerungen des Publikums den Saal.

Im Beratungszimmer drückte der Oberrichter, der ihnen nachgeeilt war, Allan fest die Hand.

„Master Wrack, es sollte mir leidtun, wenn ich Sie hier als … Angeklagten wiedersehen sollte. Geben Sie Ihr jetziges Handwerk auf! Ich stelle Sie sofort als Detektiv an …“

„Bedaure,“ meinte Allan Wrack mit einer Verbeugung. „Ich hoffe, als Buschklepper der Allgemeinheit ebensoviel nützen zu können …“ –

Am Nachmittag schlug auch für Anni Müller die Stunde, wo sie von Allan Wrack Abschied nehmen sollte.

Umsonst hatte sie ihn gebeten, daß er sie als Gefährtin ähnlich wie Harry bei sich behielte. Er ahnte, daß sie ihn liebte. Sie war ja nicht die erste, die in schneller Leidenschaft zu ihm entflammt war. – Ernst und gütig hatte er ihr diesen Gedanken, bei ihm zu bleiben, ausgeredet, bis sie einsah, daß er sich nicht umstimmen ließ.

Sie hatte die beiden Unzertrennlichen dann bis weit vor die Stadt begleitet. Erst sagte sie nun Harry lebewohl, der ungeduldig vorausritt.

Nun waren sie allein, das blonde Mädchen und dieser Mann, dem alle Herzen zuflogen, obwohl er ein Gesetzesverächter, ein Straßenräuber war.

Annis Tränen flossen …

Nochmals bat, flehte sie, rief schließlich: „Mein Leben wird leer, inhaltslos bleiben, wenn ich nicht in Ihrer Nähe sein darf …“

Er drückte ihre kleine Hand.

„Sie werden mich vergessen, Anni, – Sie müssen mich vergessen …!“

Aufschluchzend sank sie da an seine Brust.

„Armes Kind,“ sagte er weich. „Gott schütze Sie! – Leben Sie wohl!“

Er machte sich frei, sprang in den Sattel, jagte davon, – Harry nach, – wieder hinein in die Wildnis, in die Einsamkeit …

Ein schnell verwehender Schrei klang hinter ihm drein … Anni kauerte kraftlos am Boden, war allein mit all ihrer Liebe, ihrem Herzeleid.

Allan Wrack hatte Harry eingeholt.

„Kleiner Freund,“ meinte er, „wir haben einen weiten Weg vor uns. Wir müssen aus dieser Gegend für immer verschwinden. Hier kennt mich jetzt beinahe jedes Kind …“

„Ja – und liebt, bewundert Sie als den ritterlichsten Buschklepper, den es je gab und geben wird …!“

 

Verantwortl. Redakteur: M. Lehmann, Berlin SO 26. – Druck: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 26.

 

 

Anmerkung:

  1. In der Vorlage steht: „Skrubmassen“.