Harald Harst
Band: 365
Von
Max Schraut
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 16,
Michaelkirchstraße 23a
Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1933 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16
1. Kapitel
Wie sie verschwand …
Die näheren Umstände der Flucht des berüchtigten oder berühmten Professors Rolf Assahl – bei dieser geheimnisvollen Persönlichkeit weiß man wirklich nicht, welche Bezeichnung man zur Kennzeichnung seiner Taten wählen soll – werden meinen Lesern und Freunden noch gegenwärtig sein. Derartige Vorgänge vergißt man nicht so leicht, zumal sie ja, wenn man sich noch erinnern wird, mit allerlei mystischen Begleitumständen verknüpft waren. Assahl war ein Mörder, gewiß, aber einer der seltsamsten Menschen, die uns je begegnet waren, und das will viel heißen, da wir leider so ziemlich jede Art Verbrecher kennen. Wenn ich sage ‚wir’, so bezieht sich das nunmehr auf Harst und mich, nicht mehr auf unserem Gast Roland Born, der mich kurze Zeit als Chronist unserer Abenteuer vertreten hatte.
Roland Born ist wieder ausgeschieden. Wie, – das wäre allein für sich genommen schon des Erzählens wert. –
Assahl war entflohen, seine Villa in Schlachtensee-Berlin, ganz abseits gelegen, wurde polizeilich bewacht.
Als wir nach den endlosen polizeilichen Vernehmungen gegen elf Uhr abends heimkehrten, als wir beide dann allein noch einen Imbiß zu uns nahmen, – als mithin Roland Born längst schlief, kam mein Freund so ungefähr nochmals auf die feudale Villa des ‚großen Trias’ zu sprechen.
„Es bleibt doch immer wieder die alte Geschichte, – die Kriminalpolizei bekümmert sich lediglich um greifbare Dinge … Selbst unser Freund Bechert ging an der Buddhastatue ziemlich achtlos vorüber …“
„Na, schön war sie auch nicht gerade ‥!“ verteidigte ich den bekannten Kriminalkommissar, der zweifellos einer der tüchtigsten Beamten vom ‚Roten Alex’ war, wie das Berliner Polizeipräsidium allgemein im Volksmund genannt wird. „Bechert hat das Ding sehr wohl bemerkt, Harald … Er sagte noch zu mir, die Figur sei als Buddhabildnis ziemlich ungewöhnlich …“
Harst, der die Füße bequem auf den nächsten Sessel gelegt hatte, warf mir einen langen Blick zu, – einen sehr langen … Der Blick besagte etwa: ‚Auch du so hühnerblind ‥!’ – Und dann erklärte er plötzlich äußerst lebhaft: „Hoffentlich kommen wir nicht zu spät!“
Und mit einem Satz war er auf den Beinen. „Ich hätte wahrhaftig früher daran denken sollen! Aber das kommt daher, daß man so viel anderes im Kopf hat, was vielleicht nur entfernt mit den Trias etwas zu tun hat …“
– – – Wenn ich vor diesen Satz gleich drei Striche gemacht habe, so soll das nur darauf hinweisen, daß ich mich nicht mit fremden Federn zu schmücken gedenke.
Was nun folgt, ist Geistesprodukt Roland Borns.
… Ist vielleicht sein letzter literarischer, keineswegs zu unterschätzender Versuch, uns aus der Sand … – aber nein, es wäre vom Standpunkt des Autors reichlich ungeschickt, schon hier die Demaskierung einzuleiten.
*
Ich bin eines der Bilder der heiligen Sanduhr, die ich einst vor Jahren in meiner Kindheit geheimnisvollsten Tagen im Buddhatempel zu Srinawir in Indien als Knabe bewundern durfte.
Ich bin ein Gebilde aus kosmischen Bestandteilen, und genau so wie das glitzernde Gerinnsel des uralten Stundenglases beim Herabrieseln aus dem oberen Teil des hellgrünen Gefäßes im unteren Teil auf dem flachen Boden seltsame Figuren zeichnet, ebenso seltsam gestaltet sich unser menschliches Leben im Ablauf der Daseinsjahre.
Ich habe dies an mir selbst erfahren! Säße ich sonst heute nacht hier im fremden Haus im fremden Bett, – würde ich mir sonst wohl den Kopf darüber zergrübeln, weshalb Harst, der doch die Güte selbst ist, mir immer noch mißtraut?!
Er hat mich, den Heimatlosen, bei sich aufgenommen, er hat mir, dem Enterbten des Schicksals, neue Hoffnungen gezeigt wie ferne Wundergestade, – und nun?! … Soll ich wieder umherirren gleich einem Ahasver, – heimatlos, ziellos, ein Vagabund wie vordem?! –
Roland Born heiße ich, – ein Born sollte immer nur eine glückverheißende Bedeutung haben! Man redet so viel davon, daß auch der Name eine symbolische Beziehung zu der Persönlichkeit des Trägers habe! Ich spüre nichts davon!
Harst, der mich bei sich aufnahm und der mich als wertvollen Verbündeten bei seiner Jagd nach dem Großen Trias benutzte, weil ich wie erwiesen an Wahrträumen ‚leide’, falls man diese Fähigkeit als einen seelischen Mangel bezeichnen darf, – Harst wird mich fernerhin ausschalten, und das darf nicht geschehen. Ich habe bei alledem meine eigenen Interessen zu wahren.
Der Mondstrahl, der bisher auf meinem Bett ruhte, ist weitergeglitten, ich drücke den Kopf in die Kissen und schlafe … –
… Der Park des Professors Rolf Assahl, in dem heute ein Todesfall sich ereignete, als eines der Werkzeuge Assahls zu fliehen suchte, ist erfüllt vom Zauberlicht des Nachtgestirns, – die zahlreichen Marmorfiguren schimmern geisterhaft wie Fabelwesen. – Müde lehnt vor der Terrasse ein Kriminalbeamter. Seine Wache hier währt bereits fünf Stunden, – er gähnt immer wieder, er weiß nicht recht, weshalb er hier aufpassen soll, der unheimliche Besitzer der Villa, in dem Harst den Trias vermutet, ist ja entflohen …
Er, Paul Temme, ist Leichtgewichtsmeister und hat acht Schuß in der Dienstpistole … Dieser Assahl soll ihm nur kommen ‥! Aber Gespenster scheuen Kugeln genau wie Menschen!
So redete Paul Temme sich selbst Mut zu, gähnte übermäßig laut und prunkte vor sich selbst mit seiner Aufgeklärtheit.
Kriminalassistent Temme gähnte nicht mehr … Er zog eine etwas zerblätterte Zigarre aus der Tasche, legte das Deckblatt mit einem gummierten Streifen Briefmarkenpapier fest und setzte den Glimmstengel in Brand. Aber dieser zweifelhafte Genuß wurde ihm auch noch versalzen. Plötzlich fühlte er einen leichten Druck auf der Schulter, die Zigarre entfiel ihm, er selbst fuhr herum, riß unwillkürlich die Pistole aus der Ledertasche und … –
– „Ach Sie sind’s nur, Herr Harst …“ stotterte er recht verlegen.
Harst schaute ihn halb schmunzelnd, halb mitleidig an. „Wir kennen uns doch von früher her, – Sie heißen Temme und haben einen sehr berühmten Namensvetter, den Kriminalschriftsteller Friedrich Temme. – Eine langweilige Geschichte, solch eine Wache. Oder nicht?! Haben Sie etwas Verdächtiges wahrgenommen?“
Temme zögerte mit der Antwort. „Es ist nichts von Bedeutung, glaube ich … Jetzt haben wir Mitternacht. Vor einer Stunde etwa sah ich eine alte Frau, die draußen vor der Parkmauer an der Kiesgrube Strauchwerk sammelte … Dort etwa, Herr Harst …“ –
Er deutete von der Terrassentreppe durch eine Baumlücke ins Freie.
„So spät sammelt niemand Brennholz,“ meinte Harst etwas verweisenden Tones. „Wo blieb die Frau?“
Temme hustete … „Ich weiß es nicht … Es kam mir belanglos vor. Es war wirklich nur eine …“
Harst unterbrach ihn kurz. „Begleiten Sie uns ins Haus. Ihrem Kollegen Hans Wert, der vor dem Haupteingang steht, habe ich schon Bescheid gesagt, der hat nämlich auch die Frau gesehen, und ausgerechnet, als sie unter der Last des Strauchwerks zusammenbrach.“
Paul Temme war hellhörig. „Also halten Sie die Geschichte nicht für sauber, Herr Harst?“
„Nein, zumal Ihr Kollege so sehr Kavalier war, daß er der Frau zu Hilfe eilte und somit die Tür minutenlang ohne Aufsicht blieb, die er dazu noch unverschlossen gelassen hatte. – Vorwärts, wer weiß, was inzwischen von dem Trias aus der Villa herausgeholt worden ist!“
„Und Wert, wo steckte er? Hans ist mein bester Freund … Ihm ist doch nichts zugestoßen?“
„Vorläufig nicht, Herr Temme … Ich habe ihn zu mir nach Hause geschickt, damit er dort nach dem Rechten sieht. Wir beherbergen nämlich einen Gast, der mir einige Sorgen bereitet … Er schläft sehr schlecht. Vielleicht ist er Nachtwandler.“
Temme hatte gute Ohren. „Sie sagen das so eigentümlich, Herr Harst. In den Zeitungen war ein Roland Born erwähnt, der …“
„Kommen Sie nur, Temme … Born hat seine eigenen Sorgen.“
– Die Villa des Trias war mit allergrößtem Luxus eingerichtet, leider aber sehr vernachlässigt, da Professor Assahl sich mit nur zwei Dienern und einem Gärtner begnügt hatte, und die waren nun tot, – keiner weinte ihnen eine Träne nach. Die Kriminalpolizei hatte das Haus gründlichst durchsucht, aber natürlich nichts Wichtiges gefunden. Ein Mann vom geistigen Format einer so vielumstrittenen Persönlichkeit wie dieser angebliche Meister des Rosenkreuzer-Ordens verbirgt seine Geheimnisse so, daß ein normaler Sterblicher nichts von Bedeutung entdeckt. –
– Hiernach schien auch Harst sich zu richten, da er auf die übliche Methode des Abklopfens der Wände vollkommen verzichtete und sein Hauptaugenmerk auf Dinge richtete, denen weder Paul Temme noch Schraut Beachtung geschenkt hätten. Hierzu gehörte zum Beispiel der unglaublich häßliche, halb mannshohe Götze aus gebranntem Ton, der zweifellos uralte buddhistische Priesterarbeit war, den Temme jedoch mit einigem Recht als Scheusal bezeichnete. Das Ding hatte bestimmt hohen Altertumswert, für Unkundige jedoch mußte das dickbäuchige Ungetüm durchaus reif für den Müllberg sein. Verstaubt, verschmutzt, bestoßen, zerschrammt stand es in einer Ecke der langen, düsteren Bibliothek mit den ernsten Bücherregalen, den eichenen Wandpaneelen und den bunten Butzenscheiben …
Harst, der alle Lampen eingeschaltet hatte, wandte sich an Temme.
„Nun, – was vermissen Sie hier?“
… Temme gähnte ungeniert. „Hier ist höchstens noch etwas zu viel vorhanden, Herr Harst, – das Ding da, der alte Götze aus Übersee …“
„Hier ist zu wenig vorhanden,“ erwiderte Harst mit größtem Ernst. „Sie haben Augen und sehen nichts, sie haben Ohren und hören nichts … oder hören zu viel …“
Paul Temme besaß Ehrgeiz. Wenn er bisher sehr gleichgültig dreingeschaut hatte, – das änderte sich nun mit einem Schlage. Er wollte gern von einem Harst gelobt werden.
Inzwischen hatte auch Herr Schraut – bitte zu beachten, hier schreibt noch immer Roland Born! – den ich außerordentlich schätze, schon weil er mir ohne Mißtrauen begegnet, das Fehlende bemerkt, schwieg jedoch.
Temme pfiff scharf und schneidend durch die Zähne.
„Donnerwetter, die grüne Sanduhr ist verschwunden, die der alte Götzen im Schoß hielt ‥!“
Harst zog etwas die Mundwinkel herab. „Für Sie ist alles alt ‥! Zu alt ‥! Und gerade das Neue und Wichtige übersehen Sie … Der Trias war hier und hat das geholt, woran mir plötzlich am meisten gelegen war …“
Paul Temme machte große Augen … „Weshalb, Herr Harst? Was liegt an einer Sanduhr?!“
„Was hinter ihr oder besser hinter der Statue liegt, das ist das … Traurige,“ erwiderte Harst mit eindrucksvollem Ernst.
Temme und Schraut erschraken, – als sie beide schnell hinter den Götzen traten, der auf einem halbmeterhohen Postament stand.
Hinter der Figur lag eine Frau, deren Gesicht durch ein buntseidenes Tuch verhüllt war …
2. Kapitel
Roland Born schreibt noch weiter …
… Ich leide an Wahrträumen …
… Ich bin in Schweiß gebadet aufgewacht … Ich habe alles mitgemacht, was Harst und Schraut in der Villa des Trias erlebten …
Ich sah die Frau mit dem verdeckten Gesicht hinter der Statue liegen, und Schreck und Entsetzen packten mich.
Ich bin so munter, als hätte ich eine Nacht sehr gut geschlafen … Ich werde mich daher ankleiden und meinen Traum sofort zu Papier bringen …
Ich schreibe … Ich habe geschrieben … Ich stehe am Fenster und blicke zur mondhellen Nachthimmel empor.
Ich habe das Licht in meinem Zimmer ausgeschaltet, – unten auf der Straße schreitet ein Beamter in Uniform in verdächtiger Ruhe und Gleichmäßigkeit auf und ab … Er blickt zuweilen zu meinen Fenstern empor, – neuer Schreck packt mich … Sollte Harst sein Mißtrauen gegen mich so weit gesteigert haben, daß er mich überwachen läßt?! …
Das Mondlicht fällt auf das Fensterblech … Ich fühle, daß ich erbleiche … Auf dem Fensterblech liegen frische Erdkrumen … Ich trete schnell zurück … Kalter Schweiß dringt mir aus den Poren … Ein Zündhölzchen flackert auf … Ich wage es nicht, Licht zu machen. Ich schaue mir meine Stiefel an, – sie sind feucht, sind erdig …
Ja, ich war draußen, – – ich muß fliehen. Kann ich wissen, ob dieser höllische Trias nicht auch mich in der Gewalt hat?! … Kann ich wissen, was ich da außen alles angestellt habe?!
Fliehen ‥!! Und das Geschriebene vorher ergänzen! Mag Harst es finden und erkennen, wie bitter er mir unrecht getan hat … – –
*
Hans Wert fühlte sich auf seinem Posten vor dem Harstschen Haus keineswegs behaglich. Er war groß, hager, sehr geschmeidig und dazu … verlobt. Und ehrlich in seine Hilde verliebt, – so verliebt, wie es ein gesunder Mensch von siebenundzwanzig Jahren nur sein kann.
Gerade dieser Liebe wegen gefiel ihm seine jetzige nächtliche Aufgabe gar nicht. Er hatte gehofft, noch heute mit Hilde zusammentreffen zu können, er hatte erwartet, um Mitternacht abgelöst zu werden, er wollte Hilde doch zu einem Mondspaziergang abholen …
Wollte … Und dann war dieser unangenehme Harst gekommen und hatte ihm klargemacht, daß er sich wie ein Trottel benommen habe …
Nun stand er hier und paßte auf einen Menschen auf, der schlafwandeln sollte, – also auf einen geistig nicht ganz normalen Burschen, der vielleicht gar eine Waffe besaß und damit allerlei Unfug anstellte …
„Hans ‥!“
Er fuhr wie der Blitz herum …
„Hilde, du ‥?! Wo kommst du denn her?“
Er nahm sie in die Arme, – vergessen waren Harst, der Schlafwandler und alles ringsum …
„Mädel, also nun erkläre mir mal, welch glücklicher Wind dir meine Witterung zugeführt hat?“ fragte er noch etwas atemlos.
„Wind?!“ lachte sie erstaunt … „Einer deiner Kollegen rief mich an und teilte mir mit, daß du hier Wache hast …“
Hans Wert wurde urplötzlich schwül zumute.
Abermals schnellte er herum, – aus der Harst’schen Gartenpforte schoß ein Mann hervor, eilte mit mächtigen Sätzen davon, bog um die Ecke und war verschwunden …
Wert war noch flinker …
Harst hatte ihm strengstens anempfohlen, diesen Roland Born auf keinen Fall entwischen zu lassen … Hans Wert riß im Laufen die Pistole heraus, sauste gleichfalls um die Ecke, – doch zu spät ‥! Er sah gerade noch, wie der Mann in eine Limousine sprang, wie der Wagen augenblicklich anfuhr und in rasenden Tempo davonjagte …
Verärgert kehrte er zu Hilde zurück. „Daran bist du schuld,“ fauchte er sie sehr energisch an. „Das setzt einen mächtigen Wischer! Der Kerl, den ich beobachten sollte, ist mir ausgekniffen ‥!“
Hilde Anger war nun keines jener Mädchen, die für die dienstlichen Sorgen ihres Verlobten kein Verständnis besitzen. Im Gegenteil, sie war sogar infolge ihrer Bürotätigkeit bei einer Auskunftei und durch ihre geistige Rührigkeit ihrem Verlobten in vielem überlegen. Der telephonische Anruf hatte ihr sofort zu denken gegeben.
Als sie nun gerade ihrem Hans einen ganz bestimmten Verdacht mitteilen wollte, hielt vor der Harst’schen kleinen Villa eine Taxe, und ihr entstiegen die beiden Männer, denen Hilde am allerliebsten ihre Vermutungen unterbreitete. –
Gleich darauf saßen wir zu fünf an dem Sofatisch in unserem vielseitigen Büro. Der fünfte war Freund Bechert, Kriminalkommissar zur besonderen Verwendung bei kniffligsten Fällen.
„Erzählen Sie, Fräulein Anger,“ bat Harst das junge Mädchen.
Roland Borns letzte literarische Leistung lag vor Harald auf dem Tisch. Er hatte uns Borns Niederschrift soeben langsam vorgelesen. Wir waren also vollkommen im Bilde, – oder auch nicht, je nachdem man’s nehmen will.
Die wirklich reizende aschblonde Hilde begann sofort. „Ich will mich ganz kurz fassen … Für viele Worte bin ich nicht. Meine Verlobung ist bisher aus ganz bestimmten Gründen geheim gehalten worden, nur meines Hans bester Freund Paul Temme weiß davon. Der, der mich vor etwa einer halben Stunde anrief, behauptete, er sei ein Kollege von Hans und nannte den Namen Müller. Wenn jemand am Fernsprecher sich Müller nennt, habe ich stets das Gefühl, die Geschichte sei nicht ganz sauber. Das mag ein Vorurteil von mir sein, aber es ist nun einmal so. Bei der Auskunftei ‚Robro’, bei der ich beschäftigt bin, erlebt man so allerlei, was dazu beiträgt, selbst das harmloseste Gemüt argwöhnisch zu machen …“
„Das glaube ich Ihnen ohne weiteres,“ nickte Harst mit halbem Lächeln. – Auch ihm gefiel dieses frische und kluge Mädel, das so unbekümmert sprach, als ob sie sich des eigenen Wertes sehr wohl bewußt sei, ohne in den Fehler der Selbstüberschätzung zu verfallen.
„Es hätte mich also nur Hans’ Freund Paul Temme anrufen können, – nur er kannte meinen Namen und meine Telephonnummer, sonst keiner der Beamten, denn ich habe allen Grund, mich von der Welt fernzuhalten …“
„So?! Bei Ihrer Jugend?!“ warf Harst erstaunt ein.
Sie ließ diese halbe Frage unbeachtet. „Außerdem folgt das Wichtigste noch …“, fuhr sie mit leicht erhobener Stimme fort. „Der angebliche Müller erklärte nämlich am Apparat, ich solle eine Taxe nehmen und Hans überraschen … was ich auch tat … Jetzt, wo ich die Dinge mit andern Augen betrachte, reime ich mir wohl das Richtige zusammen, wenn ich annehme, daß der Anrufer jener Roland Born gewesen ist, der eben Hans nur in seiner Achtsamkeit ablenken wollte, um leichter entfliehen zu können …“
„Bravo‥!“ rief mein Freund und streckte Hilde Anger herzlich die Hand hin. „Besser hätte ich diese Verdachtsgründe auch nicht ent–wickeln können… – Ob Ihre Annahmen zutreffen, werde ich sofort nachprüfen, ich habe nämlich durch Kommissar Bechert meinen Anschluß auf dem Amt überwachen lassen … Einen Augenblick …“
Er erhob sich, ging zum Schreibtisch und rief die Telephonzentrale an.
Die Auskunft lautete, daß der ‚Herr Müller’ tatsächlich von uns aus mit Hilde gesprochen hatte. – Es war also Roland Born gewesen.
Über die Wichtigkeit dieser Feststellung äußerte sich Harst erst, als das Brautpaar uns verlassen hatte. „Ich möchte dreierlei hervorheben … Erstens, Hildes Angaben und die Bestätigung durch die Telephonamt beweisen, daß Born sowohl Hilde wie auch ihr Verhältnis zu Hans Wert genau kennt. –
Zweitens, Borns Niederschrift von heute beweist, daß er uns über seine Person nicht nur gründlich getäuscht hat, sondern daß er diese Entwicklung der Dinge voraussah und danach seine Gegenmaßnahmen getroffen hat. Eine Limousine erwartete ihn! Keine Taxe! Also ein Privatwagen, sein Wagen! –
Drittens, Born stahl die Sanduhr, auf die ich so großen Wert legte, Born hat auch die fremde Frau, die wir hinter der Statue fanden, in die Villa gelockt oder dorthin befohlen. Die Frau, das wissen wir bereits, ist mit der Brennholzsammlerin identisch, die der Wachtmeister Temme gesehen und deretwegen er, wie er hinterher sehr kleinlaut zugab, seinen Posten für Minuten verlassen hat. Die Verkleidung der Frau – in Wahrheit war sie ja recht elegant angezogen, fanden wir gleichfalls hinter der Buddhastatue. Zum Glück ist die Verletzung der Fremden geringfügiger Art, was allerdings nur dem Zufall zuzuschreiben ist. Hätte der Stich nicht den großen Hornknopf des Mantels getroffen und wäre er nicht abgeglitten, so würden wir nur eine Tote geborgen haben.“
Bechert stieß grollend zwischen den Zähnen hervor: „Born ist natürlich selbst der Trias ‥! Schon seine Jugendzeit in Indien weist darauf hin. Heute in seiner Niederschrift erwähnt er die Sanduhr mit so klarem Hinweis auf seine Person, daß er diese verteufelte grüne, große Eieruhr unbedingt schon früher gekannt haben muß ‥!“
Er blickte Harst dabei fragend an, doch mein Freund schüttelte energisch den Kopf und erklärte sehr nachdrücklich:
„Sie verfallen schon wieder in den Fehler aller Berufskriminalisten, lieber Bechert, – woran ihr nicht schuld seid, sondern der alte Amtsschimmel, der euren geistigen Hafer mit auffrißt …“
Fritz Bechert lachte. „Mag schon stimmen ‥! – Also steht es für Sie noch lange nicht fest, daß Born der große Trias ist ‥!?“
„Nein. Ich glaube, daß er es ist … – Aber …“
… Und da schlug das Telephon an …
Bechert hob den Hörer ab.
„Hier bei Harst …“ –
Wir horchten gespannt … Wir hörten jedes Wort mit:
„Hier der Trias von einem Automaten aus. Ich, Roland Born, bin der Trias … Harst wird das nun wohl endlich herausgemerkt haben … Er soll sich jedoch keine unnötige Mühe geben, mich zu finden, Herr Bechert … Es wäre schade um die Zeitvergeudung. Nur eins bestellen Sie ihm! – Fortan gibt es zwischen uns keinen Pardon mehr … – Schluß!!“
Und dieses ‚Schluß’ klang genau so, als ob unser Todesurteil schon gesprochen sei …
3. Kapitel
Besuch im Morgengrauen.
Bechert war gegangen. Harsts Abschiedswort an ihn hatten gelautet:
„Trauen Sie es dem echten Trias zu, so geschmacklos zu sein, derartige Drohungen auszusprechen? – Ich traue es ihn vorläufig nicht zu … Aber man erlebt zuweilen auch Enttäuschungen!“
Das war nur eine neue Bestätigung seiner Zweifel an Roland Borns Demaskierung.
Nun begann Harst seine Kreise durch das Zimmer zu ziehen, den Kopf gesenkt, die Zigarette erloschen im Mundwinkel. Unvermittelt begann er zu sprechen. „Bechert hat es versäumt zu fragen, weshalb ich der grünen Sanduhr plötzlich solche Bedeutung beimaß, daß ich mitten in der Nacht zur Villa des Professors Assahl eilte, – du allerdings auch, mein Alter … Zuweilen streikt eben das Gedächtnis. Zu spät erinnerte ich mich an einen hier ansässigen, sehr bescheidenen Gelehrten.“
„Doktor Rudolf Obroh ‥!“ rief ich sofort, denn Obroh hatte uns noch unlängst einen Brief geschickt und um Überlassung eines Spezialwerkes über indische Yogin (Fakire) gebeten, – was Harst jedem anderen ausgeschlagen hätte.
„Ja, Obroh ‥!“ –
Er blieb vor mir stehen und zündete seine Zigarette wieder an. „Wir hätten längst an ihn denken sollen, mein Alter. Gerade er wird sich mit dem Trias-Problem insgeheim viel beschäftigt haben. Das Thema liegt ihm, er war ja als ausgesprochenes Universalgenie auch für okkulte Gebiete sehr interessiert, und seine Reisen brachten ihm reichste Ausbeute an Erinnerungen, – übrigens dürfte der Ausdruck ‚Ausbeute’ auf ihn treffend passen. Du kennst ja die etwas anrüchige Sache, die zu seiner Pensionierung führte, er hatte dort in Katmandu, der Hauptstadt von Nepal, einige wertvolle Tempelgeräte mitgehen heißen … – Nun, jedenfalls besitzt er ein genaues Duplikat der grünen Sanduhr, – das ist’s, was uns beide nun zu ihm hinlockt. Wie gesagt, ich hätte früher daran denken sollen ‥!“
– Berlins urälteste malerische Winkel bekommt kein Fremder je zu sehen. Sie liegen alle in den ältesten Stadtteilen an der Spree, sie weisen eine Romantik auf, für die unsere Zeit kaum mehr Verständnis hat.
Armut, Laster, Verbrechen, Not, Elend, verschämtes Darben geben sich dort ein Stelldichein … Aber es wäre grundfalsch, etwa all diese seelischen und sozialen Nöte mit dem Begriff der Verwahrlosung gleichzusetzen, – das tun nur Schriftsteller, die vom wirklichen Leben keine Ahnung haben. Im Gegenteil, diese Enterbten des Glückes suchen etwas darin, ihre engste Umwelt freundlich zu gestalten, pflanzen Blumen in Kästen vor die Fenster und pinseln und basteln und zimmern, um wenigstens ein geringes Behagen in diesen baufälligen Baracken zu spüren. Es mutet tief tragisch an, wenn man in den Zeitungen lesen muß, daß ein altes Ehepaar sich das Leben nahm, weil eine übereifrige Baupolizei eines dieser Häuschen räumen ließ, in dem zittrige alte Leutchen ein endloses Leben zugebracht hatten. Sie wählten dann lieber den Tod als eine Verpflanzung in eine nüchterne neue Umgebung, in Reihenhäuser, in Zweckbauten … Sie hatten den Fluß, die Spree, ihren Fluß lieben gelernt … Es war ihrer Heimat geworden, es blieb ihre Heimat … Sie … gingen ins Wasser, und der Fluß war barmherzig … –
Der Morgen graute bereits, als die offene Taxe in einem Gassengewirr unweit der Spree hielt, und der Schofför sich umdrehte, sich den Kopf kratzte und mürrisch fragte: „Wie heißt doch die Gasse?!“
Wir kletterten schon hinaus, zahlten und schritten zu Fuß die kurze Strecke bis zum Obrohwinkel weiter, kein Wunder, daß der Schofför den Obrohwinkel nicht kannte, der Mann wußte nur im Westen Berlins Bescheid. –
Eine Sackgasse bog nach links ab, drei verwitterte Hausfronten erst, dann eine ebenso verwitterte Mauer, in der Mauer überall wildwachsende Ranken, bunte Naturvorhänge, – dann ein schmiedeeisernes Gittertor, wertvolle, uralte Handarbeit, dahinter ein Häuschen mit zwei vorspringenden Flügeln … Das Familienhaus der Obroh, einstmals alles Kunstschmiedemeister, von denen der eine für den Park von Sanssouci die Gitterpforten geliefert hatte.
Hier hauste nun der allerletzte Obroh völlig allein, mied jeden Verkehr und hegte eine stille Wut gegen alle ausländischen Kollegen, die er uns gegenüber wiederholt als Scharlatane bezeichnet hatte. –
Daß er mit uns eine Ausnahme machte und uns bisher dreimal empfangen hatte, war nur dem Umstand zuzuschreiben, daß Harst ihm einst, als bei Obroh eingebrochen worden war, die Beute der Diebe wieder verschafft hatte.
Harst blieb plötzlich stehen … Nur Sekunden … dann riß er mich zurück, machte kehrt und schob mich in den nächsten Hausflur.
… Dr. Rudolf Obroh schritt dicht an uns vorüber, aber nicht allein ‥!
Ich hielt den Atem an …
Seine schicke junge Begleiterin war Hilde Unger, die Braut des Wachtmeisters Hans Wert ‥!
Als das Paar an der Haustür vorüber war, – als ich genau gesehen hatte, daß Obroh seinen Arm vertraulich in den des Mädchens geschoben und eifrigst auf sie eingesprochen hatte, da konnte ich doch nicht länger schweigen.
„Diese Beobachtung bietet unzählige Verdachtsmomente ‥!“ flüsterte ich, plötzlich von dem einen einzigen Gedanken gefangen genommen, daß Obroh, eine vielumstrittene Persönlichkeit, der Trias sein könnte …
„Wie in aller Welt kommt Hilde zu dieser Bekanntschaft?! Wie mag diese Vertrautheit zwischen den beiden entstanden sein?!“
„Still!!“ … Meines Freundes Finger umklammerten mein Handgelenk mit warnendem Griff.
… An der Tür glitt, aus derselben Richtung kommend, ein Mann vorüber – in Zivil ‥: Hans Wert!
„Nette Bescherung!“ murmelte Harald sichtlich verblüfft. „Wert ohne Uniform ‥! Das ist vielsagend … Also muß er, nachdem er sich umgezogen hatte, Hilde hier aufgelauert haben! Also wußte er, wohin sie sich begeben würde, nachdem sie sich getrennt hatten.“
… Die Tür wurde aufgestoßen …
Harst verstummte …
Hans Wert stand vor uns … – bleich, mit zuckenden Lippen, mit flackernden Augen. Daß er uns hier so überraschend begegnete, war ihm gleichgültig. Er starrte uns nur böse an und stieß ingrimmig zwischen den Zähnen hervor: „Haben Sie sie gesehen, Herr Harst? – Ihr Patenonkel soll das sein! Aber erzählen sollte ich keiner Seele davon! Heute nacht dachte ich an diesen Herrn Professor! Und da bin ich Hilde nachgeschlichen … Dieser Obroh bezahlt Hilde ja auch die Dreizimmerwohnung, die wir später als Ehepaar gleichfalls beziehen sollten … – Das Telephon hat er ihr legen lassen, – alles bezahlt er … der alte …“
… Draußen schritt langsam die hohe, schlanke, aufrechte und vornehme Gestalt des Professors vorüber.
Obroh war wie immer ohne Kopfbedeckung, das grauweiße, volle Haar trug er glatt zurückgestrichen, sein bartloses Gesicht mit den scharfen Zügen, deren durchgeistigter Ausdruck jedem auffallen mußte, war wie von größten Sorgen umwölkt, die feinen, schmalen Hände hielt er leicht auf dem Rücken verschränkt, – so entschwand er unseren Blicken …
Harst wandte sich an den allzu verliebten Hans.
„Sie gehen jetzt nach Hause und unternehmen in dieser Angelegenheit gar nichts, Sie werden auch Hilde in keiner Weise merken lassen, daß Sie in einem Anfall unnötiger Eifersucht ihr mißtrauten.“
Wert mochte inzwischen selbst eingesehen haben, daß sein Argwohn jeglicher Grundlage entbehrte. Er versprach uns, in allem Harsts Befehlen nachzukommen, und entfernte sich erleichterten Herzens. Außerdem hatte Harald ihm auch noch versprochen, ihn zu gewissen notwendigen Ermittlungen in der Trias-Frage hinzuzuziehen und zu veranlassen, daß Wert für diese Zwecke vorläufig dienstfrei bliebe, – was sehr dazu beitrug, des verliebten jungen Menschen Ehrgeiz und Pflichteifer anzustacheln, da es sein sehnlichster Wunsch war, von der Kriminalpolizei übernommen zu werden.
Wir beide läuteten an Obrohs Gitterpforte.
Inzwischen war das kalte, farblose Licht der Morgendämmerung verschwunden, die Sonne war erschienen, der Fluß, der neben uns träge und braungrau und voller Ölflecke dahinströmte, war erwacht … Schleppzüge zogen vorüber, Dampfer flitzten hin und her, Strompolizei kontrollierte den lebhaften Verkehr, – – die Weltstaat begann ihr Tagewerk. –
Obroh kam über den Hof seines Grundstückes und ließ uns ein, begrüßte uns ganz unbefangen und führte uns in sein Studierzimmer, dessen schlicht vornehme Einrichtung sich in allem der Persönlichkeit des Besitzers anpaßte.
Harst kam sofort auf den Anlaß unseres frühen Besuches zu sprechen.
„Sie verfügen in Ihrer Sammlung über eine bestimmte Rarität, Herr Obroh, die für uns zur Zeit größte Bedeutung hat …“
Der Professor, der sich nie mit seinem Titel ansprechen ließ, fiel Harst schon hier ins Wort. „Mein lieber Herr Harst, ich glaube im Bilde zu sein. Ich habe bereits erfahren, was sich in dieser Nacht abgespielt hat … Wie, das tut nichts zur Sache. Nehmen Sie an, ich hätte mich aus rein wissenschaftlichen Gründen für das Trias-Problem interessiert. Sie wünschen wahrscheinlich näheren Aufschluß über die grüne Sanduhr, von der ich ebenfalls ein einwandfreie echtes Exemplar besitze. Als ich Ihnen diese Seltenheit einstmals zeigte, hatte ich meine sehr triftigen Gründe, keine näheren Erklärungen über diese Rarität abzugeben. Ich bin heute ganz offen … Ich habe die Sanduhr aus dem Buddhatempel in Katmandu gestohlen. Auf rechtlichem Wege gelangten niemand in den Besitz eines solchen heiligen Gegenstandes. Es gibt in Europa oder besser außerhalb des buddhistischen Asiens überhaupt nur ein Exemplar dieser Art, und das ruht dort in meinem Tresor. Wenn nun bei dem Trias ein zweites festgestellt wurde, so beweist das nur, daß dieser Mann kaum zu den landläufigen Schwindlern und Verbrechern zu zählen ist.“
Obroh hatte sich bei den letzten Worten erhoben und öffnete nun seinen Tresor, entnahm ihm die Sanduhr und stellte sie vor uns auf den Tisch …
4. Kapitel
Keine Sanduhr, sondern …
Die uralten Kulturgebiete Asiens – meine lieben Leser gestatten mir diese kurze Vorbemerkung – haben Erfindungen hervorgebracht, die noch heute der modernen Wissenschaft und Technik die größten Rätsel aufgeben. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an das durchsichtige Spiegelglas der Chinesen, an gewisse Metallegierungen und an etwas scheinbar sehr Alltägliches, an den chinesischen Lack. Ich könnte diese Aufzählungen noch auf Dinge ausdehnen, die weit merkwürdiger sind, die jedoch mehr für Chemiker von Interesse wären.
Bisher hatte ich der Sanduhr aus Katmandu, Nepal als Himalajastaat ist die Schwelle Tibets – keine besondere Beachtung geschenkt.
Das hatte sich nun mit einem Schlage geändert. Als der Professor das plumpe Stundenglas auf den Tisch stellte, sagte er nur: „Sie beide, meine Herren, sind die ersten, denen ich über … ‚die Uhr der geheimen Seelenprüfung’ nähere Angaben mache …“ –
Dann setzte er sich wieder und überließ es uns, seinen kostbarsten Schatz zunächst rein äußerlich zu betrachten.
Ich muß, da der Fall ‚Sanduhr’ noch viele Seiten erfordert, mich auf knappste Angaben beschränken. Am besten ist, füge ein einfaches Bild bei. Außerdem bemerke ich mit allem Nachdruck folgendes: Ich bin bereits so oft literarisch aufs raffinierteste bestohlen worden, ohne daß ich an die werten Diebe geistigen Eigentums herankonnte, daß ich hier nochmals nachdrücklichst darauf hinweise: auch alle Einzelheiten über die grüne Sanduhr sind ausschließlich von mir zum ersten Male hier veröffentlicht worden und stehen in jeder Beziehung unter Urheberschutz. Nur mit meiner Erlaubnis dürfen diese Einzelheiten irgendwie verwendet werden.
„Meine Herren, Sie haben Zeit genug gehabt, diese Rarität zu betrachten … –
Ich fasse die Uhr der geheimen Seelenprüfung unten am abgenutzten Handgriff, … so … ich drehe sie um. – Was bemerken Sie sofort? – Es rinnt nur ein Teil des feinkörnigen Inhalts aus dem unteren Glasbehälter in den oberen zurück, und die matte Glasplatte hält eine Schicht der Masse fest, weil im Handgriff und Fuß Magnete verteilt sind.“
Kurze Erklärung
a ist der hellgrüne, durchsichtige Glaskörper, gefüllt mit der feinkörnigen Masse c (nicht mit Sand), – b sind runde Holzscheiben, an die f, die hölzernen Schutzstangen des Glaskörpers a, befestigt sind, – g ist eine matte Glasplatte, auf die die feinkörnigen Masse c herabrieselt, – d ist der Handgriff aus Holz, e der schwarze Fuß aus dunklem Marmor, in denen der Handgriff d eingekittet ist. –
Höhe des Ganzen etwa 45 cm. – Der Fuß e und der Handgriff d sind hohl und gefüllt womit, geht aus Professors Obrohs Angaben hervor, die ich nun gekürzt folgen lasse.
*
Da die Öffnung zwischen Ober- und Unterteil des hellgrünen Glaskörpers genau wie bei den bekannten Eieruhren sehr eng war, nahm die Entleerung des Unterteiles geraume Zeit in Anspruch.
Wir verfolgten den Vorgang mit größtem Interesse, und mir wurde sofort klar, daß der körnige Inhalt aus Metallteilchen bestehen müßte und daß der Handgriff und der Fuß mit einem Magneten versehen sein könnte, – ich sage vorsichtig: könnte ‥! – Etwas anders verhielt sich die Sache doch, wie sich sehr bald zeigte.
„Nun ist der Unterteil leer bis auf eine ganz dünne Schicht, die noch an der Glasplatte haftet,“ fuhr der Professor fort. „Ich stelle jetzt die Uhr verkehrt auf den Tisch, mit dem Marmorfuß nach oben. Ich entferne meine Hand von dem Griff, – die Uhr steht frei da, und, wie Sie sehen, fallen nun auch allmählich die letzten Körnchen von der matten Glasplatte ab und rieseln in den oberen Teil, der jetzt der untere ist, weil die Uhr eben verkehrt steht …“
Er machte eine kurze Pause und blickte uns flüchtig an.
Meine Augen hafteten wie gebannt an den reich geschnitzten Teilen des seltsamen Instrumentes, und mir fielen jetzt erst die Sätze aus Roland Borns letzter Niederschrift ein:
‚Ich bin eines der Bilder der heiligen Sanduhr, die ich einst vor Jahren in meiner Kindheit geheimnisvollsten Tagen im Buddhistentempel zu Srinawir in Indien bewundern durfte … Ich bin ein Gebilde aus kosmischen Bestandteilen, und genau wie das glitzernde Gerinnsel …’
… Das fiel mir ein …
Das war so verblüffend vieldeutig und doch auch wieder den Eigenschaften der Uhr entsprechend ausgedrückt, daß ich geradezu mit unerträglicher Spannung auf des Professors weitere Ausführungen wartete.
Obroh begann von neuem …
„Bitte, Herr Harst, nehmen Sie jetzt einmal die Uhr beim Handgriff fest in die Faust und drehen Sie sie langsam herum, bis sie in der richtigen Stellung sich befindet. Denken Sie dabei an irgendetwas, das sie zur Zeit besonders eingehend beschäftigt … Konzentrieren Sie ihre Gedanken mit aller Kraft auf einen bestimmten Gegenstand oder eine Person, schalten sie alles andere aus Ihrem Hirn aus und versuchen Sie, irgendein besonders plastisches Bild vor Ihr inneres Auge zu zaubern …“
Ich war nur Zuschauer … Nur?! … Hier Zuschauer spielen, das war vielleicht erregender, als selbst das unheimliche Instrument in die Hand zu nehmen!
Ich beobachtete …
Die Metallkörnchen – es war nicht Sand – rieselten endlos langsam herab in den unteren Teil auf die matte Glasplatte, …: Sie bildeten hier nicht zunächst einen Kegel, sondern zerrannen nach allen Seiten und verteilten sich ziemlich gleichmäßig, wobei sie sich wie von selbst zu Figuren gruppierten.
An diesen Figuren war etwas sehr bemerkenswert. Sie zeigten eine gewisse Farbtönung, da der Metallsand, aus dem sie sich zusammensetzt, selbst drei Farben hatte, – hellgrau, schwarz, silberweiß. –
Das Bild als Ganzes arbeitete sich erst allmählich hervor, nach dem Außenrand zu blieb es verschwommen, am stärksten war es rund um den Mittelpunkt, nicht im Mittelpunkt selbst.
Auch die Bildentstehung ging recht langsam vor sich. Der dünne Faden von Körnchen, die von oben durch die winzige Öffnung hinabrann, wurde, sobald er in das Kraftfeld des ‚Magneten’ gelangte, auseinandergerissen, die meisten silbernen Körnchen flogen zum Außenrand der Glasplatte, – aber mit der Zeit entstand doch eine Art Relief, und ich erkannte beim Licht der Stehlampe, die Obroh eingeschaltet und nähergerückt hatte, ein großes Fenster, neben dem ein Stehpult stand, vor dem ein hagerer Mann mit Schreibarbeit beschäftigt war.
Als das bärtige Gesicht des Mannes immer deutlicher wurde, als ich mich begierig immer weiter vorbeugte und die Züge des Fremden sich immer klarer hervorschälten und der Kopf sogar an Umfang gewann, also sich vergrößerte … als nun eine gewisse Ähnlichkeit mit Professor Obroh bereits unverkennbar war, obwohl der Professor keinen Bart trug, da ereignete sich das, was mir ein Recht gab, gegen den Besitzer dieses merkwürdigen ‚Spielzeugs’ einen zunächst nur ungewissen Verdacht zu schöpfen …
Plötzlich schaltete Obroh die Tischlampe aus …
„Genug!“ rief er mit heiserer Stimme Harst zu.
Er packte mit beiden Händen die Uhr der geheimen Seelenprüfung, er kippte sie um, und Harald war höflich genug, sie freizugeben.
„Jetzt wurde das Bild ja erst interessant,“ sagte er nur in scheinbar erstauntem Ton.
Der Professor sah ein, daß er sich eine Blöße gegeben hatte.
„Entschuldigen Sie,“ meinte er in erzwungen liebenswürdige Art, die mich nicht überzeugen konnte. „Ich fühle mich verpflichtet, Ihnen beiden noch einige Erklärungen über diesen Seelenprüfer zu liefern. Sie werden bereits selbst herausgefunden haben, daß der Fuß und der Handgriff magnetisch sind.“
„Allerdings,“ bestätigte Harst durchaus sachlich, jedoch etwas förmlich.
„Magnetisch, – nun ja,“ nickte Obroh. „Für die große Masse der Gebildeten oder besser all der Halbgebildeten, denn wo findet man eine lückenlose Bildung, wäre es mit dem Ausdruck ‚magnetisch’ abgetan. Und doch sprechen gerade bei dem Seelenprüfer sehr wichtige, zumeist unbekannte physikalische und rein physische Vorgänge besonderer Art mit, die ich hier nur streifen kann. Weil all das ein Spezialwissen voraussetzt …“
„Um so lehrreicher für uns,“ bemerkte Harst mit liebenswürdiger Ironie.
„Zweifellos,“ bestätigte der in Eifer geratene Gelehrte. „Drei Spezialgebiete greifen hier ineinander, – nehmen wir die Hauptsache vorweck. Ihnen wird bekannt sein, daß das sogenannte Meteoreisen, also die Bestandteile der auf die Erde geprallten und aufgefundenen Meteore, sehr verschiedenartig zusammengesetzt ist. Eisen, Platin, Kupfer und Zinn sind die wichtigsten Metalle, die man immer wieder feststellen kann. Die magnetischen Wirkungen der Meteoriten, also der stets zu einer kompakten Masse zusammengeschmolzene Brandgeschosse des Äthers, sind grundverschieden von denen der, sagen wir, künstlichen Magneten.“
Harst räusperte sich … „Sie haben also die grüne Seelenuhr auseinandergekommen und darin Meteoritenstücke gefunden, Herr Obroh ‥?“
„Ja … Es war ein großes Wagnis, Herr Harst … Ich hätte das heilige Gerät dabei zerstören können … Nun, ich habe nichts zerstört und nur mein Wissen bereichert. Die Füllung des Handgriffs und des Fußes besteht wirklich aus Meteoritenstücken, – und damit kommen wir zu Punkt Zwei … zum tierischen Magnetismus! … Wie Sie wissen, war der Gelehrte Mesmer der erste, der den tierischen und damit insbesondere den menschlichen Magnetismus einwandfrei nachwies, ebenso, daß dieser Magnetismus bei den Menschen verschieden stark ausgebildet ist …“
Der Professor hätte sich diese Erklärungen schenken können, denn gerade auf diesem Gebiet waren wir keine Neulinge.
Harst meinte denn auch mit größter Selbstverständlichkeit: „Ich glaube zu wissen, was Sie nun als dritten Punkt anführen wollen … Es dürfte sich um Rutengängerei handeln, also um jene Erwählten, die mit Hilfe der Wünschelrute sowohl Wasserläufe als auch Metalladern im Erdinnern festzustellenden im Stande sind. Früher arbeiteten die Rutengänger mit Astgabeln von Sträuchern, heute benutzen sie Ruten aus Silber oder Stahl. Ich betonte schon, daß es … ‚Erwählte’ sind, die über genügend Eigenmagnetismus verfügen, um das Vorhandensein von magnetischen Ausstrahlungen im Erdinnern zu spüren, denn auch Wasser ist in dieser Beziehung stets magnetisch …“
Man sah es Obroh an, daß ihm diese Vorwegnahme von Erläuterungen, die er hatte liefern wollen, wenig behagte, er war aber doch nicht allzu verletzt, denn seine Gedanken wurden durch anderes weit mehr in Anspruch genommen.
Er hatte die Uhr auf den Tisch gelegt und mit einem Seidentuch zugedeckt, in das sie auch eingehüllt gewesen war. Er streichelte geistesabwesend dieses Tuch und fragte nach geraumer Pause: „Was zeigte Ihnen das Sandgerinnsel eigentlich, Herr Harst ‥?“
Abermals war da in seiner Stimme ein so deutlich lauernder Ton, daß ich auf meines Freundes Antwort sehr gespannt war. Ich wußte ja, was dort auf der matten Glasscheibe zu sehen gewesen: Obroh selbst!
Harst erwiderte ohne jedes Zögern: „Ich will Ihnen ehrlich sagen, woran ich gedacht habe … Bei mir flossen zwei Vorstellungen ineinander. Die eine betraf den Trias. Ich konzentrierte meine Gedanken darauf, wo der Trias wohl am meisten sich aufhielte, ich wollte also herausbringen, wo ich ihn finden könnte. – Die zweite Vorstellung ging Sie selbst etwas an. Ich wollte ermitteln, wie es möglich wäre, daß nur gerade Sie und der Trias je eine dieser gewiß sehr seltenen Erzeugnisse buddhistischer Geheimwissenschaften besäßen. So verfiel ich in den Fehler, auf einmal zu viel von der Uhr zu verlangen … Der Erfolg war danach. Man soll eben allezeit bescheiden sein! Ich sah Sie, aber es war ein trügerisches Bild, – es war vielleicht die Umgebung, in der der Trias lebt, jedoch ihr Gesicht dazu … Also ein Fehlschlag …“
Der Professor lächelte plötzlich … „Herr Harst, ich bin ja kein Kriminalist, aber ich bin immerhin ein geistig recht rühriger Mensch, trotz meiner fast siebzig Jahre … Mich täuschen Sie nicht. Sie hegen einen ungewissen Verdacht gegen mich. Sie nehmen an, diese Uhr hier sei die des Trias, und Sie folgern weiter, weil diese Uhr so selten ist, könnte ich zu dem großen Trias zumindest Beziehungen unterhalten … Und die … Schlußfolgerung ist … richtig!“
Er weidete sich an unserem Erstaunen und fügte unaufgefordert hinzu:
„Allerdings ist mein Verhältnis zum Trias etwas sonderbarer Art. Wie es ist, das mögen Sie selbst herausfinden …“
Dann verabschiedete er uns in liebenswürdigster Weise mit dem Bedeuten, daß er nun endlich zur Ruhe gehen wolle, – er habe eine sehr anstrengende Nacht hinter sich …
5. Kapitel
Stellenangebote in der Zeitung.
Der Moloch Berlin, dieses nervenfressende Ungeheuer, war nun völlig erwacht … Scharen von Arbeitern zogen zu den Bahnhöfen oder stauten sich an den Haltestellen der Straßenbahnen und Omnibusse … Der Moloch Berlin ist wie jede Großstadt die in Stein gehauene Unbarmherzigkeit … Der Daseinskampf prägt sich nirgends so sehr aus wie in den Mauerklüften der Metropolen …
… Harst war stiller als sonst nach wichtigen Erlebnissen, – meine schüchternen Versuche, ihn zum Sprechen zu bringen, schlugen sämtlich fehl. Ziellos wanderten wir durch die Straßen, schweigend, versonnen, jeder in seine Gedanken eingehüllt wie in eine Nebelwolke, die uns von der Umwelt abschloß.
Wenn ich mir das Maß von Intelligenz vorstelle, daß dazu nötig war, die Uhr der geistigen Konzentration zu erfinden, und wenn ich mir ausmale, welche Möglichkeiten der Beeinflussung ungebildeter Buddhaverehrer den Priestern einst mit Hilfe dieser Uhr gegeben waren, packt mich ein Grauen …
Es kann entsetzlicher Frevel mit derartigen, für das einfältige Gemüt unbegreiflichen Dingen getrieben werden … Es kann aber auch, und darauf kommt es an, mit Hilfe dieser ‚Uhr des Hellsehens’ – denn auch so könnte man sie nennen – auf kriminellem Gebiet ungeheurer Schaden angerichtet werden, – man denke nur an die eine einzige Möglichkeit, die Schritte der Verfolger dauernd beobachten zu können. Vorhin bei Obroh war mir dies noch gar nicht so recht zum Bewußtsein gekommen. Jetzt, als mein Freund plötzlich stehen blieb, als er gerade vor einem der Zeitungpaläste halt machte, als er an eines der ausgehängten Annoncenblätter herantrat und die Stellenangebote überflog – ‚Hausangestellte gesucht’ – da konnte ich doch nicht länger an mich halten …
„Hast du dir auch überlegt,“ meinte ich eindringlich, „daß der Trias durch die Sanduhr vielleicht jederzeit sich darüber auf dem Laufenden halten kann, was wir beide treiben?!“
Er nickte nur. Dann deutete er mit dem Zeigefinger auf eine gesperrt gedruckte Anzeige: „Vorläufig ist mir dies hier wichtiger … Bitte, lies!“
Ich tat’s. Da stand:
Vornehmer Junggeselle, 65 alt, sucht für seinen frauenlosen Haushalt repräsentative Dame zur Leitung des umfangreichen Villenbesitzes. – Damen ohne Anhang bevorzugt. Nur schriftliche Angebote unter 333 an die Filiale d. Bl. in Schlachtensee-Berlin.
„Nun, wie denkst du darüber, mein Alter,“ fragte er mit halbem Lächeln …
Ich schaute ihn nur erstaunt an. „Weshalb mißt du dieser Anzeige irgendwelche Bedeutung bei?!“
„Weil ich in dem Handschuh der Fremden, die wir bewußtlos und verwundet hinter der Buddhafigur fanden, dieses Zettelchen im Daumen entdeckte … Bitte, – es ist diese Anzeige, also dieselbe wie hier auf dem Blatt im Aushängekasten … nun beweise, daß du logisch denken kannst!“
Das Zettelchen war aus der Zeitung sauber herausgeschnitten worden, war nun aber vollkommen zerknitterte.
Ich überlegte lange und gründlich. Das half jedoch nicht viel. Zuweilen ist man geistig völlig blind.
Harst schritt weiter, schob seinen Arm in den meinen und sagte mit merklicher Betonung einzelner Worte: „Professor Assahls Villa beherbergte nur drei Personen außer ihm selbst, dies haben alle Zeugen übereinstimmend bekundet. Eine Frau war nicht dabei, doch hatte er heute oder besser gestern eine Dame eingestellt, denn sonst würde er die Anzeige, die er gleich für mehrere Tage vorausbezahlt hatte, zurückgezogen haben. – Wolltest du etwas gegen diese Schlußfolgerung einwen–en?“
„Verschiedenes,“ erwiderte ich ehrlich. „Zunächst, wie willst du mit Bestimmtheit behaupten, daß Assahl, also der Trias, eine Dame …“
Er fiel mir ins Wort. „Die inneren Zusammenhänge sprechen dafür, außerdem ist mir die 333 in der Anzeige vollgültiger Beweis. Was die 3 für den Rosenkreuzerorden, der heute noch besteht, bedeutet, ist dir ja genügend bekannt. Es kommt hinzu, daß ausgerechnet die 3 in der Annonce dreimal wiederkehrt, 333, und dann muß man doch auch das umflorte Bild bei Professor Obroh in Betracht ziehen … Oder ist dir das Ölgemälde entgangen?! Mir nicht.“
„Bild?!“ fragte ich ehrlich erstaunt. „Ein umflortes Bild? Nein, ich sah nichts dergleichen.“
„Möglich, daß dein Platz ungünstig war,“ nickte er nachsichtig. „Es handelt sich um ein mittelgroßes Ölgemälde, das in dem Tresor hinten aufrecht stand und natürlich nur schwach beleuchtet wurde, zumal der Professor sich wohl absichtlich so stellte, daß mir der volle Einblick in den Stahlschrank verwehrt wurde. Jedenfalls hatte das Brustportrait Ähnlichkeit mit der von uns heute nacht aufgefundenen Fremden, und da der Goldrahmen mit schwarzem Tüll umwunden war, dürfte die Frau für Obroh als tot gelten, das heißt, er hat sich aus irgendwelchen Gründen von ihr losgesagt … – Du könntest nun mit Recht einwenden, ich hätte mich durch eine entfernte Ähnlichkeit täuschen lassen, trotzdem bin ich mir meiner Sache ganz sicher, ich brauche dich in diesem Zusammenhang nur an Obrohs Bemerkung zu erinnern, daß er über die Vorgänge der verflossenen Nacht vollkommen unterrichtet sei. Auch sonst tat er Äußerungen, die eindeutig darauf hinwiesen, wie genau er über das Trias-Problem im Bilde ist. Wir haben also drei Anhaltspunkte für seine engsten, aber ungeklärten Beziehungen zum Trias, – erstens sein eigenes Geständnis, – zweitens das Ölgemälde, also die Fremde, – drittens seine Bekanntschaft mit Hilde Anger … Auf diesen dritten Punkt möchte ich dich ganz besonders hinweisen, ohne mich zunächst auf eine bestimmte Ansicht festlegen zu wollen, auch was die Frage angeht, ob Obroh der Trias sein könnte …“
Wir waren derweil in das sogenannte Tiergartenviertel gelang.
Als Harald jetzt auf eine Straßentafel deutete, wußte ich sofort, daß wir keineswegs blindlings dahingewandert waren, sondern daß mein Freund absichtlich dieses Viertel aufgesucht hatte. Denn hier in dieser Straße wohnte Hilde Anger …
Wir wußten bisher über dieses Mädchen so gut wie nichts. Sie war Waise, sie war beruflich tätig, sie war verlobt und hatte einen Patenonkel, der ihr eine Dreizimmerwohnung und das Telephon bezahlte …
Wir kannten ihre Hausnummer, ebenso ihre in der Nähe gelegene Arbeitsstellte, die Auskunftei ‚Robro’, eine uns bisher fremde Firma.
Die enge Straße mit den wunderschönen Vorgärten war völlig menschenleer, – um diese frühe Stunde schliefen hier noch Gerechte und Ungerechte, – die Letzteren sollen ja bekanntlich besonders fest schlafen.
…Harst blieb stehen, nachdem er sich wiederholt mißtrauisch umgeblickt hatte. „Dort haust sie …“ Und er deutete auf eine Villa, die zumindest aus der Zeit des Alten Fritz stammte, wie man unschwer an dem Baustil erkannte. „Dort möchte ich zu gern einmal eine einzige Stunde mit dir, mein Alter, mich ungestört umsehen dürfen. Ich glaube bestimmt, der Gewinn dieser Stunde würde sogar eine kleine Gesetzeswidrigkeit entschuldbar machen …“
Die Sache entwickelte sich weit einfacher, als ich es mir gedacht hatte. Neben der Vorgartenpforte hing eine Papptafel:
Sonnige Vierzimmer-Wohnung von sofort möbliert zu vermieten. Anfragen beim Pförtner.
– Eine knappe Stunde später machte der Pförtner ein glänzendes Geschäft. Ein älterer Ausländer mietete die Wohnung für vierzehn Tage, bezahlte für eine Woche im voraus und drückte dem Hauswart ganze zehn Mark in die Hand … als Trinkgeld. Kein Wunder, daß der Pförtner sich sofort bereit erklärte, die Koffer und den Diener des schwedischen Kaufmanns vom Bahnhof herbeizuholen. – Der Diener war ich, der Schwede war Harald.
Wie wir dann in Hildes Behausung hineingelangten, will ich übergehen.
Was wir dort fanden, sei in aller Kürze erwähnt. Zunächst eine mustergültige Sauberkeit und so gefällige Möbel und solche Behaglichkeit, wie sie nur ein Mädchen mit ausgesprochenem Sinn für Häuslichkeit zur Lebensnotwendigkeit erhebt.
Der kleine Salon, nach hinten heraus gelegen und mit schöner Aussicht auf den alten Park, war eine praktische Vereinigung von Wohngemach und Arbeitszimmer. Uns interessierte hier nur eins, das große Ölgemälde, das über dem Schreibtisch hing …
Es stellte die Fremde dar, die Frau, die jetzt in einer Privatklinik nach geglückter Operation ihrer Genesung entgegenging und die sich bisher standhaft geweigert hatte, ihren Namen zu nennen oder sonst etwas über ihre Personen anzugeben.
Eine volle Stunde dauerte Harsts eifrige, aber ergebnislose Tätigkeit. Dann gab er es achselzuckend auf, auch nur einen Fetzen Papier zu finden, der uns über das Gemälde hätte Aufschluß geben können.
„Sie hat sicherlich sehr viel zu verbergen,“ meinte Harst etwas mißmutig. „Nicht einmal ihre Ausweispapiere oder Zeugnisse sind zu finden… Eine recht geheimnisvolle junge Dame, diese Hilde Anger … Ich glaube beinahe, sie …“
… Der Satz wurde nie beendet …
Wir hörten, daß die Flurtür geöffnet wurde, – wir schlüpften hinter den japanischen Wandschirm …
Hilde trat ein …
6. Kapitel
Die grüne Sanduhr und wir – – allein!
Das junge Mädchen hatte es sehr eilig, sie war ganz außer Atem, sank fast keuchend in den Schreibsessel und legte den in Papier eingehüllten Gegenstand, den sie im Arm gehalten hatte, trotzdem sehr behutsam auf den Tisch.
Eine Weile blieb sie regungslos sitzen … Ihre Haltung drückte äußerste Abspannung aus, aber ihr kurzes triumphierendes Auflachen bewies die tiefsinnige Genugtuung über einen geglückten Streich …
Sie ahnte auch nicht im entferntesten, daß irgendjemand ihr Tun beobachtete. Sie enthüllte den Gegenstand, – es war die grüne Uhr der Seelenprüfung, die aus dem Papierbogen zum Vorschein kam …
„Endlich!“ flüsterte sie halblaut. „Endlich habe ich dich! Nun sollst du mir die Wahrheit verraten, – doch nicht jetzt ‥! Dazu brauche ich Ruhe und geistige Sammlung ‥!“
Dann holte sie ein Tuch herbei, einen langen indischen buntseidenen Schal, wickelte die Rarität behutsam hinein und schritt zum Erkerfenster, nahm von dem dort stehenden Tisch eine große japanische Vase herab, in der Fliederzweige ihre weißen Blütendolden tief nach unten neigten, legte die Blumen beiseite und … klappte die Vase wie ein Riesenetui auf, tat die Uhr hinein und brachte ihren Blumentisch so geschickt wieder in Ordnung, daß niemand auch nur irgendwie vermuten konnte, daß gerade diese Vase mit dem engen Hals einen anderen Gegenstand enthalten könnte.
Das schlaue Versteck war zweifellos von langer Hand vorbereitet worden, mithin hatte Hilde schon immer die Absicht gehabt, sich die Uhr anzueignen …
Welche Uhr?!
Wem gehörte dieses Kunstwerk? … War es das des Trias oder das des Professors? – Oder … gab es doch nur ein einziges Stück davon? – All diese Fragen traten gegenüber der Tatsache in den Hintergrund, daß wir nun jedenfalls eine Uhr, mochte sie gehören, wenn sie wollte, zu unserer freien Verfügung hatten. –
Hilde verließ ihre Wohnung wieder, und wir warteten nur fünf Minuten, dann holten wir das heilige grüne Gefäß aus der Vase hervor und setzten uns damit an den Ecktisch, wo Harald sofort mit ernstem Gesicht erklärte, ich solle ihn auf keinen Fall ablenken, da er nun erproben wolle, inwieweit auf den besonderen Magnetismus der Uhr und auf seinen eigenen Verlaß sei.
Ich gestehe ohne weiteres ein, daß ich diesem Experiment mit größtem Unbehagen entgegensah …
Gerade mit asiatischen Tempelheiligtümern haben Gelehrte, die es wagten, den Priestern irgendwie ins Handwerk zu pfuschen, so schlimme Erfahrungen gemacht, daß dies jedem zur Warnung dienen sollte.
– – Harst hatte inzwischen die grüne Sanduhr erst einmal von außen einer genauen Musterung unterzogen.
„Es ist nicht Doktor Obrohs Uhr,“ erklärte er mit aller Bestimmtheit. „Die des Trias und diese hier gleichen einander allerdings vollkommen, trotzdem sind geringe Unterschiede vorhanden, so zum Beispiel hier diese dunkle Stelle im Marmor des Fußes fehlt bei der Obrohs ganz bestimmt, womit erwiesen ist, daß es tatsächlich zwei fast gleiche Stücke dieser Art gibt, – dies hier ist die Uhr des Trias …“
Auch ich bemerkte jetzt, daß der Marmorfuß erheblich anders gefärbt war wie der des Wunderwerks des titelfeindlichen Gelehrten.
Mein Freund zögerte noch immer, mit dem Experiment zu beginnen. Er schien gegen die grüne Uhr, gerade weil sie Eigentum des Trias war, irgendwie Verdacht zu hegen … Angesichts all der Teufeleien, die der Trias schon auf dem Konto hatte, war Harsts Vorsicht begreiflich und auch … begründet, wie sich nun zeigte. Wenn Hilde Anger heute noch lebt, hat sie es Harst zu verdanken.
Plötzlich stieß mein Freund einen leisen Pfiff zwischen den Zähnen hervor …
„Dachte ich’s mir doch ‥! Dieser Schurke! Immer dieselben niederträchtigen Tricks! … Da, schau her, – hier hat der Bursche unten am Handgriff vier vergiftete kurze Nadeln fast unsichtbar eingefügt! Besinne dich auf seine künstliche Schlange ‥!“
Ob ich mich darauf besann!! Derartiges vergißt man nicht so leicht, zumal dieser Anschlag auf unser Leben noch keine achtundvierzig Stunden zurücklag. Roland Born war der Urheber dieses niederträchtigen Streiches gewesen, – war Born aber auch wirklich der Trias? Ich persönlich zweifelte daran, denn bisher hatte der Mann, den ich hier immer Trias nenne, so viel Helfershelfer und Stellvertreter gehabt, daß er selbst stets im Hintergrund geblieben war, – darin lag ja gerade die Intelligenz dieses Menschen, niemals in einer später erkennbaren Gestalt aufzutreten …
Harst fügte noch hinzu: „Hilde trug zum Glück Handschuhe, wie du bemerkt haben wirst, und zwar sehr dick gefütterte, – woraus hervorgeht, daß auch sie eine Gefahr ahnte. Eine weitere sehr einfache Schlußfolgerung führt zu der Annahme, daß sie soeben erst die Uhr dem Trias heimlich entwendet hat, also kennt sie dessen Wohnung oder zumindest seinen hauptsächlicheren Aufenthaltsort … Dies ist für uns ungeheuer wichtig. Lassen wir jetzt jedoch alle Theorie beiseite und wenden wir uns der Praxis zu. Störe mich nun in keiner Weise … Beobachten kannst du alles, schweige aber, von denen folgenden Experiment hängt mehr ab, als du vorläufig ahnst.“
Er nahm sein Taschenmesser und entfernte behutsam die vergifteten Nadeln, legte sie in ein Schächtelchen und nahm die Uhr der Seelenprüfung in die rechte Hand, indem er sie auf seinen Schenkel stützte und den Griff fest umklammerte.
Ich beugte mich tief herab, damit ich das langsame Entstehen des Reliefbildes auf der matten Glasplatte genau verfolgen könnte … Mein Herzschlag beschleunigte sich, meine Nerven meldeten sich, – wir hatten Tage und Nächte hinter uns, die übergenug Aufregungen gebracht hatten. Mit starrem Blick verbiß ich mich förmlich in den herabrieselnden Faden der Metallkörnchen, und ich fühlte, wie mir mit jeder Sekunde der eisige Schweiß stärker auf die Stirn trat.
Harst hatte die Augen fest geschlossen. Die Muskeln seines Gesichts waren wie im Starrkrampf angespannt, und seine Züge erschienen seltsam fremd und wie durchpulst von einem Blut, das in sich dieselben Bestandteile zu bergen schien, wie die geheimnisvolle Uhr im Handgriff und im Sockel.
Genau wie bei Professor Obroh vollzog sich die Bildentstehung mit schier unerträglicher Langsamkeit, die Körnchen ordneten sich nach der Farbe, die Linien des Reliefs wurden deutlicher, plastischer, und wir gewahrten diesmal einen großen Diplomatenschreibtisch, hinter dem ein alter Herr mit grauem, dichtem Vollbart und straff gescheiteltem, ebenso dichtem Kopfhaar saß und schrieb. Neben ihm lagen Aktenstücke, auf der Schreibtischplatte standen kostbare Bronzen und die Marmorfigur des bekannten Kunstwerks ‚Der Dornenauszieher’. – Das Relief hatte eine überraschende Tiefenwirkung. Je länger Harst die Uhr in der Hand hielt, desto mehr vergrößerte sich das Gesicht des uns völlig unbekannten Mannes. Es war uns fremd, wir hatten ihn noch nie gesehen …
Ich schaute meinen Freund besorgt von der Seite an, denn er atmete schwer und unregelmäßig, – selbst seine robusten Nerven waren der inneren Erregung nicht gewachsen …
Dann stellte er die höllische Uhr verkehrt auf den Tisch und lehnte sich im Sessel zurück.
Die Körnchen rieselten herab, aber ein Teil, eine ganz dünne Schicht der schwarzen Metallsplitterchen, blieb zunächst noch an der Platte haften. Doch auch die lösten sich, und langsam ran der Inhalt des grünen Doppelkegels in den oberen Teil hinein, der nun der untere war … die Uhr stand ja verkehrt.
Totenstille folgte …
Von der Straße erscholl der Lärm spielender Kinder ganz gedämpft herauf … In den Bäumen sangen die Vögel ihre frohen Sommerlieder. Irgendwo im Äther surrte ein Flugzeug … –
Wir hatten keinen Teil an alledem, wir waren Sklaven eines Wunders, daß sich hier vor unseren Blicken, unbestreitbar unheimlich in seinem Endergebnis, vollzogen hatte …
Harst erhob sich müde und barg die Teufelsuhr wieder in der Japanvase …
„Gehen wir, mein Alter,“ sagte er klanglos. „Zunächst verlangt es mich nach einer Tasse stärksten Mokkas …“
Leider kam es anders …
So müde und abgespannt er auch sein mochte, als draußen die Flurtür abermals warnend knarrte, glitt er mit frischesten Bewegungen hinter den Wandschirm, und ich folgte ihm nicht minder beschleunigt …
7. Kapitel
Der Einbruch bei Obroh.
… Wer trat ein? … Der, den wir am wenigsten hier erwartet hatten, wenigstens ich …
Professor Obrohs schlanke, vornehme Gestalt schritt mit jugendlich elastischen Bewegungen auf den Erker zu und entnahm der Japanvase die Uhr, trug sie zum Schreibtisch und setzte sich. Er tat alles mit ruhigster Zielsicherheit, er übereilte nichts, er bewies, daß er sich durchaus geborgen fühlte in diesen Räumen, die er selbst für Hilde zahlte. Er holte Werkzeug hervor und offenbar beabsichtigte er, die Wunderuhr auseinanderzunehmen … Da griff Harald ein.
Er verließ unser Versteck … „Herr Obroh, bitte, einen Augenblick ‥!“
Der so Angesprochene drehte sich gemächlich herum.
Er verriet keinerlei Überraschung oder gar Schreck. „Ah, Sie sind es … Eigentlich hätte ich mit Ihrer Gegenwart rechnen sollen …“
Er nickte uns harmlos freundlich zu und fuhr vielleicht eine geringe Abstufung ernster fort: „Wenn Sie beide nun annehmen, ich würde Ihnen eindeutige Erklärungen geben, so muß ich Sie enttäuschen. Ich betonte schon bei mir daheim, daß ich meine Beziehungen zum Trias allein zu regeln wünsche und daß jegliche Einmischung anderer nicht genehm ist. Von mir erfahren Sie nichts.“
Dies Letzte sprach er mit solcher Bestimmtheit aus, daß jeder Versuch, seinen Entschluß umzustoßen, zwecklos geblieben wäre. –
Harst ließ sich denn auch auf irgendwelche Überredungsversuche gar nicht ein und erwiderte lediglich mit größter Entschiedenheit: „Es liegt mir fern, mich in Ihr Vertrauen eindrängen zu wollen. Aber ich handele hier im Auftrag der Polizei, und deshalb muß ich Sie ersuchen, diese Wohnung sofort wieder zu verlassen … Das wäre alles. Die Sanduhr bleibt natürlich hier, und es wird nichts an ihr verändert … Das wollten Sie tun, Herr Obroh, – Sie wollten die Magnete austauschen, damit die Uhr Hilde nicht das verriete, was Sie aus mir noch unklaren Beweggründen dem Mädchen verheimlichen möchten …“
Der Professor preßte einen Augenblick die Lippen fester zusammen, auf seiner Stirn erschienen scharfe Falten. – Das war alles, was man als Äußerung des Unwillens hätte deuten können. Er stand auf, verneigte sich leicht und sagte höflichsten Tones: „Die Verantwortung tragen Sie, Herr Harst ‥!!“ –
Das war übergenug, auch meinen Freund stutzig zu machen. Der tiefe Ernst und die fast traurigen, jedenfalls sehr warnend nachdenklichen Augen des Professors konnten ihren Eindruck nicht verfehlen. –
Harald suchte ihn zurückzuhalten, Obroh winkte müde ab. „Sie wissen nun, daß Sie vorsichtig sein müssen, Herr Harst … Auf Wiedersehen, meine Herren …“
Damit ging er …
Oder genauer – leider genauer – er schritt zur Tür …
Und nun folgte das, was wieder einmal so ganz in den bisherigen Rahmen des Trias-Problems hineinpaßte. –
Um meinen Freunden und Lesern jedoch die Geschehnisse klarer zu gestalten, muß ich folgendes über den Salon Hildes nachholen. Der in den Flur führenden Tür gegenüber war an der Wand ein hoher Stehspiegel angebracht, der vom Seitenfenstern her von der Sonne getroffen wurde. Daß das Zimmer nach dem Park hinaus lag, habe ich bereits erwähnt. Über den Wandspiegel huschte plötzlich eine noch stärkere Lichtflut, die von einem leisen Klirren begleitet war. Diese Lichterscheinungen kannten wir bereits … Wir waren schon früher darauf aufmerksam geworden, daß der Trias vor bestimmten Anlässen mit derartigen Beleuchtungstricks ‚operierte’, wenn man sich ganz nüchtern ausdrücken will.
… Harst sprang plötzlich zu und fing den umsinkenden Obroh in seinen Armen auf …
– Und nun komme ich zu einem Abschnitt meiner Geschichte, der so recht beweist, wie grundfalsch es wäre, den Trias auch nur im geringsten zu unterschätzen. Wer die vorausgegangenen Erzählungen gelesen hat, in denen ich alles vermieden habe, was nach Effekthascherei schmecken könnte, der hat zumindest denselben Eindruck gewonnen, den Harst stets hervorhob. Eine verbrecherische Intelligenz ungewöhnlichen Ausmaßes war hier am Werke! Nebenher liefen Vorgänge, die unbestreitbar das Gebiet des Übersinnlichen streiften.
Ich will hier gleich zwei Hauptpunkte hervorheben. Erstens, – der Professor hatte einen Kugelschuß durch die Brust erhalten, zum Glück waren keine edlen Organe verletzt, – zweitens: die Uhr des Hellsehens verschwand auf nie völlig aufgeklärte Art.
Bei Letzterem muß man berücksichtigen, daß nach dem Schuß auf den Gelehrten, die Kugel konnte nur aus weiter Entfernung abgefeuert sein, da das Geschoß bereits leicht gependelt hatte, wie aus dem Durchschuß in der Fensterscheibe zu erkennen war, zunächst auch wir etwas die Nerven verloren und auch das Herbeiholen eines Arztes und der Anruf an Freund Bechert uns stark ablenkte, … jedenfalls blieb die Tatsache bestehen, daß beim Eintreffen des Arztes und der Kriminalpolizei die grüne Sanduhr sich empfohlen hatte.
Ich übergehe alles Nebensächliche. – Zwei Stunden später saßen wir mit Bechert in unserem Büro und erörterten bei einer Tasse ‚Mokka extra stark’ das Vorgefallene. –
Harst erklärte – ich will alles ganz knapp schildern:
„Die nackten Tatsachen kennen wir, ich will nur noch betonen, daß Hilde Anger sich die Taktik zu Eigen macht und … schwieg, sie war weder dazu zu bewegen anzugeben, wo sie die Uhr … gefunden hatte, noch sonst etwas zu verraten, – wobei ich den Ausdruck ‚Verrat’ absichtlich wähle. Es müssen für sie sehr gewichtige Gründe rein persönlicher Natur mitsprechen, uns die Arbeit derart zu erschweren, – ja, erschweren! Sie will verhindern, daß wir die Motive dieses neuen Mordversuches aufdecken. – Wir blieben also auf unsere eigenen Schlußfolgerungen vollkommen angewiesen. Was können wir folgern? Was gibt uns die Uhr oder besser das Reliefbild der Uhr, das ich und Schraut zuletzt sahen, an Anhaltspunkten? Woher hatte Hilde die Uhr?“
Ich will Harsts weitere Ausführungen durch die Schilderung der späteren Ereignisse ersetzen.
Mitten in seine präzisen, kurzen Kombinationen hinein schnurrte störend das Telephon … Einer von Becherts Beamten meldete sich … Nun kam die größte Enttäuschung. Der Beamte hatte auf meines Freundes Geheiß die Wohnung Obrohs, den Obrohwinkel, zusammen mit einem Kollegen bewachen sollen. Dieser zweite Beamte war Hans Wert gewesen, und auf seine Anregung hin waren die beiden Posten zunächst einmal in die Wohnung eingedrungen. – Befund? … Der Tresor war erbrochen, allerdings handelte es sich um ein älteres Fabrikat, und …
Auch die Uhr des Professors war verschwunden!
Ebenso, und das sei hervorgehoben, das Ölgemälde mit dem umflorten Rahmen!
Diese Meldung schlug bei uns wie der Blitz ein. Harst beendete seine Ausführungen mit größter Beschleunigung und bat Bechert, uns abermals völlig freie Hand zu lassen, da das Weitere allergrößte Behutsamkeit erfordere. – Becher sah dies vollkommen ein und war verständig genug, auch zuzugeben, daß ein sofortiges Massenaufgebot der Polizei den Enderfolg nur noch mehr beeinträchtigen könnte, als dies angesichts der ganzen Sachlage ohnehin zu erwarten stand …
8. Kapitel
Eine seltsame Firma …
Die Auskunftei ‚Robro’ erfreute sich trotz der Kürze ihres Bestehens einer erlesenen Kundschaft und sehr gut zahlender auswärtiger Klienten. Der Inhaber der Firma – dies alles war für uns sehr leicht zu erfahren, bevor wir zum Angriff übergingen – hieß … Richard Obroh und war ein Bruder des Professors, der sich nie Professor titulieren ließ.
Das war die erste unangenehme Überraschung …
Die zweite, Richard Obroh hatte die Firma sehr bald nach der Gründung an einen Herrn namens Wagner, Wilhelm Wagner, durch notariellen Vertrag verpachtet, – er selbst lebte im Ausland und reiste dauernd umher, hatte jedoch Kufstein in Bayern[1], also eine Grenzstadt, als Ort für postlagernde Sendungen als feststehend angegeben, und alle Briefe für ihn gingen dorthin und wurden von dort aus auch beantwortet … – – Dies mag zunächst als Einführungs genügen.
… An diesem warmen, klaren Sommertag hatte Herr Wagner die Fenster seines Privatbüros weit geöffnet und warf zuweilen einen versonnenen Blick über die grünen Baumkronen hinweg … Die großen Gärten der Astastraße, die er überschauen konnte, zauberten ihm oft genug eine Zeit vor Augen, wo er noch unbeschwert von so drückenden Gefühlen wie hier als freier Mann sein Handwerk betrieben hatte … Gewiß, auch dieses Handwerk war nicht ungefährlich gewesen … Trotzdem, er verfluchte den Tag, an dem er sich entschlossen hatte, diese Büroräume zu beziehen und … –
An all das andere mochte er schon gar nicht denken ‥!
… Der Prokurist, den er zusammen mit der Firma und anderen Angestellten als unkündbar übernommen hatte, betrat das Chefzimmer und legte Wagner eine Besuchskarte auf den Tisch. „Ein neuer Klient, Herr Direktor,“ … – –
Wagner überflog die Karte.
Hubert Seeberg
Schiffsmakler
Stettin
„Der Herr hat seine Frau mitgebracht,“ erklärte der alte kränkliche Prokurist, der infolge seines Gichtleidens sehr oft fehlte. „Herr Seeberg ist halb gelähmt,“ fügte er erläuternd hinzu. „Es handelt sich natürlich wieder um eine Erbschaft … Außerdem ist hier ein Brief aus Kufstein eingetroffen …“
„Geben Sie her, – die Leute sollen warten, ich rufe Sie schon selbst hinein, wie immer …“
Der Prokurist verschwand mit einem heimlichen Grinsen. –
Wagner biß den Eilbrief auf. Im Grunde war dies überflüssig, denn die Schreiben kannte er bereits … Er hatte sich auch nicht getäuscht. Leise fluchend verbrannte er den Befehl, erhob sich und verließ sein elegantes Privatbüro durch die dritte Tür, die in einen winzigen Raum mit nur einem breiten Fenster führte, wo ein ebenfalls recht angejahrter Schreiber arbeitete …
Gleich darauf wurde das Ehepaar aus Stettin vorgelassen, zum Platznehmen aufgefordert und nach seinem Anliegen befragt. –
Es ist im allgemeinen leichter, eine Frauenrolle zu spielen und sich zweckmäßig als Frau zu verkleideten denn als Mann. Wer wie ich einmal Schauspieler gewesen ist, sieht darin keine Schwierigkeiten, – – ich bin es auch bereits gewöhnt …
Wir, Herr Seeberg und Frau, hatten hier in dem Direktor der Auskunftei denselben Mann vor uns, den wir als Relief im Gerinnsel der Wunderuhr gesehen hatten. Ich war, das gebe ich getrost zu, sehr erregt und erwartete die weitere Entwicklung der Dinge mit fast unnatürlicher Spannung. Ich wußte nicht, was sich hier abspielen würde, denn Harst hatte auch Bechert vorhin nicht verraten, wie er hier dem Trias auf die Spur kommen wollte. Daß der Verbrecher so unverfroren-frech sein könnte, sich uns in diesen Räumen in irgend einer Gestalt zu stellen, war wohl ausgeschlossen.
Mein Freund erklärte sofort, allerdings mit sehr leiser Stimme: „Sie haben eine etwas anrüchige Vergangenheit hinter sich, Herr Wagner … Vor einem Jahr gehörten Sie noch zur Kolonne Wedding, Spezialität schwerste Einbrüche …“
Der Mann hinter dem Schreibtisch, auf dem kostbaren Bronzen und die Statuette des Dornenausziehers standen, rutschte unruhig hin und her und wußte nicht recht, wo er die Augen lassen sollte.
Harst fuhr unbarmherzig fort: „Heute haben Sie sich wieder einmal in Ihrem alten Beruf versucht … Sie hatten es sehr eilig, sonst würden Sie sich die Zeit gelassen haben, den einen Gummihandschuh zu erneuern, der bei der Arbeit ein Loch bekommen hatte, – dieses Loch wird Sie ins Loch bringen, denn Ihre Fingerabdrücke bewahrt die Polizei in Anerkennung Ihrer Verdienste um die Geldschrankindustrie noch immer auf …“
Der arme Teufel von Direktor machte gar keinen Versuch mehr, irgend etwas abzuleugnen … Wehleidig flehte er um Schonung … „Herr Harst, ich bin bereits sechzig alt, und das Zuchthaus …“ Er begann wahrhaftig zu weinen …
„Sagen Sie die volle Wahrheit, und Ihnen wird nichts geschehen,“ meinte Harald mit größter Nachsicht, aber auch mit größter Bestimmtheit. „Wer erteilte Ihnen den Befehl, den Tresor bei Professor Obroh zu knacken und das Bild und die grüne Sanduhr zu holen?“
Der unglückliche Chef der Robro heulte jetzt vor Angst. Selten habe ich einen so zerstörten Menschen vor mir gesehen … „Es ist mein Tod, wenn ich auch nur eine Silbe verrate …“ flehte er mit zuckenden Lippen und hervorquellenden Augen …
„Wir werden Sie zu schützen wissen,“ beruhigte Harst den bemitleidenswerten Schächer[2], dem die Furcht vor den Trias beinahe den Verstand raubte „das Gebäude hier ist in weitem Umkreis von Polizei umstellt … Also – heraus mit der Sprache! Zunächst, – woher wußten Sie, mit wem Sie es hier zu tun haben? Sie redeten mich vorhin mit meinem Namen an …“
Der seltsame Herr Direktor blickte sich scheu um. „Man ist vor ihm nirgends sicher …“ flüsterte er bedrückt.
Harst legte sich eindrucksvoll seine Pistole auf den Tisch. „Diese Art Beruhigungspillen, lieber Wagner, verfehlen nie ihre Wirkung. – Wer sagte Ihnen also, daß wir Schraut und Harst seien?“
„… Er!!“ murmelte unser Gegenüber noch leiser und beugte sich weit über den Tisch …, „er, – der dort,“ und er wieß mit dem Finger auf die kleine Tür, die ins Nebengemach führte, wo der alte Schreiber seine Arbeit verrichtete, wie wir von dem Pförtner gehört hatten, der uns jede gewünschte Auskunft hatte geben müssen.
Harst erhob sich schnell und riß die Tür weit auf … – Doch der kleine Raum war leer.
„Wohin führt die Treppe dort?“ rief Harst und stieß die zweite Tür, die verschlossen gewesen war, mit den Fuß ein.
„In den Park hinab und nach oben bis zum Hausboden …“
Ein Trillerpfeifensignal Harsts alarmierte die aufgestellten Wachen … Mehr konnten wir im Augenblick nicht tun. –
„Setzen Sie sich wieder, Wagner … Über die Art der Geschäfte der Firma bin ich bereits durch einen Ihrer Klienten informiert. Die Robro, von Richard Obroh, dem verkommenen Bruder des Professors gegründet, befaßte sich in der Hauptsache mit … Erbschaftsregulierungen, das heißt, sie sorgte dafür, daß oberfaule Erbansprüche wirksam gestützt wurden indem man notfalls Urkunden ‚zufällig’ fand, die die Prozeßgegner lahm legten. Natürlich kamen dabei für die Firma anständige … oder unanständige Honorare heraus. Ich bin überzeugt, daß Sie selbst von diesen Schwindeleien und Urkundenfälschungen nichts wußten, denn dazu gehörte eine größere Intelligenz, als Sie besitzen, dazu gehörten auch Mittel, die Ihnen fremd sind, dazu war ein sehr feiner Kopf nötig, eben der … Trias!“
Wagner fuhr von seinem Stuhl hoch … „Trias? Etwa der Mann, der …“
„Wie, Sie wissen gar nicht, daß …“
„Bei Gott, ich weiß von nichts! … Herr Harst, ich war bisher der Ansicht, daß Richard Obroh …“
„Und den fürchten Sie so sehr?! – Mithin lebt dieser Obroh gar nicht im Ausland … Mithin war der Schreiber, der nun entflohen ist, der Bruder des Professors ‥! – Mein Alter, begreifst du nun,“ wandte er sich mir zu, „weshalb wir heute früh im Obrohwinkel im Bild der grünen Sanduhr einen bärtigen Mann dort an dem Stehpult,“ – er zeigte in den Nebenraum – erblickten, der dem Professor so auffällig glich?! Die Uhr des Hellsehens ist doch nicht so zuverlässig, wie man annehmen könnte, schon der kleinste Gedankenfehler genügt, den …“
Wagner war aufgesprungen … „Herr Harst, die große, grüne Eieruhr habe ich heute gesehen, noch bevor ich bei Obroh einbrechen mußte und die zweite und das Gemälde holte … Ich blickte durch das Schlüsselloch, – der Schreiber Müller, so nannte sich der Oberchef hier, und nur ich hatte zufällig herausbekommen, daß er es war, also er drückte mit einer Flachzange spitze Nadeln in den Handgriff hinein und …“
Wagner verstummte … Die Tür war aufgeflogen. Hilde Anger trat hastig ein …
9. Kapitel
Ein Geständnis und Harsts Ergänzungen.
Aus der bescheidenen Angestellten, die im engen Rahmen ihrer Pflichten aufgewachsen war und vordem als Waise eine vielleicht freudlose Jugend verbracht hatte, war mit einem Schlag ein reifes, verantwortungsbewußtes Weib und eine weltkluge Fechterin auf dem ungewohnten Gebiet klügster Verschleierungstaktik geworden.
Sie war bleich, sie hatte übergroße Augen, aber in diesen Zügen lag etwas Durchgeistigtes und dennoch verbissen Willensstarkes … Sie hatte bis jetzt Komödie gespielt, hatte um die Verheimlichung von dunklen Zusammenhängen gekämpft, – – nun gab sie das nervenaufreibende Spiel ebenfalls aus tiefster Liebe und Dankbarkeit endgültig auf, freilich unter ganz falschen Voraussetzungen …
Wenn ich sage, ‚sie gab es auf’, so darf das nicht mißverstanden werden. Genauer ausgedrückt, sie änderte nur alle früheren Methoden und versuchte es nun mit einer gänzlich neuen. Aber der Gegner, den sie hier vor sich hatte, war sich über dieses gegenseitige Bemühen zweier blutverbundener Menschen, einander schwerste Enttäuschungen zu ersparen, längst im klaren und trug diesen ideellen Motiven von Irrungen und Wirrungen durchaus Rechnung.
„Ich darf nicht länger schweigen,“ begann Hilde mit etwas brüchiger Stimme. „Ich habe mich entschlossen, alles zu bekennen, was irgend dazu beitragen könnte, die Verhaftung des Trias zu erleichtern … Professor Obroh hat mich hier in die ‚Robro’ einzutreten gebeten, damit ich seinen unglücklichen Bruder im Auge behielte und schlimmeres Unheil verhütete …“
Sie schwieg und suchte die Wirkung dieser ersten Sätze auf Harst durch einen scheu prüfenden Blick festzustellen.
Mein Freund schickte zunächst den armseligen Handlanger des großen Trias aus dem Zimmer … dann schob er Hilde einen Stuhl hin und erklärte freimütig: „Wir wollen die Vorgeschichte auf keinen Fall noch mehr verschleiern, liebes Fräulein Anger … oder besser … Fräulein Obroh, denn der Professor ist Ihr Vater, und die Frau, die wir in der Villa des Trias fanden, ist Ihre Mutter …“
Das Mädchen errötete tief. „Woher wissen Sie das, Herr Harst?“ meinte sie mit Verzicht auf jeden Versuch, fernerhin zu leugnen. Sie hatte sofort eingesehen, daß gegenüber dieser die Dinge mit einem Schlage in das richtige Licht rückenden Bemerkung Harsts nichts mehr zu verhüllen war. – Auch mir kam dieser direkte Angriffe Haralds auf Hildes ohnedies sehr schwache Position vollkommen überraschend. Eine Verwandtschaft hatte ich wohl vermutet, niemals eine so enge … Umso ungeduldiger erwartete ich Harsts fernere Erklärung.
– Bechert erschien etwas außer Atem und verzögerte die Beichte Hildes, die nun kommen mußte. Der Kriminalkommissar teilte uns erregt und befriedigt mit, daß nicht ein einziger des Personals das Haus habe verlassen können. „Auch den Herrn ‚Müller’ haben wir erwischt … Mein Wiedersehen mit dem alten Sünder Richard Obroh gestaltete sich recht dramatisch, da der Bursche vom Staat noch einige Jahre Freiquartier zu fordern hat … Er winselte um Gnade und hatte eine solche Angst vor seinem Herrn und Meister, dem unvermeidlichen Trias, daß es schon fast komisch wirkte …“
Harst sagte mit allem Ernst: „Bechert, die Angst mag berechtigt sein … Ich weiß so ziemlich alles, – nur eins weiß ich nicht, – wo der Trias steckt ‥! – Aber davon später. Setzen Sie sich … Ich will in aller Kürze die Hauptpunkte klären, und Fräulein Hilde mag die nötigen Ergänzungen liefern, – es ginge auch umgekehrt, aber wir gelangen so schneller ans Ziel. – Meine Schlußfolgerungen bauen sich hauptsächlich auf das Ölgemälde auf. Bei Obroh im Obrohwinkel sah ich es umflort, bei Hilde hing es offen an der Wand. Einige telephonische Nachfragen genügten, den Sachverhalt noch eindeutiger klarzustellen. – Rudolf Obrohs Leben, also das des Professors, wurde überschattet von den Verfehlungen seines einzigen Bruders Richard, eines völlig aus der Art geschlagenen Menschen mit ausgesprochen verbrecherischen Trieben, der schließlich auch seinen Bruder mit ins Verderben riß. Jedenfalls hat damals vor Jahren nicht der Professor die Tempelgeräte in Katmandu gestohlen, sondern Richard, den der gutmütige Gelehrte auf die Reise mitgenommen hatte, damit Richard in der Fremde zu sich selbst zurückfände. Der Jüngere lohnte es ihn schlecht. Der geheime Haß, den Richard von jeher gegen den intelligenteren Bruder gehegt hatte, war nie zum Schweigen gekommen. Als der Professor im Gepäck Richards die gestohlenen Tempelgeräte fand, war es zu spät, das Vergehen noch zu vertuschen. Obroh bekannte sich als schuldig, um dem vorbestraften Richard eine schwere Zuchthausbuße zu ersparen, er wurde pensioniert und zog sich von aller Welt zurück. – Es ist nun ein uralter Erfahrungssatz, daß minderwertige Charaktere gewisse Wohltaten als stete Kränkungen ihres verkehrten. Rechtsgefühls empfinden. So auch Richard. Seine Beute hatte er herausgeben müssen, – der Professor behielt sich nur die grüne Sanduhr, denn diese war in dem Verzeichnis der geraubten Gegenstände nicht mit enthalten. Die Priester hatten sie wohl absichtlich nicht genannt, um sie als wertlos hinzustellen. Richard, der dann von einer verspäteten Ehe des verhaßten Bruders, die dieser ängstlich geheim hielt, erfahren hatte, fand endlich den einen Punkt heraus, wo er Rudolf Obroh am schmerzhaftesten treffen könnte. Er machte sich an Frau Doris Obroh, die um dreißig Jahre jüngere Gattin des Bruders heran und verstand es, sie dem Professor zu entfremden. Mit welchen Mitteln er dabei gearbeitet hat, entzieht sich meiner Kenntnis, aber die Annahme, daß damals vor zehn Jahren ebenfalls schon der Trias im Hintergrund mit am Werk war, dürfte zutreffen, denn Richard selbst war zu alt, um eine Frau noch auf Abwege zu führen. – Wir wollen nicht zu sehr ins einzelne gehen … Das einzige Kind dieser Ehe, die mit dem romantischen Nimbus strengsten Geheimnisses umgeben war, wurde von frühester Kindheit an in einer vornehmen Anstalt erzogen und bekam die Eltern nur selten zu Gesicht. Dies könnte ein ungünstiges Licht auf Obrohs Vatergefühle werfen, aber des Professors Scheu vor dem Spott der Öffentlichkeit über seine späte Heirat macht auch dies erklärlich, ebenso, daß er seine einzige Tochter als Hilde Anger angemeldet hatte. Als seine jugendlich schöne Gattin ihn verließ und zunächst verschwand, erging es ihm wie so vielen überalterten Ehemännern. Er argwöhnte eine längst bestehende Untreue und hielt Hilde für die Frucht eines unerlaubten Verhältnisses der verschwundenen Frau Doris, – menschlich durchaus verständlich bei dem großen Altersunterschied. Jahre verstrichen… Ich komme nun zur jüngsten Vergangenheit… Frau Doris Obroh hatte ihren törichten Streich bitter büßen müssen, niemand nahm sich ihrer an, nachdem sie bei Nacht und Nebel auf und davon gegangen war. Sie hatte ihrem Gatten einen Brief geschrieben, der ihr die reuevoll Rückkehr verriegelte. Dieser Brief, und das ist überaus wichtig, wurde von mir als Entwurf – bitte, gebt acht! – in des Landstreichers Roland Born schäbigen Ranzen ganz unten eingenäht gefunden. Damals mußte ich mit diesem Briefentwurf nichts anzufangen, da ich darauf keine Anschrift fand und da auch Obrohs Person erst in einem späteren Stadium in den Triasfall durch die grüne Sanduhr mit hineingezogen wurde. Obrohs Eintritt in den großen Fragenkomplex, der uns immer noch beschäftigt, insbesondere dann unsere Beobachtung, daß der Professor und Hilde sehr vertraut miteinander standen, genügten mir neben anderen Kleinigkeiten, die Wahrheit ungefähr zu erraten. Jedenfalls geschah vor kurzem folgendes. Hilde hatte auf Geheiß ihres Patenonkels Obroh, also ihres Vaters, und sie wußte, daß er ihr Vater war, hier in der Auskunftei eine Stellung angenommen, da Obroh noch immer heimlich den Verbleib seiner Frau und die an ihrer Flucht Schuldigen zu ermitteln suchte …“
Hier fiel Hilde meinem Freund zum ersten Mal ins Wort …
„Herr Harst, ich ahnte ja längst, daß es mein Vater war … Seine versteckte Zärtlichkeit, seine nimmermüde Fürsorge und mein Gefühl sagten mir dies, und aus seinen immer wiederkehrenden Fragen nach einer bestimmten Frau, die er mir genau beschrieb, entnahm ich, daß diese Frau meine Mutter sein müßte. Mein Vater war es ja, der mir kürzlich das Ölgemälde, das über meinem Schreibtisch hängt, schenkte. Mein armer Vater vermutete meine Mutter in der Umgebung seines Bruders …“ –
Sie erregte sich immer mehr, so daß Harald gütig bat, ihm das Weitere zu überlassen … Sie weinte still vor sich hin und nickte dann nur mehr wiederholt zustimmend mit dem von schweren, aschblonden Flechten umrahmten Kopf.
„Das Versteckspiel zwischen Vater und Tochter,“ fuhr mein Freund fort, „gestaltete den Triasfall erst zu einer seelisch sich auswirkenden Tragödie … Hilde wollte dem Vater verheimlichen, daß sie ihre Mutter längst in dürftigen Verhältnissen vorgefunden hatte. Obroh wieder suchte sein Kind von alledem fernzuhalten, was ihr die Wahrheit enthüllen könnte … Anderseit brauchte er ihre Hilfe. – Ihre Herkunft, überhaupt ihre Existenz waren seinem Bruder doch verborgen geblieben, – nicht aber dem Trias, denn wie hätte sonst der Fernschuß auf den Professor abgegeben werden können, wie hätte sonst der Trias seine grüne Sanduhr, seine, betone ich, aus Hildes Wohnung wieder entführen können, nachdem Hilde sie von hier weggeholt, in ihr Heim gebracht und in der Japanvase versteckt hatte?!“
Das junge Mädchen, das zuletzt etwas in sich zusammengesunken dagesessen hatte, richtete sich plötzlich auf und rief in ihrer temperamentvollen Art: „Ja, ich nahm die grüne Sanduhr heimlich dem alten Prokuristen Rolf Norb aus dem wie immer mit Abfällen bis oben gefüllten Papierkorb weg, – er hat wohl kaum geahnt, daß Richard Obroh, der sich hier Müller nannte, die Uhr dort …“
Sie schwieg … Harst war mit einem langen Satz zur Tür geschnellt, die in das Zimmer des Prokuristen führte, und riß sie auf …
Der mittelgroße Raum, der recht wohnlich ausgestattet war, war leer … Mitten auf einem Bogen Papier lag noch die Gänsefeder, die der alte gichtkranke Norb regelmäßig benutzt hatte …
Auf dem Papier stand geschrieben:
Roland Born – Rolf Norb gleich Born.
Leben Sie wohl, meine Herren!
10. Kapitel
Zum letzten Mal: Die grüne Sanduhr!
… Rolf Norb, dieser menschenscheue, dauernd kränkliche und oft wochenlang im Geschäft fehlende gutmütige Sonderling, hatte, nachdem er seinem ‚Chef’ das Stettiner Ehepaar gemeldet und an seinem Schreibtisch wieder Platz genommen hatte, einen elektrischen Zigarrenanzünder, der die Form einer ein Tamburin haltenden Bajadere besaß, näher zu sich herangezogen. Die Kontaktschnur des kleinen, feinen Apparates endete scheinbar in einer gewöhnlichen Steckdose ….
Und der Alte, so oft von Gicht geplagte Prokurist hörte nun jedes Wort, das nebenan im Chefzimmer gesprochen wurde, und jedes Wort interessierte ihn … Zuweilen lächelte er, dann vertieften sich die Falten um seinen Mund noch mehr, dann wurde sein Gesicht zur höllischen Fratze …
Schadenfreude, Triumph, unbändige ironische Genugtuung wetterleuchteten über seine verschrumpelten Züge … Mitunter erschien sein Gesicht infolge dieser ungehemmten Gefühlsäußerungen überraschend jung … Mitunter schmerzte ihn sein Gesicht bei diesen unvorsichtigen Grimassen, denn die Mixtur, die diese Falten und Fältchen erzeugt hatte, griff die Haut stark an, dafür war sie aber auch ein Mittel zur Veränderung des Aussehens, wie es kein zweites gab, – es stammte ebenfalls aus Indien …
Wohl selten hat ein Verbrecher von dem einzigartigen Format dieses kaum dreiundzwanzig jährigen Roland Born so unübertrefflich seine schwere, allergrößte Vorsicht erfordernde Rolle als harmloser Prokurist so glänzend durchgeführt wie er … Er gab die Befehle an Richard Obroh, den ebenso armseligen Schreiber, aus – stets schriftlich, und nie ahnte dieser Obroh-Müller, woher sie kämen …
Born, der große Trias, hatte seine Marionetten unsichtbar am festesten Faden, und der Faden hieß ‚Furcht’! … Hieß grauenvolle Angst vor den unheimlichen Künsten einer Person, die niemand je zu Gesicht bekam und deren Gegenwart man doch dauernd spürte … Gegen ihn gab es kein Sichauflehnen, – er war allgegenwärtig, er war ein Künstler im unauffälligen Spionieren … und er verfügte zu diesem Zweck über ein Werkzeug, wie es nirgendwo vorhanden, nur er wußte die grüne Sanduhr so zu gebrauchen, wie sie behandelt werden mußte, um die volle Wirkung aus ihr herauszuholen …
Er war ein moderner Mephisto, erzogen in einem Land, das uralte Weisheiten bis in die Neuzeit zu rein religiösen Zwecken hinübergerettet hatte, – er benutzte sie zu seinem Vorteil aus einem kranken Machthunger heraus … Nebenher lief bei ihm eine unstillbare Geldgier, – – er kannte seine Schwächen, er belächelte sie, als ob’s ein Fremder wäre, den er grob verspottete … Auch das war groß an ihm, – so hat Harst ihn hinterher gekennzeichnet, und die Zukunft bewies, daß seine Charakteristik richtig gewesen … – –
Der große Trias lauschte auf jedes Wort, das aus der Bajadere hervordrang …
Immer wieder nickte er zustimmend … Als Harst nebenan von Obrohs Bemühungen sprach, Frau Doris wieder aufzufinden, wurde der Trias sehr ernst und murmelte vor sich hin: „Das war doch ein Fehler, die Frau, die ich erst gestern als Hausdame eingestellt hatte, für meine Zwecke auszunutzen, sie die Holzsammlerin spielen zu lassen und … nachher so schlecht zu treffen … Sie lebt, – das ist gegen mein Programm, und auch der Tölpel von Obroh traf schlecht, – der Professor lebt … All das ist unbequem …“ –
Sein Selbstgespräch endete jäh … Er hatte nebenan einen Satz vernommen, der die grüne Sanduhr betraf.
Es wurde Zeit … Er schrieb schnell ein paar Worte mit seinem Gänsekiel, erhob sich, griff nach dem riesigen Schlapphut und seiner Aktentasche und öffnete den altmodischen Tresor, der halb in die Wand eingelassen war, schlüpfte hinein, zog die Tür hinter sich zu und erschien wenig später auf der Straße, indem er gelassen den Flur des dritten Nebenhauses verließ. Er wußte, daß die Polizei sich jetzt, nachdem Richard Obroh verhaftet war, nur im engen Kreis um das Haus der Firma ‚Robro’ geschart hatte … An ihn hatte niemand gedacht, er war ja nur der alte, kranke, gutmütige und bescheidene Rolf Norb, der den Kindern Konfekt schenkte und auf seine Stöcke gestützt mühsam dahinhumpelte … wie jetzt… Außer der Aktentasche trug er noch zwei mittelgroße Pakete bei sich, – die beiden kostbaren grünen Sanduhren … Die Zeitungsbogen, in die er sie in der Eile eingehüllt hatte, lockerte der frische Wind, der um die Straßenecke fauchte …
Ein junger, netter Mensch in gutem Zivil kam ihm entgegen: Hans Wert!
Der Trias stutzte …
Wert kannte ihn von Ansehen, da er Hilde oft genug an dieser Straßenecke erwartet und dabei auch wiederholt dem alten Prokuristen begegnet war … –
Der junge Polizeibeamte wußte nun von einem Kollegen, daß sämtliche Angestellte der Auskunftei in den Büroräumen zurückgehalten wurden. Auch er stutzte …
Ein neuer Windstoß kam … Die Umhüllung der einen Uhr des Hellsehens bauschte sich, und das grüne Glas wurde sichtbar …
Schon war der Trias vorübergehinkt, – Wert schaute ihm nach, machte kehrt, – abermals ein Windstoß …
„Halt! Stehen bleiben!“ brüllte Hans Wert dem Alten nach …
Eine vornehme Limousine sauste an Wert vorbei, hielt, – der Alte sprang leichtfüßig hinein, und der Wagen rollte weiter …
Wert wußte nun, worum es hier ging, riß die Dienstpistole aus der Tasche und feuerte … Die Kugel durchschlug die Rückwand des Wagens, traf die eine Sanduhr, traf den Handgriff, und die umherfliegenden Magnetstückchen entlockten sogar dem Trias eine leise Verwünschung …
Wert lief in langen Sätzen der Limousine nach und feuerte die letzten Schüsse ab … Ein offener Zweisitzer überholte ihn … Darin saß eine bekannte Filmschauspielerin …
„Steigen Sie ein!“ – – Hans Wert saß schon neben ihr … Die Jagd ging über eine der Brücken des nahen Kanals … Unter der Brücke fuhr gerade ein Schleppzug entlang … Die Frau des einen Schiffers hatte Wäsche zum Trocknen aufgespannt … Die Laken flatterten im Wind hoch, – – da schleuderte der Trias, an dem Gelingen seiner Flucht zweifelnd, beide Uhren über das Brückengeländer in die Tiefe … Die eine, und zwar die halb zerstörte, verschwand im Wasser, die andre fiel auf das Laken und rollte der Schifferfrau ganz sanft in den Schoß …
Die Filmdiva, sonst eine überaus sichere Fahrerin, raste in der Erregung gegen einen Prellstein, – – so entkam der Trias, so gelangten wir dennoch in Besitz einer der Wunderuhren …
Am Abend desselben Tages … In einer vornehmen Privatklinik steht die Tür zwischen zwei Krankenzimmern weit offen … Die Betten der beiden Patientinnen sind dicht an diese Tür gerückt, in dem einen legt Frau Doris, in dem anderen ihr Gatte, Professor Rudolf Obroh … Das wieder vereinte Paar hält sich bei den Händen, – Hilde sitzt auf dem Bettrand neben ihrer Mutter … Auf Stühlen vier ernste Männer, – Bechert, Hans Wert, wir beide …
Harst hält die Uhr im Schoß, die grüne Sanduhr, und bevor er mit dem entscheidenden Experiment beginnt, erklärt er mit allem Nachdruck: „Es unterliegt für mich keinem Zweifel mehr, daß wir nun zum Teil in die Wirkungsart der Uhr des Hellsehens eingeweiht sind … Roland Born dagegen kennt das ganze Geheimnis … Er, der Trias, war heute in jeder Beziehung schneller als wir, – sogar die andere Uhr, die ins Wasser fiel, hat er durch einen Taucher, der sich als Beauftragter der Polizei ausgab, bergen lassen. Vielleicht ist diese Uhr schon wieder in Ordnung und Born … sieht uns hier beisammensitzen und beobachtet uns … – Ich deutete soeben an, daß wir nicht das ganze Geheimnis kennen, ich möchte mich dazu eingehender äußern …“
Er streichelte gedankenverloren das hellgrüne Glasgehäuse und begann mit gedämpfter Stimme von neuem „Magnetismus der Meteoritenstückchen, menschlicher Eigenmagnetismus, Konzentrationsfähigkeit und … ja, was wohl noch, ergeben erst in ihrer Gesamtheit die volle Wirkung … Und gerade dieses: ‚Was wohl noch?’ das fehlte uns bisher! Die Bilder, die ich bisher hervorrief, litten alle an demselben Mangel, sie zeigten verschwommene, durcheinander gemischte Einzelheiten. Wo also steckt der Fehler? Ich glaube ihn gefunden zu haben … –
Die Welt von heute, die sich mit dem Gedanken der baldigen, vollkommenen gelungenen Konstruktion eines Fernsehempfängers durchaus vertraut gemacht hat, steht der mehr das halb übersinnliche Gebiet streifenden Wirkungsweise dieser Uhr nicht mehr so skeptisch gegenüber, wie es vielleicht die Generation vor fünfzig Jahren getan hätte … Die verfeinerte Technik hat Gebiete erschlossen, für die man früher die Erfinder als Hexenmeister verbrannt hätte …“
Er deutete in eine Ecke des Zimmers, wo ein Höhensonnenbestrahlungsapparat aufgestellt war. –
„Ultraviolette Strahlen ‥! Heute etwas, das jedes Kind fast kennt … Der Apparat ist auf meine Bitte hin ein wenig umgeändert worden … – Schraut, Licht aus! Stille bitte, absolute Ruhe!“
Die Quarzröhre erstrahlte in fahlem Leichenlicht …
Es brodelte in der Röhre …
Harst hielt den Griff der Uhr umklammert …
Der Metallsand rieselte herab …
Der grüne Glasbehälter erschien farblos … Aber der Metallsand leuchtete wie ein Rinnsal von Diamanten …
Ich allein durfte in Harsts Nähe bleiben … Ich … sah ‥!! – Ich sah, wie die Körnchen, sobald sie die matte Glasscheibe berührten, sich entfärbten und und ihr gewöhnliches Aussehen annahmen, wie sie sich gruppierten und …
… Da kehrte Harst mir plötzlich den Rücken zu …
Ich sollte nichts mehr sehen …
Nach drei Minuten erhob er sich … „Mißlungen!“ erklärte er leichthin. Er schaltete den Quarzapparat aus und packte die Höllenuhr wortlos ein … – –
Dann saßen Bechert und wir beide bei uns daheim im Vorderzimmer, und Harst sagte, nachdem er endlos lange geschwiegen hatte: „Ich will euch die Wahrheit eingestehen … Ich hatte vorhin in der Klinik alle meine Gedanken auf den Trias konzentriert und wünschte mit aller Macht äußerster Willensanspannung ihn dort zu sehen, wo er sich gerade befände … Und … ich sah ihn … Er saß in einem überaus eleganten Herrenzimmer und … hatte seine … reparierte Uhr vor sich … Der Metallsand rieselte herab und ergab das Bild einer mit Blumen geschmückten Kapelle, in der ein offener Sarg stand … In dem Sarg lag … Frau Doris Obroh, und neben dem Sarg knieten Hilde und ihr Vater … –
Dann drehte sich der Trias nach mir um und schaute mich an … – schaute mich an mit einem Satanslächeln, das nur mir gelten konnte, – – mir, meinem Unvermögen, diesen Schurken zu fassen …“
– Bechert verließ uns gleich darauf, die Uhr nahm er mit, damit sie bei einer Bank deponiert würde. – – Er bestieg eine Taxe, – – eine halbe Stunde darauf rief uns Hans Wert an: Becherts Taxe war von einer Limousine gerammt worden, Der Kommissar war schwer verletzt, – – die Uhr aber war … geraubt worden.
– – Acht Tage darauf wohnten wir dem Begräbnis Frau Doris Obrohs bei … Am selben Abend beendete ich dieses Manuskript …
*
Als ich morgens die letzten Zeilen, noch im Bett liegend, überflog, fand ich in ziemlich frischer Tinte folgende Ergänzung in Roland Borns zierlicher und doch so fester Schrift:
Ich bin eines der Bilder der Heiligen Sanduhr … Ihr aber werdet Bilder werden des üblichen Zerfalls menschlicher toter Leiber …
Das war eine Kampfansage …
Nicht ein Wort mehr ‥! … Nichts mehr… Es genügte ja auch.
Harald erklärte daraufhin am Frühstückstisch: „Ich nehme trotz allem diese Herausforderung an … Wir werden eben unsere Methoden gründlich ändern müssen …“
Dann griff er nach einer Zigarette und rauchte die ersten Züge mit fest geschlossenen Augen. – – So entwarf er den neuen Feldzugsplan gegen den Mann, der all unsere Handlungen jederzeit kontrollieren konnte …
… Und dann ‥?
Nächster Band:
Fußnoten:
[1] Gemeint ist wohl Kiefersfelden, da Kufstein auch damals schon zu Tirol/Österreich gehörte. Auf alten Briefen finden sich aber oft die Angabe „Kiefer(sfelden) bei Kufstein in Bayern“ (Kiefer ist eine umgangssprachliche Abkürzung für Kiefersfelden). Wobei Kiefersfelden eben die Grenzstadt in Bayern ist.
[2] bibl. Ausdrück für Räuber, Mörder