Harald Harst
Band: 366
Von
Max Schraut
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 16,
Michaelkirchstraße 23a
Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1933 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16
1. Kapitel
Vorspiel an der Grenze.
… Der reiche Haziendero begrüßten den Gelehrten und dessen Gattin unten auf der schattigen Veranda, fragte höflich nach dem Verlauf ihrer langen Reise und fühlte sich lediglich infolge [der] Anwesenheit seines Nachbars etwas unbehaglich, dem er die deutschen Gäste zu deren größtem Erstaunen als alte Bekannte vorstellte.
„Ich bin selbst gebürtiger Deutscher,“ erklärte der verwitterte, knorrige Petroleumkönig sehr herzlich und schüttelte den Landsleuten derb die Hand.
Gleich darauf verabschiedete er sich, denn er hatte vier Stunden zu reiten, bevor er seine eigene Besitzung erreichte, die mehr nach Osten zu lag. Während die Hazienda des Dänen mit ihrem ungeheuren Gebiet bis zur Grenze von Neu Mexiko sich ausdehnte.
Der Ölmagnat, ein älterer Mann mit tiefgeräumtem, wie aus Erz gemeißeltem Gesicht, jagte in gestrecktem Galopp zwischen den Drahtzäunen der Viehfenzen[1] dahin, in denen Tausende und aber Tausende von Rindern und Pferden und auch eine Anzahl Kamele weideten, deren Aufzucht dem vielseitigen Dänen wie alles, was er anpackte, glänzend gelungen war. Sein Nachbar, einer jener kerndeutschen Pioniere, die überall gern gesehen werden, weil sie deutsche Gründlichkeit mit unbestechlicher Rechtschaffenheit verbinden, ließ seinen Braunen sehr bald in Schritt fallen und dachte über die Begegnung mit den Landsleuten angestrengt nach, da es ihm nicht entgangen war, daß der Haziendero in dem einen Punkte offenbar die Unwahrheit gesprochen hatte. Die Gäste waren keine alten Bekannten des Dänen, niemals hatte dieser erwähnt, er besäße in Berlin deutsche Freunde …
Am Tage darauf ritten der Gelehrte und der Haziendero ohne jede weitere Begleitung hoch zu Dromedar, hinter sich ein schwerbeladenes Packtier, gen Süden. Die Gattin des Deutschen war nur ungern zurückgeblieben, aber ihr Gastgeber beharrte auf den klar festgelegten Bedingungen, unter denen er den bekannten, nein, schon mehr weltberühmten Rutengänger das verlockende Angebot gemacht hatte.
Es wurde ein recht schweigsamer Ritt, dazu auch äußerst anstrengend, denn das Gelände nahm sehr bald felsigen Charakter an, und die Hitze wuchs, je höher die Sonne stieg. Die beiden Männer schwenkten dann nach Stunden gen Westen ab, durchquerten endlose Kakteenfelder und erreichten erst um die Mittagsstunde eine in einem kahlen Höhenzug gelegene Schlucht. Bevor sie den Abstieg begannen, nahm der Däne nochmals sein Fernglas zur Hand und suchte aufs Genaueste die ganze Umgebung ab, obwohl es hier auf dreißig Meilen im Umkreis keinerlei Siedlungen gab, – nur Felsen, Sand, Kakteen, dürre Palmen und echte Wüstensträucher …
Es war eine geradezu schauerliche Einöde, und der Gelehrte, den sein ungewöhnlicher Beruf bereits durch fast alle Erbteile geführt hatte, wunderte sich daher umso mehr, als er unten in der Schlucht deutliche Anzeichen von früheren Wohnstätten und noch weit sonderbarere Dinge bemerkte. Allerdings war er durch die Wortkargheit des Dänen zu etwas darauf vorbereitet, daß es mit der Örtlichkeit, die er auf das Vorkommen von Metallen untersuchen sollte, etwas Besonderes auf sich haben müßte.
Er war ein Mann von vielleicht sechzig Jahren, hager, sehnig und mit auffallend durchgeistigten Zügen, denen jedoch einige Merkmale gesammelter Energie nicht fehlten.
Nachdem die Reittiere versorgt waren, wurde das mitgebrachte Zelt im Schatten einer überhängenden Felswand aufgestellt, die beiden Männer bereiteten sich eine einfache Mahlzeit, und dann begann der Haziendero endlich ganz offen zu sprechen.
Die Schlucht nannte er Canon de los Diabolos – Schlucht der Teufel … – Der Gelehrte, der doch etwas mehr von diesen Dingen verstand, unterbrach ihn sehr bald.
„… Diese alten Indianersagen treffen wie all diese Überlieferungen immerhin in übertragener Bedeutung zu, aber auch nur das. Die Wahrheit über die Entstehungsursache dieser Schlucht lautet auf Grund meiner Kenntnis der südafrikanischen Meteorkrater doch etwas anders …“
Der Däne machte schon zu diesen einleitenden Sätzen ein sehr enttäuschtes Gesicht …
„Meteor?!“ meinte er mürrisch … „Und ich glaubte, es handelte sich um ein altindianisches Bergwerk …“
„Beides trifft vielleicht zu,“ beruhigte ihn der deutsche Rutengänger, schob seinen Aluminiumteller beiseite und griff nach einer Zigarre. „Ich will Ihnen, Sennor, in kurzen Worten Aufschluß geben … Ich bin nicht weiter erstaunt, daß der Aberglaube der Rothäute aus einer Jahrtausende zurückliegenden Naturkatastrophe größten Ausmaßes ein für ihre kindlichen Vorstellungen weit mehr begreifliches Ereignis höllischer Art konstruiert hat. – Diese Schlucht verdankt ihre Entstehung dem schrägen Aufprall eines in den Anziehungsbereich der Erde gelangten Himmelskörpers, also eines Meteors, der dann hier an dieser Stelle eine tiefe Furche riß, bevor er sich in das Erdinnere einbohrte … Diese Meteorkrater findet man überall – der heute bekannteste ist der sogenannte Arizonakrater, zugleich ist er auch … der kostspieligste[2], denn die Aktiengesellschaft, die dort das in die Erde eingedrungene Meteoreisen, das ja stets sehr viel Nickel, Platin, Kupfer und auch Gold enthält, mit einem technischen Hilfsmitteln der Neuzeit abbauen wollte, stieß erst nach jahrelangem Suchen auf den Kern des Meteors in zweihundert Meter Tiefe, – man hatte eben eins bei diesem Krater übersehen: die über hundert Meter hohen Wände der Einbruchstelle, kahler Fels übrigens, wie hier, verliefen schräg, mithin mußte das Himmelsgeschoß außerhalb des Kraterkreises, der ein Kilometer Durchmesser hatte, gesucht werden …“
Auch der Haziendero zündete sich nun erleichtert eine Zigarre an und meinte lachend: „Sie hatten mir da einen bösen Schreck eingejagt … Ich bin nun einmal darauf versessen, dieser indianischen Sage auf den Grund zu gehen, und Ihr Honorar, Sennor Doktor, und die Reisekosten für Sie und Ihre Gattin stellen ein Recht nettes Sümmchen dar … Für einen privaten Spaß doch ein etwas zu hoher Gesamtbetrag ‥!“
Der deutsche Gelehrte dachte sich sein Teil, schwieg jedoch … Er hatte den Haziendero längst durchschaut. – Habgier war’s, die den Dänen, der längst völlig amerikanisiert war, veranlaßt hatte, ihn aus Berlin nach langen vorsichtigen, schriftlichen Verhandlungen herbeizurufen.
Nachdem die beiden Herren dann bis zum Nachmittag geschlafen hatten, um der Hitze zu entgehen, die in dem Felsenkessel wie Feuersgluten lagerte, besichtigte der Deutsche die Schlucht genauer und fand seine Annahme, es handele sich hier um einen Meteorkrater, vollauf bestätigt.
Er hatte einen gabelförmig Zweig einer Mistelstaude bei sich, den er seit langem bei seinen Forschungen nach Wasserstellen oder Metallen benutzte. Diese Astgabel hatte eine vielleicht fünfzig Zentimeter messende Verlängerung, die mit drei Drahtspiralen sauber umwickelt war: Silberdraht, Kupferdraht und Eisendraht. –
Der Gelehrte hatte sich eben auf Grund seiner Erfahrungen eine besondere ‚Rute’ für seine Versuche hergestellt, – im Gegensatz zu seinen Fachkollegen benutzte er nicht reine Metallgabeln, und vielleicht war es hierauf zurückzuführen, daß er so vorzügliche Ergebnisse erzielte.
Er bat seinen Auftraggeber, ihn jetzt nicht zu stören, da er sich geistig vollkommen konzentrieren müsse, faßte die Gabelstücke mit beiden Händen und hielt die Verlängerung der Rute zur Erde, schritt sehr langsam vorwärts und näherte sich der Gegend, wo nach seiner Berechnung der Kern des Meteors in den Tiefen der Gesteinsmassen liegen mußte.
Der Haziendero setzte sich in der Nähe auf einen Stein und verfolgte das Tun des Deutschen mit einer Spannung, die sehr bald sich noch steigerte, als der Rutengänger stehen blieb und plötzlich in scharfer Wendung nach Süden abbog, wo die Schlucht sich kesselförmig erweiterte.
Der Doktor, dessen Gesichtszüge jetzt einen Ausdruck angestrengtester geistiger Sammlung zeigten, fühlte genau das ruckartige Ausschlagen der Rutenverlängerung und wollte nach diesem ersten Erfolg nur noch feststellen, wo sich dieses kennzeichnende Zucken der Wünschelrute am stärksten bemerkbar machen würde, – dort war dann auch die Stelle, an der unten in der Tiefe der Kern des Meteoriten liegen mußte …
Urplötzlich stutzte der Gelehrte …
Was ihm heute hier begegnete, hatte selbst er bei seinen vielfachen Erfahrungen noch nie erlebt …
Die Rute meldete sich überhaupt nicht mehr ‥!
Ratlos stand er da und überlegte, machte kehrt, schräg zum Ausgangspunkt seiner Versuche zurück und trat wie vordem seine Wanderung von neuem in derselben Richtung an …
… Die Rute blieb stumm ‥!!
Der Doktor schüttelte immer wieder ärgerlich den Kopf und sann vergebens darüber nach, wie er sich dieses Versagen seines so einfachen Instrumentes deuten könnte … Derartiges hier war ihm in seiner langen Praxis überhaupt noch nicht vorgekommen! – Aber alles Grübeln und alle erneuten Anstrengungen blieben genauso erfolglos. –
Am Tage darauf versuchte er aufs neue sein Heil und … dasselbe unergründliche Spiel wiederholte sich. Zunächst meldete sich die Rute ganz einwandfrei, dann versagte sie gänzlich.
„Das geht nicht mit rechten Dingen zu!“ rief der Gelehrte und schaute seinen Auftraggeber ratlos an.
Der Haziendero, dessen Geduld schon längst erschöpft war, überhäufte den Deutschen mit allerhand bissigen Bemerkungen über … den Schwindel der Rutengängerei. – Es kam zu einer scharfen Auseinandersetzung, und der mit Recht empörte Doktor eilte zum Zelt, um sofort aufzubrechen und allein nach Hause zu reiten.
Vor dem Zelt fand er einen an den Dänen gerichteten Brief auf einem der Sättel liegen. Die Adresse war mit Bleistift geschrieben, die Briefklappe frisch zugeklebt …
Inzwischen hatte der Haziendabesitzer eingesehen, daß er in seinem Ärger sich zu Bemerkungen hatte hinreißen lassen, die auf ihn den doch ein zu schlechtes Licht warfen, außerdem fürchtete er auch, der Gelehrte könnte sein Schweigenversprechen unter diesen Umständen zurücknehmen, und gerade das durfte auf keinen Fall geschehen … Der Däne wußte ja am besten, daß er sich hier in der Schlucht der Verletzung der Eigentumsrechte eines anderen schuldig machte …
Er hatte also die Absicht, sich in aller Form bei dem Doktor zu entschuldigen, kam hiervon jedoch wieder ab, als der Deutsche ihm wortlos den Brief hinreichte.
Der Däne riß mit verblüfftem Gesicht den Umschlag auf und überflog das kurze, aber desto unbegreiflichere Schreiben:
250000 Dollar, und die Rute wird Ihnen zu Millionen verhelfen. Legen Sie das Geld in Banknoten übermorgen unter den Stein, auf dem Sie immer sitzen.
Der Haziendero stieß einen grimmen Fluch aus. „Sennor Doktor,“ rief er dem Deutschen zu, „halten Sie es für möglich, daß jemand irgendwie die Wirkung der Wünschelrute ausschalten könnte?“
„Das ist unmöglich,“ erwiderte sein Gegenüber sehr bestimmt.
„So?! Dann lesen Sie dies hier gefälligst ‥!“
– Nach einer Stunde ritten die Beiden zur Hazienda zurück. Ein nochmaliger Versuch des Doktors hatte auch diesem bewiesen, daß hier tatsächlich geheimnisvolle Kräfte die Hand mit im Spiel hatten. – Kaum waren die Reiter verschwunden, als ein junger, sonngebräunter Mann im tadellosen Reitanzug sein Versteck droben am Rande der Schlucht verließ und vorsichtig mit dem Fernglas den beiden Männern nachblickte … In der Nähe dieser Stelle, die er nachts aufgesucht hatte, war auch sein prächtiger Rappen verborgen. Geduldig, fast drei Tage, hatte er ausgeharrt … Als die beiden dann am Horizont in den Dünen der Steppe untergetaucht waren, als er nun zufällig in die Schlucht hinabschaute, gewartet er zu seiner ungläubigen Überraschung einen ganz in Leder gekleideten Indianer, der noch nach alter Stammessitte im Haar drei Adlerfedern und im Gürtel ein Wurfbeil und ein Messer in [einer] Lederscheide trug. – Die Rothaut war dem jungen Weißen, der hier doch im Umkreis von hundert Meilen jeden Menschen kannte, völlig fremd …
– Fünf Tage darauf erreichte der junge Europäer auf seinem Rappen sein weit entferntes Heim … Über sein Abenteuer sprach er zu keinem Menschen … Sogar den eigenen Vater mußte er belügen, was ihm wahrlich nicht leicht wurde … „Ich hätte mir die Mühe schenken können, Vater …“ erklärte er in etwas gebrochenem Deutsch … „Dein Verdacht entbehrte jeder Grundlage.“
– Zwei Wochen später erwarb der Däne von dem Petroleummagnaten den Steppenstreifen an der Grenze und damit auch die Schlucht … Und wieder einen Monat darauf wurde im Canon de los Diabolos ein weit verzweigtes Höhlengebiet und eine reiche Erzader entdeckt … –
… Der deutsche Rutensucher aber erhielt, als er mit seiner Frau ein halbes Jahr wieder in Berlin weilte, ein umfangreiches, flaches Paket zugestellt, dem ein mit Maschine sehr sauber getippter Brief beilag:
Bewahren Sie das Geschenk sorgfältig auf und bringen Sie es so an, wie es die beigefügte Skizze Ihrer Wohnung vorschreibt. Hüten Sie sich, auch nur ein Sterbenswörtchen über das Erlebte zu erzählen, – warnen Sie auch Ihre Frau! Bisher haben Sie zu Ihrem Glück geschwiegen … Wer leben will, bleibt stumm.
Der Mann aus der Schlucht
Die Frau des Gelehrten, die bedeutend jünger als ihr Gatte war, hatte an demselben Vormittag, als das Geschenk eintraf, eine noch jüngere Freundin bei sich, der sie stets alles anzuvertrauen pflegte, da sie auf deren Verschwiegenheit unbedingt bauen konnte. Die junge Dame war ebenso hübsch wie klug und verdiente durch ihre spannenden Romane viel Geld. Im vorsichtigsten Flüsterton berichtete die Frau Doktor heute erst aus diesem besonderen Anlaß ihrer langjährigen Vertrauten das seltsame Abenteuer ihres Mannes im Canon de los Diabolos und auch das heute eingetroffene Geschenk …
Nachher, als der Gelehrte seinen gewohnten Spaziergang unternahm und die Freundinnen allein waren, führte die Frau Doktor ihren Gast in das Zimmer, wo das unheimliche Geschenk untergebracht worden war …
Hier fiel sie urplötzlich nach einem kurzen, gellenden Aufschrei bewußtlos der anderen in die Arme, und es dauerte viele endlose Wochen, bevor sie wieder von dem schweren Nervenfieber genas …
… Zwei Jahre vergingen …
Da trat Jup Hergt auf den Plan …
2. Kapitel
Jupiter Hergt irrt sich – worin?
Jupiter Hergt war unschuldig – an allem, das sei von vornherein betont. Natürlich auch an seinem göttlichen Vornamen Jupiter … Im übrigen nannte ihn kein Mensch daheim auf der väterlichen Farm anders als nur Jup, – was ihn am meisten ärgerte. Wenn die Leute wenigstens noch Jupp mit zwei p gesagt hätten! Aber sie dachten gar nicht daran … Er hieß eben Juuup, und nicht kurz und schneidig Jupp.
Genau so schuldlos war er an der Reise nach Deutschland. Vater Hergt hatte eben gewünscht, daß sein Ältester das alte Heimatland einmal anschaue, und was Vater Hergt wünschte, war Befehl.
Jup, der weit lieber daheim geblieben wäre, war im übrigen völlig amerikanisiert, – auch dafür konnte er nichts, das brachten die Verhältnisse so mit sich.
Berlin behagte ihm gar nicht … Was war Berlin im Vergleich zu Neuyorks Wolkenkratzern?! – So einseitig urteilte Jup über die Heimatstadt seiner Eltern. – Auch das war ihm zu verzeihen, denn er war noch jung und gänzlich unbeschwert von Verständnis für den Kunstwert alter Schlösser und für die Würde traditioneller Bauten. Er kannte nur die endlose Weite der texanischen Steppen, nur die Petroleumbohrtürme und sein vielverheißendes Scheckbuch …
Er war eben ein echter Yankee geworden … – Nachher änderte sich das … Weil Jup sich … geirrt hatte.
Und auch für diesen Irrtum war er nicht verantwortlich zu machen, daran war die Prohibition schuld, also die geringe Kenntnis der Wirkung von drei Flaschen Sekt … –
In der ‚Gloria-Bar’ war es gerade an dem Abend so außerordentlich gemütlich … Jup, der als halber Wildwestmann so ziemlich das Gras wachsen hörte und alle Sorten von Edelgaunern – von daheim aus seinen Bekanntenkreisen!! – sofort richtig einzuschätzen wußte, hatte zwei eleganten Bauernfängern recht anständige Summen abgeknöpft und lachte sich innerlich schief darüber, daß die beiden Kerle hinterher noch von einer Kriminalpatrouille aufgegriffen wurden …
Seinen Gewinn setzte er restlos in Getränke um und hielt die ganze Bar frei … Er wurde immer vergnügter und machte sich erst gegen zwei Uhr morgens stark angeheitert auf den Heimweg, – das heißt, soweit er überhaupt angeheitert sein konnte, denn er besaß eine wahre Pferdenatur … in allem.
Nach zwei Stunden hatte er endlich im neuen Westen Berlins die vornehme Mietskaserne erreicht, in der er eine möblierte Fünfzimmerwohnung samt Bedienung von einem Gelehrten für sechs Monate gemietet hatte.
Jup Hergt war maßlos stolz, daß er seinen Kopf durchgesetzt hatte, und aus reinem Übermut verzichtete er nun auch auf das Einschalten des Nachtlichtes im Treppenflur und tappte im Halbdunkel die dickbeläuferten Stufen empor, – es war ja Ende Mai, und die Nächte daher nicht allzu finster …
Jup zählte die Etagen, – sein Heim lag im dritten Stock, linker Hand … So, nun war er angelangt, suchte nach den Schlüsseln, dann lachte er zufrieden, – der Diener Thomas, dieser alte Querkopf, hatte ihn zweifellos kommen sehen … die Flurtür war nur angelehnt …
Er trat ein … Sein Hirn war noch immer darauf eingestellt, alle Hindernisse ohne technische Hilfsmittel zu überwinden … Er würde sich schon im Dunkeln zurechtfinden … Sein Schlafzimmer war die vierte Tür rechts … Aha, – da war sie schon … da war der Drücker mit dem imitierten Elfenbein, da war das gewohnte leise Quietschen des Drückers, das wie das Zirpen einer verschlafenen Grille klang …
– Jup ahnte gar nicht, wie unlogisch ein Hirn unter dem Einfluß von Alkohol arbeiten kann, wie sehr sich die Gedankengänge verwirren und liegen und wie unkontrollierbar die sogenannten Fehlgriffe des scheinbar logischen Denkens sind … Hätte er all das in Rechnung gestellt, er wäre nicht so seelenruhig in das … fremde Zimmer gegangen. – Er war schuldlos daran …
Drei Flaschen Sekt … Er stand außerhalb jeder Verantwortung …
Er stand nun aber auch wie gebannt …
Mit einem Schlag fiel die Alkoholstimmung von ihm ab wie ein nur lose um die Schultern gehängter, leichter, fremder Mantel … ja, wie ein fremder … Denn ein halber Rausch gehörte ebensowenig zu Jup wie etwa das Wort Feigheit oder Dummheit …
Er starrte mit weit aufgerissenen Augen und mit immer weiter sich vorbeugendem Oberkörper auf das Mädchen, das dort mitten in dem ihm unbekannten Raum mit nackten Füßen auf der Schneide eines alten, besonders langen Schwertes mit Doppelgriff balancierte und in den hochgereckten Händen eine flache, mit blutroten Rosen gefüllte Schale hielt …
… Die Sinne schwanden ihm …
… Der Irrtum zerplatzte wie eine Seifenblase …
… Die Wirklichkeit trat wieder anstelle einer Traumwelt …
*
… Jups Erscheinen bei uns fiel in eine Zeit, die eine gewisse Übergangsperiode darstellte. Wir hatten vor drei Tagen eine doppelte Niederlage im Kampf gegen den Trias erlitten. Erstens war uns der geheimnisvolle Verbrecher entschlüpft, und zweitens hatte er auch die zweite Uhr des Hellsehens sich wieder anzueignen gewußt, wobei noch unser Freund Bechert schwere Verletzungen davongetragen hatte.
– Ich sprach vorhin von einer Übergangsperiode. Mein Freund war nämlich mit seinem Feldzugsplan gegen den so überaus gefährlichen, erst dreiundzwanzigjährigen Roland Born noch immer nicht fertig geworden, da wir mit der äußerst unangenehmen Tatsache rechnen mußten, daß der Trias unser Tun und Lassen dauernd mit Hilfe der grünen Sanduhr beobachtete, deren allerletztes Geheimnis Harst mehr zufällig entdeckt hatte.
Ich möchte auch jetzt über diese physikalischen Einzelheiten mich nicht allzu erschöpfend auslassen, da ich annehmen darf, daß meine Leser die modernste Art von Sicherung gegen Bankräubern bereits kennen, – man nennt sie sehr treffend ‚unsichtbare Zäune’, denn es handelt sich dabei um einen unsichtbares Netz von ultraroten Strahlen, die eine Alarmvorrichtung auslösen, sobald jemand dieses Strahlennetz passiert. Jedenfalls war Harst zunächst nach vielen Versuchen auf den Gedanken gekommen, in unserem Büro eine besonders konstruierte Höhensonne aufzustellen und wichtigere Dinge nur im Schutze dieser allerdings wenig schönen ‚Leichenfarben-Beleuchtung’ vorzunehmen. Ob das Quarzlampenlicht mit Sicherheit vor der höllischen Sanduhr schützte, blieb freilich nur eine durch Spezialwissenschaftler allerdings gleichfalls halb bestätigte Annahme. – –
Dies mag zum Verständnis des Folgenden genügen.
– Es war ein gewitterschwüler Junivormittag, als es an der Gartenpforte läutete und ich, durch das Fenster hinausschauend, einen sonnengebräunten, gutgekleideten Herrn gewahrte, der sehr laut und falsch den Sternenbannermarsch vor sich hin pfiff …
Harst sagte seufzend: „Ein Klient … Vielleicht ist ihm seine Liebste durchgebrannt, die wir nun suchen sollen … Er pfeift, um seine Gleichgültigkeit zu unterstreichen … Das kenne ich schon, das sind gefährliche Anzeichen! – Schalte die Höhensonne ein …“
Jup machte natürlich ein äußerst verdutztes Gesicht, als er unser Büro betrat und diese merkwürdige Beleuchtung vorfand. –
Dann erzählte er in recht gebrochenem Deutsch sein Sekterlebnis … „Herr Harst, die Geschichte liegt nun fünf Tage zurück … Ich war auf der Polizei, – man hat mich ausgelacht … Man glaubte mir nicht … Dann las ich gestern in der Zeitung von Ihrer Jagd auf den Trias, und da sagte ich mir: ‚All right, – das ist der richtige Old Boy für dich!’ – und da bin ich nun …“
Jup mußte nochmals uns ganz genau berichten, wir hörten schweigend zu, und ich gewann sofort den Eindruck, daß der junge Millionär zwar angeheitert, aber niemals so betrunken gewesen sein konnte, daß er etwa lediglich Gespenster gesehen hätte.
„… Die Frau war jung und balancierte auf der Schneide eines großen Schwerts, das mit dem Griff in einen eisernen Ständer eingespannt war …“ fuhr er sehr bedächtig fort, um ja nichts an Einzelheiten zu vergessen … „Genaueres konnte ich nicht beobachten, da mir plötzlich die Sinne schwanden, das heißt, später, als ich wieder aufwachte, hatte ich eine dicke Beule am Hinterkopf, aber von einem Hieb habe ich nichts gemerkt …“
Harald unterbrach ihn. „Sie merken wahrscheinlich deshalb nichts, weil man Sie vorher durch ein Gas, das geruchlos war, betäubt hatte … Wo also erwachten Sie nachher?“
Jup lachte sorglos. „Das war ja gerade das Verrückteste bei alledem ‥! In … meinem Bett!“
„Und Sie waren in Kleidern?“
„Oh no!! Ich war im Schlafanzug … Meine Kleider lagen sauber auf einem Stuhl wie immer …“
„War es draußen schon hell?“ forschte Harst weiter.
„Die Sonne schien bereits,“ nickte Jup sehr vergnügt, weil er merkte, daß er hier bei uns endlich Glauben für seine ‚verrückte’ Geschichte fand. „Der Schädel brummte mir natürlich wie ein Bienenkorb … Und erst so allmählich besann ich mich auf …“
„Stopp,“ meinte Harald ernst „lassen Sie mich Fragen stellen, – es handelt sich um ganz bestimmte Einzelheiten, die ich gern genau wissen möchte. Zunächst, hat Ihr alter Diener Thomas irgendetwas Verdächtiges wahrgenommen?“
„Niemand im ganzen Hause … Ich habe alle Leute vorsichtig ausgefragt.“
„Und wer wohnt dort in dem großen Mietpalast?“
Jup Hergt zählte die einzelnen Parteien an den Fingern auf … – Alles harmlose Menschen, die wohl kaum eine Frau mit nackten Füßen auf der Schneide eines Schwertes Balancierübungen machen lassen würden.
Also auch das bedeutete einen Fehlschlag … – Trotzdem ließ Harst so leicht nicht locker. Er fragte nach kurzer Pause von neuem: „Noch etwas, Herr Hergt … Wie sah die Frau ungefähr aus?“
„Blond war sie, und einen Wuschelkopf hatte sie … Und hübsch und jung und tadellos gebaut war sie …“
„Würden Sie sie wiedererkennen?“
Der nette Jup, der uns mit jeder Minute besser gefiel, zuckte zweifelnd die Achseln … „Vielleicht, Herr Harst … Aber etwas anderes muß ich Ihnen unbedingt noch mitteilen. Ich werde seit vorgestern unausgesetzt beobachtet. Gerade weil ich aus einem Lande komme, wo noch heute eine Pistole die beste Lebensversicherung ist und ein offenes Auge und etwas Beobachtungsgabe dazugehören, sein Leben zu verlängern, fällt mir selbst hier in diesem Dörfchen Berlin mit seinen niederen Häusern so manches auf, was anderen entgehen würde. Mir entgeht nichts … – Ich werde beobachtet,“ fügte er mit allem Nachdruck nochmals hinzu. „Die Boys, die immer hinter mir her sind, wechseln beständig … Bald ist es ein ganz alter Kerl, bald ein junger, dann wieder sitzt einer im Auto … Als ich hier zu Ihnen kam, hatte gerade der Alte Dienst, – na, der wird schön geflucht haben … Ich nahm nämlich eine Taxe und bezahlte im voraus und sprang an einer Straßenkreuzung ab … Da hatte der Bursche das Nachsehen … Ich bemerkte ihn nicht mehr …“
Mein Freund gab mir einen verstohlenen Wink, und ich verließ das Büro …
Gleich darauf verabschiedete sich auch Jup, nachdem er von Harald noch verschiedene Instruktionen empfangen hatte. Ich selbst war nicht mehr zugegen …
3. Kapitel
Jup lernt Berlin lieben …
Was ich als Aufgabe zu bewältigen hatte, wird jeder ahnen, der schon einmal einen Harst gelesen hat. Unsere Arbeitsmethoden sind zwar vielgestaltig, aber zuweilen wiederholen sie sich doch bei einfacheren Anlässen. – Ich sollte also herausfinden, ob jemand unserem netten Jup draußen auflauerte.
Es war nicht der Fall. Ich besitze einen geübten Blick in solchen Dingen. Harmlose Passanten unterscheide ich mit Leichtigkeit von solchen, die nur die Harmlosen spielen. –
Von einer nahen Flurnische aus beobachtete ich Jups Abmarsch. Der Ausdruck ‚Abmarsch’ trifft hier zu, denn der junge Millionär pfiff wieder den Sternenbanner-Doodle, und er pfiff diesmal beinahe richtig … beinahe … Sehr musikalisch war Jup wohl kaum, aber als Klient desto brauchbarer, da er wirklich das Gras wachsen hörte, wie Harst ihn vorhin belobt hatte.
Jup verschwand um die Ecke, ich blieb noch eine Weile hinter ihm her und kehrte dann nach Hause zurück.
Im Büro leuchtete noch immer das grünfahle Licht der Quarzlampe … Harald saß im Klubsessel und rauchte bedächtig eines seiner parfümierten Mirakulumzigaretten …
– In einer für mich als Skribifax geradezu vernichtenden Kritik eines Übergenies von der Gilde der Asphaltliteraten war einmal zu lesen:
‚Schon allein das lächerliche Attribut der Mirakulum-Zigaretten, daß der Verfasser dem ‚großen Harst’ beifügt, kennzeichnet seine Arbeit als übelsten Schund …‘
– Worauf ich dem Asphaltmonarchen zurückschrieb:
‚… Die moralische Tendenz und den klaren Ziel sowie die starke Betonung des nationalen Deutschbewußtseins, die mir ein bekannter Germanist freiwillig bestätigt hat, wird man Ihnen allerdings nie zum Vorwurf machen können. Ihre Sudeleien übertreffen sogar die des berüchtigten Pitigrilli[3] …’
Der Mann hat nie mehr an mich geschrieben, da ich zum Schluß noch hinzugefügt hatte, daß ich einmal im Caffee ‚Größenwahn’ beobachtet hätte, wie er bei einem Händler fünf Päckchen Koks eingekauft habe …
Die Mirakulum sind wirklich noch immer harmloser als … Koks ‥! – Das so nebenbei, damit auch diese Herrschaften einmal gekennzeichnet werden. – –
Ich berichtete in aller Kürze über das negative Resultat meines Ausflugs. Harst meinte nur: „Nun, gut – und was sagt die grüne Sanduhr dazu?!“
„Wie kommst du plötzlich auf das verd… Ding?“ fragte ich mißtrauisch, denn er hatte das in so merkwürdigem Ton gesagt.
„Weil eben jemand angerufen hat …“
„Wer?! – So laß dir doch nicht jedes Wort mit dem Feuerhaken aus der Kehle ziehen!“
„Oh, eine Zange genügt bei mir, – meine Kehle ist kalt, nur mein Schädel ist heiß geworden …“
„Also zum Henker, – wer rief an?“
„Du hast richtig geraten, mein Alter, … Es war der Henker,“ erklärte er ebenso trocken. „Es war der liebe äußerst witzige und spritzige Roland Born …“
„Wer, – Born?! Und was wollte er?“
„Was er wollte, wird er leider inzwischen schon ausgeführt haben … Er teilte mir mit, daß ich meinen Höhensonnenapparat getrost wieder abmontieren lassen könnte … Die Art Schutz sei ganz ungenügend, und der junge Amerikaner würden noch heute abgefangen werden … – Dann hängte er ab … – Du siehst also, auch der Trias begeht zuweilen kapitale Dummheiten!“
Ich setzte mich zunächst einmal …
Harst hatte Erbarmen mit mir … „Die Riesendummheit des Trias lag darin,“ erklärte er leise, „daß er somit indirekt zugab, mit dieser Geschichte des … ‚Mädchens auf der Schwertklinge’ … so wollen wir sie nennen, oder kürzer ‚Das Schwertmädchen’, etwas zu tun zu haben …“
Nun verstand ich ihn. – „Allerdings, damit hast du vollkommen recht, – was ginge den Born der junge Amerikaner an, wenn Born nicht von Jups Erlebnis etwas wüßte und mithin auch von der Existenz des Schwertmädchens! Diese Schlußfolgerung ist so verblüffend einfach und selbstverständlich, daß man gerade deshalb nicht darauf kommt. – Nur eine Frage noch. Wenn der Trias dir riet, den Strahlenschutz abzumontieren, – weshalb sitzen wir denn noch immer bei diesem scheußlichen Leichenlicht da ‥?!“
„Hm, – weshalb? Eigentlich hast du recht … Schalte das nutzlose Ding aus …“
Ich tat’s …
Draußen hatte sich das Gewittergewölk verzogen, die Sonne schien, und ich blinzelte nachdenklich auf die Straße hinab, wo noch die Nässe eines kurzen Regengusses auf dem Pflaster schillerte. Ich überlegte mir Harsts Äußerungen mit aller Sorgfalt nochmals ganz genau, denn bei ihm tut man immer gut, jedes seiner Worte auf die Goldwaage zu legen.
Ich drehte mich nach ihm um …
Ich behielt den Mund vor Staunen offen … Kein Wort kam zunächst über meine Lippen. Die Höhensonne brannte wieder ‥!
Mein Freund saß inmitten des fahlen Lichtes, dessen Leichenfärbung allerdings durch den eindringenden Sonnenschein gemildert wurde.
„Also doch!“ sagte ich mit schwerer Zunge. „Ich hatte es deinem Ton angehört, daß du mich hinsichtlich der Unwirksamkeit dieser Schutzmaßnahmen getäuscht hattest … Du bist also doch überzeugt, daß diese Strahlen die grüne Sanduhr lahmlegen ‥!“
„Natürlich bin ich davon überzeugt … Heute mehr denn je …“
„Und weshalb?“
„Weil der Trias bei dem kurzen Anruf noch einen zweiten groben Fehler machte. Überlege dir einmal, würdest du, wenn du der Trias wärest, so unglaublich töricht gewesen sein, deinem Hauptgegner mitzuteilen, daß sein Schutzschild gegen die Hellsehergabe der Sanduhr zwecklos sei?! Nein, – dem Trias hätte doch, wenn wirklich die ultravioletten Strahlen ihn als ‚Fernspion’ nicht behindert haben würden, gerade daran liegen müssen, uns in dem Glauben zu belassen, wir seien dadurch geschützt ‥! – Was tat er?! Er erklärte mir höhnisch, ich könnte das Ding getrost abmontieren ‥! – Welch eine Unterschätzung seiner Gegner liegt darin!! Für uns liegt allerdings weit mehr darin, und dies habe ich mir soeben überlegt. All das sieht dem bisherigen Trias so wenig ähnlich – zwei so grobe Denkfehler auf einmal! – daß für mich nunmehr feststeht, Jups Erlebnis hat diesen sonst so überschlauen Roland Born sehr stark aus dem Gleichgewicht gebracht, das heißt, er fürchtet durch diesen Vorfall schwerste Nachteile für sich. – Hätte er sonst wohl unseren Jup so scharf überwachen lassen?! Nein, – stellen wir diese Überwachung mit in Rechnung, so kommen wir zu dem eindeutigen Ergebnis, daß das Schwertmädchen in des Trias geheimnisvollem und stets von neuen dunklen Plänen erfüllten Dasein – denke an seine unersättliche Geldgier! – eine sehr wichtige Rolle spielen muß …“
Er wollte noch etwas hinzufügen … Jetzt jedoch konnte ich von mir aus diesen Nachsatz liefern.
„Mithin,“ erklärte ich mit aller Bestimmtheit, „ist auch Jup heute, wie du bereits betontest, vom Trias irgendwie verschleppt, um nicht zu sagen, aus dem Wege geräumt worden!“
Harst nickte nur sehr ernst. Dann entwickelte er mir seinen überaus feinen Plan, wie wir sofort das Nötige feststellen könnten. – –
– Jupiter Hergt, der bekanntlich für seinen göttlichen Vornamen nicht verantwortlich zu machen war, und der Berlin für ein Dorf und für äußerst langweilig erklärt hatte, fand dasselbe Berlin urplötzlich einfach wundervoll smart!
Jup hörte das Gras wachsen, aber in Bezug auf Frauen war er ein Greenhorn, in dem Punkte war er unbedingt hinter den Ohren noch nicht ganz trocken …
Beweis dafür war folgendes … Jup schritt pfeifend die Kaiserallee entlang, – ihm entgegen kam im langsamsten Tempo ein offener Zweisitzer, in dem eine junge Dame saß, die sehr hübsch, aber auch sehr ungewandt im Führen des Steuers war. – ‚Sicherlich eine Anfängerin’, dachte der braungebrannte Texasmillionär …
Als er dies dachte, geschah fast gleichzeitig zweierlei …
Er erkannte die blonde Schönheit. – Es war sein Schwertmädchen ‥!!
Und … der Wagen fuhr gegen die Bordschwelle …
Das beides ereignete sich fast gleichzeitig, wie schon betont …
Jups Hirn arbeitete mit höchster Tourenzahl … In anderer Beziehung war er ja sehr helle … Also, was tat er? Er kam der Anfängerin zu Hilfe, – ihm wurde gnädigst gestattet einzusteigen, und er steuerte nun das Auto, hatte neben sich eine vollendete, bezaubernde Miß uns schwebte sehr bald im siebenten Himmel, denn das pikante Fräulein verstand entzückend zu plaudern und beherrschte dazu noch das Englisch so fließend, daß Jup auch mit feineren Schmeicheleien keine Schwierigkeiten in sprachlicher Beziehung hatte.
Berlin war kein Dorf mehr … Berlin war für Jup die Offenbarung einer Liebe auf den ersten Blick …
Man fuhr in den Grunewald hinaus, man aß gemeinsam in einem kleinen Lokal, daß sehr romantisch auf einer Insel lag, zu Mittag, man lagerte hinterher am Inselstrand … Die Miß erzählte, daß sie die einzige Tochter eines sehr bekannten Großindustriellen sei, ihren Namen nannte sie jedoch nicht. – Man blieb zwanglos und harmlos bis zum Abend beieinander, dann lud die blonde Miß unseren Jup ebenso zwanglos in die nahe Seevilla ihres Vaters ein. Man bestieg den Wagen, Miß Gerda – ihren Vornamen hatte sie schließlich doch verraten – wollte nun wieder selbst steuern, bot Jup aus einer mitgeführten Flasche noch einen Likör an, nachdem sie sich selbst gestärkt hatte, – – und der junge Texaner, berauscht von so viel weiblichem Charme, beging hier die erste Unvorsichtigkeit … Bisher war er so klug gewesen, sein nächtliches Abenteuer nicht einmal anzudeuten …
Er trank, schaute Gerda verliebt an und meinte lächelnd: „Ich hatte mir ja eigentlich zugeschworen, nie mehr einen Tropfen Alkohol zu mir zu nehmen!“
„Aber … der Weg in den Himmel ist mit Zugeständnissen gepflastert …“ fügte er schmunzelnd hinzu, indem er zu philosophieren versuchte …
Gerda lachte übermütig …
„Herr Hergt, Sie sollen auch in den Himmel kommen, denn die Villa meines Vaters ist einzigartig …“
Das merkte Jup sehr bald …
Aber da war es schon zu spät, und der Sohn des texanischen Petroleummagnaten schlummerte außerdem gleich darauf ein …
4. Kapitel
Gerdas Inselreich.
… Dieselbe blonde Gerda, die vorhin so ungeschickt ihren Zweisitzer gesteuert hatte, jagte jetzt mit einer fast beängstigenden Geschwindigkeit die dunkle Chaussee entlang und erreichte nach einer halben Stunde schärfster Fahrt einen dichten Wald und hindurch einen schmalen Feldweg, der zum Ufer eines langgestreckten Sees führte …
Der schnittige Wagen rumpelte in unverminderter Eile über eine Holzbrücke und hielt schließlich auf einem matt erleuchteten Hof, der vom uralten Mauern umgeben war … Es regnete ein wenig, finstere Wolken zogen am Himmel dahin, und der stoßweise fauchende Wind drehte kreischend eine eiserne Wetterfahne auf einem der Ecktürme des düsteren Bauwerkes.
Kaum hatte das Auto das Tor des Hauptgebäudes passiert, als ein alter Mann in schlichter Livree eiligst die Torflügel schloß und die schweren Riegel vorlegte … Der Diener schien seine Herrin erwartet zu haben, trat nun an das Auto heran, begrüßte Gerda nur durch eine stumme Verneigung, in der sich ebensoviel Respekt wie Vertraulichkeit ausdrückte, und erwiderte auf ihre hastige Frage mit einem selbstbewußten Auflachen: „Den möchte ich sehen, der den alten Nort dumm macht ‥!! Dann müßte einer gerade mit drei Köpfen und drei Hirnen auf die Welt gekommen sein!! Und bisher habe ich nur ein ausgestopftes Kalb mit zwei Köpfen zu sehen bekommen … im Panoptikum!“
Dann erst gewahrte er den Herrn, der am Boden des Wagens unter einer Decke lag … Er wollte dazu eine Bemerkung machen, aber Gerda kam ihm zuvor.
„Wir sind heute ein richtiges Stück vorwärts gekommen, alter Tom … Nun höre ganz genau zu und ziehen nicht wieder dein übliches bedenkliches Gesicht …“
„Ja, bis sie uns erwischen werden ‥!“ brummte der Diener unwirsch.
Gerda kicherte übermütig. „Uns erwischen?! – – Also, nun mal aufgepasst … Ich habe von euch schon so allerhand verlangt, und ihr habt euch bis jetzt ganz verständig benommen …“
„Außerordentlich verständig!!“ verbesserte Tom recht selbstbewußt.
„Abwarten!! Heute kommt die Feuerprobe … Wenn ihr die besteht, wird euch der Trias mit Gold überschütten ‥!“ Und abermals erklang das leise melodische Kichern, – scheinbar ohne rechten Anlaß …
Gleich darauf eilte Gerda in das Haus, betrat ein Zimmer mit dicht verhüllten Fenstern und verließ es sehr bald wieder, indem sie der hier weilenden Frau eine Kußhand zuwarf, wobei ihre Augen einen so zärtlichen Ausdruck zeigten, wie ihn nur ein Mädchen für das Liebste bereit hat, daß es für sie auf dieser Welt gibt. –
– Jup erwachte …
Mit einem Ruck setzte er sich im Sessel aufrecht und schaute verblüfft rundum …
Das Gemach, in dem er sich befand, war eine geräumige Bibliothek mit kostbaren alten Möbeln, Gemälden und wundervollen echten Teppichen.
Jups Schädel brummte noch etwas unter der Nachwirkung des leichten Schlafmittels, das Gerda ihn in dem Likör hinterlistig beigebracht hatte. Aber für einen so kerngesunden Menschen, wie er es stets gewesen, machte das nicht viel aus. Im Umsehen war er bei klarer Besinnung und betrachtete nun staunend den alten Herrn, der ihm gegenüber ebenfalls in einem Klubsessel saß und ihn höflich lächelnd betrachtete.
Der Alte trug graumelierten Spitzbart, Scheitel, Monokel, und einen Smoking mit etwas kurzen Ärmeln, tadellose Wäsche und sehr viel Brillantringe.
„Mein Name ist Nort,“ stellte er sich mit einer leichten Verbeugung vor … „Ich bin der Vater Gerdas und heiße sie in meinem Hause herzlichst willkommen …“
Da erst besann sich der arme Jup auf seine entzückende neue Freundin.
Er erhob sich … fiel aber sofort wieder in den Sessel zurück.
Herr Nort meinte mit einem Grinsen, das nicht recht zu dem Smoking und den Brillanten paßte: „Sie werden uns doch hoffentlich keine Schwierigkeiten bereiten, Herr Hergt … Ihr Scheckbuch haben wir, es handelt sich also lediglich um die Höhe des Lösegeldes …“ –
Bei den letzten Worten holte Herr Nort eine Pistole hervor und hielt sie wie spielend in Brusthöhe, Finger am Drücker …
Jup war mit einem Schlage unheimlich wach … Wenn er das Wort Scheckbuch hörte, wäre er auch aus tiefstem Schlaf erwacht, – dafür war er Amerikaner, – viel zu sehr Amerikaner, wie sein Vater immer erklärte, der seinen Erben unbedingt mehr als Deutschen sehen wollte. – Nur deshalb hatte er ihn nach Berlin geschickt …
Jup fühlte sich hier in seinem Element … Nun gefiel ihm Berlin noch viel besser, obwohl er es ehrlich bedauerte, daß Gerda nichts als die Gehilfin von Gaunern war … Doch vielleicht irrte er sich. Vielleicht würde Gerda einige Entschuldigungsgründe vorzubringen haben … Es war ja schon häufiger vorgekommen, daß Banditen ein armes Mädel zu allen möglichen zwangen …
Trotzdem nahm Jup sich vor, mit diesem alten Halsabschneider gründlichst abzurechnen … Bisher war es ihm in seinem Leben nur zweimal zugestoßen, daß er sich wirklich hatte überrumpeln lassen … Zum dritten Mal würde das nicht geschehen … –
… Herr Nort spielte immer noch mit seiner Pistole …
„Mein junger Freund,“ sagte er nun mit einem unbeschreiblich überlegenen Lächeln, „ich muß Sie von vornherein darauf aufmerksam machen, daß ein Menschenleben für uns etwa genauso viel wert ist wie das einer Fliege …“ Er drehte dabei den Kopf nach dem weniger hell beleuchteten Teil der Bibliothek und fragte in das Halbdunkel hinein: „Ihr pflichtet mir doch hoffentlich bei ‥?“
Da erst bemerkte Jup, daß in einer Nische zwei weitere Gestalten saßen, beide im Frack, beide noch jung.
Sie erhoben sich nun, kamen näher und stellten sich Jup mit tadellosen Verbeugungen vor ‥:
„… Graf Olaf Swendsen …“
… Doch das imponierte unserem Jup nicht …
„… Baron Holger Nörrgaard …“ sagte der zweite.
Jup schnellte hoch. „Nörrgaard?! Habe ich richtig verstanden?“
„… Gewiß, Herr Hergt … – Haben Sie schon von mir gehört?“
„Leider ‥!“
„Dann wird sich unser Geschäft umso schneller abwickeln lassen … Herr Generaldirektor Nort – er ist nämlich der Chef unserer Bande – sprach bereits von der Höhe des Lösegeldes … Ich schlage hunderttausend Mark vor, es ist eine runde Summe, und Gerda braucht unbedingt ein neues Auto …“
„… Unter diesen Umständen ‥!!“ nickte Jup … „Gut – also hunderttausend ‥!“
Er meinte es vollkommen ehrlich, denn er hatte bereits eingesehen, daß er gegen die drei doch nichts ausrichten könnte.
Da fiel ihm plötzlich etwas ein, wodurch er veranlaßt wurde, seine Zusage sofort zurückzuziehen … „Nein, es geht zu meinem Bedauern doch nicht, meine Herren,“ erklärte er schnell … „Jedenfalls müßte ich zunächst einmal Fräulein Gerda sprechen …“
Da kam sie schon … Sie hatte sich umgekleidet und sah ohne Hut vielleicht noch verführerischer aus … Sie nahm ebenfalls am Tisch Platz und schaute Jup nachdenklich an … „Wie alt sind Sie, Herr Hergt?“ fragte sie halb seufzend …
„Ich werde achtundzwanzig …“ erwiderte er und betrachtete sie voller Bewunderung.
„Viel zu früh zum Sterben …“ flüsterte sie traurig. „Ich bitte Sie in Ihrem Interesse inständigst, geben Sie nach und stellen Sie den Scheck aus! Man hat nur ein Leben zu verlieren, und wenn Sie sich schon einmal in ernster Gefahr befunden hätten, würden Sie wissen, wie schwer es ist, so jung sich dem Tode gegenüber zu sehen und doch nicht mit der Wimper zu zucken … Aber gerade Sie als Millionär dürfen sich noch nie in einer solchen Lage befunden haben, und daher spreche ich meine Warnungen wohl nur in den Wind und Sie …“
Jup, der rechts neben ihr saß, fiel ihr mit derselben warmen Herzlichkeit, mit der sie gesprochen hatte, ins Wort. „Sie irren sich, – ich habe sogar sehr oft dem Tod ganz dicht ins Auge geschaut!“
Gerda betrachtete ihn mit einem Ausdruck besorgten Zweifels.
„Das glaube ich Ihnen nicht recht, – verzeihen Sie schon … Ein Millionär überschätzt eine Gefahr sehr leicht … Ich möchte so gern der Angst um Ihr Leben überhoben sein …“
Jup hörte sehr wohl heraus, daß sie nicht heuchelte.
Ihr Verhalten wurde ihm immer unbegreiflicher. Zuerst hatte sie ihn auf raffinierteste Art hierher gebracht, hatte diese Erpressung überhaupt erst möglich gemacht … Und jetzt ‥?!
… In ihren Augen war ein Glanz, so weich, so flehend, daß ihn dies fast rührte … Er begriff mit aller Deutlichkeit, wie weit er noch von der Wahrheit ihrer Beziehungen zu diesen Gaunern entfernt war und daß er die Wahrheit, an der ihm so sehr viel gelegen, vielleicht nie erfahren würde, wenn er nicht wenigstens Gerda volles Vertrauen entgegenbrachte … Übergenug Seltsames hatte er ja bereits erlebt und gesehen, – diese Frau jedoch war ihm das größte Rätsel …
Während er noch unentschlossen überlegte, ob er Gerda den Beweis liefern sollte, daß er sogar einmal einer Gefahr entronnen war, die in ihrer Besonderheit alles Alltägliche übertraf, hatten es sich zwei seiner Gegner bequem gemacht, die Röcke abgelegt und eine Karaffe Wein und Becher auf den Tisch gestellt. Jup sah zu seiner Verblüffung, daß sie unter ihren Fräcken eine zweite Verkleidung trugen, die zu ihnen weit mehr paßte … –
Er war nun entschlossen, Gerda das eindrucksvollste seiner Abenteuer zu berichten und gleichzeitig sich darüber Aufschluß zu verschaffen, wie die junge Frau in diese Gesellschaft geraten war.
„Ich bin nicht abgeneigt, mich mit Ihnen zu einigen,“ wandte er sich an den alten Herrn Nort, den Banditenchef … „Ich stelle jedoch eine Bedingung. Ich möchte Fräulein Gerda allein sprechen, gebe dazu natürlich die Versicherung ab, daß ich ihr nichts anhaben werde …“
Nort erhob sich sofort. „Wir trauen Ihnen ‥! Gut, es sei, wie Sie wünschen …“
Der junge Texaner war abermals verblüfft … Das waren ja außerordentlich einsichtsvolle Herrschaften!!
Dann war er mit Gerda allein … Er begann zu sprechen. Doch er kam nicht weit …
Aus dem nebenan gelegenen Speisezimmer traten zwei Männer ein, die er hier am allerwenigsten zu sehen erwartet hatte …
Ihr Erscheinen machte die Lage für ihn nicht einfacher …
„Guten Abend,“ grüße der eine mit prüfendem Blick auf das Fräulein, wobei der Anflug eines leichten ironischen Lächelns um seinen Mund zuckte …
„Wenn ein Scheck von Ihnen, lieber Hergt, bei der Bank präsentiert worden wäre, hätte man den Scheckauszahlungsfordernden verhaftet.“
Jup rief gereizt: „Niemand hat von mir einen Scheck erhalten oder verlangt ‥! Was reden Sie da eigentlich, Herr Harst ‥?!“
Niemals würde Jup das Fräulein und die drei Erpresser verraten haben … Das war’s ja gerade, was vorhin seine Weigerung veranlaßt hatte, auch er hatte befürchtet, sein Verschwinden könnte Harst zu einer Sperrung seines Guthabens durch die Polizei verleitet haben! Nur deshalb die Änderung seines Entschlusses – in Gerdas Interesse ‥!
Harst und ich nahmen am Tisch Platz … Wir hatten inzwischen Dinge erlebt, die uns als Verkettung seltsamer Zufälle wie ein energischer Wink des Schicksals erschienen waren …
5. Kapitel
Wir auf der Suche …
Man kann einen besonders gearteten Kriminalfall so oder so anpacken … Man kann in ausgefahrenen Geleise sich bewegen oder, wie Harst dies stets tut, sich der Eigenart seiner Gegner anpassen. Hiermit kommt man natürlich am weitesten … wenn man die Gegner eben kennt. Und wir kannten den Trias weiß Gott gut genug …
– Der Gelehrte, von dem Jup die Wohnung und das Personal gemietet hatte, hieß Dr. Gabert und war in der Hauptsache Geologe, dazu kinderlos verheiratet und nicht gerade reich. Er lebte sehr zurückgezogen und bescheiden, tat viel Gutes und verdiente sein Geld als … Rutengänger, das heißt also als halber Wundermann, denn das Problem der Erschließung von Erzlagern und Wasserläufen durch die Wünschelrute erscheint den meisten Menschen noch heute zu Unrecht als etwas Übernatürliches.
Als wir durch sehr einfache Nachfragen obiges über Dr. Gabert festgestellt hatten, wurden wir beide natürlich stutzig. –
„Rutengänger“, meinte Harald, „schon faul! Doppelte und dreifache Vorsicht scheint geboten!“
– Wir läuteten bei Dr. Gabert, und der Diener Thomas öffnete uns. Jup hatte uns dieses Original beschrieben, und wir wurden nicht enttäuscht.
Thomas Thoorn, so hieß er mit vollem Namen, war früher Steuermann gewesen, wie uns die Portierfrau berichtet hatte, die den frechen Tom nicht riechen konnte, woraus sie gar keinen Hehl machte.
Tom Thoorn war rein äußerlich auch keine sehr sympathische Erscheinung, – der struppige Schädel, der ebenso struppige Bart, die rote Knollennase, die buschigen Augenbrauen über ein paar listigen, fast lauernden Äuglein, Format ‚echt China’, ließen es sogar erstaunlich erscheinen, daß Dr. Gabert an diesem wenig repräsentativen Diener Gefallen gefunden hatte. – Aber, und auch das stammte von der Portierfrau, – aber der alte, freche Tom kannte die ganze Welt und besaß gleichfalls … unheimliche Eigenschaften, – so konnte er zum Beispiel Warzen tadellos ‚besprechen’, desgleichen auch Geschwüre und den Hexenschuß … –
Wir wurden nun, nachdem der einnehmende Tom zehn Mark eiligst eingesteckt und nicht mal ‚Danke’ gesagt hatte, in Dr. Gaberts Arbeitszimmer geführt und zum Platznehmen aufgefordert. –
Thomas Thoorn merkte wohl, daß wir beide starr auf das an der Wand hängende Bild blickten … Es war einfach unmöglich, angesichts dieses Gemäldes keinerlei Erstaunen zu verraten, denn das Bild zeigte eine Szene, die jeden gepackt hätte, selbst den, der den Trias nie von Angesicht geschaut hatte. Was bei uns ja leider nicht zutraf. Wir hatten ihn, als er als Roland Born unser Gast gewesen, so und so oft gesprochen und aus nächster Nähe gesehen, daß es späterhin undenkbar erschien, ihn nicht sofort wiederzuerkennen … Aber die Geschehnisse hatten uns eines Besseren belehrt – darin lag ja gerade die infernalische Schlauheit dieses ungewöhnlichen Verbrechers, daß er wie kein anderer je vor ihm zwischen seine Person und seine Verfolger so und so viele seiner Kreaturen wie dichteste Vorhänge schob …
Neben uns ertönte ein heiseres und doch kellerbaßartiges Auflachen. Es kam über Toms dünne, bärtige Lippen, und alle Zahnstummel seines höhnisch verzogenen Mundes wurden dabei sichtbar … „Dja, da staunen Sie ‥! Ein verrücktes Bild ‥! Aber das, was es darstellt, entspricht tatsächlichen Vorgängen … Das war zu einer Zeit, als ich noch nicht bei Dr. Gabert den Mann für Alles zu spielen brauchte …“
Meine gebannten Blicke irrten wieder zu dem Gemälde hinüber, dessen künstlerische Ausführung und seine Farbentönung genau so ins Auge sprangen wie der in Worten kaum wiederzugebende Haupteindruck. Etwas unsagbar Unheimliches, gleichsam Überdimensionales oder Unfaßbar-Unwirkliches …
… Da war eine öde, felsige Schlucht, vom Sand halb verweht … Ein paar dürre Palmen und Wüstendisteln sowie drei gesattelte Kamele hoben sich in schärfsten Umrissen vom glasklaren, sonnendurchglühten Himmel ab … Unten in der Schlucht schritt ein Mann in Khaki mit Tropenhelm, in den Händen einen gabelförmigen Zweig, durch die Zungen der Sandwehen … Es mußte Dr. Gabert sein. Wir kannten ihn von Abbildungen in illustrierten Zeitungen … Er war hager, ging etwas vornübergebeugt und hatte ein geradezu auffallend durchgeistigtes Gesicht.
… An alledem wäre nichts Besonderes gewesen, gar nichts, nur das rein Künstlerische hätte auf den Kenner gewirkt. – Nun aber das … andere, der untere Teil des Bildes … die Unterwelt, der Dr. Gabert unsichtbaren Schätze entreißen wollte … mit Hilfe seiner Wünschelrute …
„Der Schatzhüter’ hieß das Gemälde. –
Der Titel war auf einer Messingplatte eingraviert, und die Bezeichnung war wichtig und zutreffend, denn in den Tiefen der Erde, also dem Erdinneren unter der Schlucht, stand in magischer Beleuchtung ein zweiter Mann, der die Hände wie schützend über eine blinkende Goldader ausgestreckt hatte … –
Die Beleuchtung dieser Unterwelt war dem Künstler noch besser gelungen als die Einzelheiten des oberen Teiles. Die Quelle des Lichtes blieb dem Beschauer verborgen, doch sie war so eigenartig angeordnet, daß die Goldadern und daß sie einhüllende Gestein wie durchsichtig erschienen, während das Gesicht des zweiten Mannes, des Schatzhüters, von einem Heiligenschein umgeben zu sein schien. – –
Dieser zweite war … Roland Born, der Große Trias, Oberhaupt der Brüderschaft der Rosenkreuzer …
… Das war’s!
Der Schatzhüter war unser Gegner, der Trias!
Deshalb standen selbst wir hier wie benommen da, sprachen kein Wort und ließen Thomas Thoorn sein ungereimtes Zeug schwafeln …
„… Dja, – da schaut einer, und das Gruseln kommt einem an ‥! Ich habe oft genug zum Doktor gesagt: ‚Verbrennen Sie das verdammte Ding! Wenn man das anschaut, lernt man’s Gruseln … Wenn man dem Kerl da unten, der wie ein Heiliger aussieht und ein Teufel sein muß, eine Weile ins Gesicht glotzt, erlebt man sein blaues Wunder!’ – Haben Sie das schon bemerkt, meine Herren?“
Jetzt sahen wir’s … Ein blaues Wunder, hatte der arglose Thomas Thoorn gesagt. Es war mehr als das, es war in nichts mit jenen Trickbildern zu vergleichen, bei denen bekanntlich je nach der Stellung des Beschauers das Bild drei verschiedene Dinge oder Personen zu zeigen vermag … Nein, hier handelte es sich um etwas ganz anderes, hier war es der Trias, dessen Gesicht uns an Ereignisse gemahnte, die regelmäßig wiederkehrten, sobald dieser ‚Born’ des Absonderlichen unseren Weg kreuzte … Stets hatte bisher irgendwie des Trias unbegrenzte Fülle an seltsamen Machtmitteln uns überrascht. – Jetzt zum ersten Mal war es ein Ölbild, das uns schwere Rätsel aufgab …
Ich betone, Born war zuerst genau zu erkennen! – Dann, als der alte Tom uns auf das Gruselige hingewiesen hatte, erlebten wir mit ungetrübt kritischen Blicken folgendes:
Die Gesichtszüge des Trias veränderten sich, ohne daß wir unsere Stellung wechselten, – aus Roland Borns jungem Antlitz wurden in rascher Folge eine Anzahl verschiedener Männerköpfe, zuletzt daß des geheimnisvollen Chefs der Auskunftei ‚Robro’.
… Nein, nicht zuletzt, – denn plötzlich trat ein neuer Wechsel ein, – erneut verwandelte sich der Kopf, und ein wildfremdes Gesicht starrte uns an, um sich sofort wieder in den Trias zurück zu verwandeln … –
Vielleicht wird mancher meiner Leser überheblich lächeln und denken: ‚Ach, der uralte Witz aus unzähligen Kriminalgeschichten ‥! Der Kopf des Trias auf dem Bild ist natürlich auswechselbar ‥!!’
… Bitte, kein vorschnelles Urteil! Abwarten! –
Harst blieb der Rolle als schwedischer Filmaufkäufer, die er hier spielte, durchaus treu. „Hm, das gäbe eine fabelhafte Reklame,“ meinte er zu Tom. „Was kostet das famose Trickbild?“
Thomas Thoorn warf dem frechen Spötter einen unbeschreiblichen Blick zu. „Herr,“ grollte er drohend, „halten Sie mich etwa für solch einen Trottel, daß ich nicht längst dahinter gekommen wäre, wenn sich’s nur um einen Trick handeln würde ‥?! Ich habe, als ich hier eine Weile in Stellung war und …“
„Wie lange sind Sie hier bei Dr. Gabert?“ fiel Harald ihm schnell ins Wort …
„Ein halbes Jahr,“ erwiderte der Alte ohne Zögern, um dann sofort hinzuzufügen: „… in Stellung war und mich eingelebt hatte, da habe ich das verfl… Bild wiederholt von der Wand genommen und mir’s auch von hinten angeschaut … auch die Wand selbst. Nichts habe ich gefunden, alles ist in schönster Ordnung – – oder auch nicht, je nachdem man’s nimmt …“
Mein Freund lachte aufreizend ironisch, – natürlich mit voller Absicht … „Alter, dummer Schnack!! Sie verstehen eben nicht zu suchen!!“
Tom wurde rot vor Wut. „Wie, ich und nicht suchen können ‥!! Da schlag doch der Deubel drein!! Warten Sie, ich hole Ihnen eine Leiter, dann können Sie superschlauer Herr ja selbst mal nachsehen, und wenn Sie was finden, gebe ich Ihnen Ihre lumpigen zehn Mark zurück …“
„Das heißt, nur wenn Sie wirklich was Wichtiges entdecken,“ schränkte er sein vorschnelles Angebot schleunigst wieder ein …
6. Kapitel
Die Geschichte des Bildes.
Gerade unter Jups jetziger, möbliert gemieteter Wohnung lag die des Privatgelehrten Dr. Hugo Syme. – Syme war gebürtiger Engländer und gehörte als Mieter zu den erklärten Lieblingen der Frau Portier.
Nachdem wir uns von Tom Thoorn, der noch zehn Mark erhalten, verabschiedet hatten – was es mit dem Bild auf sich hatte, wird der Leser sofort erfahren – stiegen wir die Treppe hinab und läuteten unten bei Dr. Syme. Eine ältere, blitzsaubere Frau öffnete und führte uns in ein schlichtes Arbeitszimmer, das trotz der kostbaren Möbel einen fast unbewohnten Eindruck machte, weil jeglicher Schmuck fehlte. Ich hatte noch nie ein so bewußt leer erscheinendes Herrenzimmer gesehen, – leer wie eine Möbelausstellung auf einem Speicher … So etwa …
Dann kam Hugo Syme … begrüßte uns sehr gemessen und fragte, ohne uns einen Platz anzubieten, nach unseren Wünschen. –
Das war kein sehr verheißungsvoller Empfang …
Jup hatte uns seinen Unterwohner ja bereits genauer beschrieben, und diese Schilderung traf in allem zu … Syme war etwas bucklig, hatte einen dünnen, rötlich-grauen Spitzbart und eben solches, glatt zurückgestrichenes Kopfhaar. Er sprach das Deutsche mit ganz leichtem fremden Akzent, verfügte über tadellose Manieren und zeigte in allem die gewohnte Zurückhaltung der gebildeten Engländer. Seine Stimme hatte einen weichen, angenehmen Klang, seine Augen hinter den runden Gläsern der Hornbrille blickten frei und offen und waren fast übergroß und rund wie Puppenaugen. Er trug tadellos gebügelte Beinkleider, dazu eine Samtjacke und eine bunte Künstlerkrawatte.
Das war Dr. Hugo Syme, Liebling der Frau Portier und einziger näherer Bekannter des nach Spitzbergen vereisten Ehepaares Gabert.
Harst ließ hier zu meinem Erstaunen die Maske fallen.
„Herr Doktor, es hätte wenig Sinn, hier vor Ihnen die Komödie fortzuführen, die ich soeben droben bei Gaberts als Schwede spielen mußte … Mein Name ist Harst, – dies hier ist man alter treuer Freund Schraut, einer der am meisten gelästerten Schrift…stehler der Welt, – Verzeihung…“ lächelte er gut gelaunt, „doch nicht Schriftstehler, sondern zumeist Bestohlener …“
Auch Syme lachte herzlich … Davon habe ich schon gehört, Herr Schraut … – Bitte, nehmen Sie Platz, meine Herren … So zurückhalteng ich auch Unbekannten gegenüber bin, denn ich habe sehr schlechte Erfahrungen hinter mir, eben so sehr freue ich mich, einmal die Bekanntschaft von Leuten zu machen, die nicht zu mir kommen, um meine sprichwörtliche Gutmütigkeit auszunutzen.“
Wir setzten uns in eine Klubecke, die recht behaglich hätte sein können, wenn sie irgendwie auch nur den bescheidensten Schmuck gezeigt hätte … Doch sie war kahl und kalt wie alles hier, und wenn man nun wie wir den Doktor vor uns hatten, begriff man einfach nicht, daß dieser doch auf seine äußere Erscheinung so sehr bedachte Hugo Syme in einer derart unbehaglichem Umgebung hausen konnte. –
Er bot uns Zigarren, Zigaretten, Likör und einen Imbiß an und begann ganz von selbst und mit aller Offenheit, die sofort für ihn einnahm, über den vermutlichen Zweck unseres Besuches zu sprechen.
„… Sie jagen dem Trias nach, meine Herren, – das ist mir aus den Zeitungen bekannt … Eine sehr aufregende und gefährliche Jagd, wie es scheint … Ich nehme an, daß der junge Texaner bei Ihnen war, – mir hat er sein Abenteuer nur angedeutet … Für sein Alter ist er recht verschwiegen …“
Harst verneigte sich. „Ihre Annahme trifft zu … Jedoch handelt es sich zunächst weniger um Jup Hergt, vielmehr um das Ölgemälde droben bei Gaberts, dessen Geschichte Sie genauer kennen sollen als der alte Tom.“
„Allerdings, die kenne ich zur Hälfte,“ bestätigtes Syme sofort. „Ob ich aber befugt bin, sie Ihnen mitzuteilen, weiß ich nicht recht, da es sich dabei um äußerst …“ –
Er zögerte, überlegte und suchte nach einem treffenden Ausdruck … „… äußerst bedenkliche Begleitumstände handelt,“ fuhr er dann fort und blickte sehr versonnen dem Wölkchen seiner Zigarette nach … „Da ich jedoch Sie beide nicht enttäuschen möchte, werde ich an Gabert eine drahtlose Depesche senden und …“
„Herr Doktor,“ unterbrach Harst ihn hier, – „wissen Sie, wer der Mann mit dem stets wechselnden Kopf auf dem unteren Teil des Bildes ist? Also der Schatzhüter?“
„Nein, – das weiß niemand,“ erwiderte Syme achselzuckend.
„Ein Irrtum, – wir wissen es …“
Syme sprang auf. „Unmöglich! Sie sind der erste Mensch, der dies behauptet! Gabert hat die Geschichte des Bildes allerdings streng verheimlicht, und wenn man einen Fremden nicht gerade auf die Eigentümlichkeit des Gemäldes hinweist, fällt es kaum auf, daß der Kopf dauernd wechseln wie … ja, wie eine Scheibe, auf die man …“
Abermals fiel mein Freund ihm höflich in die Rede. „Ein zweiter Irrtum von Ihnen … Der Kopf wechselt nicht andauernd … Nur dann beginnt dieses … Spiel, wenn jemand darauf achtgibt!“
Syme schüttelte ungläubig den eigenen, feinmodellierten Gelehrtenkopf.
„Ausgeschlossen! Das hätten Gabert und ich längst herausgefunden!“
„So?! – Haben Sie denn das Bild von der Wand herabgenommen?“
„Das duldete Gabert nicht!“
„Wie?! Er duldete es nicht? Was heißt das?“
„Das hängt mit der Geschichte des Gemäldes zusammen … – Zunächst aber, – wer ist der … Schatzhüter?“
„Es ist der … Trias ‥!“
Syme, der noch immer neben dem Tisch stand und soeben nach einer frischen Zigarette gegriffen hatte, ließ sie vor Schreck fallen.
„Herr Harst, – ein Irrtum ist ausgeschlossen?“ fragte er seltsam gepreßten Tones.
„Gänzlich ausgeschlossen!“
Der Doktor nickte versonnen und strich sich immer wieder über die Stirn, als wollte er sehr ernste Gedanken von sich weisen.
„Das erklärt vieles,“ meinte er leise …
Er setzte sich wieder, und wir hörten nun die merkwürdige Geschichte der Nörrgaard-Mine …
Die Geschichte…
… „Zwei Jahre sind’s her… Da erhielt mein als Rutengänger recht berühmter Freund Dr. Gabert aus Texas einen sehr lohnenden Auftrag von einem dicht an der Grenze lebenden Haziendabesitzer namens Holger Nörrgaard. Er nahm seine Frau mit, wurde von dem steinreichen Viehzüchter, einem geborenen Dänen, sehr gastliche aufgenommen und erfuhr erst an Ort und Stelle bei einem längeren Spazierritt in eine entlegenen Schlucht, um was es sich eigentlich handelte. Bis dahin hatte sich der Haziendero mit genaueren Angaben in tiefstes Schweigen gehüllt … Nörrgaard war sogar noch jetzt vorsichtig, keinen einzigen Diener hatte er auf diesen einsamen Ritt hoch zu Kamel mitgemommen, – nicht einmal Frau Gabert durfte die beiden Herren begleiten, die nur ein Lasttier bei sich hatten mit Proviant für drei Tage … Auf weiten Umwegen erreichten sie schließlich ihr Ziel, eine grauenhafte Einöde, wie man sie in jenen Grenzgebieten so oft antrifft … Auf endlose Meilen gab es dort keine Siedlung, keine Hütte … nur Sand, Felsen und kümmerliche Palmen und Büsche.
Dennoch gewahrte Gaberts kundiges Forscherauge in der Schlucht Reste uralter Bauten und auch Anzeichen einer Besiedlung aus neuerer Zeit, er bemerkte seltsame Steinanhäufungen, und als Gelehrter erkannte er sehr bald, daß hier einmal die Jesuiten, die ja auch in Neu Mexiko als Kulturverbreiter eine Rolle spielten, bis man sie wie anderswo zum Lande hinausjagte, eine Niederlassung gehabt haben mußten. Aber nicht nur dies war’s, was ihn veranlaßte, seine Beobachtungen zunächst für sich zu behalten. Er fand in einigen offenbar durch Pulver gesprengten Felsen auf der Innenseite der so entstandenen Spalten eingemeißelte Kreise, und in jedem Kreis eine 3 X 3, also das alte Symbol des vielumstrittenen Rosenkreuzerordens … – Der Haziendero erzählte ihm, nachdem sie sich erst gründlich gestärkt hatten, daß in dieser Schlucht nach einer alten indianischen Überlieferung ungeheure Schätze an Gold lagern sollten, und das schon die Jesuiten an dieser Stelle danach gesucht hätten, ebenso in allerjüngster Zeit auch ein paar Europäer … Doch gefunden habe hier noch niemand etwas. – Kurz und gut, Gabert sollte nun mit Hilfe seiner besonderen Fähigkeiten als Rutengänger das Gold suchen oder doch den Nachweis erbringen, daß … überhaupt nichts Wertvolles vorhanden sei. Mein Freund, der sich in der richtigen Stimmung fühlte, begann unverzüglich mit einer sorgfältigen Sondierung des Geländes … Ahnen Sie, Herr Harst,“ unterbrach Syme an dieser Stelle seine Erzählung, „…ahnen Sie, wie diese Versuche Gaberts ausfielen?“
Er fragte das in einem Ton, der erkennen ließ, daß er eine verneinende Antwort erwartete.
Harst mußte ihn leider enttäuschen.
„Ja,“ nickte er, „ich glaube es zu wissen, und ich kann in wenigen Sätzen den Ausgang der Reise Ihres Freundes Gabert schildern …“
Syme machte zu dieser Erklärung ein Gesicht, als ob sie ihm höchst unangenehm wäre. –
Damals schöpfte ich den ersten Verdacht gegen Hugo Syme … Ich hatte eben das Gefühl, er fürchtete aus irgendwelchen Gründen, daß Harst bereits auf dem Wege treffsicherer Schlußfolgerungen das Endergebnis der Rutengängerversuche Gaberts in einer solchen Genauigkeit festgelegt haben könnte, wie dies von ihm, Syme, nie vor uns preisgegeben worden wäre …
Harst beendete die Geschichte der Nörrgaard-Mine.
„Sie, Herr Doktor, haben mir für das, was ich nun ausführen will, einige wertvolle Stichworte geliefert, aber noch wertvoller war mir der Besuch droben bei Gaberts und die Besichtigung des seltsamen Gemäldes, das nun wohl sehr bald unser Berliner Kriminalmuseum um ein sehr eigenartiges Stück bereichern wird … Sprechen wir erst einmal über dieses Bild. – Tom schleppte also eine Leiter herbei, ich kletterte empor und wollte das Bild von der Wand nehmen. …Wollte … Ich zögerte … Ich hatte meine Gründe dazu … … Denn, geben Sie acht! – Ich sah, daß der Kopf des Gemäldes plötzlich auf seine besondere Fähigkeit, sich zu verändern, verzichtete. Schon dem ironisch gemeinten ‚verzichtete’ werden Sie entnommen haben, daß dieses Bild von Menschenhand … dirigiert wurde… Ein Mensch, der das lebhafteste Interesse daran hatte, ihren Freund Gabert dauernd in Angst zu halten, schenkte es ihm anonym und verknüpfte damit gewisse Drohungen …“
(Hier senkte Syme schnell den Kopf.)
„Also … das Bild! Es war mir nun völlig klar, daß ich bei sorgfältiger Suche auch den … Trick herausfinden mußte, den der Maler angewendet hatte, den Kopf des Trias zu wechseln, wobei ich jetzt schon bemerke, daß die verschiedenen Bilder immer nur den Trias in einer seiner tadellosen Masken darstellten. Ich fand folgendes … Die Ölfarbe war auf dem Bild stellenweise fingerdick aufgetragen. Unter einer solchen Farbschicht läßt sich allerhand verbergen, – ich erinnere nur an den Edelsteinenschmugglertrick, unter so dicker Farbe Diamanten nach Amerika einzuführen, – die dazu hergestellten Bilder waren natürlich übelster Kitsch. Nur ein Zufall entlarvte die Schmuggler schließlich[4] … – Die Rückseite des goldumrandeten Gemäldes zeigte zunächst nichts Verdächtiges, zunächst … Ich reichte Schraut das Bild zu und nahm die Wand in Augenschein, wobei Tom mir höhnische gute Ratschläge gab … Er wurde sehr bald recht kleinlaut und begann allen Ernstes für seine zehn Mark zu fürchten … Und er hatte allen Anlass dazu, denn ich entdeckte in der Tapete winzige Löcher, aus denen ebenso winzige Stifte oder besser harmlos erscheinende Nägelchen etwas hervorragten …“
(Hier rief Syme „Unglaublich!!“, sprang auf und stellte sich mit dem Rücken nach uns hin ans Fenster, um uns sein blasses Gesicht nicht sehen zu lassen.)
7. Kapitel
Ein Zwischenfall.
Bevor mein Freund noch fortfahren konnte, ereignete sich folgendes, – auch sehr kennzeichnend für die Arbeitsweise des Trias …
Syme stand also am Fenster, Harst hatte eine kurze Pause eingelegt, ich beobachtete den verdächtigen Doktor und grübelte darüber nach, inwiefern Syme mit dieser ganzen Geschichte etwas zu tun haben könnte …
Da … mit einem einzigen Satz war Harst zum Fenster geschnellt, riß Syme zur Seite, und … klirr … klatsch … – die Kugel durchschlug die Scheiben und bohrte sich in die Tür eines Schrankes ein …
Syme lehnte totenbleich an der Wand …
Seine Unterkiefer war herabgesunken, dicke Schweißperlen standen ihm auf der Stirn …
„Was war … das,“ flüsterte er heiser …
„Ein Fehlschuß,“ meinte Harald kühl „oder eine Lebensrettung, – wie man’s nennen will …“
„Und wie konnten Sie voraussehen, daß jemand auf mich schießen würde?“
„Einmal, weil ich den Trias und seine Methoden kenne, dann aber, weil ich drüben auf dem Dach jenseits der Straße einen Kaminkehrer erblickte, dessen Besen verzweifelte Ähnlichkeit mit einer Büchse hatte … Der Kerl zielte zum Glück zu lange …“
Syme drückte Harald fest die Hand.
„Ich danke Ihnen …“
„Keine Ursache … Setzen wir uns wieder. – So, – nun will ich fortfahren und dabei alles Unwichtige weglassen …“
Die Geschichte wird endgültig beendet …
„…Also ich fand die Nägelchen in der Tapete, und auf der Rückseite des Bildes entdeckte ich im Holzrahmen gleichfalls sehr harmlos erscheinende Messingschrauben mit sehr breiten Köpfen … – Der alte Tom war entsetzt, als ich einen Schraubenzieher verlangte. Er begab sich zögernd in die Küche, um das Gewünschte zu holen … Und kam … nicht wieder … Er hatte es vorgezogen zu verschwinden, was nicht gerade für ein reines Gewissen sprach … – Ich schraubte den Rahmen auseinander, und so fand ich den äußerst feinen Mechanismus. – Wenn Ihre Annahme zutreffen würde, daß die verschiedenen Köpfe hinter der Bildleinwand auf einer Scheibe angebracht seien, die sich drehte, Herr Doktor, dann hätte das Bild an der einen Stelle ein Loch haben müssen, das genau dem Umfang des Kopfes entsprach… Doch es ist kein Loch vorhanden. – Der Künstler, der das Gemälde schuf, ist ein Genie und muß viele Versuche angestellt haben, bevor er für seinen Auftraggeber etwas wirklich Befriedigendes fand. Die Lösung ist im Grunde verblüffend einfach …“
Syme saß wieder mit gesenktem Kopf da – völlig teilnahmslos … – Den Eindruck machte er auf mich …
„… Die Lösung ist die. Dort, wo auf dem Bild der Kopf des Schatzhüters zu sehen ist, erblickt man nur den Kopf des Trias, nur, – sobald man das Gemälde von der Wand genommen hat ‥! – Dies betonte ich schon. Dieser ursprüngliche Kopf – so könnte man ihn nennen, ist in hauchdünner Farbschicht so raffiniert auf dünne Gaze gemalt, daß die auf eine bewegliche Schiene gezeichneten anderen Köpfe infolge einer besonderen Beleuchtungsvorrichtung durch winzige Glühbirnen klar durchschimmern und den Eindruck erwecken, als veränderte sich der Kopf tatsächlich, während es sich in Wahrheit doch nur um einen raffiniert künstlerischen und technischen Trick handelt …“
Syme saß noch immer in derselben zusammengesunkenen Haltung da und rührte sich nicht … Das Schuldbewußtsein standen ihm auf der Stirn geschrieben. – Worin, fragte ich mich mit Recht, bestand seine Schuld ‥?! Ich fand keine Antwort darauf …
Harst fuhr nach kurzer Pause fort: „Meine nächste Aufgabe war, nunmehr festzustellen, wohin die elektrische Leitung führte, durch die die Glühlämpchen und die Schiene bewegt wurden … Sie führte unter der Tapete hin und zwar nach oben in die Wohnung über der Gabert’schen … Der Mieter dort ist ein alter Junggeselle namens Kreuz, wie Sie wissen, Herr Doktor … Wir gingen zu ihm, – er war nicht daheim, wir fanden aber das Ende der Leitung und die Batterien … Dieser Herr Kreuz wird sich hier nie wieder zeigen … Er war eben der Trias … Er war der ‚Schatzhüter’ in der Schlucht an der Grenze zwischen Texas und Mexiko, er hat irgendwie die Experimente Gaberts zunächst vereitelt, bis der Däne Nörrgaard ihm wahrscheinlich eine hohe Abfindung zahlte …“ – Soweit mein Freund durch die bisherigen Ereignisse über die damaligen Vorgänge in Texas informiert sein konnte, traf er in allem das Richtige. Dann ging er zur Vergangenheit über, denn sie stellte ja das Bindeglied zwischen Einst und Heute, zwischen dem Rosenkreuzer-Orden und der Felsenschlucht und dem Schatzhüter her …
„… Alte Urkunden des Ordens, der schon früher einmal die Edelmetallschätze dort an der Grenze heben wollte, ließen in Roland Born den Plan reifen, sich selbst einmal nach Texas zu begeben … Vielleicht wußte er, daß Gabert dorthin berufen war, obwohl ich dies vorläufig nicht nachweisen kann, denn der Herr Kreuz im vierten Stock wohnt ja erst etwa zwei Jahre hier im Hause. – Des Trias ungeheuere Habgier ist bekannt, – er suchte aus seiner Kenntnis der Geheimnisse der Schlucht möglichst viel herauszuschlagen, und es gelang ihm … – Gabert wieder, das erklärten Sie selbst schon, sollte dauernd durch das Bild in Angst gehalten werden, damit er nichts verriete … Gabert wußte also um die Abfindung, die der Däne dem … ‚Schatzhüter’ gezahlt hatte … – So verhält sich die Sache, in großen Zügen dargestellt … Die Einzelheiten werde ich schon noch ermitteln …“
8. Kapitel
Die Versuche des Dr. Syme.
… Hugo Syme hatte die letzten Minuten lang mit nach rückwärts geneigtem Kopf zur Zimmerdecke emporgestarrt, und sein schnell und eindrucksvoll wechselndes Mienenspiel verriet mir, daß er offenbar mit irgend einem schweren Entschluß kämpfte. Mir schien’s, als ob er sich zu einem Geständnis durchringen wollte … Daß Harst nicht mehr sprach und wie ich abwartend dasaß, entging den Doktor in seiner völligen Geistesabwesenheit so vollständig, daß er erschrocken emporfuhr, als wir uns erhoben und uns kühl höflich verabschiedeten. Er war verlegen und befangen, er wich unseren Blicken aus, und als es meinem Freund im Treppenflur einfiel, daß er sein Zigarettenetui hatte liegen lassen, bat er Harald nochmals ins Herrenzimmer, während ich bereits die Treppe hinabschritt, wie Harst mir noch zugerufen hatte, – ich sollte unten auch gleich eine Taxe besorgen …
Ich tat, wie befohlen … Ich kenne die gewissen Stichworte …
Die Wohnungstür war nur angelehnt, – gleich darauf war ich in Symes Schlafzimmer, horchte, hörte die Abschiedswort Harsts und das Einschnappen der Flurtür, – … drei Minuten später stand mein Freund neben mir.
… Im Herrenzimmer saß Syme wie vernichtet im Sessel, vor ihm stand die blitzsaubere Frau mit dem zarten, feinen Gesicht und dem grauen Scheitel …
„… eine namenlose Tragik ‥!“ sagte Syme mit zerbrochener Stimme. „Ich habe unsäglich gelitten, und du mit mir, du Treue ‥!“ –
Seine Aussprache des Deutschen hatte keinerlei fremden Beiklang mehr …
Die Frau hatte sich zu ihm auf die Sessellehne gesetzt …
„Wir hätten früher unseren Plan ausführen sollen,“ meinte sie ohne jeden vorwurfsvollen Unterton, im Gegenteil, in ihrer Stimme war ein großes, weiches Mitleid. „Deine Furcht vor ‚ihm’ war übertrieben … Wir könnten jede Minute fliehen … Unsere persönlichen Andenken sind verpackt und bereits auf dem Bahnhof … Was noch zu vernichten wäre, ist im Augenblick getan …“
Syme griff nach ihrer Hand. „Gerade die Leere dieses Zimmers wird Harst aufgefallen sein … Aber das alles ist ja so gleichgültig, Anna … Was weder unseren heimlich Verbündeten noch uns bisher geglückt ist, gelang Harst heute in kürzester Zeit: ‚Er’ hat droben im vierten Stock gewohnt, – ‚Er’ ist der alte Herr Kreuz, der Sonderling, der Vogelzüchter, der Geizhals ‥!“
Frau Anna verriet keinerlei Überraschung. Sie war längst über das Stadium hinaus, wo noch irgend etwas Neues den Menschen schrecken kann.
Nur ein Gefühl lebte noch in ihr, unendliches Mitleid mit ihrem Mann, der sich mit für sie geopfert hatte … – Ihre sorgenden Gedanken flogen wie aufgescheuchte Vöglein in die Vergangenheit zurück … Vor zwei Jahren waren nach einem Bankkrach die Reste ihres Vermögens verloren gegangen … Da hatte der grausame Daseinskampf für sie begonnen, da war ihr Gatte von Tür zu Tür gelaufen, um eine Anstellung zu finden. Er war ja längst auch im Herzen Deutscher geworden, er hatte den Wahnwitz des Weltkrieges, dieses Massenmordens aus Konkurrenzgründen, stets verurteilt und die verheerenden Folgen für die ganze Welt vorausgesagt … Er fand keinen Erwerb, er war ja Privatgelehrter, seine Experimente und Studien galten dem unfruchtbaren Gebiet physischer Spezialforschungen, nebenher trieb er zu seinem eigenen Vergnügen eine ebenso brotlose Kunst, – er konnte es sich bis dahin leisten, er war reich … gewesen ‥!! … Und dann war der Versucher erschienen: Er! … Er, den Frau Anna zuerst als Wohltäter willkommen geheißen hatte. Er bestellte etwas, – und Hugo Syme schuf ein Kunstwerk.
Die Bezahlung war glänzend gewesen … – Aber … die Enttäuschung folgte … Bei Symes wurde eingebrochen, das Geld wurde gestohlen … – und wieder sprang Er ein, Er, der junge Ausländer, – Mr. Triland hatte er sich genannt … Und diesmal ließ er die Maske fallen … ‚Wenn Sie Ihren Freund Gabert in unauffälliger Art überwachen wollen, erhalten Sie jeden Monat sechshundert Mark, davon können Sie und Ihre Frau leben …’
Syme, zermürbt und verzweifelt, hatte seine schwache Stunde … Er sagte zu … Am nächsten Tage erblickte er bei Gabert das seltsame Bild mit den beweglichen Köpfen, – er erbleichte. – Zum Glück hatte er es nie nötig, seinen Freund zu verraten, da dieser in allen Äußerungen sehr vorsichtig blieb …
Aber Syme kam seelisch über seinen moralischen Niedergang niemals hinweg. Er ahnte nicht, daß sein Verführer gerade der Mann war, der anderthalb Jahre später ganz Berlin in Atem halten sollte, er sah ihn nie mehr von Angesicht zu Angesicht, er hörte nur seine Stimme am Fernsprecher … zuweilen … sehr selten! Das war alles … Für sechshundert Mark Sündengeld monatlich. Aber in Dr. Symes empfindlichem Herzen wuchs gegen diesen Mr. Triland allmählich ein unsäglicher, stiller Haß empor, und als kurze Zeit nach diesem schmählichen Geschäft die junge Freundin Frau Gaberts ihn auf der Straße ansprach und ihm gewisse Vorschläge unterbreitete, war er – nur aus diesem Gefühl ungestillten Hasses heraus – sofort mit allem einverstanden, zumal das junge Mädchen, die es ja beruflich gewöhnt war, den kompliziertesten Gedankengängen nachzugehen, ihm ohne nähere Erklärungen die Beweise aufzählte, daß nur der ‚Schatzhüter’ auch der gewesen sei, der bei ihm den Einbruch veranlaßt hatte.
Von diesem Tage an begannen … die Versuche des Dr. Syme …
Das junge Mädchen mußte einen Vorwand haben, ihn häufiger zu besuchen. Man kam überein, zum Schein bestimmte Experimente anzustellen, die sich mit Symes besonderen Studien in Einklang bringen ließen, so über das noch ungeklärte Gebiet der Unverwundbarkeit der Haut von Derwischen und Fakiren. Man experimentierte allen Ernstes, um jeden Spion zu täuschen. Man fand so Gelegenheit zu vertraulicher Aussprache, aber … in der Hauptaufgabe, die man bewältigen wollte, nämlich die Person des ‚Schatzhüters’ zu ermitteln, erlebt man nur Fehlschläge …
Dann – es war ein reiner Zufall! – mietete Jup Hergt die Wohnung Gaberts, – dann kam jene Nacht, in der Doktor Symes seine Vertraute für Minuten alleingelassen hatte … Er fand sie halb besinnungslos vor Schreck bei seiner Rückkehr vor, sie hatte Jup Hergt für Sekunden in der Tür gesehen, aber urplötzlich war der junge Texaner von einer unsichtbaren Gewalt zurückgerissen worden, die Tür krachte ins Schloß, und das Mädchen, das nur einen ungewissen Schatten hinter der Gestalt des Millionärs wahrgenommen hatte, gestand Syme ohne jede Scheu, daß eine unerklärliche Angst sie gepackt hätte und daß sie unfähig gewesen, mit ihrer sonst nie versagenden Energie auch diesmal den Mut aufzubringen, Jup Hergt und seinem Gegner sofort zu folgen …
– An all dies dachte Frau Anna Syme in dieser entscheidenden Stunde zurück. Auch sie war ja mit im Bunde gewesen, aber sie als die Lebensgefährtin ihres Mannes und als mehr auf die reine Pflichtauffassung als Hausfrau eingestellte echt deutsche Ehegattin hatte es den beiden andern überlassen, die Dinge vorwärtszutreiben. –
Jetzt jedoch handelte sie … Sie erhob sich, zog ihren Gatten mit empor und sagte mit kraftvoller Entschlossenheit: „Vernichten wir, was verschwinden muß, damit niemand unsere größte Schande erfahre!“
… Sie gingen … Sie hielten sich kein Hauspersonal … In der Küche im Herd verbrannten sie die vier ersten Bilder, die Syme, ein vorzüglicher Maler, als Probestücke des ‚Schatzhüters’ angefertigt hatte. Erst das fünfte war ihm auch in allen technischen Einzelheiten vollkommen gelungen, erst dieses hatte der Trias so glänzend bezahlt und … das Geld nachher stehlen lassen …
… Sie zerschnitten die Bilder in Fetzen, und während die Glut die ersten Entwürfe in Asche verwandelte, hielten sie sich fest umschlungen und sprachen wie Erlöste über die Zeiten ihrer moralischen Schmach … –
Sie ahnten nicht, daß im Flur hinter den Milchglasscheiben der Tür zwei Männer standen und angespannt und erschüttert lauschten, denn auch diese beiden hatten vollstes Verständnis für die nicht alltägliche Tragik dieses ganzen Geschehens … –
– Als das Ehepaar Syme nach der gründlichen Vernichtung der ihm verhaßten Bilder die Küche wieder verließ, fand es auf dem Flurläufer folgenden Zettel vor:
Bitte bleiben Sie in Ihrer Wohnung, da ich begründete Hoffnung habe, Ihren Quälgeist und meinen Gegner noch heute der Polizei übergeben zu können.
Mit größter Hochachtung
Ihr
H. H.
9. Kapitel
Jup und die alte Rothaut.
… Wir saßen nun also zusammen mit Gerda und Jup an demselben Tisch in der Bibliothek des alten Schlosses, das Eigentum der Erpresserbande war, mit der Jup so widerspruchsvolle Erfahrungen gemacht hatte.
Der junge Texaner wiederholte nochmals und noch temperamentvoller die Versicherung, daß er hier lediglich als Gast weile und niemand ihm irgendwie zu nahe getreten sei … Und von einem Scheck könnte schon gar keine Rede sein … Er verbäte sich derartige Verdächtigungen aufs energischte …
Harst lächelte dazu sehr zweifelnd und schaute die fesche blonde Gerda durchdringend an.
„Ihre drei Helfershelfer werden Ihnen nie wieder bei Ihren kecken Streichen Unterstützung gewähren können,“ sagte er sehr zweideutig …
Jup fuhr hoch … „Was haben Sie mit den Herren angefangen?“ rief er wütend und warf Gerda einen mitleidigen Blick zu.
Ich mußte mir alle erdenkliche Mühe geben, nicht laut heraus zu lachen. Auch Gerda kicherte merkwürdigerweise still in sich hinein und nickte Jup aufmunternd zu. Der verstand dies falsch, machte ein ungeheuer enttäuschtes Gesicht und meinte aufgebracht: „Also sind Sie doch schuldig? Und dabei besitzen Sie noch die Unverfrorenheit und amüsieren sich über meine Leichtgläubigkeit und meine Vertrauensseligkeit?! Das finde ich unerhört!!“
„Ich auch ‥!“
Gerda Trausch trieb die Keckheit jetzt auf den Höhepunkt, indem sie Jup eine regelrechte lange Nase drehte. Sogar die Zungenspitze kam zwischen den frischen roten Lippen etwas hervor und versetzte den erbosten Millionär in ärgste Verwirrung …
… Was begreiflich war …
Blitzschnell wandte Gerda dann den Kopf und wiederholte bei meinem Freund dasselbe Manöver.
„Herr Harst, wenn Sie auch Jup Hergt foppen können, – mich nicht ‥!“
„Sie haben schon genug Leute gefoppt,“ sagte mein Freund finster. „In Ihren fein ausgeklügelten Plänen halten Sie alle Welt zum Narren … Das muß aufhören! Heiraten Sie! Machen Sie einen Mann glücklich und nehmen Sie Ihre Werkzeuge zur Irreführung Ihrer Opfer nie mehr zur Hand!“
Jup erstarrte vor Entsetzen. „Ist sie etwa auch Einbrecherin?!“
Gerda lachte scheinbar noch frecher, Harst aber erwiderte tiefernst:
„Nein, Einbrecherin ist die junge Dame nicht gerade, sie arbeitet nur Einbruchspläne schriftlich aus, – sie ist nämlich Kriminalschriftstellerin, nennt sich als solche Gerd Rausch und ist eine der bestbezahlten Erfinderinnen von verzwickten Problemen …“
Das Gesicht des Petroleumerben war jetzt zum Malen … Er begriff allmählich, wie sehr man ihn genasführt hatte. Aber die Freude über diese harmlose Aufklärung überwog doch das geringe Gefühl des Ärgers. Er streckte Gerda die Hand hin und hielt diese Hand auch nachher in der seinen, wogegen die junge Frau absolut nichts einzuwenden zu haben schien.
„Nun erklären Sie mir zunächst einmal, weshalb Sie diese undurchsichtige Komödie mit mir aufgeführt haben,“ bat er mit so leuchtenden Augen, daß sogar Gerda, die doch ein sehr natürlicher und verständiger Mensch war, den Kopf senkte und errötete.
„Warum?“ meinte sie nach einem flüchtigen Blick auf Harst … „Das ist bald gesagt … Ich wollte von Ihnen erfahren, was sich damals in der Felsenschlucht in Texas zugetragen hat, Herr Hergt …“
Jup lehnte sich überrascht in seinem Stuhl zurück und bekam etwas harte Falten um den Mund. „Was wissen Sie denn von der alten Rothaut!“ verriet er sich gegen seinen Willen. „Das ist eine Sache, über die ich nicht gern spreche …“
„Das sah ich voraus, – deshalb wollte ich Sie zum Reden zwingen …“
In Gerdas Augen sprühte es vor Übermut …
„… Mein ganzer Plan ging dahin, Sie in eine Situation zu bringen, die Sie veranlassen mußte, mir Ihr gefährliches Abenteuer zu erzählen.“ Sie wurde nun sehr ernst, denn das, was sie aufzuklären gedachte, war alles andere, nur nicht lächerlich. „Ich möchte einen ganz kurzen Überblick über die Geschehnisse geben, die Herr Harst zweifellos bereits zum größten Teil kennt, sonst wäre er nicht hier erschienen … – Meine Freundin, Frau Gabert, zeigte mir vor etwa anderthalb Jahren ein Bild …“
Von ihren weiteren Ausführungen will ich nur das bringen, was der Leser noch nicht weiß …
„… Der Drohbrief, der zugleich mit dem Gemälde ‚Der Schatzhüter’ eintraf, hatte meine Freundin sehr erregt. Sie ließ sich jedoch zu keinerlei näheren Erklärungen bestimmen, so daß ich den Entschluß faßte, den Dingen persönlich nachzuspüren, – für mich als Kriminalschriftstellerin ja weiter keine allzu ungewöhnliche Aufgabe … Wie ich dann auf Dr. Syme aufmerksam wurde, kann ich hier im einzelnen nicht mitteilen, dazu gehörten Stunden … Jedenfalls gewann ich in der Person Symes, der gleichfalls offenbar von demselben Mann abhängig war, ohne ihn zu kennen, einen wertvollen Verbündeten. Wir kamen überein, nur zum Schein gewisse Versuche gemeinsam anzustellen, und damals, als Sie, Herr Hergt, mich auf der Schwertklinge balancieren sahen, hatte ich unter den Fußsohlen … Blechstreifen befestigt …“
Jetzt lächelte sie wieder. „Nicht wahr, das nimmt mir sehr viel von dem Nimbus der Unverwundbarkeit ‥!“
„… Gott sei Dank,“ rief Jup begeistert. „Es wäre schrecklich gewesen, wenn Sie wirklich … unverwundbar gewesen wären ‥!“ Und wieder traf Gerda ein so begeisterter Blick, daß der gute Jup es sich später hätte schenken können, ihr noch eine Liebeserklärung zu machen.
„… Da Gabert Sie in Texas zweimal gesehen hatte,“ fuhr die kluge junge Frau eiligst fort, „erfuhr ich durch meine Freundin, daß Sie der Sohn des Mannes seien, dem der Grenzstreifen und die Schlucht früher gehört hatten … Mein Interesse für Sie ist damit erklärt, ebenso mein heutiger Streich. – Nun sind Sie aber an der Reihe, uns einige Angaben über die …“
Harst unterbrach sie. „Wissen Sie auch, daß Syme selbst der Mann ist, der das Gemälde hergestellt hat?“
Gerda nickte flüchtig. „Ich ahnte es … Hat Syme heute meinen Namen erwähnt?“
„Ja, in der Küche, als er und seine Frau die Probebilder verbrannten … Nur so erfuhren wir von Ihrer Beteiligung an diesem zunächst so undurchsichtigen Spiel, das mit drei Flaschen Sekt und …“
„Wer ist nun eigentlich dieser geheimnisvolle Mensch, der Herrn Hergt nachher ins Bett brachte und …“
„… Der Trias ist’s …“
Auch jetzt verriet Gerda Trausch nur geringe Überraschung. „Das habe ich vermutet! – Und was erlebten Sie mit ihm in der Schlucht, Herr Hergt?“
Jup erzählte … „Meinem Vater war es aufgefallen, daß der Däne plötzlich so großen Wert auf den Besitz der Schlucht legte … Gerade als das Ehepaar Gabert bei Nörrgaard eintraf, war mein Vater dort, und er teilte mir von diesen deutschen Gästen das Wenige mit, was er wußte. Ich schöpfte sofort Verdacht …“
– Hier kann ich vieles weglassen, was dem Leser bereits bekannt ist … –
„Das Erscheinen der alten Rothaut in der Schlucht,“ so fuhr Jup fort, „verleitete mich dazu, den Indianer, der doch offenbar irgendwie an der Geschichte beteiligt war, zunächst ergreifen zu wollen … Ich hatte den Mann jedoch unterschätzt, er merkte, daß ich heranschlich, überrumpelte mich und zwang mich zu einem Schwur, daß ich nichts verraten würde. Zuerst hatte er bestimmt die Absicht, mich zu ermorden und zu verscharren … Ich bat nicht um mein Leben, nein, aber der Mann – es war bestimmt ein verkleideter Weißer – mochte wohl selbst einsehen, daß mein Verschwinden seinen Plänen nachteilig werden könnte … – So mußte ich denn meinen Vater belügen und auch hinterher schweigen, als Nörrgaard, dieser Betrüger, ‚zufällig’ den Meteoriten in den Höhlen unterhalb der Schlucht entdeckte … – Es war ein sehr gefährliches Abenteuer damals, denn ich merkte, daß diesem Menschen ein Leben gar nichts galt …“
Gerda, die Jups Hand noch immer umschlossen hielt, flüsterte empört:
„Wenn man nur diesen Trias endlich fände!! Aber der Mann ist zu schlau!!“
„Abwarten!“ tröstete Harst. „Wie geht es übrigens Ihrer Mutter, Fräulein Trausch?“
Die junge Frau strahlte. „Vorzüglich! Sie hat sich hier inmitten der schönen märkischen Wälder prächtig erholt …“ – Und zu Jup: „Sie müssen auch das erfahren, Herr Hergt … Ich bin nur aus Not Schriftstellerin geworden … Ich war ohne Verdienst, es ging uns sehr schlecht, und Mutter war krank … So griff ich denn aus Verzweiflung zur Feder … Und es glückte …“
Jup schaute sie bewundernd an … „Und Ihr Vater?“ fragte er zögernd.
„… Starb bereits vor zehn Jahren …“
„Oh, – mein Beileid …“ stammelte der Texaner verwirrt … „Wer waren denn die drei Männer hier, die …“
Gerda kicherte schon wieder. „Das waren oder besser sind unsere Diener und zwei bekannte Kollegen aus dem Schriftstellerklub, die mir sehr gern halfen …“
„… Sind Sie mit dem einen verlobt?“ fragte Jupp fast ängstlich.
Sie lachte übermütig … „Nein, das wäre unmöglich, denn die beiden sind längst verheiratet ‥!“
„Gott sei Dank,“ entfuhr es dem erleichtert aufatmenden jungen Millionär …
Harst schmunzelte …
Ich auch …
10. Kapitel
Wie Harst ihn fand und verlor …
… Über den Abschluß dieser Nacht in Gerdas landschaftlich so wundervoll gelegener Wasserburg will ich nur so viel sagen, daß wir nicht nur zusammen mit den drei ‚Gaunern’, sondern auch in Gegenwart der Mutter Gerdas ein paar sehr gemütliche Stunden verlebten. Morgens fuhren wir dann zur Stadt zurück.
Mein Freund ließ mich vollkommen im Unklaren darüber, was er nun weiter vorhatte. Auch Jup, der als Gast im alten Wasserschlößchen zurückgeblieben war, hatte nichts hierüber erfahren. Unsere Taxe hatte den Stadtbahnhof Börse zum Ziel, in dessen unmittelbarer Nähe jenes volkstümliche Unternehmen liegt, dessen führender Kopf eine Frau von vielseitigem Wissen ist, dazu von einer verblüffenden Geschäftstüchtigkeit.
Nachdem wir in einer nahen Künstlerkneipe noch als Vorbereitung für den ‚Endmatsch’, wie Harald sich ausdrückte, in aller Ruhe gefrühstückt hatten, schlenderten wir die Straße hinab und blieben vor den riesigen Plakaten des Unternehmens stehen, dessen mächtiger Kuppelbau weithin sichtbar in den blauen Junihimmel ragte.
Harst deutete schweigend auf eine bestimmte Figur der Reklamezeichnung …
Diese stumme Geste traf mich in Wahrheit wie ein Schlag, der alle Hemmungen im Gehirn löste. Ich wußte ja, daß die Hauptstärke des Trias darin bestand, sich gleichzeitig in mehreren Masken und unter verschiedenen Namen stets mehrere Schlupfwinkel bereit zu halten, falls es ihm in dem einen nicht mehr ganz geheuer schien. –
– … Die Vormittagsprobe hatte im Zirkus Busch soeben begonnen … An der Seite der Manege übten zwei Clowns einen neuen Trick ein, dicht neben ihnen ließ ein Jongleur seine Messer in der Luft kreisen, in der Mitte brachte ein Dompteur einem Elefanten ein Kunststück bei …
… In einer der Logen erschienen eine Dame und zwei ältere Herren, nahmen Platz und unterhielten sich flüsternd …
„… Er ist nun etwa zwei Jahre bei mir,“ erklärte uns Frau Paula Busch ein wenig beunruhigt. „Da er sehr billig arbeitet und nur in längeren Zwischenräumen auftritt, dann aber überall einspringt, wo es nötig ist, habe ich ihn bisher behalten, obwohl mir, wie ich zugebe, der Mann ein wenig sonderbar vorkam … Er heißt mit seinem richtigen Namen Pedro Maxillo und stammt aus Nordmexiko, dürfte ein Mischling sein und nennt sich nur in seiner berühmten Indianernummer als Lassowerfer und Kunstschütze Old Winnetou – nach dem Helden der May’schen Wildwestromane … – Da ist der übrigen schon … Er muß gründlich üben, denn die letzten drei Monate war er beurlaubt, Herr Harst. Liegt etwas gegen ihn vor?“
„… Leider,“ erwiderte mein Freund zerstreut und ließ kein Auge von dem schlanken Mann, der da unten in der Manege in einem schlichten Anzug seinen Lasso schwang und nach einer Strohpuppe warf …
– Schon vorhin, als wir uns der Frau Direktor vorgestellt hatten, war mir Harsts einfacher Gedankengang klar geworden. Auf allen Reklameanzeigen war das Wiederauftreten des berühmten Old Winnetou für den nächsten Monat angekündigt worden … Und Harst las ja stets alles in den Zeitungen, sogar die gleichgültigen Annoncen … Kein Wunder also, daß er auf den Verdacht gekommen war, Old Winnetou, der Indianer aus der Texasschlucht und der Trias könnten ein und dieselbe Person sein …
Harst beugte sich näher zu der Frau Direktor hinüber … „Es ist bestimmt der, den wir suchen ‥!“
„Und wen suchen Sie hier? Wer ist dieser Maxillo in Wahrheit?“
Als sie die Wahrheit erfuhr, verlor sogar diese Frau, die doch gewiß gute Nerven hatte, vollkommen die Fassung … –
Roland Born übte weiter …
Wir stiegen in die Manege hinab, – der Trias schleuderte seinen Lasso steil aufwärts und die Schlinge verfing sich in einem von der Zirkuskuppel herabhängendem Trapez. Old Winnetou in seinem bürgerlichen Kostüm gab sich die größte Mühe, die Schlinge wieder frei zu bekommen …
Da tauchten wir vor ihm auf … Daß er uns sofort erkannte, bewies sein jähes Zurückprallen … Der Lasso entglitt ihm und pendelte frei hin und her … Mit offenem Mund starrte Born uns an, – seine Gestalt sackte in sich zusammen, und nur ein scheuer Blick glitt zu der Frau Direktor hinüber, die mit mehreren Artisten den Kreis um den Verbrecher geschlossen hatte …
Niemann, aber auch niemand vermutete, daß Born nur heuchelte, daß er bereits genau wußte, wie er entkommen könnte …
Ganz unerwartet schnellte er aus seiner gebeugten Haltung hoch, sprang in die Höhe und turnte an dem Lasso empor. – Dem einen Stallmeister, der ihn festhalten wollte, trat er mit dem Fuß ins Gesicht …
Im Nu war er droben verschwunden, – alles Suchen war vergeblich … Ein paar Zeugen meldeten sich, die auf der Straße einen Mann gesehen hatten, der in eine wartende Limousine schlüpfte und davonfuhr …
– – Born war also abermals entkommen …
Als wir diesen Mißerfolg nachmittags Gerda und Jup erzählten, sagte Jup nur: „Um so mehr Grund habe ich nun, Sie mit Ihrer Mutter mit nach Texas zu nehmen … Dort sind Sie vor ihm sicher …“ – Wogegen Gerda nichts einzuwenden hatte …
Dann aber erklärte sie sehr offenherzig: „Freund Jup, eins verstehe ich an Ihnen gar nicht … Vorhin erzählten Sie mir, daß Sie bisher noch nicht einmal das frühere Heim Ihrer Eltern aufgesucht haben, obwohl Ihr Vater Ihnen dies so warm ans Herz gelegt hatte.“
Der zerknirschte Jup winkte eine Taxe herbei, – „Schofför, – Müllerstraße 24 …“ befahl er …
Dann stiegen wir alle ein, und Jup schaute Gerda reuevoll an.
Sie lachte schalkhaft … „Ich muß Ihnen unbedingt zunächst das Amerikanische, daß allzu Amerikanische abgewöhnen, sonst glaubt Ihr Vater, ich hätte keinen guten Einfluß auf Sie …“
Jup erwiderte schmunzelnd: „Größeren Einfluß als Sie wird nie ein Mensch auf mich haben ‥!“ –
Und das stimmte … Ein Verliebter, der das Glück hat, eine Gerda zu erobern, muß mehr Deutscher als Texaner sein … –
… Das kleine Häuschen in der Müllerstraße wurde zum Schauplatz eines Ereignisses, das vorläufig ungeklärt bleiben sollte ‥: Gerda verschwand dort … in einem der wegen Baufälligkeit leerstehenden Zimmer des ersten Stocks ‥!
Jup war verzweifelt… Abends saß er bei uns und hielt das Telegramm in der Hand, in dem der Trias uns mitgeteilt hatte, daß Gerda von ihm entführt worden sei, – wie, das möchten wir selbst herausfinden …
… Und Harst fand es heraus … Eine kerndeutsche, tapfere und kluge junge Frau, die so recht das Herz auf dem rechten Fleck hatte, half ihm dabei … Es war dieselbe junge Frau, deren zähe Energie im Lebenskampf und zum Wohle einer kranken Mutter schließlich den Ausweg gefunden hatte, durch erdachte Verwicklungen, durch spannende Romane ihr Brot zu verdienen … Dieselbe Frau, die dann zum ersten Male ihre Intelligenz praktisch erproben durfte, als sie durch eine fein ausgeklügelte Komödie Jup zu einem Geständnis seines damaligen Abenteuers mit der alten Rothaut zwingen wollte … –
… Doch all das gehört nicht mehr zu der Geschichte der ‚Versuche des Dr. Syme’ … Bemerken will ich hier nur noch, daß Vater Hergt in Texas später nicht nur in den Besitz einer prächtigen Schwiegertochter, sondern auch einer reichen Mine kam, die ihm durch ein undurchsichtiges Schwindelmanöver einst verloren gegangen war …
Und auch das sei noch erwähnt, weil’s mit dazu gehört. Das Gemälde mit dem wechselnden Kopf des … ‚Schatzhüters’ hängt heute über meines Freundes Lieblingsplatz in unserem sogenannten Büro … Schaut man genau hin, dann findet man, daß der Kopf des ‚Schatzhüters’ Harsts Züge trägt … mit Recht, – nach Verdienst ‥! –
Denn auch die Frage wurde gelöst, wie Roland Born es ermöglicht hatte, die Wünschelrutenarbeit Dr. Gaberts derart zu stören, daß dessen Fähigkeiten plötzlich versagt hatten … –
– Man sieht, daß wie so oft auch hier der Titel ‚Die Versuche des Dr. Syme’ nur gewählt wurde, um auf die nicht zu übersehende Tatsache hinzuweisen, wie auch ein so durch und durch vornehmer Charakter wie Doktor Syme infolge der Ungunst der Verhältnisse den Lockungen des Geldes unterliegen kann … Ich hätte genauso gut schreiben können ‚Die Versuchungen des Dr. Syme’ …
… Meine lieben Leser wären dann allerdings leichter hinter den wahren Sachverhalt gekommen – – und das wollte ich nicht …
Nächster Band:
Das Gespenst am Hardangerfjord.
Fußnoten:
[1] Mit einem Zaun umgebene Einfriedung.
[2] Die amerikanische ‚Meteor Crater Mining Co.’ hatte bereits Unsummen in das Unternehmen hineingesteckt, bevor ein Geologe die Herren auf den Fehler in ihren Berechnungen hinwies. Welche Unkosten damit verknüpft waren, auch nur die Bohrer bis zum Kern vorzutreiben, kann sich jeder selbst leicht vorstellen, wenn er hört, daß die zu durchdringende Gesteinsschicht aus reinem Granit besteht. Als man dann endlich soweit war, als kein Zweifel mehr darüber bestand, daß man die richtige Stelle gefunden hatte, ergaben sich als grausamer Dämpfer auf den verfrühten Jubel neue, ungeahnte Schwierigkeiten ... Es schien geradezu, als wollte die Erde sich das Himmelsgeschoß nicht wieder entreißen lassen ...
Es zeigte sich nämlich, daß keiner der bisher bekannten Bohrer, nicht einmal die mit Diamanten besetzten, hart genug war, den Kern des Meteoriten (mit Meteor bezeichnet man richtiger allein die Ätherboten, die nur den Luftkreis der Erde durchqueren, ohne auf diese aufzuprallen) ... den Kern also irgendwie anzugreifen. Man weiß bis heute nicht, woraus dieser Kern besteht.
[3] Pseudonym von Dino Segre (1893 – 1975), italienischer Schriftsteller, Journalist. Verfasste zwischen 1920 – 1929 skandalöse Sittenromane.
[4] Von W. Kabel erschien hierzu unter anderem der Artikel Schmuggelsport in: Deutscher Hausschatz, Illustrierte Familienzeitschrift, 42. Jahrgang (Okt. 1915 – Okt. 1916), Heft 1, S. 26–27.