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Das Gespenst am Hardangerfjord

 

Harald Harst

 

Band: 367

 

Das Gespenst am Hardangerfjord

 

Von

Max Schraut

 

Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin 16,
Michaelkirchstraße 23a

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1933 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16

 

1. Kapitel

Müllerstraße 24.

Im kleinen Vorgärtchen blühten Rosen, Fuchsien und Nelken in farbenfroher Pracht. Das Häuschen aber, Müllerstraße 24, war alles andere als prächtig. Seine Fensterscheiben waren grün angelaufen, so uralt waren sie. Uralt wie das Ehepaar, das im Erdgeschoß hauste und jedem neuen Tage mit Zittern und Zagen entgegenschaute. Das erste Stockwerk hatte die strenge Baupolizei bereits wegen Baufälligkeit gesperrt, und wie lange man den alten Leutchen überhaupt noch erlauben würde, die gewohnte Stätte zu behalten, blieb sehr ungewiß.

Volle fünfzig Jahre hatten die beiden Breeses hier nun Freud und Leid miteinander geteilt, jede Faser ihrer Herzen war mit Nr. 24 aufs engste verwachsen, und es erschien ihnen einfach undenkbar, daß sie jemals noch anderswo heimisch werden könnten. Wirkliche Not hatten sie seit zehn Jahren niemals mehr kennengelernt, ihr unbekannter Wohltäter dort in Amerika schickte ihnen regelmäßig jeden Monat durch eine Bank aus New Orleans zweihundert Mark, und das war weit mehr, als die alten Leutchen je verbrauchen konnten.

Wer dieser gütige Spender sein mochte, wußten sie bis heute nicht. Vater Breese hatte einmal an die Bank geschrieben und um Auskunft gebeten, erhielt jedoch nie Antwort.

Gewiß, eine Vermutung hegten die Breeses wohl hinsichtlich der Person des Spenders. Droben im ersten Stock hatte einmal für kurze Zeit ein gewisser Hergt gewohnt, seines Zeichens Müllkutscher, der nachher mit seiner Frau nach Amerika ausgewandert war – wohin, wußte niemand. Die Hergts hatten in der Lotterie fünftausend Mark gewonnen, und da August Hergt schon immer von großen Reichtümern phantasiert hatte, die drüben jenseits des großen Teiches für einen findigen Kopf zu erringen seien, waren die beiden eben der alten Heimat untreu geworden. Was ihnen dann im fremden Lande zugestoßen sein mochte, daß sie so gar nichts mehr von sich hören ließen, blieb ungeklärt. –

An einem warmen Junivormittag befreite Vater Breese seine Rosen von den verflixten Blattläusen. Plötzlich wurde er angesprochen. Am Zaun lehnte ein älterer Herr, der sich als Mr. Wilkins vorstellte und höflich fragte, ob er nähertreten dürfe.

Breese und Mr. Wilkins setzten sich auf die Bank vor der Haustür, und der Amerikaner gab sich als Mitinhaber der Firma Ganters in New Orleans zu erkennen, von der die Breeses immer die Geldsendungen erhielten.

Wilkins sprach nur sehr gebrochen Deutsch.

„Bevor ich Ihre Frage beantworte,“ sagte er zu dem alten Breese, „müssen Sie mir feierlich versprechen, daß sowohl Sie wie Ihre Frau niemals verraten, was ich Ihnen jetzt anvertraue.“

Auf diese Weise erfuhr das betagte Ehepaar, daß der August Hergt es drüben in Amerika wirklich bis zum Millionär gebracht habe und daß sein einziger Kummer sein ältester Sohn sei, der völlig aus der Art geschlagen sei und zur Zeit gleichfalls in Berlin weile.

„… Vor diesem jungen Hergt wollte ich Sie warnen,“ erklärte Wilkins sehr nachdrücklich. „Er ist überaus geizig und gönnt es Ihnen beiden nicht, daß Sie die regelmäßige Unterstützung von seinem Vater beziehen. Sollte er also hier zu Ihnen kommen, so seien Sie überaus vorsichtig und lassen Sie sich nicht dadurch täuschen, daß er nach außen so tut, als wäre er der harmloseste Mensch von der Welt. Er hält sich schon geraume Zeit in Berlin auf, und es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß er demnächst bei Ihnen erscheinen wird, um sich davon zu überzeugen, ob Sie eine Unterstützung auch nötig haben. Von seiner Seite müssen Sie mit jeder Schändlichkeit rechnen. Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, so nehmen Sie mich als Mieter für kurze Zeit bei sich auf, damit ich jederzeit zur Stelle bin, falls er irgendwelche heimtückischen Pläne zu verwirklichen sucht.“

Mutter Breese war auch dazugekommen, und die alten Leutchen waren ehrlich entsetzt, daß der gute Hergt einen so übel geratenen Sohn besaß, den Mr. Wilkins persönlich allerdings nicht kannte, wie er besonders betonte.

Vater Breese kam dann auf des Amerikaners Vorschlag über Willkins Einzug in das erste Stockwerk zu sprechen. „Das wird schlecht gehen, Herr,“ meinte er achselzuckend. „Die Polizei hat die Räume wegen Baufälligkeit gesperrt, aber wir haben da ein kleines Hinterzimmer, wenn Sie damit zufrieden sind? Es hat eine Treppe, die nach oben führt, und falls Sie sich von diesem Jup Hergt nicht sehen lassen wollen, könnten Sie über die Treppe noch immer rechtzeitig verschwinden.“

Mr. Allan Wilkins war ein sehr bescheidener Mann und mit allem einverstanden, besichtigte dann noch das Stübchen und die Treppe und verabschiedete sich mit einem wertvollen Händedruck – hundert Mark –, der die arglosen Breeses vor Dankbarkeit überfließen ließ.

Schon am Nachmittag zog Wilkins mit einem mittelgroßen Koffer ein. Er war ein hagerer Mann schwer bestimmbaren Alters und trug Spitzbart, Brille und sehr schlichte Kleider, die allerdings vorzüglich saßen.

Nach Eintritt der Dunkelheit – Breeses hatten mit ihm zusammen Abendbrot gegessen, das er gestiftet hatte –, wurden die alten Leutchen wohl infolge des ungewohnten Süßweins sehr müde und gingen frühzeitig zu Bett.

Als der Amerikaner hörte, daß nebenan alles still geworden, öffnete er die zweite Tür seines Zimmerchens und betrat die schmale Treppe, die in den Oberstock emporführte, drang mit Hilfe von Dietrichen in das verbotene erste Stockwerk ein und machte sich hier allerlei zu schaffen, was für einen Bankdirektor zumindest ungewöhnlich war, – so stemmte er mit den nötigen Werkzeugen die Rückwand eines Wandschrankes, der halb in die Mauer eingelassen war, heraus und nahm nachher auch die dahinter gelegene Mauer in Angriff, wobei ihm jemand aus dem Nebenhaus zu Hilfe kam.

Mr. Wilkins war übrigens so vorsichtig gewesen, sein Aussehen etwas zu verändern, und als er nun mit dem Mann, der von der anderen Seite die Mauer durchbrochen hatte, zusammentraf und ihm leise noch gewisse Verhaltungsmaßregeln erteilte, hätte jeder heimlichen Lauscher den bestimmten Eindruck gewonnen, daß der Gehilfe des Amerikaners vor diesem fürchterliche Angst habe.

Es war jedoch leider kein Lauscher vorhanden, und das bedeutete eine ganze Menge Verwicklungen unangenehmster Art für die Polizei, für die alten Breeses, für uns und den netten Jupiter Hergt, den meine Leser noch als den Verlobten eines reizenden, schneidigen und klugen jungen Frau aus den vorigen Seiten kennen.

Sie hieß bekanntlich Gerda Trausch und hatte zuletzt ihre kränkliche Mutter und sich selbst durch Schriftstellerei ernährt und hierbei das Genre des feineren Kriminalromans bevorzugt, wozu sie alle nötigen Spezialkenntnisse sich durch eisernen Fleiß angeeignet hatte, wie sie ja überhaupt eine ungewöhnliche Energie besaß, dazu einen sportgeübten Körper und einen äußerst rührigen Geist.

Als sie sich mit Jup Hergt verlobt hatte – war eine ihrer ersten Fragen an Jup gewesen, ob er denn auch bereits das ehemalige Heim seiner Eltern aufgesucht hätte, worauf Jup ehrlich erklärte, daß andere Dinge in bisher zu sehr in Anspruch genommen hätten.

Was dann folgte, ist ebenfalls zum Teil schon bekannt. Wir vier fuhren nach der Müllerstraße, und hier verschwand Gerda wie durch ein zunächst unfaßbares Wunder beinahe vor unseren Augen aus der leeren Wohnung im ersten Stock, wo Jups Eltern einst in aller Bescheidenheit gehaust hatten. Sie war in den Küchenflur gegangen, war uns nur Sekunden aus den Augen gekommen, und trotzdem blieb sie wie durch übernatürliche Mächte weggezaubert. Alles Forschen und Suchen, alle Maßnahmen der Kriminalpolizei versagten. In den Spätabendblättern bereits war zu lesen, daß der Trias abermals sich an einer ihm unbequemen Person gerächt hatte. –

Trias ‥! – Das war damals für Berlin, nein, für ganze Europa so ungefähr der Überverbrecher modernsten Schlages, das war eine Figur etwa wie seinerzeit Michael Kohlhaas oder sonst ein Mensch mit dunkelster Vergangenheit, ein zweiter Cagliostro oder Graf von St. Germain … oder wie sie alle heißen mögen, diese Abenteurer größten Stils, diese Spekulanten auf die Leichtgläubigkeit der Menschen und der Hang für das Übersinnliche.

Trias ‥! Oberhaupt des plötzlich wieder entstandenen Rosenkreuzer-Ordens, ein an der Grenze Nepals von Lamamönchen erzogener und in die Geheimnisse uralter Kulte eingeweihter Mann von jetzt angeblich dreiunddreißig Jahren mit Namen Roland Born. Das wußten wir von ihm. Er war seit Wochen unser Gegner, er hatte uns genarrt, hatte mit der Polizei genau so gespielt wie mit uns, er blieb der Unerreichbare, der nie um einen letzten Fluchtversuch Verlegene. Er war uns vorgestern wieder entwischt. –

So lagen die Dinge, und dann folgte Gerdas Entführung.

Der völlig verstörte Jup hatte uns soeben verlassen.

Es war elf Uhr nachts. In unserem Büro brannte die Höhensonne mit dem riesigen Blechschirm. Das fahlgrüne, fast lila Licht der leise brodelnden Quarzröhre mit seiner scheußlichen Leichenfarbe machte aus unseren Gesichtern fleckige Fratzen. Kommissar Bechert war der dritte im Bunde, obwohl er von seinem letzten Autounfall, der ebenfalls auf das Konto des Trias kam, noch nicht ganz genesen war. Fritz Bechert hatte eine stille Wut gegen den geriebenen Gauner, der aber einen eigenen Typ für sich darstellte, das mußte ihm jeder lassen.

„Was nun, lieber Harst?“ fragte Bechert und steckte sich eine frische Zigarre an. Das Zündholz brannte in dem lila Licht mit fast farbloser Flamme. „Wir müssen diesen Burschen endlich lahmlegen. So geht das nicht weiter. Die Zeitungen verwöhnen uns, Witzblätter bringen den Trias als eine Art Baal, der den armen Schergen der Gerechtigkeit verschlingt und …“

Er schwieg und horchte. „Harst, es hat draußen geläutet!“

„Ja, – es wird Vater Breese sein. Mein Alter, geh bitte öffnen. Ihr habt wohl nicht bemerkt, daß Breese bei seiner Vernehmung sehr verlegen war, desgleichen seine Frau. Irgend etwas schien nicht ganz in Ordnung, zumal die alten Leutchen auch Jup gegenüber merkwürdig zurückhaltend waren.“

„Stimmt, bestätigte Bechert. „Schraut, also rein mit dem alten Mann, den Harst mal wieder ohne unser Wissen hierher bestellt hat.“

… Es war nicht Breese. Vor mir stand ein Bekannter, der Kriminalbeamte Hans Wert, auch eines der Opfer des Trias. – Wert, ein sehr netter junger Mensch, war völlig außer Atem war. „Ich muß sofort Herrn Bechert sprechen, Herr Schraut. Es ist da eine ganz unglaubliche Geschichte passiert, so ein Wildwest-Stückchen à la Chicago …“ –

… Gleich darauf jagten Bechert und Wert in einer Taxe von dannen. Das Präsidium hatte einen seiner besten Kommissare für diesen Millionenraub angefordert.

 

 

2. Kapitel

Pension Hardanger-Terrassen.

Alle Fjorde der Nordküste Norwegens sind schön.

Manche geben dem Sonjefjord den Vorzug, andere schwören auf den Hardangerfjord, jedenfalls ist er der mit Sommerbadeorten am meisten gespickte.

Wer etwa im Juli zur deutschen Ferienzeit früher vor dem Kriege, der auch hierin vieles geändert hat, von der Fischstadt Bergen kommend in einer Tagesfahrt mit dem Dampfer den Hardanger hinauf zum Industriestädtchen Odda im äußersten Fjordwinkel fuhr, fand dort in den Badeorten so viele Deutsche vor, daß an den Landungsstegen fast nur deutsche Laute ertönten.

Unweit Odda am Westufer, wo die weißen Gletscher nicht so bedrohlich über die himmelhohe Steilwand hinweghängen und der dunkle Fels hart am Wasser einige Terrassen bildet, auf denen neben freundlichen Häuschen grüne Bäume und Sträucher und Blumenbeete frohes Kolorit in das gewaltige Landschaftsbild bringen, herrschte seit Jahren als allzeit höflicher, aber gestrenger Herr des Pensionats Hardanger-Terrassen ein älterer Mann, dem man immer noch den ehemaligen Seefahrer ansah.

Etwa um die Zeit unserer Geschichte stand der knorrige Torsten Jeens an einem lauen Sommerabend auf der untersten Terrasse und lauschte sinnend der Tanzmusik, die der Empfänger aus London seinen tanzfreudigen Gästen, zumeist Ausländern, übermittelte. Durch die breiten Fenster der Veranda sah man die Paare im langsamen Wiegeschritt vorübergleiten. Es lag ein fabelhafter Schmiß in dieser Musik, und selbst der alte Torsten mit seinem Schifferbart und seinem verkniffenen braunen Gesicht konnte sich ihrem Einfluß nicht entziehen. Unwillkürlich trat er mit der einen Fußspitze den Takt. Trotzdem waren seine Gedanken anderswo, und wer dieses seltsam durchgeistigte Gesicht zergliederte, mochte wohl darin so zahllose Widersprüche entdecken, daß er an dem Charakter des Mannes irre wurde.

Die Züge wechselten Ausdruck und Form in einer überraschenden, ja geradezu verblüffenden Art, zuweilen erschien das widerspruchsvolle Antlitz greisenhaft verfallen, dann wieder verjüngt, als gehörte es einem Menschen von höchstens dreißig Jahren, dem nur durch Krankheit das Haar frühzeitig ergraut war.

Über den durch eine dicke Brille geschützten Augen hingen schnurrbartähnliche graue Brauen wie Vorhänge.

Wenn Torsten Jeens zuweilen den Kopf noch schärfer lauschend hob und das Mondlicht dann sein Gesicht traf, glotzten hinter den starken Brillengläsern die schillernden Pupillen eines Polypen, – konnte man glauben. Von der ganzen Erscheinung ging etwas Unausgeglichenes und fast Unheimliches aus. Dieser Eindruck verschwand aber, wenn Torsten wie jetzt lächelte.

Es war das Lächeln eines Weisen, das Lächeln Buddhas, des Allgütigen. Rätselvolle Nachsicht lag darin … Weltschmerz, jene alles umfassende Trauer, die der Unvollkommenheit der Menschen gilt …

Das war Torsten Jeens, Besitzer der Pension Hardanger-Terrassen …

Er horchte noch schärfer in die mondhelle Nacht hinaus und begab sich dann in den weit im Hintergrund stehenden Stall, wo er die rückwärtige Tür öffnete und die Schlucht betrat, die hier als breiter Riß die Felswand zerschnitt. Eine in die Felsen gehauene Treppe lief in endlosem Zickzack die schroffen Abhänge hinan und endete oben am blanken, feuchten und mit Geröll übersäten Ende des Farrö-Gletschers, der weithin in einer Nord-Süd-Spalte verschwindet und in den Tiefen das Bett des lärmenden Farrö-Bachs birgt.

Hier oben war’s kalt. Torsten zog den Ledermantel an und schob die Mütze noch mehr über die Ohren. Dann erklomm er den ebenen Teil des Gletschers, der einer breiten, mit grobem Kies bestreuten Chaussee von Menschenhand glich, und näherte sich einer aus dem völlig vereisten Feld hervorragenden großen Gruppe gewaltiger Blöcke. Er erstieg sie halb und hatte nun bequemen Ausblick auf die andere Seite des Fjordes, die bisher durch eine Krümmung verborgen gewesen war.

Drüben auf einer ähnlichen Terrasse schimmerte in einem Steinhäuschen mattes Licht. Die Felswand dort lag im Mondschatten.

Torsten Jeens lachte leise. Aus dem Lachen in dieser weltabgeschiedenen Einsamkeit des Gletschers, vor dessen Betreten überall Tafeln warnten – der Eislöcher wegen – war nicht recht herauszuhören, ob es Hohn, Haß oder nur gutmütiger Spott sein mochte.

„… Er betet wieder …“ murmelte Torsten, wandte sich um und verschwand hinter einigen besonders großen Felslöcher. –

In einem düsteren Gemach, das durch Glühbirnen notdürftig erhellt war, saß vor einem dicken, roh zusammengeschlagenen Tisch, der fast den halben Raum ausfüllte, ein Mann vor einer grell brennenden, stark-kerzigen Stehlampe und hatte einen merkwürdigen Apparat vor sich stehen, der beinahe einem Phonographen glich. Die Platte auf der sich langsam drehenden Scheibe bestand jedoch aus einer harten, besonders präparierten Wachsmasse.

Neben dem Apparat lag ein Buch, aus dem der Mann geduldig und doch mit einer gewissen Fertigkeit einzelne Buchstaben aus den Zeilen jeder Seite heraussuchte und zu einer Chiffreschrift zusammenstellte, die er mit Hilfe einer Taste, die eine Nadel betätigte, in die Wachsplatte als Morsezeichen eingrub.

Die Rückwand des Tisches bestand aus einem Riesenviereck aus Hartgummi, und die darauf montierten Messinggriffe, Hebel und Drehknöpfe hatten sämtlich ebenfalls Hartgummiüberzüge.

Große Röhren, die zum Teil dauernd von Wasser überrieselt wurden, glühten in dunkelrotem Licht.

Ein leises gleichmäßiges Surren erfüllte den Raum, der weder Tapete noch Anstrich aufwies, – die Wände waren nacktes Gestein. Drähte aller Art liefen unter der unregelmäßigen Decke hin.

Irgendwoher aus der Tiefe kam ein taktmäßiges Stampfen.

Der Mann arbeitete unverdrossen weiter.

Als die eine Wachsplatte gefüllt war, nahm er die zweite, nachher eine dritte. Wenn er sich überlegte, was er der Wachsschicht anvertrauen solle, schaltete er die Apparatur aus und griff dann nach der immer wieder erlöschenden Zigarre.

Am Unterrand des Schaltbrettes waren drei kleine Lampen angebracht, neben denen winzige Glocken – elektrische Läutewerke – standen.

Mit einem Male flammte die eine Lampe giftgrün auf und die dazu gehörige Glocke schnarrte mit ganz besonderem Ton.

Wie er jetzt mit vorgeneigtem Oberkörper und zusammengekniffenen Lippen dastand, glich er einem sprungbereiten Tiger. Nur sein Gesicht zeigte seltsamerweise einen Ausdruck von verhaltenem Schmerz, als ob er das Warnungssignal aus bestimmten Gründen bedauerte, weil es ihn vielleicht zum Eingreifen zwang.

Dann lief er eiligst von dannen und sah sich bald darauf zwei Männer vor sich, die einen dritten, der gefesselt und geknebelt war, soeben über den Rand des Fjordsteilufers in die Tiefe stoßen wollten.

An den Füßen des blassen Todeskandidaten hingen schwere Felsbrocken, die mit Drähten befestigt waren.

„Unterlaßt das!“ befahl der Mann mit dem Wollschal, den er nun halb über das Gesicht gezogen hatte. „Es sind durch mißverstandene Befehle und durch Eigenmächtigkeiten bereits zu viele … verunglückt. Ich wünsche das nicht!“

Dabei riß er den bartlosen Gefesselten vom Rande der Steilwand zurück und fragte rauh, während die beiden Henker ängstlich vor ihm zurückwichen: „Wer sind Sie?“

Der eine der beiden Überrumpelten sagte schnell: „Es ist der Londoner … Ein gefährlicher Bursche …“

„Schweigt!! – Also, wer sind Sie?“

Er entfernte dem Gefesselten den Knebel. Der Engländer musterte seinen Gegenüber scharf. „Das werden Sie wohl am besten wissen,“ meinte er ohne Furcht und in fast gereiztem Ton, in dem noch etwas wie Erstaunen mitklang.

„Also der Detektiv Rob Manning von Scotland Yard, – der berühmte Rob … – Sie machen uns viel zu schaffen, Mr. Manning, zuviel … Wir brauchen das Gold,“ erklärte der mit dem Wollschal vollkommen ernst und mit einer gewissen Feierlichkeit. „Ich denke, Ihr habt nun gerade genug zusammengeraubt, – andere Völker wollen auch leben, und nicht nur vegetieren. Aber dafür sind Sie nicht verantwortlich, sondern die geheimen Drahtzieher der Weltgeschichte, die nur ihre Geschäfte machen können, wenn die Nationen sich gegenseitig die Daseinsmöglichkeiten abschneiden, bis das große Chaos da ist und zuletzt nur einer triumphiert, – der Götze Mammon … – Doch genug davon …“ schloß er unwillig, als hätte er bereits zuviel verraten, „Sie taten Ihre Pflicht, ich bin kein Mörder, ich bin nur die Gerechtigkeit, die sich selbst ihre Gesetze schreibt, weil die der Völker vergiftet sind durch den Betrug der Mammonpriester …“ –

Und zu den beiden Henkern: „Verschwindet wieder …“

Er winkte sie abseits und flüsterte nur noch: „Wagt es noch ein einziges Mal, meine Befehle absichtlich mißzudeuten, und ihr lernt mich ebenfalls kennen!“

Die beiden schwiegen bedrückt.

Der eine von ihnen blickte hinüber zum andern Ufer, wo noch immer das matte Licht einer Lampe durch die trüben Scheiben schimmerte. Auch er schwieg …

– – Zehn Minuten später erhob sich von der Naturchaussee des ebenen Gletschers ein schnittiges Flugzeug, das am Fahrgestell noch Schwimmkufen besaß und dessen beide Motoren die moderne Maschine mit ungeheurer Schnelligkeit durch die Lüfte gen Berlin trugen, wo der dunkle Vogel – sein Anstrich war blaugrau und mit Mimikriflecken versehen – auf einer Heide unweit der Millionenstadt niederging … – –

[*]

Viele Tage waren verstrichen.

Über dem Hardangerfjord hing am Morgen dickes Regengewölk.

Der Farrö-Gletscher schwamm in Nebelschwaden.

Fernher von Süden näherte sich das gleichmäßige Brummen eines eiligen Flugzeuges.

Auf der Gletscherchaussee funkte ein Scheinwerfer auf, sein Strahlenkegel kreiste, und das Flugzeug landete.

Ein junges Mädchen, den man vorsorglich die Füße in knapper Schrittlänge zusammengebunden hatte, kletterte als erste hinaus und stand nun vor dem Mann mit dem Wollschal, von dessen Gesicht nicht viel zu sehen war.

Der Nebel hatte sich etwas gelichtet. Ein frischer Windstoß kam und riß ein Loch in die Regenwolke. – Das Mädchen war rank und schlank und ohne Furcht.

„Es war eine hübsche Fahrt,“ sagte sie harmlos zu dem Fremden. „Über Deutschland schien die Sonne. Das Morgenrot einer besseren Zeit leuchtet.“

Der mit dem Wollschal erwiderte nur ernst: „Mein Kind, Sie sind Optimistin. Bevor das Morgenrot wirklich das hält, was es verspricht, werden noch viele Enttäuschungen kommen. Die Priester des Mammon lassen ihre Beute nicht so leicht fahren, sie haben ihren Gott genährt mit unlauterem Golde … Entzieht man ihm diese Nahrung, stirbt er ab, denn er ist seit Jahrhunderten keine andere Kost gewöhnt als die, an der die Flüche und die Verzweiflungsschreie vernichteter Existenzen hängen.“

Ruhig, mit allem Nachdruck sprach er das.

Das Mädchen horchte auf. Es sog die Worte in sich hinein gleich einer erquickenden Brise. Staunen ergriff restlos von ihr Besitzt, daß sie nur leise hervorstieß, indem sie sich dem Mann bis auf einen Schritt näherte: „Sind Sie etwa der …“ – Da stockte sie, denn diese Frage erschien ihr plötzlich sehr widersinnig.

Der mit dem Wollschal lächelte knapp, aber eigentümlich schmerzlich.

„Haben Sie sich sehr geängstigt?“ fragte er besorgt.

„Nein! Ich habe schon ganz andere Dinge mit meinen Helden erlebt,“ erklärte sie in frischem, selbstbewußtem Ton.

Ein neuer Windstoß fegte über die Gletscherhöhe und ballte das Gewölk wieder zusammen. – Das Mädchen hatte schon vorhin die Fußstricke heimlich gelockert, und als der Nebel nun so dick wurde, daß sogar ihr Gegenüber für Sekunden nur noch wie ein Geist in verschwommenen Umrissen vor ihr stand, bückte sie sich schnell, ein Ruck an den Fesseln, und sie floh aufs Geratewohl nach Süden. Lautlos glitt sie dahin, – hinter sich vernahm sie die mahnende Stimme des Mannes mit dem Wollschal: „Seien Sie vorsichtig! Gletscherlöcher!!“

Mehr verstand sie nicht. Sie eilte weiter, aber sie verlangsamte ihren Schritt und stand nun vor dem jähen Abhang. Ihre tastende Hand – sie hatte sich tief gebückt – spürte das abfallende Gestein und gleichzeitig einen Balken. Sie befühlte ihn, – es waren mehrere Balken, und um die Mittelwelle des tragenden Gerüsts war ein Tau gewickelt und an dem Tau hing ein Korb. Sie glitt kühn in die Tiefe, denn sie wollte frei sein, obwohl sie vor dem Mann mit dem Wollschal keine Furcht empfand, da sie seine Andeutungen zum Teil verstanden zu haben glaubte.

Die Winde war gut geölt, und die junge Frau griff Hand über Hand nach dem zweiten Seil und fuhr langsam abwärts. Der Korb, in dem sie kauerte, schwankte hin und her und schrammte am Gestein entlang, dann stieß er unten auf. Sie schlüpfte hinaus und zog den Korb wieder nach oben, wo die Verfolger planlos umherirrten und der besorgte Mann mit dem verhüllten Gesicht seine Warnung immer aufs neue in den Nebel hineinrief.

Dort, wo das Mädchen nun nach einem Weg zur Fortsetzung der Flucht suchte, lagen zwei schmale Boote aus Brettern dicht nebeneinander im Wasser. Sie wußte nicht, welcher Art dieser Wasserlauf sein mochte, aber sie wollte weiter, stieg in den einen Nachen, in dem Netze und Fische lagen, und ruderte eilends davon, ohne sich die Zeit zu lassen, die angebundenen Boote zu trennen. So gelangte sie an das andere Ufer, landete und überlegte kurz.

Ihr kam bei alledem sehr zustatten, daß sie zumindest in ihrer regen Phantasie sich ähnliche Szenen so und so oft ausgemalt hatte und in gewisser Weise mit durchlebt hatte.

Hier unten am Wasser war es im Gegensatz zu oben auf dem Eis sehr warm, hier merkte man, daß Sommer war. Sie entkleidete sich, legte ihre Sachen am Ufer nieder, ruderte in der selben Richtung zurück und hatte Glück. Sie fand die Stelle, wo die Nachen vorhin gelegen hatten, befestigte sie wieder und schwamm ans andere Ufer hinüber, kleidete sich wieder an und kletterte eine Art Steinterrasse empor. Dann schimmerte ihr mattes Licht entgegen. Die Umrisse eines kleinen Fensters wurden sichtbar. Sie schlich näher heran und blickte in eine ärmliche Stube hinein, in der an der Rückwand auf offenen Herd ein Holzfeuers glomm. Eine Petroleumlampe stand auf einem rohen Brettertisch, und neben der Lampe lag eine aufgeschlagene Bibel. Kein Mensch war zu sehen.

Das Mädchen betrat das unverschlossene Häuschen und wurde zur Diebin. Aber Not kennt kein Gebot, und ihre Helden, die sie liebte, weil es ihre Kinder waren, hatten auch stets so gehandelt. Sie spürte die Müdigkeit und den Hunger, und sie verkroch sich, nachdem sie gegessen hatte, im Heu und schlief vor Erschöpfung ein. –

 

 

3. Kapitel

Müllerstraße 23.

An das idyllische Häuschen der Breeses grenzte linkerhand eine neue Mietskaserne, in der neben ehrlichen deutschen Arbeitern allerlei dunkle Existenzen hausten, darunter auch eine Menge Zigeuner, die sich angeblich durch Pferdehandel ernährten. Da die Mietskaserne einem dieser Zigeuner gehörte, der 1919 aus Galizien zugewandert war, konnte die Polizei, die der ganze undurchsichtige Betrieb in dem Haus seit langem ein Dorn im Auge war, selbst bei den überraschendsten Razzien niemals irgendetwas ausrichten.

Unlängst war dort ein englischer Detektiv, der zum Zweck ganz bestimmter Feststellungen nach Berlin gekommen war, spurlos verschwunden, und die anständigen Bewohner hatten allen Grund, von den Behörden stärkstes Durchgreifen zu fordern.

Die Bewohner des großen Gebäudekomplexes waren in zwei feindliche Lager gespalten, auf der einen Seite die einwandfreien Elemente, auf der andern die Verbrecher und ihr Anhang. – Dies sei kurz vorausgeschickt. – –

Bechert und Wert hatten uns kaum erst verlassen, als es abermals läutete. Diesmal war es ein Knabe von vielleicht zwölf Jahren, ein schlankes Bürschchen mit offenem Blick und strohblondem Wuschelkopf. Er war genau so außer Atem wie vorhin Hans Wert und stieß sofort stotternd hervor:

„Herr Harst, ich weiß etwas. Ich habe einen der Leute gesehen, die das Fräulein heute nachmittag weggebracht haben.“

Der Knabe hieß Erwin Graner und war das einzige Kind einer Witwe, die sich als Wäschenäherin kümmerlich durchs Leben schlug und sich von allen sonstigen Bewohnern des Hauses Müllerstraße 23 geflissentlich fernhielt, um nicht mit in die ewigen Zänkereien hineingezogen zu werden.

Erwin erzählte uns folgendes:

Seine Mutter hatte eine der nach hinten hinausgelegenen Zweizimmerwohnungen des Vorderhauses inne und vermietete den größeren Raum an solide Herren. Zur Zeit hatte ein Herr Sörensen, ein Norweger, die Stube seit etwa acht Wochen inne, ein sonst sehr fleißiger junger Student, der in Charlottenburg Chemie studierte. Nur eins hatte Frau Graner an dem Mieter nicht behagt, er war sehr häufig für viele Tage verreist und bekam auffallend viel Post. Außerdem besaß er einen Koffer, der so schwer wie ein Geldschrank war und auch genau so groß.

„Herr Harst,“ fuhr der Junge noch eifriger fort, „gerade wir Jungens haben offene Augen für alles, und in unserem Hause geht es ja auch so seltsam her, daß man schon gänzlich blind sein muß, wenn man nicht merkt, wieviel unlautere Elemente dort aus und ein gehen.“

Schon diese Worte des Jungen bewiesen jene Frühreife, die leider immer mit dem Wohnzwang in solchen Massenquartieren verbunden ist. Daß der Knabe selbst sich trotzdem noch seine Kindlichkeit nebenher bewahrt hatte, war nur dem guten Einfluß der Mutter zuzuschreiben.

„Aber ich will nun von Herrn Holger Sörensen weitererzählen, Herr Harst. Das, was Mutter an ihm am wenigsten gefiel, war sein ausdrücklicher Wunsch, daß niemand sein Zimmer während seiner Abwesenheit betreten dürfe, er hatte ein Patentschloß anbringen lassen, und ich wäre ja nie auf den unerlaubten Gedanken gekommen, mich …“ – er zögerte und suchte nach einem möglichst harmlosen Ausdruck … „mich bei ihm durch das Fenster einzuschmuggeln, wenn ich ihn nicht vorgestern im Tiergarten getroffen hätte, obwohl er doch nach Hamburg verreist war und mir eine Karte von dort geschickt hatte. Ich sah ihn, er sah mich zum Glück nicht. Allerdings hatte er im Tiergarten einen Schnurrbart, aber so ein Ding bekommt man ja beim Juxartikelhändler für zwanzig Pfennige. Ich verschwieg Mutter meine Begegnung mit Sörensen, denn Mutter hat so schon genug Sorgen und Ärger. Der Wirt, der Zigeuner Janko Schaull, ein roher Mensch, möchte Mutter gern aus dem Haus graulen, weil Mutter ihm zu stolz ist, was gar nicht stimmt. Mutter hält sich eben nur von allen Leuten fern, – das ist Schaulls ganzer Anlaß, auch mich immer zu beschimpfen und zu schikanieren …“

Meinem Freund wurde des Knaben Schilderung nun doch zu langatmig, und er kürzte seinerseits die Erzählung mit wenigen Sätzen ab. „Ich kann mir schon denken, was du tatest, nachdem du Sörensen gesehen hattest, – du stiegst also durch sein nur angelehntes Fenster ein. Wann war das?“

„Heute früh um fünf Uhr, bevor ich die Brötchen für Bäcker Malke austrug, dadurch verdiene ich nämlich mein Taschengeld, und Mutter hat die Backware umsonst …“

„Nun gestatte mal, Erwin, – jetzt will ich dir sagen, was du beim Sörensen fandest, und wenn es nicht stimmt, bekommst du zehn Mark.“

Der Junge strahlte über das ganze Gesicht. „Dann habe ich die zehn Mark schon verdient, denn das raten Sie nie, Herr Harst.“

„Wollen sehen,“ lächelte mein Freund, und was er dann erklärte, ließ auch mich aufhorchen.

„Das Haus der alten Breeses lehnt sich an eure Mietskaserne, und eure Fenster und die der Breeses liegen in einer Höhe, oder genauer gesagt, das erste Stockwerk des Häuschens hat dieselbe Höhe wie eure Fenster. Nun, das stimmt, – du nickst bejahend. Weiter also! Der Student Sörensen wird sich unlängst einen neuen Kleiderschrank angeschafft haben, – aha, auch das trifft zu.“

Erwin machte bereits ein sehr längliches Gesicht.

„Dieser Kleiderschrank ist an der Wand mit Eisenhaken befestigt und hat ebenfalls ein Patentschloß. Ist auch das zutreffend?“

„Ja …“ –

Der arme Junge sah seine Aussichten auf die zehn Mark immer mehr schwinden, aber seine Angst war doch überflüssig.

„Du hast dann irgendwie heute früh gemerkt, daß dieser Schrank ein Loch in der Mauer verdeckt?“

Erwin nickte traurig. „Der Schrank war an der einen Seite nur scheinbar genügend befestigt. Ich habe Kraft, und unter dem Schrank lag Kalkstaub. Das mußte mir auffallen, denn Mutter ist sehr sauber.“

Harst drückte dem Jungen herzlich die Hand. „Wir können uns nun ganz kurz fassen. Da du das Loch in der Mauer gesehen hattest, hast du heute sowohl euer Haus als auch das der Breeses schärfer beobachtet, und so wurdest du Zeuge, wie ein Mann aus eurem Haus um die Zeit, in der das junge Mädchen verschwand, einen großen Koffer in ein Auto trug, es war derselbe Koffer, den du als Geldschrank bezeichnet hast und in diesem Koffer lag natürlich Fräulein Gerda Trausch. Du bestätigt hier nur Einzelheiten, die ich mir unschwer aus der ganzen Art der Entführung bereits zusammengereimt hatte.“

Davon hatte Harald bisher nicht eine Silbe verlauten lassen.

Er gab nun Erwin Graner zwanzig Mark im Kleingeld und befahl ihm, in einer Taxe schleunigst heimzufahren, damit seine Mutter sich nicht ängstige, falls sie vor ihm von ihrem Gang zur Ablieferung der fertigen Wäsche heimkehrte. „Im übrigen, mein Junge, hältst du gefälligst den Mund und verrätst nichts von dem, was wir hier besprochen haben.“

Ein glückstrahlender Erwin verließ uns. Er hatte zwanzig Mark ehrlich verdient und sich sehr klug benommen, – den Mann, der den Koffer auf die Straße geschleppt hatte, hielt er für Sörensen in einer anderen Verkleidung, und da der Zigeuner Janko Schaull, wie er uns ebenfalls noch schnell erzählte, seine Mutter zu der kritischen Zeit in seine Wohnung gerufen und sie dort länger als eine halbe Stunde wegen einer Ofenreparatur durch endlose Redereien festgehalten hatte, war kaum mehr zu bezweifeln, daß auch Janko an alledem beteiligt war. – –

Gegen dreiviertel zwölf rollte eine Taxe mit uns nach der Müllerstraße. Harst erklärte mir nun, wie er all das, was Erwin uns berichtet hatte, in großen Zügen sich schon selbst zusammengereimt hätte und daß dabei für ihn das Benehmen des alten Ehepaares Breese mit am schwersten ins Gewicht gefallen sei.

„Und was willst du nun dort in der Müllerstraße?“ fragte ich schon zum dritten Mal.

„Nur die Bestätigung mir holen, daß die Breeses … auch verschwunden sind. Wäre ihnen nicht etwas Ungewöhnliches zugestoßen, dann hätte Vater Breese sich bestimmt pünktlich bei uns eingefunden.“

Das mußte ich als unbedingt richtig anerkennen, zumal Breese ja hätte anrufen können, wenn er etwa erkrankt wäre.

Die Taxe hielt unweit vor dem Haus Nr. 23, wir stiegen aus und gingen das letzte Stück zu Fuß. Schon von weitem gewahrten wir zwei Schnellwagen der Polizei und eine lange Postenkette, – wir wurden angehalten, mußten uns legitimieren und stießen dann vor dem Haus der Breeses auf Freund Bechert, der wegen des Überfalls auf den Goldtransport hier das Zigeunerhaus durchsuchen ließ. Dieser ungeheuer freche Überfall ist seinerzeit der Öffentlichkeit verheimlicht worden, wofür be–stimmte Gründe ausschlaggebend waren. Ich komme später auf dieses Wildweststückchen genauer zu sprechen.

Die Gegenwart Becherts war für uns eine wesentliche Erleichterung unseres Vorhabens. In kurzem war festgestellt, daß das Ehepaar nicht daheim und daß nach dem Zustand der Stuben nicht zu bezweifeln war, sie müssten sich freiwillig in aller Eile unter Mitnahme des Nötigsten entfernt haben.

Als Harst nun im Küchenflur der Breeses den eingemauerten Schrank öffnete, die Rückwand herausnahm und Bechert das Loch zeigte, durch das Gerda gewaltsam verschleppt worden war, erklärte er noch ergänzend: „Es unterliegt für mich keinem Zweifel, daß die Breeses dem Trias auf den Leim gegangen sind und ihn als Mieter bei sich aufgenommen hatten.“

Den Namen dieses Mieters erfuhren wir erst später, – aber Herr Janko Schaull sowie seine besten Freunde wurden noch in derselben Nacht verhaftet.

 

 

4. Kapitel

Der Sender Z.O.Z.

All das bisher Erzählte ist nur der Auftakt zu weit bedeutsameren Ereignissen, die sehr bald wieder, wie dies beim Kampf gegen den Trias oft der Fall war, ganz leicht das Gebiet des Übersinnlichen streiften.

Der Leser braucht nicht etwa infolge der Kapitelüberschrift zu fürchten, ich würde ihn nun auf das abgegraste Gebiet der Ätherwellen führen, nein, mit dem Sender Z.O.Z. hat es eine besondere Bewandtnis.

Wir bekamen nämlich Erwin Graner in dieser Nacht nochmals flüchtig zu sehen, der Junge flüsterte Harst irgend etwas zu und verschwand dann wieder.

Gegen zwei Uhr morgens fuhren wir wieder heim, da sich in der Sache Gerda Trausch, die uns ja am meisten am Herzen lag, vorläufig nichts unternehmen ließ.

Kaum waren wir zu Hause angelangt, als Harald schleunigst seinen Empfänger auf den Mitteltisch stellte und mir befahl, Papier und Bleistifte zur Hand zu nehmen. Da der Apparat auch für Kurzwellenempfang eingerichtet war, dazu eine außerordentlich scharfe Abstimmung hatte, fing Harst den Sender Z.O.Z. genau um drei Uhr morgens ein. Anruf und Ton waren sehr klar, und die schnelle Folge der Morsezeichen bewies, daß der Telegraphist sein Handwerk glänzen verstand.

Inzwischen hatte mir mein Freund in knappen Worten über unseres jungen Verbündeten kurzen Hinweis auf den Sender Auskunft erteilt. „Erwin ist natürlich selbst Radiobastler. Alle Jungens sind es heutzutage, und gerade das Gebiet der Kurzwellentelegraphie und -telefonie hat es ihnen angetan. Wahrscheinlich wird Erwin sein durch das Schrippenaustragen verdiente Taschengeld hauptsächlich in Zubehörteilen anlegen. Jedenfalls ist er bei seinen nächtlichen Abhörversuchen, die er in der Küche, wo er seine Schlafstelle hat, wohl ohne Wissen der Mutter vornimmt, die eine solche Preisgabe der Nachtruhe nicht billigen würde, auf Z.O.Z. aufmerksam geworden, und zwar insbesondere deshalb, weil es erstens keinen amtlichen Sender mit dem Rufzeichen gibt und weil ebensowenig ein derartiger Amateursender zugelassen ist, drittens könnte man noch anführen, und auch hierauf machte mich der Junge aufmerksam, daß die Zeichengebung so gewandt und andrerseits auch wieder so unverständlich sei, daß mit dem Z.O.Z. nach Erwins Ansicht etwas Besonderes los sein muß, wie er sich ausdrückte. Im Anschluß hieran erinnere ich nur an die Vorfälle in London, die zur Entsendung des jetzt spurlos verschwundenen Detektivs die Veranlassung gaben: Überfälle auf Goldtransporte auf eine ganz neuartige Weise – wie jetzt hier in dieser Nacht in Berlin. Hallo, da ist er schon, – schreibe mit, ich tue zur Kontrolle dasselbe. Unser Lautsprecher gestattet uns diese Art von Mitschreiben – los also.“

Und dann folgte in Wahrheit eine Probe auf unsere Fähigkeit, die Zeichen blitzschnell aufzufangen. Noch nie habe ich einen Sender in so rasendem Tempo telegraphieren hören. Ein wahres Glück, daß wir beide mitschrieben …

Es war das ein Wettrennen zwischen Gehör und Verstand, es war eine unerhörte Nervenprobe.

Plötzlich warf Harst den Bleistift hin und meinte: „Ausgeschlossen, das Tempo mitzumachen ‥!“

Da schwieg der Sender seltsamerweise, und mein Freund benutzte die Atempause zu einem genialen Trick, uns die Arbeit zu vereinfachen, indem er noch einen dritten, mechanischen Kontrolleur hinzuzufügen.

Leute wie wir müssen allzeit mit der Technik gleichen Schritt halten. Harst hatte letztens einen tadellosen Wachsplattenaufnahmeapparat angeschafft. Im Nu hatte er ihn aufgebaut, – er war damit gerade fertiggeworden, als der Galoppsender seine Tätigkeit wieder aufnahm.

Aber nun waren wir zu dreien, und die Wachsplatte erwiese sich nachher als der zuverlässigste Gehilfe. –

Um drei Uhr fünfundzwanzig Minuten stellte Z.O.Z. seine Tätigkeit endgültig ein. Wir atmeten auf, denn wir waren allen Ernstes erledigt, und doch gab es für uns kein Ausruhen, nun kam ja noch das Schwerste, das Zusammenfügen der Bruchstücke des endlosen Telegramms.

„Koche Mokka,“ bat mein Freund. „Man muß das Eisen schmieden, solange es noch heiß ist.“ –

Also Mokka! Und all das bei dem wirklich widerwärtigen Licht der Quarzlampe – des verteufelten Trias wegen.

Harst war unermüdlich. Ihn hatte jene Besessenheit gepackt, die er stets als Ausdruck höchsten Arbeitseifers zeigt, wenn eine ganz große Sache im Gange ist.

„Störe mich nicht, – schenke mir Mokka ein, stelle die Zigaretten bereit und verhalte dich still.“

So begann er die Flickarbeit der Zusammensetzung der Depesche. Der erste Teil, den wir beide nur nach dem Gehör aufgenommen hatten, war der lückenhafteste. Die Wachsplatte dagegen war fehlerlos.

Der Morgen zog herauf. Es war fünf Uhr. Die Spatzen im Garten meldeten sich. Auch auf der Straße wurde es lebhaft. Nur bei uns herrschte hinter geschlossenen Vorhängen und Fensterläden Totenstille.

Harst schrieb, überlegte, dachte angestrengt nach und schrieb weiter. Dann lehnte er sich zurück. Vor ihm lagen sechs eng bekritzelte Bogen. Er zuckte etwas hilflos die Achseln ‥: „Chiffreschrift, – begreifst du das?“

„Was ist dabei zu begreifen? Natürlich doch Chiffreschrift!“ meinte ich nur.

Er blickte mich merkwürdig an. Dann sagte er etwas, das so recht bezeichnend für sein blitzartiges Erfassen alles Auffälligen war:

„So, du findest daran nichts Seltsames? Frage mal einen erstklassigen Funker, und er wird dir bestätigen, daß es unmöglich ist, Chiffredepeschen über eine gewisse Schnelligkeit im Geben zu steigern, weil der Funker der den Entwurf der Depesche immer wieder einsehen muß, da es sich um ganz willkürlich gesetzte Zeichen handelt – insofern willkürlich, weil sie ja auf den ersten Blick keinen Sinn haben.“

Nun begriff ich. „Und was folgerst du daraus?“

„Daß der Funker überhaupt nicht persönlich tätig war, sondern daß der Depeschenentwurf auf eine Wachsplatte fixiert war ‥!“

„Allerdings, wenn er eine Wachsplatte nur abzulaufen lassen brauchte, dann ist die Erklärung für das Galopptempo gefunden.“

„Ebenso ist dann die Gewißheit geben, daß der Trias genau wie wir die Depesche auf einer Platte empfing,“ ergänzte Harst mit allem Nachdruck. „Du hast hier also eine doppelte Art von Vorsichtsmaßregeln vor dir, erstens die Chiffreschrift, zweitens das Tempo. Wer so unvorsichtig ist, tut dadurch schon allein zur Genüge kund, daß er sehr gefährliche Dinge durch den Äther jagt. Die Vermutung, daß der Trias dabei seine geistvollen Händchen mit im Spiel hat, dürfte nicht zu weit hergeholt sein, wenn man den Mann so kennt, wie wir ihn kennen, das heißt, seine schon fast krankhafte Geldgier. Es würde so ganz zu ihm passen, daß er auch der Organisator dieser neuen Art von Überfällen auf Goldtransporte ist, die in London begannen und nun hier in Berlin ihre erste Aus- und Aufführung erlebt haben.“

Harsts Fieberzustand teilte sich unwillkürlich auch mir mit. „Nun gut, – das ist alles richtig. Aber die Depesche selbst? Von der Entzifferung hängt doch alles ab.“

Wir sprachen, wie wir selten gesprochen haben. Überhastet, nervös, erfüllt von einer Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit, die darauf hinauslief, diesen Schädlingen von Trias, der nun auch das deutsche Volksvermögen, eben die Reichsbank, angriff, endlich lahmzulegen.

Mein Freund griff abermals nach einer Zigarette und lächelte nachsichtig über seine eigene Leidenschaft.

„Also die Entzifferung, eine Sache kühlster logischer Denkarbeit. Nur so werden wir ans Ziel kommen. Betrachte dir einmal diese ersten Zeilen der von unserer Wachsplatte aufgenommenen Depesche. Was fällt dabei auf? – Erstens gewisse regelmäßige Absätze. Du siehst, daß stets nach zweiunddreißig Buchstaben ein Absatz gemacht ist. Diese zweiunddreißig Buchstaben sind hintereinander gegeben, also ohne Zwischenraum. Immer genau zweiunddreißig! Das muß auffallen. Unwillkürlich denkt man an die zweiunddreißig Zeilen, die viele englische Bücher aufweisen, Buchseiten besser.“

Er blickte mich lange und durchdringend an … „Wir beherbergten einmal den Trias, jedenfalls den Mann, der der Trias sein muß, bei uns. Also Roland Born. Du besinnst dich, – er kam als Landstreicher zu uns, die Rolle spielte er damals. Er hatte nur einen Rucksack bei sich und darin lag ein einziges zerlesenes Buch neben den üblichen Dingen, die ein Stromer mit sich zu schleppen pflegt, – ein Buch – eine deutsche Übersetzung von – – sehr harmlos – von Gullivers Reisen!“

Pause. –

Ich hatte sofort begriffen.

„Du meinst, daß aus dieser Übersetzung die Worte oder besser die Buchstaben für die Chiffreschrift entnommen sind?“

„Ja. Wir haben das Buch noch. Als Born von hier sehr eilig entfloh, ließ er es zurück. Ein zweites Exemplar ist ja leicht zu beschaffen.“

Er ging zum Tresor, wo er alles unter sicherstem Verschluß aufbewahrte, was irgend noch von Wert war für unsere Arbeit. Mit dem Buch in der Hand kehrte er zum Tisch zurück und nahm wieder Platz.

„Die ersten Buchstabenabsätze der Depesche haben wir beide richtig aufnehmen können, da der Funker noch nicht so sehr eingespielt war. Das Tempo steigerte sich allmählich. Nach dem Anruf kam eine Zahl, 5, dann nur Buchstaben. Schlagen wir Seite fünf auf. Stimmt diese meine Schlußfolgerung nicht, dann können wir die Sache aufgeben.“

Er sagte das mit einem Ernst und mit einem Nachdruck, daß ich sofort merkte, wie entscheidend diese Minute war, die nun folgte. Ich hielt in Wahrheit den Atem an, als Harst zu blättern begann. Dann verglich er die Seite mit den Notizen auf unseren dicht beschriebenen Papierbögen.

Ich beobachtete sein Gesicht. Er krauste die Stirn, doch dann glättete sie sich wieder, dann lächelte er unmerklich.

„Stimmt’s?“ fragte ich atemlos.

„Ja, es stimmt!“ Er sagte das fast feierlich. „Es stimmt. Von Seite fünf beginnt die Depesche, und aus jeder Zeile ist nur ein Buchstabe entnommen, deshalb die Absätze von immer zweiunddreißig Buchstabenreihen.“ –

Eine halbe Stunde darauf lag das denkwürdigste Dokument moderner Verbrecherpraxis vor uns, das wir je mit heißen Augen gelesen haben.

 

 

5. Kapitel

Die Organisation Z.O.Z.

Nachdem wir das Dokument, man könnte getrost sagen den Armeebefehl der Organisation Z.O.Z. mehrmals gelesen hatten, begann Harst zu gähnen. „Ich gehe schlafen,“ erklärte er. „Wir wollen nachmittags wieder an die Arbeit!“

Ich glaubte ihm kein Wort, ich kenne ihn ja. Aber ich war auch klug genug, so zu tun, als ob ich den höflichen Schwindel als wahr hinnahm. Das heißt, in unser Deutsch übersetzt ‚Als Harst eine halbe Stunde später aus dem Hause schlich, blieb ich hinter ihm, um festzustellen, was er in seinem Kostüm als solider alter Herr mit charaktervollem, dickem Regenschirm, Format Musspritze, wohl vorhaben könnte.

Nach geraumer Zeit gelangten wir so, getrennt marschierend und vereint schlagen wollend, nämlich den Trias, an jene Straßenecke in der Innenstadt, wo in der verflossenen Nacht das Privatauto einer Baufirma von Banditen ganz überraschend angehalten worden war.

Baufirma?! – Allerdings, denn nach den Erfahrungen in London hatte sich auch die Bank Katter & Co. damals aus Vorsichtsgründen entschlossen – einen Transport von zwanzig Kisten Goldbarren ganz unauffällig zur Bank zu schaffen. Die Vorbereitungen wurden in größter Heimlichkeit getroffen, da die Polizei bereits von London her darüber unterrichtet worden war, daß das Spionagesystem der neue Goldräuber erstaunlich gut ausgebildet sei.

Nur sechs Personen waren eingeweiht, alles schien zu klappen, – dann kam das Verhängnis wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Zwei Autotaxen hatten dicht vor dem Goldgefährt eine leichte Karambolage, und was weiter geschah, war Sache eines Augenblicks. Irgend ein Tränengas machte die Transportbegleiter fast blind, – und die Banditen entkamen mit acht Kisten, bevor noch die getarnte Schutzwache, die in einem Privatauto folgte, die Wirkungen des Gases überwunden hatte. Das war der große Millionendiebstahl, der nachher eine so seltsame Aufklärung fand.

Harst war also nur deshalb zum Tatort gewandert, um sich die Örtlichkeit genau anzusehen, – eine Kreuzung von vier engen Gassen der alten Stadt, wie geschaffen für einen Zusammenstoß von zwei Autotaxen, die ‚zufällig’ karambolieren sollten.

Der lebhafte Verkehr des warmen Sommertages flutete achtlos an der Stelle vorüber, wo nachts Millionen geraubt worden waren. Ich hatte mich in einen Hausflur gestellt und beobachtete meinen Freund, der immer noch auf dem Bürgersteig stand und tiefsinnig das Pflaster musterte, als ob dort eine große Weisheit zu lesen wäre.

Keine Seele außer mir und einem alten Frauchen, deren Regenschirm entfernte Ähnlichkeit mit dem Haralds hatte, kümmerte sich um das zitterige Männchen, in dem niemand einen Mann in den besten Jahren vermutet hätte. Die Frau schien offenbar irgendwie von den Vorgängen der Nacht Kenntnis erhalten zu haben und sich nur deshalb für die Stelle, wo noch ein paar Glasscherben der Taxenfenster lagen, zu interessieren.

Dann wurde ich Zeuge einer sehr merkwürdigen Szene. Harst näherte sich der Frau und begann mit ihr ein Gespräch, – gleichzeitig gewahrte ich einen Herrn, der aus einem Fenster einer nahen Hochparterrewohnung, hinter der Gardine verborgen, die beiden mit einem Fernglas belauerte.

Ich habe nun von jeher den verständlichen Ehrgeiz gehabt, auch einmal allein handelnd mich betätigen zu können, – man will schließlich nicht immer nur gehorsamer Diener eines geistig überlegenen Freundes sein. Bisher hatte ich allerdings mit diesen Anwandlungen nur sehr zweifelhafte Erfahrungen gemacht. Doch damals hatte ich meinen unternehmungslustigen Tag.

Als Harst und die Frau sich gemeinsam und eifrig die Köpfe zusammensteckend entfernt hatten, verschwand der Mann hinter den Vorhängen und wollte den beiden nacheilen, – im Hausflur stießen wir zusammen, und eine zarte Aufforderung meinerseits unter Hinweis auf die Nähe eines Schupobeamten und unter Vorzeigen meiner neunmal geladenen Lebensversicherung genügte, den jungen patenten Herrn in sein Zimmer mit Flureingang zurückzuscheuchen.

Dieses wandelnde Modejournal hatte eine scheußliche Angst vor der kleinen Pistole. Es klingt vielleicht übertrieben, daß ich zur Waffe gegriffen hatte, aber unsere Erfahrungen mit den Trias waren derart, daß ich nicht zu viel riskieren konnte.

Nachdem ich die Tür von innen versperrt hatte, sagte ich zu dem Fremden:

„Setzen Sie sich dort hinter den Tisch und legen Sie die Hände auf die Platte!“

Er gehorchte umgehend, und als er dann stotternd fragte, ob ich Kriminalbeamter sei, horchte ich sofort auf, denn die Aussprache des Deutschen verriet den Ausländer, und zwar an gewissen Eigentümlichkeiten den Nordländer. Sollte ich hier unvermutet auf jenen Sörensen gestoßen sein?! Ich ließ mir nichts anmerken und erwiderte, er könnte sich wohl selbst zusammenreimen, wer ich sei. – Das war diplomatische Verschleierung meiner nichtamtlichen Eigenschaft.

Mein Gegenüber, das ich scharf im Auge behielt, wurde noch verstörter.

Seine Angst hatte schon fast etwas Komisches an sich, denn nie sah ich einen Menschen so schwitzen wie ihn und zittern und so flehend dreinblicken. Der arme Teufel tat mir ehrlich gesagt leid, da ich mir schon denken konnte, weshalb er mich so wild anstierte. Wenn er, wie ich vermutete, ein Werkzeug des Trias war, hatte er alle Ursache, für sein Leben keinen Pfifferling mehr zu geben, da er seinen Verführer wahrscheinlich schon von der brutalsten Seite irgendwie kennengelernt haben mochte.

In einer Ecke des Zimmers – es war das übliche möblierte Zimmer besserer Art – stand ein großer Koffer, der mir schon beim Eintritt aufgefallen war. Um die Sachlage sofort zu klären, ging ich einfach auf Grund meiner Erlebnisse der verflossenen Nacht zum Angriff über. „Haben Sie gestern das Fräulein in dem Koffer da aus Müllerstraße 23 in die Taxe getragen?“ fragte ich mehr im Ton einer Behauptung und möglichst gleichgültig tuend, was seinen Eindruck auf Neulinge nie verfehlt.

Und um ihm auch gleichzeitig die Lust zum Schwindeln von vornherein zu benehmen, fügte ich hinzu: „Was macht denn die Organisation Z.O.Z.?“

Seine Augen wurden zu Weihnachtsbaumkugeln.

„Schonen Sie mich,“ bat er vollkommen heiser. „Ich will Ihnen alles sagen, was ich weiß, denn ich habe es lange satt, mich von einem Unbekannten nur deshalb tyrannisieren zu lassen, weil ich arm bin.“

„Wie lernten Sie den Trias kennen, Herr Sörensen?“ fragte ich recht freundlich, um sein Vertrauen zu gewinnen. Daß ich seinen Namen wußte, machte ihm wieder äußerst bestürzt, aber der Name Trias ging an ihm spurlos vorüber. Er nickte nur traurig und meinte leise: „Ich dachte mir, daß es der Trias ist. Ich hatte ja genug von ihm in den Zeitungen gelesen, und ich war auch durch allerhand Beobachtungen stutzig geworden.“

Ein bestimmter Gedankengang veranlaßte mich, ihn zu fragen, ob er etwa den Sender zu bedienen habe. – Er bejahte ohne Zaudern. Meine Taktik war richtig gewesen, er hatte Vertrauen zu mir gefaßt und rechnete wohl auf Schonung. Um ihn hierin noch zu bestärken, ging ich noch einen Schritt weiter. „Herr Sörensen, wenn Sie mir gegenüber vollkommen offen sind, so will ich zusehen, daß die Polizei überhaupt aus dem Spiel bleibt. Mein Name ist Schraut …“

Er fuhr halb empor, ehe ich noch den Satz zu Ende gesprochen hatte. „Das Glück!“ flüsterte er und drückte mir mit strahlenden Augen die Hand. „Herr Schraut, es kann mir ja gar nichts Angenehmeres zustoßen, als gerade Sie hier vor mir zu haben …“

Es war sein Glück, wie er geäußert hatte, und mein Unglück oder meine größte Blamage, wie man’s nehmen oder nennen will.

Jedenfalls schwanden mir so plötzlich die Sinne, daß ich nachher Stunden geschlafen zu haben glaubte, als mir jemand starken Kaffee einflößte und mich munter rüttelte.

Es war Harst. Es war dasselbe Zimmer. Es war derselbe Norweger, der dort auf einem Stuhl für seine Schändlichkeit mir gegenüber leichenblaß und gefesselt saß …

Mein Freund benahm sich wie immer. Nachdem ich vollends zu mir gekommen war, sagte er in seiner leicht ironischen, aber nie verletzenden Art: „Du hattest übersehen, mein alter Max Schraut, daß du es mit der Organisation Z.O.Z. zu tun hattest und daß der Trias seine Verbündeten nicht aus Idiotenanstalten anzuwerben pflegt.“

Dann deutete er in eine Ecke, wo nun der neue, hell gebeiztem Kleiderschrank offenstand – beide Türen.

In den Schrank war eine erstklassige, ganz moderne Sendeanlage eingebaut. In einem Fach lagen Wachsplatten, die in dünne Flanelltücher gehüllt waren. Die Schranktür hatte ein kompliziertes Sicherheitsschloß und war von innen mit blankem Kupfer genagelt. Dieser Kupferbeschlag zeigte unten eine ganz bestimmte Biegung, – es war ein kleiner Richtstrahler.

Mochte ich mich nun auch noch so elend fühlen, – die Freude, den Senderaum der Organisation Z.O.Z. gefunden zu haben, machte alles wett.

 

 

6. Kapitel

Frau Helga Sörensen und ihr Heim.

Wer in kürzester Zeit von Saßnitz auf Rügen, also von der Abfahrtstelle der Trajekte nach Trelleborg in Schweden, die Stadt Odda am Hardangerfjord erreichen will, muß den Weg über Skien am Skienfjord bis zum Hochgebirgesee Dahlen und zum gleichnamigen Dörfchen wählen und dann mit dem Auto die wunderbare Tour durch Telemarken und durch die Gletschertunnel wählen.

Wir kannten diese Tour bereits. Jetzt genossen wir die herrlichen Landschaftsbilder von neuem.

Fährt man morgens von Dahlen ab, so wird mittags auf der Haukeli-Hütte Rast gemacht. In den Räumen der großen Steinbude mit dem plumpen Dach bullern in allen Zimmern die Öfen. Unten in Oslo hatten wir dreißig Grad Hitze genossen, hier stand das Thermometer auf minus vier Grad.

Im Speiseraum mit den großen Holztischen saßen dicht gedrängt Touristen: Engländer und Amerikaner in der Überzahl. Uns gegenüber kicherten drei junge, unerzogenene Mädchen über unsere deutsch geführte leise Unterhaltung. Diese geschminkten Frätzchen mit getuschten Lippen und schmal rasierten Augenbrauen sind sich überall gleich, ob man ihnen auf dem Kurfürstendamm in Berlin mit stark exotischem Einschlag oder sonstwo begegnet. Es ist eine wurzellos gewordene Generation mit allen Zeichen der Degeneration und demselben Belächeln wahrer Weiblichkeit, es ist derselbe dünne Pseudokulturlack, den bei uns eine Sorte von echten Emporkömmlingen sich von sogenannten Gebildeten abguckte. Ich atmete auf, als das Mittagessen vorüber war und wir draußen im Freien über die steinige Heide mit ihren Schneetupfen wanderten nachdem wir unserem Autolenker Bescheid gesagt hatten, wir würden ein Stück zu Fuß vorausgehen.

Verirren konnte man sich hier im Hochgebirge nicht, es gab nur einen Weg, und der war schmal und lief an gefährlichen Abgründen vorüber und durch so und so viele Gletschertunnel, in denen ein geheimnisvolles Halbdunkel herrschte.

Die Mittagssonne schwamm hinter dünnen Dunstmassen und hatte keine Wärmekraft. Ziegen kletterten mit klingenden Glöckchen an den Steilhängen umher, und die einzelnen, ganz vereinzelten Gehöfte drunten im Tal erschienen winzig wie Spielzeug, nur der aus den Kaminen emporsteigende Rauch zog in immer weiteren Spiralen gen Himmel und bildete in den Tälern lange Rauchfahnen.

All das kannten wir längst, und doch nahm es uns als Gesamtbild einer weltabgeschiedenen Einsamkeit immer wieder gefangen.

„Aus einer solchen Umgebung,“ begann Harst seine gedankenvollen Betrachtungen, „kam Holger Sörensen mit einem Staatsstipendium als begabter Schüler nach Berlin. Zum Leben war’s zu wenig, zum Verhungern zu viel. Er hat uns ja seine Lebensgeschichte erzählt, sie ist alltäglich, denn tausende junger Deutscher fallen demselben Unfug zum Opfer. Denn es ist Unfug, eine noch so befähigten Menschen mit ungenügenden Geldmitteln vor die doppelte Aufgabe zu stellen, zu studieren und gleichzeitig noch den Lebensunterhalt zu verdienen. Dazu gehören auserlesene Charaktere von seltener Energie und gesundem Körper und Geist. Sörensen unterlag. Er wollte einen besonderen Richtstrahler erfinden, doch er hatte kein Geld.

Dann erhält er einen Brief, getippt, – ein Jahr liegt das zurück. Er verfällt dem Mann, den er nicht kennt, dem er blindlings gehorcht, weil er so gut bezahlt wird, daß er sogar der armen Mutter eine Unterstützung schicken kann. Der Trias versteht es, selbst die Kindesliebe sich nutzbar zu machen.

Und mehr noch – er hat Sörensen zu seinem willenlosen Werkzeug gemacht, er schuf aus ihm ein bedauernswertes Zwittergeschöpf, er verstärkte in ihm die schlechten Triebe, er nutzte Sörensens Fähigkeiten aus, er ließ ihn den Richtstrahler fertig bauen, er lauschte ihm die Kenntnis über die Verwendung von Wachsplatten zum Übermitteln von Funkdepeschen ab, er übergab ihm dann fertige Wachsplatten, deren unverständlichen Inhalt Sörensen in den Äther sandte. –Wohin ‥?“

Dann wieder mußte Sörensen andere Depeschen, die von irgendwoher kamen, auf Wachs aufnehmen, und sein Herr und Gebieter, den er nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen hat, holte sie ab, wenn Sörensen nicht daheim war. Die Einzelheiten dieser Sklaverei würden für einen Roman genügen. Sörensen hatte vier verschiedene Wohnungen – und Geld in Hülle und Fülle. Er entführt Gerda Trausch, er bringt sie weit außerhalb Berlins im Auto zu einem Flugzeug, das sofort aufsteigt. Er kehrt in das eben erst gemietete Zimmer unweit der Stelle des Überfalls auf den Goldtransport zurück, er beobachtet den Überfall vom Fenster aus mit, er nimmt die Goldkisten in Verwahrung. – Als er morgens seine Wohnung verläßt, verschwinden die Kisten spurlos. Dann wirst du auf ihn aufmerksam, nachdem ich längst auf dich und auf ihn aufmerksam geworden. Und jetzt ist er unterwegs nach daheim auf weiten Umwegen, zu denen ich ihm riet.“

Harst war vor dem ersten Gletschertunnel stehen geblieben. Wir schauten hinein in das bläuliche Licht, wir vernahmen das Klirren von Spitzäxten und sahen den Flackerschein von Laternen. Der Tunnel wurde wieder einmal verbreitert.

Und als wir so dastanden und dem Klingen der Äxte und dem Poltern der Eisstücke lauschten, erschien hinter uns eines jener zweirädrigen Wäglein mit ruppigem Pferdchen davor, und in dem Wagen saß eine hagere Frau im Schafpelz mit braunem Gesicht, darin harte und doch auch wieder verträumte Augen. Graublonde Haarzotteln hingen ihr in die kantige Stirn, eine messerscharfe Nase lag über einem kleinen Mund mit herabgezogenen Winkeln, so daß das kräftige Kinn wie ein für sich umgrenzter Teil erschien.

Ich stutzte sofort. Das Gesicht kannte ich ja. Das war die Frau, mit der Harald vorgestern in Berlins Innenstadt gesprochen hatte. Also deshalb hatte er mir nicht sagen wollen, wer die Frau gewesen!!

Urplötzlich wurde es hell in meinem Kopf. „Eine Mutter, die aus Sorge um ihren Sohn, der ihr zu viel Geld geschickt hatte, aus der Einsamkeit nach Berlin gereist war,“ flüsterte ich Harst zu, als der Wagen im Schritt vorüberratterte.

Nein, doch nicht, der Wagen hielt, die Frau blickte sich um, dann nahte unser Auto. Mein Freund verhandelte mit dem Schofför, der wendete und wir stiegen zu Frau Helga Sörensen auf den Wagen. Bergabwärts geht’s vom Haukeli-Skäter bis Odda, immer tiefer in die Täler hinein, immer zahlreicher werden die Wasserläufe, die als Kaskaden über die Steilwände stürzen.

Stumm saß die Frau neben uns, kein Wort sprach sie …

Stunden vergingen. Es wurde dunkel. Wir gelangten auf schmalen Pfaden, die hinter Odda begannen, zur Hütte der Frau, die anscheinend ausgezogen war, sich um das Seelenheil ihres Einzigen zu kümmern. –

Der Mond war erschienen. Unten in der Tiefe schillerte die breite Hardangerfjord. Auf einer Terrasse hoch über dem Spiegel des Fjords lagen Wohnhaus, Stallung und dürftige Gemüsebeete und ein Kartoffelacker. Hinter den Scheiben der Fenster blinkte Licht, – am Tisch saß ein alter buckliger Mann mit wildem Bart und schmutzstarrenden Händen und las in einem Andachtsbuch. Die Petroleumlampe stank. Auf dem offenen Herd glomm ein spärliches Feuer.

Als wir eintraten, blickte der Mann kaum auf, murmelte ein paar Worte der Begrüßung und nickte unmerklich.

Und dann.

Ich hielt den Atem an, denn die Mutter Holger Sörensens, die bisher stumm geblieben, begann zu sprechen – deutsch, fließendes Deutsch einer gebildeten Dame. Dabei musterte sie mich seltsam, und es war mir, als ob sie über meine Bestürzung lächelte.

„Es ist Baldur, mein Knecht und die Hilfe auch beim Fischfang im Nebenarm des Fjords, den ich gepachtet habe. Baldur, versorge unser Pferd und dann trage auf, was die Küche bietet.“

Der etwas unheimliche Alte mit den tiefliegenden Augen und der mißtrauischen Falte über der Nase erhob sich. „Es ist nichts Eßbares da,“ erwiderte er maulfaul in gebrochenem Deutsch. „Die Fische im Fjord sterben, und der Krämer kommt erst morgen, Frau.“

„Und Butter?“ fragte sie gereizt …

„Sahne ist da, – ich werde buttern, und Kartoffeln sind auch da.“

Er hatte eine eigentümliche Art zu reden, er sprach die Worte in die Luft, schaute niemanden an und schlich hinaus.

„Nehmen Sie vorläufig am Herd Platz, meine Herren,“ bat die Frau mit einer höflichen Geste nach der Ofenbank hin. „Entschuldigen Sie mich wenige Minuten. Baldur ist etwas krank, im Hirn, aber harmlos.“

Dann ging sie.

„Ein reizendes Logis …“ meinte ich zu Harst, der in Gedanken versunken dastand.

Er nickte. „Ja, zur Zeit das passendste Heim für uns. Glaubtest du, ich wäre nur hier nach dem Hardangerfjord gereist, weil ich damals auf der Straße Mutter Sörensens Bekanntschaft machte und weil ich der Frau hier Gesellschaft leisten wollte?! Nein, es gab da noch einen anderen Grund, und wenn dieser Grund oder besser Anlaß sich nun zeigen wollte, wäre ich sehr froh, da ich mit dem Mädchen vieles zu besprechen habe.“

„Mit Gerda etwa?“ flüsterte ich verblüfft, denn auch Harst hatte die Stimme stark gedämpft.

„Mit wem sonst?!“

Er schritt auf die Ofenbank zu und setzte sich, winkte mir, und auch ich genoß das Behagen eines offenen Herdfeuers, das stets zur Gemütlichkeit beiträgt, falls man bei der Jagd nach dem Trias überhaupt von Gemütlichkeit sprechen kann.

„Du hast also von Gerda Trausch Nachricht erhalten?“ fragte ich etwas ungläubig, da es mir höchst unwahrscheinlich vorkam, daß eine Gefangene überhaupt sich mit irgendjemand in Verbindung setzen könnte.

„Eine lange Depesche,“ erklärte er gleichgültig. „Aufgegeben in Odda spät abends, also zu einer Zeit, als Baldur, der geistig nicht ganz Normale, vielleicht im Fjord fischte. Ich hätte dir ja den Inhalt des Telegramms mitteilen können, mein Alter, aber ich habe mich auch in der letzten Zeit in dem einen Punkte nicht wesentlich verändert. Ich liebe nun einmal Überraschungen nach wie vor, schon um dir Gelegenheit zu geben, ein so anziehend verdutztes Gesicht zu machen, das hast du tadellos heraus. Deine Mimik ist vollendet, nur nicht ganz geeignet für einen Detektiv, falls wir diese Titulatur auf uns anwenden wollen, was mir allerdings genauso zuwider ist, wie etwa die Baalpriester …“

Ich schaute ihn fragend von der Seite an. „Was hast du nun nur immer mit dem Götzen Baal im Sinn? So häufig wie in den letzten Tagen hörte ich die Bezeichnung nie von dir …“

Er nahm eine Zigarette und wandte den Kopf wie lauschend nach oben, wo in der Balkendecke des Zimmers die Umrisse einer Falltür sichtbar waren, aus der Heuhalme heraushingen.

„Gerda, die phantasievolle junge Dame, depeschierte mir von einem Zusammentreffen mit einem Mann, der ebenfalls den Baal sehr schätzte – oder nicht. Wohl mehr nicht, denn seine Äußerungen über den Gott der Kanaanäer, der ursprünglich durchaus nicht als eine Art Übersatanas galt, sondern das im Sonnenball verkörperte Prinzip der menschlichen Fruchtbarkeit darstellte und damit eine männliche Ergänzung der Göttinnen Astarte bildete, bewiesen einen stillen Haß, so drückte sich Gerda aus, der zumeist Verachtung war. Übrigens ist dieses Thema für uns von größtem Interesse, – das wirst du später erkennen. Baal als böses Prinzip sollte richtiger Bel genannt werden, vergleiche hierzu das Buch Daniel aus dem Alten Testament. Belial, Teufel, eigentlich Belijaal, also ein umgemodelter Bel – Baal, ist das Ungeheuer mit dem feurigen Rachen, dem man Erwachsene und auch Kinder opferte. Die riesige Lehmfigur dieses Baal war ein besserer Kessel, unten durch Feuer angezündet, oben warf man die armen Opfer hinein – entweder in den offenen Rachen oder in ein Loch im Bauch … Die allgemeine Auffassung von Baal ist heute zu der eines scheußlichen Götzendienstes zusammengeschrumpft, – Baal wurde Belial, Teufel, also schlechtes Prinzip, und so faßte ihn auch, freilich in übertragenem Sinn, der Mann auf, mit dem Gerda sprach, bevor sie entfloh …“

Er hatte immer leiser geflüstert, seine Blicke hingen unausgesetzt an der Falltür.

Dann, nach kurzer Pause, fügte er unvermittelt hinzu, und das, was er sagte, hing scheinbar mit dem Vorausgegangenen in keiner Weise zusammen …

„Vielleicht werden wir das ganze Trias-Problem sehr bald mit andern Augen ansehen müssen.“

Frau Helga Sörensen trat wieder ein, und ihre Miene verriet, daß irgend etwas Ungewöhnliches geschehen sein müßte.

Sie betrachtete uns voller Mißtrauen und sagte dann bedächtig, wobei Sprache und Ausdrucksweise noch mehr als früher die gebildete Frau verrieten:

„Selbst die Sahne aus der Schüssel im Keller ist verschwunden. All das macht fast den Eindruck, als hätten wir einen ungebetenen Gast im Hause, der sich hier sättigt und sich vorsichtig verbirgt. Baldur durchsucht jetzt die Nebenhäuser, die Stallungen, ich werde hier nachsehen, denn ich bin es satt, mit mir ein so undurchsichtige Spiel treiben zu lassen.“

Mein Freund erhob sich langsam, ging zu den Fenstern und zog die geblühmten Vorhänge zu, dann verschloß er die Tür, steckte den Schlüssel zu sich und rief halblaut:

„Fräulein Gerda, bitte kommen Sie herab, Frau Sörensen wünscht Ihre Bekanntschaft zu machen.“

Nichts rührte sich.

Harst wiederholte seine Aufforderung nochmals.

Nichts rührte sich. Ich merkte es meinem Freund an, wie unruhig er wurde.

Er holte die Leiter aus der Ecke hervor, und dann durchsuchten wir droben den Heuboden – ergebnislos!

Der Bodenraum enthielt allerlei Gerümpel, auch ein altes Himmelbett mit verblichenen Vorhängen. Man sah, daß es als Schlafgelegenheit benutzt worden war, – das Licht unserer Taschenlampen vereinigte sich auf den Wolldecken.

Mitten auf dem dürftigen Lager fand der sorgfältige Harst einen Papierfetzen, – nein, ein Brief war’s, dessen eine Ecke durch ein Loch der Wolldecke geschoben war.

Anschrift:

Herrn

Harald Harst

(Ohne Zeugen zu lesen)

Und dann‥?!

 

 

7. Kapitel

Ein unergründliches Märchen…

Baldur, der geisteskrank sein sollte, rumorte draußen auf dem Hof herum.

Wir hörten ihn fluchen und schimpfen.

Harst bat Frau Sörensen, die auf einem Schemel Platz genommen hatte, uns einige Minuten zu entschuldigen, – er habe noch einen wichtigen Brief durchzusehen, den er bisher vergessen hätte.

Die Frau mit den graublonden Haaren warf ihm einen scharfen Blick zu. Sie saß steif aufgerichtet da und ihre ganze Haltung drückte eine gewisse Kampflust aus. Die Stimmung bekam dadurch etwas Gewitterschwüles, und das Prasseln des frisch in das Herdfeuer geworfenen Holzes wirkte wie nervenpeinigende Alarmschüsse.

Helga Sörensen wartete auf eine Entgegnung Harsts und behielt ihn herausfordernd scharf unter ständiger Beobachtung. Zum Glück hatte mein Freund den Umschlag schon oben in dem Bodenraum aufgerissen und flüchtig den Briefbogen besichtigt, – ganz dünnes Papier, sehr sauber von geübte Hand mit Maschine beschrieben.

Er nahm das zusammengefaltete Blatt aus seiner Brieftasche heraus und entfaltete es. Den Umschlag zeigte er nicht. Da das Herdfeuer gerade sehr hell aufflammte, da ferner die Lampe in allernächster Nähe stand, konnte Frau Helga, den Papierbogen, besser die Art des Papiers, genau erkennen.

Plötzlich lachte sie scheinbar sehr unbegründet, aber deutlich ironisch auf.

„Ein Bündnis mit Ihnen hat seine Schattenseiten,“ meinte sie in ihrer gewandten Ausdrucksweise. „In Berlin vergaß ich ganz, daß Sie schließlich doch wohl in erster Linie Ihre eigenen Interessen wahrnehmen werden, und die gelten der entführten jungen Dame, der Schriftstellerin. Ich hätte vorsichtiger sein sollen, denn das Papier kenne ich.“

Sie stand auf und schritt zu einer einfachen, bäuerlich bunten und wohl sehr alten Kommode hinüber, schloß die eine Schieblade auf und fügte mit sanftem Spott, aus dem recht viel geistige Überlegenheit hervorklang, hinzu: „Gott der Herr gab uns den Verstand, damit wir Menschen durch logisches Denken uns notfalls vor Schaden bewahren können. Dasselbe Papier benutzte der Spender der ungewöhnlich hohen Summen, die stets eingeschrieben aus Bergen außer den Geldsendungen meines Sohnes aus Berlin zu mir gelangten, genau dasselbe. Ich sah soeben gegen das Herdfeuer das Wasserzeichen durchschimmern, einen Kreis, in dem zwei Dreien, getrennt durch ein Malzeichen, stehen – wie bei den Spenderbriefen …“

Sie wollte offenbar noch mehr sagen, brach jedoch bei der ersten Silbe ab und aus dieser Silbe wurde ein leiser Aufschrei.

„Die Briefe sind verschwunden! Hier in dieser Kassette lagen sie – obenauf!“

Sie kam mit der mittelgroßen Stahlschatulle zu uns zur Ofenbank und hielt sie uns hin.

Harst erhob sich hastig. „Woher haben Sie die Schatulle?“ fragte er sonderbar gepreßt, – so wie ein Mensch, der seine Erregung zu verbergen sucht.

Die Mutter des neuesten Opfers der Allgewalt des Trias schaute ihm leicht verwirrt an. Jetzt verlor sie ihre bisherige Sicherheit.

„Darüber spreche ich nicht gern!“ Es klang schroff ablehnend.

„Ich gehe mit Andenken an meinen verstorbenen Mann sehr pietätvoll um,“ ergänzte sie nun etwas höflicher und zugänglicher. Sie schämte sich wohl ihrer unliebenswürdigen Art eben und suchte dies nun wieder gutzumachen, indem sie mit einem schwachen Achselzucken meinte: „Es ist ja weiter kein Geheimnis dabei – die Schatulle stammt aus Indien, wo mein Gatte in einer der Nordprovinzen als kaufmännischer Angestellter einer englischen Firma tätig war.“

Harst beugte sich weit vor und fragte noch gepreßter als vorhin: „Handelt es sich um die Stadt Srinawir an der nepalesischen Grenze?“

Die Frau schrak sichtlich zusammen.

„Ja!“

Es wollte ihr gar nicht über die Lippen, dieses einfache ‚Ja’! – Ihre Augen, groß und starr, wie gebannt von der Überfülle auf sie einstürmender Gedanken, senkten sich langsam. Tiefste Röte flutete ihr in die Wangen. Sie flüsterte: „Wie sind Sie auf Srinawir gekommen, Herr Harst, – gerade auf Srinawir?! Das kann kein Zufall sein.“

„Nein, es ist auch kein Zufall, sondern eine bestimmte Ideenverbindung gewesen, Frau Sörensen. – Haben Sie nie von dem Trias gehört?“

Sie hob schnell den Kopf. Aber diese Bewegung war nur der Ausdruck ehrlichen Erstaunens. „Trias? Ich las in einer Berliner Zeitung davon, – es hatte für mich jedoch wenig Interesse. Ich liebe diese Dinge nicht, die das Übersinnliche in die Niederungen des Verbrechens hinabdrücken.“

Harst beobachtete sie. Aber genau wie ich selbst fühlte er wohl, daß Frau Helga nicht etwa mit Verschleierungsversuchen operierte. „Weshalb leben Sie hier in dieser Einsamkeit?“ fragte er ganz unvermittelt.

Ein harmlos vertrauliches Lächeln flog über ihre noch immer reizvollen Züge hin. „Weil ich arm bin, nur deshalb, und weil dieses Gehöft am Hardanger den Eltern meines Mannes gehörte. Ich selbst bin Deutsche, das wissen Sie schon, Herr Harst.“

Sie gab sich nun völlig zwanglos und natürlich, und trotzdem verheimlichte sie uns irgend etwas. Sie war froh, so legte ich mir ihr verändertes Benehmen aus, das Thema Srinawir so schnell erledigt zu wissen.

Harst schwieg jetzt und spielte sinnend mit dem Briefbogen, den er gegen das Licht hielt und …

Dann geschah etwas gänzlich Unerwartetes. Er stand unweit des Herdes, war auf einen Angriff von Außen nicht vorbereitet. Über dem offenen Herd befand sich der übliche Rauchfangansatz aus starkem, verräuchertem Blech, darüber der eigentliche Kamin, der wie überall in den alten Gebäuden sehr breit war.

Was eigentlich vorging, ließ sich im ersten Moment nicht recht erkennen. Jedenfalls sah ich nur noch eine lange Feuerzange, die blitzschnell wieder im Kamin verschwand – mit dem Briefbogen.

Mein Freund war trotzdem flinker, sprang in die Höhe und bekam den Brief noch zu packen. Allerdings riß ein Stückchen davon ab. Das war der ganze Verlust.

Frau Sörensen trat rasch neben Harst und fragte erregt: „Sahen Sie den Dieb?“

„Nein! Es ist ja auch gleichgültig, Frau Sörensen. Bitte setzen wir uns wieder. Ich möchte Ihnen die Wahrheit nicht vorenthalten.“

Er erklärte nun, wo der Brief gelegen hätte – droben in dem alten Himmelbett. „Bestimmte Gründe lassen es ratsam erscheinen,“ fügte er hinzu, „daß Sie den Inhalt des Schreibens gleichfalls kennen lernen. Ich werde vorlesen, jedoch möglichst leise.“

Frau Helga rückte ihren Schemel näher an die Ofenbank heran, die neben der eigenen seitlichen Schutzmauer des Herdes stand. Harst las vor. Er versteht es, Feinheiten wohlgefügter Worte und Sätze durch die Betonung und durch Pausen herauszuarbeiten.

Der Brief, – ein Märchen…

Sie haben ein älteres Grenzfort zu einem Interniertenlager hergerichtet, aber sie nennen es der Eingeborenen wegen ‚Erholungsheim’.

Im Festungshof wachsen Bäume und Büsche und blühen Blumen, lustige Affen klettern in den von Lianen durchsetzten Baumkronen umher, und der Hof ist so geräumig, daß man mir erlaubt hat, in einer Ecke ein Zelt aufzustellen. Ich schlafe im Freien trotz der zuweilen auftauchenden Brillenschlangen ruhiger, denn das Säuseln der Bergwinde in den Blättern und der Schrei der zu nächtlicher Stunde jagenden Tiere aller Art, die in den halb verfallenen Mauern ihre Schlupfwinkel haben, lenkt meine Gedanken wohltätig ab.

Sonst würde mich der Haß zerfressen, und ohnmächtiger Haß ist wie eine schwere Krankheit, an der man dahinsiecht, wenn man so voller Grimm ist wie ich.

Erholungsheim – sagen sie!! – Gewiß, es wäre ja gegen das von ihnen ohnedies mit Füßen getretene Völkerrecht gewesen, wenn sie mich eingesperrt hätten. Aber als sie in Kalkutta den angeblich deutschen Spion erschossen, der doch nur ein harmloser Flüchtling vor der noch größeren Brutalität derer von drüben war – aus dem Teil, der Kochinchina[1] heißt – das schrie ich’s ihnen in die hochmütigen Gesichter: Mörder!! – Und dafür schickten sie mich zur Beruhigung meiner Nerven hier nach Srinawir zur – Erholung.

Oh, ich kenne sie. Ich fand gestern wieder eine Brillenschlange in meinem Bett im Zelt und – habe gelacht. Ich lebe nicht umsonst bereits zehn Jahre in Indien. Und wie habe ich hier gelebt, – ich habe mich überall umgeschaut, und ich kenne alles.

Das wissen sie auch, und darum fürchten sie nicht, obwohl ich dem Titel nach ein Nichts bin.

Zuweilen sitze ich mit untergeschlagenen Beinen, wie ich es mir hier angewöhnt habe, bis nach Mitternacht vor dem Zelt und grübele und rauche den schweren Tabak dieser Bergstatt aus einer Bambuspfeife wie ein armseliger Kuli, den ich im übrigen wegen seiner Stupidität beneide. Was scheren ihn die Völkergeschicke – nichts! Was schert ihn Freiheit oder Unfreiheit seiner Heimat?! – Nichts!! Er lebt nur für den eigenen Bauch, Bedürfnisse des Daseins und für ein Weib, das wie ein armer, abgetriebener Esel auf dem kleinen Acker arbeiten muß, damit der Reis gedeihe.

Und wenn ich so nächtens sitze und grübele und die Augen schließe, dann sehe ich fern, unendlich fern in der Heimat Züge mit den zerschossenen Soldaten und der brüllendem Feuerfront in die Städte rollen und glaube das Stöhnen und Wimmern zu hören und die letzten Seufzer der Sterbenden.

Dann – zuweilen – raunt mir eine Stimme aus dem Zelt wie ein Hauch des Höhenwindes nur ein paar Worte zu.

Er kommt selten. Er ist ein treuer Freund, und sein Haß gegen die, denen er helfen muß, die anderen Menschen auszusaugen, gleicht an Kraft fast dem meinen. Er ist anderen Blutes, aber seine Urväter verehrten, wie die meinen, den Donnergott und Wotan, den Göttervater. Wir sind blond von jener farblosen Blondheit, die ein Zeichen reinen, nordischen Blutes ist, wir empfinden die Schmach dieses Mordens als körperlichen Schmerz, und obwohl mein Freund jedes Mal, wenn er über die Stacheldrähte und über die Mauer steigt, sein Leben wagt, er bringt mir doch die neuesten Depeschen und Nachrichten von dem Einzigen, was meine Frau mir hinterließ, die vor ungestilltem Haß gestorben ist.

So sitzt er denn in dem Zelt, und wenn die Wachen vorüberkommenden, grinsen sie über meine Selbstgespräche, – schöpfen nie Verdacht. Ich bin ja nicht recht zurechnungsfähig, und trotzdem möchten sie mich morden, – ich weiß viel. Wenn sie ahnten, wie viel ich weiß, wäre ich bereits tot. Vorgestern lag wieder ein Stückchen Baumfaser in meinem Eßnapf. Es tötet unbedingt, es durchbohrt die Magenwand, denn es ist wie eine Säge, wie ein ganz feines Stückchen Laubsäge.

Das Feuer vor dem Zelt qualmt noch stärker heute, denn die großen Mücken schwärmen und die Riesenfledermäuse sind unruhig, weil in den Bergen ein Gewitter grollt.

Er ist auch wieder da, er, der Treue. Er spricht mit leiser Stimme von ihm. Ich habe ihn nun seit Monaten nicht gesehen, weil es seine Lehrer so wollen. Der Freund warnt heute.

‚Dulden Sie das nicht. Er treibt für sein Alter Dinge, die einem Erwachsenen die Haare zu Berge stehen lassen. Er hat mir gestern eine Sanduhr gezeigt und sie mir mitgegeben für Sie, Kamerad…’

So lernte ich die grüne Sanduhr der geistigen Konzentration kennen.

Ich habe versucht, ob es wahr sein könnte, was sie verheißt!

Es ist wahr. Ich sah ihn inmitten der Priester vor dem Altar, und er kniete vor dem Bildnis Buddhas und schlug mit der Stirn auf den prunkvollen Teppich, und der Weihrauch entströmte den goldenen Becken und verschleierte das Allerheiligste und den wilden Tanz der Mönche, die wie die Derwische umherwirbelten bis sie erschöpft zu Boden sanken. Dann verschwand das Bild, da einer der Wachtposten nahte und meine Gedanken abgelenkt wurden. Aber eins sag ich doch noch zum Schluß: Über dem Bildnis des Buddha schwebte in der Luft ein seltsames Zeichen, ein Kreis wie ein Heiligenschein, und in dem Kreis standen zwei Ziffern, durch einen Mal Zeichen getrennt.

Soweit hatte Harst, ohne daß Frau Helga ihm ins Wort gefallen wäre, vorgelesen.

Jetzt flog diese Frau, der ich nie solche Leidenschaftlichkeit zugetraut hätte, empor.

„Es war mein Mann, – er war der Freund des deutschen Landsmannes. Er hieß Holger wie mein Sohn. Ich war damals gerade in Deutschland bei meiner Schwester zu Besuch. Holger hat den Deutschen nie mit Namen genannt.“

Mein Freund schob den Brief in die Tasche und erwiderte kurz, als wollte er das Gespräch beenden: „Es ist nun also erwiesen, daß Ihr Gatte den Roland Born gekannt hat. Umso mehr wundert es mich, daß er Ihren Sohn für seine Zwecke ausgenutzt hat.“

Weiter kam man nicht. Es wurde gegen die verschlossene Tür gedonnert, und Baldur rief wütend: „Was soll das! Sofort öffnen! Ich habe noch ein Stück Speck gefunden!“

Gleich darauf war der Raum mit den Dünnsten des brotzelnden Specks angefüllten, und Frau Helga deckte den Tisch und wir setzten uns zur ersten und letzten Mahlzeit in dem unheimlichen Haus nieder und betrachteten still den alten Baldur, der uns mit finsteren Blicken musterte und seiner Herrin wiederholt versteckte Zeichen gab.

Mir ging die düstere Frage immer wieder durch den Kopf, ob etwa Baldur die arme Gerda Trausch überrascht und beseitigt hätte?

Ich dachte auch an den netten Jup Hergt und an die alten Eheleute Breese, die man ebenfalls entführt hatte, und von den Breeses machten meine ruhelosen, aufgescheuchten Gedanken einen Sprung mitten nach Berlin, wo man der Bank der Gebrüder Katter die Millionen geraubt hatte, – man, die Bande des Trias, die Organisation Z.O.Z.

Und aus alledem wurde in meinem Hirn ein großes Durcheinander von ungelösten Fragen, die wohl sicherlich nie ganz gelöst werden würden. –

Das bescheidene Abendessen war vorüber, und Frau Helga führte uns in ein Hinterzimmerchen, wo zwei Betten standen.

„Gute Nacht,“ sagte sie still und versonnen. Auch während der Mahlzeit hatte sie kein Wort gesprochen. Die Sorge um ihr einziges Kind mochte gar schwer auf ihr lasten.

 

 

8. Kapitel

Auf dem Farrö-Gletscher.

Wieder einmal saß der Mann mit dem Wollschal vor dem großen Schalttisch und entwarf einen seiner berühmten Befehle an die Organisation Z.O.Z. –

Er schrieb mit einer kleinen Reiseschreibmaschine, und in den Pausen, wenn er überlegte oder einen Stadtplan von London oder Berlin einsah, rauchte er eine starke schwarze Zigarre.

Zweimal mußte er seine Arbeit unterbrechen, da der Empfänger sich automatisch meldete und dann ein Streifen Papier mit vielen Punkten und Strichen abrollte, Morsechiffre, niemandem verständlich, der nicht ‚Gullivers Reisen’ bei der Hand hatte und nicht wußte, daß die Buchstaben je einer Zeile entnommen waren. Der Mann wußte es, und er entzifferte die Telegramme ohne besondere Mühe. Sie kamen beide von hoher See, wo ein Frachter sich bereits im Nebel der englischen Küste näherte. Es war ein Viehdampfer mit Rassetieren an Bord, und niemand ahnte, daß gleichzeitig in New Orleans fünfzig Kistchen mit verladen worden waren, die in des Kapitänskajüte standen. ‚Radioröhren’ lautete die Aufschrift auf den Kistchen, und als es sich an Bord unterwegs doch herumsprach, daß die Kisten vorhanden und sehr empfindlich gegen Stöße seien, grinste die Mannschaft. Der Käpten machte eben Privatgeschäfte! – Die Wahrheit wußte nur der Kapitän, ein biederer Engländer, der als zuverlässig unter so und so viel Kollegen ausgewählt worden war.

Der Mann mit dem Wollschal las nochmals die letzte eingegangene Depesche:

‚Oxford drei Seemeilen voraus. Starker Nebel, alles günstig. Ladung trifft sechs Uhr früh ein.’

Der Einsame in der Felsenhöhle auf dem Farrö-Gletscher überlegte, schaute auf das Wetterglas und zögerte. Sechs Uhr früh, dann war es schon ganz hell. Nein, das Wagnis war zu groß, besonders da die Gäste bei Frau Sörensen ihm wenig behagten. Auch noch etwas anderes sprach mit. Der Mann hatte sein Tun in den letzten Tagen wiederholt vor seinem Gewissen streng nachgeprüft und war zu einer inneren Unausgeglichenheit gelangt, die er bis dahin nicht gekannt hatte. Er las ja die gesamte Presse, überall hieß es nur immer: ‚Der Trias, ein von Geldgier zerfressener Verbrecher!’ – So kennzeichnete man ihn!

Waren seine Wege doch falsch gewesen?! War er in die Irre gegangen wie so viele Heißsporne, die ein großes Ziel mit untauglichen, ja sogar mit verwerflichen Mitteln zu erreichen gesucht hatten in der Überzeugung, daß der Zweck die Mittel heilige?! Hatten nicht mit diesem anfechtbaren Grundsatz auch die Baalpriester durch ihre teuflischen Wortverdrehungskünste operiert und aus Unrecht Recht zusammengebraut?! – Es war so!! Der Einsame seufzte. Aber es lag nicht in seiner Charakterlinie, lange unsicher hin und her zu schwanken. In aller Eile entwarf er eine Depesche an die Jacht ‚Kreuz der Rosen’ und schickte sie umgehend in den Äther hinaus, erhielt das Empfangszeichen von Bord seines Schiffes und gleich darauf einen dringenden Anruf, den er in einer nie gekannten Nervosität entzifferte:

Oxford hatte heimlich starken U-Bootschutz bei sich. Sind mit knapper Not entkommen. Anschlag auf Oxford muß irgendwie verraten worden sein.

Der Mann mit dem Wollschal stützte den heißen Kopf schwer in die Hand. Er grübelte von neuem. Verraten ‥?! Wie war das möglich ‥?! Sollte etwa sein vorletzter Befehl nach Berlin an seine Organisation doch aufgefangen und entziffert worden sein?! Es gab keine andere Lösung. Sofort dachte er auch an Harst, der ihm nun so dicht auf den Fersen war. Nur Harst konnte hinter das Geheimnis des Wertes von ‚Gullivers Reisen’ gekommen sein. Ein anderer hätte niemals derartige Schlußfolgerungen aus der schlichten Tatsache ziehen können, daß ein Stromer eine deutsche Übersetzung des englischen satirischen Romans bei sich trug!

Ja, es mußte Harst gewesen sein, und – dies sei hier für meine Leser eingeschaltet – er hatte recht, der Einsame. Nun weiß der Leser auch, was in dem von uns damals aufgefangenen Armeebefehl gestanden hatte.

Ein Geräusch hinter ihm veranlaßte den Mann sich umzublicken. Es war Gerda.

Nachdem er sie in aller Heimlichkeit aus dem Haus der Frau Sörensen hierher geholt hatte, nachdem sie ihm zugesagt, nicht entfliehen zu wollen, durfte sie sich fast frei bewegen. Ihr Erscheinen zu dieser Stunde überraschte ihn. Es war lange nach Mitternacht. Schnell bedeckte er seine Schreibereien mit einer Zeitung und wandte sich dann der jungen Frau zu.

Gerda sagte ernst: „Ich konnte nicht schlafen.“ Sie lehnte sich neben ihn an den großen Schalttisch und fuhr fort, indem sie abermals versuchte, von dem Gesicht des Trias mehr zu erhaschen als bisher.

„Zweierlei führt mich her. Erstens die Sorge um Sie, denn ich habe erkannt, daß Sie ein guter, wenn auch irregeleiteter Mensch sind. Ihr Gegner Harst wird nicht ruhen, bis er Sie lahmgelegt hat. Ich bin ehrlich. Ich habe an Harst von Odda aus, als ich mich noch bei den Sörensens verbarg, eine Depesche geschickt. Baldur fischte gerade, und das hielt ihn stundenlang fern vom Hause. Harst wird Sie finden. Was dann mit Ihnen geschieht, wissen Sie selbst. Das wäre das eine. Und das andere: Soeben habe ich einen Felsengang dort unten neben dem Raum für die Dynamomaschinen entdeckt und eine Zelle ähnlich der meinen. Ein Mann wird dort gefangen gehalten. Wer ist es?“ –

Ihre Stimme war scharf und befehlend geworden.

Der Trias schaute zu dem Mädchen empor und entgegnete leise: „Der englische Detektiv Manning ist’s, der berühmte Manning, Rob genannt.“

„Den Sie durch den Zigeuner Schaull, Janko Schaull, hierher verschleppten ließen. Wie konnten Sie sich mit einem so verworfenen Menschen verbünden?! Ich habe als Schriftstellerin einmal jenes Zigeuner- und Verbrecherhaus besucht, um Studien zu treiben.“

Der Trias senkte den Kopf. „Es war nicht meine Schuld,“ erwiderte er sinnend … „Nein, nicht meine Schuld … Der Leiter meiner Organisation in Berlin ist ein Mensch, der …“ – Er zögerte und suchte nach milden Worten – „der leider zu unüberlegt handelt und schon viele Fehler begangen hat. Nie war ich damit einverstanden, daß Menschenleben geopfert werden.“

„Sie konnten das verhindern. Sie hätten diesen Mann absetzen sollen!“ fuhr Gerda empört auf.

„Auch das konnte ich aus bestimmten Gründen nicht,“ erwiderte er müden Tones. Dann raffte er sich gewaltsam auf. Hinter den dicken Brillengläsern glaubte Gerda es feucht schimmern zu sehen, und das Mitleid mit dem Irregeleiteten quoll von neuem in ihr hoch.

Er sprach kurz und bestimmt: „Sie sind frei. Ich werde Sie mit verbundenen Augen auf den Gletscher führen, Ihnen auch eine Laterne mitgeben und Ihnen den Weg bis zur Treppe zeigen, die zum Pensionat Hardanger-Terrassen hinabläuft. Dann werde ich dasselbe mit Manning tun. Mein Wort darauf, – das Wort eines Deutschen, der sein Vaterland zu sehr liebt – zu sehr – leider.“

Gerda rief hastig: „Einen Augenblick noch. Als ich die Depesche in Odda besorgte, sprach ich mit verschiedenen Leuten, und alle erzählten mir eine Geschichte, die hier am Fjord jedes Kind kennt, – von einem Gespenst, das in Dunst gehüllt die Steilufer nachts zu seinen Ausflügen benutzen soll?“

Der Trias lächelte nachsichtig. „Mein Kind, – das Gespenst, das sich in Dunst hüllt, bin natürlich ich, und der Dunst ist künstlicher Nebel. Ich mußte diesen chemischen Nebel verwenden, da meine Flugzeuge in klaren Nächten nicht gesehen werden durften. Andererseits hat der Volksmund, der von einem Gespenst redet, nicht so ganz unrecht. Ich war der böse Geist dieser friedvollen Einsamkeit, obwohl ich nie wirklich böse oder schlecht war. Aber das verstehen Sie nicht und sollen Sie auch nicht verstehen. Genug davon, kommen Sie, Sie sind frei.“

 

 

9. Kapitel

Gerdas Flucht vor dem Tode.

Der Trias nahm Gerda die Augenbinde ab: „Dort ist die Treppe,“ sagte er schlicht. „Leben Sie wohl, mein Kind, – Gott schenke Ihnen eine frohe Zukunft. Wir werden uns nicht wiedersehen.“

Bevor Sie noch etwas erwidern konnte, war er in dem braungrauen Gebräu, das irgendwoher plötzlich über die Gletscherebene wehte, untergetaucht.

Kaum jedoch war er entschwunden, als aus demselben künstlichen Nebel eine andere Gestalt auftauchte und auf Gerda zulief. Es war Baldur, der Irre, der bedauernswerte Baldur, in dessen Hirn sich Welt und Menschen und Vorgänge nur verzerrt widerspiegelten. Mit einem heiseren Brüllen stürmte er vorwärts und schnitt dem Mädchen den Weg zur rettenden Treppe ab.

Gerda flüchtete wie gehetzt gen Süden in den Nebel hinein. Sie rief um Hilfe, – sie hatte ähnliche Situationen so und so oft in ihren Romanen ausgesponnen, – nun erlebte sie selbst etwas so abenteuerlich Grausiges, daß ihr vor Entsetzen die Stimme versagte.

Blindlings stürmte sie dahin … Der Nebel reizte ihre Kehle, sie rang nach Atem, – dann glitt sie auf einer steilen freien Stelle des Gletschers aus und rutschte, ohne sich irgendwo festhalten zu können, in die unbekannte Tiefe.

Sie sah den Tod vor Augen. Unter ihr, frei von Nebel, schimmerte im Mondlicht der Spiegel des Fjords.

Sie sauste einen überhängenden Teil des Gletschers hinab, der hier wie ein gefrorener Wasserfall über den Rand der Steilwand hinwegragte – viele Meter lang und endlos breit und glatt wie Glas.

Der Tod reckte seine Arme nach ihr aus. Ein letzter Gedanke galt Jupp Hergt, den sie liebte, so liebte, wie nur ein Weib von ihrer inneren Reife lieben kann.

Dann fanden ihre Füße irgendwo Halt. Sie schlug mit dem Kinn gegen eine Eiskante und verlor das Bewußtsein.

Als Baldur in derselben Nacht heimlich wie immer das Haus seiner Herrin verließ, folgten ihm zwei vorsichtige Gestalten.

Mein Freund hatte geahnt, daß Baldur zum Farrö-Gletscher schleichen würde. Daß wir dann doch zu spät kamen, um Gerda vor dem armen Irren zu schützen, lag nur daran, daß wir mit dem Übersetzen zu viel Zeit verloren hatten. Gewiß, wir blieben Baldur auf den Fersen, aber wir konnten das Schlimme nicht mehr verhüten. Baldur, der das Mädchen um jeden Preis einfangen wollte, rannte wie besessen hinter ihr her und geriet so auf dieselbe abschüssige Stelle des überhängenden Gletschers.

Mit einem wilden Schrei glitt er in die Tiefe. – Er fand nirgends Halt, er überschlug sich mehrmals, und dann prallte sein Körper unten auf die Oberfläche des Fjordes auf und versank.

Urplötzlich standen zwei Männer neben uns, beide blaß wie wir, – Rob Manning und Jupp Hergt. Jup, der uns gegen unseren Wunsch nun doch gefolgt war, schien der ruhigste von uns.

„Gerda ist nicht die Tiefe gestürzt. Ich hätte es sehen müssen. Ich bin im Pensionat Hardanger-Terrassen abgestiegen. Ich habe soeben noch den Besitzer gesprochen. Hallo, – da ist er ja! Herr Jeens, hierher!“

Torsten Jeens kam langsam näher. Er hatte Stricke bei sich. Er sagte gleichmütig: „Ich hörte die Hilferufe. Da brachte ich für alle Fälle die Seile mit.“

Jup beleuchtete den Eisabhang mit seiner Taschenlampe, aber Harst, der ein paar Meter weiter links stand, winkte ihm zu. „Hier ist die Stelle. Ein Loch im Eisabhang.“

Er und Jup ließen sich abseilen.

So fanden sie Gerda. Sie lag wie eine Märchenprinzessin in einer blinkenden kleinen Eisgrotte. Ihre Verletzungen waren zum Glück nur geringfügiger Natur. Sie erwachte sehr bald, und alle Angst und alle nun glücklich überstandenen Schrecken schwanden unter Jups Zärtlichkeiten schnell dahin.

Torsten Jeens nahm uns mit in sein Heim und bewirtete uns freundlichst und sorgte auch dafür, daß die Leiche Baldurs geborgen und nach dem Gehöft der Frau Sörensen geschafft wurde. Wir fanden nachher auch dem geheimen Zugang zu den Felsenräumen des Trias oben auf dem Gletscher. Aber alle diese Räume waren ein einziges Meer von Qualm und Feuer und schwelender Glut. Erst nach Stunden war es möglich, die Stätte vollständiger Verwüstung zu besichtigen.

Und als wir dann die Stube der Frau Sörensen wieder betraten, saß die Frau mit wachsbleichem Gesicht neben der Leiche des armen Baldur, der ein Gehilfe des Trias gewesen, weil dies so sein mußte, wie Harald sich ausdrückte.

Damals verstand ich ihn nicht. Hinterher verstand ich ihn allerdings. Inzwischen hatte die Bevölkerung der Umgebung die Suche nach dem Trias aufgenommen und durchstreifte alle Schlupfwinkel ringsum.

Diese abenteuerliche Jagd dehnte sich bis in die Nacht aus, fand bei Fackellicht statt und bot einen malerischen Anblick dar, den man so leicht nicht vergessen würde …

Alles Suchen blieben umsonst, obwohl gerade der ortskundige Torsten sich am eifrigsten beteiligte.

Zwei Tage darauf reisten wir heim …

 

 

10. Kapitel

Der Schluß des Märchens von der Nepalgrenze.

Die Zeitungen waren damals übervoll von den Ereignissen am Hardangerfjord. Man tischte jede Kleinigkeit dem sensationshungrigen Publikum auf, man gab seiner Freude Ausdruck darüber, daß Holger Sörensen als Opfer des Trias frei und ohne Strafe davongekommen war, daß die alten Breeses in einem Ostseebad als Kurgäste aufgefunden wurden, – man verspottete den geldhungrigen Trias, weil durch die Erfindungsgabe Rob Mannings der an die Bank von Katter & Co. gerichtete Goldtransport nur aus Messingbarren bestanden hatte und dies lediglich zu dem Zweck, den großen Spionageapparat der Goldräuber genauer überprüfen zu können, von dem man bis dahin sehr wenig wußte.

Auch Harst wurde von Berichterstattern und Polizei überlaufen. Er schwieg sich zumeist aus oder besser, er sagte nur das, was er unbedingt sagen mußte!

Am dritten Abend nach unserer Heimkehr saßen wir beide allein in unserem Büro am Sofatisch und lasen in den Abendblättern die neuesten Ergüsse der phantasiefreudigen Reporter. Ganz unvermittelt meinte Harald da: „Dir ist doch inzwischen klar geworden, daß Baldur in Wahrheit der Gatte der Frau Sörensen war, also Sörensen selbst.“

Ich hatte dies wohl geahnt, aber nicht als erwiesen betrachtet. –

Er fuhr fort, indem er seiner Brieftasche die Niederschrift des Trias entnahm: „Ich habe damals abends nicht alles vorgelesen, weil Frau Sörensen dabei war. Jetzt höre einmal genau zu.“

Er las vor:

Er ist sehr lange fortgeblieben, heute erst erfuhr ich, daß er als schwer nervenkrank in eine Heilanstalt gebracht worden war, aus der er später wieder entwich und den Tod fand. Sein Name war Holger Sörensen. Er war mit einer Deutschen verheiratet und hatte einen Sohn. Da ich merkte, daß die Versuche, mich zu beseitigen, immer unverhüllter unternommen wurden, tat ich etwas, das mir nur infolge meiner genauen Kenntnis bestimmter indischer Gifte möglich war. Ich täuschte einen Schlangenbiße vor und wurde als tot in die Keller des Forts gebracht, von wo ich, bald wieder erwachend, leicht entfliehen konnte. –

Mit Hilfe fremder Ausweispapiere und als Ausländer ließ ich mich in einem europäischen Staat nieder und entwarf hier Pläne für meine Raubzüge, wobei mir mein Sohn half, der sich hinterher leider als zu wenig vorsichtig und allzu brutal erwies. Im Lamakloster hatte man ihn gelehrt, ein Menschenleben gelte nichts, wenn es um Völkergeschicke ginge. Mein Dasein ist geheimnisvoll und erfüllt von einem Doppelspiel, das mir zuweilen zuwider wird. Mein Freund Holger Sörensen, dessen Frau ich nach besten Kräften unterstütze, hilft mir, ohne zu ahnen, wer ich bin. In letzter Zeit sind mir Zweifel gekommen ob der von mir gewählte Weg sich vor meinem Gewissen wirklich vertreten läßt … Sollten Sie, Herr Harst, mich finden, so bitte ich Sie, mir Zeit zu gönnen, meine irrigen Schritte wieder gutzumachen.

Ich bin Ihr aufrichtiger Bewunderer

???

Ich fragte atemlos: „Weißt du, wer der Trias ist? Der alte Trias, müßte man jetzt sagen?“

„Ja, ich weiß es. Es ist Torsten Jeens, und ich habe ihn seinem Wunsch gemäß entkommen lassen. Er ist bekanntlich verreist.“

„Torsten Jeens?“ wiederholte ich langsam. „Und die Beweise?“

„Es bedurfte nur eines Beweises. Er war mit den Stricken zu schnell an der Gletscherzunge, um Gerda zu retten. Und er hatte vorher sein Felsenheim in Brand gesteckt und roch nach Petroleum.“

Ich nickte nur, – auch ich hatte den Erdölgeruch wahrgenommen.

Harst fügte sehr leise hinzu: „Er hat Goldbarren und andere Werte im Gesamtbetrag von fünfzehn Millionen zusammengeraubt, stets von Ausländern oder im Ausland. Selbst der Raub hier in Berlin galt der Bank Katter & Co., deren Inhaber gestern verhaftet wurden, weil es Betrüger und Volksschädlinge waren. Sein ganzes Tun und Treiben ist …“

Hier schließe ich.

Das Geheimnis um den Trias und seinen Sohn fand eine verblüffende, ja fast ergreifende Aufklärung.

 

 

Nächster Band:

Der Mann von gestern …

 

 

Anmerkung:

[1] Französische Kolonie (1863 – 1954) umfassend den Süden Vietnams und Teile des östlichen Kambodschas.