Olaf K. Abelsen
Abenteuer
Abseits vom
Alltagswege
Einzig berechtigte
Bearbeitung a. d.
Schwedischen von
M. Schraut
– Band 33 –
Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16
Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1931 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16.
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16.
1. Kapitel.
Die Männer aus dem anderen Erdteil.
Warum sollten die Leute, die dort am Quins-River in einer buschreichen Uferschlucht lagerten, in den endlosen Wüsten Nevadas nicht ein solches Höllenfeuer anzünden?!
Nevada ist Staat der Sternenbanner-Union. Für Nevada sind die Zeiten verrauscht, wo der Indianer auf flinkem Mustang oder die Goldgräbertrupps und deren Hyänen, die Scharen der Gurgelabschneider, das Land durchstreiften und die Einöden vorübergehend belebten.
Was in diesem dünn besiedelten Staate mit seinen sandigen und steinigen Hochebenen und seinen kahlen Bergen und Salzseen und Salzmorästen als Überbleibsel einer Epoche des Goldhungers, der Gärung und des Gesetzwidrigen sich heimlich noch eingenistet gehabt hatte, war ausgetilgt, und mein Anteil an dieser Tragödie, deren Mittelpunkt die Felseninsel im großen Boraxsee halbwegs zwischen Quins-River und den Pueblo-Bergen im Norden gewesen, führte mich nun abermals nordwärts — dorthin, wo die natürlichen Grotten der Insel, einst Wohnung und Andachtstätte der Sekte der „Berufenen“, mir die Lösung des allerletzten Rätsels verhieß.
Vielleicht … —
Drei Tage war es her, daß ich nachts in aller Stille die Zeltstadt meiner Freunde verlassen hatte, drei Tage Einsamkeit hatten mir Stunden reinster Naturfreude geschenkt. Meines toten Kameraden Koipatos windschneller Rappe, dazu ein Yucatan-Füchslein mit fremdem Blut in den Adern waren mir liebe Begleiter. Die Wüste hatte mich wieder, und die Menschenleere ihrer Dünen und Felshügel schreckten mich nicht.
Tiere und unberührte Natur sind noch immer die ehrlichsten Gefährten.
Nun hielten wir am Südufer des Quins-River zwischen den duftenden Wermutsträuchern und den im Nachtwind säuselnden Krüppelkiefern und schauten alle drei etwas erstaunt durch die klare Nacht hinüber zu dem lodernden Feuer, über dem man einen ganzen Mastochsen hätte schmoren können.
Ich erkannte ein paar Gestalten, halb durch Gebüsch verdeckt, und dazu die Umrisse von Pferdeköpfen mit großen, schillernden Augen und noch weiter abseits auf dem Boden ausgestreckte Männer, die um einen dampfenden Kessel gemächlich ruhten, ihre Pfeifen rauchten und nur hin und wieder dem lohenden Holzstoß einen flüchtigen Blick schenkten.
Der gelbe Qualm des großen Feuers — man hätte fast sagen können „Scheiterhaufen“ — stieg im Windschutz der felsigen Uferwände in dicken Schwaden empor, bis weiter oben der Nachtwind kräftig hineinblies und den Rauch schnell zerstäubte.
Das Bild dort mir gegenüber gewann an Bedeutung, wenn man die Einzelheiten sorgfältiger prüfte und die Männergestalten und ihr Tun und Treiben kritischer betrachtete.
Die vier hageren, schmalbrüstigen Leute, die den Holzstoß beständig mit neuer Nahrung versorgten, machten trotz ihrer modernen Sportanzüge und Filzhüte und Reitgamaschen einen exotischen Eindruck. Ihre braunen Gesichter besaßen nicht den Schnitt der indianischen Rasse und erst recht nicht jenes Kupferrot, das bei künstlicher Beleuchtung durch brennende Scheite noch klarer hervortritt. Auch ihre Bewegungen verrieten eine feierliche Gemessenheit, die sich nicht mit der vielgenannten stoischen Ruhe der Indianer vergleichen ließ.
Die fünfte Person in der Nähe des Holzstoßes war zudem eine Frau, die etwas erhöht auf einem Felsen saß und das Gesicht mit den flachen Händen, an denen einige Ringe blitzten, bedeckt hielt.
Im Gegensatz zu diesen fünf handelte es sich bei den gemächlichen Rauchern — sechs zählte ich — um vier typische kernige Nevadamänner und zwei Chinesen oder Japaner. Mir schien es, als ob diese sechs insgeheim die fünf belächelten, und für dieses gelegentliche verächtliche Grinsen und für dieses ablehnende, mißbilligende Kopfschütteln fand ich erst eine Erklärung, als ich mein Glas zu Hilfe nahm und zu meinem noch größeren Erstaunen feststellte, daß das Riesenfeuer ein sauber aufgeschichteter Scheiterhaufen war, zu dem man die harzreichen Krüppelkiefern benutzt hatte.
Die vier Schmalbrüstigen waren zweifellos Inder, die regungslose Frau auf dem Felsen mußte jedoch eine Europäerin sein. Das unter dem Hut hervorquellende Haar war blond, und ihre Hände waren weiß und konnten nur durch Reithandschuhe von der rasch bräunenden Wirkung der Wüstensonne geschützt worden sein.
Diese kurze, rasche Feststellung veranlaßte mich zu einem schnellen Entschluß. Ich brachte den Rappen und Füchslein Krake weiter gen Süden in einem Seitentale unter und beschlich die Lagernden im großen Bogen von Norden, gelangte auch unbemerkt in ihre nächste Nähe und befand mich nun zehn Meter über ihnen auf einer schmalen, aber grasreichen Felsnase, die aus der Steilwand heraussprang.
Jetzt gewahrte ich auch die Konturen einer auf dem Scheiterhaufen in Asche zerfallenden Leiche, von der eben nur noch verwischte Umrisse, zu sehen waren.
Eine innere Stimme, die vielleicht denen leichter begreiflich wird, deren Leben jahrelang in den menschenleeren Wildnissen des Erdrundes in innigster Berührung mit der Natur dahinfloß, warnte mich, diese Fremden hier als Weggefährten des Zufalls zu begrüßen, obwohl ich mir vorgenommen hatte, hier am Quins-River ebenfalls zu lagern und die Nacht zu verbringen.
Die Leute erregten meine Neugier in gleicher Weise, wie sie mir — und das war rein gefühlsmäßig — verdächtig erschienen.
Ich reimte mir unschwer zusammen, daß die vier Inder und die Europäerin (es konnte freilich auch eine sehr hellhäutige Eurasierin, ein Mischblut zwischen Inder und Europäer, sein) in der Wüste vor kurzem einen der Ihrigen durch den Tod verloren haben müßten, den sie nun hier als glaubenstreue Hindus einäscherten. Die vier Nevadaleute und die beiden Asiaten waren wohl ihre Führer in diesem ihnen fremden Lande.
Hier jetzt aus nächster Nähe offenbarte sich mir noch mehr: Die Pferde, Packpferde und die ganze Ausrüstung der Expedition waren vortrefflich und überreich. Es gab da Lagerzelte, die noch nicht aufgestellt waren, ferner Schlafmatratzen, Kochgeschirr, Spirituskocher und ein ansehnliches Arsenal von Waffen. Dieses schon wies mit aller Bestimmtheit darauf hin, daß die Reiter mit Genehmigung der Behörden sich in die Einöden hineingewagt hatten. Die Bestimmungen über Waffenbesitz sind in Nevada genau so streng wie in dicht bevölkerten Staaten, und nur die alte Weisheit „Wo kein Kläger, da kein Richter“ machte den Waffenschein zum Teil zu leerem Paragraphenspuk.
Was wollten die Leute hier?!
Goldsucher?! — Nein, — Ich sah nicht eine Spitzhacke, nicht ein einziges Goldgräberwerkzeug.
Ich hätte gewünscht, daß wenigstens die Nevadaburschen dort um die dampfenden Kessel und die beiden Chinesen — es waren doch Chinesen, nicht Japaner — durch ihre Unterhaltung eine der vielen Fragen gelöst hätten, die mir hier geradezu aufgedrängt wurden.
Aber sie blieben maulfaul und begnügten sich mit knappen halblauten Äußerungen der Geringschätzung, die vielleicht nicht so böse gemeint sein mochten, und die wohl mehr dem Ärger entsprangen, noch immer nicht in ihr Zelt kriechen zu können. Die Leute gähnten, tranken Kaffee, rauchten und schienen trotz allem die Inder und die fremde Frau zu respektieren, denn als der Älteste der Schmalbrüstigen, dessen dunkler Bart bereits graue Streifen zeigte, noch mehr Brennholz verlangte, erhoben sie sich sehr eilig und fällten in kurzem ein Dutzend Kiefern und trugen die Stammstücke ebenso eilig herbei.
Ich konnte nur annehmen, daß sie als Führer sehr gut bezahlt würden.
Diese immerhin eigenartige Szene am nächtlichen Quins-River, der in seinem breiten, steinigen Bett nur ein dünnes Rinnsal über bemooste Blöcke gleiten ließ, wurde völlig unerwartet durch einen Zwischenfall gestört, der mir allerhand zu denken gab.
Die Frau hatte plötzlich die Hände sinken lassen, war von dem Felsen gewandt herabgestiegen — ich sah nur ihr feines Profil mit zart gekrümmter Nase und großen Augen und starken, dunklen Brauen —, und trat dicht an den Scheiterhaufen heran. Eine Stimme, die hell und klar das Knistern und Knallen der Scheite übertönte, begann in einer mir fremden Sprache in höchster Erregung etwas wie ein Gebet oder einen Schwur zu sprechen und weckte dadurch am Südufer in den dunklen Klüften ein unheimliches Echo.
Die Frau, obwohl im Sportanzug und in weiten Reithosen, verbreitete mit ihrem leidenschaftlichen Organ eine gänzlich veränderte Stimmung. Mochten ihre Arm- und Handbewegungen auch eine gewisse Beherrschung zeigen, — der kraftvoll zurückgeworfene Kopf und die Begleitumstände, die Beleuchtung, der brennende Holzstoß und die jetzt stumm und starr die Frau andächtig und ergriffen musternden Inder sowie das scheue Schweigen der sechs anderen Leute gaben dem Gesamtbild etwas schwer zu deutendes Furchterregendes und vollkommen Ungewöhnliches.
Es war kein Gebet, das die Frau so temperamentvoll den Sternen anvertraute, — es war ein Racheschwur, und die Überzeugung, daß der unbekannte Tote das Opfer eines Verbrechens geworden, befestigte sich in mir immer stärker. Der wilde Fanatismus, der in den Augen der Inder und der Frau zu glühen begann, warnte mich rechtzeitig, und der scharfe Befehl des seltsamen jungen Weibes an die vier Nevadaleute, der dieser leidenschaftlichen Haßfanfare unmittelbar folgte, trieb mich eilends zurück zu meinen beiden Tieren. Der Befehl verlangte nichts anderes, als die Umgebung sorgfältig abzusuchen und nachher die Wachen auszulosen. Auch jetzt gehorchten die sehnigen Burschen mit einer Dienstbeflissenheit, die nochmals auf äußerst reichliche Bezahlung hindeutete. Ich kam gar nicht schnell genug über den Fluß, und ich war froh, als ich erst im Sattel saß und in einer Talmulde nach Westen davonreiten konnte. Meinem Vorhaben wäre es höchst ungelegen gekommen, wenn ich etwa hier durch diese rätselhafte Expedition längere Zeit aufgehalten worden wäre. Mein Ziel war die Insel im großen Boraxsee, und das Geheimnis, das den dort nunmehr feierlich bestatteten toten „Heiligen“ der Sekte der Berufenen umgeben hatte, erschien mir wichtiger und verheißungsvoller als ein Zusammentreffen mit den Indern und ihrer temperamentvollen Anführerin, die jedenfalls kein Weib von alltäglicher Art sein konnte.
Erst nach einer Stunde scharfen Galopps lagerte ich unweit der Stelle, wo der spärliche Quins-River bereits von Salztümpeln und zerklüfteten Felshügeln umrahmt ist. Ein sicheres Versteck für uns drei war schnell gefunden, Füchslein Krake wurde am Eingang des steinigen Verhaus angeseilt, auf ihn war Verlaß, — — ich schlief ein …
Erwachte …
Es konnten kaum drei Stunden verstrichen sein, der Mond war bereits verschwunden, und die frische Kälte des nahenden jungen Tages machte sich unangenehm bemerkbar. Krakes emsiges Zerren an dem Lasso und nicht minder eifriges Scharren mit den Vorderpfoten sowie die schief nach vorn gestellten Ohren waren genau so bedenkliche Anzeichen wie die Unruhe meines Rappen, der den feinen Kopf andauernd hin und her drehte und die Luft hörbar einsog.
Ich sprang auf, griff nach der Repetierbüchse und duckte mich neben Krake zwischen die Steine. Die Felsen, die uns Zuflucht geboten hatten, öffneten sich nach Süden, und so erkannte ich denn weiter links, wo der Fluß bereits reines, salzfreies Wasser führt, einen einzelnen Mann, der mit unbeholfenen Bewegungen sein Pferd tränkte und dann einen nassen Verband um den linken Vorderarm mehrmals erneuerte.
Dabei benahm der Fremde sich so überaus vorsichtig, daß er die Umgebung nie völlig unbeachtet ließ und mit seitlich geneigtem Kopf so und so oft regungslos blieb, um jedes verdächtige Geräusch aufzufangen. Als er sich dabei einmal halb umwandte, bemerkte ich, daß ich eine Frau vor mir hatte, die einen jener feinen Hirschlederanzüge trug, die noch heute von den Weibern der zivilisierten Rothäute Nevadas so überaus praktisch, zierlich und durch Perlen geschmückt für durchreisende Touristen angefertigt werden.
Sie bestieg dann ihr Pferd, nahm die Büchse über den Sattel und verschwand nach Nordosten zu in den Ufereinschnitten. Ich wartete eine Viertelstunde, benutzte diese Zeit zu eiligem Morgenimbiß, sorgte auch für meine Tiere und folgte der Einsamen, deren Fährte ich nordwärts in der flachen Sandwüste unschwer bei dem ständig zunehmenden Tageslicht im Auge behalten konnte. — —
All das war Vorspiel zu anderen, weit stürmischeren Ereignissen, in denen die bisher nur grob skizzierten Personen mich zwangen, handelnd in ihr unklares Treiben einzugreifen.
Ich habe bereits eingegriffen.
Während ich diese Zeilen zu Papier bringe, glühen drüben auf der Insel die beweglichen Pünktchen von Laternen, und Frau Helen Garwards Helfer durchsuchen Meter um Meter das Felsgeröll und die Steilwände des zerklüfteten Eilandes nach dem umfangreichen Testament eines enttäuschten, verbittert gewesenen Menschenverächters, der dann trotz all seiner traurigen Erfahrungen hier im fremden Erdteil doch wieder eine reine Lehre der selbstlosen Nächstenliebe predigte und abermals kläglich enttäuscht wurde.
Hinter mir auf dem Lager von Moos, Gräsern und Wolldecken regt sich im Wundfieber die andere Frau, deren straffer Leib in diesen wenigen Tagen fast zum Skelett abgemagert ist.
… Es wird Zeit, die Kompressen zu erneuern.
Ich habe um dieses mir fremde Menschenwesen gegen den Tod mit verbissener Energie gekämpft und hoffe, gesiegt zu haben. Das Fieber ist gesunken, die eiternde Wunde des Armes wird verheilen.
Meiner Laterne grelles Licht fällt unterhalb der Steinstufen auf einen plumpen, hölzernen Kahn und glitzerndes Wasser. Daneben steht der arme Rappe, der es genau so schlecht hat wie Füchslein Krake und diese Grotte vorläufig nicht verlassen darf. Vier Tage hausen wir bereits hier.
Immerhin, wir sind geborgen, und wenn Frau Helen Garward mit ihrem Troß abgezogen sein wird, dürften auch mein Schützling und meine Tiere die Sonne wiedersehen, die jetzt nur am Tage so knappe Stunden und in so dünnen Streifen durch die natürlichen Fenster dieses ehemaligen Bootshafens der „Berufenen“ in unser Versteck fällt.
— Menschen wandern ein ganzes Leben über Pfade, die ihnen vorgezeichnet scheinen. Sehen nicht an den Wegrändern die unauffälligen Merkzeichen, die ihr Dasein aus dem Einerlei des Alltags emporführen könnten zu den lichteren Höhen einer bescheidenen, die Selbstsucht, die Raffgier überblendenden Romantik. Menschen wandern, wandern … Der blühende Baum, die frische Wiese, die Schönheiten der Natur bedeuten ihnen nichts. Der verpestete Odem der Städte zermürbt ihr Hirn, das Große, Schöne, Edle suchen sie in den Gefilden ihres Götzen und glauben, daß das Geld Wertmesser für alles sei. Wohl denen, die irgendwie draußen am Rande der Millionenstädte dieser geheimen Piratennester ein Fleckchen grüner Erde gefunden haben, auf dem ihnen der Gesang einer Drossel und die kleine Ernte kleinen Besitzes einen Schimmer dessen ins Herz gießt, das die freie Natur so verschwenderisch spendet: Romantik der unbegrenzten Weite einer durch nichts eingeengten Natur und ihrer Geschöpfe und ihrer gesegneten Pflanzenwelt …!
… Meine Patientin regt sich …
Ich spiele Pfleger.
Einer matten Frau blutleere Lippen flüstern scheu ein Dankeswort.
2. Kapitel.
Antoinette.
… Vielleicht war es damals einer der heißesten Vorherbsttage jenes Jahres, vielleicht hat die erbarmungslose Sonne noch nie so glutheiß über dem Steinmeer jenes Hochplateaus gebrannt, vielleicht flimmerte die erhitzte Luft noch nie so brodelnd über jener Einöde nördlich des Quins-River wie an jenem Nachmittag.
Wir drei hatten die Fährte der Frau, die immer einige Meilen vor uns gewesen, trotz Krakes glänzender Nase seit Stunden verloren. Die einsame Reiterin hatte bewiesen, daß sie in der Kunst, Verfolger irre zu führen, außerordentlich bewandert gewesen sein mußte. An einem jener salzigen, endlosen Tümpel, die mit ihren hellen Rändern und schimmernden kristallisierten Salzstücke winterliche Eisbildung vortäuschten, war die Spur plötzlich wie weggezaubert. Erst später fand ich durch die Fieberphantasien der Kranken hierfür eine Erklärung: Die Frau hatte das tollkühne Stücklein gewagt, vom Ufer auf eine große Salzscholle mit ihrem Pferde hinüberzuspringen und den Sumpf auf schmalem Streifen festen Bodens zu überqueren, der drüben an eine kahle Felszunge stieß.
Eine volle Stunde verloren wir durch dieses nutzlose Suchen, dann erst gab ich die Sache auf, wir bogen wieder nach Norden ein und erreichten das grausame, erstickende Plateau: Steingeröll, Sandstreifen, kahle Felsen, wieder Steingeröll, mitten darin wie etwas Unwirkliches ein grüner Streifen, eine fruchtbare Senkung, — drei elende Hütten, klägliches Vieh, — — eine Nevada-Farm allerärmster Art, so ärmlich, daß man kaum begriff, wie Menschen den Mut fanden, hier ihr Dasein zu fristen.
Keine Menschenseele außerhalb des Wohnhauses mit den übergroßen Fenstern aus mattem Naturglase: Boraxglas, irgendwo in den Steinschluchten gefunden, Überbleibsel vulkanischer Tätigkeit, — undurchsichtig, aber doch lichtdurchlässig. Salzlava könnte man es nennen.
Unter einem offenen Steinschuppen stand ein gesattelter Gaul zwischen vier abgetriebenen Kleppern, die, von der Feldarbeit und der Sonne erschöpft, den Fremdling nur faul beschnupperten.
Es war das Pferd der Frau.
Ich ritt bis zur Tür, ich sah drüben zwei Maultiere mit verbundenen Augen im engen Kreise dahinschreiten und ein primitives Pumpwerk, das die Felder mit Wasser versorgte, in Gang halten. Unter einer Art Hundehütte lag ein strohblondes, halbwüchsiges Mädel mit langer Peitsche und versetzte den Maultieren regelmäßig einen schwachen aufmunternden Hieb. Mich glotzte das Mädchen wie ein Gespenst an und kroch tiefer in ihr Sonnenzelt hinein.
Die Tür des Farmhauses tat sich auf, und auf der Schwelle stand ein gebeugter älterer Mann mit gleichgültig-mürrischem Stoppelgesicht.
Ich begrüßte ihn höflicher, als es sein glanzloser, hinterhältiger Blick verdient hatte, warf ihm ein paar Goldkörner zu und bat um Trinkwasser für mich und meine vierbeinigen Freunde.
Der Mann reichte mir die Bezahlung wortlos zurück, hob die mageren Schultern und wollte die Tür wieder schließen.
Ich war schneller aus dem Sattel und schneller im Flur, als er es gedacht, und die beiden abgearbeiteten Frauen und ein jüngerer Bursche, die im Hintergrund Zuschauer gespielt hatten, flohen eilends in eine verräucherte Stube, die zugleich Küche war, und doch etwas sehr Angenehmes an sich hatte: Sie war blitzsauber, obwohl die Deckenbalken geschwärzt und die Einrichtung mehr als dürftig war.
Hier lag die Fremde auf dem Boden, schwer fiebernd, sich vor Schmerzen windend und heisere Worte murmelnd.
Die Farmleute mochten mich zuerst für einen der Feinde der Fremden gehalten haben. Scharfe Fragen brachten allmählich die Wahrheit heraus: Die Frau war mühsam bis hierher gelangt, hatte die Leute gebeten, sie zu verbergen und zu pflegen und ihnen hundert Dollar im Voraus geschenkt.
Ich untersuchte den Arm. Eine Kugel hatte das dicke Fleisch des linken Unterarmes zerfetzt, es konnte nur ein Geschoß mit abgefeilter Nickelmantelspitze gewesen sein, eine Dum-Dum-Kugel. Die Wunde eiterte, der Arm war bis zur Schulter geschwollen und verfärbt, die Haut glasig, und das Fieber mußte die Reiterin urplötzlich überfallen haben.
Ich fand nicht viel Hilfe bei diesen mehr als schlichten Hinterwäldlern, nur die jüngere Frau zeigte sich etwas gewandt, und nachdem wir den Schußkanal gründlich ausgewaschen hatten, legte ich einen neuen Verband an und reichte der Leidenden in lauwarmem Wermuttee eine Tablette gegen das Fieber.
Die verbissene Schweigsamkeit der beiden männlichen Familienmitglieder — Vater und Schwiegersohn — klärte sich sehr bald auf: Beide Männer hatten mit zu der Sekte der „Berufenen“ gehört und mochten auch mit dabei gewesen sein, als das Verbrechernest auf der Insel ausgehoben wurde. Sie bestritten dies natürlich, aber ich war überzeugt, daß sie mich wiedererkannt hatten und daß ich ihnen hier höchst unbequem war, da es bei der Fremden wohl so allerlei zu erben gegeben hätte.
Immerhin brauchte ich nur etwas energisch zu werden, und der gesamte Inhalt der Taschen und der Satteltaschen der Frau kam wieder zum Vorschein. Um ein erträgliches Verhältnis zwischen mir und den Finsterlingen zu schaffen, schenkte ich ihnen noch eine Hand voll Goldkörner, und als die Nacht nahte, brach ich mit der Kranken, die ich unbedingt aus dieser fragwürdigen Umgebung entfernen mußte, bei zunehmender Abendkühle nach Norden auf. Die Papiere, die ich jetzt bei mir trug und die — zum Glück — zumeist in französischer Sprache abgefaßt waren, hatten mir diese Antoinette de Bastingar als ein freilich noch sehr dünnes Bindeglied zwischen dem toten „Heiligen“ und den Indern gezeigt. Wenn die Farmer die Papiere hätten lesen können, würden sie wohl alles daran gesetzt haben, die Frau vor mir zu verbergen.
Genug: Ich ritt gen Norden, Antoinette saß im Sattel ihres Pferdes, an dem eine Rückenlehne angebracht war, und mit einer Halbtoten erreichte ich am Morgen den See, fand die Grotte am Ostufer, den geheimen Bootshafen, unversehrt vor, bemühte mich um die Leidende und erübrigte am Tage nur wenige Stunden zu einer gründlichen Durchsuchung der ausgedehnten Hohlräume der Insel, wo der „Heilige“ hinter dem großen Betsaal zwei kleine Grotten bewohnt hatte, denen ich hauptsächlich Beachtung schenkte.
Wenn der geheimnisvolle Greis, der hier an Altersschwäche verschieden war, überhaupt Aufzeichnungen hinterlassen hatte, mußten sie hier zu finden sein.
Ich fand sie. Weder in einem Versteck des Felsbodens noch der Felswände, sondern in einer Spalte der Höhlendecke, die sehr geschickt durch einen länglichen Steinsplitter verschlossen war. Hätte dieser Verschluß sich nicht durch die Farbe von dem übrigen Gestein etwas abgehoben, würde ich niemals das zusammengebundene Manuskript entdeckt haben.
Vier Stunden später trafen die Inder ein, und fortan wagte ich es nur nachts, aus einer nahen natürlichen Zisterne Wasser zu holen und in den östlichen Schluchten dürres Gras für den Rappen zu sammeln und für uns andere durch mühselige Steinwürfe hin und wieder einen Junghasen oder einen Präriehund zu erlegen. Hätte Antoinette in ihren Satteltaschen nicht einige Büchsen guter Fleischkonserven mit sich geführt, so wäre es mit der Krankenkost noch schlechter bestellt gewesen.
Es kamen jene Tage, in denen ich gegen den Sensenmann um Antoinette kämpfte, in denen der vergiftete Leib, das geschwächte Herz zu streiken drohten und meine Patientin einer Verscheidenden glich.
Die kühle feuchte Grotte war kein Krankenzimmer, aber trotz alledem siegte schließlich dieser zähen Frau zäher Körper, und heute ist die Gefahr überwunden. —
Das leise Wort des Dankes beantwortete ich mit einem väterlichen Streicheln der nußbraunen Haarwellen, und dann kauerte ich neben dem Lager und hielt Antoinettes Hand und wagte zum ersten Mal von Dingen zu sprechen, die auch mich angehen.
Füchslein Krake sitzt mit gespitzten Ohren dicht dabei. Er hat sein Herz — seine Schwäche — bereits wieder zum Teil an unsere Kranke verschenkt, und sein pfiffiges spitzschnäuziges Gesicht hat, könnte man sagen, einen kavaliermäßigen Ausdruck, der vielleicht mehr durch die etwas zurückgeworfene Kopfhaltung unterstrichen wird.
Meine Frage verwirrt Antoinette.
Ich will sie nicht unnötig aufregen, und füge daher abschwächend hinzu: „Es genügt mir ja vollkommen, wenn Sie mir bestätigen, daß einer des Indertrupps Sie verwundete. Ich muß meine weiteren Entschlüsse danach einrichten.“
Selbst jetzt scheint ihr die Antwort Unbehagen zu bereiten.
„Es wäre besser für uns alle, wenn Sie sich überhaupt nicht einmischten, lieber Freund. In dieser Sache sich für diese oder jene Partei zu erklären, ist sehr schwer. Die Verhältnisse liegen so eigenartig, daß Sie mich, falls Sie die Gegenseite sprechen hören, vielleicht als im Unrecht befindlich ansehen würden, obwohl …“
Und dann schwieg sie, eine zarte Blutwelle stieg ihr in das trotz der Krankenblässe und Abmagerung immer noch reizvolle Antlitz, und ein müder Seufzer schien mich zu bitten, diese Dinge überhaupt ruhen zu lassen.
Das durfte nicht sein.
Ich liebe klare Verhältnisse. Sogenannte rücksichtsvolle Geheimniskrämerei oder alles das, was hiermit irgendwie geistig verwandt, bleibt stets nur die brüchige Schanze schwacher Naturen. Ein derbes Wort schafft klarere Luft als das vielgewundene Phrasengesäusel jener Sorte von Halbmenschen, die allzeit nur an Rückendeckung und an eine Rückzugslinie denken.
„Also hat man Sie verfolgt, Antoinette — Sie schossen einen der Inder bei ehrlichem Kugelwechsel nieder, und eine unehrliche Kugel zerfetzte Ihren Arm. Wer Dum-Dum-Geschosse benutzt, ist ein Lump.“
Sie wandte den Kopf zur Seite, drückte aber meine Hand und seufzte wieder.
Ich gab mich hiermit zufrieden. Der eine Punkt war jedenfalls geklärt.
„So, und nun bekommen Sie eine Dosis Schlafmittel“, meinte ich absichtlich in leichtem Plauderton, „und Sie werden dann schlafen, Antoinette. Morgen dürften Sie sich dann bereits viel frischer fühlen.“
Alle Förmlichkeiten zwischen uns waren ausgeschaltet worden. Wie dies auch kaum anders sein konnte, wenn ein Mann eine Schwerkranke tagelang unter so primitiven Verhältnissen vollständig versorgt. Jede Prüderie muß da schwinden, und Antoinette war in dieser Beziehung ein sehr verständiger Mensch.
Was sonst von ihr zu halten sein mochte entzog sich meiner Beurteilung. Menschen richtig einschätzen, ist nicht Augenblickssache, und Frauen nicht zu überschätzen, ist Sache langer Erfahrung.
Antoinette trank, und dann lauschte ich noch eine Weile ihren Atemzügen und überlas dabei meine bisherigen Aufzeichnungen, schrieb hier und dort eine Randbemerkung dazu und ließ mir die Einzelheiten des Vorspiels nochmals durch den Kopf gehen.
Sie waren absonderlich genug. Sie waren, wenn man das Tagebuch des Heiligen hinzunahm, ein unbegrenzter Romanstoff, der seinen stark abenteuerlichen Einschlag durch Antoinettes Papiere erhielt.
Es wird Zeit, auch hierüber einiges zu sagen.
3. Kapitel.
Roger de Bastingar.
… Hierüber und über diesen Bootshafen der Berufenen, über unser Versteck …
Es gibt kaum eine trostlosere Bergwildnis als diese Umgebung des großen Boraxsees. Wenn der Maler des leisen Grauens düsterer Stätten noch lebte, — hier würden sich ihm Motive bieten, die unerschöpflich wären.
Vor Jahrzehnten, als der greise Heilige in diesen Gegenden auftauchte und eine Religionsgemeinschaft reiner Liebe schaffen wollte, erwählte er, damals wohl noch körperlich und geistig recht rüstig, die zerklüftete Insel zum Mekka seiner Gläubigen. Einer seiner Anhänger, ein Siedler vom Pueblo-Fluß, mag ihm die Insel hierzu vorgeschlagen haben, deren weite Grotten Raum für Hunderte boten. Später, nachdem dieser selbstlose gütige Prophet nur noch Gefangener einer Rotte dunkelster Ehrenmänner geworden, suchten diese nach Verstecken in den Uferwänden, damit sie ihre Flachboote verbergen könnten. Sie fanden diese Wasserhöhle hier, die, nur von einer engen Seitenbucht zugänglich, sehr leicht durch Steinplatten verschließbar war. Die drei Verschlußplatten reichten tief unter den Wasserspiegel hinab, und ein Unkundiger wird niemals ahnen, daß hier in der Felswand Leute hausen und daß zwei Tiere die Sonne herbeisehnen — wie ich, wie Antoinette, und Antoinette als Genesende am meisten.
Einrichtung — — Möbel?!
Nichts.
Mein Tisch: Stein!
Mein Schreibsessel: Stein, mit einer Decke und mit Gras belegt.
Im übrigen als Wandschmuck zwei Wolldecken vor den natürlichen Fenstern, die nach der Insel zeigen.
Dazu eine Karbidlaterne von früher her, vier Blechdosen Karbid, und unser Gepäck und unsere Lagerstätten und des Rappen ungemütlicher Pferdestall.
Das ist alles.
Hier hausen wir nun — ich rechne nochmals nach — genau fünf Tage.
Und fünf Tage wühlten die Inder da drüben in dem Geröll der Insel, fahren zuweilen auch mit ihrem Flachboot über den See, sehr oft bemerkte ich die blonde Helen Garward, die einsam auf irgend einer Kuppe im Abendrot sitzt und vor sich hin starrt und sich um ihre Hoffnungen betrogen sieht. Am meisten liebte sie den Berg im Süden, wo auf flachem Plateau der Heilige und mein roter Freund Koipato begraben liegen: Zwei Steinhügel, belegt mit Felsplatten, würdige Ruhestätten für zwei edle Geister, die nie durch Geist blenden wollten, die keine Schwätzer waren, nur eben gute Menschen.
Und wenn ich diese Urenkelin des Heiligen dort droben regungslos, als Statue im Sonnenrot, sitzen sehe, quellen immer wieder die Fragen in mir hoch, die sich nicht zurückdrängen lassen, weil sie den Kern der Dinge umspielen.
Was weiß ich?!
Ich weiß, daß ein Hindu im Staate Nevada am Quins-River feierlich eingeäschert wurde und daß vorher ein Kampf stattfand zwischen Frau Antoinette de Bastingar, einer Schweizerin, und diesen Indern samt ihren Führern und chinesischen Köchen.
Köche sind die Chinesen, Diener Helen Garwards, die indisches Blut in den Adern hat. Auch das weiß ich nun.
Und Antoinettes Papiere? — Ein Paß, dann Briefe, von denen die Briefköpfe und einzelne Stücke abgeschnitten sind. Diese Briefe in fließendem Französisch enthalten lediglich Winke für Antoinette, wo „Er“ zu finden sei.
Immer steht da nur „Er“, und gemeint ist der greise Heilige, der zweifellos aus Indien nach Amerika kam. Nur in einem dieser Schreiben, die sämtlich die Handschrift eines Mannes von zweifellos sehr energischem Charakter zeigen — die Schrift hat geradezu etwas Gewalttätiges —, ist der Name des Propheten genannt, jedoch nachher dick durchstrichen worden, so daß ich lediglich raten mußte: — — etwa: Sabranat Tismoravi.
Gewiß, Antoinettes wilde Fieberphantasien und abgerissenen Selbstgespräche im halben Dämmerzustand bestärkten mich noch in der Überzeugung, daß der Name wirklich so lautete und er der des Heiligen sei. Auf dieselbe Weise gab meine Patientin noch manches andere preis: Sie ist mit der ganz bestimmten Absicht hierher gekommen, ebenfalls Sabranats Tagebuch zu suchen und es vor der Gegenpartei in Sicherheit zu bringen.
Diese Gegenpartei spielt in den Briefen eine große Rolle. Der Name Helen Garward findet sich häufiger, daneben ein Mann namens Dauli Giwir (dieser Giwir klingt schon an sich recht giftig), und vor Giwir wird Antoinette verschiedentlich gewarnt. — Trotzdem könnte ein Fernstehender aus diesen Brieffragmenten (der Stil ist ungekünstelt, fast derb-sachlich und entspricht der Handschrift) gar nichts entnehmen, da sorgfältig „Nevada“, „Pueblo-Berge“ und sonstige Wegmarken nur durch geschickte Umschreibungen genannt sind.
— Das wäre also Antoinettes Mission — Frau Antoinettes. Ob sie noch verheiratet ist, ob Witwe, ob getrennt Lebende, — — keine Ahnung! Ich mag nicht fragen, und sie schweigt sich aus.
Und Sabranat Tismoravis Testament?!
Auch diese Aufzeichnungen stellen in ihrem wichtigsten Teile ein vollkommen undurchsichtiges Wortgefüge dar. Ich habe die Blätter neben mir liegen, packe sie jedoch wieder weg, Antoinette schläft ganz fest, und da mir noch vier volle Nachtstunden verbleiben, habe ich genügend Bewegungsfreiheit, einmal den Herrschaften da drüben eine heimliche Visite abzustatten. Die Nacht ist günstig, der Himmel bedeckt, die Dunkelheit mir sehr erwünscht, — wollen sehen, ob man nicht irgendwie dahinter kommt, um was es hier eigentlich geht. Geldeswert, Schätze?! — Ausgeschlossen! Es muß sich um andere Werte handeln, und da mag sich ein ganz Weiser den Kopf zerbrechen, was es sein könnte. Man reist doch nicht von Indien bis Nevada, um einen Urgroßvater zu besuchen! Mag Helen Garward noch so viel Gemüt besitzen — und daß sie es nicht besitzt, ist durchaus nicht erwiesen! —, eine solche Expedition, wie diese Eurasierin mit den dunklen Glutaugen sie zusammenstellte, kann nicht lediglich rein gefühlsmäßigen Zwecken dienen.
Nehme ich an.
Und … lege meine Schreiberei in den Zinkkasten und diesen in das übliche Versteck, binde Füchslein Krake an die Leine, greife nach meinen Waffen und schiebe leise die eine Steinplatte zur Seite, stehe bis zu den Hüften im Wasser, schließe die Platte wieder, äuge ringsum, fühle den sanft tröpfelnden Regen und den kalten Luftstrom der Nacht, der vom See herüberstreicht, und jene Freude am Abenteuer quillt in mir empor, die vielleicht echtes Kennzeichen starken Mannesmuts sein mag …
Meine Augen gewöhnen sich an das regenverschleierte Dunkel, meine Ohren vernehmen neben dem leisen Klingen der aufschlagenden Tropfen in dieser raunenden, wispernden Stille deutlich fremde Geräusche, die nichts mit dem üblichen eintönigen, Sicherheit kündenden Klängen dieses Nocturno zu tun haben.
Ein Boot …
Geräusch von plumpen Rudern, die sehr behutsam bewegt werden.
Ich sinke zusammen wie ein Schatten, den der schmale Felsgrat der Uferwand verschluckt, und krieche vorwärts, sehe drüben die Lichter auf der Insel sich ruhelos bewegen, — sogar bei diesem Wetter hetzt Helen Garward ihre Leute durch die Schluchten in unermüdlicher Suche.
Über dem Salzsee liegt trotz der Finsternis jener schwache Glanz, der an gehämmertes Blei erinnert, und durch die kaum wahrnehmbare Spiegelfläche schiebt sich das Flachboot der Gegenpartei, in dem ein einzelner Mann hockt, mehr klein als groß, dazu schmal gebaut, aber mit eisernen Muskeln, sonst könnte er unmöglich die Ruder so leicht handhaben und so geschickt die Ruderblätter durch die salzige Flut ziehen.
Einer der Chinesen der Mem Sahib (Frau, Weib) Helen Garwards ist es, Urenkelin von Sabranat Tismoravi, ehemals Fürst von Ransawar, einem Staatsgebilde gänzlich unbekannter Größe oder besser Winzigkeit …! — Auch dies ist nur angedeutet: Tismoravi, der Heilige der Berufenen, war einstmals ein indischer Despot. Was man so Despot nennt: Wenn seine Untertanen ein Parlament und einen Staatsrat mit allem Drum und Dran, mit Ministern, Staatssekretären, Ministern ohne Portefeuille und einem Heer von Beamten gewählt hätten, wäre die Zahl der erwachsenen männlichen Bewohner von Ransawar wohl erschöpft gewesen.
Der Chinese in dem breiten Nachen ist der Leibkoch Miß Helens. Auch das habe ich schon herausgebracht, da der Asiate sich am Tage zuweilen in blendend weißer Schürze und ebenso blendender Konditormütze am Inselufer zeigt und seine Wäsche eigenhändig im Boraxsee reinigt.
Waschanstalten gibt es hier nicht, und ein Plätteisen wird durch ein Felsstück ersetzt, das lange genug in der prallen Sonne gelegen hat.
Der Herr Koch scheint auf Krebsfang auszugehen.
Armer Heide, in diesem Boraxsee kann kein Lebewesen, kein Pflänzchen gedeihen, und deine frisch gewaschenen Hemden und Schürzen werden, sobald sie trocken sind, steif wie Bretter von den Salzkristallen geworden sein! Meine Hosen wissen auch ein Lied davon zu singen.
… Scherz bei Seite. Der Mann sucht weder Krebse noch Flundern oder Aale, — — er sucht Krabben, eine Krabbe, deren Versteck er wohl irgendwie aufgespürt hat: Meine braunhaarige, braunäugige, eben erst genesene Antoinette. — Entschuldigen Sie, chère amie1, daß ich Sie mit einer niedlichen Krabbe zu vergleichen wage, aber Sie sind mehr als niedlich, Sie sind süß, zart, formvollendet, — — ich muß das wissen, auch Naturärzte kennen ihre Patienten.
Mein Sohn, denke ich weniger scherzhaft, wenn du unsere Grotte zu finden hoffst, wenn irgendwie ein verräterischer Lichtstrahl in deinem Chinesenhirn gewisse Vermutungen weckte die du offenbar vorläufig für dich behalten hast, sonst wärest du nicht Solist in deinem Sculler, dann dürfte deine Mem Sahib vorläufig ohne ihren Koch auskommen müssen.
Mein Freund, nur noch zwei Meter näher heran, und ich verspreche dir, daß du mit dem Aussteigen aus deinem Passagierschiff keinerlei Mühe haben wirst …! —
So handlich wie der Koch Mingfu sich da für einen raschen Gurgelangriff zurechtgesetzt hatte, wurde mir es selten geboten. Mingfu wiegt auch kaum hundertzehn Pfund, und ihn emporzulotsen, bereitete keinerlei Schwierigkeiten. Sein Sculler war ebenso rasch vertäut, und da Mingfus Luftknappheit nur vorübergehender Natur war, konnte ich ihn in unserem Versteck sehr bald ins Gebet nehmen.
Erstaunlich: Der magere Sohn des Himmels grinste mich sehr vergnügt an, obwohl die Mündung der Pistole ihm kräftig die Rippen kitzelte.
Ich hatte doch schon so manchen Schlitzäugigen kennen gelernt und den erhabenen Gleichmut dieses Volkes selbst angesichts des Henkerschwertes bewundert. Mingfu schoß in dieser Hinsicht den Vogel ab. Er lächelte, schaute sich voller Interesse in der Grotte um, betrachtete längere Zeit die fest schlafende Antoinette, und fragte dann sehr höflich:
„Frau bald gesund sein, — he, Mister?“
Dieses eingeflickte „He“ scheint eine unvermeidliche Sprachbereicherung aller Chinesen geworden zu sein, die das Englische leidlich beherrschen.
Im Grunde war seine Frage ungeheuer unverschämt. Er mußte doch am besten wissen, durch welche Art von Kugel Antoinette so übel zugerichtet war.
„Ja, sehr bald“, meinte ich keineswegs höflich, „und trotzdem wirst du dafür mit aufgeknüpft werden, mein Sohn. Mitgefangen, mitgehangen.“
Er schüttelte energisch den schmalen Schädel, zeigte all seine oberen gelben Hauer und sagte mit verblüffend liebenswürdiger Frechheit:
„He, — wie wäre das, wenn Mister die Frau mal wecken? Mingfu gerne reden mit ihr.“
Mir blieb eine Weile die Sprache weg. Mingfu fiel mir auf die Nerven.
Äußerst eilig fügte er schon hinzu:
„Frau mich gut kennen, Mister, und ich nur fahren von Insel herüber, um dies zu bringen …“ Er faßte blitzschnell in die Tasche und legte ein Päckchen vor mich hin, das ich schon an der Staniolumhüllung und dem roten Kreuz des Firmenschildchens als aus einer Reiseapotheke stammend erkannte.
„Da sein drin Jodoformgaze, Jodoformpulver und Fiebertabletten“, erörterte er schlicht.
Ich roch das Jodoform trotz der festen Tropenverpackung, und der Koch Mingfu durfte sich an meiner neuerlichen Überraschung weiden.
„He, — was nun sagen, Mister?! — Ich denken, Pistole einstecken und reden mit mir wie mit gut Freund, — da, — — Frau sein wach geworden, dies sehr richtig“ — — er war verblüffend schnell neben Antoinettes Lager, ergriff ihre rechte Hand und drückte sie demütig kniend an Stirn und Brust.
Leider wurde die Begrüßung durch den sehr irrig informierten Krake gestört, der sogar mich zuweilen anknurrte, wenn ich mich gezwungen sah, Antoinette etwa in die Arme zu nehmen, sobald ich ihre Lagerstätte weicher aufschütteln wollte.
Krake fuhr Mingfu in die leineenn Hosen, und wenn diese Beinbekleidung nicht so unendlich weit gewesen wäre, hätte Füchsleins Gebiß noch ein Stück Wade geschnappt.
Mingfu störte der Angriff nicht. Er redete in einem fort im förmlichen Galopptempo auf meine Patientin ein, die ihn geradezu freudestrahlend anstarrte und für mich oder Krake nicht einen Blick mehr übrig hatte.
Ich horchte genauer hin.
Traute meinen Ohren nicht: Mingfu sprach französisch, — sogar flüssiger als englisch, und lediglich die Wortstellung in seinen Sätzen war mangelhaft.
Was ich da von diesem durch die üblichen chinesischen Zischlaute durchsetzten Rekord im Schnellreden aufschnappte, war sehr wenig und verriet mir nur, daß Mingfu sich offenbar absichtlich an Helen Garward herangedrängt hatte, um für Antoinette Spion zu spielen.
Spion klingt häßlich. Man braucht trotzdem Spione, sowohl im Frieden wie im Kriege, und hier herrschte Krieg, hier bekämpften sich zwei Parteien, von denen Antoinette zweifellos die schwächere war, denn sonst hätte sie sich wohl kaum ohne Begleitung in die Nevada-Einöden hineingewagt und dabei ihr Leben aufs Spiel gesetzt.
Die knappen Bemerkungen, die Antoinette einstreute, wurden so leise geflüstert, daß sie mir über Einzelheiten dieses eiligen Meinungsaustausches keinerlei Aufschluß gaben. Ich mochte auch nicht aufdringlich erscheinen, beschäftigte mich mit Krake, den ich am Lasso neben mich gezogen hatte, und wartete geduldig ab, bis die beiden dort hinter mir über Dinge, die ich nur unklar ahnte, sich geeinigt hätten.
Antoinette rief mich leise an.
„Olaf, — bitte, lassen Sie doch Mingfu sofort wieder ins Freie, bevor der Regen etwa aufhört, und er der Gefahr einer Entdeckung weit mehr ausgesetzt ist als jetzt.“
Hierin mußte ich ihr beipflichten.
„Sofort …“, nickte ich und wurde abermals Zeuge, wie Mingfu sich in ehrerbietigster Art von meiner Gefährtin verabschiedete.
Als wir draußen den schmalen Felsgrat über dem vertäuten Bretterkahn erreicht hatten, glitt Mingfu sehr flink in das Boot hinab, raunte mir einen höflichen Dank zu und paddelte davon.
Der Regen fiel noch dichter als bisher. Die Dunkelheit war so groß, daß der Nachen und der Chinese im Nu von der Finsternis verschluckt waren.
Dieser kurze Besuch Mingfus hinterließ bei mir mehr den Eindruck eines flüchtigen Traumes. Es war so viel Unwirkliches dabei, so viel Unwahrscheinliches, daß ich bei meiner Rückkehr in die Grotte zunächst schon allein durch Antoinettes Lebhaftigkeit beunruhigt wurde.
Ich fand sie aufrecht auf ihrem Lager sitzen, in eine der Wolldecken gehüllt, Krake auf dem Schoße und mit zart geröteten Wangen.
„Olaf, bitte …“ Ihre Handbewegung lud mich ein, neben ihr Platz zu nehmen.
Sie lächelte etwas, als ich besorgt nach ihrem Puls fühlte. Jede Aufregung konnte ihr schaden, und ein Fieberrückfall hätte diesen schwachen Leib vollends zerstört.
„… Sorgen Sie sich nicht um mich, Sie treuer Freund … Mingfu überbrachte mir eine Botschaft, die für mich unendlich viel wert war …“ Sie lehnte sich an mich, und Krake, der doch mit seinem weichen Platz wahrlich zufrieden sein konnte, knurrte mich eifersüchtig an.
„… Sehen Sie, Olaf, wir haben bisher keine Gelegenheit gehabt, all diese Dinge zu erörtern, die mich beschäftigen und mich in dieses Abenteuer hineintrieben …“
Sie war auffallend frisch und geistig rege, und freudig durfte ich feststellen, daß ich ihre Widerstandskraft doch sehr unterschätzt hatte.
„… Gewiß, meine Vergangenheit hat mich gewissermaßen auf diese gefährlichen Pfade vorbereitet … Ich bin aus einem Lande hierhergekommen, das nicht minder unzugängliche Wildnisse kennt wie etwa Nevada. Aber all das ist ja Nebensache … Mingfus Botschaft hat meine Hoffnung neu belebt … Bisher hat Helen Garward in den Grotten das nicht gefunden, was sie so verzweifelt sucht, und sie wird es auch nicht mehr finden, denn der greise Tismoravi hat sicherlich keinerlei Aufzeichnungen hinterlassen, — die Inder werden morgen unverrichteter Sache gen Norden ziehen und noch in der großen Siedlung am Pueblo-River Nachfrage halten — auch umsonst! Trotzdem wollen wir hinter ihnen bleiben, Olaf, — — bitte, keinen Widerspruch, es muß sein, ich will ganz sicher gehen, obwohl Mingfu und Wusi zuverlässig sind und mich nie verraten werden, dazu haben wir zu viel gemeinsame Erinnerungen, in denen der Zauber tropischer Wälder und das Grauen heimtückischer Feinde dicht nebeneinander immer wieder aufkeimen …“
Sie hatte mir die gesunde Hand leicht auf das hochgezogene Knie gelegt, und ihre Stimme gewann eigenen Reiz, als sie hinzufügte:
„Olaf, — glauben Sie nicht, daß ich Helen Garward etwa hasse … Nein, alles, was ich tue, geschieht aus der festen Überzeugung heraus, unbedingt für eine gerechte Sache mich einzusetzen. Wir sind Gegnerinnen, diese Halbinderin und ich, wir müssen es sein, aber ich bin eine Streitern ohne jedes erniedrigende Empfinden persönlicher Abneigung. Die Sache an sich steht hoch über allem, und wenn ich Ihnen, mein Freund, diesen Anlaß des Zwistes nicht näher bezeichne, so handele ich vielleicht gegen mein persönliches Interesse, erhalte Ihnen aber die Unbefangenheit und die Freiheit Ihrer Entschlüsse. Entweder vertrauen Sie mir blindlings — — oder gar nicht! Ihr Vertrauen zu erschleichen, indem ich Sie in die unklaren Ursprünge dieses Kampfes einweihe, die ich Ihnen ja leicht von meinem Standpunkt aus darstellen könnte, widerstrebt mir und ist mir auch kaum gestattet. Ich bin hier nicht selbst Partei, sondern nur Vertreterin einer Partei, um so weniger käme es mir zu, mir Verbündete durch etwa ungewollt einseitige Schilderungen zu gewinnen. Es mag Ihnen genügen, was Sie da aus meinen Brieffragmenten herauslesen konnten, und Sie haben diese Briefe ja durchgesehen, ich weiß es … Es war Ihr gutes Recht …“
Eine Frauenstimme kann Musik sein.
Antoinettes Stimme war nicht Musik, war eine mahnende Fanfare der Ehrlichkeit. — Musik kann trügen, kann zusammengestohlen, gekünstelt, Blendwerk sein.
Ich sagte nichts, ich legte nur meine Hand über ihre schmale Hand, und ich schaute sie an und nickte ihr freimütig zu.
Draußen plätscherte und rauschte der Regen, draußen lauerte die Finsternis.
Hier in der Ufergrotte vernahm ich nur Antoinettes schnelles Atmen, hier brannte Licht, und der Schein der Laterne fiel auf die klaren Züge einer Frau, die nun ganz leise und sichtlich bewegt noch einige Sätze raunte:
„Olaf, — es geht um die Freiheit und das Leben meines Gatten, — — und um noch etwas … — das ist es …“
Das?!
Ihr Gatte?!
Er war für mich nur ein Begriff, ein Schemen, — wie sollte dieser Mann, dessen Existenz ich nur vermutet hatte, mir wohl auch mehr sein als — ehrlich gesagt — unliebsames Gespenst.
Wie schnell gewöhnt man sich doch daran, ohne jeden Nebengedanken an Liebe oder Begehren eine hilflose Frau so ganz für sich zu beanspruchen! Antoinette de Bastingar war mir weit schneller eine teuere Weggefährtin geworden als so manche andere Frau, die meine Pfade von ungefähr gekreuzt und sich mir dann für einige Zeit angeschlossen hatte. Die unbewußte Selbstsucht, ein solches Wesen ganz für sich allein besitzen zu wollen, weckte eine Regung, die an Eifersucht grenzte. Antoinette gehörte mir, denn mir verdankte sie ihr Leben, mir war sie, siech und krank, Tochter, Kameradin und mehr als eine leibliche Schwester geworden.
Ich fragte nichts mehr.
Das feine, überfeine Gefühl des Weibes für seelische Erbitterungen mochte ihr den augenblicklichen Zustand meines Innern enthüllen.
Seltsam genug: Sie flüsterte zaghaft, und dieses Geständnis kam ihr schwer über die Lippen.
„Roger, mein Gatte, ist mir völlig wesensfremd, unsere Ehe ist nur ein fernes Nebeneinandergehen gewesen, und lediglich das Pflichtgefühl zwang mich, ihn nicht völlig fallen zu lassen, nachdem er sich auf diese ehrgeizigen Pläne festgelegt hatte, die einen ganzen Mann erfordert hätten, und das ist er nicht … Er blieb weltfremder Gelehrter selbst in den Momenten drohendster Gefahr …“
Versonnen streichelte sie wieder Freund Krakes dichtes Nackenhaar.
Die unsichtbare Scheidewand zwischen uns blieb.
Nach einigen nichtssagenden Sätzen griff ich wieder zur Büchse und zu dem dünnen, durchsichtigen Regenmantel und begab mich hinaus auf den schmalen Felsgrat. Ich wollte allein sein. Das Bild des düsteren Sees mit den in der Finsternis kaum erkennbaren Ufern und die fast eisige Luft klärten das überhitzte Hirn. Aufs neue entsann ich mich meines ursprünglichen Vorhabens. Wenn Antoinette mir nur verwaschene Umrisse irgend einer Tragödie gezeigt hatte, — vielleicht würde Helen Garward mir mehr verraten. Halbheiten liebte ich nicht.
Ich brachte unser Flachboot ins Freie, und im strömenden Regen ruderte ich lautlos der Insel zu, die ich doch weit besser kannte als jene Inder und ihre Nevadaleute und die beiden chinesischen Spione.
4. Kapitel.
Die Feindin.
Die Kälte erquickte mich, meine Muskeln spielten mit den plumpen Rudern wie mit feinsten Riemen eines Mahagoniscullers, und trotz Dunkelheit und Regenflut landete ich genau dort, wohin mein Orientierungssinn mich geführt hatte: Zwischen den Klippen des westlichen Inselufers, das gerade hier wie eine Mauer mit breiten Rissen steil in den See abfiel. Behutsam schob ich den Nachen bis zum versteckten Eingang des ehemaligen Bootshafens der Berufenen, öffnete die sauber angelegte Wasserpforte, glitt hindurch, schloß sie hinter mir und befand mich in einer Wassergrotte, deren kreisrunde Form und regelmäßig gewölbte Decke mehr ein Werk von Menschenhand als eine Naturschöpfung vermuten ließ. Und doch war es Mutter Natur gewesen, die sowohl dieses felsumhüllte Wasserbecken als auch die anderen, trockenen Höhlen der Insel mit ihren Verbindungsgängen, ihren kammerartigen Ausbuchtungen und ihren treppenähnlichen Anstiegen zu breiten Galerien geschaffen hatte: Eine unterirdische Welt, die durch Nachhilfe eifriger Männer zu erstaunlicher Vielseitigkeit umgemodelt wurde.
Die Finsternis in diesem Naturhafen war undurchdringlich. Ich durfte trotzdem vorläufig kein Licht anzünden, denn es bestand immerhin die Möglichkeit, daß die Inder oder die Nevadaleute diese Grotte doch zufällig entdeckt haben könnten, deren Vorhandensein ausschließlich Geheimnis jener dunklen Ehrenmänner gewesen, die den greisen Propheten seit Jahren gefangen gehalten und ihn nur zu einer hilflosen Strohpuppe gemacht hatten.
Ich horchte.
Alles blieb totenstill.
Der Zugang zu den trockenen Grotten lag drüben nach Osten zu, wo es einen breiten Strandstreifen von Geröll gab. Die Steintür dort bewegte sich in zwei Zapfen und war sehr schwer zu finden. Ihr Verschluß, lediglich Steinkeile, erregten keinerlei Verdacht.
Ich horchte.
Und meine Gedanken glitten derweil den Weg zurück, den die letzten Stunden mir eröffnet hatten. Ich war Antoinette gegenüber unaufrichtig gewesen. Ich besaß ja das Testament des greisen, heimatlosen Fürsten von Ransawar, und nach diesen Aufzeichnungen suchten zwei feindliche Parteien. Antoinette hatte geäußert, daß sie meine Entschlüsse nicht irgendwie beeinflussen wolle. Das entschuldigte mich, das hatte mir tatsächlich die Freiheit des Handelns bewahrt.
Plötzlich vor mir ein heller, dünner Lichtstreifen, und in der geöffneten Drehtür drüben stand die blonde Gegnerin, schlüpfte eilends hindurch und schloß die Tür.
Die Taschenlampe in ihrer Linken beleuchtete nur den Uferstreifen und das dort halb an Land gezogene Flachboot, — das dritte, das hier auf dem See vorhanden.
Helen Garward trug einen dicken, gelblichen Flauschmantel und schien in aller Heimlichkeit hierher gekommen zu sein. Sie setzte sich unweit der Steintür auf einen Felsvorsprung, legte die kleine Lampe neben sich und nahm ihre übliche Haltung ein …
So hatte sie auch neben den Gräbern des Heiligen und meines Freundes Koipato gesessen: Die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht in den Händen vergraben, — so hatte ich sie zum ersten Male erblickt, als der Scheiterhaufen am Ufer des Quins-River loderte.
Zusammengekauert, regungslos, — — Statue von Stein …!
Und doch mußten hinter der hohen Stirn die Gedanken hemmungslos dahinfluten. Ich wünschte, ich hätte diese Gedanken erraten können. Sie hätten mir sicherlich den Schlüssel zu der Pforte all dieser merkwürdigen Geschehnisse gebracht, die über Länder und Meere und über viele Jahrzehnte sich weiterspannen bis zum fernen Märchenlande, wo marmorne Tempel und Prachtbauten den Ruhm Brahmas verkündeten.
Konnte mir etwas gelegener kommen als diese Begegnung?! Helen Garward kannte mich nicht, hatte nie mein Gesicht gesehen.
Ich zog den verwitterten Filz ganz tief in die Stirn, — eine kaum merkliche Strömung trieb meinen Nachen gen Osten dem Uferstreifen zu, und die fünf langen Sprünge nachher überraschten die in sich Versunkene so vollständig, daß ich vor ihr stand, bevor noch ihre weiße Hand in die Manteltasche gleiten konnte.
Sie starrte mich an, wehrte sich kaum, — ich nahm ihr die Pistole ab und drückte sie auf den Steinsitz zurück.
Der dünne Lichtkegel der Lampe fiel seitwärts, unsere Gesichter lagen im Schatten, und von dem meinen sah sie nur Nase und Augen.
„Wer sind Sie?!“
Ihre Selbstbeherrschung warnte mich.
Ich hatte sie beobachtet, wie sie vor dem Scheiterhaufen die haßerfüllten Anklagen den Sternen zurief. Sie war als Gegnerin sehr ernst zu nehmen.
Die Schönheit ihrer Züge, der exotische Reiz dieser großen, tiefen Augen verwirrten mich. In diesem Antlitz lag noch etwas: Vielleicht etwas ungewollt Hoheitsvolles, Gebieterisches, gemildert durch einen Hauch von Melancholie.
„Wer sind Sie?!“
„Einer, der die Wildnis Heimat nennt …“
Konnte ich ihr eine andere Antwort geben?!
„Ein Jäger, Fallensteller also?!“
„Die Einöden hier, Miß, bieten wenig Jagdbares, es sei denn, daß sich zweibeiniges Wild hierher verirrt und eine Insel durchsucht, die mir gehören mag, kraft des simplen Gesetzes pietätvoller Besitzergreifung.“ — Womit ich lediglich auf meines Freundes Koipato Grabstätte anspielte.
Helen Garward war doch besser über meine Person unterrichtet, als ich es angenommen hatte. Meine geringfügige Andeutung hatte ihr alles verraten.
„Sie sind Olaf Abelsen“, erklärte sie sofort, und ihre Blicke musterten mich in ganz anderer Weise. Es lag in ihnen eine gewisse freudige Genugtuung, die ich zunächst nicht begriff.
„… Sie sind es“, fügte sie lebhafter hinzu. „Sie müssen es sein, — des Schoschone-Jägers Grabmal droben auf der Kuppe neben dem Grabe des Heiligen hat Sie wieder hierher geführt. Ich kenne die Ereignisse der verflossenen Wochen, meine Begleiter sind zum Teil Leute aus dem Städtchen Winnemucca, wo …“
Sie war aufgestanden, und ihre Hand hatte sich mir zu freundlichem Gruße entgegengestreckt. Eine bestechende freimütige Großzügigkeit strahlte ihr ganzes Wesen aus, es war nichts an ihr, das auf Feindseligkeit atmende Hinterhältigkeit hingedeutet hätte. Das Bild, das ich mir bisher von dieser Halbinderin gemacht hatte, mußte ich von Grund auf umstellen. Helen Garward war nicht minder sympathisch als ihre Gegnerin Antoinette, und die Überzeugung, nun vielleicht zwischen zwei Feuer zu geraten, die dieselbe freundliche Wärme einer starken Persönlichkeit ausstrahlten, war nicht gerade dazu angetan, meine anfängliche Genugtuung über diese Begegnung etwa noch zu steigern. Mein Händedruck fiel etwas lau aus, und als Helen Garward jetzt mitten im Satze abbrach, halb lachend den Kopf zur Seite wandte und kräftig nieste, ihr Taschentuch eilends hervorzog und es gegen das Näschen drückte, war ich noch immer vollständig arglos, bis — nie war mir Ähnliches bisher geschehen! — der Boden unter meinen Füßen scheinbar zu schwanken begann und meine Augen urplötzlich alles doppelt und dreifach und in wunderlicher Verzerrung sahen, worauf dann ein so jähes Müdigkeitsgefühl mich überkam, daß ich nach vorwärts auf den Steinvorsprung taumelte, der dem schlauen Weibe als Sitz gedient hatte.
Von da ab wußte ich nichts mehr.
Und Tage, Monate schienen verstrichen zu sein, als ich mit bedrohlich benommenen Kopf endlich wieder erwachte und mich in einer so argen Lage sah, wie ich es mir zunächst gar nicht vorstellen konnte, da ich ausschließlich auf das Gefühl und einige Schlußfolgerungen aus den Schmerzen an Händen, Füßen, Rücken und Genick angewiesen war.
Ich hing zweifellos in einem der Flachboote unter den Ruderbänken frei in der Luft, war also an diese Bänke angeschnürt und hatte auch nicht die allergeringste Aussicht, mich befreien zu können.
Je mehr sich meine Gedanken klärten, desto leichter überschaute ich das raffinierte Spiel, das die Inderin mit mir getrieben hatte. Ich war das Opfer irgend eines betäubenden Gases geworden, das Helen Garward mir hinter ihrem Taschentuch hervor ins Gesicht geblasen hatte.
Um mich her war es völlig finster.
Ich roch jedoch den Teeranstrich des Bootes und den leichten Moderdunst der Grotte, — ich befand mich zweifellos noch in dem geheimen Bootshafen der Insel, und meine Bewußtlosigkeit konnte nur ganz kurze Zeit gewährt haben: Als ich den Kopf etwas hob, erblickte ich in der Dunkelheit einen kleinen leuchtenden Kreis, das Zifferblatt meiner Armbanduhr, und die Zeiger standen beide über der Zwei, es war also zehn Minuten nach Zwei.
Mein Kopf fiel sofort wieder wie ein Bleiklotz zurück, fand jedoch eine weiche Stütze, und nach einiger Zeit gelang es mir durch ganz tiefes, regelmäßiges Atmen die Benommenheit meines Gehirns fast völlig zu verscheuchen.
Der Freiheitsdrang belebte mich jäh mit fieberhafter Energie, — ich wollte entfliehen, mußte entfliehen, ich dachte an Antoinette, an meinen Krake, meinen Rappen, und der eiserne Wille, der alles vermag, gab mir nach den ersten fruchtlosen Versuchen mich aus den Stricken herauszuwinden, den Gedanken ein, zunächst einmal das Flachboot vom Uferstreifen in offenes Wasser zu bewegen, — was nur durch kräftiges Schaukeln zu erreichen war.
Da der Kahn nur mit der Spitze auf dem Ufergeröll ruhte, gelang mir dieser erste Teil eines verzweifelten Planes über Erwarten gut.
Gewiß, die Stricke schnitten noch ärger in die Handgelenke ein, die Schmerzen waren qualvoll, aber — wo ein Wille, da ein Weg, und Helen Garward sollte sehr bald erkennen, daß ich nicht der Mann war, den man ungestraft mit solcher Heimtücke wehrlos macht.
Bei diesen starken Schaukelbewegungen spürte ich, daß das Sitzbrett, an das meine Füße gefesselt waren, nicht allzu zuverlässig angenagelt war. Ein paar kräftige Rucke rissen die Nägel heraus, und ich konnte die Beine sinken lassen, und als ich erst die Stiefel auf die Bodenbretter stemmen konnte, kostete es nur eine einzige neue Kraftanstrengung, auch das Mittelbrett zu lockern, unter dem ich mit dem Rücken hing, während oben darauf meine Hände angebunden waren.
Ein Splittern, und ich saß im Boot, hatte freilich noch zwei lästige Anhängsel an Füßen und Leib und ebenso noch das Genick in den Schlingen am dritten Sitzbrett. Das hatte jedoch nicht viel zu bedeuten. Meine Zähne halfen mit, ich konnte ja das Mittelbrett genügend drehen, um an die Knoten der Stricke heranzukommen.
Dann war ich frei, — erlebte eine sehr angenehme Überraschung: Meine Büchse lag im Boot, meine Pistole war noch da, die kleine Laterne, das Messer …
Helen Garward, dachte ich, du bist raffiniert, aber du bist ein Weib, und deine Logik hat Lücken. — Wer beläßt einem Gefangenen, mag er scheinbar auch noch so sicher untergebracht sein, die Waffen?!
Und anderes ging mir durch den Sinn. Sollte ich die Grotte verlassen?! Sollte ich warten, bis die Inderin mit ihren braunen Vertrauten zurückkehrte?!
Hätte ich anderes Blut in den Adern gehabt, wäre ich genügsam gewesen und eilends zu Antoinette hinübergerudert. Mein Blut wird wohl einen überstarken Anteil jenes verwegenen Abenteurerblutes meiner nordischen Ahnen besitzen. Mag auch mein Vater ein recht weltfremder Bücherwurm gewesen sein: Meine Vorväter waren Seeleute, und meine Vorväter waren zweifellos tollkühne Wikinger, die mit ihren Raubschiffen englische und französische Häfen geplündert haben und den feurigen Wein noch aus reichverzierten Stierhörnern tranken und den Wert ihres Daseins nach der Anzahl geglückter Beutezüge berechneten.
Ich blieb.
Ich hatte noch mit dieser Frau eine Rechnung wettzumachen, und als ich nun im Dunkeln neben der Steintür kauerte und hoffte, daß sehr bald diese Fremdlinge erscheinen würden, war ich fest entschlossen, Gewalt mit Gewalt und List mit List zu begegnen.
Ich mußte mich gedulden.
Und mit jeder verrinnenden Minute, die mir Zeit zum kritischen Nachprüfen des Geschehenen gönnte, erschien mir das Verhalten Helen Garwards immer undurchsichtiger und widerspruchsvoller.
Mochte auch die Art, wie sie mich im Nachen festgeschnürt hatte, außerordentlich klug gewesen sein: Die Stricke waren jedenfalls nur lose verknotet gewesen, und von einer brutalen Fesselung konnte schon gar nicht die Rede sein, zumal diese merkwürdige Frau mir aus den Rudern und einer Wolldecke eine bequeme Kopfstütze hergestellt hatte. Außerdem, und dies gab hier den Ausschlag, hatte sie mir alle Waffen belassen.
Seltsam war das alles.
Sollte etwa …
Und dieser neue Gedanke ließ mich empor, fahren …
Sollte sie etwa gewollt haben, daß ich mich selbst befreie?!
Sprach dafür nicht auch die eigentümliche Tatsache, daß die Sitzbretter so stark gelockert waren?!
Hatte diese Frau mich lediglich für einige Stunden — wie sie hoffte — als störendes Element ausschalten wollen, um mit ihrem Troß schleunigst von der Insel verwinden zu können, nachdem ich hier aufgetaucht war, der doch ein gewisses Recht hatte, unbequeme Fragen zu stellen?!
Jetzt zündete ich meine Laterne doch an …
Ihr Licht glitt umher, — das andere Flachboot fehlte.
Da wußte ich es: Helen Garward war entwischt! — Eine genauere Besichtigung des Kahnes, in dem ich in der Schwebe gehangen hatte, zeigte auch noch die Spuren kräftiger frischer Beilhiebe mit der stumpfen Seite gegen die drei Sitzbretter.
Ich betastete die Drehtür …
Kein Steinkeil verschloß sie.
Ich schob die Tür auf, und der Lichtstrahl meiner Laterne fiel auf zwei menschliche Gestalten, die, Kopf nach unten, frei im dunklen Raume der Höhle hinter der Tür zu schweben schienen.
Ich sprang vorwärts …
Das fratzenhafte Gesicht des Koches Mingfu grinste mich an …
„Hallo, — — was ist los?! Mingfu, Wusi,— ihr beiden, — —“
„Herr“, krächzte der Gelbe, „schneiden Sie uns los …! Beeilen Sie sich! Wir wollten nichts verraten, aber die Mem Sahib drohte, Sie und uns zu töten, und sie droht nie umsonst … Frau Antoinette ist in ihrer Gewalt…“
So flink wie damals habe ich noch nie zwei arme Schächer2 losgeschnitten, und so flink habe ich noch nie ein plumpes Boot über einen See gerudert.
… Unsere Hafengrotte in der Uferwand diente nur noch Füchslein Krake als Quartier.
Antoinette, der Rappe, Sattel, Zaumzeug, — alles fehlte.
Ich stürzte zu meinem Versteck, riß den Deckelstein heraus: Der Zinkkasten war noch da … Auch mein Tagebuch, Antoinettes Brieffragmente und das Testament des ehemaligen Fürsten von Ransawar …
Und — — noch etwas …:
Daran hatte Helen Garward nicht gedacht, daß in einem Seitental nach Osten zu, das schwer zu finden, das Pferd Antoinettes das spärliche Gras abweidete! — Dicht dabei lagen unter Steinen Sattel und Zaumzeug.
„Mingfu, Wusi, — ihr bleibt hier! Ich hole Antoinette zurück! — Allons, Füchslein, — wirf nur die Beinchen …! Der Morgen graut … Wir finden die Fährte schon!“
… So trabten wir gen Norden …
— Und ich — — schreibe all dies im Süden …
Tausende Meilen von Nevada entfernt.
An der Grenze des Reiches Indras, des strahlenden Gottes, der dann dem modernen Brahma weichen mußte, — — in den südlichen endlosen Bambuswäldern von Ransawar schreibe ich dies.
5. Kapitel.
Helen und Antoinette.
… Mingfu zieht die winzige Nase sehr kraus und schneidet die bedenklichste seiner Grimmassen.
Für Mingfu ist es an sich schon ein Kunststück, dieses Miniaturnäschen, echtes Chinesenformat, in Falten zu legen.
Der Erfolg ist denn auch stets der, daß die Nase fast vollkommen verschwindet und daß die feisten Backen sich nach oben schieben und somit auch von den Schlitzaugen nichts übrig bleibt.
Wir sitzen auf der Plattform des Papageienhorstes, um uns her ragen die Riesenstengel des Bambuswaldes mit sanfter Krümmung in den klaren, gluterfüllten Äther, und unter uns, zehn Meter tiefer, schillert der indische Dschungel in allen Farben und dünstet in allerlei Gerüchen, anfangend vom Morastgeruch der Tümpel und bezaubernd, berauschend ausklingend mit dem köstlichen Odeur von üppigen, blütenreichen Büschen, die in den kleinen Lichtungen des endlosen Waldes so üppig gedeihen, Vanille, Heliotrop, Nelken, viele andere noch: Es ist eine so überreich komponierte Symphonie von Farben und Duft, wie nur die überfruchtbare Erde hier zwischen Vorderindiens Südspitze und Ceylon sie hervorbringt.
In der Ferne rauscht die nimmermüde Brandung des Ozeans, der, eingeengt zwischen Inseln und Festland, zumeist in bitterer Empörung über diese Fesseln die Südgestade umtobt — ein köstliches Lied, umso köstlicher, weil seine Klänge uns gleichzeitig den reinigenden kräftigenden Salzhauch der See zuführen.
Es ist jetzt sieben Uhr morgens.
Antoinette ist unter Wusis Schutz zum Baden gegangen.
Gegangen?!
Wenn ich mir unseren Weg durch den gelblichen Stangenwald betrachte, muß ich dies „gegangen“ korrigieren: …Geklettert!
— Wie gesagt, Mingfu hat Bedenken, und was er nun mit unheimlicher Zungenfertigkeit vorbringt, hat Hand und Fuß.
„Mr. Olaf, wir wollen besser noch warten, bis die da drüben“ — seine Hand weist gen Norden auf die grünen Berge —„nicht mehr mit uns rechnen. Wer einen Gegner tot glaubt, braucht einige Zeit, diesen Glauben in Überzeugung umzuwandeln, und dann erst, Mr. Olaf, kommt unsere Stunde.“
Der faule dicke Freund Krake, hier dritter im Bunde, schnappt nach einer Fliege und schielt dann rückwärts auf seinen Philisterwanst.
Krake, du bist fett geworden, du hast zu wenig Bewegung gehabt, Antoinettes kleine Jacht bot dir zu wenig Spielraum.
Mingfu stopft seine Pfeife und redet weiter.
„… Mr. Olaf, es soll zuweilen geschehen, daß sich die Rauchmassen, die um den Gipfel des Ransawar dauernd lagern, bei starkem Sturme zum Teil zerstreuen … Die Ransawariten sagen dann, der Himmel habe einen Riß bekommen, und ich kenne alte Fischer von der Küste, die fest behaupten, die Ruinen wären dann deutlich sichtbar …“
„Also … Riß im Firmament …“, — — das gleitet mir so ohne Bedeutung über die Lippen, und doch fängt Mingfu eilends die flüchtige Bemerkung auf und wiederholt sehr ernst:
„Ja, — man spricht von einem Riß im Firmament, Mr. Olaf, das stimmt schon. Der Ransawar hat ja auch als halb erloschener Vulkan nicht seines gleichen.“
Wir haben schon oft über das „Bett“ des Ransawar geredet, und Mingfu ahnt nicht, wie sehr er meine Neugier immer wieder anstachelt.
„Warten wir also noch eine Woche“, schließt er die Debatte. „Besser warten, als verschwinden!“
Und nach einigen langen Zügen aus seiner Pfeife: „Ich werde nun das Frühstück zubereiten, Mr. Olaf … Sie wollen doch wieder …schreiben.“ Die sanfte Verachtung in seiner Stimme verletzt mich nicht. Mingfu mag ein halb gebildeter Chinese sein: Für Gedrucktes und Geschriebenes hat er nichts übrig.
Unser Papageienhorst ist nicht der einzige in diesem unzugänglichen Teile des Bambuswaldes. Zwanzig Meter abseits hängt ebenfalls solch ein praktisches Hüttlein zwischen den Bambusstangen, hängt schon ein volles Jahr hier, — seit der Zeit, als Antoinette ihren Gatten zu suchen begann und ihre treuen Chinesen von Ceylon mit herüberbrachte.
Die Geschicklichkeit der Chinesen wird immer noch gerühmt, und mit Recht.
Wie Mingfu und der jüngere Wusi diese beiden Nester ohne fremde Hilfe bauen konnten, verdient Anerkennung.
Das Baumaterial, Bambus, geölte Kokosfasertaue und Bambuspflöcke, ist äußerst unangenehm. Leichter bastelt sich ein Kleingärtner eine Laube aus Bauabfällen zurecht als solch ein Nest, das zwischen schenkeldicken Bambusstauden hoch über dem Boden schwebt.
Axt, Beil und Messer versagen gegenüber der Härte des Bambus. Nur das Feuer dient als Säge zum Zupassen der Rundbretter oder Balken, nur glühende Eisenstangen durchlöchern diese Balken und die lebenden, wankenden Stützpfähle. Beschaut man unsere Papageienhorste genauer, merkt man sofort: Chinesische Arbeit! — Alles sauber, sorgfältig und peinlich genau ausgemessen.
… Mingfu rührt Schildkrötensuppe an, und ich schreibe an dem leider allzu kleinen Tisch, über dessen Seitenränder meine Ellbogen hinabhängen. Ein Tisch aus der Jacht „Colombo“, die nun drüben in der Bucht ankert und die doch nicht zu sehen ist, selbst wenn zufällig ein Ransawarite in diesen entlegenen Winkel käme.
— Wo anfangen? — Es ist kein „Anfangen“, es ist nur ein „Fortsetzen“, aber der Stoff des Erlebten packt mich nicht, sonst hätte ich schon auf Antoinettes Jacht das Nötige schwarz auf weiß festgehalten.
Das letzte, das ich diesen Blättern anvertraute, war ein Hinweis auf den großen Sprung von Nevada bis zur Palk-Straße, bis Indiens Südzipfel.
Es ist ja auch alles so ganz anders ringsum, — — ganz anders …
Die Stimmung während der Seereise war bereits wenig geeignet, nochmals mich in Gedanken in die Einöden Nevadas zu verlieren.
Ich liebe das Meer …
Das Meer war die Gefährtin meiner Jugend. Und Jugendlieben vergißt man nicht. Die träumerischen Stunden neben Antoinette im Liegestuhl auf dem Achterdeck waren nicht das „Milieu“, das mir jene Stimmung vermitteln konnte, die dazu gehört, das romantische Grauen einer Sand- und Steinwüste und eine wilde Hetze hinter flüchtigen schlauen Gegnern zu schildern.
Das Meer bietet andere Anregung. Mag es auch bei Flaute mit sanfter Dünung nur ganz schwach sich bewegen — wie träge Atemzüge eines Schläfers —, mag es dann einer flachen Wüste aus geschmolzenem Glase gleichen: Es wird nie „Wüste“, es hat immer Leben, immer seine kleinen Überraschungen, — — Fische schießen durch die sonnenglitzernde Flut, Vögel wiegen sich in den Lüften, treibende Tangwiesen tauchen auf, ein Wrack taumelt vorüber …
… Die Nevadawüsten sind erstarrt, tot, leer. Und wo sie nicht tot und leer sind, sind es keine Wüsten …
— Krake trabte voraus, und gleich nach Sonnenaufgang hatten wir Helens Fährte gefunden. Der Reitertrupp mußte es sehr eilig gehabt haben, die Siedlung am Pueblo-Fluß zu erreichen, und meine Hoffnung, den Entführern Antoinettes noch während des Tages in Sichtnähe zu kommen, erwies sich als eitel.
Während der Mittagshitze machte ich zwei Stunden Rast. Antoinettes Gaul war nicht schlecht, war jedoch nicht Koipatos Rappe, ermüdete leicht, schwitzte stark, und ich war gezwungen, das Tier zu schonen.
Nach Sonnenuntergang, als im Norden bereits die Konturen der Pueblo-Berge wie lichtes Gewölk sich abzeichneten, war die Fährte so frisch, daß ich einen Bogen schlug und mich mehr nach Westen hielt, um den Trupp neben, nicht vor mir zu haben. Auf einem steinigen, welligen und hügelreichen Plateau sah ich durch das Glas Helen Garward nebst Anhang. Sie ritten im Schritt, und ich merkte, daß die Inder diese Präriejagd nicht vertrugen.
Durchgerittene Schenkel sind eine sehr unangenehme Sache.
Der Trupp bezog ein Lager zwischen Felsen, und zwei der Nevadaburschen kehrten um und wollten wohl feststellen, ob jemand hinter ihnen sei.
Ich segnete meinen Entschluß, den Bogen geschlagen zu haben. Nach einer Stunde kehrten die Leute zurück, und an der Sorglosigkeit, mit der man die Gäule draußen grasen ließ, merkte ich, daß Helen Garward keine Gefahr fürchtete. Es war inzwischen ja auch dunkel geworden, ich hatte mich näher herangepirscht, und unmerklich lächelte ich, als die Leute nun noch in ihrer Felsenburg ein Feuer anfachten, als ob sie weiß Gott was braten wollten.
Ich hätte den Nevadaleuten aus Winnemucca doch etwas mehr Vorsicht zugetraut, zumal die strammen Kerle sicherlich alte Wüstenläufer mit reichen Erfahrungen sein mußten. Außerdem wußten sie auch, wen sie hinter sich hatten, — — erstaunlich also diese Nachlässigkeit, ein förmliches Rauchsignal gen Himmel zu senden!
Mein Pferd und Füchslein Krake ließ ich in einem Kieferngestrüpp zurück, nachdem ich dort erst einmal die hier sehr häufigen Klapperschlangen mit einem Knüttel beseitigt hatte.
Das Anschleichen war leicht. Ich wollte mich den Felsen drüben noch vor Eintritt der nächtlichen Helle genügend nähern, die etwa anderthalb Stunden nach Sonnenuntergang beginnt.
Erst als ich, von Osten herankriechend, die zerklüftete Felsmasse dicht vor mir hatte, erkannte ich zu meinem Mißbehagen, daß die Nevadaburschen doch nicht so ganz zu unterschätzen waren: Diese natürliche Burg besaß nur einen engen Eingang, hatte steile Wände und Geröllhalden, und der Posten droben auf der höchsten Zacke mußte mich unbedingt wahrnehmen, wenn ich mich noch näher heranwagte. Es war der älteste der Nevadaburschen, und er drehte den Kopf andauernd wie ein lauernder Geier, seine Büchse würde zweifellos Blei spucken, — — ein Mann ist hier schnell verscharrt!
Also — Vorsicht!
Ich lag hinter ein paar Wermutsträuchern, ich wurde mir sehr bald klar darüber, daß Antoinettes Befreiung nur Aussicht auf Erfolg hätte, wenn ich die Gäule und den Posten entfernte.
Wie das?!
Die Zeit verstrich, mir fiel nichts ein, zu allem Unheil stieg noch der Mond empor, es wurde noch heller, Wind kam auf, und die nächtliche Kälte der Wüste kroch mir bis ins Mark, ich fror, und ich habe nicht jenen Optimismus allzeit bereit, der lediglich Selbstbetrug ist.
Was tun?!
… Dann wechselte die Wache, ein jüngerer Bursche nahm den Platz droben ein, und dieser Winnemucca-Mann schien trotz der umgehängten Wolldecke bei dem rauhen, stoßweisen Wind einen alkoholischen Tropfen nicht entbehren zu können.
Seine umfangreiche Feldflasche, mit Filz überzogen, enthielt sicherlich nicht gesüßten Tee, und — Prohibition hin, Prohibition her — der Kerl saugte wie ein Baby und … schlief ein.
Es war halb ein Uhr morgens. Die Sache konnte also beginnen.
Zuerst die Pferde …
Kleinigkeit … Sie folgten wie die Lämmer, nur eins ließ ich angepflockt, die anderen hatten es äußerst eilig, irgendwo in der Ferne zu verduften, denn ein unter den Schwanz geklemmter Distelkopf soll nicht gerade sanfte Erinnerungen wecken.
Das Lagerfeuer war derweil niedergebrannt. In dem Steinzirkus standen zwei Zelte, — die Nevadaleute schnarchten unter ihren Decken, und welches Zelt von Helen Garward bewohnt wurde, zeigten schon draußen die zum Trocknen aufgehängten diskreten Kleidungsstücke.
Es lagen hier in der Burg übergenug Steine aller Größe umher, die mir Deckung boten, und als ich erst hinter Helens Zelt gelangt war, in dem noch Licht brannte, hatte ich gewonnenes Spiel: Meine Vermutung traf zu, ich vernahm flüsternde Stimmen, die zuweilen in der Erregung lauter wurden, — — Antoinette war bei Helen, und der günstige Augenblick schien gekommen, wo ich endlich als Lauscher vielleicht den Anlaß des Streites zwischen den beiden Parteien erfahren könnte.
Des öfteren stieß der Wind fauchend und jaulend in den Felsenkessel hinab und erstickte leider das hastige, leidenschaftliche Raunen der beiden Gegnerinnen, von denen Helen die Wortführerin zu sein schien.
„… Niemals!“, war das erste, was ich vernahm.
Die Halbinderin stieß es so temperamentvoll wie einen Schwur hervor.
Antoinette lachte.
„Sie werden es sich überlegen … Bisher haben Sie genau so wenig gewonnen wie ich … Das Spiel hält sich die Waage. Daß Sie meinen Gatten verschwinden ließen, spricht nicht mit … Mein Kind werden Sie niemals finden, und mein Kind hat dieselben Rechte.“
Ein Kind?!
Antoinettes Kind?! — Bisher wußte ich nichts davon, gar nichts …
Helen, offenbar doch die Erregtere, antwortete mit einem ungestümen, haßerfüllten: „Sie lügen! Ich weiß nichts von Roger de Bastingar! Wie sollte ich ihn gefangen halten?!“
„Ransawar bietet übergenug Verstecke …“, sagte Antoinette mit tiefer Verachtung. „Ich werde auch den Ransawar-Berg durchsuchen, — denken Sie nicht, Helen Garward, daß ich ohne Verbündete bin. Sie kennen den Mann schlecht, der mir das Leben rettete, nachdem Dauli Giwir, ein Schuft durch und durch, mir seine geköpfte Kugel durch den Arm schoß! Eine Dum-Dum-Kugel, wahrscheinlich noch absichtlich beschmutzt, damit eine Vereiterung der Wunde mich gründlich erledigte! Das sind Ihre Verbündeten!! Mörder, Schurken, …“
„Sie sind wahnsinnig, — — schweigen Sie!!“
Und diesmal war ein Klang in Helens Stimme, der mich an ihr hoheitsvolles, gebieterisches Wesen erinnerte, das sich mir so unauslöschlich eingeprägt hatte.
Antoinette lachte wieder.
„Und was sind Sie, Helen Garward?! Blind — — mehr als blind! Was wird werden, wenn Ihr armseliger Ehrgeiz den Sieg erringt?! Giwir wird Sie bei Seite drängen, Sie werden das bleiben, was er jetzt schon aus Ihnen gemacht hat: Ein Spielzeug, eine Marionette, — — ein Nichts! — — Es ist zwecklos, Ihnen die Augen öffnen zu wollen … — Gute Nacht … Ich werde trotz der Fesseln besser schlafen als Sie, denn Sie müssen sich schämen, mich so behandeln zu lassen … — Kein Wort mehr … Es ist genug … Ich bedauere Sie …“
Helens Erwiderung übertönte der jaulende Wind, dessen immer häufigere Stöße leider auch die schnarchenden Nevadaleute zu wecken drohten. Es wurde still im Zelt …
Das Licht erlosch …
Mein Messer schonte das derbe Zeltleinen nicht, — ich wußte aus der Klangrichtung der Stimmen, wo Helen ruhte: Linker Hand, und ich war über ihr, bevor sie noch einen Laut von sich geben konnte.
Vielleicht war es brutal, — — es war notwendig: Ich zwängte ihr das bereitgehaltene Tuch in den Mund, ich hatte sie im Nu gefesselt, hatte Antoinette befreit, die sich in ihrem Reitanzug niedergelegt hatte.
„Schnell, — — folgen Sie mir …“ Ich zog sie ins Freie, wir huschten geduckt davon, und draußen scharrte der angepflockte Rappe bereits ungeduldig mit den Vorderhufen.
„Satteln, Antoinette …! Flink!! Keine Zeit verlieren …“
Es war Koipatos Sattel, Koipatos Pferd, und als ich dann Antoinette in den Sattel nahm, schnellte der Rappe vorwärts, wieherte hell …
Giwirs giftige Stimme brüllte hinter uns drein …
Andere Stimmen lebten auf …
Schüsse knallten …
Nutzlose Pulververschwendung …!
Wir fanden Krake und Antoinettes Pferd, wir ritten bis zum Morgen immer gen Süden, lagerten, hatten derweil vier flache Salzseen durchwatet, unsere Fährte war nicht zu finden, wir waren in Sicherheit, die Gegner hatten nur ihre Beine, keine Pferdebeine, — und Antoinette, überwältigt von dem Gefühl der Dankbarkeit, schlang die Arme um meinen Hals, bog den Kopf zurück und stammelte Worte, die mehr wert waren als die beste Rede …
Worte, die aus dem Herzen kamen, die mich dieser Frau vielleicht zu eng verbanden.
„Sie … Lieber! Ich wünschte, ich wäre frei, Olaf … Ich wünschte, ich wäre so ganz ohne moralische Hemmungen, wie man es bei so vielen meines Geschlechts findet, die man deshalb doch nicht verurteilen darf, denn — — wir alle leben ja nur einmal, finden vielleicht nur einmal das große, erträumte Glück …“
Ich hielt ihren abgemagerten Leib gestützt, ich hielt eine Weggefährtin im Arm, die mir willig die Lippen geboten hätte, in denen bereits wieder das lebendige Rot der Genesung pulste, … die halb geöffnet waren.
Und ich … lächelte, sprach zu ihr wie ein Bruder, wie ein ehrlicher Freund, — — dann schlief sie, unter meinem Schutz …
— — Fünf Tage darauf erreichten wir den kleinen Hafenort, wo die Jacht „Colombo“ auf ihre Herrin wartete.
Koipatos Rappe habe ich George Mallibran geschenkt, dem berühmten Maler der Einöden des dünn besiedelten, schönen, freien Staates Nevada.
6. Kapitel.
Die Schildkrötenfischer.
…Abseits vom Alltag…
Du brauchst dieses „Abseits“ nicht in weiter Ferne zu suchen, du findest es überall.
Es liegt nur an dir selbst, ob du dich loslösen kannst von einer Umwelt, die nur den Eselstrott des ewigen Einerlei kennt.
Abseits vom Alltag, — — auch diese Fahrt auf der kleinen, schmucken Achthunderttonnenjacht mit ihren stillen Matrosen, ihrem derben Kapitän, der in indischen Gewässern jedes Riff kannte und unweigerlich die Whisky-Sorten sehr fein auseinanderhielt, obwohl es ihm mehr auf Quantität als auf Qualität ankam.
Jack Webster hieß er, diente den Bastingars schon seit Jahren, war ein Grobian, ein übler Polterer, aber innen vergoldet, und gesund wie ein junger Orang Utan, — so ähnlich sah er auch aus.
… Es ist Nacht, wir schwimmen in einer Überfülle von Mondesglanz, unsere Bordstühle stehen dicht nebeneinander, unsere Hände finden sich, und Antoinette erzählt, während drüben der Riesenfelsen von Gibraltar droht, mit weicher Stimme von der großen Plantage der Bastingars auf Ceylon, von Roger de Bastingars Vater, der aus dem Nichts Reichtümer hervorzauberte, der nur Arbeit, Arbeit, Arbeit kannte und der unendlich darunter litt, daß sein einziger Sohn nur die lässige, faule, gleichgültige Vornehmheit der Mutter geerbt hatte.
„… Daß ich mit Mädchennamen Antoinette Chalain hieß, wissen Sie bereits, mein Freund, — daß ich als Waise von ungefähr als Buchhalterin auf die Bastingar-Plantage kam, ist Ihnen ebenfalls schon bekannt. Der alte Herr Bastingar lernte mich bald als zuverlässige Helferin schätzen, und bevor er die Augen für immer schloß, … zwang er Roger, mich zu heiraten …“
„Einen Augenblick“, unterbrach ich sie, „wann geschah dies?“
„Vor fünf Jahren …“
„Dann müssen Sie ja noch ein halbes Kind gewesen sein, Antoinette …“
„Als Weib bestimmt, als Mensch nicht, ich war damals achtzehn, Freund Olaf.“ Sie antwortete mit sichtlichem Widerstreben, und ich unterließ alle weiteren Fragen, die mir noch weit mehr aus der Seele gekommen wären wie diese …
„Unsere Ehe …“ — sie zauderte und suchte nach Worten, um ein gerechtes Urteil über eine Fessel abzugeben, die ihr längst zuwider geworden — „unsere Ehe baute sich nur auf ein leichtsinniges Versprechen auf, das ich Rogers Vater gegeben hatte … Der alte Mann, ein echter Pionier und Kavalier, war überzeugt gewesen, daß Roger sein Lebenswerk zerfallen lassen würde, deshalb hatte er bestimmt, daß ich über die Plantage und die Hälfte des Barbesitzes frei verfügen könnte. Meines Gatten Charakter war leider nicht großzügig genug, das eigene Unvermögen als Geschäftsmann zuzugeben, wir hätten in Frieden und Gleichgültigkeit nebeneinander her gelebt, wenn nicht kleinliche Reibereien, die Rogers Eitelkeit entsprangen, diesen Waffenstillstand dauernd gestört hätten. So lagen die Dinge, als die Auswirkungen bestimmter Bemühungen eintraten, die Rogers Vater in ganz bestimmter Richtung hatte anstellen lassen. Ich bin leider auch jetzt noch nicht befugt, die Sachlage völlig vor Ihnen zu klären, mein Freund, und ich möchte Ihnen etwa die Sätze wiederholen, die ich bereits einmal Ihnen gegenüber ausgesprochen habe: Sie sollen in Ihren Entschließungen durch keine einseitige Darstellung der Verhältnisse beeinflußt werden! Sie sind mir Kamerad, Gefährte, Lebensretter geworden, — aber Sie könnten ebenso gut, wenn Sie Helen Garward angehört hätten, sich auf deren Seite gestellt haben. Auf wessen Seite hier das Recht steht, weiß ich selbst kaum, — — ich wüßte es, wenn ich das Tagebuch des letzten Fürsten von Ransawar, den Sie unter der Bezeichnung „Der Heilige“ kennen, gefunden hätte.“
Sie schwieg.
Gibraltars Zwingburg verschwand hinter uns, und das von Schiffen aller Art belebte Mittelmeer begrüßte uns mit dem milden Odem seiner gesegneten Küsten.
Auch ich schwieg, obwohl sich mir hier abermals die Gelegenheit bot, eine Unaufrichtigkeit aus der Welt zu schaffen, die mich schon lange bedrückte.
Immer noch wußte Antoinette nichts von dem Tagebuch, das in meinem Zinkkasten unter meinen eigenen Aufzeichnungen lag.
Was hinderte mich, diese Gelegenheit zu nutzen, welch innerer Zwang bestimmte mich nun wiederum, hiervon nichts verlauten zu lassen.
Ich begriff mich selbst nicht.
Und Antoinette sprach weiter.
„Einiges muß ich Ihnen trotzdem noch mitteilen, mein Freund, — nackte Tatsachen ohne jede Ausdeutung meinerseits. Jene Bemühungen des Vaters Rogers reichten Jahre zurück …“
„… Und waren nichts anderes als die Suche nach dem Fürsten von Ransawar“, ergänzte ich sehr bestimmt.
Antoinette ging darauf nicht ein.
„Es bestand nunmehr Aussicht, daß der Vater Rogers, mein Schwiegervater, über die Gegenpartei siegen könnte, obwohl auch diese alle Anstrengungen gemacht hatte, das gleiche Ziel zu erreichen. Er war tot, Roger war sein Erbe, und es entsprach durchaus meines Gatten Charakter, daß er, als Mann völlig weltfremd und von Vorurteilen befangen, in vollkommener Selbstüberschätzung die weitere Entwicklung der Dinge persönlich und sehr übereilt fördern wollte. Er verließ heimlich die Plantage, denn ich hätte mich seinem Vorhaben sehr energisch widersetzt, und segelte nach Norden und ward nicht mehr gesehen. Die indischen Behörden griffen ein, richteten nichts aus, und nachdem ich mein inzwischen zwei Jahre alt gewordenes Söhnchen in Sicherheit gebracht hatte, nahm ich die Sache selbst in die Hand und vertraute mich Mingfu und Wusi als erprobten treuen Diener an, wir landeten nachts im Südteil der Insel Ransawar, die Chinesen erbauten dort im Bambuswalde zwei Hütten, und drei Monate lang beobachteten wir heimlich jene Leute, denen ich die Schuld an dem Verschwinden meines Gatten beimaß. Dann erfuhren wir, daß Helen Garward mit dem finsteren Giwir und vier anderen Ransawariten eine Reise nach Nevada vorbereite. Eilends wurde jetzt meine Jacht „Colombo“ seeklar gemacht, und allein durchkreuzte ich die Ozeane, um vor Helen Nevada zu erreichen, — Mingfu und Wusi sollten sich inzwischen an Helen heranmachen und ihr als von mir angeblich davongejagte Diener ihre Dienste anbieten. — Hiermit, mein Freund, greift der Roman nach Nevada hinüber. Was dort geschah, wissen Sie. Und was ich weiter plane, wissen Sie auch. Der schlaue Mingfu gab mir den Rat, nachher in der Nähe der indischen Küste einen Schiffbruch vorzutäuschen, damit die Gegner uns für tot halten, und dann abermals die Bambushütten zu beziehen und abzuwarten, ob sich nicht eines Tages Gelegenheit böte, den halb erloschenen Vulkan Ransawar, der für die Ransawariten und auch für die gläubigen Hindus der Küsten ein Heiligtum und für gelehrte Forscher ein nie gelöstes Rätsel darstellt, zu ersteigen und dort nach Roger zu suchen. Wäre die Entführung oder Gefangennahme meines Gatten erst erwiesen, so würde dies Helen Garwards Stellung sehr verschlechtern. Doch — das alles bleibt ja der Zukunft überlassen.“
Ihre Hand löste sich aus der meinen, und überraschend unvermittelt wünschte sie mir gute Nacht und zog sich in ihre Kabine zurück.
Es machte auf mich fast den Eindruck, als bereute sie es, sich mir so weit anvertraut zu haben.
Ich blieb noch an Deck, die Nacht war zu wunderschön, und ich kraute Freund Krake gedankenvoll das Fell und suchte abermals sinnend nach einer Lösung der Hauptfrage:
Was bildete hier das Streitobjekt?!
Mingfu, der noch in der Kombüse klappernd und klirrend herumwirtschaftete und dazu sein Grammophon hatte spielen lassen, erschien plötzlich neben mir und meinte mit schlauem Blinzeln:
„Mr. Olaf, Käpten Webster wieder halb betrunken. — Merken Sie nichts?!“
Er fragte das letzte in so eigenem Tone, daß ich mich sofort aus dem Bordstuhl erhob.
„Was gibt es?!“
Mingfu, der inzwischen durch eine englische Grammatik und durch englische Lektüre seine Sprachkenntnisse sehr vorteilhaft abgeschliffen hatte, begann sofort in dem ihm eigenen Galopptempo:
„Es ist sehr falsch, daß Frau Antoinette Ihnen bisher verschwieg, daß die Gegner eine weit bessere und schnellere Jacht zur Verfügung haben. — Wir werden verfolgt …“
Seine Worte stolperten ihm über die eilfertige Zunge, und sein Gesicht war ungewöhnlich bewegt. Haß war es, der aus den kleinen, scharfen Augen und aus jeder Falte des hageren Gesichts wetterleuchtete, ein Gesicht übrigens, das an einen haarlosen Affen mit gefüllten Backentaschen erinnerte. Der Mongolentyp Mingfus war hauptsächlich durch diese Backenwülste gekennzeichnet. — Ich will dem kleinen, sehnigen Kerl wahrhaftig nicht zu nahe treten, will ihn nicht verletzen, dazu ist er ein zu anständiger Bursche, der seine Herrin vergöttert.
„Verfolgt?!“ Ich nahm diese Mitteilung sehr gelassen hin. „Wenn die Jacht der Gegner hinter uns wäre, mein lieber Mingfu, dann hätten sie uns im Atlantik bequem ersäufen können. Hier im Mittelländischen Meer ist das bereits schon erheblich schwieriger, denn bei diesem Schiffsverkehr hat ein Piratenstreich verdammt wenig Aussicht auf stille Erledigung, so etwas macht man ohne Zeugen ab, Freund Mingfu!“
Mingfu, wieder in tadelloser weißer Schürze und Tellermütze, zog die Mundwinkel bis zum Kinn herab. Diese infam-freche und trotzdem urkomische Grimasse kannte ich schon.
„Mr. Olaf, Sie verfluchen meinen Tellerleierkasten …“, warf er bedeutungsvoll hin.
„Mit Recht, Mingfu. Deine Grammophonplatten sind derart abgespielt, daß, wenn wir Katzen an Bord hätten, …“
„He, — — ich ließ dreimal vorhin das eine Lied spielen — oder Liedergemisch mit dem Schlußlied: „Was kommt dort von der, Höh’, — was kommt dort von der Höh’ …“, — aber Sie verstanden das nicht … Gibraltar liegt hinter uns, in Gibraltar wartete die Jacht „Nadira“ auf uns, und das da sind ihre Positionslichter, genau hinter uns, — — he, was sagen Sie nun?!“
Er drückte mir das modernste und beste Nachtglas in die Hand, das die optische Industrie je erzeugt hat, und als ich es mit einigem Unbehagen einstellte, gewahrte ich eine hellgrüne, schnittige Dreitausendtonnen-Jacht mit zwei schrägen, dicken Schloten, die kaum eine halbe Meile hinter uns war.
Zum Glück hatten wir jedoch zwei große Frachtdampfer in unserer Nähe, die wohl gleichfalls direkten Kurs auf Suez hielten, und da die „Colombo“ mit ihrer Maximalleistung von fünfzehn Knoten und ihrer großen Wendigkeit nicht so leicht zu rammen war, hielt ich zunächst die „Nadira“ auch für ungefährlich, zumal auch wir einen kleinen Schiffssender an Bord hatten, mit dem wir jederzeit durch S. O. S. - Rufe rasche Hilfe herbeiholen konnten.
Trotzdem weckte ich den Orang Utan durch einige kräftige Püffe, stellte ihm die Sachlage vor und erlebte wiederum die erfreuliche Überraschung, daß Webster im Nu derselbe pflichtgetreue Schiffsführer wurde, als den ich ihn bereits im Atlantik bei einem groben Sturm kennen gelernt hatte. Wirklich erstaunlich war es, wie Jack Webster, übrigens der einzige Weiße der Besatzung, jeden Alkoholnebel durch seine eiserne Energie aus seinem Hirn vertrieb und klar und besonnen seine Befehle erteilte.
Der eine in der Nähe befindliche Frachter war ein Engländer, Webster steuerte die Jacht dicht heran und blieb nun kaum tausend Meter neben dem schwer beladenen Indienfahrer, von dessen Brücke neugierige Gläser uns eifrig musterten. Der Erfolg war, daß die Nadira schleunigst verschwand. Schon dies genügte uns als Beweis, daß die Herrschaften dort ein reichlich schlechtes Gewissen gehabt hatten.
Es war an sich ja ein geringfügiger Zwischenfall, trotzdem bestärkte er uns in unserem durch Mingfu angeregten Vorhaben, in den indischen Gewässern einen Schiffbruch vorzutäuschen, was sich um so leichter ausführen ließ, da die Besatzung bis zum jüngsten malaiischen Matrosen sich für Antoinette hätte in Stücke hauen lassen.
Der Rest der Reise verlief völlig nach Wunsch. Die Nadira ward nicht mehr gesehen, und als wir Kap Komorin, die Südspitze Vorderindiens, hinter uns hatten und dann im Golf von Manar zwischen Indien und Ceylon eine schwere Gewitterbö heraufzog, die im Augenblick die See in Finsternis hüllte und gewaltige Wogenberge hochwarf, richtete der gerissene Webster es so ein, daß wir bei der berühmten Adams-Brücke zwischen den Inseln vor der Palk-Straße genügend Wracktrümmer des Großbootes und des Kombüsenaufbaues zurückließen, um Websters spätere Angaben, daß nur er nebst vier Matrosen dem Gewitterorkan entgangen seien, durchaus glaubwürdig erscheinen zu lassen. Antoinette, die beiden Chinesen und die anderen Leute der Jacht seien ertrunken und die Jacht gesunken, — dabei blieb es.
Es war ein raffiniertes Spiel unsererseits, es glückte, — bei Nacht und strömendem Regen wurde die „Colombo“ in die Südbucht von Ransawar gebracht, dort gründlich versteckt, mit gefällten Bäumen umgeben, — und Webster und die braven braunen Seeleute nahmen Abschied, fuhren in dem zweiten Kutter davon und erledigten die so notwendige Täuschung der indischen Behörden, — das Protokoll über den „Schiffbruch“ bereitete Webster keinerlei Gewissensbisse, und ein geheimer Bote hat uns vorgestern davon verständigt, daß … alles im Lot sei.
Und Antoinette und ich?! — Seit jenem nächtlichen Gespräch war meine verschwiegene Freundin kaum mehr auf die bewußten Dinge zu sprechen gekommen.
Wir hausen nun hier in dem Bambuswald von Ransawar wie die scheuen Papageien, die ringsum in den vereinzelten Bäumen des Dschungels nisten und jeden Morgen in Schwärmen gen Norden ziehen, um die Reisfelder und Maisäcker der Ransawariten zu plündern.
Das sehr lebhafte Papageienvölkchen wäre als Nachbarschaft noch zu ertragen — trotz des fürchterlichen Kreischens. Mingfus Grammophon war im Vergleich dazu eine sanfte Hirtenflöte. Aber es sind da noch die graugrünen, mittelgroßen Affen, und ausgerechnet gehören sie sämtlich zu jener Affenart, die an Intelligenz selbst den Schimpansen übertrifft. „Dugmu“ nennen die Singhalesen von Nordceylon diese Burschen, und „Dugmu“ bedeutet „Weiser“. — Kein Wunder, denn diese kräftigen klugen Gesellen leisten im Haushalt Wunderdinge, drehen Maismühlen, holen Kokosnüsse und Früchte von den Bäumen, wiegen Kinder, — — doch darüber ist schon so viel geschrieben worden, daß ich es mir verkneifen kann.
Nur eins noch: Die Affenherden bilden für uns eine ständige Gefahr, da sie durch ihren Lärm allzu leicht Verdacht erregen können, und sie lärmen stets, sobald wir den schwankenden Pfad zur Bucht betreten.
… Über alledem sind nun wieder Tage verstrichen, — unsere sauberen Papageienhorste beginnen mich zu langweilen, und der Ransawar-Vulkan mit seinem „Bett“ zieht mich magnetisch an. Doch Mingfu mag Recht haben: Abwarten!!
„Mr. Olaf, das Frühstück ist fertig …“ meldete Mingfu und schielte nach meiner Armbanduhr.
„Ich bin auch gerade fertig …“ — und ich verschließe den Zinkkasten mit meiner Schreiberei und dem „Testament“ des letzten Fürsten dieser kaum vier Meilen langen und doppelt so breiten Insel, die innerhalb der Eilande der Palk-Straße das einzige selbständige Staatsgebilde darstellt.
„Frau Antoinette und Wusi müßten längst zurück sein“, fügte Koch Mingfu hinzu.
Armer, braver Kerl!
Es war das letzte, das ich dich sprechen hörte.
Ohne daß ich es ahnte, denn ich begann mich in der Hütte zu rasieren, war er über den schwankenden Sprossenpfad aus Sorge um Antoinette davongeschlüpft.
Nach einer halben Stunde merkte ich es, daß er fehlte. Ich glaubte, er räumte Antoinettes Papageienhorst auf.
Ich fand ihn nicht …
Dafür trug mir der Seewind plötzlich ein paar dünne Knalle zu — Schüsse …
Krake, der dicke, schnellte hoch.
„Krake, die Sache riecht brenzlich!“, — — und als ich dann eilends zur Bucht von Sprosse zu Sprosse turnte, war mir das Herz schwer wie Blei.
Um es gleich zu sagen: Ich bin wieder einmal allein …!
Krake ist bei mir, noch jemand ist bei mir, aber dieser Gefährte bleibt mir zunächst ein Buch mit sieben Siegeln.
Drawa Gari, der Schildkrötenfischer, behauptet, ein Singhalese zu sein, kein Ransawarite, aber er hat nichts von dem bekannten Singhalesentyp an sich, er gleicht mehr einem Malaien.
Drawa Gari sitzt vor mir auf der winzigen Veranda unseres Vogelnestes und verbindet mir die Schramme auf dem Scheitel.
Die Kugel riß auch ein Stückchen Knochen weg, und die Kopfschmerzen werden wohl noch eine Weile anhalten.
Der Schildkrötenfischer, der außer Hüfttuch, Ledergurt, Turban und Sandalen seinen sehnigen, rötlichbraunen Leib und sein stolzes, freies Gesicht durch nichts von der stechenden Sonne schützt, meint in seinem kläglichen Pidgin-Englisch:
„Tuwan (Herr), wir schon finden die Herrin der Bastingar-Plantage … Wenn die Nacht ganz dunkel, wir suchen …“
„Und deine Teilnahme für Antoinette, woher rührt sie?“
Das Mondlicht wirft Schattenflecke über seine scharfen Züge.
„Kann sein, Tuwan, daß ich altem Tuwan Bastingar viel Dank schulde“, erwidert er nur.
Ich muß mich damit zufrieden geben.
7. Kapitel.
Antoinettes Badestrand.
Damals, als ich Mingfus Verschwinden bemerkte, als die fernen Schüsse Gefahr meldeten, habe ich die Sniders-Büchse von dem Wandhaken gerissen und bin den Pfad durch den Bambuswald entlang geeilt — Sprosse um Sprosse, denn dieser Pfad ist nichts als eine endlose wagerechte Leiter, nichts als eine Reihe von Bambusstäben, die in verschiedener Höhe über dem Erdboden zwischen den lebenden Bambusstangen befestigt sind, etwa mit ein Meter Abstand.
Ein Pfad, der in vielfachen Krümmungen verläuft und in dem dicksten Laubdache eines halb entwurzelten Mango-Baumes hart am abschüssigen Buchtufer endet.
Ein Pfad, so gewiß ein Abseitspfad, wie die kleine, gewundene, felsige und fischreiche Bucht draußen von einer vierfachen Reihe von Korallenriffen abgesperrt wird.
Ich hatte keinen Blick für die kreischenden Papageien und Affen, ich hatte statt des Herzens eisiges Blei in der Brust, die Angst zerfraß mir die Seele, meine Sprünge von Sprosse zu Sprosse wurden unsicher, und erst als ich beinahe in einen der grünschillernden Tümpel halb hineinfiel und mich nur mühsam wieder emporgearbeitet hatte, das Hirn von Grauen erfüllt vor der giftigen Brut, die in diesen Lachen mit spitzen Schlangenköpfen hauste, legte sich mein Ungestüm und die Klugheit errang den Sieg über das alles überflutende Gefühl der Sorge um Antoinette.
Ich wurde wieder ich selbst.
Der, der da wie ein blinder Tor dahingestürmt war, besann sich auf jahrelange Lehren, auf lebensfrische Ereignisse, in denen nur die eiserne Selbstzucht den voreiligen Schritt gehemmt und den Erfolg verheißen hatte.
Es war hier ringsum eine andere Welt, es waren andere Lebensbedingungen, eine gänzlich verschiedene Natur als die, der ich mich auf flinkem Pferderücken in den letzten Monaten freudig anvertraut hatte. Die Einöden Nevadas und diese tropische Insel waren wie Feuer und Wasser, es gab keinen Ausgleich zwischen ihnen, keinen Vergleich. Hier ließ der unter der Sonnenhitze brodelnde Dschungel über Nacht halbmeterhohe junge Bambusschößlinge gedeihen, die mit ihrem weichen Kern an den Spargel europäischer Länder erinnern und auch als Gemüse verzehrt werden, nicht nur von Menschen. Affen, Vögel, Vierfüßler, die nur nachts erscheinen, grasen diesen Reichtum ab trotz der giftigen Brut, die in dem blühenden rankendurchwobenen Unterholz lauert. Oft genug habe ich in diesen hellen, heißen Nächten droben im leicht schwankenden Papageienhorst den Todesschrei eines armen Affen vernommen, den eins der Wasserreptile gepackt hatte. Dann ist neben meinem Lager der wachsame Krake hochgeschnellt und hat angstvoll gewinselt. Sein Instinkt warnte ihn vor den Bewohnern der trügerisch duftenden Sträucher und Gräser, und dreimal geschah es, daß eine dieser grün und rötlich gefleckten Riesenschlangen die der Boa Konstriktor eng verwandt sind, sich an den Bambusstangen emporwand und nur Mingfus unheimliche Kunst des Messerwerfens den fremden Gast an den Bambus nagelte.
Eine gänzlich andere Welt. — Anders auch als die, die ich bisher in den Wäldern Yucatans, Formosas und anderen tropischen Strichen schauen durfte.
Indien und Ceylon haben ihr besonderes Gesicht.
Und Ransawar ist leider sowohl Indien wie Ceylon.
Durch Ransawars endlosen Bambuswald hetzte ich zur Küste, mäßigte ich das Tempo, als durch die gelben Stangen der Riesenstauden dieser wunderbaren Pflanzen das Grün und Grau der Buchtufer hindurchschimmerte, schritt nun, alle Sinne angespannt, von Sprosse zu Sprosse, lauschte und spähte und war froh, als das Blätterdach des Mango mich aufnahm.
Betäubend dufteten die Schmarotzergewächse, die sich, gierige, aber hier so farbenprächtige Blutegel, in den Rissen der Äste eingenistet hatten und von dem Safte des Baumriesen ihre Dirnenschönheit ernährten und pflegten.
Seltsam: Die reiche Vogelschar, die den Mango sonst stets bevölkerte und die friedlich ihre Nester nebeneinander baute, war davongeschwirrt. Nur ein paar unflügge Jungen reckten aus zum Teil kunstvoll und sauber hergestellten Bauten ihre Riesenschnäbel und nackten Hälse hervor und schrien hungrig in allen Tonarten. Nur das Volk der wilden Bienen, Riesenhummeln und Prachtfalter umgaukelte die Außenäste wie stets, und ihr Schwirren und Surren war so überlaut, daß man sich in allernächster Nähe eines Bienenstockes wähnte.
Ich lugte durch die Zweige und die hellen Blätter und pockenartigen Blütendolden hinab zum Buchtstrande.
In dem fast weißen, feinkörnigen Muschelsande, der stellenweise in allen Farben opalisierte, lagen zwei Körper auf dem Gesicht, stumme Ankläger gegen Helen Garwards finstere Rotte: Die beiden treuen Chinesen!
Der stoßweise Wind, der vom Meere her in die gewundene, schmale Bucht fegte, hob die weißen Leinenjacken der Toten empor, bauschte sie am Rücken zu Buckeln und ließ sie wieder zurückfallen.
Ich war minutenlang kaum meiner Sinne mächtig.
Eine ungeheuere Wut, die mir die Schläfen zu sprengen drohte, packte mich und verschob das Bild dort unten zu grotesken Verzerrungen.
Dreißig Meter rechts von den Erschossenen befand sich jene flache Felszunge, die von Antoinette stets als Badeplatz benutzt worden war, da im Halbrund bemooste Klippen ein auch gegen Haifische sicheres Bassin schufen.
Antoinette de Bastingar war verschwunden.
Auf dem kahlen Gestein lag nur noch der Hut aus Baumfasern, den Mingfu an einem einzigen Tage geflochten und kunstvoll gefärbt hatte.
Der Blutandrang zum Kopfe, der mir ein Feuerwerk vorgezaubert hatte, ließ nach, und nur die Hände, die den Baumast umkrallten, waren wie krampfhaft geschlossene Pranken. Die grimme Wut wich der eisigen Vernunft, ich dachte an mich selbst, an die mir drohende Gefahr und schmiegte mich hinter den rissigen Stamm, an dem in ewig gleichem Trott braune Ameisen mit roten Rückenpanzern in dichter Heerschar auf und ab eilten, — die einen beladen mit feinen Baummoosen, die anderen ledig jeder Last, — Arbeitstiere, die der ererbte Instinkt dazu treibt, in unermüdlichem Fleiß das Material für ihre meterhohen Hügelbauten herbeizuschaffen, die sie gleich den Termiten durch Lehm zu festem Gefüge zusammenkleistern.
Die Bucht, so weit ich sie überschauen konnte, war leer.
Auch drüben, wo die Jacht an dem kaum sichtbaren Ufer verborgen, bemerkte ich keinerlei Veränderung.
Und doch sagte mir es der untrügliche Instinkt, daß irgendwo immer noch Gefahr lauerte. Die Toten dort rechts im hellen Sande, offenbar gefällt wie vom Blitz durch gutgezielte Kugeln, schienen mir mit ihren sich bauschenden Jacken mahnend zuzuwinken.
Kam ein Windstoß, dann erschauerte der Mango-Baum, dann kräuselte sich das Wasser und das Landschaftsbild gewann kurzes Leben mit sich wiegenden Büschen, Sträuchern und Baumkronen. Hinter mir, wo die Bambusstangen, riesige Gebilde überfruchtbaren Bodens, wie gelbe Pfähle in die Ferne sich verloren, knirschten die sich aneinander reibenden glasharten Stämme und kreischten zuweilen wie Dämonen.
Ich fühlte, daß noch immer der Tod hier lauerte.
Die zerklüfteten und buschreichen hohen Steilufer boten tausend Verstecke.
Trotzdem konnte ich nicht untätig bleiben.
Antoinettes Schicksal war nun seit fast zwei Monaten mit meinem eigenen so eng verbunden gewesen,daß sie ein Recht darauf hatte, von mir den vollen Einsatz meiner Person zu verlangen.
Und hier ging es vielleicht nicht nur um ihre Freiheit, hier ging es um weit mehr. Die, denen ich die Schuld am Tode der Chinesen zuschrieb, waren harte Bestien. Ich hatte den Schuß nicht vergessen, der Antoinettes Unterarm zerfetzte — damals, als ich diese Frau dann gesund pflegen durfte und als die Insel im Boraxsee, verglichen mit dieser üppigen Fülle von Pflanzen- und Tierwelt hier auf Ransawar, nur eine Insel der Trostlosigkeit, Mittelpunkt anderen Geschehens gewesen, das sich vielleicht dem Landschaftsbilde angepaßt hatte in seinen schlichten, derben Einzelheiten.
Hier im Dunst der Tropen lauerte die verschleierte Heimtücke.
Ich spürte es.
Der Frieden ringsum war Lug und Trug.
Ein grimmes Zucken ging über mein Gesicht.
Wehe denen, die Mingfu und Wusi ausgelöscht hatten!
Meiner Ahnen nordisches Blut ist das der wilden Wikinger, die mit klaffenden Wunden den Scheiterhaufen sich selbst herrichteten und im Feuerdunst der knallenden Hölzer stolz gen Walhall als Helden emporritten.
… Ich glitt von Ast zu Ast in die Tiefe. Am Fuße des Mango wucherten Dornen, standen die seltsam faserigen Hügel der emsigen Ameisen. Girlanden von Schmarotzergewächsen pendelten von den tiefsten Ästen herab, und all diese buntscheckigen Schleier boten mir freiwillig ihren Schutz.
Ich kniete zwischen Gras und Steinen, prüfte nochmals die nächste Umgebung und kroch, gelehriger Schüler halbwilder Savannenreiter, zwischen den halbmannshohen Grasbüscheln auf den Felsen zu, wo Antoinettes Hut lag. Wenn irgendwo, dann mußte ich dort Fährten entdecken …
Daß ich die eigene Haut zu Markte trug?! Armselig genug, daß der gutgenährte Spießer der großen Piratennester, Weltstädte genannt, sich in seinen vier feudalen Villenmauern oder im eigenen Luxusboot oder im geräuschlosen Auto sicher glaubt! Der Tod steht genau so allzeit neben ihm wie neben dem armen fischduftenden Fischer, der Tag für Tag, Nacht für Nacht dem Meere sich anvertraut. Alles ist Fatum, alles ist Bestimmung. Wer es nicht glaubt, ist ein Narr.
… Bestimmung …
Auch dies: Die Hand zuckt zurück, die sich auf den Boden stützen will, weil ein Dorn den Ärmel durchbohrt. Und dort, wo die Hand sich in die Steine geschmiegt hätte, funkeln kleine Perläuglein auf, ein kaum armlanges Reptil mit flachem Kopf enteilt, — — und mit ihm der Tod.
Eine Peitschenschlange war es, dünn, unscheinbar. Ihr Biß genügt, einen Wasserbüffel in zehn Minuten verrecken zu lassen. —
Dreißig Meter …
Nun liegt Antoinettes Badestrand tief unter mir. Auf der Felszunge schimmern noch kleine Wasserflecken, — Antoinette hatte also bereits gebadet, und dort neben dem zierlich geflochtenen Basthut ist im Schatten des Hutkopfes sogar noch ein feuchter Fußabdruck zu erkennen.
Der Überfall und die Entführung Antoinettes haben sich vor allerhöchstens sieben bis acht Minuten ereignet, rechne ich unschwer aus.
Acht Minuten … — Ein Motorboot mit einer lautlos arbeitenden Maschine kann in acht Minuten die Bucht längst hinter sich und das unübersichtliche Gewirr von Klippen und Inselchen im Süden erreicht haben und dort für immer verschwunden sein.
Das Meer nimmt keine Spuren an. Seine Wasser schließen sich hinter dem eilenden Kiel, und selbst der Schwalch der Schraube wird in kurzem verwischt, dafür sorgen schon die Windstöße.
Hilflose Verzweiflung will mich vollends niederdrücken, — an die Gefahr denke ich nicht mehr, mein Herz ruft nach Antoinette, und nichts gibt mir Antwort.
In solchen Augenblicken ist stumpfes Verharren am selben Fleck nur Torheit. Wer solche Augenblicke kennt, weiß sie auch zu überwinden. Und das Mittel heißt handeln, nicht müßig bleiben!
Die schmale Bucht hier ist mir bereits vertraut wie ein eigener romantischer Naturpark. Wenn ich mich beeile, kann ich in zehn Minuten drunten auf der Klippe sein, die den westlichen Eckpfeiler des Buchtausganges bildet.
Das berauschende Gefühl des Tatendranges löst jegliche andere Empfindung ab, und ich richte mich auf, schnelle vorwärts in langen Sprüngen, — vielleicht ein sinnloses Unterfangen, dennoch besser als den Weg der allzeit Bedächtigen zu gehen, die mit all ihrer beschaulichen Ruhe sich doch nur auf einem Fleck drehen wie jene Maultiere, die dort oben in Nevada bei der armseligen Farm das Göpelwerk der Pumpe unter den Peitschenhieben des strohblonden Mädels in Gang hielten.
Ich biege um die erste Krümmung, der ungebahnte Pfad läuft hier hart am Steilufer hin, ich fühle plötzlich etwas wie ein glühendes Eisen, das mir über den Scheitel fährt, mir wird es dunkel vor den Augen, ich mag nach einem Halt suchend in die Luft gegriffen haben, ich weiß es nicht, ich weiß nur, daß ich in die Tiefe stürzte, daß der kurze Knall eines Schusses kaum noch über die Schwelle meines Bewußtseins dringt, — daß ich hart auf die Oberfläche der Bucht aufschlage und daß von da an alles für mich Nacht wird, bis eine Stimme aus endlosen Fernen mein Ohr erreicht und diese Stimme immer eindringlicher flüstert:
„Tuwan, keinen Laut..!! Tuwan, ganz still liegen …“
Ich liege still. Ich kann mich auch gar nicht rühren, dieser unheimliche Zustand der Lähmung des Körpers und trotzdem völlig klar arbeitender Sinne war mir bisher fremd.
Mein Geist scheint losgelöst von dem durch den Nervenchock des Streifschusses gebannten Leibe, der Geist gewinnt die Herrschaft über sich selbst zurück, nur die Glieder streiken, nur die Augen sehen im grünen Dämmerlicht eines dichten Gestrüpps eines halbnackten braunroten Turbanträgers kauernde Gestalt, die meine Snidersbüchse schußfertig hält.
Ich vernehme Stimmen, Rufe, — ein Motor springt an, und die sprungbereite Haltung des Fremden lockert sich.
Er raunt mir zu: „Sie glauben, Tuwan sei tot, versunken … Das sehr gut sein …“
Das leise Rattern des Motors enteilt, — ich möchte schreien: „Rette Antoinette!!“, — aber die Muskeln der Kehle sind noch gelähmt, nicht einmal ein Gurgeln quillt über meine Lippen, obwohl mein Geist die tollsten Anstrengungen macht, den regungslosen Leib zu meistern.
Die Verzweiflung befällt mich wieder, und als mein unbekannter Retter geschickt und flink einen Verband um meinen Kopf schlingt, möchte ich wieder brüllen: „Rette Antoinette, — was liegt an mir?!“
Der Körper streikt.
Es ist ein gräßliches, grausiges Empfinden, diese bleierne Schwere der Glieder, diese Marmorstarre des Leibes, und ich verfluche mit fieberndem Hirn den Wahnwitz meines Tuns, das mich den Fremden vor das Rohr trieb.
Dann ein anderes Stadium: Müdigkeit, Gleichgültigkeit gegen alles, urplötzlich mich hinabstoßend in die finsteren Gründe der Ohnmacht, — die Augen fallen mir zu, ein leichtes Schwindelgefühl …
Nichts mehr.
Tot?!
Dieser Körper, der hundertmal dem Tode trotzte, bäumt sich auf, und mit verglasten Augen starre ich ringsum.
Alles fremd hier … Eine fremde Bambushütte, — ringsum das Branden des Meeres, und neben meinem Lager wieder der Unbekannte, der gerade meinen nassen Verband erneuert.
Auch die verglasten Augen klären sich, werden wieder normal, schüchtern versuche ich eine Frage.
„Wo bin ich?“
Das eigenartig stolze, harte Gesicht des Fremden gewinnt für mich die Bedeutung eines edlen, ungewöhnlichen antiken Broncekopfes, und seine kräftige Stimme gibt überraschende Auskunft: „Ich bin Drawa Gari, der Schildkrötenfischer, o Tuwan, und dies ist meine Hütte zwischen den Klippen … — Lege dich wieder nieder, die Kugel hat dich verwundet, und das Fieber in diesem Küstenstrich ist gefährlich.“
„Fieber?!“ — Die Kopfschmerzen tun mir nichts.
„Höre mal, Gari, — die Schramme da ist nach sechs Tagen verheilt. — Sahst du die Leute, die Antoinette entführten?!“
„Nein, Tuwan … Antoinette ich nicht kennen … — Ich kam mit Boot in die Bucht, erblickte Motorkutter, verbarg mich, denn ich bin kein Ransawariter, sondern ein Singhalese, und die Riffe und Eilande hier gehören mit zu Ransawar … Dann knallte der Schuß, du fielst in die Bucht, ich konnte dich gerade noch hinter das Gestrüpp ziehen, und der Kutter fuhr davon. Mehr weiß ich nicht …“ —
Bereits am Abend kehrte ich in Begleitung Drawa Garis in den Papageienhorst zurück, nachdem wir in der Bucht festgestellt hatten, daß die Leichen der beiden Chinesen, mit Steinen beschwert, versenkt worden waren. Ich hatte zunächst angenommen, die Leute des Kutters hätten sie an Bord verladen und weggeschafft, aber Drawa Gari deutete stumm in die klare Tiefe der Bucht, die Beleuchtung war günstig, und ich erblickte dort unten zwei helle Flecken mit verschleierten Umrissen: Zwei Getreue, Mingfu und Wusi, die für ihre Herrin ihr Leben gelassen hatten.
8. Kapitel.
Der Ransawar.
Gari und Krake haben sich schnell miteinander angefreundet. Unser geheimes und geheimnisvolles Dasein hier im Bambuswalde setzt sich unter denselben erschwerenden Umständen fort, wie wir es führen mußten, als noch Antoinettes liebe Augen und Mingfus Koch- und Redekünste und Wusis vielfache Fähigkeiten und kleine Absonderlichkeiten mir freudige Zerstreuung brachten.
Zum Mittelpunkt meiner Gedanken ist jetzt — Antoinette steht immer im Vordergrunde — der schlanke, sehnige, schweigsame und rätselvolle Gari geworden.
Zwei Tage sind wieder dahin, und immer fester und eindrucksvoller wird bei mir die Überzeugung, daß dieser angebliche Singhalese den Kern der gesamten verschleierten und scheinbar zusammenhanglosen Ereignisse ganz genau kennt. Der Kern bleibt die Streitursache der beiden Parteien.
Meine Kopfwunde schließt sich. Gari ist in den letzten Nächten viel unterwegs gewesen, zu erkunden, ob etwa die Mörder der Chinesen den Pfad durch den Wald entdeckt hätten, und dies fand durchaus meinen Beifall. Aber er konnte stets nur melden, daß die Bucht leer sei, daß die unbemannte, gut versteckte Jacht zweifellos von keinem Fremden besucht worden und daß unsere Sicherheit hier kaum gefährdet sei. Gari schafft Lebensmittel und Trinkwasser herbei, Gari spielt Wächter, Gari nimmt Füchslein Krake bei seinen stundenlangen Ausflügen mit und verschafft dem Fettwanst Bewegung, Gari macht sich unentbehrlich, aber …
Gari lügt. — Oder sagen wir milder: Er hält mit der Wahrheit hinter dem Berge.
Zunächst eins: Seine Bemerkung über den alten Bastingar: „Kann sein, Tuwan, daß ich dem alten Tuwan Bastingar viel Dank schulde.“
So hatte er gesprochen, das war ihm so über die Lippen geschlüpft, und ich hatte den Eindruck, daß diese Bemerkung ihn nachher gereute. Er hatte sich dadurch eine Blöße gegeben, die sich schlecht wieder verdecken ließ.
Als wir uns kennenlernten, hatte er es abgeleugnet, Antoinette je gesehen zu haben, lehnte es auch ab, die Mörder des Kutters näher zu bezeichnen, verschanzte sich dabei hinter seiner vorgeblichen Angst, mit seinem Fischerkahn ja nicht bemerkt zu werden.
Schwindel! — Drei Tage war ich nun insgesamt mit Gari zusammen, drei Tage genügten mir, eines Menschen Seele zu sezieren, mit dem ich auf so engem Raum zusammenlebe.
Es ist Nacht, und Gari wieder unterwegs. Daß er beim Überschreiten des Sprossenpfades Krake auf dem Rücken im primitiven Rucksack schleppen muß, macht bei ihm nichts aus. Gari besitzt Kräfte wie ein junger Büffel, und Krake paßt sich allem an …
In dem Papageienhorst, der gegen die Stechmücken immer durch Tüllvorhänge aus der Jacht sorgfältig abgedichtet ist, brennt die leise zischende Karbidlampe, und die wenigen geflügelten Blutsauger, die sich in unser Heim verirren oder einschleichen, verbrennen knisternd an der ungeschützten Flamme der Lampe. Sie fallen auf mein Papier, — einige krabbeln noch über die frischen Tintenzeilen und werden schnell erlöst. Auch das Töten kann barmherzig sein.
Ich warte auf Gari und Krake. Sie wollten um Mitternacht zurückkehren, bevor der Mond aufgeht. Die Nacht ist windstill, schwül, und wenn ich scharf hinhorche, vernehme ich draußen das feine, nie ermüdende Summen der Millionenheere der Mücken zwischen den gelben Riesenstangen. Der Dschungel speit sie nachts aus, und die Nacht ist ihre Zeit, wie die Blutsauger jeglicher Art gern im Finstern sich tummeln. Zuweilen kreischen Affen, Papageien, und wenn sie es tun, pflanzt sich das Geschrei schlaftrunken von Baum zu Baum fort und erstirbt in der Ferne …
Es ist ein seltsames Leben hier so hoch über dem fieberschwangeren Boden, der seine Giftdünste nur deshalb nicht verderbenbringend bis zu uns emporhauchen kann, weil die gewaltige Röhre der gewundenen Bucht allzeit als Ventilator für frischen Meeresodem wirkt.
Als Mingfu diese beiden Horste anlegte, hat er auch dies in Rechnung gezogen. Trotzdem schluckte ich Chinin — Vorbeugungsmittel!
… Wenn Gari und Krake heimgekehrt sind, werde ich mit Gari ein sehr ernstes Wort reden und ihn herzlichst bitten, doch den Unfug einzustellen, sein Kauderwelsch zu reden, wo er doch bestimmt mehrere Sprachen fließend beherrscht.
Gari ist eben ein netter Schwindler.
Beweis?! — Neben mir liegen die etwas zerknitterten Blätter des sogenannten Testaments des Fürsten Sabranat Tismoravi von Ransawar. Der Greis hat es zum Teil in englischer, zum Teil in französischer Sprache abgefaßt, und wenn Freund Gari ein einfacher Schildkrötenfischer wäre, hätte er diese Blätter nie Blatt für Blatt durchgesehen, — gelesen, behaupte ich.
Gelesen, behaupte ich, als ich wieder einmal am ersten Tage nach dem Streifschuß in halber Ohnmacht auf meinem Lager ruhte und Gari den Zinkkasten ungestört öffnen konnte.
Mag Gari nur Lendenschurz und Ledergurt und Turban tragen: Diese spärlichen Kleidungsstücke enthalten genügend geheime Taschen für eine Repetierpistole, für Zigarettentabak, Zigarettenpapier, Patronen, Feuerzeug und manches andere.
Gari frißt Zigaretten. Er dreht sie selbst, und dies geschieht mit einer Fingerfertigkeit jahrelanger Übung. — Wie kommt nun Garis Zigarettentabak zwischen die Seiten des Testaments?!
Freund Gari, du wirst nachher den Mund auftun müssen und mit dem Lügen ist es vorbei.
… In der Ferne grollt es dumpf …
Die Hitze ist erstickend. Ich habe fast nichts an, und doch sind meine Finger klebrig feucht und um die Stirn liegt mir ein Eisenreif, der ärger drückt und schmerzt als die Scheitelwunde.
Das Grollen schwillt an …
Es klingt wie Böllerschüsse im Gebirge, wie Wetterschießen, um die Hagelwolke von den fruchttragenden Feldern abzuhalten. — Die Geschütze des Himmels verstärken ihre Kanonade, und der hohle Wind, der mit einem Male den Bambuswald in Aufregung bringt und meinen Papageienhorst wie ein Boot in der Brandung taumeln läßt, deutet auf ein böses Unwetter hin. Ich merke es an den Schwankungen der Hütte, daß die Windstöße von Osten, nicht von Süden durch den großen Ventilator kommen, und in meinem Hirn springt ein Gedanke aus leicht verschlossenen Gedächtniskammern auf: Was sagte doch Mingfu einmal über den Ransawar-Vulkan, der halb erloschen, trotzdem stets eine dicke Rauchmütze trägt, die seinen Gipfel dauernd dick und schwer einhüllt?!
Was sagte er doch?!
Er sagt, — und wenn es um den Ransawar ging, wurde seine Sprache so blumenreich und unklar und übergelehrt wie die jener Literaten, die ihre Halbbildung durch Schwulst und imponierende Fremdwörter verdecken möchten:
„Mr. Olaf“, schwafelte er im üblichen Galopptempo, „der halb erloschene Berg, der da wie ein Monument in dem kahlen Bett des weiten Felsentales sich erhebt, der gleichzeitig wie ein Engel Gabriel mit drohendem Schwert vor dem Paradiese steht …“
„Mingfu“, warf ich hier ein, „Mingfu, ich glaube, du bist mal durch eine Missionsschule gelaufen …“
Dieses Thema paßte ihm nicht.
„… Dieser Ransawar mit der Rauchhaube und seinen Geheimnissen liebt den Oststurm nicht, Mr. Olaf … Nur der Oststurm reißt ein Loch in sein finsteres Firmament und gibt den Weg frei zum Gipfel … Dann eilen die Pilger nach oben, beten und opfern vor Brahmas Statue, kehren eilends wieder um, damit die Geister des Berges sie nicht töten, die unterhalb des Gipfels lauern …“
Oststurm …!
Und allem Anschein nach zog ein solcher jetzt herauf …!
Der Bambuswald stöhnt, ächzt, kreischt und quietscht immer lauter …
Ich packe rasch die Schreiberei bei Seite, verschließe den Zinkkasten mit den Gummileisten, — ob Gari will oder nicht, heute werden wir den Ransawar bezwingen — wir werden es! Antoinette lebt, und Antoinette soll frei sein!
Plötzlich fliegt die Tür auf …
Ich schaue hin. Krake schlüpft herein. Aber ist der Mann, der so eilig die Tür schließt, wirklich Gari, der Schildkrötenfischer von den Riffen?!
„Gari, — — du hast ja …“
„Der Anzug stammt aus der Jacht“, sagt er hastig. „Wundern Sie sich später, Abelsen … Jetzt — — Aufbruch! Nur das Nötigste mitnehmen! Schnell!!“
„Wohin?“
„Ransawar …!“
Wir sind in wenigen Minuten marschbereit.
Als wir ins Freie treten, lastet pechschwarze Finsternis über dem Stangenwald.
Sturmstöße fauchen, heulen, der ganze Wald wogt, pendelt, und der Marsch über die Sprossen ist ein fortwährendes Spiel mit dem Tode.
Einzelne Sprossen sind geknickt, andere haben sich gelockert, aber meines Führers federnde Gelenke und erstaunliche Gewandtheit spotten aller Hindernisse.
Auf festem Boden angelangt, findet er sich genau so sicher zurecht. In dem grauen Leinensportanzug erscheint Gari als vollendeter Kavalier. Das edle Ebenmaß seiner Glieder wird jetzt erst offenkundig.
Im Osten bildet der Himmel ein Feuermeer von Blitzen und Wetterleuchten. Wir traben über steinige pfadlose Pfade, die ich nie gefunden hätte, — ich weiß jetzt, daß Gari hier jeden Meter Boden kennt.
Wir erklimmen die waldreichen Hügel im Norden, die uns bisher den Ausblick auf den Ransawar beeinträchtigten, und wir schwenken nach Osten ab, bis eine neue Serie von Blitzen die Finsternis unter uns für Sekunden geisterhaft zerfurcht und ich „das Bett“ des Vulkans sehe: Ein endloses, tiefes, kahles Felsental, mitten darin einen schroffen, einsamen Bergkegel, vielleicht vierhundert Meter hoch, die Steilwände unten in Streifen geteilt und glatt wie mit Glasfluß übergossen, die Kuppe umlagert von wogenden Qualmmassen
Der Ransawar!
Er hat nicht seinesgleichen, aber er hat nahe Verwandte, und so und so viele Gelehrte haben seit Jahrzehnten auch die Geheimnisse des Ransawar aller Romantik entkleidet.
Doch davon später. Das erfuhr ich durch Gari.
Jetzt war nicht Zeit zum Fragen, jetzt hetzten wir weiter, um die Gelegenheit nicht zu verpassen, gelangten bis an den Ostrand des kahlen, tiefen Tales und hatten die Kuppe des Vulkans nun in einer Höhe vor uns und machten halt.
Ein Teil des Rätsels, das die Frage nach dem Riß im Firmament umgab, ward hier gelöst.
Die östliche Talwand klaffte in einer gen Osten verlaufenden Schlucht bis zum Talboden, und diese Schlucht, die sich nach der Küste hin trompetenartig erweiterte, war auch eine Art Ventilator, war das Luftloch, durch das der Gewittersturm gegen den Bergkegel blies und die Ranchschwaden, diesen Ring giftigen Qualmes, vertrieb.
Riß im Firmament …
9. Kapitel.
Das Feuerwerk.
Ransawar …
Die Allschöpferin Natur schafft Wunder.
Ich sah den Höllenschlund des Meeres an der Nordwestküste Mittelamerikas, ich sah einen brennenden Petroleumfluß, ich sah in den Einöden Nevadas die Salztafeln des Boraxglases … vieles andere noch.
Und stand hier am Rande der Schlucht im Windschutz der brausenden Tropenriesen und starrte hinüber zum Ransawar, den die Blitze aus der Finsternis hervorzauberten.
Stumm und reglos stand auch Gari.
Freund Krake schmiegte sich an meine Beine.
Armes Geschöpf, dein feinerer Instinkt wittert die zweite Gefahr.
Zickzacklinien zerrissen das Gewölk, Donner tobte, — das Unwetter zog näher.
Wir spürten schon den Regen, und wir konnten diesen Regenguß nicht brauchen, der uns jede Aussicht verschleiern würde.
Dann abermals eine Serie von Blitzen …
Das Firmament im Osten loderte, die Helle blendete uns.
Der Ransawar mit seinem Rauchring war nur ein Teil des finsteren Firmaments, ein Teil der schwarzen, endlosen, ziehenden Decken, die das Licht der Sterne absperrten.
Der Ransawar war ein Kind der Dunkelheit, gehörte mit zu diesem drohenden jagenden Gewölk, ward in den mütterlichen Schoß der Naturgewalten mit aufgenommen, sobald ein Unwetter wie dieses von den anderen Inseln, von der Adams-Brücke herbeischlich und dann seine grimme Laune urplötzlich austoben ließ.
Serie von Blitzen …
Ein Sturmstoß, der in der Nähe ein paar Bäume knickte, der durch das Luftloch orgelte und fauchte und zischte und jäh die Rauchschwaden der Kuppe zerriß.
Loch im Firmament — Riß im Firmament.
Ich sah die bisher eingenebelte Kuppe, ich sah Ruinenreste, Steinsäulen, — — und ich sah an einer dieser Säulen eine Frau lehnen: Antoinette!
Ganz allein: Antoinette!
Der Sturm pflückte mir den grellen Schrei von den Lippen, und das Bild versank wieder in Finsternis.
Gari packte meine Hand, und wir klommen an der Innenseite der Talwand hinab.
Der üppige Pflanzenwuchs hörte sehr bald auf. Verdorrte Büsche, welke Gräser nur noch, dann nacktes Gestein, Klüfte, Täler, Schutthalden.
Wir waren jetzt unter Wind, der Gewitterorkan fegte hoch über uns hinweg, aber so sehr ich auch achtgab: Der Riß im Firmament öffnete sich nicht zum zweiten Male, auch die Blitze wurden seltener, die Böllerschüsse entfernten sich …
Gari blieb stehen.
„Abelsen, wir haben Pech …!“
Das war längst nicht mehr der Schildkrötenfischer, das war ein Mann wie ich, vielleicht mehr Mann wie ich, kein schlichter Fischer, der die Panzer der Schildkröten verkauft und den Erlös spart, um irgendwo eine Familie auf eigenem Grund und Boden gründen zu können.
„… Es hätte keinen Zweck mehr, Abelsen … Kehren wir um. Ich weiß droben im Walde ein Versteck, in dem wir vor Dauli Giwirs Gesellen sicher sind. Giwir schoß Antoinette die Kugel durch den Arm, Giwir erschoß die Chinesen, Giwir ließ Roger de Bastingar verschwinden und entführte nun auch dessen Frau. Giwir ist der Dämon, der hinter allem steckt …“
Er kletterte bergan, Füchslein und ich folgten, und der Urwald droben nahm uns wieder auf.
Bevor noch der kurze Regenguß herniederging, der ein letzter Gruß des gen Westen davonziehenden Gewitters war, erreichten wir eine Lichtung, die sich nach Norden öffnete und die einen Ausblick auf den Bambuswald freigab.
Schon vorher war mir ein seltsamer Lichtschein aufgefallen, — jetzt hatte ich die Erklärung: Der ganze Bambuswald brannte!
Es war ein Schauspiel, das selten einem Europäer beschieden wird, denn diese Riesenstangen werden selbst durch Blitzschlag kaum je in ein Flammenmeer verwandelt. Bambus brennt schwer an, sehr schwer, und dieser riesige Waldbrand dort, der fast einem Ringfeuer vorläufig glich, erregte um so mehr meinen Verdacht, als Gari schweigend mit der Hand dahin deutete, wo unsere Papageienhorste zwischen den noch unversehrten Stengeln schweben mußten.
„Giwir tut ganze Arbeit“, sagte mein Kamerad sehr laut …
Ferner Donner grollte noch.
„… Wir haben Giwir unterschätzt, Abelsen. Er hat unser Nest doch aufgespürt, und seine eilfertigen Schurken haben mit Benzin und Petroleum nicht gespart. Ein Feuergürtel um unser Nest, — das gibt Klarheit, Abelsen …!“
Garis Stimme war hart, kalt, ohne Erbarmen.
„Es kommt der Tag, Abelsen, an dem abgerechnet wird. Der Tag des Gerichts. Das Fürstentum Ransawar mag Vasallenstaat sein, aber die Gerichtsbarkeit über die Farbigen steht dem Fürsten allein zu. Der Fürst ist tot, ein englischer Beamter leitet die Staatsgeschäfte so lange, bis die Nachfolgerin oder der Nachfolger Sabranat Tismoravis gefunden sein wird …“
Meine Aufmerksamkeit war geteilt zwischen diesen Enthüllungen und dem unvergeßlichen Anblick des brennenden Bambuswaldes.
Selbst bis hierher roch man den Dunst des Benzins und des Petroleums, selbst bis hierher drang das Knallen und Prasseln der platzenden erhitzten hohlen Bambusstangen.
Die schnelle Folge von kurzen Knallen glich dem Arbeiten so und so vieler Maschinengewehre.
Je mehr die Glut um sich griff, desto erstaunlicher, erschreckender wurde dieses Bild.
Die platzenden Riesenstengel wurden brennend in die Höhe geschleudert, glichen Raketen, die, durch den Luftzug noch schärfer erhitzt, abermals explodierten und hoch über den dünnen, gelben Qualmschwaden in Funken zerstiebten — Naturraketen von einer Größe, wie die Technik sie kaum herstellt.
Die Natur übertrifft alles, die Natur bleibt die gewaltigste Erfinderin …
Wer ein solches Bild eines brennenden großen Bambuswaldes je schauen durfte, wird wie versteinert am Platze verharren und geringschätzig lächeln über ein … Brillantfeuerwerk, das mit allem Tamtam angekündigt wurde.
Die Hitze drüben mußte enorm sein.
Die Bambusraketen fegten in Bündeln durch die Luft, das Maschinengewehrfeuer vereinigte sich zu einem einzigen rollenden Krachen, der Flammengürtel schloß sich zu einem kompakten Ganzen, und mit einem Male — Spiel des Zufalls?! — sahen wir das eine unserer Papageiennester samt dem Oberteil der es stützenden Bambusstangen lodernd emporfliegen — fast wie ein brennendes Flugzeug — und wieder hinabstürzen in den brodelnden Kessel der Reste des Waldes, die selbst dieser Hitze widerstanden, weil unter ihnen nur das Dschungel seine Dampfwolken ausatmete und sie mit gelbem Qualm der Vernichtung vereinigte.
Dann rauschte der Regen herab, — Gari zog mich schnell zu einem uralten Pandanus, der, dick wie ein Gigant der Vorzeit, innen völlig hohl war.
Die Rindentür fiel zu und Gari machte Licht.
„Auch mein Heim, Abelsen“, meinte er halb belustigt, als ich mich verblüfft umschaute.
10. Kapitel.
Das indische Zelt.
In diesem fröhlichen, übermütigen Ton meines Gefährten lag zugleich ein gewisser bescheidener Stolz, und auch der war berechtigt.
Das schwache Licht, das zuerst aufglühte, war Garis Feuerzeug, und die blendende Helle, die dann aufflammte, entströmte einer Anzahl von kleineren Glühbirnen, die über dem seidenen Wandbehang geschickt verteilt waren.
Der erste Eindruck dieses Raumes war der eines türkischen Zeltes, könnte man sagen.
Aber bei näherem Hinsehen erkannte ich, daß Indien, das Land der prächtigen Seidengewebe und hervorragenden Elfenbeinschnitzereien und zierlichsten Werke in Marmor, hierzu alles geliefert hatte, alles, sogar den buntseidenen Teppich des gedielten Bodens.
Gari wurde Weltmann.
„Nehmen Sie Platz, Abelsen …“ Das war der liebenswürdige, verbindliche Ton eines Menschen, der gewohnt ist, sich in bester Gesellschaft zu bewegen, und das war die ebenso zwanglose Geste eines Mannes, der ohne jede verfängliche Aufplusterung und ohne das deutliche Bestreben, irgend ein Vorbild zu kopieren, den guten Ton vollkommen beherrscht. „Ich rate Ihnen zu jenem Sessel, Abelsen … Wenn er auch Jahrhunderte alt ist und das Leder verschiedentlich erneuert werden mußte, mit einem Klubsessel nimmt er es schon auf …“
Ich setzte mich und sagte gar nichts.
Mein Gefährte öffnete einen Elfenbeinschrank, der auf einer Auktion in Europa die Kunstkenner zu unerhörten Angeboten gereizt hätte, und hielt mir ein Goldkästchen hin: Zigaretten!
„… Sie müssen schon ein ganzes Päckchen nehmen, Abelsen, denn die Dinger sind der Tropenluft wegen in Staniol gehüllt … Ich ziehe meinen Tabak vor … Und dann, wie wäre es mit einem Gläschen Whisky oder Süßwein?“
… Wurde dankend angenommen.
Gari setzte sich dann mir gegenüber und reichte mir Feuer, trank mir zu, horchte eine Weile auf das sich entfernende Gewitter und die letzten Raketenschüsse des Bambuswaldes und meinte:
„Dieser Waldbrand war Dauli Giwirs gemeinster Streich. Er ist übrigens ein Oheim zweiten Grades von Helen Garward. Ich habe Ihr Tagebuch gelesen, — entschuldigen Sie …“
„Oh — bitte … Ich weiß es.“
So allmählich fand ich mich nun doch in die neue Situation hinein.
Gari beobachtete Füchslein Krake, der sich auf dem vornehmen Teppich äußerst eifrig der Säuberung seines Pelzes hingab.
Dies war entschuldbar. Krake hatte lange Zeit nicht gebadet, und die gewissen Schmarotzer, die an ihm zehrten, mochten sich unheimlich vermehrt haben.
„… Es bleibt eine grobe Indiskretion“, sagte der Gentleman sehr ernst. „Die Verhältnisse zwangen mich dazu, ich mußte wissen, woran ich mit Ihnen war, und ich bin Ihnen sehr dankbar, weil Sie mir über Helen die Augen geöffnet haben — in gutem Sinne. Sie scheinen die Menschen sehr richtig einzuschätzen, Ihre Beurteilung Helens ist vorsichtig und gerecht, und Ihre Stellungnahme gegenüber der ganzen Angelegenheit entspricht der eines Weisen, der über den Dingen schwebt.“
Es wäre mir lieber gewesen, er hätte Antoinette erwähnt.
Antoinettes flüchtiger Blick droben auf der Bergkuppe hatten meine geheimen Befürchtungen, die nicht zum Schweigen kommen wollten, zwar zerstreut, hatten anderseits nur dazu geführt, mich um eine böse Enttäuschung zu bereichern. Auch daraus lernt man schließlich. — Weshalb Gari so plötzlich umkehrte, war mir noch immer unklar. Ich hatte ja gemerkt, daß der Rauchgürtel um die Kuppe mindestens zehn Meter unterhalb des Kuppenrandes am stärksten war, oben mußte rauchfreie Luft vorhanden sein, — wie hätte sonst ein Mensch dort atmen können?!
Gari hob den Blick und ohne Übergang sagte er:
„Ich habe Frau Antoinette de Bastingar damals vor vier Tagen in der Bucht zum ersten Male gesehen, Abelsen … Ich konnte sie weder befreien noch die Ermordung der Chinesen verhindern, ich mußte auf mich selbst Rücksicht nehmen, war zu weit entfernt, rechtzeitig eingreifen zu können, und wäre nur ebenfalls abgeknallt worden.“ Seine Finger drehten eine Zigarette, um seinen Mund lag ein steinerner Zug. „Bei alledem ist mir nur eins äußerst peinlich, Abelsen: Daß auch ich die Rolle Frau Antoinettes fortsetzen und Sie ganz außerhalb dieses Spieles lassen muß. Das heißt“, schränkte er diese Bemerkung schnell ein, „ich möchte Sie als Gefährten nicht missen und Sie nur in Ihrem Interesse bitten, vorläufig Zuschauer zu bleiben, obwohl es ja schwer fällt, gegenüber so viel Heimtücke, die nun auch auf Sie abzielt, nicht Partei zu werden und die eindeutigste Sprache zu reden: Die eines gut gezielten Schusses. Ich hoffe jedoch, wir kommen ohne derlei Gewaltmittel aus, falls Sie mir das Testament des greisen Tismoravi zu treuen Händen übergeben wollen.“
Hätte diese Unterredung in dem Büro eines Anwalts stattgefunden, so würde nichts Besonderes dabei gewesen sein.
Aber ein hohler Baum, der mit größtem Luxus als geheimes Quartier hergerichtet ist, dazu die Gewißheit, daß draußen die tropische Wildnis, ein niedergebrannter Bambuswald und ein halb erloschener Vulkan in einem großen Talkessel die Straßen und Plätze einer Stadt und somit der Zivilisation ersetzten, — das war denn doch ein anderes Lied.
Und dazu noch dieser Mann dort in dem zweiten Sessel, der so selbstsicher, dennoch so schlicht sprach und im Grunde das Dunkel des großen Rätsels noch steigerte …!
… Man muß gegenüber so verzwickten, ungewöhnlichen Umständen schon eine große Portion Lebenserfahrung buntester Art besitzen, wenn man sich in solche Verhältnisse einzufügen weiß.
„Sie können das Testament haben, Gari …“
Er schien erfreut.
Ich dämpfte die Freude schnell.
„… Wenn Sie mir unzweideutig beweisen, daß Sie ein berechtigtes Interesse an diesen eigentlich recht verworrenen Aufzeichnungen haben, die zumeist sehr primitive Betrachtungen bitterster Art über Menschen und Dinge und im letzten Teil gänzlich unverständliche Satzstücke enthalten.“
Ich war auf Drawa Gawirs Antwort sehr gespannt.
Er lächelte etwas. „Das nennt man wohl beim Schachspiel Zwangszug, Abelsen. — Beweise wünschen Sie …“ Er sprach sehr bedächtig. „Ich könnte sie Ihnen liefern … gewiß … Aber dann wäre das Prinzip der Überparteilichkeit für Sie durchbrochen …“
Er überlegte. Seine Züge, aus denen zumeist die fast brutale Energie eines reinen Tatmenschen in jeder Linie hervorleuchtete, erhielten etwas Durchgeistigtes, und diese Verwandlung war so merklich, daß das ganze Gesicht, von diesem neuen Ausdruck nunmehr völlig beherrscht, auch in seinem Schnitt, in seiner Form verändert erschien. Diese Intelligenz dieses neuen Kopfes hatte etwas Hoheitsvolles und Gebieterisches, und als Gari nun eine eigentümliche ruckartige Kopfbewegung machte, die mir einige Male an Helen Garward aufgefallen war, wußte ich endlich, wem mein Kamerad unweigerlich ähnlich sah: Dieser selben Helen!
Ich war im ersten Augenblick über diese Entdeckung fast bestürzt.
Das Mißtrauen regte sich in mir, ich fürchtete, Antoinette dadurch einen schlechten Dienst erwiesen zu haben, daß ich mich Gari vollkommen in die Hände gegeben hatte.
Aber der Mann, der mich aus dem Wasser der Bucht gezogen und am Leben gelassen hatte, konnte wohl kaum ein Verbündeter Helens sein. Mir fielen die raunenden erregten Stimmen dort im Lagerzelt in Nevadas Hochflächen wieder ein: Helen und Antoinette, und Antoinettes Worte waren mir genau so gegenwärtig wie die Sätze Garis von vorhin, als er mich ohne große Phrasen meiner vorsichtigen Kritik gegenüber Helens Person belobt hatte. Damals waren über Antoinettes Lippen die bedeutungsvollen Worte gekommen, daß Helen nichts als ein blindes Werkzeug Dauli Giwirs, des Graubärtigen, sei und bleiben würde.
Gari lächelte wieder, und dieses nachsichtige Lächeln, das meine Gedanken entschuldigte, beschämte mich.
„Abelsen, — bitte …!“
Er hatte sich vorgebeugt, hatte auf eine der Verzierungen des Elfenbeinschrankes gedrückt, an der Seite war eine Klappe zurückgefallen, und das Geheimfach enthielt, wie ich sah, nicht nur Papiere, sondern auch lose Juwelen, zum Teil in Gold gefaßte große Diamanten, zum Teil lose Steine und mehrere Lederbeutel.
Gari reichte mir eine Photographie, Größe 12 mal 18, ein sehr scharfes, gutes Bild, das im Hintergrunde den Residenzpalast von Ransawar, im Vordergrunde aber einen Parkteil und eine Gruppe von Indern in reicher Nationaltracht darstellte.
Ich beugte mich näher zu den durch Akkumulatoren gespeisten Lämpchen, und ich erkannte unschwer vier Personen der Photographie: Den Fürsten Sabranat Tismoravi, der nachher einsam und verlassen in der Inselhöhle des Borax-Sees gestorben war, auf einem prunkvollen Thronsessel, dahinter Helen als halbes Kind, neben ihr Drawa Gari als Jüngling, und neben diesen den finsteren fanatischen Dauli Giwir.
„Das war vor … zehn Jahren, nein elf Jahren“, sagte Gari wehmütig. „Das war kurz vor Giwirs Verrat …“
„Sie sind Helens Bruder!“, erklärte ich mit aller Bestimmtheit.
„Nein, Abelsen, — ihr Halbbruder … In Ihre Aufzeichnungen hat sich ein Fehler eingeschlichen, Helen ist des alten Fürsten Enkelin, nicht Urenkelin, und ich bin Sabranats Enkel …“
Er hätte jetzt nichts mehr zu erklären brauchen.
Ich kannte jetzt das Streitobjekt.
Es war der Thron von Ransawar, es ging um die Thronfolge!
Gari dämpfte die Stimme, als er hinzufügte:
„… Sein Enkel und alleiniger Erbe, Abelsen, — mögen Sie mir nun glauben oder nicht — ich bin es! — Was hier in Ransawar vor mehr als einem Jahrzehnt sich abspielte, bedeutet mehr als eine bloße politische Intrige. Es war ein hinterlistiger Kampf um die Macht, bei dem denen, die mit Giwir, meinem Oheim, verbündet sind, kein Mittel zu gemein war!“ — Seine leichte Erregung legte sich wieder, er hatte sich gut in der Gewalt, trotzdem sah ich es seinen fahlen Zügen an, daß der Grimm ihm den Herzschlag stocken machte.
„… Ich habe nun selbst gegen meine ursprüngliche Absicht gehandelt“, sagte er äußerst beherrscht. „Ich wollte es Ihnen ersparen, mit in diesen Streit als Parteigänger hineingezogen zu werden, doch jedes übervolle Herz läuft einmal über, und bei mir gehörte wahrlich nicht viel dazu, dieses eherne Becken jahrelangen Schweigens zu sprengen! — Abelsen“, — er hatte meine Hand ergriffen — „ich schulde Ihnen unendlich viel. Meines Großvaters Testament setzt mich zum alleinigen Erben ein, — ich will Ihnen später erklären, worin diese Erbeinsetzung zu suchen ist, vorläufig, mein lieber Freund, — — mehr als danken kann ich Ihnen nicht, denn so weit ich Sie kenne, dürften Sie allen weiteren Dank ablehnen … Abelsen, Sie könnten alles von mir verlangen, alles …! Abelsen, es ist mir unendlich schwer gefallen, all dieses warme, ehrliche Gefühl in meiner Seele zu verschließen, — — ich komme mir unehrlich vor, aber Sie sehen ja anderseits: Ich habe keine Geheimnisse vor Ihnen, das Geheimfach dort birgt alles, was ich an Werten in Sicherheit bringen konnte, Sie haben mich jetzt in der Hand, Abelsen, denn glauben Sie nicht, daß der Endkampf um den Thron von Ransawar mühelos sein wird, — ich habe alles und alle gegen mich, sogar die anglo-indische Regierung, die sich durch Giwir vollständig bluffen ließ! Bluffen ist allerdings ein sehr milder Ausdruck für diese unerhörten Gemeinheiten, aber Sie wissen ja: Die heuchlerischen Schaumschläger mit der heimlichen Satansfratze des schrankenlosen Egoismus siegen zumeist! Nicht jeder kann Schaum schlagen, Abelsen, — — Sie wahrscheinlich schon gar nicht, und ich?! Meine ganze Heuchelei bestand in dem geschickten Trick, mich für tot gelten zu lassen … Ich habe gewartet … gewartet, ich hatte nicht einen einzigen Verbündeten, ich war verfehmt, ein Verfolgter, hätte man mich erwischt, Abelsen, ich wäre aufgeknüpft worden, aber — — ich war tot!!“
Er starrte auf die Photographie …
Fernher kamen die Knalle der letzten Raketenschüsse des vernichteten Bambuswaldes, in dem ich hatte verbrannt werden sollen.
Ich allein?!
Ein Blitz schlug in mein Hirn …
„Gari …!“ Meine Hand umkrallte seinen Arm. „Gari, — — die Feuersbrunst dort, das Benzin, das Petroleum, — sie galten doch nicht mir allein, auch Ihnen! Bedenken Sie, auch Ihnen!! Sollten wir beide unbemerkt geblieben sein, als wir beim Zucken der Blitze über den Sprossenpfad flüchteten?! Sollten nicht dort, wo der Pfad endete, bereits Giwirs Kreaturen gelauert haben wie überall, wie rings um den Bambuswald?! Ist es nicht wahrscheinlich, daß die Schurken an der Bucht den anderen nicht mehr rechtzeitig Nachricht geben konnten, daß der Anschlag bereits mißglückt sei?! Überlegen Sie, Gari: Die Blitze des heraufziehenden Gewitters haben uns allzeit hell beleuchtet, wenn auch nur sekundenlang!! — Gari, — — Licht aus, wir wissen nicht, ob nicht auch hier bereits draußen …«
… Ein Schuß knallte …
Noch einer …
Noch einer…
Kugeln klatschten gegen die Rindentür …
Aber Gari blieb mit einem bissigen Lächeln sitzen …
„Es ist vorgesorgt, Abelsen“, meinte er leise. „Die Tür sieht sehr harmlos aus … Zwischen den Rindenstreifen sind Stahlplatten eingebettet, meine Arbeit, und das Schloß, Abelsen, das hält schon, und der Sturm des Pandanus ist noch immer ein halb Meter dick …“
Salvenfeuer draußen …
Nicht mehr das Geknatter des brennenden Waldes …
Gari lachte …:
„Narren ihr!! Narren!! Als ob ich mich in eine Mausefalle begeben würde!!“
11. Kapitel.
Die grüne Fackel.
Ich schaute mir die Tür genauer an … Ihre Ränder griffen weit über die eiserne Türfüllung über …
Gari packte in aller Seelenruhe die Photographie in das Schränkchen zurück, schloß das Geheimfach und deutete mit gleichgültiger Handbewegung auf die seidenen Wandbehänge, die sich zuweilen lebhaft und ruckartig an einzelnen Stellen bewegten.
„Auch Kugeln, Abelsen, aber ich möchte das Nickelmantelgeschoß sehen, das eine fünffache Schicht indischer bester Seide durchschlägt, nachdem es vorher morsche Stellen des Pandanus durchbohrt hat.“
Seine Ruhe fand ich recht unangebracht.
Ich bin gewiß nie dafür gewesen, eine Gefahr zu überschätzen, aber hier entging Gari doch etwas sehr Wesentliches.
Wenn die Leute sogar ein Kleinmaschinengewehr zu benutzen wagten, obwohl im Norden der Insel in der Residenz der englische Verwalter des Fürstentums saß, dann war auch mit gröberem Geschütz zu rechnen.
Ich warnte Gari.
„Eine einzige Handgranate fegt die Tür aus den Angeln!“
„Mag sein. Aber eine Handgranate macht zu viel Lärm, Abelsen … Und Giwir darf es sich nicht leisten, auch nur den Schein eines Verdachtes gegen sich aufkommen zu lassen, zumal der bisherige Vicekönig von Indien, mit dem er allzu vertraut war, vor einem Monat durch Lord Rocksale, einen völlig unparteiischen, unvoreingenommenen Mann, ersetzt worden ist …“
Das Geschieße draußen verstummte.
Krake, der dieser Knallerei mit schiefem Kopf und steilen Ohren gelauscht hatte, schlich zur Tür und schnüffelte unten, wo ein langer Stein die Schwelle ersetzte, wich plötzlich zurück und stieß ein leises, langgezogenes Heulen aus.
„Gari!!“
Mein Freund Gari drehte sich gerade eine neue Zigarette.
„… Gari, riechen Sie’s … — Da, — — hier sickerts schon unter der Steinschwelle hindurch: Benzin!“
Ich öffnete schleunigst meine Feldflasche und goß deren Inhalt auf den nassen Fleck, der schon den Teppich durchtränkte.
„Geben Sie auch Ihre Feldflasche her, Gari.“ Mein Gesicht verriet ihm wohl, daß ich unsere Lage für verzweifelt hielt.
„Bitte …“
Jetzt roch ich das Benzin noch stärker, und gleichzeitig vernahmen wir draußen einen sonderbaren Knall, ein sehr lautes Puffen: das Benzin war angezündet worden.
„Gari!!“
Seine Wurstigkeit ärgerte mich.
„Glauben Sie, Abelsen, daß ein Pandanus so schnell in Flammen aufgeht?!“, meinte er achselzuckend. „Wohl kaum … Der Riesenbaum, übrigens sind es drei zusammengewachsene Stämme, ist noch voller Saft, sein Blattschmuck keineswegs trocken, und bevor diese grüne Fackel vollkommen auflodert, werden noch viele Minuten vergehen. Schade ist es nur um die Seidenvorhänge, die wir schon der Kugeln wegen nicht entfernen dürfen.“
Ich hatte schon manchen Menschen mit eisernen Nerven kennengelernt, — dieser hier war mir denn zu kaltschnäuzig.
„Gari, wenn Sie hoffen, daß wir durch die Tür hinausstürmen und so uns retten können, dann muß ich Ihnen leider auch die Aussicht auf diese Art Flucht verderben … Man wird uns niederknallen.“
Der Inder, der wieder im Sessel saß, kraute Krakes Kopf und rauchte sehr gelassen.
„Darauf hoffe ich nicht … Es ist nur noch zu früh“, sagte er achselzuckend.
„Wozu — — zu früh, wozu?!“ Ich hätte ihn schütteln mögen.
Und doch wirkte seine ungeheure Kaltblütigkeit ansteckend.
Ich lachte ihm plötzlich ins Gesicht.
„Gari, — — Sie haben ein Schlupfloch nach oben bereit, in der Krone!“
„Genau das Gegenteil, lieber Abelsen, — nach unten, Aber wie gesagt, zunächst muß die grüne Fackel erst einmal gründlich brennen, und dann müssen wir einen Ausfall vortäuschen, müssen die Schufte schießen lassen, müssen die üblichen, sehr wirkungsvollen Todesschreie ausstoßen und die Tür wieder zuschlagen …“
„Hm — — fassen Sie die Tür doch mal an! Die Rinde hier innen qualmt schon, — draußen dürfte ein Berg von Ästen brennen, und …, — da, hören Sie nur … der arme Baum wehrt sich gegen das Feuer, — — wie das Holz knistert und prasselt!“
Dünne Qualmsäulen füllten bereits das indische Zelt.
Gari wurde ernst.
„Dennoch müssen wir den Schein wahren, Abelsen …“
Er erhob sich.
„Geben Sie mir Ihre Büchse …“ — Er riß eine der Seidendraperien herab, umwickelte die Hand damit und wollte den Riegel zurückschieben.
Es gelang ihm nicht.
Die Rindenstücke brannten, die Stahltür war fleckig rot — rot von der Hitze, die draußen von den Teufeln immer stärker angefacht wurde.
„Dann also …“, meinte der Erbe von Ransawar, „… rollen wir den Teppich zusammen.“
Wir taten’s…
Die Gefahr wuchs riesenschnell, der Baum brannte zweifellos lichterloh, und die Rauchschwaden wurden stärker.
Unter dem Teppich erkannte ich vier quadratische Steinplatten, — Gari bückte sich, schob sein langes Messer in eine Ritze, und zwei der Platten kippten nach unten.
Ich sah eine dicke Baumwurzel, daneben einen durch Bambusstöcke abgestützten Schacht, in dem eine Bambusleiter stand, und neben ihr den Bambusbalken einer Winde mit festem Tau.
Gari stieg hinab.
„Reichen Sie mir das Elfenbeinschränkchen, Abelsen …“
Es ging sehr flink …
Alles was sich bergen ließ, glitt an dem Tau in die unbekannte Tiefe.
Zuletzt der wütend heulende Krake.
Ich drängte mich an Gari vorüber, — das indische Zelt war nur noch eine erstickende Qualmwolke, Gari drückte die Steinplatte hoch, stützte noch ein paar bereit liegende Bambuspfähle darunter, und ich beeilte mich, aus diesem Pesthauch des schwelenden Riesenbaumes in reinere Luft zu gelangen.
Ich sah an den Wänden des Schachtes die Leitungsdrähte der Lichtanlage, — ich wunderte mich über nichts: Gari hatte jahrelang Zeit gehabt, all dies herzustellen, und Geldmittel hatte er ebenfalls genügend zur Verfügung gehabt, seine Juwelen allein mochten Millionen wert sein.
Dort, wo die Leiter endete, gewahrte ich einen künstlichen Stollen, der nach Nordwest zu schräg anstieg. Die Laterne, die Gari mir mitgegeben hatte, beleuchtete auch den höchst mißmutigen Krake, der an derlei Exkursionen unter der Erde keinerlei Vergnügen fand.
Gari stand neben mir. „Wenn Sie die grüne Fackel sehen wollen, Abelsen — — bitte … Dieser Stollen läuft fünfzig Meter weit durch eine von mir künstlich überdeckte Erdfurche bis zur Spitze eines Hügels, der so dicht mit uraltem Dornengestrüpp überwuchert ist, daß nicht einmal eine Schlange sich dort hineinwagen würde … Es ist der Ausgang meines Fuchsbaus… Kommen Sie nur.“
Am Ende des Stollens wieder eine Steinplatte, die hier jedoch nur ein Erdloch schützte. Als wir sie zur Seite schoben, fiel bereits durch das Loch der rötliche Schein des brennenden Riesenbaumes in dieses sichere Versteck.
Ich richtete mich auf …
Der Anblick vor mir war ebenso erschütternd wie großartig.
Der Pandanus bildete keine Feuersäule, sondern einen feurigen Schirm … Er brannte bereits bis zur äußersten Spitze und sein flammendes gewaltiges Blätterdach schien auf einer glühenden Säule zu ruhen.
Die Waldlichtung war taghell.
Jedoch kein Mensch sichtbar, kein lebendes Wesen …
Das Grauen vor dieser ungeheuerlichen Zerstörung eines der ältesten Baumgiganten der Wildnis hatte selbst das Nachtgetier verscheucht.
Und dann kam das Ende dieses grünen Riesen, sein endgültiges Verschwinden — — für immer. Er krachte nicht etwa in sich zusammen mit wildem Getöse und sprühenden Funkengarben, — nein, sein Sterben war wie das so manchen Wildes, das ich in Steppe und Wald erlegt hatte durch jähen Herzschuß, der blitzartig beide Herzkammern lähmt und dem Todgeweihten nicht einmal Kraft und Zeit läßt zu einem letzten verzweifelten Sprung. Ein Wild so getroffen, sinkt zusammen wie vor Ermattung — langsam, — — und liegt starr, still.
So tat es auch der Pandanus, als der verkohlte Stamm die Last der noch lodernden Riesenäste nicht mehr tragen konnte.
Der Baum rutschte mit der brennenden Krone bis zum Erdboden, und was dort nun weiter in Flammen, Rauch und Asche aufging, war wie ein breites, dickes, hohes Gestrüpp.
Die grüne Fackel aber war als Fackel erloschen … — —
Der Stolz der tropischen Wildnis lohte noch bis zum Morgen, als wir längst in dem Stollen fest und doch nicht traumlos schliefen … Bis in den Mittag hinein.
Als ich erwachte, kauerte Gari unter dem Erdloch der Hügelspitze, durch das die Sonne hereinlugte, vor einem Spirituskocher und wartete auf den Morgentee. Krake kaute an einem Stück Büchsenfleisch, das nicht mehr ganz einwandfrei duftete …
Mein erster längerer Blick galt dem toten Pandanus. Die Reste qualmten noch … Aber über die Lichtung strichen bereits wieder Scharen von Papageien, und in dem grünen Dunkel des Waldes kreischten die Affen.
Selten hat mich das Sterben eines wohl tausendjährigen Baumriesen so erschüttert und so ernst gestimmt wie das dieses prachtvollen Pandanus. Und als nachher ein paar braune Kerle mit langen Bootshaken auftauchten und den Aschenberg durchwühlten, juckte mir der Finger recht bedenklich — der rechte Zeigefinger. Sie zogen wieder unverrichteter Sache ab …
Der Aschenberg war denn doch zu ausgedehnt, und in seinen Tiefen glühten noch die Reste der dicksten Äste.
12. Kapitel.
Der Riese Atlas.
Im Grunde mußte man sich wundern, daß dieser Drawa Gari, der doch an einem indischen Fürstenhofe in Prunk und Luxus erzogen und aufgewachsen war — und Ransawar war ein sehr reiches, kleines Land, weil sich an seiner Nordküste die berühmten Ransawar-Perlenbänke hinzogen —, sich nach den mir noch unbekannten politischen Ereignissen und seinem Verschwinden so leicht in die Rolle eines einfachen, im Verborgenen lebenden Perlenfischers hineingefunden hatte.
Ich konnte dies jetzt am besten beurteilen, nachdem die letzten Tage mir diesen Mann menschlich so nahe gebracht hatten.
Er war alles in allem ein Gentleman, er hatte die allerbeste Erziehung genossen, hatte schon mit siebzehn Jahren Europa besucht und dort in England ein Jahr studiert, er kannte die halbe Welt, hatte in Kalkutta am Hofe des Vicekönigs verkehrt, war dort als Vertreter seines kränklichen Vaters und seines betagten Großvaters feierlich empfangen worden, — — und all dies hatte er so nebenbei erwähnt, am allerliebsten sprach er von seinem einsamen Leben als Fischer, von seinen Segeltouren durch die Inselwelt der Palk-Straße, von seinen geheimen Versuchen, seines Oheims Dauli Giwirs schlaue Ränke aufzudecken und von seinen nächtlichen Arbeiten an seinem indischen Zelt und von seinen vorsichtigen Besteigungen des Vulkans Ransawar, dessen Gipfel er allerdings infolge Ungunst der Umstände nie erreicht hatte.
Wir saßen bei dem reichlich verspäteten Frühstück in dem hellen Stollen, die Lebensmittelvorräte Garis waren leider hier infolge des allzu langen Lagerns zum Teil verdorben, selbst die besten Konserven halten sich in tropischen Ländern nur eine bestimmte Zeit, und wenn wir nicht Hartzwieback, Honig und Pemmikan3 zur Verfügung gehabt hätten, wäre es eine sehr magere Mahlzeit geworden.
Am allerbesten hatte es Füchslein Krake. Ganz abgesehen davon, daß er hier im Stollen nach Herzenslust umherrennen und herumschnüffeln und hier und dort eine fette Feldmaus ausbuddeln konnte, fielen ihm auch all die Fleischkonserven zu, die für uns ungenießbar geworden. Seine Laune war erstklassig.
Und die unsrige?!
Wir fühlten uns körperlich wohl recht frisch, aber seelisch lastete auf uns der schwere Druck noch ganz ungeklärter Verhältnisse, da selbst des alten Fürsten Testament jene Dinge nicht aus der Welt schaffte, die gegen Gari, seinen Vater und Großvater sprachen.
Gari war nicht zum Reden aufgelegt. Er litt offenbar sehr unter dem Verlust seines Baumschlupfwinkels, es mochte ihm auch vielerlei durch den Kopf gehen, die Dinge drängten jetzt einer Entscheidung entgegen, und diese behutsam mit der nötigen Rückendeckung einzuleiten, erforderte wohl gründlichstes Abwägen jeder Kleinigkeit. Ich war ja noch immer ausgeschaltet, — was wollte es besagen, daß Gari mich vielleicht zu einem Viertel in diese dunklen Verhältnisse eingeweiht hatte?! Ich wußte nichts über Antoinettes oder ihres Gatten Anrechte auf Ransawar, nichts darüber, wie Helen Garward sich von Giwir hatte beschwatzen lassen, — alles dies waren mir ungelöste Fragen.
Meine Teilnahme an alledem beschränkte sich zur Zeit auf den Bruchteil von Ereignissen, die mich selbst etwas angingen, und das waren Giwirs heimtückische Morde, Mordversuche und Antoinettes Befreiung.
Gari drehte sich gedankenvoll eine Zigarette und machte keinerlei Miene, diese schweigsame Frühstückstafel aufzuheben.
Ich ward dieser Stille überdrüssig.
„Gari, ich will mir einmal den Schacht ansehen“, meinte ich und erhob mich. „Das Feuer dürfte auch die Wurzeln des Pandanus angefressen haben, und, falls die vier Steinplatten sich gelockert haben, die den Boden des Zeltes bildeten, könnte es geschehen daß ein neu auftauchender Trupp von Giwirs Leuten mit ihren Bootshaken doch das Loch und den Schacht entdeckten und daß dadurch unsere Sicherheit, die jetzt doch nur auf die Vermutung unseres Todes beruht, gefährdet würde. — Außerdem noch eins, Gari: Wollen Sie völlig untätig bleiben?!“
Ich reckte die Arme, den ganzen Körper. Ich fühlte die unverbrauchte Kraft meiner Muskeln und meines Geistes, und ich korrigierte meine Ansicht über Gari jetzt doch ganz wesentlich.
Mochten all diese Asiaten, deren Züge den Eroberertyp, den Energiemenschen verrieten auch für ihr Land, für ihre Umwelt den nötigen Schuß Kraftfülle besitzen, — die gewisse orientalische Lauheit, Schlaffheit und dieses geistige Versinken in allzu eifrig zusammengesuchte Erwägungen, Bedenken und phantastische Träumereien blieben für sie stets ein Hemmschuh.
Ich wollte Gari aufrütteln. Ich begegnete nur einem abwesenden, zerstreuten Blick.
Ich ging davon, in den Stollen hinein, an den kostbaren alten Möbelstücken vorüber, hob die Laterne höher und beleuchtete den Schacht.
Die Bambusleiter stand noch am selben Fleck, aber schon hier spürte ich brandigen Geruch, und als ich die Sprossen emporgeklommen war, fand ich meine Befürchtung bestätigt: Die glühenden Steinplatten, jetzt bereits halb erkaltet, hatten die Bambusstützen verkohlt, die Platten hingen schräg herab, Asche und verbrannte Holzteile füllten die Zwischenräume, und die dicke Hauptwurzel, die dieser Geheimtür als Hauptbefestigung gedient hatte, war gleichfalls nur noch ein schwarzer Strunk.
Ich rief Gari herbei.
„Bitte, — — was sagen Sie dazu?!“
Er war sichtlich erschrocken, und die bisherige lässige Haltung fiel sofort von ihm ab.
Er war auch ehrlich genug zuzugeben, daß er sich durch die unsichere Zukunft allzusehr hatte ablenken lassen.
„Die Platten müssen ganz sorgfältig abgestützt werden, Gari …“, pulverte ich ihn mehr auf. „Wir werden dazu die Bambusstangen der Absteifung des Stollens benutzen. — Los denn, ans Werk. Raffen Sie sich gründlich auf, Mann!!“
Er lächelte eigentümlich. „Das habe ich bereits, Abelsen … Sie sollen alles wissen … Nachher — alles, und dieser Entschluß hat mich harte innere Kämpfe gekostet. Soll ich leugnen, daß ich einsehe, nicht ohne Sie auszukommen?!“
„Gut denn, Gari, — — später …! — Jetzt holen Sie schleunigst ein paar Stangen, die im Stollen entbehrlich sind … Ich werde die Platten schon wieder hochwuchten und in die frühere Lage bringen.“
… Das Schicksal hat allzeit seine absonderlichen Launen. Willkürlich scheint es einzugreifen, drängt uns auf Seitenwege, die uns verborgen waren. Seine Laune ist letzten Endes das gerade Gegenteil: Es ist Fatum, Bestimmung! Wer den Zufall für alles verantwortlich macht, bleibt ein Pfuscher des eigenen Geschicks.
Ich stand oben auf der Leiter, Gari unten im Schacht, wir beide drückten die eine Felsplatte mit der Bambusstange empor, und urplötzlich löst sich die Nebenplatte, saust haarscharf an mir vorüber, ein dichter Regen von Asche folgt, in dem ich fast ersticke, und unter mir höre ich einen gedämpften Schrei, — noch mehr Asche rieselt nach, ganz automatisch stemme ich den Rücken unter die Berührungsstelle der anderen drei Platten, fühle deren Gewicht, fühle, wie sich die Leiter durchbiegt, höre, wie sie verdächtig knackt, ahne weiteres Unheil, gleiche dem Riesen Atlas, der nach der Vorstellung der Alten das Himmelsgewölbe trug, finde jedoch keinen Herkules, dem ich auch nur für Minuten diese Last aufbürden könnte, um nach dem stöhnenden Gari mich umzutun, der vielleicht bereits mit dem Tode ringt.
Immer noch rieselt Asche hernieder, meine Laterne, vor der Brust befestigt, ist nur noch eine jämmerliche, blinde Ölfunzel, — ich kann mich nicht rühren, ich zermartere mir das Hirn nach einem Ausweg, — — die Leiter knackt stärker, — bricht sie, so bin ich geborgen, und Dauli Giwir hat dann wirklich zwei Tote unter der Asche des Pandanus begraben.
Niemand hilft mir …
Niemand …
Der schmerzhafte Druck auf der Schulter ist kaum mehr zu ertragen.
Der Schweiß rinnt mir in Bächen über das Gesicht, meine Beine zittern, meine Hände tasten im Aschenregen nach der Bambusstange, nach den halb verkohlten früheren Bambusstützen, und das wahnsinnig jagende Herz und das Sausen in den Ohren und all die Anzeichen drohenden körperlichen Versagens steigert sich zu unendlicher Pein.
… Es ist Jahre her. Da hing ich an der oberen Relingstange eines Kutters, im wütendsten Orkan, da drohten mir die Wellenberge die Arme wegzureißen, und ich durfte doch nicht loslassen.
Ich ließ nicht los.
Es wäre sicherer Tod gewesen.
Wie hier …
Und hier Tod für zwei Menschen …
Ich mußte einen Ausweg finden, wenigstens diese drei Steinplatten derart abzustützen, daß sie vorläufig in ihrer Lage verharrten, bis ich Gari in Sicherheit gebracht hätte.
Mußte …
Und der Gedanke an die Folgen geringsten Nachgebens meinerseits verliehen mir wie einst, als die gigantischen Wogen der Kanäle um Kap Hoorn mich von der Reling pflücken wollten, auch wiederum die Kräfte und die kühle Überlegung, bewußt zu handeln.
Es war eine Danaidenarbeit, die Bambusstöcke so tief in das steinige Erdreich zu bohren, daß sie genügend Halt fanden, — es war Akrobaten- und Jongleurarbeit, beides in eins, es war Kampf gegen tausend Widerwärtigkeiten, — — und der Sieg wurde bezahlt mit einer so völligen Erschöpfung, daß ich die Leiter herabglitt, daß ich nur noch die allerletzte Kraft fand, die Steinplatte von Garis Leib zu entfernen und dann neben dem indischen Erben von Ransawar zusammenbrach.
Ich lag weich, ich lag in Asche, in verkohlten Ästchen, und in den Augenblicken, wo mir das Bewußtsein zu schwinden drohte, fühlte ich Krakes feuchtwarme Zunge, der sicherlich mit ratlosen Augen neben seinem Herrn hockte und helfen wollte …
Helfen?!
Hilf dir selbst, so wird Gott dir helfen …
13. Kapitel.
Die zweite Gefahr.
Über alledem sind wieder zwei Tage verstrichen, Garis Rippenbrüche werden heilen.
Wir hausen noch immer in dem Stollen, aber die Steinplatten sind gut abgestützt, ich habe durch die Dornen des Hügels über unserem Schlupfloch einen niederen Gang geschnitten, habe mich nachts hinausgewagt und Früchte, Trinkwasser und ein paar junge Wildtauben geholt und nichts von Giwirs braunen Banditen gespürt.
Der Himmel ist dicht bewölkt, der Abend hat eine Schwüle gebracht, die jeden Gedanken lähmt. — Gari liegt auf seinem Lager und schläft. Seine zähe Natur war der beste Arzt, und geknickte Rippen heilen am besten ohne Verband. In der Ferne grollt es leise … Auch gestern gab es ein Gewitter, aber der Sturm kam von Norden, und das Bett des Ransawar, des Bemützten, schirmte dessen schwärzliche Haube. Nur von Osten darf der Orkan wehen, will er mir etwas nützen.
Die Dunkelheit draußen nimmt schnell zu.
Das Grollen rückt näher, und ich lausche mit angehaltenem Atem.
Ich hoffe …
Diesmal nähert sich die pechschwarze Wolkenwand wieder von Osten.
Sie ist schwärzer denn je, mit unheimlich schwefelgelben Rändern, und ihre Ausdehnung verheißt ein Unwetter, das mir endlich den Weg zum Gipfel des Ransawar freigeben wird.
Ich warte und hoffe …
Alles ist genau überdacht und vorbereitet, und das erste Aufleuchten des Blitzes wirft auch die Lähmung dieser unerträglichen Schwüle von mir. Dort, wo die auserwählten Pilger unter Führung von Priestern, die dem Oheim Giwir blindlings ergeben, den Berg eiligst erklimmen, eiligst ihre Andacht verrichten und wieder umkehren, werde auch ich in dieser Nacht den Ransawar bezwingen, nur Krake wird mein Begleiter sein, und meine Waffe, und mein gutes Gewissen mein Schutz: Wehe denen einer dunklen Verschwörerrotte, die sich mir in den Weg stellen! Ich räume mir die Hindernisse schon bei Seite, ich werde niemanden schonen! Leute, die mit Benzin und Petroleum die Gegner niederträchtig einzuäschern beabsichtigen, gehören eigentlich an einen festen Strang und in eine Schlinge, — die ehrliche Kugel ist gegen die Unehrlichkeit ein zu anständiges Mittel!
Das schwarze Ungetüm von Wolke steigt höher, verschluckt die inzwischen aufgegangenen Sterne.
Die Finsternis wächst, die Natur erstarrt zu brünstigem Schweigen wie eine jener Unersättlichen, die den Augenblick erlauern, um mit dem wilden Feuer ihrer Leidenschaften alles in Aufruhr zu bringen.
Die Natur duckt sich zusammen, — — und die fernen Blitze sind nur das Schillern toter Augen, die trügerisch den Anstand wahren. Der ferne Donner ist das Röcheln des Vorgenusses einer unerhörten Ekstase.
Gari regt sich zur Unzeit.
Laternenschein trifft mich. „Olaf, — — marschbereit?!“ In seiner Stimme klingt Unruhe.
„Ja! Das Unwetter naht, und die Schlucht der Talwand, diese Trompete, dieses Blasrohr des Ransawar, wird wie damals von Jaulen und Heulen erfüllt sein, die Rauchmütze wird zerflattern, und der Riß im Firmament wird mir den Weg freigeben! — Ich gehe!“
Garis Gesicht wird bleigrau.
„Olaf, Sie werden nicht gehen …! Sie werden hierbleiben, denn der Berg …“
… Und die ungeheuere Erregung, die ihn so jäh befiel, raubt ihm Atem und Besinnung.
Ich flöße ihm kalten Tee ein, gleichzeitig ein leichtes Schlafmittel, — ihm wird hier nichts zustoßen, und ich stehe schon allein meinen Mann.
„Krake, allons ‥!!“
Krake liebt das Halsband nicht … Ich nehme ihn an den Riemen, seine Jagdausflüge kenne ich, und mein Weg bis zur Schlucht führt durch Urwald in dem allerlei Gewürm haust, einiges davon vier, fünf Meter lang.
Wir kriechen durch die Dornen, betreten den Wald, der starr und tot mit seinen Blättern den Feind erwartet, der vielleicht Furchen in die Reihen jener Stämme reißen wird oder die Kronen köpfen wird wie ein Scharfrichter mit sausendem Schwerthieb.
Die ganze Natur schweigt …
Allzu zart klingt das Gurren der Wildtauben durch das Dunkel.
Muttertauben, die ihrer jungen Brut Mut zuflüstern.
Scheu klingt das Kreischen der Affen und Papageien, die längst als reine Sklaven des Instinkts tiefste Äste ausgesucht haben und die höheren Plätze meiden.
Krake spürt vor mir her mit pendelnder Rute, er kennt den Weg, ich kenne den Weg, — die beiden letzten Nächte verstrichen nicht nutzlos.
Krake tänzelt zuweilen wie auf Eiern.
Ameisenheere überqueren den Weg, und der Laternenschein enthüllt ihr Tun: Sie schleppen in den Kiefern weiße Eier davon, sie geben einen Bau preis, der ihnen vor dem drohenden Unwetter nicht sicher genug erscheint.
Instinkt all das?!
Mag sein …
Instinkt ist vielleicht mehr als Verstand. Aber niemand will das ehrlich heraussagen, es paßt nicht hinein in die göttliche Mission des Menschen, die ein Übermenschentum sein soll und ein Untermenschentum ist.
Wir eilen …
Der nächtliche tropische Urwald zeigt uns verschwiegene Wunder.
Was tut es, daß meine Laterne halb verdeckt brennt?!
Es irren hier so zahlreiche lebende Lämpchen umher.
Leuchtkäfer von Daumengröße, größer als die Brasiliens, wo die eitlen Weiber einstmals in Tüll gesperrte lebende Brillanten im Haar trugen, — nur eine von vielen Modenarrheiten einer närrischen dekadenten Zunft hirnloser, flitterbehängter Puppen.
Die Schlucht ist erreicht.
Ein Blick nach Osten..: Das offene, mit Inseln und Riffen gespickte Moor müßte man von hier sehen. Man sieht es, wenn die Feuergarben niederschießen, wenn die Scheinwerfer des Himmels sich einschalten und ungeheuere Mengen elektrischer Kraft den Ausgleich zwischen Gewölk und Erde schafft.
Ich triumphiere …
Wieder drei, vier Blitze …
Und ich fühle den nahenden Sturm …
Ich rieche den Regen …
Aber der Sturm ist mir wertvoller.
Der Ransawar wird erobert werden, seine Geheimnisse werden sich mir enthüllen, Antoinette soll frei sein, und Dauli Giwirs Spießgesellen frißt das Verderben — — vielleicht zu schnell.
Krake klettert jetzt hinter mir her in das kahle Tal hinab, Krake ist flink wie ein Wiesel, der Speckwanst hindert seine Beweglichkeit nicht, und wenn ich ihn eine steile Böschung hinabhebe, knistert sein Fell wie das eines Katers …
Krake, ich glaube, du hast mich bemogelt, du hast Katzenblut in den Adern, obwohl ihr Yucatanfüchse eine Spezialsorte von Fuchs seid — — ohnedies!
Das steinerne Riesenbett des Ransawar nimmt uns auf mit den grimmen Salutschüssen des Himmels …
In diesem Kessel verfängt sich der Schall, wird unsinnig verzerrt hin und hergeworfen, und das Dröhnen des Donners sprengt fast das Trommelfell.
Knatternd wie das Splittern eines riesigen dicken Balkens schießt ein neuer Blitz herab …
Die grelle Lichtflut zwingt uns zwischen das Geröll …
Weiß ich denn, ob nicht lauernde Augen irgendwo die Ostwand des Ransawar betasten?!
Und wieder weiter …
Der Fuß des halb erloschenen Vulkans mit seinen erkalteten Lavastreifen, mit seinen Klüften, Terrassen, Grotten und mit der Rauchmütze droben, wo der Qualm der unterirdischen Feuer unterhalb des Gipfels aus Spalten dick hervorschießt, ist nun erreicht, der Anstieg beginnt, — Krake ist frei, Krake mag Führer spielen, er wird die Fährten der Pilger noch wittern, wir werden droben sein, wenn der Sturm losbricht, und …
So eilig ich es habe …
Der Fuß stockt.
Was sagte doch Gari vorhin …?
Eine zweite Gefahr?!
Kann er nur die Menschen gemeint haben, die droben hausen?!
Nur die?!
Ein zweite … Gefahr?!
Außer dem Rauchgürtel noch etwas?!
… „Krake, hierher …!!“
Tollkühnheit ist Torheit.
„Krake, lasse dich anseilen … Unsere Laterne mußten wir löschen, sehr bald wird die Finsternis schwärzer sein als eine Dunkelkammer, und die Blitze werden uns nur blenden, und die Schwärze ist dann schwärzer denn je!“
Krake gehorcht. Wir stehen auf einer breiten Steinterrasse, an die Felswand geschmiegt, und Freund Füchslein drängt sich an meine Beine, zittert, — ich fühle es …
Angst — er, — — wovor?! Gewitterscheu — er?! Noch niemals merkte ich es bei ihm.
Wovor Angst?!
… Und das finstere Gebilde im Osten schleicht näher, auch nur ein Teil der Natur, ein Bruchteil des großen Naturgeschehens.
Die Sterne sind verschwunden. Wir holpern wieder vorwärts, klettern, klimmen, rutschen, aber Krakes Mut ist zerstäubt, Krakes Vorwärtsdrang ist lau, die Leine in meiner Hand bleibt schlaff, Krake ist lustlos, vorsichtig …
Immer wieder brüllen die Batterien des Himmels, immer wieder fliegt das gleißende Licht der krachenden Blitze sekundenlang durch die tiefe, drohende Schwärze des Firmaments. Immer wieder gellen uns die Ohren vor diesen infernalischen Paukenschlägen.
Wir haben bereits jene Stelle hinter uns, die wir vor vier Tagen nachts zusammen mit Gari erreicht hatten, — und umkehrten, weil das Unwetter davonzog.
Wieder eine Terrasse, — ein Blitz zeigt sie uns …
Im Hintergrund dieser Felsenkanzel, die von dunklen, glasigen Lavaflüssen eingerahmt ist, eine enge Grotte …
Abermals zaudert Krake, drängt sogar rückwärts, den Kopf immer auf den Höhleneingang gerichtet, und … winselt.
Seine Augen funkeln, die Ohren sind zurückgelegt, die geschmeidige Gestalt macht sich klein und kurz und kauert zwischen meinen Knien. Ich liege schräg im Geröll …
Wieder ein Blitz …
Schneller Rundblick …
Und ich sehe, daß das grelle Licht durch irgend eine Öffnung in die Grotte fällt, daß über der Grotte ein bequemer Felsgrat verläuft, der sich offenbar bis zum Gipfel fortsetzt. Es muß der richtige Weg zur Kuppe sein, dieser Durchschlupf durch die Höhle, und da so eben eine neue Zickzacksäule herabschoß, zerre ich den sich sträubenden Krake schleunigst mit in die Grotte.
Fast im gleichen Augenblick faucht auch der erste Sturmstoß von Osten her gegen die Talöffnung, durch die tiefe Schlucht, und mit seltsamem Orgeln und fast tierischen Lauten trifft die Luftwelle den Bergkegel, heult in der Grotte wie eine Schar gefolterter Seelen und verliert sich in dünnem Winseln in den Tiefen des Talkessels.
Sofort folgt auch der zweite Angriff des losbrechenden Gewittersturmes, begleitet, übertönt von den Trommelwirbeln neuer Blitze. Benommen, seltsam benommen stehe ich noch immer in der Grotte … Ein eigentümliches Prickeln reizt mir die Schleimhäute der Nase, — — ich will vorwärts, stolpere und sinke in die Knie, bin wie betrunken, stütze mich mit den Händen auf den Boden, — — will mich stützen, und fühle Krakes Körper, der flach auf dem Gestein liegt.
Der Orkan brüllt jetzt mit voller Wucht gegen den Berg, der Talkessel ist ein grauenvoller Orchesterraum, aus dem die Kakofonien einer höllischen Ouvertüre hervorquellen … Die Grotte ist wie ein Riesenmikrofon, in das der Satan Sturm seine wilde Stimme hineingellen läßt, und das Loch in der Höhlendecke scheint die Drahtleitung zu sein, die diese schrille, mächtige, erschütternde Stimme weitergibt …
Immer noch kauere ich halb liegend am Boden, immer noch will diese unerklärliche Benommenheit nicht weichen, bis ein Gedanke, der unvermittelt das Unerklärliche lichtet, mich mit aller Gewalt hochreißt …:
Kohlensäure!!
Die Höhle ist mit Kohlensäure gefüllt, — keine so seltene Naturerscheinung, bekannt genug durch sogenannte Todesgrotten in vulkanischen Gebieten, wo dieses Gas, vermischt mit anderen Bestandteilen, freilich zumeist nur meterhoch über dem Boden lagert, weil es schwerer ist als Luft.
Flucht also, — Flucht vor der zweiten Gefahr, die Gari mir andeutete. — Gari wußte um diese Gefahr, und nur die Erschöpfung hinderte ihn, mir ihren wahren Charakter mitzuteilen.
Flucht nach oben durch das Loch der Höhlendecke, bequeme Flucht, denn die Grottenwand springt vor, hat Stufen, — — ich nehme Krake in den Arm, wir schaffen es, droben auf dem Felsgrat trifft uns der Orkan mit aller Macht, preßt uns gegen das Gestein, preßt uns das Gift aus den Adern, — Füchslein Krake regt sich, niest … niest, strampelt mit den Beinen, und in kurzem sind wir wieder wohlauf, saugen den Sturm in die Lungen ein, sehen das Gewölk dicht vor uns, und so tief ziehen die orkangejagten Regenwolken, daß sie die Talränder streifen, daß man genau zwei Wolkenschichten beim Schein der Blitze erkennt: Die tiefschwarz elektrisch geladene Wand, die langsam sich näher schiebt, und die helleren, weniger dichten Wolkenfetzen, die Walküren des großen Gewittergottes Donar …
Dann ein Blick nach oben: Die Haube der Kuppe ist weggeblasen, der Weg ist frei!
Ich entsichere die Repetierbüchse, lockere die Pistolen, — alle Hast ist von mir abgefallen. Ich weiß, daß der letzte Kampf dort droben der schwerste sein wird.
14. Kapitel.
Kapitän Amed Schami.
… Der letzte Kampf ist etwas ganz anderes.
Der letzte Kampf ist der, den du, Weltenwanderer, an dem Tage ausfichst, an dem deine Lebensuhr still zu stehen droht und du rückschauend, wenn du eine Seele hast, deines Daseins Pfade überblickst.
Die letzte Abrechnung vor dir selbst, das ist der letzte Kampf.
Deine Gegner sind die, die dein Leben lang dein eigenes besseres Selbst unter das Trommelfeuer von Selbstsucht, verhüllter Heuchelei, Pharisäertum und satter Zufriedenheit nehmen …
Und du freiwillig Zielscheibe spieltest.
Weil du dich wohl und behaglich dabei befandest, weil dieses stille Trommelfeuer die nahenden Stimmen übertönte, die beim Anblick derer erwachten, die da darben, die die versteinerten toten Wegweiser deiner Pfade in die Tiefe sind.
… Wenn du eine Seele hast, ist das der letzte Kampf. Und dann siegst du, und siegen heißt hier: Erkennen.
Erkenne dich selbst in all deiner schäbigen Selbstzufriedenheit, und du wirst als ein Gerechter eingehen in das Land, aus dem es keine Heimkehr gibt.
Die keine Seele haben, sterben, wie sie lebten: Als geistig Arme! — Was ihnen droht, wenn der letzte Herzschlag verklungen, ahnen sie nicht. Das Leben und Sein hätte keinen Sinn, wenn das Jenseits nur jenes bequeme Bild wäre: Eine Kerze erlischt, und alles ist vorüber.
Eine Kerze erlischt, — — aber nie ohne letzte Spuren, nie ohne den Qualmfaden, der nach oben zieht, — — und nie ohne Überbleibsel.
— — So las ich es einst in einem der Werke meiner berühmten Landsmännin. Möglich, daß ich Worte und Sätze nicht genau behalten habe. Aber sie haben sich eingebrannt in mein Hirn mit ihrer erhabenen Schlichtheit und wundervollen Auslegungsmöglichkeit. Anders als die Satzgefüge derer, die mit ihr gleiche Ehren genießen und doch nie das eine besitzen können: Die Ehrlichkeit einer durch nichts erschütterten Lebensweisheit und Weltanschauung.
Es klingt so großspurig: Letzter Kampf! — Wie oft war es mir beschert, letzte Kämpfe auszufechten, — — und Monate später … wieder ein …letzter Kampf!
Und doch hat dieser Ausdruck hier an dieser Stelle eine gewisse Berechtigung.
Der Riß im Firmament hat sich ja bereits wieder geschlossen. Auch der Riß, der durch meine Seele ging. Mein letzter Kampf nach alledem, was noch geschah, war … verzichten … und lächeln.
— Garis Dankbarkeit hat mir alles gespendet, was ich brauche: Einen flinken Motorkutter, Proviant, — — und einsam gleite ich durch die Inselwelt der Palk-Straße, Ransawar liegt hinter mir, und mein Ziel ist der Zufall.
Der Riß im Firmament hat sich auch über einem schlichten Grabe geschlossen. Füchslein Krake …: Es war einmal! — Es war einmal ein Yucatan-Füchslein mit nicht ganz reinem Blut und mit einer Schabracke auf dem Rücken, mit helleren, grauen Schakal-Streifen, spitzer Schnauze, äußerst beweglichen Ohren und buschiger Rute, die ihre besondere Sprache redete. Ein Tier ohne überschwängliche Zärtlichkeit, ohne jede spielerische Leichtfertigkeit, — treu, tapfer, seinen ererbten Instinkten folgend.
Mein Kamerad ein volles Jahr lang. Und das besagt genug. Die Natur lieben und mit ihr leben, heißt auch ihre Geschöpfe lieben. Ich habe Krake geliebt.
Er starb — — eines Kindes wegen. Für ein Kind.
Daß er den großen Heuchler und ehrgeizigen Intriganten abtat: Wir danken es dir alle, Füchslein Krake!
… Das Meer ist flüssiges Gold, und durch das leise schäumende Gold zieht mein Boot dahin, gemächlich, ohne Ziel … Die Sonne entschwindet im Wasser hinter den weißen Türmen des Schlosses von Ransawar, — vielleicht, daß Antoinette, ihren Knaben im Arm, auf einem der Türme mit dem Fernglase steht und mir nachblickt …
Vielleicht …
— —
Der letzte Kampf … — Der halb erloschene Vulkan Ransawar, über den die Blitze hinwegflammen, dessen Rauchkrempe der Orkan davonfegt, ist für mich freies, offenes Land … Unbekanntes Land …
Der Weg zur Kuppe ist nicht mehr beschwerlich, der Felsengrat läuft im Zickzack breit und bequem aufwärts, und ich und Krake haben nur eine Sorge: Daß das Licht der Blitze uns verrät.
Als wir die Stelle erreichen, wo aus den Ritzen der Lavamassen wie aus waagerechten Schloten oder Auspuffen der nach Schwefel stinkende Qualm mit hohlem Zischen hervorquillt, wird es mir erst so recht klar, daß diese Rauchhaube des Berges der sicherste Schutz für den Gipfel ist.
Nur ein Orkan wie der, der jetzt tobt, weht diese Qualmmassen bei Seite, die, auch ein Spiel der Natur, den Felsengrat sonst vielleicht dreißig, vierzig Meter weit versperren.
Und trotz dieses gewaltigen Sturmes bleiben diese vierzig Meter immer noch ein Pfad zwischen Hexenkesseln. Wenn der Orkan auch nur ein wenig nachläßt, blasen die offenen Ventile pralle Rauchsäulen über den Weg, und wir flüchten vor diesen heimtückischen giftigen Wolken in langen Sprüngen, kauern schließlich dicht unterhalb der Kuppe, und ein neues Wunder offenbart sich: Diese Kuppe ist wie ein Pilz mit breitem Dach aus erstarrter Lava, und nur dieses Dach schützt den Gipfel vor den Giftschwaden und lenkt sie zum größten Teil unschädlich ab.
Auch das Dach hat hier einen Riß, schmal, so schmal, daß nur ein einzelner Mensch hindurchkriechen kann, und der nächste Blitz zeigt mir über dieser Spalte ein helles Gitter von Steinpfählen, die sauber übereinandergeschichtet sind, und deren Gewicht wohl allen Anstrengungen trotzen dürfte.
Allen?!
Ich bin dem Regen dankbar, der jetzt urplötzlich einsetzt, ich drücke mir nur den Filz tiefer in die Stirn und steige die sauber ausgehauenen Stufen in der Spalte empor, befühle das Steingitter und habe sehr bald festgestellt, daß die einzelnen Steinpfähle an den Enden durch Eisenklammern festgehalten werden.
Was mir nur ein Lächeln entlockt.
Kehrt also …
Das lange, dünne Seil, das ich für alle Fälle mitgenommen habe, ist fünfsträhnig und gut geölt, und im Lassowerfen bin ich kein Meister, aber auch kein Anfänger. Bindet man einen länglichen Stein an das Lassoende, wirft man leidlich geschickt, dürfte der Stein zwischen die vordersten Gitterstäbe gleiten, dürfte das Seil herabziehen, und das weitere ist nur ein Turnerkunststück.
Daß Krake gegen die Verstauung im Rucksack durch Knurren protestiert, verarge ich ihm nicht. Es hilft ihm nichts.
Ich werfe, treffe, halte ein doppeltes Seil in Händen und klimme empor, schwinge mich über den ersten Gitterstab, und springe sofort in Deckung hinter eine der hohen Ruinensäulen.
Gerade noch zur rechten Zeit, denn ein Blitz folgt, und trotz des strömenden Regens erkenne ich zehn Meter zurück eine sitzende Gestalt, in eine Decke gehüllt, das Gewehr über den Knien.
Der Kerl mit dem Ziegenbart, möchte ich wetten, war einer von denen, die vorgestern den Aschenhaufen des Pandanus mit den langen Bootshaken durchwühlten.
Ein Wächter …
Wachtposten wäre eine zu ehrenvolle Bezeichnung.
Ein patentierter Wächter …! Schlafe selig, mein Freund, du wirst sehr bald, falls du Mätzchen machst, für immer schlafen! Ich kann dich hier nicht brauchen, wahrscheinlich duftest du auch noch nach Benzin und nach Petroleum von deiner Tätigkeit als Brandstifter …!
Immerhin, — ich hatte ihm doch Unrecht getan, er schlief nicht, er war sogar äußerst munter, als ich ihm freundlichst die Kehle befühlte …
Nachher lag er still. Ohne Decke. Die Decke hatte sehr praktische Stricke hergegeben. Ein Rundgang um die Kuppe, Durchmesser etwa hundert Meter, führte zunächst zu keinen wesentlichen Feststellungen, erst ein paar letzte Blitze zeigten mir, daß hinter den Felstrümmern der ehemaligen Krateröffnung eine hölzerne Treppe in die Tiefe führte und daß dort irgendwo eine Laterne brannte.
Die Treppe war aus dicken Pfählen hergestellt, fast wie Eisenbahnschwellen, war auch geteert und hatte ein ebenso hohes Geländer. Sie lud geradezu zum Nähertreten ein, und ich war auch sehr bald vor einer sauber gearbeiteten Tür mit Milchglasscheiben, hinter der das Licht leuchtete.
Ein vorsichtiges Auskundschaften des Grundes des Kraters bestätigte meine Vermutung, daß man hier offene Grotten durch Mauerwerk von Lavagestein und durch Einfügen vergitterter Fenster und starker Türen in Wohnräume umgestaltet hatte.
Ich wollte den wachsamen Wächter ein wenig ins Verhör nehmen, denn auf gut Glück hier Unbesonnenheiten zu begehen, lag mir durchaus fern.
Der Inder mit dem Zickelbart war inzwischen wieder erwacht und schien durch die Messerspitze, die seine stoppelige Kinnpartie bedrohte, derart windelweich von Gemüt zu werden, daß er in eiligstem Tempo, geradezu mit orientalischer Hast sein gesamtes Inneres umkrempelte und alles hergab, was er wußte.
„Wann wirst du abgelöst, mein lieber Freund?“
„Nach zwei Stunden, Sahib.“
„Wer befindet sich dort in dem Krater? Wie viele von euch Gurgelabschneidern und Brandstiftern außer Frau Antoinette?“
„Zehn — mit mir elf, — der Zwölfte ist Dauli Giwir …“
„Und wer noch?“
„Sahib Bastingar und Frau, deren Söhnchen und die Mem Sahib Garward.“
Wenn mich schon Giwirs Anwesenheit hier recht überrascht hatte, — Helen Garward hätte ich an diesem Orte nie vermutet.
Ein allerletzter, ganz ferner Blitz zeigte mir die Fratze des Zickelbartes, und zeigte ihm auch mein Gesicht. Bisher hatte er es nicht gewußt, mit wem er es zu tun hatte.
Er setzte sich mit einem Ruck aufrecht …
„Sahib, … du?! Lebst du ewig?!“
„Es scheint so …“
Der tödliche Schreck in seiner Stimme war mehr humorerregend. Der Mann schlotterte am ganzen Körper, und es dauerte eine geraume Weile, bis er sich so weit wieder gefaßt hatte, überhaupt einen Ton hervorzubringen.
„Ich … will dir … helfen, Sahib …: Verlange, was du willst…!“
Ich merkte, daß seine Angst doch noch eine andere Ursache haben mußte.
„Weshalb ist Giwir hier?“, fragte ich ohne alle Umschweife.
Der Inder, der schon durch sein fließendes Englisch verriet, daß es sich um keinen gewöhnlichen Diener Dauli Giwirs handeln könne, entgegnete ohne Zögern:
„Sahib, der neue Vicekönig hat einen Bevollmächtigten nach Ransawar geschickt, der vorgestern dort eintraf. Giwir — du wirst es wissen — war Minister und allmächtiger Herr, er hatte auch mich in der Gewalt, er hat mich betrogen und immer mehr in seine dunkle Angelegenheit hineingezogen. Man hätte mich der Waffenfunde wegen mit aufgeknüpft, Sahib … Ich ahnte gar nicht, daß es Waffen und Munition waren, die ich mit dem Frachtdampfer herbeiholen mußte. Ich bin Kapitän, Sahib, mit einem englischen Diplom, und ich war bis vor zwölf Jahren ein ehrlicher Mann. Ich hasse Giwir …“
Es hatte nur dieser einen Andeutung über Waffenfunde bedurft, um die unklaren, verworrenen Aufzeichnungen des greisen Fürsten von Ransawar vor meinem geistigen Auge wieder erstehen zu lassen.
Auch Sabranat Tismoravi hatte von einem „gemeinen Streich mit eingeschmuggelten Waffen“ gesprochen.
Wie sollte ich damals, als ich sein Testament las, diese Dinge bereits überschauen?!
Jetzt konnte ich es.
Wenn mir auch noch nicht alles klar war, wenn mir auch noch einzelne Verbindungsglieder dieser widerwärtigen Kette von Heimtücke, Selbstsucht und schrankenlosem Ehrgeiz fehlten, wenn ich auch nicht die Rollen einzelner, zweifellos gutgläubiger Mitspieler vollends begriff: Der Ring der Ereignisse war für mich geschlossen, und das Endspiel mit seinem kaum mehr zu fürchtenden Ausgang sah mich nur als Zuschauer, sobald ich hier für meine Person mit dem Herrn Minister Giwir abgerechnet hatte.
15. Kapitel.
Wie Füchslein starb.
Da es zu gefährlich schien, mit dem indischen Kapitän gerade an dieser Stelle noch weiter zu verhandeln, befreite ich den Mann von seinen Fesseln, und er selbst, erfüllt von ehrlicher Dankbarkeit und froh darüber, seinen Namen wieder reinwaschen zu können, führte mich zu einem geschützten Winkel zwischen den Felsen, von wo wir die erleuchtete Tür der Kraterwohnungen im Auge behalten konnten. —
Füchslein Krake ist ein ungemein sicherer Wertmesser für menschliche Charaktere.
Wenn er einen Fremden erst einmal gründlich beschnuppert hat und dann gleichgültig bleibt, also keine Abneigung durch Knurren und Schnappen bekundet, darf man sich getrost auf seine „Witterung“ verlassen.
Dieser Kapitän Amed Schami wollte nunmehr mit der Aufzählung verschiedener Einzelheiten beginnen, die, wie verständlich, mit dazu beitragen sollten, seine eigene Handlungsweise in ein milderes Licht zu rücken.
Ich unterbrach ihn sehr bald.
Der Regen hatte derweil nachgelassen, auch der Sturm war abgeflaut, und ich hatte im Augenblick ganz andere Sorgen.
Ich wußte, daß ich hier auf der Kuppe so gut wie gefangen war. Die Rauchmassen und die Gase würden wie gewöhnlich den Ransawar absperren, und Antoinettes Befreiung, die doch allem anderen voranging, stieß somit auf Naturhindernisse, die nur durch technische Mittel zu überwinden waren.
„Und ihr benutzt Gasmasken beim Besteigen und Verlassen des Ransawar“, sagte ich sehr bestimmt.
Er bejahte.
„Wärest du imstande, diese Gasmasken sämtlich nachher aus den Wohnungen heimlich hierher zu schaffen?“
„Mit Leichtigkeit, Sahib … Schon jetzt.“
Er deutete auf die Tür am weitesten links.
„Dort, Sahib, ist die Vorratskammer und die Küche, und dort liegen die Gasmasken. Übrigens gelangt man auch von dort in die tieferen Teile des Kraters, die nur wenige kennen, Sahib. In den Lavahöhlen liegen noch die Waffenkisten von damals, die nicht alle zerstört werden konnten, weil sie Zinkeinsätze hatten, besonders um die Maschinengewehre vor der Nässe zu schützen. Giwir fürchtete den neuen englischen Bevollmächtigten und will die Kisten noch in dieser Nacht ins Meer versenken, weil sie gegen ihn zeugen. — Entschuldige, Sahib, du hättest mich vorhin ausreden lassen sollen. Giwir ist sehr in Angst, und der Wechsel des englischen Bevollmächtigten in Ransawar traf ihn um so härter, als er am Tage zuvor das Söhnchen der Mem Sahib Bastingar, das bei Perlenfischern versteckt gehalten war, endlich gefunden und nunmehr völlig gesiegt zu haben glaubte. Hat Prinz Drawa Gari, den Brahma segnen möge, dir erzählt, daß die Gattin des alten Sahib Bastingar, also die Mutter des Mannes der Frau Antoinette, eine Prinzessin von Ransawar gewesen ist? Mithin ist auch Roger de Bastingar ein halber Ransawarite und hätte Ansprüche auf den Thron.“
„Das ahnte ich …“ — Ich konnte und wollte Amed gegenüber nicht zugeben, daß Gari mich nur zum Teil eingeweiht hatte.
All das war ja auch bedeutungslos. Sogar Antoinettes Person und mein persönliches Konto bei Herrn Giwir traten jetzt vollkommen in den Hintergrund. Mir lag ausschließlich noch etwas daran, die Vernichtung der bewußten Waffenkisten zu verhindern. Das war zunächst meine Hauptaufgabe.
Nach kurzem Überlegen und einigen raschen Worten mit Kapitän Schami schickte ich ihn in die Vorratskammer. „Nicht eine einzige Gasmaske darf dort bleiben, merken Sie sich das, Schami! Ich vertraue Ihnen, und werde auch dafür sorgen, daß Sie straffrei ausgehen.“
Wir hatten beide wieder den etwas rauhen Ton der Wildnis abgestreift und sprachen miteinander als Leute von Bildung, die ein gemeinsames Ziel im Auge halten.
Schami schlich davon.
Der Himmel war derweil wolkenlos geworden, die Sterne funkelten in den Wolkenlöchern, und man konnte ohne Schwierigkeiten die ganze Kuppe überschauen, die, ständig von leichtem Dunst überzogen, ein recht ungesunder Aufenthalt war.
Die Ruinen an der Ostseite, Reste eines Tempels, ließen nun auch zwischen den noch vorhandenen Steinsäulen die wundertätige, doppelt lebensgroße Brahmastatue erkennen, das Ziel so vieler Pilger.
Ich beobachtete den hageren, sehr gelenkigen Schami, der in seinem faltigen Gewande wie ein Schatten in den Krater hinabhuschte und dann in der letzten Tür verschwand.
Es hing unendlich viel davon ab, daß ich die sämtlichen Gasmasken in Besitz bekam. Sie allein schon lieferten mir Giwir und seine elf Verbündeten widerstandslos in die Hände.
Mit steigender Erregung, die ich nach den Geschehnissen der letzten Tage mit ihren schwersten Anforderungen an die Widerstandskraft meiner Nerven kaum meistern konnte, erwartete ich Amed Schamis Rückkehr.
Es war jetzt kurz nach Mitternacht.
Konnte ich wissen, wann Giwir damit beginnen wollte, die Kisten wegzuschaffen? Vielleicht hatte er das Ende des Unwetters als Zeitpunkt hierfür bestimmt.
Ich fieberte förmlich, da sich auf dem Milchglasfenster der erleuchteten Haupttür bewegliche Schatten zeigten, — Männer, und ich war fest entschlossen, keinem dieser Burschen dort das Verlassen des Kraters zu gestatten, ich hatte die Büchse im Anschlag, neben mir auf dem Gestein fünf Patronenrahmen, und den wollte ich sehen, der lebend die Kuppe erreichte!
Es ging hier um alles.
Von der bescheidenen Warte eines gut gepolsterten Schreibsessels herab läßt es sich gut sagen, daß ein Menschenleben ein gar kostbares Ding sei und unbedingt geschont werden müsse.
Wer die Raketen des Bambuswaldes emporfliegen sah, wer den Feuergürtel dort beobachtet hatte, der unseren Papageienhorst samt Bewohnern in Asche legen sollte, wer die beiden toten treuen Chinesen an Antoinettes Badestrand niedergemäht erblickt und dann wie ich ebenfalls eine Kugel gespürt hatte, und wer schließlich das Lebendig-Verbranntwerden gekostet hatte, der weist all diese weibischen Anwandlungen von feiger Friedfertigkeit und von verlogener Menschenbeglückung von sich. Mörder gehören auf den Richtblock oder vor eine Gewehrmündung, und Giwir mit seiner Sippe machthungriger Vettern und Freunde wäre vor sechzig Jahren, als die Engländer den großen indischen Aufstand brutal und doch zweckmäßig unterdrückten, vor eine Kanonenmündung gebunden worden, — gewiß ein sehr probates Mittel, selbst die fanatischste Kampfgier abzukühlen.
Giwirs Schuldkonto war abgeschlossen.
Daß er niemandem mehr schaden würde, dafür sollte gesorgt werden.
Endlich bemerkte ich Schami, — er trug eine Kiste im Arm, und er hatte … Pech.
Die Kiste stieß gegen die Holztür, es gab einen dumpfen Krach, und so schnell mein neuer Verbündeter auch flüchtete, die Haupttür war aufgerissen worden, drei Inder traten ins Freie, erblickten den Kapitän, riefen ihn an, und der eine, der wohl Verrat witterte, kam schneller zum Schuß als ich.
Schami schrie auf, taumelte, schleuderte mir mit letzter Kraft die Kiste zu und rollte über den Lavarand gen Westen über die Steine.
Meine erste Kugel beschädigte eine menschliche Hand, meine zweite zersplitterte nur noch das Milchglas der Tür …
Die Kerle waren sehr billig davongekommen.
Nun erlosch auch das Licht hinter der Tür, und nach einer Weile fuhr durch die zerschmetterte Scheibe ein Stock mit einem weißen Tuche hindurch, und Giwirs Stimme, die genau so giftig klang wie sein Name, rief mich an.
„Hallo, wer schießt dort?!“
… Sehr naiv!!
Aber so, wie die Dinge nun einmal lagen, konnte ich es nicht darauf ankommen lassen, daß Giwir merkte, wie verzweifelt seine Lage war. Der Mensch hätte es fertig gebracht, sich selbst und seine Gefangenen und Verbündeten zu töten — — irgendwie.
Es mochte für ihn ohnedies eine niederschmetternde Überraschung sein, als ich ihm erwiderte:
„Ein alter Bekannter aus Nevada!“
Eine geraume Weile verschlug ihm dies die Rede.
Dann besaß dieser Intrigant doch die geradezu ungeheuere Frechheit — Geistesgegenwart konnte man es kaum nennen — sehr harmlos zurückzurufen:
„Nicht möglich, — — Mr. Olaf aus Nevada!“
Es gibt eine Unverfrorenheit, der gegenüber ein innerlich redlicher Mensch so ziemlich machtlos ist.
„Ja, immer noch derselbe, Giwir …! — Weshalb knallen Ihre Leute eigentlich so blindlings drauf los, Giwir?! Die Sache läßt sich doch in aller Ruhe erledigen …“
Mag sein, daß Giwir, ein Diplomat besonderen Schlages, meine Diplomatie etwas verwirrend fand.
Er schwieg längere Zeit.
„Welche Sache meinen Sie, Mr. Abelsen?“, kam dann die noch naivere Frage als Fortsetzung.
Vorsicht!, riet mir die Klugheit.
Ich hatte derweil die Kiste zu mir herangezogen. Der Deckel war von selbst aufgesprungen.
Inhalt: Etwa zwanzig Gasmasken!
„… Ich meine die Freigabe Frau Antoinettes, ihres Gatten und ihres Söhnchens …“
Abermals überlegte der Herr Minister.
„Lebt Gari?“, fragte er zögernd.
„Als ich ihn verließ, lebte er nur noch sehr schwach … Ihm ist ein Felsstück auf die Rippen gefallen, und …“
„Unter dem Pandanus war eine Höhle‥?!“
Er hatte sich verraten. Mit dieser Frage gab er auch diesen Mordversuch zu.
Nun, — so plump ließ ich mich denn doch nicht aushorchen.
„Pandanus?!“ Ich spielte den Erstaunten.
Er fiel prompt auch darauf herein.
„Oh, — — ich habe das verwechselt, Mister Abelsen … Sprechen wir über Frau Antoinette. — Welche Bedingungen stellen Sie?“
„Gar keine, — nur Freilassung — — sofort!“
„Sind Sie allein hier oben?“
„Ja, nur mein zahmer Fuchs ist bei mir …“
Wieder vielsagende Pause.
Giwir konnte unmöglich sehen, was ich tat, — ich stopfte die Gasmasken bis auf sechs, die ich mir an den Gürtel hängte, in den Rucksack und war nun im Grunde bereits Sieger.
Ich hatte die besten sechs Gasmasken mit den straffsten Gummischnüren herausgesucht, und da Giwir wohl annahm, den Berg nachher ungehindert verlassen zu können, war er völlig in meiner Hand, wenn die Familie Bastingar erst den Berg geräumt hatte.
Familie Bastingar! — Meine Gefährtin Antoinette als Gattin eines mir bisher unbekannten Menschen war mir vollkommen unvorstellbar, — meine Antoinette, meine treue Kameradin, mit mir verbunden durch die kahle Wildnis kahler Ebenen, als Besitz eines Fremden, — — ein Gedanke, der durchaus nicht in meinem Hirn Wurzel schlagen wollte!
Giwir meldete sich wieder.
Er rief so recht im Tone eines jener feisten Biedermänner, hinter derem fetten Schmunzeln die abgrundtiefe Gemeinheit lauert:
„Sie kamen während des Sturmes nach oben, Mr. Abelsen?“
„Ja … Ich hätte mir ja eine mildere Nacht gewünscht, der Orkan preßte mir den Atem aus den Lungen.“ — Und dachte: Dummkopf, du! Willst ja nur aus mir heraushorchen, ob ich die Gefahren des Ransawar kenne!
„Da haben Sie Recht, — es war ein sehr starkes Gewitter …“— Giwirs Stimme war ranziges Öl. „Gut denn, Sie sollen mit den Bastingars den Berg verlassen können. — Was warf Ihnen Amed vor hin zu — in der Kiste?“
„Konserven …“
Es war eine Konservenkiste.
„Nur Konserven, die ich nötig brauche … Ihr Amed ist ein Feigling, er hatte verwünschte Angst vor einer Kugel, aber Ihre Leute hätten ihn nicht sofort …“
„Das ist ja gleichgültig …“, rief Giwir ungeduldig. „Ich habe also Ihr Wort, daß Sie mit den Bastingars den Berg verlassen?“
Alter Heimtücker!! — Verlassen — — diesen Berg?! Sein feines Plänchen war leider etwas löcherig. Wenn wir gen Osten den Abstieg — ohne Gasmasken, wie er dachte — begonnen hätten, würden wir an der Rauchwand das erste Hindernis gefunden haben und wären von oben abgeknallt worden.
„Mein Wort, Giwir! Schicken Sie mir die Familie nur heraus … Ich fordere nur, daß keiner Ihrer Leute die Behausung dort im Krater verläßt, bevor wir nicht in Sicherheit sind …“
„Aber natürlich — angenommen!!“ Diesmal ganz ranziges Öl …
Hinter der Glastür wurde es wieder hell …
Minuten verstrichen.
Dann trat Antoinette ins Freie, hinter ihr ein recht verwilderter und abgerissener Mann von schlaffer Haltung, als letzter Giwir, der einen Knaben im Arm hatte.
Bevor ich Antoinette noch zurufen konnte, mehr zur Seite zu treten, damit sie mir Giwirs Gestalt nicht verdecke, hatte das Verhängnis schon seinen Lauf genommen.
Antoinette, nur beflügelt von dem einen Gedanken, mich begrüßen zu können, war eilends zum Kraterrand emporgestiegen, Giwir hatte sich dicht hinter sie gedrängt, und dieses gerissenen Schurken geheime Absicht war so eindeutig, daß ich gar nicht zu sehen brauchte, wie er die rechte Hand in den Falten seines Gewandes verborgen und mit der linken den Knaben hielt.
„Antoinette, — — seitwärts springen!“, — mein gellender Zuruf wurde von dem hilflosen Wimmern des Knaben übertönt …
„Antoinette, — — Bastingar, — — hinwerfen!!“
In der Glastür standen drei Kerle …
Dreimal spuckte die Sniders, — — und dann flog auf den gewissen Pfiff hin Freund Krake von der Seite dem langen Giwir an die Kehle …
Er ließ den Knaben fallen …
Er brüllte …
Aber Krake ließ nicht los.
Giwir stach mit dem Messer zu, Krake heulte auf, Mann und Tier wälzten sich im Geröll, Antoinette kroch, ihr Kind mit sich ziehend, in mein Versteck, — — wieder knallte meine Büchse, dann war auch Roger de Bastingar bei uns …
Giwir erhob sich …
Krake … nie mehr.
Giwir wankte hin und her, preßte die Hand gegen die Kehle, sank zurück, — ich drückte Bastingar meine Pistole in die Finger …
„Achten Sie auf die Tür, keiner darf heraus!“
… und kroch hinüber zu der reglosen Tiergestalt, beugte mich über sie, hob Krakes Kopf empor, aus drei Brustwunden zerrann sein Leben, seine Augen hatten noch Glanz, sahen noch die letzte Zärtlichkeit und Dankbarkeit seines Herrn, seine müde Zunge machte einen Versuch, die streichelnde Hand zu erreichen, — — und alles war vorüber, sein Körper fiel schlaff zur Seite, ich hatte einen Weggenossen eingebüßt, der mit mir in Nevadas Salzwüsten mehr heiße, wilde Stunden abseits vom Alltag ausgekostet hatte, als all die anderen vierbeinigen Freunde, die einst mein gewesen waren und mir genommen wurden wie so manche starke Mannesseele, die ich Bruder nennen durfte … —
Als ich Krake in unser Versteck trug, hatte Roger de Bastingar, dieser klägliche Schwächling, den übel zugerichteten Giwir in den Krater entkommen lassen. Antoinette mühte sich um ihr Kind, das durch die Schüsse noch mehr erschreckt worden war und das noch hilfloser wimmerte als vorhin.
16. Kapitel.
Die Tafelrunde Giwirs.
… Will man diesen Abschnitt meiner Abenteuer abseits vom Alltag, diesen „Riß im Firmament“ mit seinen verschlungenen Menschengeschicken und blinden Gefühlen von Haß und Ehrgeiz und Niedertracht voll in seinen Ursprungsquellen begreifen, so muß man einen Blick werfen auf die staatsrechtliche Konstruktion des größten englischen Kolonialreiches: Indien.
Kaiserreich Indien …
Der König von England, gleichzeitig Kaiser von Indien, hat genau wie seine Vorgänger dreierlei bedacht, um ein so riesiges Land mit Hunderten von Millionen brauner Untertanen durch ein paar tausend Europäer verwalten zu lassen und — — in Knechtschaft zu halten, obwohl der Ausdruck „Knechtschaft“ nach den neuesten Erfahrungen, die man mit der völligen Freiheit halbzivilisierter Völker gemacht hat, kaum angebracht erscheint.
Diese drei Mittel waren von jeher:
Erstens: Größtmöglichste Rücksicht auf die alten Sitten und Gebräuche und Scheinselbständigkeit der Vasallenfürsten.
Zweitens: Kluge Taktik beim Ausspielen des Mohammedanismus gegen den Brahmanismus.
Drittens: Allerschärfste Kontrolle nicht nur der Waffeneinfuhr, Beschränkung des Waffenverkaufs und strengste Strafandrohungen gegen die, die es wagen sollten, heimlich größere Waffenlager und Munitionsvorräte zu unterhalten.
— Was den dritten Punkt betrifft, sei noch darauf hingewiesen, daß die Vasallenfürsten eine Armee in bestimmter Stärke ausrüsten müssen, — unter steter Aufsicht der indischen Regierung. Nicht ein Maschinengewehr, nicht ein Geschütz darf außer den in den Kontrollisten verzeichneten vorhanden sein. England wünscht nicht nochmals eine Überraschung zu erleben von der Art, wie der große indische Aufstand sie bluttriefend brachte.
In den letzten Jahrzehnten hat man sogar ganz besonders scharf diese gesetzlichen Schutzmaßnahmen durchgeführt. Die indische Freiheitsbewegung, zunächst nur eine geistige Wiedergeburt, nahm zuweilen recht bedrohliche Formen an. — So weit ich selbst die Verhältnisse überschaue, hätte ein bewaffneter Aufstand weder Erfolg noch Zweck. Die Inder würden das kluge Regime Englands nur eintauschen gegen das Regiment verkappter Ausbeuter. Die breiten Volksschichten würden nichts gewinnen, gar nichts. Die unklaren Wirtschaftstheorien, die anderswo Schiffbruch erlitten und unzählige Opfer gefordert haben, eignen sich für Indien schon gar nicht, und die rosenroten Prophezeiungen einiger Intellektueller, hinter denen doch nur wieder das unsichtbare Heer der Schmarotzer lauert, erreichen zum Glück nur die Ohren der wenigsten.
Trotzdem: England wacht, England ist allzeit auf dem Posten, die halbzivilisierten Millionen nicht Abenteurern auszuliefern, die der persönliche Ehrgeiz zu Propheten stempelt. — —
Hinter den Felsstücken und den Lavablöcken der Kuppe weint ein Kind.
Aber dieser kleine, gesunde, braun gebrannte Junge, der viele Monate bei treuen Perlenfischern in Sicherheit lebte, während die Mutter zu doppeltem Zweck die endlosen Meere durchquerte, hat mehr vom kernigen Blute dieser Mutter geerbt als von dem seines Vaters, der jetzt mit pedantischer Genauigkeit mir auseinandersetzen will, daß ein Schuß auf einen ohnedies schon Verwundeten, auf Giwir, sich mit seinen moralischen Anschauungen nicht vertrüge.
Ich möchte diesem Harlekin von Mann, der, mehr Stromer zur Zeit als Plantagenbesitzer, trotzdem wie ein Anstandslehrer des gezierten Rokoko sich gebärdet, am liebsten ins Gesicht lachen.
Der Junge hört auf zu weinen, und der Vater begleitet seinen Vortrag weiter mit imponierenden Gesten, als ob er Mücken verjagen möchte.
Arme Antoinette!
Du — — und der! Welch ein Gespann, welch ein Opfer muß es für dich gewesen sein, diesen bramabarsierenden Strohkopf zu heiraten!
Antoinette unterbricht ihn scharf.
„Ich glaube, Olaf wird uns anderes zu sagen haben, Roger! Schweige bitte.“
Der Nachthimmel hat sich inzwischen immer mehr geklärt, und die Leuchtkraft der Sterne genügt, mir das Mißtrauen zu zeigen, das in dem stoppeligen Antlitz Roger de Bastingars aufflackert.
„Olaf?!“, meint er spitz. „Der Herr heißt Mr. Abelsen, Antoinette, und …“
Antoinette hat ihren Knaben auf dem Schoße.
„Für mich heißt er Olaf, — — und falls dir die Anrede zu vertraulich klingt, kannst du ja Mr. Abelsen sagen, obwohl dieser Olaf, das weißt du, deine Frau gesund gepflegt hat. Leider hast du bisher dein ganzes Leben nur mit Kleinigkeiten ausgefüllt, und der große Gedanke, daß derselbe Olaf nun auch dir die Möglichkeit verschafft hat, dich wieder rasieren und anständig kleiden zu können, kommt dir gar nicht.“
Roger protestierte erhaben.
„Oh — doch … Wenn ich erst Fürst von Ransawar sein werde, wird Mr. Abelsen …“
Peng …
Eine Kugel klatscht gegen die Lava …
Rogers schöner Redefaden zerreißt, und Mr. Roger liegt ganz flach auf dem Bauche, was vollkommen unnötig ist.
Immerhin kann ich nun, da die Leute Giwirs das Feuer unregelmäßig fortsetzen, Antoinette rasch die nötigen Anweisungen und drei Gasmasken geben.
„… Sie können den Weg zu Gari kaum verfehlen, Antoinette … Ich werde die Burschen hier schon in Schach halten, bis Sie aus der Residenz oder einem der Küstendörfer Hilfe herbeigeholt haben. Mag Gari Ihnen raten … Beeilen Sie sich jetzt … Ich werde die schießwütigen Herrschaften ein wenig abkühlen.“
Die Sniders spuckte gegen die Glastür, und die Kugeln fahren durch das zertrümmerte Milchglas offenbar in lebende Beine, — dem Geheul nach zu urteilen.
Kein Schuß fällt mehr.
Kein Mensch zeigt sich.
Ich ziehe Füchsleins bereits erkalteten Leib ganz nahe und hülle Freund Krake in die Reste der Wolldecke des armen Amed Schami, der mir so sehr nützlich ward.
Minute um Minute verrinnt. Die Nacht der Tropen zeigt mir all ihre Schönheit, sogar die Mondsichel ist erschienen, und die Randwälder des Tales drüben erschauern unter dem erfrischenden Lufthauch einer Seebrise.
In dem dunklen Kraterrachen regt sich nichts.
Diese Untätigkeit der Giwir-Brut ist verdächtig.
Meine Augen tasten immer wieder die dunkle Holztreppe und die Türen und Fenster der Mauer ab…
Die Zeit schleicht.
Dieses Warten zermürbt …
Und die Gedanken gestatten sich Ausflüge in das Reich der Phantasie, die noch mehr zermürben.
Wenn …
Wenn die Behausungen dort einen geheimen Ausgang hätten …
Wenn …
Wenn ich plötzlich von allen Seiten angegriffen würde …
Wenn …
Die Gedanken sind erfinderisch, einen Menschen zu quälen, sind grausamer als die Katze, die mit der bereits halb toten Maus spielt.
Auch von einem halb toten Giwir ist noch alles Mögliche zu erwarten … Vorläufig — ein Trost — bin ich noch die Katze, und die Herrschaften dort werden wohl eine Menge Verbandzeug brauchen.
Trotzdem … trotzdem …
Ich bin gespannteste Wachsamkeit. Krakes Mörder soll baumeln!
Allmählich kommt von Osten her über das endlose Meer der erste fahle Tagesschimmer.
Ich gähne …
Verdächtig still ist es da unten …
Gähne wieder …
Bin müde, — — die Nerven verlieren die Spannkraft.
Alles hat seine Grenze.
Es wird immer heller …
Ein Blick auf die Armbanduhr: Ein Viertel Vier!
In den Behausungen rührt sich nichts …
Dann — zufällig schaue ich hin — erspähe ich am Waldrand droben gen Osten einen einzelnen Mann, der mir flüchtig zuwinkt, verschwindet …
Ein Inder …
Ich kenne ihn nicht. Ein glattes, hageres Gesicht …
Und abermals belauere ich die Türen, die Fenster.
Es ist jetzt so hell, daß die Krateröffnung all ihre Einzelheiten preisgibt.
Mancherlei ist dort zu sehen …
Ein toter Krater kann interessanter sein als ein ganzer Gebirgszug.
Ich erkenne die Stellen, wo die Lava einst besonders stark über den Rand schäumte, wo breite Bänder von erstarrtem Glasfluß, in den ersten Sonnenstrahlen grünlich und bräunlich funkelnd, die Felsen überziehen. Ich unterscheide zwei Auswurföffnungen, und denke an den Rauchhut des toten Vulkans und an seine Pilzform und vieles andere, — — und meine Augen kehren doch immer wieder zu Füchslein Krakes nicht bedecktem Kopf zurück. Ich habe ihm die Augen zugedrückt. Scheinbar schläft er nur. Er wird nie mehr sich an meinen Beinen scheuern, nie mehr seine geringe Zärtlichkeit mir spenden, er war eine herbe Seele, aber treu.
… Und so zieht der junge Tag herauf.
Aus Nachtwache wird Tagwache.
Was treiben Giwir und Konsorten?! Ich begreife es nicht.
Und da die Gefahr nun geringer, spüre ich anderen fragen nach, die mich wach halten sollen.
Dauli Giwir hat Fürst von Ransawar werden wollen, hat Helen Garward …
Der Gedankenfluß stockt, und es geht mir wie ein Ruck durch den Leib.
Wie konnte ich Helen vergessen!
Helen Garward ist mit dort unten in den schweigsamen Wohnungen …
Weshalb schweigt auch sie?! Weshalb sprach Antoinette kein Wort über Helen?!
Sollte etwa …?!
— Eine neue Sorge reißt mich hoch …:
Helen ist Garis Halbschwester, ist Weib seines Blutes.
Reißt mich hoch über die schützende Deckung.
Und kein Schuß fällt …
Totenstille wie bisher …
Ist das nur Hinterlist, Kriegslist?!
Will man mich hervorlocken aus diesem sicheren Winkel?!
Ich blicke ringsum …
Steine genug …
Ich brauche nur eine handliche Steinplatte, nichts weiter.
Finde sie auch …
Und wage es, krieche vorwärts …
Platte als Schild …
Stufen hinab …
Stufe für Stufe …
Kein Schuß …
Kein Ton … Nur mein Herz hämmert, — ein Schmiedehammer, schweißt die Angst zusammen um eine Betörte, um Helen Garward, die weißes Blut in den Adern hat, — auch das ist mir bekannt. Garis Vater hatte zwei Frauen, zwei Kinder, eine Inderin, eine hellblonde Russin aus Georgiens Bergen, wo die Frauen am schönsten blühen sollen.
Kein Schuß — — nichts … Nur diese lähmende Stille, die die Brust zusammenschnürt, die den Schweiß aus allen Poren treibt.
Wo ist Helen, Garis Schwester?!
Die Glastür nur eingeklinkt …
Hinter der Tür eine Steinbarriere, hinter der Barriere zwei Tote …
Und dann ein dicker Vorhang, Petroleumdunst, — eine Petroleumlampe über einem langen Tisch mit kostbarer Decke, um den Tisch eine starre Tafelrunde …
Getriebene, schwere Goldbecher stehen vor den fahlen, in die Sessel zusammengesunkenen Toten …
Neun …
Giwir obenan an der Schmalseite. Vor ihm der Goldpokal, aus dem mir der Geruch von bitteren Mandeln entgegensteigt.
Blausäure, Gift, — — Freitod derer, die keinen Ausweg mehr fanden, die inzwischen festgestellt hatten, daß auch die Gasmasken nicht mehr im Vorratsraum lagen.
Die große Lampe dunstet … Der Raum stinkt …
Nur einen Augenblick dreht sich alles um mich her in rasendem Wirbel. — Ein Wunder das? Nach alledem!
Aber in diesem Wirbel kreist wie eine weiße Fahne das weiße Blatt vor Giwirs Platz.
Ich zwinge mich zu neuer Frische, — — das Blatt Papier ist bestäubt mit Rußflöckchen der qualmenden Lampe …
Ich blase die schwarzen Tränen hinweg und lese Dauli Giwirs letzte Zeilen.
Englische Worte, lateinische Schrift, zitterig zwar, dennoch voller brutaler Kraft in den Endstrichen, die Schrift eines Kerles, der über Leichen ging …
Ransawar-Berg
12. Januar 192.
Ich, Dauli Giwir, Minister von Ransawar, Halbbruder des Fürsten Sabranat Tismoravi, bekenne wie folgt:
Ich habe die Waffen, die in den Kellern des Residenzschlosses auf meine anonyme Denuntiation vorgefunden wurden
20 Maschennengewehre
15 leichte Geschütze
1000 Gewehre
2000 Karabiner
2000 Pistolen
nebst Munition,
selbst heimlich aufkaufen und in die Keller schaffen lassen.
Ich habe dies durch meinen Vertrauten Amed Schami erledigen lassen, der nicht wußte, daß ich ihn zur Waffeneinfuhr verleitete.
Ich habe Helen Garward, Enkelin meines fürstlichen Bruders, durch Lüge und Trug auf meine Seite gezogen und geduldet, daß ihr Großvater, ihr Vater und ihr Bruder Gari flüchten mußte.
Ich habe Gari zu töten versucht, ich habe Verbrechen auf Verbrechen gehäuft, bis die Götter mich straften und ein unreines Tier mir den Hals zerriß und ich unrein sterben werde.
Was ich getan, bereue ich jetzt, nachdem die Götter mir zeigten, daß sie ihr Antlitz von mir abgekehrt hatten.
Die, die ich durch Geld verführte, sterben mit mir.
Es ist unser Wunsch, daß die Grottenwohnungen hier auf dem heiligen Ransawar für immer vermauert werden und wir mit ihnen, damit wir für immer ausgelöscht werden aus dem Andenken der Ransawariten.
Helen Garward trägt keine Schuld. Gari möge ihr verzeihen.
Dauli Giwir.
(Und acht andere Unterschriften)
17. Kapitel.
Die Sage vom Diamantenfluß.
Ich stecke diese wertvolle Urkunde zu mir, zündete die Laterne an und suchte Helen.
Ich war erstaunt über die Pracht der Ausstattung dieser Räume, die bis dahin, das wußte ich, kein Europäer betreten hatte, denn der Ransawar war heilig, und die englischen Beamten hüteten sich, ihn zu besteigen.
Ich fand Helen Garward in einem Seitengemach, fest schlafend auf einer Art Ottomane, völlig angekleidet, — kein natürlicher Schlaf, wie ich sehr bald merkte, als ich sie zu wecken suchte.
Aber sie wurde sehr rasch munter.
„Abelsen, — — Sie?!“
Ich reichte ihr schweigend Giwirs Schuldbekenntnis, sie las, und — sie hätte kein Weib sein müssen — brach in Tränen aus.
Ich führte sie ins Freie durch eine andere Tür, um ihr den Anblick der stillen Tafelrunde zu ersparen, und draußen erholte sie sich schnell, gewann ihre Selbstbeherrschung zurück und sprach mit mir über die Vergangenheit mit dem edlen Freimut einer großen Seele.
Sie hatte ihren Halbbruder Gari für tot gehalten, sie hatte nicht dulden wollen, daß etwa Ransawar als Fürstentum an Roger de Bastingar fiele.
„… Ich kannte ihn als Schwächling, als unwürdig der Aufgabe, diese Insel zu beherrschen, deren Perlenbänke seit langem berühmt sind. Außerdem hat der alte Bastingar seine Gattin, eine Inderin, niemals als gleichberechtigt anerkannt, für ihn blieb sie eine Farbige, obwohl sie aus unserem Fürstengeschlecht stammte und dieser Heirat wegen verstoßen wurde. Der alte Bastingar verliebte sich in ihre blühende Jugend, der Rausch verflog sehr schnell, und die Inderin ward als Frau de Bastingar hochmütig, verschlossen und eine religiöse Fanatikerin …“
Wir saßen im Frühsonnenschein neben den Tempelsäulen, und zu unseren Füßen lag das felsige, tiefe Tal und drüben die grünen, frohen tropischen Wälder …
„… Wenn ich nur meines Großvaters Testament gefunden hätte …!“, sagte Helen nach einer Pause träumerischen Schweigens. „Gari gönne ich alles … Unser Großvater wird ihn bestimmt zum Fürsten eingesetzt haben … zum alleinigen Erben.“
Ich blickte sie an, aber sie deutete mein Lächeln falsch.
„… Sie denken an Nevada, Mr. Abelsen, als ich Sie unter den Bootssitzen festband …“
„Nein, an das Testament … — Gari hat es in seinem Besitz …“
Sie erstarrte förmlich.
„Ist das wahr? Und Sie … Sie hatten es die ganze Zeit bei sich?“
„Ja … Zweimal drohte es zu verbrennen … Giwir hatte uns zu Ehren ein Feuerwerk inszeniert, wie ich es noch niemals sah, — und dann zum Abschluß brannte noch eine grüne Fackel …“
Sie hatte die Hände wieder vor das Gesicht gedrückt, sie saß ganz zusammengekauert da, genau so, wie einst am Ufer des Quins-River hoch über dem Scheiterhaufen …
Sehr lange verharrte sie so …
„Gehen wir zu Gari!“, erklärte sie dann sehr freudig und erhob sich.
Mit meinem toten Freunde Krake auf dem Rücken, mit der Gasmaske vor dem Gesicht führte ich Helen durch den Rauchring des Ransawar und durch die Kohlensäuregrotte in das Tal hinab.
Wir hatten die Talsohle noch nicht erreicht, als am Ostabhang eine Reihe weißer Gestalten erschien — Militär, allen voraus die schneidige Antoinette, neben ihr Oberst Lawrence der neue Generalbevollmächtigte für Ransawar. In einem Tragsessel lehnte der etwas bleiche Gari … — —
— All das war einmal …
All das rauscht wie ferne Klänge nochmals vorüber, wie farbenfrohe Träume …
Ich habe den friedlichen Einzug Garis in die Residenz mit erlebt, ich habe den heiligen weißen Elefanten von Ransawar gesehen, den man … frisch gekalkt hatte und der unter Juwelen, Perlen und goldenem Baldachin sehr mißvergnügt schnaubte und trompetete …
Und ich habe Krake im Parke des Schlosses begraben, Antoinette half, Gari stand dabei, und Krake wird seinen Gedenkstein und immer wieder frische Blumen erhalten.
Die Nacht sah Ransawar im Freudentaumel.
Feuerwerk blitzte, sprühte …
Kanonen donnerten …
Antoinette und ich standen im Halbdunkel am Marmorweiher und meine Kameradin sprach von ihrer Zukunft …
„… Meine Ehe war eine Lüge, — ich werde mich von Roger trennen …“
Ich schwieg …
Ich sah wie eine Fata Morgana eine feuchte Höhle im Borax-See und eine fiebernde, mit dem Tode ringende Frau …
„… Meine Ehe wäre jetzt eine noch größere Lüge als einst, Olaf …“
Ihre Hand suchte die meine, und ihr Atem ging schwer.
Ich … schwieg …
Feuerwerk prasselte, Raketen zischten, Leuchtkugeln warfen hellen Glanz auf Antoinettes schönes Gesicht.
„… Vielleicht sehen wir uns einmal wieder, Olaf …“
„Vielleicht …“
Die Helle erlosch, eine Frau schmiegte sich in meine Arme …
— —
Und jetzt gleitet der kleine Kutter durch flüssiges Gold ins Ungewisse.
Ich bin allein … Ich werde Antoinette nicht wiedersehen. Antoinette wird ihres Kindes wegen Herrin der Bastingar-Plantage bleiben und Herrin über ihre Gemächer. Ihr Gatte … bleibt ihr Gatte dem Namen nach.
Durch flüssiges Gold eines feurigen Sonnenunterganges gleitet der Kutter …
Ich lege die Feder weg …
Der Riß im Firmament hat sich geschlossen.
Da schiebt sich vorn aus dem kleinen Deck eine lange Gestalt heraus, richtet sich empor …
Ein Fremder?!
Der Mann lächelt…
„Ich bin Kapitän Amed Schami, Mr. Abelsen, — entschuldigen Sie bitte, — aber nur mit Ihnen kann ich es wagen …“
Allmählich komme ich zu mir.
„Was, — — wagen?!“
Er setzt sich neben mich.
„Mr. Abelsen, ich tat damals nur so, als wäre ich getroffen worden, ich entfloh, ich winkte Ihnen noch von der Talwand zu…“
Amed ohne Bart ist ein sehr vorteilhafter Geselle.
„… Mr. Abelsen, — ich weiß nicht, ob Sie je von dem Diamantenfluß etwas gehört haben.“
„Bedauere, wirklich nicht …“
… Er erzählt mir eine Legende, ein Volksmärchen …
Madagaskars Gestade zaubert er mir vor Augen. — —
Weshalb sollen wir den Diamantenfluß nicht suchen? Mag sein, daß etwas Wahres daran ist …
Nächster Band:
Anmerkungen:
1 chère amie - bedeutet „liebe Freundin“
2 Schächer – biblische Bedeutung „Räuber, Mörder“
3 Pemmikan - ist eine nahrhafte und haltbare Mischung aus zerstoßenem Dörrfleisch und Fett