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Kapitel 11–20

11. Kapitel.

Der Schuß in die Sphinxröhre.

Zehn Uhr war’s … – Vor der Freitreppe des Schlosses brannten in pyramidenförmigen hohen Eisengestellen harzige Äste, bestrahlten die ganze Umgebung mit zuckendem roten Schein, sandten dicke Qualmwolken zum ausgestirnten Nachthimmel empor …

Gottlieb Knorz in seiner besten Livree, in Kniehosen, weißen Strümpfen und Schnallenschuhen von schier unglaublichen Abmessungen stand vor der weit geöffneten Flügeltür der strahlend hellen Vorhalle, in der Georg Hartwich und Doktor Wiener, beide im Smoking, gleichfalls die Ankunft des Jagdwagens mit der durchlauchtigten Fürstin erwarteten …

Jetzt bog der von Viktor Gaupenberg persönlich gelenkte Wagen (denn der Kutscher Johann schlief nun schon die dritte Nacht als Wächter im Bootsschuppen) in die Lindenallee ein …

Und jetzt rief die reizend in weichen Pelz gehüllte Fürstin, die neben Gaupenberg vorn auf dem Bocke saß, in kindlich-harmlosem Entzücken aus:

„Oh – wie schön – wie wunderschön – – wie romantisch …! – Graf, so … so großartig habe ich mir den Stammsitz Ihrer Väter doch nicht vorgestellt!“ –

Und eine halbe Stunde darauf führte Gaupenberg die Fürstin, deren Arm leicht in dem seinen ruhte, in den großen Prunksaal, wo zu Ehren des Gastes heute die Abendtafel gedeckt war.

Georg Hartwich schritt hinter dem Paare drein. Doktor Wiener fehlte noch.

Mafalda, die jetzt ein schlichtes helles Abendkleid ohne jeden Schmuck trug, nahm zögernd Platz, auch die beiden Herren setzten sich.

Gaupenberg war etwas ungehalten, daß der Doktor sich verspätete.

„Wo steckt Wiener denn eigentlich?“ fragte er Hartwich und gab gleichzeitig Gottlieb einen Wink, die Suppe zu servieren.

„Er ging vor zehn Minuten auf sein Zimmer,“ erklärte Hartwich und wandte sich dann an die Fürstin, mit der er vorhin nur wenige Worte gewechselt hatte …

„Haben Durchlaucht vielleicht eine Schwester?“ fragte er zur stillen Wut Gaupenbergs, der sofort merkte, daß des Freundes Verdacht gegen die Fürstin wieder aufgelebt war …

„Leider …“ erklärte Mafalda mit einem leisen Aufseufzen. „Leider, Herr Hartwich! Eine Schwester, die meinen seligen Eltern und mir unendlich viel Kummer bereitet hat …“

„Oh – dann verzeihen Durchlaucht, daß ich diese Frage mir erlaubt habe … Aber Durchlaucht besitzen eine überraschende Ähnlichkeit mit einer Dame, die ich einst in … in den Tropen kennenlernte …“

Da Gottlieb jetzt der Fürstin mit weißbehandschuhter Hand den Teller hinstellte und da Graf Viktor schleunigst das Gespräch in andere Bahnen lenkte, war Hartwichs peinliche Neugier rasch vergessen. Die Fürstin fand ihre glänzende Laune ebenfalls sehr bald zurück, und jetzt war es Georg Hartwich, der nur zu schnell völlig in den Bann der weichen, tiefen Augen der reizvollen Mafalda geriet und eine Unterhaltungsgabe entwickelte, daß der Graf fast ein Gefühl leiser Eifersucht empfand.

Gottlieb reichte jetzt das Zwischengericht.

Doktor Wieners Stuhl war noch immer leer …

Wer die Fürstin schärfer beobachtet hätte, würde bemerkt haben, daß ihre Blicke immer wieder nach der Saaltür irrten und daß ihr Benehmen eine gewisse nervöse Zerstreutheit verriet, die sie lediglich durch ihre Selbstbeherrschung noch verheimlichen konnte.

Gerade als Gottlieb dann die Gläser mit goldgelbem Rheinwein füllte, trug der sanfte Nachtwind den schwachen Schall ferner Schüsse bis in den strahlenden Prunksaal hinein.

Mafalda Sarratows Stirn furchte sich ein wenig. Mitten im Satze schwieg sie. Lauschte – wandte den Kopf den hohen Fenstern zu …

„Eine Schießerei mit Wilddieben wahrscheinlich,“ sagte Gaupenberg leichthin. „In dieser mondhellen Nacht dürfte …“

Ein Geräusch von der Tür her machte ihn verstummen.

Die Tür war aufgeflogen …

Auf der Schwelle stand … keuchend, die Linke auf das jagende Herz gepreßt … Agnes Sanden …

Agnes Sanden – im bloßen Kopf, gehüllt in einen weiten Radmantel.

Und taumelnd tat sie ein paar Schritte vorwärts.

Ihre Augen waren starr auf Gaupenberg gerichtet, dessen Wangen sich jäh verfärbt hatten …

Schrill – mit überschnappender Stimme stieß sie dann hervor:

„Man … man raubt … die Sphinx! Die Sphinx … schwimmt bereits …“

Ihre Hände griffen plötzlich einen Halt suchend in die Luft.

Ohnmächtig sank sie dem rasch zuspringenden Gottlieb in die Arme.

Gaupenberg und Hartwich waren hochgeschnellt. Gaupenberg rief der Fürstin mit unnatürlich verzerrtem Gesicht zu: „Entschuldigen Durchlaucht uns …“ – und eilte davon – eilte wie er war hinaus auf den Wirtschaftshof – in den Stall.

Hatte im Augenblick zwei Pferden nur die Zäume übergeworfen …

Hatte die Pferde in den Hof geführt. Schwang sich auf den Rücken des einen Gaules, wartete nicht auf den weniger gewandten Hartwich, der nicht so schnell aufsitzen konnte.

In tollem Jagen sprengte Viktor Gaupenberg durch den Park, dessen nach dem See zu gelegene Pforte weit offen stand.

Und raste den Waldweg abwärts – dem Bootsschuppen zu, kam auf den baumfreien Uferstreifen. Sah … sah im milden Mondenschein die Fläche des Sees erglänzen, – sah seine Sphinx – und ein halberstickter Schrei preßte sich aus seiner Kehle hervor.

Die Sphinx … schwebte in der Luft …

Schwebte höher und höher.

Da war Gaupenberg auch schon neben dem hellen Schuppen, sprang vom Pferde, rannte zum Seeufer hinab – wie ein Irrer – den Blick nach oben gerichtet.

Und hinter ihm drein keuchte Georg Hartwich – leichenblaß, schweißglänzend, dicke Perlen auf der Stirn …

Zwei Männer standen nun hart am Ufer des Gaupa-Sees, stierten wortlos mit zusammen gekrampften Fäusten aufwärts – mit zitternden Lippen, mit unnatürlich aufgerissenen Augen, als ob sie hofften, durch die Kraft ihres Willens die Sphinx wieder auf die Erde hinab zwingen zu können.

Langsam, langsam gewann das graue Luftboot dort oben größere Höhen.

Schwebte nun etwa fünfzig Meter über dem See, hob sich scharf ab gegen den dunklen Hintergrunde der bewaldeten Uferberge, deren stolze schlanke Tannen in feierlicher Nachtmusik rauschten – rauschten – wie ferne, ferne Brandung.

Pferdegetrappel nahte der Stelle, wo Gaupenberg und Steuermann Hartwich regungslos, gelähmt – wie vernichtet jede Hoffnung auf den Schatz der Azoren schwinden sahen.

Pferdegetrappel – zwei Gäule, auf dem vordersten Fürstin Mafalda, – hinter ihr Gottlieb.

Vom blanken Rücken des Pferdes glitt Mafalda Sarratow, schwang in der Rechten Gaupenbergs großkalibrige Büchse, mit der er einst in Afrika manches Großwild niedergestreckt hatte.

Tauchte neben den Männern auf.

Drückte dem Grafen die Waffe in die Hand.

„Geladen – schießen Sie! Noch ist es Zeit!“

Ihre Stimme vibrierte nicht einmal, klang wie ein Befehl.

Gaupenbergs Augen leuchteten auf. Leben kam in seine Gestalt – in die erstarrten Muskeln.

Er wußte, wo der Sphinx verwundbare Stelle sich befand: am Heck, wo die dicke Glasröhre im Aluminiumgehäuse angebracht war – die Röhre, die die Sphinxstrahlen erzeugt.

Zielte – zielte bedächtig …

Ein Feuerstrahl … Ein blecherner Knall …

Und oben in der Luft, oben, wo des breiten Glasrohrs Wunderkräfte andere Kräfte vernichteten, – oben durchschlug das Geschoß des sicheren Schützen Hülle und Glasrohr.

Oben … sank urplötzlich der Sphinx graue Masse pfeilschnell abwärts, die Spitze voran – prallte auf den schillernden See, bohrte sich halb in die hochspritzenden Wasser, schnellte wieder hervor, schwankte hin und her, trieb dann im leichten Winde dem Südufer zu.

Gaupenberg und Hartwich hatten bereits den einen der am Ufer vertäuten Kähne flottgemacht.

Auch Mafalda Sarratow sprang hinein, griff zum Ruder.

Als erster schwang der Graf sich an Bord der Sphinx, tauchte in der offenen Mittelluke unter.

Rieb ein Zündholz an.

Hier in der niederen Kabine unterhalb der Luke, hier im Hirn der Sphinx, wo an den Wänden die Steuerapparate, blanke Griffe, Hebel und Räder blitzten, – hier lag bewußtlos, blutend in einem Winkel Doktor Edgar Wiener.

Gaupenbergs Zündholz erlosch.

Aber in Mafaldas Hand erstrahlte jetzt eine winzige Taschenlampe.

Weiße Strahlen, zum Leuchtkegel vereinigt, ruhten auf dem verzerrten Gesicht des Entführers der Sphinx.

Und atemlos, – staunend rief da die Fürstin Sarratow:

„Wie, – der Doktor – der Doktor?! Er – ein Dieb, ein … Undankbarer …!“

„Wollen Sie mir bitte Ihre Taschenlampe geben, Durchlaucht,“ sagte Gaupenberg jetzt vollkommen ruhig. „Ich werde die wenigen Räume des Bootes durchsuchen. Ich kann mir nicht denken, daß ein einzelner Schurke es gewagt hat, mein Luftboot entführen zu wollen.“

Und er nahm die kleine Leuchte und trat zunächst an eines der Schaltbretter heran. Ein paar Griffe – und er hatte die Akkumulatoren wieder eingeschaltet. Alle Lampen im Bootsinneren flammten auf.

Man fand niemanden mehr. Edgar Wiener war allein in der Sphinx gewesen, hatte als einzelner die ungeheure Frechheit besessen, sich mit der Sphinx in den Äther emporzuschwingen.

Man schleppte das Boot zum Schuppen zurück.

Und hier die neue Unglückskunde. Gottlieb Knorz hatte inzwischen den Kutscher Johann im Schuppen ohnmächtig aufgefunden – ohne jede äußere Verletzung.

Hier im Schuppen war’s, wo Viktor Gaupenberg sich an die Fürstin wandte:

„Durchlaucht,“ sagte er jetzt ernst, „diese Vorgänge, die ein Zufall Sie miterleben ließ, müssen unbedingt der Öffentlichkeit verborgen bleiben – unbedingt! Johann und Gottlieb, ebenso das übrige Personal des Schlosses werden schweigen. Meiner Leute bin ich sicher. Doktor Wiener, dessen Kopfwunde nicht allzu schwer ist, wird auf der Gaupenburg bis auf weiteres gefangengenhalten werden. Sie aber, Fürstin, bitte ich dafür zu sorgen, daß auch Ihr Kammerdiener nichts verrät – kein Sterbenswörtchen.“

„Oh – Sergius ist schon um halb zehn schlafen gegangen, lieber Graf,“ erwiderte Mafalda Sarratow mit einer geringschätzigen Handbewegung. „Sergius hat die unangenehme Angewohnheit, vor dem Zubettgehen noch Alkohol zu trinken – recht reichlich. Hier in unserem Falle ist das freilich nur günstig, da Sie fest überzeugt sein können, daß Sergius noch immer fest schläft und auch nur schwer munter zu bekommen wäre. Er wird nicht einmal ahnen, was hier vorgefallen ist. Also auch seiner sind Sie sicher, Graf Gaupenberg.

Was aber mich selbst betrifft, so verspreche ich Ihnen hiermit feierlich, daß auch ich schweigen und daß ich ebenso wenig zum Aufschluß darüber bitten werde, wie es möglich ist, daß ein Boot aus Metall sich in die Lüfte erheben kann.“

Im Schuppen brannten die drei großen Bogenlampen.

Und im hellen Lichte dieser Lampen schaute die berückende Frau den Grafen Viktor nun so fest und offen an, daß er mit leichter Verbeugung entgegnete: „Ich danke Ihnen, Durchlaucht. Ich hätte auch auf Ihre Fragen die Antwort schuldig bleiben müssen. Immerhin sollen Sie nachher wenigstens einiges erfahren – einiges, Durchlaucht, nicht alles …“

 

12. Kapitel.

Und Agnes …?

Mitternacht war’s geworden, als man die beiden noch immer Bewußtlosen auf Leitern, die als Tragbaren hergerichtet waren, in das Schloß schaffte.

Gottlieb kehrte dann sofort auf Gaupenbergs Befehl nach dem Bootsschuppen zurück, um an Stelle Johanns die Sphinx zu bewachen. Er nahm seinen Kognak und einen alten Revolver mit und versicherte wiederholt, auch nicht mal eine Maus würde in den Schuppen hinein gelangen. Bevor er dann jedoch das Schloß verließ, flüsterte Hartwich ihm noch zu:

„Viktor und ich steigen noch in dieser Nacht bestimmt auf, und Sie kommen mit, Gottlieb. Ich werde nachher die Proviantkisten bringen. Ich pfeife dann die Takte des Deutschlandliedes, damit Sie die Tür öffnen.“

Gaupenberg hatte als Zelle für Edgar Wiener einen der beheizbaren Räume des alten Eckturmes bestimmt. Während er hier nun den Verwundeten mit Hilfe der Fürstin verband, kam dieser wieder zu sich, tat jedoch, als ob er noch zu schwach wäre, die Fragen des Grafen zu beantworten, der dann auch bald das zwecklose Verhör aufgab und in dem mächtigen Kachelofen ein Feuer anzündete.

Die in ihren Pelz gehüllte Fürstin blieb neben dem Bett des Gefangenen sitzen, dem Graf Viktor strengsten Tones erklärt hatte, daß er gegen ihn zwar keine Anzeige wegen versuchten Diebstahls erstatten, ihn aber hier im Schlosse in Haft behalten würde. Auch dazu hatte Edgar Wiener hartnäckig geschwiegen.

In dem runden Turmgemach mit den kleinen vergitterten Fenstern herrschte noch eine feuchte, eisige Kälte.

Gaupenberg schob immer neue Scheite in die Glut hinein, kniete vor dem offenen Ofen und empfand die ausströmende Hitze als etwas unsagbar Wohliges.

Nach diesen Stunden unerhörter Aufregungen kamen seine Nerven und sein Hirn nun endlich wieder zur Ruhe. Und jetzt, wo die Sphinx gerettet war, – jetzt, wo vorläufig jede Gefahr vorüber, – jetzt erst erinnerte Viktor Gaupenberg sich plötzlich an … Agnes Sanden.

Jetzt erst! – Agnes Sandens Rolle bei diesen dramatischen, abenteuerlichen Vorgängen war ja so kurz gewesen, daß die Ereignisse am Gaupa-See ihre Person völlig in den Schatten gedrängt hatten.

Jetzt erst fragte sich Gaupenberg mit leichtem Erschrecken, wo Agnes wohl geblieben sein mochte und – woher sie gekommen, wie gerade sie noch rechtzeitig als Warnerin im Prunksaale des Schlosses hatte erscheinen können.

Frau Therese Sanden hatte er vorhin gesprochen – ganz kurz. Und mit keinem Worte war dabei Agnes erwähnt worden. Auch Helene, die dicke Helene, schien Agnes gar nicht gesehen zu haben.

Wo also – wo war Agnes geblieben, die doch im Saale ohnmächtig umgesunken war, nachdem sie taumelnd vor Schwäche die drohende Entführung der Sphinx in schrill hervorgestoßenen Worten gemeldet hatte?!

All diese Fragen trieben Gaupenberg jetzt empor.

„Fürstin, Sie bewachen hier wohl für eine Viertelstunde den … den Dieb,“ wandte er sich an Mafalda.

„Gewiß!“ Und mit größter Selbstverständlichkeit zog sie aus der inneren Tasche ihres kostbaren Pelzes einen kleinen eleganten Revolver hervor.

Mit einem Ruck richtete sich da Edgar Wiener-Lomatz im Bette auf …

„Bleiben Sie, Herr Graf!“ schrillte seine furchtgepeinigte Stimme durch das Turmgemach. „Lassen Sie mich nicht mit diesem Weibe allein! Sie wird …“

Mafalda Sarratows sanftes Organ übertönte den Rest des Satzes. Ihre Hand hatte ebenso sanft – scheinbar sanft den Verwundeten in die Kissen zurückgedrückt.

„Armer Verwirrter, eine Mafalda Sarratow ist kein Schreckgespenst!“ – Und hastiger zu Gaupenberg: „Gehen Sie nur Graf … Das Wundfieber naht. Ich werde ihm eine Kompresse geben.“

Gaupenbergs Gedanken weilten bei Agnes. Ihm fiel nichts – nichts bei dieser Szene auf. Und der Fürstin vertraulich zunickend verließ er nun den Turm und begab sich in den Ostflügel zu der Wohnung Frau Sandens.

Mafalda saß am Krankenbett … Horchte … bis des Grafen Schritte auf der Steintreppe verklungen waren. Beobachtete Edgar Lomatz, dessen angstvolle Blicke an ihrem bedauernden Antlitz hingen.

„Narr! Verräterischer Narr!“ flüsterte Mafalda kalt. „Glaubst du, mir liegt etwas an deinem Tode?! Zehnmal – zwanzigmal hast du ihn verdient für diesen Schurkenstreich! Zusammen wollten wir die Sphinx entführen – wir drei! Und du, geblendet von Goldgier, tatest das Dümmste, was du nur anrichten konntest! – Ein Narrenstreich, deine Flucht mit der Sphinx! Wie dachtest du dir’s, das gesunkene U-Boot zu heben – du allein?!“

Sie lächelte unendlich geringschätzig. „Wer wie du der Eingebung des Augenblicks folgt, bleibt stets ein Stümper! Wer die Schätze des U-Bootes an sich bringen will, muß jedes Wort, jeden Schritt gründlich prüfen! – Ich verzeihe dir, – weil ich dich brauche. Aber hüte dich, Mafalda Sarratow verlangt Gehorsam! – Und nun genug davon. – Höre mich an. Gaupenberg und Hartwich wollen in Begleitung Gottliebs noch in dieser Nacht wieder aufsteigen. Hartwich schleppt bereits die Proviantkisten zum Bootsschuppen am Ufer des Gaupa-Sees. Die Abfahrt der Sphinx muß unbedingt verhindert werden – unbedingt! Morgen oder übermorgen dürftest du soweit hergestellt sein, daß Sergius, mein angeblicher Kammerdiener und ich wieder auf deine Unterstützung rechnen können. Deine Befreiung hier aus dem Turm wird nicht weiter schwer werden.“

Edgar Lomatz lag jetzt mit geschlossenen Augen da, spielte den völlig Erschöpften. Was in seiner Seele, seinem Hirn vorging, ahnte Mafalda nicht. Er wußte nur zu gut, sie brauchten ihn! Ohne ihn konnten sie die Sphinx nicht rauben. Nur er, der Vielseitige, in allen Sätteln Sichere besaß genügend technische Kenntnisse, um die Sphinx zu lenken. Sergius war nichts als ein Gewaltmensch, ein Hüne, der sich wie ein Tier von seinen Instinkten leiten ließ. –

Lomatz sah im übrigen jetzt selbst ein, daß seine Flucht mit dem Luftboot eine Dummheit gewesen. Nun – einen zweiten derartigen Fehler würde er nicht begehen!

Langsam öffnete er die Augen, hauchte matt:

„Ich danke dir, Mafalda. Ich bin mit allem einverstanden. – Eine Frage nur, Mafalda, wer hat dem Grafen die Vorgänge am See so rasch gemeldet? – Ich hatte doch den Wächter, den Kutscher Johann, durch einen in sein Abendessen gemischten Schlaftrunk vollständig unschädlich gemacht!“

Mafalda beugte sich zu ihm hinab.

„Agnes Sanden war’s! Agnes ist wieder aufgetaucht!“

Er erschrak. Das Blut schoß ihm zu Kopfe. Seine Wunde brannte wie Feuer, und ein qualvolles Stöhnen öffnete seine fest aufeinandergepreßten Lippen.

„Agnes … Agnes?!“ murmelte er dann. „Und … und wir hatten gehofft, sie hätte im Gaupa-See den Tod gesucht! Wenn … wenn sie nun Gaupenberg davon überzeugt, daß sie niemals die Diebin der Pergamentskizze ist und daß sie den mit Schreibmaschine …“

Mafalda Sarratows Mund verzog sich spöttisch …

„Keine Sorge, Edgar!“ unterbrach sie Lomatz’ ängstliche Andeutungen. „Agnes ist … gut aufgehoben! Als sie im Prunksaale nach ihrer alarmierenden Meldung von dem drohenden Diebstahl der Sphinx dem Diener Gottlieb bewußtlos in die Arme gesunken war, als Gaupenberg und Hartwich davongestürmt, da hat Gottlieb die Ohnmächtige auf ein Wandsofa gelegt, folgte den beiden. Und ich fand gerade noch Zeit, Sergius zu verständigen.“ Ihre Stimme war immer leiser geworden.

Und Edgar Lomatz nickte befriedigt, als er auch das letzte vernommen.

„Gut, daß du diese Gefahr abgewendet hast, Mafalda,“ meinte er sinnend. „Und doch – wo mag Agnes sich inzwischen aufgehalten haben … Wo nur?! Im Schlosse?! Das ist doch kaum anzunehmen.“

Die Fürstin lächelte gleichmütig. „Ich weiß es nicht. Jedenfalls; sie wird dich niemals verraten, Edgar, – nichts von dem verraten, was unseren Gegnern noch unbekannt ist!“

Lomatz’ Gesicht ward zur höhnischen Fratze. „Nein, bei Gott! – Das wird sie nicht! Sie liebt ja den edlen Grafen! Und er scheint ebenfalls Feuer gefangen zu haben!“

Mafaldas prachtvolle Zähne drückten sich plötzlich so fest in die Unterlippe ein, daß ein kleiner Blutstropfen den Schmelz rötlich färbte. In ihren Augen flammte es auf – ein unheilvolles Feuer der Eifersucht, das sofort wieder erlosch.

Und kühl sagte sie nur: „Gaupenberg wird Agnes niemals wiedersehen!“ – So eisig klang das, so abschreckend in völliger Gefühllosigkeit, daß Edgar Lomatz unwillkürlich an jenen Namen dachte, den einige Menschenkenner in Berliner Gesellschaftskreisen der Fürstin insgeheim beigelegt hatten: Tigerin Mafalda! –

Graf Viktor fand Frau Sanden in ihrem Wohnzimmer vor. Die sonst so rundliche, trotz aller Schicksalsschläge noch so rosige Haushälterin war durch die dunklen Geschehnisse der letzten Tage seelisch und körperlich völlig zusammengebrochen.

„Behalten Sie bitte Platz, Frau Sanden,“ begann der Graf, indem er einen Stuhl an den Tisch rückte und sich erschöpft niederließ. „Sie wissen, was geschehen … Ihre Tochter ist ganz unerwartet wieder …“

Das wehe Schluchzen Therese Sandens machte ihn verstummen …

„Ich will Sie nicht quälen,“ meinte er nach einer Weile gütig und teilnehmend. „Wo ist Fräulein Agnes? Ich muß sie sprechen … Muß …!“

Die Frau weinte stärker …

„Agnes, Agnes muß sich wieder entfernt haben. Ich habe sie bereits gesucht. Gottlieb hatte sie doch unten im Prunksaal auf das Wandsofa gelegt, und nun … nun …“

Gaupenberg war aufgesprungen.

„Fassen Sie sich, liebe Frau Sanden. Ich weiß jetzt, wer der Dieb der Skizze ist. Edgar Wiener – oder wie der Mensch sonst heißen mag! Nur er tat’s – nur er! Er hat damals in raffiniertester Weise die Schuhe Ihrer Tochter benutzt, damit die Spuren in den geheimen Gängen Fräulein Agnes in Verdacht bringen sollten, – nur er hat auch der Fürstin die Skizze anonym zugeschickt, um durch das dem Päckchen beiliegende schriftliche Geständnis Ihre Tochter noch stärker zu belastend, um jeden Verdacht von sich selbst abzuwenden … – Ich durchschaue sein Spiel. Ich habe also sehr viel an Fräulein Agnes gut zu machen …“

Frau Sandens Tränen versiegten. Ein unendlich dankbarer Blick traf Gaupenbergs scharfgeschnittenes Gesicht.

„Hartwich, Gottlieb und ich müssen für längere Zeit verreisen,“ fuhr der Graf lebhafter fort. „Ich selbst kann also persönlich nichts zur Wiederauffindung Ihrer Tochter tun. Ich werde jedoch meinen Schulfreund, den Berliner Kriminalkommissar von Gentow, sofort telegraphisch bitten, Urlaub zu nehmen und hierher zu kommen. Er darf dann jedoch auf keinen Fall erfahren, daß Edgar Wiener im Turme festgehalten wird, wo der brave Johann, der bereits wieder aus seiner halben Betäubung erwacht ist, diesen heuchlerischen Schurken bewachen soll. Ebensowenig darf Gentow oder sonst jemand in die Vorfälle dieser Nacht eingeweiht werden. Besonders muß der wahre Charakter der Sphinx verborgen bleiben, Frau Sanden. Gentow werde ich einen Brief zurücklassen, damit er Sie nicht allzuviel aushorcht. Sie sollen von mir auch eine schriftliche Vollmacht bekommen, damit Sie hier auf der Gaupenburg nach dem Rechten sehen können. –

Leben Sie wohl, liebe Frau Sanden. Die Zeit drängt …“ –

Er reichte ihr die Hand … „Und – Kopf hoch, Frau Sanden! Agnes wird ja nichts zugestoßen sein. Vielleicht hat sie drüben im Dorfe irgendwo einen Unterschlupf gefunden. Man verehrt sie dort. Mit ihrer zarten Art gewinnt sie rasch alle Herzen. – Leben Sie wohl …“ –

Als er den Flur betrat, blieb er einen Augenblick stehen. Dieses Letzte, das er mit Frau Sanden verhandelt hatte, erschien ihm plötzlich wie eine Loslösung von der alten, lieben Heimat, von dem Schlosse seiner Väter, in dem seit vielen Generationen alle Gaupenbergs das Licht der Welt erblickt hatten. Und er war der letzte Gaupenberg-Gaupa … Wenn ihn dort an den fernen Gestaden der Azoreninsel San Miguel, wo der Kreuzer im Jahre 1915 das Goldschiff U 45 am Kap Retorta in den Grund gebohrt hatte, in irgend einer Form der Tod ereilte, dann starb das Geschlecht derer von Gaupenberg-Gaupa aus. –

Und dieser schwermütige Gedanke an ein jähes Ende seiner Lebensbahn zauberte ihm da plötzlich abermals Agnes Sandens Bild vor Augen. Andere Gedanken kamen ihm, heimliche Wünsche, unerfüllbar, an eine schnelle Heirat, an Familienglück, an eine Fortpflanzung des alten Geschlechtes …!

Mit leichtem Seufzer und einer verzichtvollen und doch energischen Handbewegung schob er all das wie etwas Lästiges, Lähmendes und in dieser Nacht völlig Unangebrachtes von sich … Erinnerte sich an Georg Hartwichs feierliche Worte, der von einer heiligen Pflicht gesprochen hatte, den Goldschatz der Azoren für das Vaterland aus den Tiefen des Ozeans zurück zu erobern … Richtete sich straffer auf und schritt weiter, betrat sein Herrenzimmer, fand hier die elektrische Krone aus Hirschgeweihen eingeschaltet und … stand der Fürstin Mafalda gegenüber, die sich aus einem der Klubsessel am Kamin erhoben hatte.

„Johann hat nun das Wächteramt bei dem Verwundeten übernommen,“ sagte sie in ihrer schlichten, bescheidenen Art, die ihr so viel Mädchenhaftes, Unschuldsvolles verlieh. „Und über Edgar Wiener selbst habe ich mit Ihnen noch zu sprechen, lieber Graf. Er hat ein teilweises Geständnis vor mir abgelegt.“

Mafaldas köstliches Blondhaar duftete.

Ihr Pelz lag über der Lehne des Sessels. Das tief ausgeschnittene, raffiniert einfache Kleid, das sie schon vorhin im Prunksaale getragen hatte, zeigte die wundervollen Linien ihres Halses, ihre Schultern, des Ansatzes der etwas üppigen Brust und umschloß eine hohe Gestalt von tadellosem Ebenmaß in weichem Geriesel.

‚Sieghafte Schönheit!‘ – ging’s Viktor Gaupenberg flüchtig durch den Kopf.

Und – ebenso flüchtig tauchten ähnliche Gedanken in ihm auf wie vorhin im Korridor des Ostflügels vor Frau Sandens Tür: … Familienglück – Ehe – Fortpflanzung des Geschlechts derer von Gaupenberg-Gaupa! –

Mafalda nahm langsam wieder Platz. Ihre dunklen Augen ruhten jetzt wie in heißer Angst auf dem Grafen, der vor ihr stehen geblieben war.

„Sie ahnen nicht, daß Sie durch einen Zufall dem Tode entgangen sind,“ sagte sie mit leicht vibrierender Stimme, und ihr schauspielerisches Talent feierte in dieser Szene glänzende Triumphe. „Der Überfall auf Ihren Freund Hartwich in Berlin galt in Wahrheit Ihnen. Sie … sollten ermordet werden. Man wollte Ihnen die Zeichnungen Ihrer Erfindung, der Sphinxstrahlen, abnehmen. Da Hartwich einen ähnlichen Hut und Sportpelz wie Sie trug, irrte sich der gedungene Mörder in der Person, erkannte noch rechtzeitig sein Versehen und ließ Hartwich am Leben. – Oh mein Gott, – wenn ich bedenke, daß ich … ich den Anstifter dieses Anschlags zu meinem Privatsekretär erwählen wollte!“

Gaupenberg holte tief Atem …

„Also – – Edgar Wiener?“

„Ja – ja! Das ist’s, was er mir eingestanden hat, was ich halb aus ihm herauslockte!“

So leitete Mafalda Sarratow ihre neuen Pläne ein. So wollte sie allmählich noch in dieser Nacht den Mann zu ihrem Sklaven machen, dem ihre heißen Sinne entgegenjauchzten.

 

13. Kapitel.

Die Koffer der Fürstin.

Die drei Riesenkoffer der Fürstin waren auf Wunsch des Kammerdieners Sergius Petrow gleich nach der Ankunft auf sein Zimmer im Ostflügel geschafft worden. Eine Mafalda Sarratow konnte auch als ‚Touristin‘, wie sie so harmlos sich Gaupenberg gegenüber bezeichnet hatte, ohne so umfangreiches Gepäck nicht auskommen. Sie selbst freilich war für die Mitnahme dieser eleganten Schrankoffer nicht verantwortlich. Sie hatte sich um diese Nebensächlichkeiten überhaupt nicht gekümmert.

Zu derselben Zeit, als im alten Eckturm der Gaupenburg Edgar Lomatz von Mafalda und dem Grafen sorgsam verbunden wurde, saß der hünenhafte Sergius in seinem verriegelten Zimmer bei geschlossenen Fenstervorhängen an dem kleinen Schreibtisch, dessen geschweifte Beine und reiche Schnitzereien des Aufsatzes, ebenso wie die kunstvollen Perlmuttereinlagen der Platte und der Aufsatztüren das Entzücken jedes Altertumsammlers hervorgerufen hätten.

Petrows mächtiger Kopf mit den bartlosen, scharf markierten Zügen war tief über einen großen Bogen Papier gebeugt. Mit erstaunlicher Schnelligkeit flog des Dieners Hand über das Papier hin und das leise Kratzen der Stahlfeder bildete außer den tiefen Atemzügen des Schreibenden lange Zeit das einzige Geräusch in dem behaglich warmen Raume.

Die kleine elektrische Stehlampe mit der grünen Glocke hatte Sergius durch ein Tuch so weit abgeblendet, daß nur ein schmaler Lichtstreifen auf seine Schreibarbeit fiel. Diese Arbeit war nichts anderes als die Übertragung eines langen Berichts in eine recht komplizierte Chiffreschrift. Gerade als der Dienern die letzten Zeilen seines Berichts in eine Reihe scheinbar willkürlich aneinander gefügter Zahlen verwandelte, – und diese Zeilen hatten im übrigen folgenden recht auffallenden Wortlaut:

‚ … bitte also, sofort einen schnellen Dampfer nach dem Vorgebirge Retorta der Insel San Miguel zu beordern und dort eine Abteilung zuverlässiger Leute zu landen, die des Grafen Flugboot zunächst nur beobachten sollen.‘,

– gerade da ertönte aus der Ecke, wo die drei hellbraunen Schrankkoffer standen, ein leises Pochen.

Sergius runzelte nur die Stirn, drehte den Kopf nach der Ecke hin und hüstelte ärgerlich.

Das Pochen verstummte, lebte aber wieder auf, als der Kammerdiener nun den Entwurf des Berichts mit einem Zündholz verbrannte.

Das Papier verkohlte im Nu. Sergius zerrieb die Asche und streute sie auf den Teppich.

Dann hüstelte er noch kräftiger, siegelte den chiffrierten Bericht rasch in ein Leinenkouvert ein und adressierte dies an einen Herrn Ramon Orsaro in Berlin.

Nun erst ging er auf Zehenspitzen in die dunkle Ecke des Zimmers, zog ein Schlüsselbund hervor, öffnete erst den Oberdeckel des einen Koffers, dann die türartige Vorderwand und flüsterte gereizt:

„Caramba, Pannaru, kannst du nicht warten?!“

Ein Geschöpf entstieg dem Koffer, – ein Zwerg mit kupferbraunem Gesicht, ein Angehöriger eines jener südamerikanischen Zwergenvölker, die erst im Jahre des Jahres 1895 durch den Forschungsreisenden Belville entdeckt worden waren.

Pannaru stand in demütiger Haltung vor dem Diener, dem er kaum bis an die Hüften reichte. Er trug europäische Kleidung, eine Art Sportanzug, und darüber eine lange Lederjacke, wie Motorradler sie bevorzugen.

„Sennor Alfonso,“ wisperte der Zwerg in jenem Kauderwelsch aller möglichen Sprachen, das als Hafensprache in Südamerika überall gebräuchlich ist, „Sennor Alfonso, Pannaru nun bereits neun Stunden stecken in dem Koffer und haben …“

„Halt’s Maul!“ fuhr der Hüne den Knirps grob an. „Du wirst sofort genügend frische Luft schnappen können …! – Höre genau hin! Den Brief, der dort liegt, überbringst du sofort Sennor Orsaro. Dein Motorrad ist auf dem Bahnhof des Städtchens unten im Tale abgegeben worden. Hier ist der Aufbewahrungsschein. Du hältst dich nirgends länger als nötig auf. Um sechs Uhr früh kannst du in Berlin sein. Du kehrst dann sofort hierher zurück. Das Rad verbirgst du im Walde. Dann kletterst du über die Westmauer des Parkes. Dort in der Nähe steht das Erbbegräbnis der gräflichen Familie in Gestalt einer kleinen Kapelle mit bunten Fenstern. Du dringst dort ein. Ich werde das eine Fenster öffnen und nur andrücken. Über den geheimen Gang nach den Kellern des Schlosses bist du bereits unterrichtet. Sieh zu, daß du hier in mein Zimmer schleichen kannst. –

Sollte inzwischen irgend etwas geschehen, das mich zum Verlassen des Schlosses zwingt, so werde ich für dich einen Zettel in der Kapelle unter der Altardecke verbergen. Lesen und Schreiben hast du ja in der Missionsschule gelernt. Im übrigen weißt du ja Bescheid, wie du dich zu verhalten hast.“

Pannaru nickte nur, zog unter der Jacke eine Lederkappe hervor, setzte sie auf, nahm den Brief, schob ihn in die Innentasche der Jacke und huschte zum Fenster – all das mit einer Selbstverständlichkeit, die deutlich bewies, wie oft er schon von Sergius Petrow zu derlei geheimen Missionen verwendet worden war.

Mit der Geschicklichkeit eines Affen kletterte er dann an den dicken Efeuranken der Außenmauer abwärts und verschwand wie ein Schatten im Dunkel der Parkbäume.

Petrow, in Wahrheit Alfonso Jimminez, Geheimagent im Dienste eines außereuropäischen Staates, – dieser angebliche Sergius Petrow, ein Mann von vielseitiger Bildung, ungeheurer Verschlagenheit, Tatkraft und Gewissenlosigkeit, schloß das Fenster wieder und wollte gerade die Schreibtischlampe ausschalten, um im Finstern auf neue Nachrichten von Mafalda zu warten, als ein kaum hörbares Kratzen an der Tür ihn veranlaßte, diese aufzuriegeln und seine Verbündete und Geliebte einzulassen.

Mafalda kam aus dem Turme vom Krankenlager Edgar Wiener-Lomatz’, war ganz atemlos und flüsterte Sergius nun zu: „Ich weiß jetzt, wie ich die für diese Nacht geplante Abreise der Sphinx verhindern werde. Sorge dafür, daß Agnes Sanden nachher in einem der leeren Zimmer dieses Flügels aufgefunden werden kann. Du verstehst mich …!“

Sie wollte wieder davonhuschen.

Sergius hielt sie zurück …

Er, für den sein gefahrvoller Beruf als Geheimagent geradezu Lebensbedingung war, er, der nur im aufregenden Intrigenspiel volle Befriedigung fand, – er hatte bei all seiner Selbstbeherrschung und bei all seiner Verachtung gegenüber menschlichen Schwächen doch eine einzige blinde Leidenschaft: Mafalda Sarratow!

Er liebte sie auf seine Art, liebte sie mit dem ganzen Ungestüm des Sohnes heißer Zonen, liebte sie mit einer Eifersucht, die so und so oft schon die heftigsten und abstoßendsten zwischen den beiden heraufbeschworen hatte.

Er hielt sie jetzt zurück, hatte ihr linkes Handgelenk gepackt und keuchte mühsam hervor:

„Du – du, – hüte dich! Ich fühle, es spinnt sich da etwas an zwischen dir und …“

Sie riß sich los.

Und wie soeben im Turme zu Edgar Lomatz, genau so fauchte sie nun Alfonso Jimminez verächtlich an:

„Narr, Narr, der du bist! Sogar in diese Nacht vergißt du deine eigenen erbärmlichen Lüste nicht! In dieser Nacht, wo so vieles auf dem Spiele steht! Wenn Gaupenberg und Hartwich heute mit der Sphinx davonfliegen, werden wir für immer das Nachsehen haben! Begreifst du denn noch immer nicht, um was es sich hier handelt! Gold – Gold, – eine Milliarde fast, und dazu des Grafen Erfindung! – Narr, Narr, – wir beide im Besitz dieser Dinge, und – die Welt gehört uns! Bedenke, zwanzig solcher Luftboote vielleicht, und man kann jeder Großmacht jede Bedingung diktieren!“

Im Halbdunkel stand sie vor ihm, den Pelz lose um die Schultern gelegt.

Stand stolz und in all ihrer blendenden Schönheit da, in diesem Augenblick wahrhaft Fürstin, Herrscherin, und sei’s nur über die Dämonen eines Höllenreiches.

Und wieder wie damals im Salon des Berliner Pensionats ward der Riese Petrow, der finstere Agent Alfonso Jimminez, im plötzlichen Taumel seiner zügellosen Leidenschaft zum armseligen Sklave Mafalda Sarratows …

Umschlang sie, küßte sie, gab sie frei …

Und war allein …

Verriegelte die Tür wieder, ging zum Schreibtisch, sank in den Stuhl, starrte vor sich hin.

Das brünstige Lächeln in seinem brutalen Gesicht schwand nur zu rasch. Der Rausch verflog. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, preßten sich gegen die Schläfen.

„Narr – Narr!“ keuchte er wie in Wut gegen sich selbst. „Stets dasselbe Spiel! Und nie – niemals wirst du Sieger über dich selbst! Zu Grunde gehen wirst du an ihr! Geheimer Haß lebt in ihrer Seele, die dir nie gehören wird, Haß gegen dich … dich, Alfonso Jimminez, einst Piratenkapitän, jetzt Geheimagent und später … später …“

Da trieben ihn die eigenen Gedanken hoch.

Da waren sie wieder, diese berauschenden Zukunftsbilder, geboren aus Ehrgeiz, Herrsucht, Machtgefühl.

Bilder von phantastischer Buntheit, die in der Wildnis Südamerikas dem hünenhaften Manne ein eigenes Reich vorgaukelten – ein Reich, in dem er der Erste sein würde, ein uneingeschränkter Tyrann, ein Machthaber wie die ganz großen Ungeheuer der Geschichte, die genialen Ungeheuer: Nero, Hannibal, Napoleon – und andere! –

Seine Fäuste sanken herab.

Er erwachte gleichsam. Ward Herr der wilden Gedanken, ward wieder Alfonso Jimminez, der auch mit Mafalda Sarratow ein falsches Spiel trieb! Was wußte sie von ihm, von seinem wahren Beruf?! Für sie war er Abenteurer, moderner Hochstapler – wie sie es selbst war!

Zwei – drei Minuten brauchte er jetzt nur, über das Klarheit zu gewinnen, was nun geschehen mußte.

Er traute Mafalda nicht. Er traute niemandem. Er kannte durch Edgar Lomatz, den er in tiefster Seele verachtete, die Geheimnisse der Gaupenburg, wußte, wie man in die geheimen Gänge gelangte, daß die eine Tür in der Wandtäfelung in das Herrenzimmer mündete. –

Er schritt abermals in das Dunkel der Ecke hinein, wo die Koffer standen.

Öffnete einen zweiten der Riesenbehälter, bückte sich, richtete sich wieder auf.

‚Sie ist noch bewußtlos, und die Betäubung hält noch eine Stunde mindestens an,‘ dachte er befriedigt.

Verschloß den Koffer wieder und verließ lautlos sein Zimmer, drehte den Schlüssel um und steckte ihn in die Tasche.

Wenig später war er im Flur des Westflügels vor dem halb in die Wand eingelassenen Schranke, drückte auf die Feder, drückte die Rückseite des Schrankes nach außen und begann hastig die Wanderung durch die Eisluft der schmalen geheimen Wege zwischen den Mauern.

Bis er den Mittelbau erreicht hatte, bis er die schwachen Stimmen durch das Wandgetäfel vernahm, – die Stimmen Mafaldas und Gaupenbergs.

Und – lauschte … lauschte …

Soeben hatte Mafalda dem Grafen mitgeteilt, daß Edgar Wiener ein halbes Geständnis abgelegt habe, daß Edgar Wiener der Anstifter des Anschlags gewesen, dem Georg Hartwich in Berlin irrtümlicherweise fast zum Opfer gefallen wäre.

Gaupenberg war zunächst so sprachlos über diese ungeheuerliche Heimtücke desselben Menschen, dem er mitleidig Unterkunft und Behagen gewährt hatte, daß er kaum recht hinhörte, als die Fürstin wie in tiefem Schmerz über solche Verworfenheit nun hinzufügte:

„Lieber Graf, es tut mir weh, Sie noch bitterer enttäuschen zu müssen. Wenn nun wohl auch feststeht, daß ihre inzwischen wieder verschwundene Privatsekretärin Agnes Sanden nicht persönlich den Diebstahl damals vor vier Tagen begangen hat, so ist sie doch immerhin als Mitschuldige zu betrachten, da Edgar Wiener zugegeben hat, daß er Fräulein Sanden bereits längere Zeit kennt und daß sie als seine Geliebte für ihn Spionagegeschäfte besorgte.“

Viktor Gaupenberg, der am Kamin lehnte und die letzten Sätze in all ihrer niederschmeternden Eindeutigkeit mit jäh wieder aufgelebter Aufmerksamkeit Wort für Wort wie schmerzende Stiche hingenommen hatte, sah sich so mit einem Male wieder von den lichten Höhen frohen Hoffens auf der Geliebten völlige Schuldlosigkeit hinabgestürzt in den finsteren Abgrund einer ihm unbegreiflichen menschlichen Verderbtheit …

Also war Agnes doch schuldig! Und – sie war jetzt noch schuldbeladener denn je! War hier nach der Gaupenburg doch offenbar nur in Edgar Wieners Auftrag gekommen! –

Mit schmerzlich verzerrtem Gesicht stierte er an dem sanft geröteten, verführerischen Antlitz der Fürstin vorbei ins Leere. Sein Hirn wob in selbstquälerischer Hast unzählige Gedankenfäden, die von all den aufregenden Vorgängen der letzten Tage zu Agnes hinliefen, zu Agnes, der geheimen Verbündeten eines elenden verbrecherischen Schurken. Vieles, was ihm bisher noch unverständlich gewesen, glaubte er nun zu durchschauen. Und – überall Agnes als die lügnerische, heuchlerische Helfershelferin dieses Elenden, der vor kaum einer Stunde die Sphinx hatte entführen wollen!

Und da – da, als Viktor Gaupenbergs kreisende Gedanken bei den Szenen am Gaupa-See angelangt waren, da tauchte notwendig auch vor ihm das einleitende Bild dieser Jagd auf den im Flugboot flüchtenden Verbrecher auf. Agnes – Agnes als Warnerin im Prunksaal des Schlosses – urplötzlich erscheinend wie ein Geist, gesandt von einer höheren Macht, die die Entführung der Sphinx vereiteln wollte!

Jetzt ruhten Gaupenbergs kluge, ernste Augen sinnend und forschend auf Mafaldas weichen, reizvollen Zügen. Und kopfschüttelnd meinte er:

„Fürstin, das – das kann wohl nicht sein. Wie sollte Fräulein Sanden als Wieners Verbündete hier gewirkt haben, wo sie doch vorhin kam und uns warnte! Mich warnte!“

Mafalda erhob sich langsam.

Trat dicht vor Gaupenberg hin, legte ihm leicht die Hand auf den Arm, lächelte schmerzlich.

„Es ist so unendlich traurig für mich,“ sagte sie scheinbar in warmer Anteilnahme und schlichter Geradheit, „Ihnen immer mehr den Glauben an die Menschheit benehmen zu müssen. Wie tief muß es Sie schmerzen, lieber Graf, nun auch dieses unselige Geschöpf als raffinierte Betrügerin entlarvt zu sehen. Wiener hat ja, als ich ihm dasselbe zu Agnes Sandens Verteidigung vorhielt, was Sie hier soeben äußerten, mir ironisch und zynisch erklärt, Agnes’ Warnung sei zwischen ihnen beiden verabredet gewesen, damit jeder, auch der geringste Verdacht gegen sie schwände. Sie sollte erst dann die Warnerin spielen, wenn sein Entkommen mit der Sphinx gesichert schien. Und – so war’s ja auch! Die Sphinx schwebte bereits über dem See, als mir dort anlangten, und wenn ich nicht wie von ungefähr Ihre großkalibrige Büchse …“

Sie schwieg …

Gaupenberg hatte plötzlich ihre Hände ergriffen.

„Fürstin, Fürstin, – und ich habe Ihnen noch nicht einmal gedankt! Ohne Ihr Eingreifen wäre die Sphinx für mich verloren gewesen! Sie drückten mir die Waffe in die Hand, mit der ich dann meines Luftbootes verwundbarste Stelle traf und so erreichte, daß …“

„Oh – nicht doch!“ flüsterte Mafalda wie in bescheidener Ablehnung jedes Dankeswortes. „Ich bin ja so unendlich glücklich, die Sphinx für sie zurückerobert zu haben! – Ich bewundere Sie, Graf. Ich bewundere Ihre überragende Intelligenz, die Sie durch dieses seltene Fahrzeug der Welt offenbaren können.“

Strahlend ruhten ihre Augen in den seinen. Liebe, Hingebung leuchteten ihm aus diesen bezaubernden Augensternen entgegen. Zarter Parfümduft umwehte ihn. Und in diesen Duft mischte sich etwas anderes, die kaum merkliche Ausströmung des weiblichen Körpers.

Und Gaupenberg, der soeben Agnes nun endgültig verloren zu haben glaubte, dessen zerissene Seele nach Trost und Anlehnung lechzte, zog Mafalda sanft an sich, sanft und ohne stürmisches Begehren, nur in dem Bestreben, Vergessen zu finden und Agnes auszutilgen aus seinem Denken – für immer!

Zog Mafalda an sich und wollte einen Kuß auf ihre Stirn hauchen, einen Kuß der Dankbarkeit, daß sie in dieser trostlosen Stunde bei ihm war und daß ihre Anmut und Herzensgüte ihm das Weib in besserem Lichte zeigten.

Der Fürstin heiße Lippen brannten plötzlich auf den seinen.

Lippen, die es verstanden, Feuersglut im Nu zu entfachen …

Alfonso Jimminez hatte die Tür im Wandgetäfel ganz wenig geöffnet.

Ein Blick nur ins Zimmer …

Dicht vor dem Kamin, umstrahlt von dem rötlichen Lichtschein lodernder Buchenscheite, das eng umschlungene Paar.

Und Mafalda … Mafalda jetzt flüsternd – wie im wahren Glücksrausch eines tiefen Gefühls:

„Dein bin ich, du Starker, – dir gehört meine Seele, die noch keiner besaß! Dir gehört sie, Viktor Gaupenberg, dir allein!“

Alfonso raste durch die Gänge wie ein Gehetzter.

Raste in sein Zimmer, riß den Koffer auf, hob Agnes Sanden empor und eilte mit der leichten Last denselben Weg zurück.

 

14. Kapitel.

Pannarus Dolch.

Im Bootsschuppen unten am Gaupa-See schraubte Georg Hartwich eine neue Sphinxröthre an Stelle der durch den Schuß zertrümmerten in das Aluminiumgehäuse am Heck des Luftbootes ein. Die Proviantkisten hatte er bereits mit Hilfe Gottliebs im Innern der Sphinx verstaut.

Gottlieb Knorz stand und schaute zu. Stand mit einem so wehleidigen, grüblerischen Gesicht dabei, daß Hartwich schließlich aufmerksam wurde.

„Fertig!“ sagte er frohgemut und schlug dem braven Alten leicht auf die Schulter. „Jetzt kann unsere Sphinx wieder aufsteigen, aber diesmal nicht mit Herrn Doktor Edgar Wiener an Bord!“ Sein prüfender Blick ruhte auf Gottliebs verkniffenen Zügen. „Hm – was fehlt Ihnen eigentlich, bester Knorz? Freuen Sie sich doch mit uns! Ihre Jammermiene hätte nur einige Berechtigung, wenn die Sphinx von dem Schuft entführt worden wäre!“

Bei dem Ausdruck Schuft, den der Steuermann so ingrimmig hervorstieß, zuckte Gottlieb leicht zusammen.

Murmelte dann gesenkten Hauptes, indem er nach seinem Dackel Kognak hinüberschielte, der sich vor dem eisernen Ofen zusammengerollt hatte:

„Was mir fehlt …?! Ja – ja, sehr viel fehlt mir, sehr viel. Ein … reines Gewissen!“

„Blech!“ lachte Hartwich belustigt.

Des Alten Hakennase zog sich tiefer zum Kinn hinab. Das Vogelhafte seines Gesichts trat dadurch noch deutlicher in die Erscheinung.

Er seufzte … „Ich wünschte, es wäre Blech! – Herr … Herr Georg, ich möchte Ihnen etwas beichten. Ich wage es nicht, dem Herrn Grafen das alles mitzuteilen. Nein, ich wage es nicht. Er würde denken, der alte Gottlieb wäre nicht mehr ganz bei Trost.“

„Na … na, Knorzchen …!“

„Nichts von ‚na … na …!‘ – Es ist so. Ich bin schuldig, daß der Lump die Sphinx stehlen konnte … ich!“

„Sie …?!“

„Ja, Herr Georg. Leider, leider! Wenn ich damals, als Ihnen die alte blaue Weste mit dem eingenähten Pergament gestohlen wurde, gleich mit der Wahrheit herausgerückt wäre, dann hätte der Herr Graf Fräulein Agnes nie für eine Diebin gehalten. Aber das Mädchen beschwor mich hoch und heilig, nichts zu verraten. Sie war so furchtbar niedergedrückt, weil Graf Viktor ihr so was Schlechtes wie einen Diebstahl überhaupt zugetraut hatte.“

„Herr Gott – war Fräulein Sanden etwa in Ihrer Wohnung verborgen, Gottlieb?“

„Ja, das war sie! Bei mir! – Und da ich die Geschichte nun schon so weit ausgekramt habe und da Agnes nun wirklich verschwunden ist, Herr Georg, sollen Sie alles hören – alles … Ich mache nicht gern viel Worte. Die Sache liegt so: Agnes kannte diesen Edgar Wiener von früher her. Er heißt mit richtigem Namen Edgar Lomatz. Sie war mal mit ihm verlobt, wie sie mir eingetanden hat. Und deshalb hat sie hier dann auch so getan, als wüßte sie nicht, was für ein Früchtchen der Lomatz ist, der angebliche Doktor. Aber aufgepaßt hat sie heimlich, daß er hier nicht etwa irgend was bereißen könnte.

Damals abends nun bemerkte sie im Flur des Ostflügels eine Frauengestalt, die aus ihrem Schlafzimmer schlüpfte. Weil Lomatz nun der reinste Verkleidungskünstler ist, vermutete sie gleich, daß die Frau der feine Herr Doktor sein könnte, schlich ihm nach, gelangte so ebenfalls in den Westflügel und durch den Schrank in die geheimen Gänge. Als Lomatz die Weste dann an sich genommen hatte und hastig in sein Zimmer zurück wollte, konnte Agnes nicht so schnell wieder in den Flur zurück. Lomatz packte sie und zerrte sie nach der Abzweigung des Ganges, die nach den Kellern führte, stieß sie hier roh gegen die Wand, so daß sie halb ohnmächtig umsank. Da er ihr gedroht hatte, dem Herrn Grafen die Beweise zu liefern, daß sie sein Bräutchen gewesen, fürchtete sie, der Graf könnte sie und ihre Mutter wieder wegschicken. Sie blieb also dort, wo sie umgesunken war, kraftlos und in einem Zustande trostloser Verzweiflung und Verwirrung liegen, hörte auch, daß wir die anderen Gänge durchsuchten, wagte sich nicht zu rühren und wurde dann von Kognak und mir aufgefunden.

Kaum hatte sie mir in meinem Wohnzimmer das Nötige mitgeteilt und mich flehentlich gebeten, sie vorläufig zu verbergen, bis Lomatz’ Schuld an den Tag gekommen sei, da – wurde sie abermals ohnmächtig und hat dann drei Tage mit hohem Fieber in meinem Schlafzimmer im Bett gelegen, wurde insgeheim von ihrer Mutter und mir gepflegt und ging dann erst heute Abend, um frische Luft zu schöpfen, in den Park, da zu derselben Zeit doch das Begrüßungsessen für die Fürstin im Prunksaale …“

„Ah – also so ist der Zusammenhang!“ rief Hartwich erregt. „Dann hat wohl auch Fräulein Agnes die Alarmschüsse abgegeben, die wir im Saale hörten?“

„Ja – sie sah Lomatz nach dem Bootsschuppen eilen … Sie kam zu spät … Er hatte die Sphinx schon auf dem Gleitschlitten ins Wasser gebracht … Da ist sie dann wieder ins Schloß gerannt.“

Steuermann Hartwich überlegte … Fragte zweifelnd:

„Hm – ob das alles auch wirklich stimmt, lieber Gottlieb?! Agnes’ Wunsch, von Ihnen versteckt gehalten zu werden, ist mir etwas unverständlich …“

„Oh – sie wollte, daß Lomatz annähme, sie hätte sich ein Leid zugefügt. Sie hatte ihm in ihrer Angst, er könnte ihre früheren Beziehungen zu ihm dem Herren Grafen verraten, geradezu gedroht, sie würde sich im Gaupa-See ertränken … – Sehen Sie, Herr Georg, die Sache ist schon einleuchtender, wenn man berücksichtigt, daß Graf Viktor und das Fräulein sich nicht so ganz gleichgültig sind. Unsereiner ist guter Beobachter, Herr Georg.“

„Na ja, lieber Knorz, mag sein …! Trotzdem – etwas widerspruchsvoll ist doch das Benehmen Fräulein Sandens auf jeden Fall!“

Gottlieb schaute den Freund seines Herrn fest an. „Für Agnes lege ich meine Hand ins Feuer!“ sagte er feierlich. „Sie kennen mich, Herr Georg. Ich hab’ mein Lebtag von Weibern nichts wissen wollen. Ich traue keinem Unterrock, auch … der Fürstin nicht! Nur über Agnes und ihre Mutter darf mir keiner was Schlechtes reden – keiner! Wenn man so wie ich vierzig Jahre gräflicher Diener gewesen ist, dann wird man Menschenkenner!“

Hartwich war stutzig geworden, als Gottlieb Mafalda Sarratow in diesem Zusammenhang erwähnte.

Um das Thema zu wechseln – denn er selbst konnte beim besten Willen an Agnes’ volle Schuldlosigkeit nicht glauben –, begann er über die Fürstin zu sprechen, die ja vorhin bei Tisch auch ihn geradezu bezaubert hatte. Als er erklärte, Gottlieb könnte doch unmöglich etwa auch Mafalda mit Edgar Lomatz irgendwie in Verbindung bringen und verdächtigen wollen, zog der brave Alte seine Hakennase wieder mißmutig zum Kinn hinab und brummte: „Das liegt mehr so im Gefühl, Herr Georg … Die Frau ist einfach zu schön …!“

Hartwich lächelte nachsichtig. „In diesem Falle trügt Ihr Gefühl, lieber Gottlieb. Auch ich habe gegen die Fürstin anfänglich Mißtrauen gehegt, weil sie einem Weibe sehr ähnlich sieht, das mir vor Jahren unter recht merkwürdigen Umständen begegnete.“ Und als er das sinnend und plötzlich ganz im Banne seiner abenteuerlichen Erinnerungen vor sich hin sprach, sah der wieder jene nächtliche Szene an der schmalen Bucht der Insel Formigas im Geiste mit allen Einzelheiten, wie ein grell beleuchtetes Gemälde.

Gottlieb schwieg zu dieser Verteidigung Mafaldas und meinte ablenkend: „Wenn Sie nun, Herr Georg, dem Herrn Grafen gelegentlich meine Beichte mitteilen wollten, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Vielleicht finde ich selbst den Mut dazu … Vielleicht treffe ich jetzt den Herrn Grafen im Schloß, wenn ich meine Sachen hole, die ich gern auf die Reise mitnehmen möchte.“

Seine Stimme war verschwommen und ohne Kraft. Seine Gedanken umspielten das neue Rätsel, wo Agnes Sanden hingeraten sein könnte. Und gesenkten Hauptes schritt er zur Tür, rief seinen Dackel und wollte schon den Riegel zurückschieben, als Hartwich noch laut und mit Nachdruck erklärte:

„Gottlieb, vergessen Sie auch, was die Fürstin betrifft, den einleuchtendsten Beweis für ihre Makellosigkeit nicht …! Sie war’s, die mit schnellem Entschluß Viktors Büchse hierher brachte, sie allein ermöglichte den rettenden Schuß!“

Gottlieb nickte mit zurückgewandtem Kopf.

„Ja ja – das tat sie …! Sie ist mir im Grunde auch gleichgültig … Wenn nur Fräulein Agnes gefunden würde …! Ich … ich habe solche Angst um sie.“

Und als er nun in die helle Mondnacht hinaustrat, als er langsam den Schloßberg auf hart gefrorenen Parkwegen emporstieg, flüsterte er nach alter Gewohnheit dem vierbeinigen Wesen, das seinem biederen Herzen am nächsten stand, mit tiefem Seufzer beklommen zu: „Kognak, Kognak, mir ist so, als ob diese verwünschte Nacht noch allerlei Übles bringen wird! – Was meinst du, Kognak, wollen wir mal eine Runde ums Schloß machen? Damals nachts entdeckten wir beide unsere Agnes in dem Seitengang hinter der Mauertür. Vielleicht haben wir heute abermals Glück. Vielleicht …!“

Auf krummen Beinen wackelte Kognak mit pendelndem Schwänzchen neben ihm her.

Und Herr und Hund bogen dann auch wirklich links ab. Kamen so am Ostflügel vorüber.

Und hier blieb der alte, körperlich und geistig noch so außerordentlich rüstige Mann mit einem Male stehen – mitten auf einem Seitenpfad, starrte nach dem stolzen Bau der Gaupenburg hinüber, sah durch die kahlen Büsche undeutlich eine kleine zierliche Gestalt eilends sich nähern, glaubte im ersten Augenblick, daß es Agnes sei, verbarg sich rasch hinter der nächsten Buche und hoffte, dem Mädchen so am besten den Weg verlegen zu können, falls sie ihm etwa ausweichen wollte.

Flüchtige Schritte kamen den Pfad entlang.

Als Gottlieb nun unversehens sein Versteck verließ und erschrocken zurückprallte.

Dicht vor ihm grinste ein kupferfarbenes Zwergengesicht, ein Gesicht, verzerrt in jäh auflodernder Wut.

Und ehe der Alte noch zur Seite springen konnte, schnellte das unheimliche Wesen mit erhobenem Arm schon vorwärts.

Mondlicht blinkte auf glänzender Stahlklinge.

Da – fuhr der Teckel mit heiserem Aufheulen dem Zwerge von der Seite in die Beine.

Zahnlose Kiefer packten das Fußgelenk Pannarus. Und der drohende Arm stockte in der tödlichen Stoßbewegung … Das rettete Gottlieb das Leben. Seine Hand umkrallte den Arm. Und doch hatte er Pannaru unterschätzt. Aalglatt, schlangengleich machte der sich frei, stieß mit dem anderen Fuße den Hund zurück und war einen Moment später im Dunkeln einer Tannenallee verschwunden …

Keuchend stand Gottlieb da, während der brave Kognak kläffend, aber erfolglos hinter dem Flüchtling dreinhetzte.

„Das Schloß ist behext!“ brummte der Alte kopfschüttelnd. „Was für eine kleine braune Kanaille war das?!“

Kognak fand sich bald wieder ein. Herr und Hund wanderten weiter. Gottliebs Gedanken umspielten noch immer den dunkelhäutigen Zwerg.

 

15. Kapitel.

Hartwich gehen die Augen auf.

Im Herrenzimmer in halbdunkler Ecke auf dem schwarzen Bärenfell des Diwans hielt Viktor Gaupenberg die schönste der Frauen auf seinen Knien.

Mafaldas Kopf ruhte an seiner Wange. Ihr seidiges Haar umduftete ihn mit süßer Lockung.

Mafaldas Zärtlichkeit war scheu und keusch wie die eines reinen Mädchens, in dessen Adern heißes Blut nach der Erfüllung des Lebens klopft.

Sie heuchelte jetzt nicht. Sie liebte diesen Mann. Die Offenbarung ihres eigenen Herzens hatte sie mit Staunen erfüllt. Nie mehr hätte sie sich eines so hehren Gefühls für fähig gehalten.

Und weil aus halber Berechnung nun das starke Empfinden des durch feinste Seelenschwingungen geläuterten Naturtriebes geworden, fand Mafalda ganz aus ureigenstem Weibesinstinkt heraus Maß und Ziel für diese erste Stunde des Glücks.

Kein Wunder, daß Viktor Gaupenberg wiederzulieben glaubte, wo er so zarte Innigkeit und so echtes Weibestum entdeckte.

Mafaldas Blick irrte zur hohen Standuhr.

Ein Uhr morgens, – der vierzehnte Februar war angebrochen.

Und dieser eine Blick zwang die Fürstin wieder hinab in die Tiefen, aus denen die Liebe sie für kurze Zeit emporgehoben.

Dieser Blick erinnerte sie, daß Viktor Gaupenberg weder in dieser Nacht mit der Sphinx davonfliegen, noch sie überhaupt je verlassen dürfte.

Sekunden nur, und sie war wieder Abenteurerin, Hochstaplerin, Dirne, die nun mit der Macht des warmen Frauenleibes den Mann ihren Wünschen gefügig gestaltete.

Gaupenberg versprach alles … Alles …

Was kam es schließlich darauf an, ob er ein paar Tage früher oder später nach der Insel San Miguel aufbrach?! Selbst gesetzt den Fall, daß Edgar Wiener irgendwelchen Helfershelfern eine Zeichnung der Skizze angefertigt und übermittelt hatte, – wie sollte die Bande von Verbrechern wohl so schnell die Azoren erreichen oder gar U 45 mit seiner Goldladung heben können?!

Nein, die Gefahr, daß irgend jemand der Sphinx zuvorkäme, war so gering, daß man sie gar nicht zu beachten brauchte.

Mafalda dankte ihm.

Und mitten in diese kosenden Worte hinein ein dumpfer Schlag gegen dröhnendes Holz …

Ein starkes Geräusch, das die beiden emporfahren ließ.

Graf Viktor stürmte sofort in die Türecke, wo sich im Getäfel der Flurwand die unselige Geheimtür befand.

Sein gutes Ohr hatte die Richtung und die Art des Geräusches sofort erfaßt.

Die Tür drückte er auf, mußte alle Kraft anwenden, mußte den im geheimen Gange dicht an der Tür liegenden Körper erst beiseite schieben.

Agnes Sanden war’s.

Agnes Sanden!

Das Licht des Kronleuchters aus Hirschgeweihen, den Mafalda sofort eingeschaltet hatte, streifte gerade noch das blasse zarte Leidensgesicht des bewußtlosen Mädchens.

In Gaupenbergs Herz wollte beim Anblick des jungen lieblichen Weibes, dessen Lippen die seinen einst so unendlich keusch gesucht hatten, diese wahre tiefe Neigung in schmerzlicher Lust wieder erwachen.

Mafalda, dicht hinter ihm stehend, ahnte wohl, was in ihm vorging.

„Ah, – des Verbrechers Geliebte!“ flüsterte sie wie in ungläubigem Staunen.

Und – dieser Hinweis genügte. Gaupenbergs Gesicht überlief eine Wolke.

„Ja – eine Unwürdige!“ sagte er hart. „Sie scheint gehorcht zu haben. Immerhin wird man sie ins Zimmer tragen müssen.“

Mafaldas Gesicht war jetzt gleichfalls wie von Wolkenschatten verdüstert. Ihre Stirn lag in Fältchen.

Was fiel nur diesem … Tier, dem Alfons, ein, die Sanden hierher zu schleppen – ganz gegen die Abrede! Natürlich Eifersucht! Der … Narr!

Nun – allzu viel Schaden hatte er mit diesem Streich nicht angerichtet. Nein – die Entscheidung war ja bereits gefallen!

Und – indem klopfte es. Die nach der Bibliothek führende Tür ging auf, und Gottlieb Knorz, jetzt schon in einem dicken Sportanzug, den er bei den Winterarbeiten im Park zu tragen pflegte, trat ein.

Gaupenberg richtete sich rasch aus der gebückten Stellung auf und winkte herrisch.

„Da – Fräulein Sanden abermals auf verbotenen Pfaden!“ sagte er schneidend. „Gottlieb, tragen Sie das Mädchen in die Wohnung ihrer Mutter und bestellen Sie Frau Sanden gleichzeitig, daß all das, was ich mit ihr vorhin abgemacht hatte, hinfällig geworden ist. Ich werde den Damen das Gehalt für drei Monate durch Sie auszahlen lassen und ihnen heute früh zum Neunuhr-Zuge den Jagdwagen zur Verfügung stellen.“

Gottlieb stand mit hängenden Armen da. Seine dünnen Lippen bewegten sich.

„Herr … Herr Graf, ich … ich möchte …“

Gaupenberg unterbrach ihn schroff. „Gehorchen Sie! Kein Wort weiter. Es bleibt bei meinem Entschluß. Und nachher sagen Sie Herrn Hartwich, daß wir vorläufig mit der Sphinx hier bleiben und daß er mich freundlichst für heute entschuldigen soll. Die Bewachung des Bootsschuppens ist auch fernerhin dann Ihre Aufgabe, Gottlieb …“ Seine Stimme ward freundlicher. Sollte er etwa einer Agnes Sanden wegen den treuen Diener durch sein Benehmen verletzen?! Das war dieses Mädchen wirklich nicht wert!

Gottlieb schlich an Gaupenberg vorüber.

Trat tief gebückt in den Gang hinein, nahm Agnes überaus zart in die Arme und trug sie wortlos davon.

Gaupenberg zog die Geheimtür wieder zu, schaute sich nach Mafalda um …

Die saß auf dem Diwan und weinte.

Langsam, zögernd näherte er sich ihr. Die heiße Liebesstimmung war ja dahin. In seiner Brust lag ein dumpfer Druck wie von seelischer Pein. Was Agnes ihm bedeutet hatte, das war ihm erst in diesen Minuten klar geworden. Niemals würde Mafalda ihm eine Agnes Sanden ersetzen – niemals. Und doch – jetzt gehörte er Mafalda. Mochte er sich auch noch so sehr nach Alleinsein sehnen, er durfte ihr nicht zeigen, daß sie ihm jetzt fast lästig war.

„Weshalb Tränen, Mafaldas?“ fragte er sanft und nahm ihre Hände …

Sie hielt den Kopf gesenkt.

„Weil … weil das alles mich so erschüttert hat, Viktor … Weil mir das Mädchen und ihre Mutter leidtun … – und trotzdem sehe ich ein, daß die beiden das Schloß verlassen müssen.“

Sie schaute zu ihm auf, lächelte schelmisch …

„Wir beide wollen nicht ein zweites Mal auf so häßliche Weise gestört werden, Viktor. Seligkeit ist ein zartes Blümchen. Jeder Windstoß schon nimmt ihr den Reiz glückhafter Schönheit …“

Sie zog ihn näher, zog ihn neben sich.

Einer Mafalda Sarratow widerstand so leicht niemand … –

Agnes ruhte auf dem Sofa im Wohnzimmer ihrer Mutter. Noch während Gottlieb sie die Treppen emporgetragen hatte, war sie allmählich erwacht.

Frau Sanden, den Kopf auf die auf der Tischdecke liegenden Arme gestützt, weinte lautlos in sich hinein.

Gottlieb stand neben dem Sofa, hielt Agnes’ Rechte und starrte mit schwimmenden Augen hilflos geradeaus.

Er hatte seinen Auftrag in rührend zarter Weise erledigt. Aber was vermochten selbst die noch so vorsichtig gewählten Worte an einem harten eindeutigen Befehl zu ändern?!

Nun, als er Frau Sandens haltlose Verzweiflung und Agnes’ starre Trostlosigkeit hier mit erlebte, war ihm die Kehle wie zugeschnürt. Und er, der in seinem Leben nie geweint, er kämpfte jetzt mit Tränen.

Bis dann Agnes’ leere Stimme neben ihm erklang …

„All das mußte ja kommen! Mit Verschwiegenheit fing es an. Und nun – ist das Ende da.“

Sie erholte sich jetzt überraschend schnell. Niemals hätte Gottlieb diesem Mädchen, an das für ihn kein Verdacht mehr heranreichte, solche Bestimmtheit und Energie zugetraut, mit der sie nun fortfuhr:

„In den Tagen, als ich bei Ihnen, lieber Herr Knorz, krank daniederlag, ist eine seltsame Wandlung in mir vorgegangen. Alles Weiche ist von mir abgefallen. Ich bin hart geworden, hart wie der Stein, der dem Ziele zufliegt. Und ich habe ein Ziel …“ Einen Moment verstummte sie. „Sagen Sie dem Grafen, daß wir, Mutter und ich, ihm danken, weil er uns hier eine neue Heimat gewähren wollte. Das Geld lehne ich ab. Sagen Sie ihm weiter, daß ich, Agnes Sanden, klären werde, was hier an dunklen Intrigen gesponnen wird. Und schließlich, auch auf den Jagdwagen verzichten wir! Wir nehmen des Grafen Güte nur noch in Anspruch, so weit dies unbedingt sein muß. Unser Gepäck wird Helene uns wohl mit dem Einspänner zur Bahn fahren.“

Gottlieb hielt noch immer Agnes’ Rechte in der seinen.

Lachte nun ärgerlich auf. „Wenn Sie nur nicht in den Gang hinabgestiegen wären, Fräulein Agnes! Das wird man nun wieder gegen Sie zum Schlechten deuten!“

„Ich – hinabgestiegen?! Ich?! – Aber Herr Knorz! In dieser Hinsicht ist mein Gewissen völlig rein.“ – Unendlich bitter klang das. „Wer mich dort bis an die Geheimtür getragen hat, weiß ich nicht. Ich erwachte erst, als Sie mich die Treppe hinantrugen.“

Gottlieb wiegte den Kopf hin und her.

„Merkwürdig – merkwürdig! Sehr merkwürdig.“ Aber seine innersten Gedanken verschwieg er. Fing dann von etwas anderem an, daß seine verwitwete Schwester jenseits des Gaupa-Sees in dem kleinen Trinkbade Sellenheim ein Pensionat habe. Ob die beiden Damen nicht vielleicht dorthin sich begeben wollten. Er würde seine Schwester verständigen, und sehr gut würden’s die Damen dort haben – sehr gut – und billig, denn die Marie sei keine Halsabschneiderin … Und in aller Stille könnte die Übersiedlung dorthin geschehen. Niemand hier brauche etwas davon zu wissen. –

Agnes war tief gerührt. Sie merkte, daß Gottlieb der Mutter und ihr die Rückkehr nach Berlin zu ersparen gedachte, daß er nur für sie sorgen wollte.

Sie lehnte nicht ab. Nein, sie war sogar erfreut über diese Möglichkeit, in der Nähe der Gaupenburg bleiben zu dürfen.

Als Gottlieb dann wenige Minuten später von seinem Wohnzimmer aus mit der Schwester telephonierte, sagte er sehr eindringlich: „Marie, du wirst die Damen also irgendwie zum Schein beschäftigen. Ich bezahle alles. Vor Antritt der Reise sende ich dir noch meine Ersparnisse, damit du mir das Geld aufhebst.“

Und dann eilte er, Kognak japsend hinter sich, wieder zum Bootsschuppen, teilte nun Georg Hartwich des Grafen Entschluß mit und flüsterte grimmig:

„Oh – ein Licht ist mir jetzt aufgegangen, Herr Georg! Die Fürstin ist die gefährlichste von allen, glauben Sie mir, und der feine Kammerdiener Sergius hat Fräulein Agnes verschleppt gehabt – nur der! Auch der braune Zwerg gehört zu der Bande!“

Hartwich war kein Detektiv, konnte nicht mit Gedanken jonglieren. Sein Hirn verarbeitete erst allmählich all diese Neuigkeiten. Dann aber ward sein Gesicht starr vor schmerzlicher Enttäuschung.

Gottlieb würde schon recht haben mit seiner Vermutung! Hinter alldem steckte Mafalda Sarratow als treibende Kraft! Eingefangen hatte sie Viktor Gaupenberg wie eine schlaue Spinne im unsichtbaren Netz! Und – sie war doch jene Mafalda von der Insel Formigas, jene kaltblütige Mörderin! Sie war’s! Das stand nun für Georg Hartwich ebenso unumstößlich fest wie seine Pflicht, alles daran zu setzen, den betörten Freund zu retten, dem Einflusse dieses Weibes zu entziehen und ihr vorsichtig und schlau die heuchlerische Maske vom lockenden Antlitz zu reißen!

Dicht am knisternden, fauchenden eisernen Ofen standen die beiden Männer.

Fragen, Antworten, Vorschläge, Pläne kamen über erregte Lippen …

Und dort neben ihnen – graublau die flache Spindel der Sphinx als stumme Zuhörerin.

Die Sphinx, das moderne Wunder, der Sieg menschlicher Erfindungsgabe über die Kräfte des Weltalls.

Dumpf und drohend sagte Gottlieb zum Schluß der Beratung: „Ganz recht, Herr Georg, ganz recht! Wenn’s nicht anders geht, dann muß es eben erzwungen werden! Ich mache mit! Und – noch jemand wird uns beistehen, Agnes – Agnes Sanden!“

Hartwich nickte. Und meinte traurig: „Jetzt schon sehen Sie, lieber Gottlieb, welcher Fluch an dem schnöden Metall, an dem sogenannten edlen Golde haftet! Sie sehen’s an den Ereignissen hier auf der Gaupenburg! Und – das ist erst der Anfang! Noch hat der Kampf um den Azorenschatz ja kaum recht eingesetzt. Das Vorspiel ist’s erst. Was wird die Zukunft bringen?!“

Gottlieb streckte ihm die Hand hin.

„Herr Georg – was sie auch bringt – jetzt, wo ich weiß, um was es sich handelt, schwöre ich’s Ihnen, als dem vom Schicksal erkorenen Hüter des Goldschatzes, daß ich treu zu Ihnen halten werde – treu bis zum letzten Atemzug!“

Schlicht und ehrlich wie’s dieser ganze biedere brave Mann war klangen die Worte. Und doch leuchteten in dem von Sonne und Wind gegerbten Gesicht zwei klare scharfe Augen in heller Begeisterung auf.

Steuermann Hartwich fühlte sich leichter, fühlte sich wieder froher. Er wußte nun, er war nicht mehr allein im Kampfe gegen Mafalda Sarratow!

Noch ein Händedruck, und er verließ den Bootsschuppen und schritt durch die helle Februarnacht dem Schlosse zu.

 

16. Kapitel.

Der wahre Meister.

Die Turmuhr des Schlosses schlug zwei.

Zwei dröhnende klingende Schläge hallten über Täler und Bergkuppen hin.

Mafalda löste sich aus Gaupenbergs Armen.

„Gute Nacht, Liebster. Gute Nacht. Und – träume von mir … Träume von mir …“

Schleier lagen über ihren Augen. Ihre Lippen glühten. Ihr Körper duftete.

Noch ein letzter Kuß, ein letztes Aneinanderschmiegen vor der Flurtür der Bibliothek, und die Fürstin huschte den Korridor entlang, die Treppe empor. –

Viktor Gaupenberg schaute ihr nach.

Winkte, als sie sich umwandte.

Und schlich in sein Zimmer zurück – schlich müde unter der Last der jähen Erkenntnis, daß er … treulos geworden, treulos dem Freunde, dem er zugeschworen, die heilige Pflicht über alles zu stellen, die Pflicht gegenüber dem Millionengeheimnis von U 45 …

Als das Dröhnen der beiden Uhrschläge sein Ohr erreicht hatte, als er an die Vereinbarung mit Hartwich dachte, daß sie spätestens um zwei Uhr morgens würden aufsteigen können, da – war ihm sein Verrat so recht zum Bewußtsein gekommen. Mit keinem Wort hatte er Mafalda zurückgehalten. War froh gewesen, daß sie ging …

Und sank nun auf den Diwan nieder, der noch die Wärme ihres Körpers ausstrahlte, – auf das schwarze glänzende Fell des Bären, den er einst in den Klüften der Kanadischen Berge erlegt hatte … Er, der Mann, der nun versagt hatte, weil Weiberarme seinen Hals schmeichelnd umrankten.

Viktor Gaupenberg saß da, die Ellbogen auf die Knie gestützt, die heiße Stirn mit den heißen Händen umspannend, – zusammengesunken, grübelnd – – grübelnd …

Dachte an Gottlieb, den braven alten Gottlieb. Wie recht der hatte … wie recht! Unterröcke, Satanspack –! So hatte Gottlieb oft gewettert. Und sein Herr hatte dazu gelacht. Nun lachte der Herr nicht mehr. Biß die Zähne in die Unterlippe.

Grübelte … kämpfte …

Was hinderte ihn, seinen Entschluß umzustoßen und doch mit der Sphinx aufzusteigen?! Ein paar Zeilen an Mafalda – und sie würde sich trösten – vorläufig trösten müssen.

Mit einer ruckartigen Bewegung erhob er sich. Sein Gesicht war frei von allen Zeichen seligen Rausches.

„Wir – steigen auf!“ sagte er laut und bestimmt, als wollte er den soeben gefaßten Entschluß noch unterstreichen.

Die Tür ging auf …

Auf der Schwelle zur Bibliothek stand Georg Hartwich, schaute den Freund ernst an, winkte.

„Komm’ … Mafalda ist bei Sergius. Und dieser Sergius war’s, der Agnes Sanden auf sein Zimmer geschleppt haben muß, der sie dann dort vor die Geheimtür trug. Komm’ – und streife die Schuhe ab.“

Hartwich hatte den Sportpelz an, hatte leichte Morgenschuhe, dazu eine Reisemütze tief ins Gesicht gezogen.

Gaupenberg, im Gefühl seiner Schuld schweigsam und froh, daß eine Aussprache mit Georg noch hinausgeschoben wurde, folgte dem Freunde wie unter fremdem Zwange.

In den Ostflügel ging’s – bis vor Sergius Petrows Tür.

Die beiden Männer stutzten …

Drinnen Stimmen – erregte Stimmen – nichts von Heimlichkeiten.

* * *

Mafalda war vorsichtig …

Sie fürchtete den alten Gottlieb, fürchtete auch Georg Hartwich. Sie wußte nicht recht, ob er ihren Andeutungen, daß eine angeblich ihr sehr ähnlich sehende und auf Abwege geratene Schwester die Mörderin von Formigas gewesen sein könne, Glauben geschenkt hatte.

Und mit doppelt geschärften Sinnen eilte sie nach der glutvollen Liebesstunde durch die halbdunklen Flure in den Ostflügel – durch die Flure, in die hier und dort durch hohe Bogenfenster in breiten Streifen das Mondlicht hineinfiel. –

Mafalda Sarratow hätte eine vorzügliche Detektivin abgegeben. Ihr lebhafter Geist, das freie Spiel berechnender Gedanken und Augen und Ohren, denen nichts entging, machten sie zur Spionin, vor der nichts sicher war.

Vor dem Zimmer Sergius Petrows lag abermals des Mondlichts gleißende Bahn auf den Steinfliesen und dicken roten Läufern.

Und an diesem Fenster, nur hier, war der bis zum Boden reichende Vorhang ein wenig zugezogen, war gebauscht, als ob dahinter ein Lauscher stände.

Mafalda schritt weiter, als wäre ihr nicht das geringste aufgefallen, klopfte kräftig an ihres Kammerdieners Tür. Sergius ließ sie sofort ein, war fahl, starrte Mafalda mit flackernden Augen an, wollte losbrechen mit dem Wortschwall besinnungsloser Eifersucht.

Mafalda deutete mit dem linken Daumen über die Schulter rückwärts auf die Tür, legte den rechten Zeigefinger auf die Lippen.

Und sagte laut und herrisch:

„Sergius, Sie werden mir die volle Wahrheit gestehen! Keine Lüge, Sergius!“

Dann senkte sie die Stimme, flüsterte: „Man horcht! Man wird Gaupenberg holen. Du weißt noch nicht alles, das Schlimmste noch nicht. Ich fand keine Zeit, dir auch dies mitzuteilen. Beim Abendessen hat Hartwich sich verraten. Er kennt mich, er hat mich wiedererkannt, er war damals im März 1916 ohne Zweifel auf der Insel Formigas, als wir dort die eine Nacht vor Anker lagen. Vielleicht hat der auch dich wiedererkannt, vielleicht ist längst die Polizei von ihm verständigt worden.“

Mafaldas satanische Schlauheit feierte hier wieder einmal Triumphe.

Der Hüne, in dem noch soeben wütendste Eifersucht alles andere überflutet hatte, stand da wie ein hilfloses Opfer eines Ansturms drohender Gespenster – Gespenster der Vergangenheit.

Wenn auch diese Hilflosigkeit bei einem Manne von den Eigenschaften eines Alfonso Jimminez nur Sekunden dauern konnte; Mafalda hatte doch das Spiel bereits gewonnen! Der Hüne war wieder gezähmt, war wieder willfähriges Werkzeug.

Während Hartwich, der Lauscher, hinab in den Mittelbau des Schlosses eilte, während er den Freund holte und hoffte, diesem die Augen über Mafaldas wahren Charakter öffnen zu können, ging Alfonso Jimminez ohne Widerspruch auf der Fürstin Vorschläge ein.

„… Edgar Lomatz muß mit!“ erklärte Mafalda zum Schluß flüsternd. „Du wirst ihn bis zum Bootsschuppen tragen!“

* * *

Drinnen Stimmen – erregte Stimmen – nichts von Heimlichkeiten.

Mafaldas helles Organ jetzt – empört, drohend und überlaut:

„Wie konnten Sie, Sergius, wie konnten Sie nur …! Und – weshalb in aller Welt trugen Sie Agnes Sanden hier auf Ihr Zimmer und nachher nach unten in den Gang, – weshalb?!“

„Durchlaucht danken mir meine treue Ergebenheit recht schlecht!“ lachte der Diener bitter auf. „Weshalb – weshalb?! Weil dieses Mädchen doch wohl nur ein falsches Spiel getrieben, als sie ihren Geliebten scheinbar verriet und den Herrn Grafen warnte, daß das Flugboot gestohlen, entführt wurde! Ich hatte die beiden ja unten im Park gesehen – hier vom Fenster aus. Sie küßten sich … Oh, ich habe gute Augen, Durchlaucht! Und als ich dann den Speisesaal leer fand, als nur das Mädchen ohnmächtig auf dem Wandsofa lag, wollte ich Schlimmeres verhüten, da dachte ich mir, es sei am besten, wenn ich sie hier bei mir bewachte. Leider bin ich dann eingeschlafen, Durchlaucht, wurde erst munter, als sie schon hinausschlüpfte, rannte hinter ihr drein. Aber – sie entging mir, verschwand. Das ist die volle Wahrheit, Durchlaucht. Ich habe das Mädchen also nicht hinabgetragen, und – sie war auch nicht bewußtlos, als der Herr Graf und Durchlaucht sie hinter der Geheimtür fanden. Sie kann nicht ohnmächtig gewesen sein, sie hat nur Komödie gespielt – Durchlaucht. Bei allen Heiligen schwöre ich’s. Jedes Wort ist wahr! Stellen Durchlaucht mich nur dem Mädchen gegenüber!“

Und Mafaldas Stimme – nach kurzer Pause – besänftigt, gütig:

„Sergius, ich werde den Grafen sofort von alldem verständigen. Es muß sein! Wir werden dann hören, ob Fräulein Sanden Ihren Angaben zu widersprechen wagt.“

Gaupenberg zog Hartwich eiligst von dannen. Atemlos langten sie unten im Herrenzimmer an.

„Nun?!“ fragte Graf Viktor achselzuckend und warf sich in den einen der Sessel am Kamin.

Hartwich lachte. „Theater, mein guter Viktor, Theater!“

„Beweise es! Bitte …!“

Steuermann Hartwich nagte die Unterlippe.

„Das … das liegt im Gefühl,“ meinte er verdrossen. „Ich bin kein Intrigant, auch kein Untersuchungsrichter, kein fixer Kopf … leider nicht! – Jedenfalls kann nur Sergius Agnes, die bestimmt ohne Bewußtsein war …“ Er schwieg plötzlich. Sein ehrliches Gesicht leuchtete auf. „Ah – jetzt weiß ich, wie ich dieses Lügengespinst zerreißen werde! Denn – ich weiß noch mehr als du, Viktor, noch eine Kleinigkeit.“

Und er setzte sich in den anderen Sessel. Nahm eine Zigarette, rauchte.

Schweigend warteten die Freunde auf Mafaldas Erscheinen.

Zehn Minuten verstrichen – eine Viertelstunde.

„Sie scheint es sich überlegt zu haben,“ meinte Hartwich gähnend. Leiser Spott schwebte in den Worten.

Gaupenberg sah nach der Standuhr hin.

„Wenn Mafalda bis halb drei nicht hier gewesen ist, werden wir Europa verlassen! Ich habe genug – übergenug von all den Widerwärtigkeiten! Mich dürstet nach der frischen Luft des Äthers, des Ozeans! – Bei Gott, Georg, – mir ist, als ob der Giftbrodem des Goldes bis hierher hinüberdränge!“

Hartwich drückte ihm die Hand. Er war gerührt. Er freute sich unendlich, daß Viktor Gaupenberg sich wiedergefunden hatte.

* * *

Der Kutscher Johann hockte schläfrig im Turmgemach auf einem uralten Lehnstuhl, hatte den Tisch dicht vor den Stuhl geschoben und las – las, um munter zu bleiben.

Sein kahler Schädel sank ihm verdächtig oft auf die Brust.

Stets ermannte er sich jedoch wieder, riß die Augen auf, stopfte die Pfeife aufs neue, zündete sie an und qualmte dicke Wolken.

Für kurze Zeit half das wohl.

Edgar Lomatz, der Gefangene, schien zu schlafen. Johann beneidete ihn. Ja – der hatte es besser! Der brauchte nicht zu wachen! War ja überhaupt ein Unsinn, diese Wache! Die Tür war ja verschlossen, und der Schlüssel steckte in seiner Tasche. Außerdem, der Kerl da im Bett hatte doch eine böse Wunde am Schädel! Wie sollte der wohl an Flucht denken können!

Und – da klopfte es … klopfte nochmals …

Johann schlurfte zur Tür.

„Wer da?“ fragte er jetzt völlig munter.

„Kammerdiener Sergius im Auftrag des Herrn Grafen. Ich soll Sie ablösen, Johann …“

Der alte Kutscher schloß auf.

„So – nun machen Sie, daß Sie in Ihre Wohnung im Stallanbau kommen!“ meinte Sergius mit gutmütigem Lachen. „Hier – eine halbe Flasche Wein habe ich Ihnen auch noch mitgebracht. Verschwinden Sie. Aber leise! Die Herrschaften schlafen schon.“

Johann zog schmunzelnd ab. Was wußte er von der ungeheuren Verderbtheit dieser Welt?! Nichts – nichts!

Im Dunkeln tappte er die Turmtreppe hinab, trat ins Freie, ging zum Wirtschaftshofe hinüber.

Und – blieb stehen. Schaute sich das Schildchen auf der Weinflasche im Mondlicht an. – Rotwein! Na – Durst hatte er ja immer! Fein würde das munden, sehr fein. Und dann – ins Bett und schlafen – schlafen!

Er grinste vergnügt.

Lomatz hatte sich im Bett aufrecht gesetzt.

„Was gibt’s denn, Alfonso?“ meinte er neugierig. „Wollt Ihr schon jetzt die Sphinx endgültig stehlen?!“

„Ja … das heißt, wir beide sollen es tun! – Fix, zieh’ dich an. – Mafalda hat da ein Plänchen entworfen, das besser als alle vorherigen ist. Sie bleibt vorläufig hier, um festzustellen, was der Graf und Hartwich unternehmen werden, wenn die Sphinx auf und davon ist.“

„Hm – nicht schlecht, in der Tat!“ Lomatz fuhr in die Kleider. Gewiß – die Wunde brannte noch etwas. Doch – das mußte ausgehalten werden.

Und als er nun die Smokingjacke überzog, da war auch sein Plan fertig. Da hatte er längst von Sergius gehört, daß Gottlieb den Bootsschuppen bewache und daß Gaupenberg und Hartwich im Herrenzimmer säßen und Mafalda erwarteten.

Sergius hatte sich in den alten Lehnstuhl gesetzt und blätterte in dem Buche Johanns. Es war ein Werk über Pferdezucht.

Lomatz schaute sich suchend um. Er brauchte eine Waffe … unbedingt eine Waffe.

Sagte plötzlich: „Eiskalte Hände habe ich …“

Bückte sich vor dem Ofen, dessen Außentür noch offenstand, rieb die Hände … und hob hastig den schweren eisernen Schürhaken auf, so ein schmiedeeisernes Ding, das kunstvoll verziert und sehr alt war.

Sergius ahnte nicht, daß auch Lomatz’ Seele durch den Goldrausch nach finsterer Tat lechzte.

Bis … er vornüber sank … halb über den Tisch … –

Als Edgar Lomatz den Turm verließ, lag wieder jemand im Bett – einer, der hier seinen Meister gefunden.

 

17. Kapitel.

Mafalda siegt.

Die Turmuhr schlug einen Schlag, halb drei.

Gaupenberg erhob sich. „Die Entscheidung ist gefallen, Georg,“ sagte er wie erleichtert. „Ich werde noch rasch einen kurzen Brief an Mafalda schreiben, einen zweiten an den Justizrat Berendt unten im Stäbchen. Berendt soll sich um die Gaupenburg kümmern, wenn wir …“

„Halt,“ sagte Hartwich da. „Noch eins, Viktor. Ich deutete vorhin an, daß ich noch eine Kleinigkeit mehr wüßte als du. Eine Kleinigkeit, etwas von einem Zwerge, der unseren Gottlieb im Park beinahe erstochen hätte! – Gottlieb glaubt nun, daß dieser braune Knirps in einem der Riesenkoffer Mafaldas verborgen gewesen sein müsse. Sergius hat doch die Koffer in sein Zimmer bringen lassen. Das ist Gottlieb gleich aufgefallen …“

Graf Viktor faßte sich aufstöhnend an die Stirn. „Herr im Himmel – nimmt denn all dies Gräßliche kein Ende! Georg, habe ich nicht recht, weht’s nicht wirklich wie vergifteter Brodem von dem Milliardenschatze bis hier herüber?! Was war meine Gaupenburg für ein friedlicher Bau, bevor dieses Geheimnis auftauchte! Jetzt – jetzt schleicht Lüge, Hinterlist hier umher! Ekelhaft!“

„Ja – ekelhaft, sobald diese übelste Erfindung des Weltschöpfers, das Weib, sich einmischt! – Viktor, wir werden sofort zu Sergius gehen und verlangen, daß er uns die Koffer öffnet! Hat einer davon dem Zwerge als Versteck gedient, muß er dazu eingerichtet sein!“

„Ah – das stimmt! – Ja, gehen wir! Aber nicht ohne Waffen. In der Bibliothek steht mein Gewehrschrank. Eine Repetierpistole für jeden von uns genügt – für alle Fälle.“

Leise stiegen sie in den Ostflügel empor. Gaupenberg hatte eine Radfahrerlaterne bei sich. Der Mond war jetzt hinter den Nachbarbergen untergetaucht.

Klagend, unheimlich schrie draußen irgendwo auf dem Schloßdach ein Käuzchen.

Und das widerliche Konzert einiger Katzen, die den Maitrieb vorzeitig spürten, klang vom Parke her aufdringlich in die nächtliche Stille der weiten Räume hinein.

Steuermann Hartwich legte die Hand auf den Türdrücker, pochte leise.

Und wandte jäh den Kopf.

„Offen, Viktor!“

Sie traten rasch ein.

Die Tischlampe brannte.

Das Zimmer war leer, das Bett unberührt.

Die Freunde schauten sich an.

„Erst die Koffer!“ flüsterte Hartwich. „Dann zu Mafalda!“

Einer der Koffer war unverschlossen. Der Deckel war nur lose aufgelegt.

Und – das Licht der Karbidlampe fiel auf eine zusammengesunkene Gestalt, – süßlicher Duft entquoll dem großen Behältnis: Chloroform!

Mafalda war bewußtlos. Wurde auf das Bett gelegt. – Im Koffer fand Gaupenberg noch ein Taschentuch, das stark nach Chloroform roch.

Die Freunde waren minutenlang unfähig, auch nur im entferntesten Vermutungen anzustellen, was hier geschehen sein könnte und was man außerdem noch an Überraschungen zu erwarten hatte.

Nur eins schien auch dem mißtrauischen Steuermann nun erwiesen: Mafalda Sarratow war niemals eine Verbündete dieser beiden Verbrecher Lomatz und Sergius – niemals!

„Arme Mafalda!“ sagte Georg Hartwich in aufrichtigem Mitleid. Das war alles, was er hinsichtlich seines Irrtums über der Fürstin Charakter äußerte. Aber Gaupenberg verstand ihn, und stumm drückte er dem Freund die Hand.

Während Viktor sich dann um Mafalda bemühte, während er angstvoll immer wieder nach ihrem zum Glück ganz regelmäßigen und kräftigen Pulsschlag fühlte, untersuchte Georg den Koffer genauer. Er entdeckte deutliche Beweise dafür, daß dieser eine Schrankkoffer fraglos zum Transport und als Versteck eines Menschen schon häufiger gedient hatte. Es gab da allerlei unauffällige Einrichtungen, die erst nachträglich hergestellt waren, von außen nicht sichtbare Luftlöcher, an den Seiten angeschnallte Polster, ferner Kästen zur Aufnahme von Lebensmitteln und zwei Behälter mit Thermosflaschen.

Hartwich, der bisher mit der Verbrecherwelt wenig in Berührung gekommen, war erstaunt über diese Erfindungsgabe, mit der hier ein harmloses elegantes Gepäckstück zum Schlupfwinkel für einen Gehilfen eines fraglos überaus gefährlichen Abenteurers umgewandelt worden war.

Wiederum hallten jetzt die Schläge der alten Turmuhr über die Gaupenburg und Berge und Täler hin.

Drei Uhr war’s.

Und da verriet Mafalda Sarratow die ersten Anzeichen des zurückkehrenden Bewußtseins. Die Augenlider zitterten leicht, die Hände öffneten und schlossen sich, und bald traf der erste bewußte Blick aus klaren Augen Gaupenbergs Gesicht, der sich tief über die Geliebte gebeugt hatte und in atemloser Spannung den Moment erwartete, wo Mafalda wieder fähig sein würde, nähere Angaben über diese brutale Gewalttat ihres Kammerdieners zu machen.

Sie erholte sich schnell. Sie hatte Viktors Hand ergriffen, lächelte ihn matt, aber beruhigend an und nickte Georg Hartwich schwach zu, als Gaupenberg nun dem Freunde gewinkt und etwas feierlich erklärt hatte: „Mein alter Georg, du sollst meiner Braut und mir als erster gratulieren können. Wir sind seit etwa drei Stunden Brautleute.“

Steuermann Hartwich kam diese Mitteilung nicht mehr überraschend. Er küßte Mafaldas Fingerspitzen mit etwas unbeholfener Galanterie und brachte seinen Glückwunsch mit ehrlich gemeinten Worten an.

Mafalda richtete sich dann mit Viktors Hilfe auf und erklärte mit wenigen Sätzen, was sich hier zugetragen.

„Ich hatte Sergius sofort in Verdacht gehabt, daß er womöglich aus mir unklaren Motiven Agnes Sanden aus dem Prunksaale weggeschafft haben könnte. Ich stellte ihn hier zur Rede. Seine Verteidigung genügte mir. Als ich das Zimmer verlassen wollte, packte er mich, preßte mir ein Tuch auf den Mund und – mir schwanden die Sinne.“

Gaupenberg scheute sich einzugestehen, daß er die Auseinandersetzung zwischen Mafalda und Sergius vom Flur aus belauscht habe. Er streichelte Mafaldas Hände und war glücklich, weil nicht auch diese Frau, die er wie Agnes in den Armen gehalten und geküßt, sich als unwert einer ehrlichen Liebe herausgestellt hatte. Eine zweite Enttäuschung wäre für ihn um so niederschmetternder gewesen, als seine Seele ja den Schmerz um Agnes’ Verlust immer noch nicht völlig verwunden hatte.

Hartwich lehnte bei dem Brautpaar, das nun nebeneinander auf dem Bettrand saß, am Ofen. Viktor stützte Mafalda, deren Kopf leicht an seiner Schulter ruhte. Der Steuermann hielt es für angebracht, der Fürstin gegenüber nun auch den Zwerg zu erwähnen und auf die besonderen Eigentümlichkeiten des einen Koffers hinzuweisen.

Mafalda, die bisher von alldem nichts ahnte, die bisher Pannaru, den dunkelhäutigen winzigen Bewohner der Wildnis Südamerikas, noch nie zu Gesicht bekommen, erkannte jetzt mit vollster Gewißheit, daß Alfonso Jimminez selbst mit ihr ein falsches Spiel treibe, daß selbst seine unersättliche Gier nach ihrem Besitz ihn nicht daran gehindert hatte, noch nebenbei eigene Pläne zu verfolgen. Ihr heimlicher Haß gegen diesen Mann, der sie als Pirat während des Weltkrieges von einem von ihm leck geschossenen Dampfer herabgeholt und sie zur Dirne erniedrigt hatte, steigerte sich ins ungemessene. Mit einem Schlage auch tauchte der Verdacht in ihr auf, daß Alfonso vielleicht insgeheim dasselbe beabsichtigte, was bei ihr ja längst fester Entschluß war: seine Verbündeten abzuschütteln und das Azorengold für sich allein zu rauben!

Während Hartwich noch schilderte, wie Gottlieb nur durch des Teckels Eingreifen dem Dolchstoß entgangen war, packte Mafalda die jähe Angst, daß Alfonso und Edgar Lomatz die Vereinbarungen nicht einhalten und mit der Sphinx Europa sofort verlassen könnten, ohne sich je wieder um sie zu kümmern.

Sie hörte kaum noch hin, was Steuermann Hartwich nach Seemannsart breit und lebendig erzählte, – sie bereute immer mehr, Alfonso den Vorschlag gemacht zu haben, mit Hilfe des befreiten Lomatz sofort die Sphinx zu entführen und diese dann vorläufig inmitten des nördlich des Gaupa-Sees gelegenen unzugänglichen und endlosen Moores zu verbergen, bis sie selbst unter dem Vorwand einer dringenden Auslandsreise sich dort einfinden könnte. – Ihre Liebe zu Viktor Gaupenberg hatte ihr hier einen bösen Streich gespielt. Sie hatte Alfonso aus der Gaupenburg entfernen wollen, um den Geliebten ungestört genießen zu können. Nun erwachten tausenderlei Befürchtungen in ihr.

Und Hartwich unvermittelt unterbrechend, sagte sie scheinbar ohne rechten Glauben an ihre eigene Besorgnis: „Verzeihen Sie, lieber Herr Hartwich. Aber mir fällt da soeben ein, daß wir uns noch gar nicht darüber klar sind, weshalb Sergius mich betäubt haben mag. Hoffentlich hat der es nicht etwa auf die Sphinx abgesehen.“

„Die wird gut bewacht, Mafalda,“ meinte Gaupenberg, aber seine Stimme klang unsicher und sein Blick wanderte empor zu Georgs dunklem Gesicht.

Hartwich war rasch einen Schritt vorgetreten. Der Fürstin Hinweis auf die Möglichkeit eines neuen Anschlags gegen die Sphinx hatte genügt, ihn zu raschem Handeln zu bestimmen.

„Ich werde doch lieber zur Sicherheit mal zum Bootsschuppen hinabeilen,“ sagte er hastig.

Auch Mafalda erhob sich jetzt, zog Viktor mit empor. „Und wir, Liebster, werden in den Turm gehen. Ich will Lomatz fragen, ob er etwas davon weiß, daß Sergius mit einem braunhäutiger Zwerge in Verbindung steht.“ So lenkte sie schlau die Gedanken der Freunde auf den Gefangenen. Und – auch dies genügte, denn nun war es Gaupenberg, der erschrocken rief: „Wenn Sergius Lomatz befreit hätte! – Rasch – rasch! – Ich trage dich Mafalda. Georg, nimm die Laterne mit.“

Durch hallende Flure, über uralte Treppen mit ausgetretenen Steinstufen hasteten Gaupenberg und Hartwich dem Eckturme zu. Mafalda lag an Viktors Brust, hielt ihn umschlungen, fühlte die Kraft seiner Arme, die ihrer holden Schönheit schmiegsame Glieder fest an sich gedrückt hielten.

Hinauf ging’s die düstere Turmtreppe bis zur schweren Eichentür, deren altertümlicher Eisenbeschlag rötlich vor Rost schimmerte. Eisige feuchte Luft legte sich beklemmend auf Brust und Lungen. Dumpf dröhnten Hartwichs Faustschläge gegen die Tür.

Still blieb’s drinnen im Turmgemach.

Gaupenberg trommelte mit den Schuhabsätzen gegen das Holz. Ungeduld, angstvolle Vorstellungen flackerten in seinem Hirn.

Still blieb’s in dem Turmgemach.

Hartwich bückte sich, beleuchtete das Schlüsselloch.

„Ein Schlüssel steckt von innen. Johann kann doch unmöglich so fest schlafen.“

Das klang schon wie die Gewißheit unheilvoller Geschehnisse.

Viktor setzte Mafalda zart auf die Füße.

„Ich hole eine Axt. Wir müssen hinein.“

Er hetzte davon – in den nahen Westflügel, in Gottliebs, des Vielseitigen, Tischlerwerkstatt.

Kehrte mit einer Axt zurück.

„Gib her … Das verstehe ich besser,“ keuchte Hartwich.

Seemannsfäuste schwangen das scharfe Eisen. Krachend traf es den Türrahmen – dort, wo der Schloßriegel lag.

Sechs Hiebe.

Die Tür flog auf. Hartwich stürmte hinein.

Auf dem Tische am fauchenden Ofen eine Blutlache, ein blutbesudeltes Buch neben der brennenden Petroleumlampe. Im Bett ein Mann mit verbundenem Kopf – bis zum Halse zugedeckt. Neben dem Tische am Boden der blutige Schnürhaken.

Gaupenberg, Mafalda standen neben Steuermann Hartwich. Der Laterne greller Schein umspielte das fahle Gesicht des Kammerdieners Sergius.

Und mit zitterndem Griff riß Mafalda das Zudeck weg, enthüllte so Sergius’ angekleideten Körper, die gefesselten Hände und Füße.

„Lomatz!“ schrie Mafalda. „Wieder Lomatz! Zum See – zum See!“

Viktor Gaupenberg reckte plötzlich die Faust gen Himmel.

„Erbärmliches Gold – erbärmliches Gold! Ich wünschte, daß …“

Hartwichs fast drohender Blick brachte ihn zum Schweigen. Noch hatte ja keiner der Freunde Mafalda eingestanden, was die Pergamentskizze in Wahrheit bedeutete.

Mafalda fragte, scheinbar ahnungslos:

„Gold, Viktor –?! Wie kommst du denn plötzlich …“

Hartwich fiel ihr ins Wort. „Fürstin, da Viktor nun doch das Geheimnis zur Hälfte entschlüpf ist, es geht hier nicht lediglich um die Sphinx! Es geht um ein gesunkenes U-Boot, das 38 Kisten mit Goldkieseln mit in die Tiefe nahm! – Eilen wir!“

Als letzte verließ Mafalda das Turmgemach. Gaupenberg hatte völlig vergessen, daß die Geliebte vielleicht noch zu schwach sei, ihnen ohne Hilfe zu folgen, war schon im Freien, als Mafalda sich über den Gefesselten beugte.

„Alfonso!“ flüsterte sie eindringlich.

Mühsam öffnete er die Augen. Er war wach gewesen.

Und weiter flüsterte das blonde Weib. Ihr Haß trat zurück.

„Die beiden sind jetzt vollkommen in Sicherheit gewiegt, was meine Person betrifft. Es war doch gut, daß du mich zum Schein betäubtest. Rechne auf mich!“

Und sie hastete davon. Sie brauchte Alfonso Jimminez noch. Das falsche Spiel mußte weiter gehen. Der verderbliche Brodem des Goldschatzes lagerte als unsichtbarer Dunst über der Gaupenburg.

 

18. Kapitel.

Abschied.

Frau Therese Sanden fand keine Tränen mehr. Saß da und ließ Agnes die beiden kleinen Handkoffer mit dem Nötigsten füllen, war mit allem einverstanden, was Agnes’ aus Leid und Schmerze geborene Tatkraft gefordert hatte.

Den Rest der nach der Gaupenburg mitgebrachten beweglichen Habe packte Agnes in den großen Koffer, verschloß auch diesen und half nun der Mutter in den warmen Mantel, drückte ihr den schlichten Hut auf und flüsterte: „Ich werde die Handkoffer tragen. Nimm du die Reisetasche und die Schirme. Nur fort von hier! Mir graut vor diesem Hause, in dem Lug, Trug und Heuchelei umgehen.“ –

Sie war blaß, und um den Mund des lieblichen Mädchengesichts lag jetzt ein ganz fremder Zug, etwas Hartes, Unbeugsames.

Zu derselben Zeit, als Georg und Gaupenberg im Herrenzimmer Mafalda vergeblich erwarteten, etwa um ein Viertel vier Uhr morgens, verließen die beiden Frauen lautlos ihre Zimmer im Ostflügel und schlichen ebenso lautlos die Seitentreppe hinab.

Die frische Winterluft im Parke, der friedliche Sternenhimmel und das nervenberuhigende Rauschen der mächtigen Tannen wirkten wie eine köstliche Erquickung auf die rasch dahinschreitenden Frauen.

Den Schloßberg ging’s hinab – bis zur Parkpforte. Sie stand weit offen.

Weiter ging’s auf frosthartem Wege ins Tal – durch ein Waldstück.

Und nun freies Feld, eine Berglehne, die sich bis zum See hinabzog, dessen warme Quellen jetzt um diese Morgenstunde zumeist dünne Nebelstreifen über dem Wasser hervorzauberten, die wie lichte Wölkchen vom Winde getrieben den dunklen Bergabhängen zustrebten und doch stets wieder von neuem emporquollen und den See in feine Schleier hüllten.

Durch diese Schleier leuchteten verschwommen die drei hellen Vierecke der Fenster des Bootsschuppens, in dem Gottlieb Knorz soeben den eisernen Ofen mit neuen Buchenklötzen gefüllt hatte, die nun knallend und fauchend auflohten und zum eisernen Schornstein grauen Qualm hinaussandten.

Bevor Gottlieb noch die nahenden Schritte vernommen hatte, hob der zum Igel vor dem Ofen eng zusammengerollte Dackel lauschend den Kopf. Die großen, von Fuchs- und Dachszähnen zerfetzten Schlappohren spielten.

Gottlieb wurde aufmerksam. Seine schwarz behaarte Hand fuhr in die Tasche der Joppe, holte den altehrwürdigen Revolver hervor.

Es klopfte – gegen das eine Fenster, dessen Scheiben naß von unzähligen Tröpfchen waren.

„Herr Knorz – Gottlieb –, hier ist Agnes!“ ertönte eine weiche Stimme, und des Alten jugendlich lebhafte Augen leuchteten auf.

Er ließ die beiden Frauen ein.

„Wir wollen sofort drüben nach Sellenheim,“ erklärte Agnes. „Sie haben uns ja bereits angemeldet, lieber Herr Knorz, und Ihre Güte und …“

„Ach was, Fräulein Agnes, – Güte! Was heißt Güte! Menschenpflicht, Nächstenpflicht ist’s! Und – für Sie bin ich doch Gottlieb, zum Donner, nicht … Herr Knorz! Übrigens ein scheußlicher Name.“ Er redete nur, um seine Rührung zu verbergen.

Und nachher begleitete er die Frauen noch eine Strecke Wegs, trug die Handkoffer, hatte den Schuppen sorgsam abgeschossen. Kognak watschelte hinterdrein.

Gottlieb war vorsichtig, drehte sich häufig um, blickte zurück und ging auch nicht allzu weit mit. Auf der nächsten Anhöhe verabschiedete er sich. Seine Augen schimmerten wieder feucht, als er Agas die Hand drückte. Weiß Gott – er hatte dieses Mädel liebgewonnen als wär’s sein eigen Fleisch und Blut.

„Grüßen Sie meine Schwester,“ sagte er mit etwas zitteriger Stimme. „Sie ist herzensgut. Den Weg können Sie ja nicht verfehlen. Sie sind ja oft hier herumgewandert, Fräulein Agnes.“

So trennten sie sich. Eiligst kehrte Gottlieb zum Schuppen zurück, drehte sich nur noch ein einziges Mal um und winkte mit der Mütze.

Auch Agnes’ Taschentuch flatterte im Halbdunkel der Nacht wie ein weißes Vöglein.

Und als sie so mit dem Gesicht nach dem Schuppen zu dastand, da war’s ihr, als huschte etwas wie ein Schatten durch die Nebelschwaden auf den Fenstern des niederen Bootshauses vorüber.

Ein Schatten – vielleicht ein Mensch?! – Doch nein – es war wohl nur eine dichte zusammengeballte Nebelmasse gewesen.

Sie sah noch wie aus der Tür drüben eine breite Lichtbahn herausströmte, sah Gottlieb in der Tür verschwinden und ebenso die helle Lichtflut erlöschen.

Beruhigt ging sie weiter bergan – langsam, ganz langsam in Rücksicht auf die kurzatmige Mutter.

So dauerte es denn auch eine geraume Weile, bis die Frauen den Berg erstiegen hatten, der sich zwischen dem Gaupa-See und dem Dorfe Gaupa als langer Höhenrücken aufbauschte, oben gekrönt von der Ruine Sellenheim, die bereits zu dem kleinen Trinkbade dort unten im rechten Seitentale gehörte, während im linken die Dorfköter von Gaupa vielstimmig den Mond anheulten.

Hier oben, wo der Weg dicht an der freistehenden Ruine vorüberführte, deren drei noch bewohnbare Räume jetzt in der Zeit des allgemeinen Wohnungsmangels von einem früheren Arzte, einem menschenscheuen Sonderling, notdürftig möbliert worden waren, – hier machte Agnes halt und sagte liebevoll zu der nach Atem ringenden Mutter:

„Da – setz’ dich nur getrost ein paar Minuten auf die Bank, die der Sellenheimer Verschönerungsverein mit gutem Recht gerade an dieser Stelle hingestellt hat. Erkälten wirst du dich nicht, die Nacht ist milder, als ich glaubte.“

Agnes selbst warf einen prüfenden Blick auf das düstere Gemäuer der Ruine, die mehr einem riesigen Schutthaufen als den Überresten der einstigen Raubburg Sellenheim glich.

Und von dem Gemäuer, dessen Schuttmassen überall von verdorrten stachligen Büschen bewachsen waren, die der Frühling wieder in grünes undurchdringliches Dickicht verwandeln würde, schweifte Agnes’ Blick rückwärts gen Süden zu den Dächern der Gaupenburg, die noch über die Baumkronenn hinausragten.

Abschied nahm das Mädchen so von der Stätte, wo ihr Herz zurückgeblieben trotz allem, was man ihr angetan.

Wie nun Agnes noch so gedankenverloren über das Moor blickte und in ihrer Erinnerung all die seltsamen Sagen lebendig wurden, die sich in Gaupa und Sellenheim von Geschlecht zu Geschlecht über das Heiße Moor vererbt und durch ein paar schlichte Schafhirten auch den Weg zu Agnes’ aufmerksam lauschenden Ohren gefunden hatten, – in diese Träumerei über schlichte märchenhafte Volkssagen erklang aus den Höhen des ausgestirnten Nachthimmels ein fernes – fernes Knattern und Sausen hinein.

Agnes’ Blick flog aufwärts.

Dort hing im Äther ein kaum erkennbares Etwas, – ein Flugzeug, dachte Agnes.

Ein dunkler Punkt, der allmählich gen Nordost entschwebte.

Schon wollte Agnes den zurückgebogenen Kopf wieder senken, als gleichsam ein Ruck durch ihren Körper ging.

Starr hingen ihre Augen an dem fernen Luftsegler.

Begleiteten ihn.

„Seltsam!“ flüsterte Agnes kopfschüttelnd. „Seltsam!“

Und eine Unruhe war plötzlich in ihr, daß sie am liebsten umgekehrt wäre.

* * *

Edgar Lomatz, der längst im Besitz eines Nachschlüssels zum Bootsschuppen war, hatte sich lautlos mit seinen über die Stiefel gezogenen Strümpfen herangeschlichen, hatte im Innern dann Stimmen gehört und wurde unbemerkt Zeuge, wie Gottlieb und der Teckel den Frauen bis zur Anhöhe das Geleit gaben.

Er schloß den einen Flügel der nach dem Wasser zu gelegenen breiten Tür des Schuppens auf und schlüpfte hinein. Er wählte diese Tür zum Eindringen, weil sie der Anhöhe abgekehrt war, auf der Gottlieb und die Frauen nur noch undeutlich zu erkennen waren.

Gottlieb Knorz versperrte nun die andere Schuppentür hinter sich.

Dackel Kognak wackelte zum warmen Ofenplätzchen.

Blieb plötzlich stehen.

Hob die spitze Schnauze – schnüffelte.

„Hm!“ meinte Gottlieb. „Was hast du denn, Kognak? Sollte es auch hier Ratten oder einen Marder unter den Dielen geben?!“

Und da sprang ihm jemand in den Rücken, warf ihn dröhnend zu Boden, lag auf ihm, würgte ihn.

Aber Gottlieb wehrte sich verzweifelt. Auch Kognak griff in den Kampf ein, zwackte den Angreifer mit zahnlosem Maule in Schenkel und Waden.

Lomatz brachte kaum die Kraft auf, dem Alten den Atem abzuschnüren.

Und als Gottlieb besinnungslos dalag, als ein Fußtritt den Teckel in eine Ecke schleuderte, sank auch Edgar Lomatz halb bewußtlos auf den nächsten Holzschemel – mit blutunterlaufenen Augen, klopfenden Schläfen und so wahnwitzigen Schmerzen in der Kopfwunde, daß seine Gedanken sich verwirrten.

Wie durch blutigen Nebel sah er, wie der Teckel hinkend zu seinem Herrn kroch, ihm das blauverfärbte Gesicht leckte.

Lomatz erhob sich, schwankte zum Tisch, wo die Kanne mit kaltem Kaffee stand.

Füllte eine Tasse, trank … trank.

Er fühlte sich besser, kräftiger.

Packte Kognak am Genick … zauderte.

Der schwere Hammer, der dem treuen Teckel den Schädel hatte zertrümmern sollen, polterte seitwärts.

Edgar Lomatz’ ruchlose Seele hatte doch ein Winkelchen, wo etwas wie Gefühl wohnte: Liebe zu Hunden, zu Tieren! – Und wenige Minuten später hatte er die auf die Wassergleitbahn mündende Pforte geöffnet, schob die Sphinx auf dem Rollschlitten spielend leicht in den See, schwang sich an Deck …

Leer, dunkel lag der Bootsschuppen da.

Nebel brauten über dem stillen See, drangen durch die offene Auslaufpforte in den Schuppen ein, flüchteten vor der Hitze des Ofens, wogten wie Geister mit wallenden Gewändern hin und her.

Bis atemlos zwei Männer vom Schloßberg dahergestürmt kamen, denen eine schlanke Frau im Pelzmantel folgte.

Bis im Bootshause Licht aufflammte.

Zwei schauten sich aus stieren Augen an.

Die dritte stand noch draußen. Flog dann auf Gaupenberg zu, an seine Brust. Bog den Kopf zurück.

„Viktor – wir werden doch siegen! Ein Flugzeug ist bald beschafft!“

Wie Kraftgefühl strömte es da aus dem Weibe in den Körper des Mannes über.

„Ja – ein Flugzeug!“ sagte er dumpf, aber nicht verzweifelt.

Dann durchsuchten sie den Schuppen, die ganze Umgebung.

Auch Gottlieb und der Teckel waren verschwunden.

 

19. Kapitel.

Der Einsiedler.

Als Frau Sanden und Agnes die ersten Häuser des blitzsauberen Kurortes, der auch im Winter eines regen Besuchs sich erfreute, erreicht hatten, fragte Frau Sanden plötzlich mit einem schweren Seufzer:

„Kind, Kind, fällt dir der Abschied von der Gaupenburg so sehr schwer? Du bist jetzt ja völlig verstummt.“

Agnes blieb zunächst stumm. Dann aber erwiderte sie in einem Tone, der von vornherein jeden Einspruch der Mutter ausschloß:

„Sobald ich dich zu Frau Marie Markgraf gebracht habe, kehre ich nochmals um. Ich muß Gottlieb notwendig noch etwas mitteilen.“

„Wie – jetzt in der Nacht?! Und – allein willst du …“

„Nicht allein, Mutter. Ich werde mir den Schäfer Radtke mitnehmen. Radtkes Frau habe ich gepflegt. Er tut mir gern jeden Gefallen.“

Da schwieg Frau Sanden, obwohl sie nicht recht begriff, wie Agnes den Schäfer so rasch auffinden würde, der ja auch jetzt im Winter die Schafherden der Bauern am Rande des Heißen Moores, wo infolge der warmen Quellen zu jeder Zeit frisches Gras zu finden war war, behütete und mit seinem fahrbaren Wohnkarren beständig den Platz wechselte.

Das Pensionat Frau Markgrafs lag unweit des kleinen Kurhauses inmitten eines ausgedehnten Gartens. Fünf Minuten verstrichen, bevor Frau Markgraf auf Agnes’ wiederholtes Läuten die Haustür öffnete und beim Anblick der nächtlichen Gäste ein ebenso überraschtes wie ärgerliches Gesicht machte. Doch der Gedanke an ihren Bruder, den sie einmal beerben sollte, glättete ihr hageres Antlitz sofort wieder und zwang ihr auch ein paar freundliche Worte über die Lippen.

Agnes trat mit in die Vorhalle ein, verabschiedete sich hier mit einem Kuß von ihrer Mutter und erklärte Frau Markgraf, daß sie nochmals Herrn Knorz im Bootsschuppen aufsuchen wolle. Sie würde erst morgen zurückkehren.

Ohne das sprachlose Erstaunen der Pensionsinhaberin zu beachten, verließ sie das Haus wieder und schritt ohne jede Furcht den dunklen Weg durch den Ort zurück, bog in den Bergwald ein und beschleunigte hier ihre Gangart, soweit der steile Pfad dies gestattete.

Der Mond war längst hinter den Bergen untergetaucht. Der Wind hatte aufgefrischt, und die hohen Tannen zu beiden Seiten des steinigen Pfades rauschten ein eindringliches Lied vom Zauber des deutschen Nadelwaldes.

Agnes Sanden, den starken Spazierstock mit der eisernen Zwinge als Stütze benutzend, kam rasch vorwärts.

In einer Viertelstunde hatte sie die Ruine von Burg Sellenheim erreicht.

Sorgende Gedanken eilten ihr voraus.

Und nun ging’s hinab ins Tal des Gaupa-Sees, hinab in den dichter gewordenen Nebel.

Noch eine Viertelstunde, und durch die Nebelschleier sah sie Licht schimmern, die Fenster des Bootshauses, – sah auch, daß ein breiter heller Streifen aus den offenen Flügeltüren der Wasserfront des Schuppens auf die schräge Ablaufbahn und den Wasserspiegel fiel.

Langsamer, vorsichtiger näherte sie sich. Ahnte schon jetzt, daß ihre Vermutung zutreffend sein müsse, wollte sich trotzdem Gewißheit verschaffen.

Da – mit einem Male wurden die Türflügel knallend geschlossen, und gleich darauf erlosch auch das Licht im Schuppen.

Agnes stand jetzt hinter einer einzelnen dicken Buche unweit der Vordertür des Bootshauses. Diese Tür öffnete sich jetzt, und Arm in Arm traten Mafalda und Gaupenberg ins Freie und schritten in erregtem Gespräch dem Parke zu. Ihnen folgte Georg Hartwich, der nun absichtlich ein Stück zurückblieb, da er in seiner trostlosen Stimmung über den Verlust der Sphinx lieber allein sein wollte.

Das wenige, was Agnes von der Unterhaltung des Liebespaares auffing, genügte ihr.

Die Hand auf das jagende Herz gedrückt, stand sie noch minutenlang da, als die drei längst verschwunden waren.

Ihr Herz war wie tot. Und doch war ihr Wille lebendiger denn je. Nun wußte sie ja, daß ihre Augen sie nicht getäuscht hatten. Was sie anfänglich vorhin auf dem Hinweg nach Sellenheim für eine Flugmaschine gehalten, war die Sphinx gewesen! Und – die Sphinx war irgendwo im Heißen Moor gelandet! Ganz deutlich hatte Agnes das beobachtet, war nur im ungewissen geblieben, ob das niedergehende graue Etwas wirklich Gaupenbergs Luftboot sei.

Agnes näherte sich wieder der Ruine. Und jetzt gewahrte sie hinter den Fenstern des noch bewohnbaren Teiles des Erdgeschosses, die nach Südwest zu lagen, hellen Lichtschein.

Sie hatte bald die Bergkuppe erreicht.

Gerade da trug der Wind ihr die Schläge der Turmuhr des fernen Schlosses in schwachen Klängen zu …

Fünf Uhr morgens war’s …

Agnes war unwillkürlich langsamer gegangen, hatte den Kopf halb zurückgewandt und die Schläge mit gezählt.

Nun befand sie sich dicht neben dem alten, hochragenden Gemäuer.

Ein Käuzchen schrie.

Und aus dem Dunkel der übereinander gestürzten Mauerblöcke eine heisere Stimme:

„Guten Abend, Fräulein, guten Abend.“

Agnes fuhr herum.

Aus dem Dunkel löste sich die hagere, gebeugte Gestalt des alten Doktor Falz, dem Agnes bei ihren Spaziergängen zuweilen begegnet war, ohne daß er sie je beachtet hätte.

„Guten Abend,“ erwiderte Agnes schnell gefaßt den Gruß des menschenscheuen Einsiedlers und wollte ohne Aufenthalt vorüber.

„Oh – einen Augenblick, Fräulein Sanden,“ meinte der Sonderling mit einem kurzen Auflachen.

Er trat näher, zog seinen Schlapphut und enthüllte so einen völlig kahlen Schädel.

„Doktor Dagobert Falz,“ stellte er sich in aller Form vor. „Sie sind mir ja keine Fremde mehr, Fräulein Sanden. Wir haben uns öfters getroffen. Dann hatten Sie zumeist den Grafen Gaupenberg an Ihrer Seite. Dieser hat nun andere Passionen. Wird aber wohl bald merken, daß auch Fürstinnen höchst unfürstliche Charaktere haben können.“ Er kicherte in sich hinein. Alles, was er sagte, hatte einen unangenehm ironischen Klang.

Und doch fühlte Agnes mit dem feinen Instinkt des Weibes, daß dieser so verwahrlost aussehende graubärtige Herr, hinter dessen Brillengläsern ein Paar finstere, stechende Augen lauerten, sie halb und halb durch die bissige Bemerkung über Mafalda Sarratow hatte trösten wollen.

Sie war überrascht, verwirrt. Woher in aller Welt wußte dieser Einsiedler, was auf der Gaupenburg an Herzensstürmen vor sich gegangen?!

Da sprach Doktor Falz schon weiter.

„Fräulein Sanden, Menschen meines Schlages schauen durch Mauern hindurch und in die Seelen hinein. Wem dieses niederträchtige Dasein so viele Enttäuschungen aufgehalst hat wie mir, der bekommt mit der Zeit gleichsam noch ein Augenpaar im Hirn. Und das sind die sauber geordneten Gedanken, dieses zweite Augenpaar, scharfsinnige Gedanken über Menschen und Dinge. – Vorher sah ich Sie und Ihre Frau Mutter mit Koffern hier vorüberziehen. Sie haben also der Fürstin das Feld räumen müssen. Schadet nichts, schadet nichts, Fräulein Sanden. Eine Liebe, die nicht erst im Fegefeuer geläutert wird, ist keine Liebe. Auch Ihre Stunde kommt wieder, Fräulein Sanden.“

Agnes war glühendes Rot ins Gesicht gestiegen. Dieser alte Mann hier berührte da noch allzu frische Wunden. Und trotzdem, er meinte es gut mit ihr! Abermals fühlte sie das ganz deutlich.

Und aus dieser Gewißheit heraus fragte sie nun ohne Scheu:

„Herr Doktor, würden Sie mir vielleicht einen großen Gefallen erweisen? – Sie sollen hier doch neben Schäfer Radtke der beste Kenner des Heißen Moores sein.“

Da lachte der Einsiedler leise auf.

„Aha – aha! – Nun benutze ich mein zweites Augenpaar, Fräulein Sanden. Sie wollen dorthin, wo die Sphinx gelandet ist!“

Agnes prallte förmlich zurück. Ihr ward unheimlich zumute. Doktor Falz schien in der Tat allwissend zu sein!

„Oh – wundern Sie sich nicht zu sehr, liebes Fräulein,“ erklärte er da schon halb spöttisch, halb gutmütig überlegen. „Ich habe ein vortreffliches Fernrohr, und der Bootsschuppen da unten interessiert mich. Mir entgeht so leicht nichts – nichts. Auch Sie habe ich beobachtet, wie Sie auf dem Hinweg nach Sellenheim hier neben der Ruine Rast hielten und gen Himmel starrten. –

Also – ob ich das Moor kenne? Ja – ich kenne es. Besser als Schäfer Radtke, der infolge seines Aberglaubens, seiner Furcht vor den Geistern des Moores sich noch nie bis in die Mitte der Sümpfe gewagt hat. Und doch ist die Mitte das Interessanteste. –

Kommen Sie, Fräulein Sanden. Vielleicht fassen wir den Herrn Edgar Lomatz noch ab. Denn der hat die Sphinx gestohlen.“

Agnes war zusammengezuckt.

Lomatz – Edgar Lomatz – ihr einstiger Verlobter, der Mann, der sie schamlos für seine dunklen Zwecke ausgenutzt und dann beiseite geworfen hatte!

Also auch den Namen kannte der Doktor schon! Woher nur – woher hatte er all diese Dinge erfahren?

„Kommen Sie,“ sagte der Einsiedler abermals und knüpfte seinen schäbigen Radmantel zu. „Ohne mich werden Sie nie dorthin gelangen, wo die Sphinx gelandet ist. Ob sie schon wieder aufgestiegen ist, weiß ich nicht. Die Nebel über dem Moor werden gegen Morgen immer stärker. Da hilft dann auch mein Fernrohr nicht.“

Agnes wanderte neben dem seltsamsten Menschen dahin, der ihr je begegnet war.

Doktor Falz redete unaufhörlich, erzählte, daß er in Berlin zuletzt keinen einzigen Patienten mehr gehabt habe, weil er durch seine selbständigen Studien hinsichtlich der Heilung von Krankheiten zu ganz anderen Ansichten gelangt sei als seine Herren Kollegen.

„Nun bin ich siebzig geworden, Fräulein Sanden. Nun werde ich wieder jung. Ein Jahr hause ich bereits hier in der Ruine, und ich werde hier noch mindestens weitere siebzig Jahre zum Entsetzen der werten Kollegenschaft hausen, die ja glaubt, daß etwa hundertfünf Jahre die Grenze der Lebensdauer sind, was ein glatter Unsinn ist. –

Haben Sie mal den Namen Parazelsus gehört? Nein? Oh – das ist schade. – Doch, nun sind wir am Rande des Moors angelangt, nun werde ich Ihnen meinen Nachen zeigen, denn ohne Boot kämen wir nicht sehr weit.“

Agnes wunderte sich über nichts mehr, auch nicht darüber, daß Doktor Falz nun aus einer hohlen Weide einen kleinen flachen, breiten Kahn aus Zinkblech hervorholte, dazu ein Ruder und eine lange Stoßstange, die aus drei Rohren bestand und sich zusammenschrauben ließ.

Mit einer Kraft ohnegleichen schwang Doktor Falz das Boot wie ein leichtes Bündel auf die Schulter und ging voran.

Ein Weg war’s, den kein Mensch gefunden hätte, ein Weg, den nur des Doktors Augen fanden. An Wasserlöchern, an trügerischen Moospolstern, unter denen der zähe Morast lauerte, an unzähligen winzigen Inselchen vorüber ging’s immer tiefer in die Wasserwildnis hinein. Der Nebel ward immer dichter, immer zäher. Eine feuchtwarme ungesunde Luft lagerte über dem Sumpfgebiet. An vielen Stellen stieg das Wasser sprudelartig empor. Das waren die Quellen, die das Heiße Moor mit Wärme versorgten.

„Eine Welt für sich,“ sagte Doktor Falz plötzlich ganz träumerisch. „Meine Welt, Fräulein Sanden. Denn bis hierher, wo wir jetzt das Boot mit Hilfe von Stoßstangen und Rudern vorwärts treiben, ist noch niemand vorgedrungen, wenigstens niemand der letzten Generationen. Einst, zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges, war das freilich anders. Da waren Ortskundige vor der mordenden und brennenden Soldateska dorthin geflüchtet, wo wir nach einer halben Stunde festen Boden erreichen werden. Dort, Fräulein Sanden, werden Sie dann auch das Geheimnis meiner Welt kennen lernen. Kein alltägliches Geheimnis, die Überreste einer Moorsiedlung, dazu den merkwürdigsten Friedhof, den Menschen je angelegt haben. –

Ich würde Sie niemals in mein Geheimnis eingeweiht haben, liebes Fräulein, wenn ich zu Ihnen nicht so felsenfestes Vertrauen hätte.“ Er sprach jetzt in ernstem, eindringlichem Tone. „Sie haben ein gutes, ehrliches Gesicht. In Ihren klaren Augen ist kein Falsch. Und deshalb, sollten Sie je in eine Lage geraten, in der Sie einen zuverlässigen Freund nötig haben, der über Machtmittel besonderer Art verfügt, so … rufen Sie mich! Eine Depesche genügt. Wo Sie auch sein mögen, ich werde kommen!“ Etwas wie wehe Rührung ließ seine Stimme zittern. „Ich war verheiratet. Meine Frau und meine Kinder gingen mir verloren. Und … meiner Tochter sehen Sie so überraschend ähnlich, daß ich Sie geradezu lieb gewonnen habe.“

Er schwieg, steuerte den Nachen weiter durch das Labyrinth der Wasserstraßen, die niemals in tragfähiges Eis sich verwandelten und die daher den besten Schutz gegen Eindringlinge bildeten.

Und begann von neuem: „Meine Machtmittel werden von Tag zu Tag größer.“ Ein heiseres Lachen. „Meine Machtmittel sind das Kläglichste, das die Welt kennt, das Entsetzlichste, Verabscheuenswerteste: Gold – – Gold!“

Agnes horchte auf. Hatte doch Gottlieb ihr gegenüber vorhin beim Abschied Andeutungen gemacht, daß die Reise mit der Sphinx einem Schatze gelten sollte. – Mehr wußte sie hierüber nicht. Einzelheiten waren ihr noch unbekannt. Weder von der Azoreninsel San Miguel, weder vom Vorgebirge Retorta noch dem dort gesunkenen Goldschiff U 45 hatte sie eine Ahnung, hatte sich nur zusammengereimt, daß die Pergamentskizze, mit der all ihr Unglück den Anfang genommen, zu dem Goldschatz in engster Beziehung stehen müßte.

Doktor Falz sprach weiter: „Liebes Fräulein, ich verachte das Gold. Ich hasse es. Jeder müßte es hassen. Es ist die unlautere Quelle, aus der alles Schlechte fließt. Und doch, seit undenklichen Zeiten haben Menschen dem Golde nachgejagt. Im sagenhaften Altertum entsandte König Salomo Flotten nach dem Goldlande Ophyr. Die Ägypter schon waren Alchimisten. – Sie wissen doch, was Alchimi ist? Es ist die Wissenschaft, die sich mit der Verwandlung unedler Metalle in Gold beschäftigt. Im Mittelalter spielten diese Alchimisten in Europa eine große Rolle. Es waren zum Teil Chemiker, die mehr leisteten als unsere heutigen Herren – auf manchen Gebieten. Die Giftkunde wurde durch sie erweitert. Sie stellten Gifte her, von denen man heute nur noch den Namen und die entsetzlichen Wirkungen kennt. –

Vorhin nannte ich Ihnen den Namen Parazelsus. Dieser Theophrastus Parazelsus, ein Zeitgenosse Luthers, hat fraglos die sogenannte ‚rote Tinktur‘ erfunden gehabt, das heißt ein chemisches Gemenge, das Quecksilber in Gold umstellte. Einer seiner Schüler, dem er als einzigem seine magischen Geheimnisse anvertraut hat, muß etwa hundertachtzig Jahre alt geworden sein – mit Hilfe des Lebenselixiers seines Meisters! Dieser Luithard Brandfels lebte am Hofe des Herzogs Wallenstein. Und die letzten Jahre hat Brandfels in der Burg Sellenheim zugebracht.“

Er ließ jetzt der Stoßstange Ruhe. Der Nachen lag still.

„Ahnen Sie, wohin meine Ausführungen abzielen, Agnes?“ fragte er leise und in verhaltener Erregung. „Ahnen Sie bereits, daß ich in den Kellern der Ruine Sellenheim die handschriftlichen Aufzeichnungen dieses Schülers des Parazelsus gefunden habe und Alchimist geworden bin, daß ich bereits nach des großen Gelehrten Rezepten … Gold hergestellt habe?! –

Es ist so! Noch habe ich nicht alles erreicht! Aber auch die Stunde ist nicht mehr fern, wo ich die Menschheit von dem Fluch des Goldes erlösen werde, wo die sogenannte Hochfinanz der Erde, die jetzt in Wahrheit die Völker regiert, bankerott sein wird! Wie Morgendämmerung einer neuen Zeit zieht es herauf, Agnes! Eine Zeit wird kommen, wo es keine Börsen, keine Spekulanten, keine Reichen mehr gibt, wo nur Arbeitswille und persönliche Tüchtigkeit, nicht aber Schachergeist des Lebens Freuden uns vermitteln! Gold, das elende Gold, wird dann nichts mehr sein! Ich werde es vernichten, indem ich die Menschheit lehre, jeden Bleiklumpen in Gold zu verwandeln!“

Wieder schwieg er.

Agnes Sanden, am Heck des Bootes sitzend, starrte zu ihm empor.

War’s ein Irrer, der so zu ihr redete?! Waren das alles lediglich Phantastereien eines kranken Hirns?!

Nein – nein –! Doktor Falz war kein Wahnsinniger! Sein geistvolles Gesicht verriet in nichts die Merkmale einer Krankheit, sein Benehmen, seine Bewegungen hatten das Ruhige, Abgeklärte eines Mannes, der mit Recht vieles verachtet und sich mehr dünkt als andere!

Und dann sagte der Doktor, indem er das Boot in eine breitere Wasserstraße hineintrieb:

„Da – das ist die Insel mitten im Heißen Moor – die große Insel, wo armselige Menschlein viele Jahre hausten, um der Kriegsfurie zu entgehen.“

 

20. Kapitel.

Die Insel.

Das Boot bog in eine Bucht der bewaldeten Insel ein, landete, und Doktor Falz half Agnes auf festen Boden.

„Felsen?!“ rief sie leise, als ihre Füße diesen Boden berührten.

„Ja – Fels, zum größten Teil verwitterter Fels.“

Unter den niedrigen Birken und Erlen war’s dunkel. Falz nahm Agnes bei der Hand. „Ich werde Sie durch den Waldgürtel führen.“ Väterliche Liebe klang weich in seiner markigen Stimme.

Bald öffnete sich eine kleine Lichtung.

Ruinen darauf. Ruinen von Häusern, die aus Felsblöcken errichtet worden waren.

„Die ehemalige Siedlung, Agnes,“ erklärte Falz leise …

Agnes wandelte wie durch ein Märchen.

„Fürchten Sie sich vor Leichen?“ fragte der alte Arzt plötzlich.

„Nein.“

„Dann könnten wir noch rasch einen Blick in den Kirchhof der Siedlung werfen.“

Er bog rechts ab, wo eine haushohe Felswand den Waldrand durchbrach.

In dieser Felsmauer befand sich eine breite Spalte. Der Doktor holte eine elektrische Taschenlampe hervor und sagte:

„Atmen Sie jetzt tief ein, Agnes. Und dann halten Sie den Atem an. Diese Höhle hier ist gasgefüllt – ein Gasgemenge, das aus den Ritzen des Bodens hervordringt und die Verwesung hindert, Leichen zu Mumien ausdörrt und Kleider vor Fäulnis schützt.“

Er ging schnell voran. Der Lichtkegel traf zackigen Granit, traf an den Wänden aufrecht stehende Gestalten in mittelalterlichen Trachten, Männer, Weiber, Kinder, alle mit Stricken um die Brust stehend festgehalten. –

„Meine stummen Freunde,“ lächelte Falz, als er mit Agnes wieder draußen war.

Agnes war bleich.

„Oh – sie haben nichts Unheimliches an sich, diese Toten,“ meinte der Doktor beruhigend und nahm wieder des Mädchens Hand. „Man gewöhnt sich an sie. Schade nur, daß man so kurze Zeit nur in der Höhle weilen darf, wenn man nicht ersticken will. Als ich sie zum ersten Male betrat, wäre mir’s beinahe schlecht ergangen. Nur meine Vorsicht rettete mich. Taumelnd erreichte ich noch das Freie. Nachher bin ich mit einer Sauerstoffmaske vor dem Munde oft und viele Stunden in dem Grottenfriedhof gewesen.“

Sie schritten weiter – wieder durch Wald.

Dann eine Heide, im Sternenlicht endlos erscheinend.

Nur wenig Nebelschwaden zogen hier wie Rauchwölkchen im Winkel dahin.

Büsche bildeten dunklere Flecken. Einzelne Felspartien boten den Augen Abwechslung.

Und dort – dort auf der flachen Kuppe eines kleinen Hügels ein graues Etwas, ein spindelförmiger Bootskörper.

„Die Sphinx – die Sphinx!“ rief Agnes zitternd.

Krächzend strichen Krähen über die Heide hin.

„Ja – die Sphinx, das Boot, das durch die Sphinxstrahlen des Grafen fliegen gelernt hat, obwohl es schwerer als die Luft ist – aus Aluminium hergestellt wurde!“ nickte Doktor Dagobert Falz wieder mit einem seltsamen Lächeln.

Agnes schaute ihn an.

„Auch – auch das wissen Sie?!“

„Kind, ich weiß alles. – Kind, vor dir habe ich keine Geheimnisse.“

Er redete sie plötzlich in unendlicher Zartheit mit dem vertrauten ‚Du‘ wie ein Vater an.

„… keine Geheimnisse, Kind … Du wirst einst die Erbin all dessen sein, was mein ist, meiner magischen Kenntnisse – auch des Lebenselexiers, das den Tod verscheucht und den Leib an der Grenze des biblischen Alters wieder aufblühen läßt.“

Agnes begriff nicht, was in ihr vorging. Sie schmiegte sich an den Greis, flüsterte:

„Ich habe dich lieb.“

Und der Doktor legte den Arm um ihre Schultern.

„Agnes, ich hoffte, daß es so kommen würde. – Mein liebes, liebes Kind, nun sieh zu, daß du die Sphinx dem Manne zurückeroberst, der dich, umgarnt von der Fürstin Mafalda Sarratow und ihren Helfershelfern Edgar Lomatz und Alfonso Jimminez, verstoßen hat! Handele allein! Ich muß aus dem Spiele bleiben. Niemand darf erfahren, daß ich dich hierher geleitete. Hüte meine Geheimnisse! Denke daran, daß Liebe durch ein Fegefeuer gehen muß, daß vor dir noch steinige Schicksalspfade liegen, die deine Füße bluten lassen werden. Es muß sein. Die Sterne wollen es, Agnes. Ich habe dein Horoskop gestellt, aus den Gestirnen deine Lebensbahn berechnet. – Geh’, Kind – und der Herr des Welltalls sei mit dir!“

Er hauchte einen Kuß auf ihre Stirn.

Und – Agnes war allein.

War allein und wie betäubt. Eisesschauer liefen über ihren Leib hin.

Sie spürte das Wehen unbekannter Mächte.

Starr blickte sie dem mädchenhaften Manne nach, dessen Gestalt in den Nebelschleiern ins Riesenhafte zu wachsen schien.

Und – fuhr sich mit der Hand über die Stirn mit unbewußter Bewegung.

Träumte sie … träumte sie? Lag sie vielleicht doch im Pensionat der Frau Markgraf in Sellenheim, wo die Mutter nun Unterkunft gefunden, im warmen Bett und wandelte ihr Geist nur durch phantastische Traumlande?

Langsam drehte sie sich um.

Und dort vor ihr … die Sphinx … die Sphinx!

Kein Traum – Wirklichkeit!

Abermals strichen Krähenschwärme, die der nahende Morgen hungrig aus schwankenden Baumwipfeln vertrieben, über die Heide hin. –

Agnes wurde ruhiger, ganz ruhig.

Alles, was sie erlebt in diesen Stunden, ward ihr nun zur Quelle der Kraft. Das Bewußtsein, einen väterlichen Freund und Beschützer gefunden zu haben, verlieh ihr die Zuversicht, daß ihr nichts Böses mehr zustoßen könnte, daß alles Leid, das ihr noch bevorstände, schließlich in reinstes Glück sich wandeln würde.

Edgar Lomatz, einst eifriger Student der Elektrotechnik, dann Taschendieb, Spion gegen sein Vaterland, Morphinist, Trinker und doch ein Mensch von hervorragenden Geistesgaben, hatte durch den schweren Kampf im Bootsschuppen mit dem zähen Gottlieb seine Kräfte mehr erschöpft als er ahnen konnte.

Der Aufstieg mit der Sphinx vom Spiegel des Gaupa-Sees gelang.

Die Aufregung drängte die wütenden Schmerzen der Kopfwunde zurück.

Lomatz stand in der kleinen Führerkabine der Sphinx unterhalb der Mittelluke und ließ das Luftboot durch ein paar einfache Drehungen der Räder der Schaltbretter höher und höher schweben, ohne die beiden Propeller in Bewegung zu setzen, deren Geräusch ihn verraten hätte.

Als der Höhenmesser dann auf 500 stand, begannen die Luftschrauben zu arbeiten. Die Sphinx flog gen Nordwest davon.

Nicht lange.

Ein Schwindel packte den Dieb, den Verbrecher.

Feurige Räder zuckten vor seinen Augen auf. Das Blut in seinen Ohren brauste wie Meeresbrandung.

Mit letzter übermenschlicher Anstrengung, bevor er ohnmächtig zusammensank, stellte er den Hebel so, daß die Sphinx allmählich niederging.

Nun lag er da auf dem Linoleumbelag des Bodens der Führerkabine – regungslos – kaum merklich atmend.

Nun lag auch die Sphinx regungslos auf der Heide der Moorinsel.

Und Totenstille herrschte in dem Luftboote.

Totenstille.

Die elektrische Lampe in der Führerkabine brannte weiter, gespeist durch die Akkumulatoren.

Ihr Licht beleuchtete den bewußtlosen Mann, dem Goldgier das Hirn verwirrt hatte, der den Schatz der Azoren für sich allein haben wollte.

Totenstille …

Dann aber ein langgezogener schauriger Ton aus den Tiefen des Metallbootes, anschwellend zum kläglichen Heulen, ersterbend in schreckhaftem Winseln.

Töne, die nicht aufhören wollten, die stets von neuem emporschwebten und durch die offene Mittelluke anklagend gen Himmel strebten. –

Agnes schwang sich an der Außenleiter der Sphinx an Deck.

Zum ersten Male setzte sie ihren Fuß auf Gaupenbergs geniale Schöpfung, auf das Werk des treulosen Geliebten.

Und – fuhr leicht zurück.

Lauschte hinab in den Lichtschein der Luke.

Lächelte befreit.

„Kognak, der Teckel!“

Bückte sich, wollte die schmale Treppe hinab. Erblickte den reglosen Körper des Mannes, der einst ihr Verlobter gewesen, dem sie in jugendlicher Unerfahrenheit, in verzeihlichem Irrtum über ihr Gefühlsleben Vertrauen und Liebe geschenkt, der sie dann nur schamlos ausgenutzt hatte.

Und grenzenlose Freude überflutete doch schon im selben Moment diese unedlen Regungen, unedel für ein Weib von Agnes Sandens Reinheit.

Grenzenlose Freude, weil sie nun die Sphinx für den retten konnte, der nie erfahren sollte, wer den frechen Diebstahl wieder verhindert hatte: Agnes Sanden – zum zweiten Male in dieser Nacht! –

Sie klomm die Stufen leise abwärts.

Beugte sich über Edgar Lomatz, sah die krankhafte Blässe des heuchlerischen Gesichts, wähnte sich sicher vor ihm, trat durch die schmale Tür in das enge Innere der Sphinx.

Ging den klagenden Lauten des Hundes nach, fand den Dackel in einer Kammer am Heck, in einem winzigen Gelaß, fand hier auch den gefesselten, geknebelten treuen Gottlieb Knorz.

Edgar Lomatz’ fieberndes Hirn hatte durch das Heulen des Hundes wieder die ersten Eindrücke der Außenwelt empfangen, hatte in langsamem Erwachen, wieder fähig zu flüchtigen Gedanken, auch die anderen Geräusche auf Deck, Agnes’ Schritte, durch der Ohren Wunderbau als verdächtige Beweise drohender Gefahr in sich aufgenommen.

Lomatz war nicht mehr bewußtlos, als Agnes die Treppe herabkam. Ein rascher blinzelnder Blick hatte ihm kleine Frauenstiefel und einen Rocksaum gezeigt. Noch zu schwach, um an Gewalt denken zu können, nahm er seine Zuflucht zu einfacher List und spielte den Ohnmächtigen.

Horchte angespannt.

Verfolgte Agnes mit dem Gehör.

Erhob sich, schwankte, ward Herr über den fiebernden Leib.

Als Agnes Gottliebs Stricke löste, als der alte Mann röchelnd aus mißhandelter Kehle dem Mädchen zuraunte, daß Gott sie gesandt haben müsse, schleuderte der Satan die Metalltür der Kammer krachend zu und schob den Riegel vor.

Hohnlachte: „Willkommen, Bräutchen, willkommen! Nachher sprechen wir uns!“

Tastete sich an Deck.

Spähte mißtrauisch umher. Sog die kühle Luft tief in die Lungen. Wartete, bis der letzte Schwindel nicht wiederkehrte, bis das Rauschen in den Ohren verstummte.

Lachte schrill … Reckte die Arme …

Die Sphinx schwebte empor.

Die Propeller surrten. Am Heck im Metallgehäuse glühte violett die große gebogene Glasröhre, aus deren Mineralspitze die unsichtbaren Strahlen die Anziehungskraft der Erde ausglichen.

Gen Westen schoß die Sphinx in zweitausend Meter Höhe.

Und in der engen Kammer saß Gottlieb Knorz neben Agnes Sanden, streichelte den alten halbblinden Teckel und sagte leise:

„Ich erwürge den Schuft mit diesen meinen Händen!“

Agnes erwiderte sanft: „Er ist es nicht wert. Die Sterne werden ihn richten.“

Sie dachte an Doktor Dagobert Falz, und eine starke Zuversicht war in ihr.