Mafalda, Gaupenberg und Steuermann Hartwich hielten im Herrenzimmer des Grafen Rat.
Vieles wollte überlegt sein. Wenn man die beiden großen Geheimnisse, das des Goldschiffes und das andere der Sphinxstrahlen, der Öffentlichkeit weiter vorzuenthalten gedachte, mußten auch die letzten Vorgänge ohne jede Einmischung der Behörden gleichsam vertuscht werden.
Der ehrliche Hartwich gab zu bedenken, daß dies auf die Dauer kaum möglich sein dürfte. Ganz abgesehen von dem Diebstahl der Sphinx müßte Gottliebs Verschwinden zu allerlei Gerede Veranlassung geben.
Mafalda lachte dazu. „Gerede hin, Gerede her, lieber Hartwich. Wir sind längst im Auslande, wenn wirklich Gerüchte auftauchen sollten.“
Sie war es, die am eifrigstem dafür eintrat, Sergius Petrow, ihren von seinem Genossen Lomatz heimtückisch niedergeschlagenen Kammerdiener, unter Johanns Obhut und Pflege hier zurückzulassen und mit dem nächsten Zuge nach Berlin zu fahren, um dort ein Flugzeug zu kaufen und einen zuverlässigen Piloten anzuwerben.
Gaupenberg, der sehr müde und abgespannt aussah, entschied sich jedoch für des Freundes vernünftigen Vorschlag, erst einmal ein paar Stunden zu schlafen und dann von neuem zu beraten.
Mafalda war etwas gekränkt, weil sie überstimmt wurde. Sie, die Unverwüstliche, an unerhörte Aufregungen aller Art Gewöhnte, bezeichnete dieses Zaudern und vorsichtige Abwägen der beiden Männer im Stillen als Schlappheit.
Sie sagte den Freunden gute Nacht und bat auch Gaupenberg, sie nicht bis nach oben in den Ostflügel zu begleiten. So kam es, daß Graf Viktor nur durch Handkuß von seiner Braut sich verabschiedete und dann, als die Fürstin gegangen, zu Georg Hartwich achselzuckend meinte:
„Mafalda war ein wenig angetan. Sie ist eine sehr selbständige Natur.“
Georg schwieg.
Er stand vor dem schönen alten Marmorkamin und starrte in das flackernde tanzende Licht der brennenden Scheite.
Gaupenberg trat neben ihn, schob seinen Arm in den des Freundes.
„Dieser Lomatz muß doch fraglos noch Komplizen haben, jedenfalls Leute, die er sehr schnell für sein Räuberstückchen gewinnen und mit nach San Miguel nehmen kann.“
Hartwich nickte.
„Es muß so sein! – Wenn wir nur noch zur Zeit kommen, Viktor. Ein Flugzeug bleibt immer ein sehr unsicheres Verkehrsmittel.“
„Gewiß. Und doch ist’s das einzige, das für uns in Betracht kommt.“
Ihre ernsten, von den wilden nächtlichen Szenen, zermürbten Gesichter wären fahl und bleich gewesen, wenn die rote Kaminglut ihnen nicht Farbe verliehen hätte.
Wortlos standen sie nun – Arm in Arm, Verbündete zum Heile des Vaterlandes, für das sie den Milliardenschatz des U-Bootes heben wollten.
Verbündete, die bisher nur Niederlagen erlitten hatten.
Und beide dachten jetzt dasselbe. Nur Gaupenberg jedoch sprach es aus, und ähnlich hatte er sich schon einmal geäußert:
„Es ist wirklich, als ob ein Verhängnis an diesem Schatze klebte!“
Georg Hartwich seufzte.
„Ja – und der Kreis von Menschen, die um dieses Geheimnis weiß, wird leider immer größer.“
Dann hob er ruckartig den Kopf. Sein Mund wurde schmal, die Augen klein und die Stirn wie zerkerbt von Falten. „Und doch! Wir müssen siegen! Ich hab’s geschworen in jenem Moment, als ich, der einzige Überlebende von U 45, an das Gestade der Insel Formigas getrieben wurde und mein jahrelanges Robinsondasein begann!“
Er sagte nun ebenfalls dem Freunde gute Nacht. Er bewohnte dicht neben dem Schlafgemach des Grafen einen eleganten Raum, der einst Viktor Gaupenbergs Mutter als Baudoir gedient hatte.
Georg Hartwich erwachte nach sinnlosen Träumen bereits um zehn Uhr vormittags. Er fühlte sich in keiner Weise erfrischt oder gekräftigt. Selbst die eisige Dusche im Badezimmer half nicht viel. Er kleidete sich an, nahm einen von Viktors handfesten Stöcken und wollte durch einen Spaziergang neue Spannkraft gewinnen. Als er am Westflügel vorüberschritt, sah er am breiten Küchenfenster die Köpfe des Kutschers Johann und des dicken Stubenmädchens Helene. Da fiel ihm ein, daß er eigentlich seit vierzehn Stunden nichts mehr gegessen hatte und sein Unbehagen vielleicht hierauf zurückzuführen sei.
Er betrat die Küche und wünschte den beiden Bediensteten freundlich guten Morgen. Helene und Johann waren jetzt, nachdem Gottlieb verschwunden und der Kammerdiener der Fürstin schwer verletzt war, die einzigen, die für den Grafen und seine Gäste sorgen mußten.
Johann erklärte auf Hartwichs Frage, daß er soeben dem verd … Kerl, dem Sergius, Temperatur gemessen habe. „Achtunddreißig Grad hat er. Aber er schläft wie’n Murmeltier. Ich will nur frühstücken, dann bewache ich ihn wieder, den … Lump …“
Und Helene, die behäbige, meinte weinerlich:
„Nun muß ich auch noch Köchin spielen. Denn Frau Sanden und Fräulein Agnes sind weg. Nur ihr größter Koffer ist noch da.“
Hartwich schwieg dazu, obwohl er von dem fluchtartigen Abzuge der beiden Frauen bisher nichts wußte.
Helene machte ihm rasch ein paar belegte Brote zurecht, die er dann eingewickelt mitnahm, um sie im Freien zu verzehren.
Er wandte sich durch den Park zunächst dem Gaupa-See zu, blieb am leeren Bootsschuppen stehen und erklomm dann die östliche Anhöhe, bis er zu dem kleinen Pavillion gelangte, den Graf Viktors Vater hier errichtet hatte.
Das friedliche Landschaftsbild tat ihm wohl. Er, der nie an Nerven geglaubt, der über Nervosität als etwas Eingebildetes gelächelt hatte, – der hatte jetzt Nerven kennen gelernt. Doch er fühlte, wie die frische Luft, der Zauber der Natur ihn beruhigten. Das unerträgliche Hitzegefühl, das Brennen in den Schläfen verschwand.
Oben im offenen Pavillion stand er, an eine Säule gelehnt, und ließ den Blick hierhin und dorthin schweifen. Linker Hand konnte er die Ruine Sellenheim zwischen blattlosen Baumkronen hindurch bemerken, weiter nach Norden zu das endlose, ewig dunstige Moor und geradeaus durch eine in den Wald gehauene Schneise in der Tiefebene ein paar Dörfer wie zierliche Spielzeughäuschen.
Und wie er nun träumerisch dahindämmerte ohne bestimmte Gedanken, wie er mit Behagen den Rauch der Morgenzigarre kostete und den zerflatternden Wölkchen nachschaute, erblickte er plötzlich mit rasch erwachendem Interesse den Zickzackpfad der steilen Schneise einen Mann ein Motorrad mühsam emporschieben.
Seine scharfen Augen hatten auch im Moment festgestellt, daß der Fremde dort, der diesen ungewöhnlichen beschwerlichen Weg zum Aufstieg benutzte, von geradezu zwergenhafter Gestalt – mehr noch, daß das Gesicht des Menschen dort von auffallend dunkler Färbung war.
Steuermann Hartwich zweifelte nicht, daß der Motorradler, der Lederwams, Lederkappe und Gamaschen trug, derselbe Zwerg sein müsse, der den Diener Gottlieb in der verflossenen Nacht im Parke angefallen hätte, endflohen und sicheren Beweisen nach von Sergius Petrow in einem Koffer der Fürstin in das Schloß eingeschmuggelt worden war.
Hartwich duckte sich hinter der Brüstung des Pavillions zusammen, deren herzförmige Ausschnitte bequeme Sehschlitze boten. So beobachtete er denn, daß der Zwerg mit dem Rade nun in ein felsiges Dickicht abbog, sehr bald aber wieder ohne Rad erschien und eilends weiter nach oben klomm.
Die Treppe zum Pavillion lag der Schneise abgekehrt. Das leise Knarren der Stufen schnellte Hartwichs Kopf herum.
Es war die Fürstin, die ganz tief gebückt neben Hartwich schlich und ihm zuraunte:
„Wir werden ihn fangen. Ich bemerkte ihn schon unten auf der Landstraße. Es ist der Zwerg.“
Sie war erregt, – erregter als Steuermann Hartwich sie bisher gesehen.
Eng neben ihm kniete sie. Ihr Atem ging hastig. Ihrem Pelzmantel entströmte zarter Duft.
Und näher und näher kam der braunhäutige Zwerg.
Blieb wiederholt stehen, horchte, spähte umher. Seine raubtiergleichen Bewegungen, die nicht nur Kraft und Gewandtheit, sondern auch die besondere Eigenart des inmitten von Gefahren aufgewachsen Naturkindes verrieten, hatten etwas Abstoßendes an sich.
Noch zehn Schritt war er jetzt vom Pavillion entfernt.
Blieb abermals stehen.
Schnupperte wie ein Hund mit zurückgebogenem Kopf.
„Ihre Zigarre!“ flüsterte Mafalda Sarratow dem Freunde ihres Verlobten zu.
Und griff in die Innentasche des Pelzes.
Ein kleiner Damenrevolver blinkte.
„Er soll uns nicht entkommen, Georg Hartwich!“ hauchte Mafalda drohend.
Und da – eine ungeschickte Fingerbewegung – ein Zufall –?! – Da entlud sich die Waffe.
Die Fürstin schrie vor Schreck gellend auf. Pannaru, der Zwerg, das gehorsame Werkzeug Alfonso Jimminez’, flog ins Dickicht mit einem bewundernswerten Panthersatz.
Hartwich stürmte schon die Treppe hinab. Hinein in den Wald. Sah den Flüchtling, der in unbegreiflicher Kopflosigkeit bergab raste, anstatt sich hinter einer der dicken Tannen zu verbergen.
Holzfäller arbeiteten dort unten. Hartwichs Zuruf scheuchten sie auf.
Pannaru floh wieder bergan. Der Forst hallte von den Rufen der Verfolger. Ein Rudel Rehwild sauste gleichfalls nach oben.
Hier aber bewies der Zwerg seine ungeheure Zähigkeit. Hartwich, die Holzfäller blieben zurück.
Und als sie den Höhenkamm erreicht hatten, als kahle Hänge hier nun bis zur Ruine Sellenheim Ausblick gewährten, war Pannaru längst verschwunden.
Aber dort neben der Ruine saß auf der Holzbank, die Tabakpfeife im Munde, der menschenscheue Einsiedler, – die Eule von Sellenheim, wie Graf Viktor den Sonderling nannte.
Hartwich eilte auf ihn zu. Die Holzfäller, fünf Mann, verteilten sich nach allen Seiten und suchten weiter.
Doktor Dagobert Falz faßte nur an die Schlapphutkrempe, als Hartwich sehr höflich grüßte.
„Sie wünschen?“
Das klang unhöflich kurz.
„Mein Name ist Hartwich. Ich wollte nur fragen, ob Sie vielleicht einen kleinen Menschen im Motorradleranzug soeben hier bemerkt haben?“
„Nein. Noch etwas?“
Diese Grobheit verwirrte Hartwich. Auch die stechenden Augen behagten ihm nicht. Die Eule von Sellenheim war wirklich ein seltsamer Vogel.
Der Steuermann grüßte abermals und wollte sich zurückziehen.
Und – jetzt glitt ein Lächeln flüchtig über des Einsiedlers bärtigen Mund.
„Kommen Sie nachher heimlich zu mir – heimlich!“ flüsterte er rasch. „Ein Schuß fiel da drüben im Pavillion. Und die Fürstin war neben Ihnen, Herr Hartwich.“
„Ja … Der Fürstin Revolver entlud sich,“ stammelte der Steuermann noch verwirrter.
„Gut – gut … Ich erwarten Sie also. Verschwinden Sie! Wir werden beobachtet!“
Hartwich traf mit Mafalda fünf Minuten später unten am Bootsschuppen zusammen. Die Fürstin hatte den Holzfällern bereits ein reichhaltiges Trinkgeld gegeben und sie wieder an ihre Arbeitsstelle geschickt.
„Es ist ja doch alles umsonst,“ sagte sie achselzuckend. „Ich bin hungrig. Begleiten Sie mich ins Schloß, lieber Hartwich.“
„Bedauere, Fürstin. Ich werde jetzt das Motorrad holen.“
„Wie Sie wollen. Auf Wiedersehen also. Ich bin sehr, sehr ärgerlich auf mich selbst. Die Kugel hätte Sie treffen können. Zum Glück fuhr sie nur in die Brüstung.“
Sie reichte ihm die Hand. „Wenn Sie den Zwerg vielleicht doch noch fangen sollten, Hartwich, dann geben Sie mir sofort Nachricht, nicht wahr?“
„Gern, Fürstin.“
Das Motorrad lag im Dickicht. Hartwichs ließ es durch einen Holzfäller ins Schloß bringen und pirschte sich durch den Wald im großen Bogen an die Ruine heran. Eine Gruppe von Tannen und eine Reihe von Mauertrümmern boten ihm dicht am verfallenen Eulennest des Doktors gute Deckung.
Doktor Falz stand in der Tür, winkte.
Diese Tür des ehemaligen Mittelbaus der Raubburg war ganz neu. Und neu waren auch die anderen Türen und die Dielen im den drei noch bewohnbaren Räumen.
Der Einsiedler ließ Hartwich eintreten, verschloß die Außentür und führte seinen Gast in sein Studierzimmer.
Kahle getünchte Mauern grinsten Steuermann Hartwich unschön an. Die Fenster mit den erblindeten Scheiben, den armseligen Möbelstücken und der scheußliche Modergeruch in der Luft, – all das war unendlich trübselig und niederdrückend.
„Setzen Sie sich bitte, Herr Hartwich,“ sagte der alte Sonderling sehr freundlich. „Ich will nun gleich alles Nötige holen. Entschuldigen Sie mich, Herr Hartwich …“
Die Tür fiel hinter ihm zu.
Als er wieder eintrat, hielt er den Zwerg Pannaru am Kragen des Lederwamses gepackt und schob ihn vor sich her. Pannarus Hände waren auf dem Rücken gefesselt.
Mafalda Sarratows schönes Antlitz zeigte den Ausdruck schwerer Sorgen, als sie durch den Park dem Schlosse zuschritt.
Das Auftauchen des Zwerges, von dessen Existenz sie bis zur vergangenen Nacht nichts geahnt hatte, den Sergius Petrow, oder besser Alfonso Jimminez also heimlich als Spion für seine Nebenzwecke benutzt hatte, bereitete ihr starkes Unbehagen.
Ihr gefährliches Spiel konnte durch eine Kleinigkeit aufgedeckt werden. Sie fürchtete fast, daß Hartwich gegen sie bereits wieder Verdacht geschöpft hätte. Vielleicht hatte der Revolverschuß ihn stutzig gemacht. Er war jedenfalls soeben dort am Bootsschuppen recht zerstreut gewesen, ganz so, als hätten seine Gedanken irgend welchen dunklen Dingen nachgespürt.
Mafalda fühlte sich immer mehr beunruhigt. Am liebsten wäre sie in das Turmgemach, wo Alfonso bewacht wurde, emporgestiegen, hätte den Kutscher Johann unter einem Vorwand weggeschickt und den Verwundeten gefragt, ob ihnen, falls der Zwerg ergriffen würde, Gefahr drohe. Dann hätte Alfonso notwendig eingestehen müssen, wozu er diesen braunen Gehilfen hier benutzt hatte.
Doch – sie wagte dies nicht. Johann war jetzt durch die Vorgänge der Nacht mißtrauisch und vorsichtig geworden. Vielleicht würde er ihr nicht einmal gehorchen, wenn sie versuchen würde, ihn aus dem Turmgemach zu entfernen.
Nein – sie mußte diese Idee fallen lassen. Mehr als bisher mußte sie jeden Schritt gründlich prüfen.
Als sie durch die Hintertür den Mittelbau der Gaupenburg betrat, kam Helene auf sie zugeeilt.
„Frau Sanden ist soeben von Sellenheim mit dem Wagen des Krugwirts Klaassen herübergefahren,“ flüsterte Helene in heller Aufregung. „Der Herr Graf hat sie in sein Zimmer genommen. – Und – und geweint und geschluchzt hat Frau Sanden – herzzerbrechend! Fräulein Agnes ist nämlich in der Nacht nach dem Heißen Moor gegangen, um den Schäfer Radtke zu suchen. Nun fürchtet Frau Sanden, daß das Fräulein ertrunken sein könnte.“
Mafalda schien voller Teilnahme. „Oh, die Ärmste! Da will ich doch gleich …“
Sie schwieg mit einem Male.
Lächelte ganz wenig.
„Wissen Sie, daß ich jetzt die Braut des Herrn Grafen bin, Helene?“
„Ja … ja … und … und ich gratuliere auch vielmals, Durchlaucht.“
„Als Viktors Braut werde ich nun Frau Sanden zu trösten versuchen.“
Sie nickte dem Stubenmädchen zu, bog in den Längsflur ein und betrat die Bibliothek.
Die Tür nach Gaupenbergs Herrenzimmer war nur angelehnt. Mafalda hörte das schrille angstgequälte Organ Frau Sandens.
„Sie hat sich freiwillig ertränkt im Moor. Das ist’s! Und Sie – nur Sie sind schuld daran, Sie und diese Betrügerin, diese …“
Gaupenbergs Stimme – mild, aber doch energisch:
„Frau Sanden, Sie vergessen sich!“
„Vergessen – ich mich vergessen?!“ Die korpulente kleine Frau wußte kaum mehr was sie sprach.
„Die Wahrheit sage ich nur, Herr Graf! Nur die Wahrheit! Erst küssen Sie mein armes Kind oben im Laboratorium, flüstern ihr allerlei von Liebe und Heirat zu, und nachher jagen Sie sie … als Diebin aus dem Schloß!“
Frau Sanden weinte wieder. Ihre Worte wurden unverständlich.
Gaupenberg fand so Zeit, der Erregten nochmals auseinanderzusetzen, daß von einer Schuld seinerseits hier wohl keine Rede sein könnte.
„… daß Agnes sich ein Leid angetan haben sollte, halte ich im übrigen für ganz ausgeschlossen,“ erklärte er sehr bestimmt. „Was ich aus Ihren bisherigen Angaben entnehme, liebe Frau Sanden, ist etwas anderes. Agnes dürfte entführt worden sein! – Damit Sie auch dies erfahren, Lomatz hat die Sphinx gestohlen, ist mit ihr davongeflogen und hat auch meinen treuen Gottlieb wahrscheinlich als Gefangenen mitgenommen.“
Frau Sanden beruhigte sich plötzlich.
„Ja, Agnes wollte allerdings zum Bootsschuppen zurück, um mit Gottlieb noch zu sprechen,“ murmelte sie in ihr naßgeweintes Taschentuch hinein.
„Nun also! – Trotzdem werde ich sofort die Ränder des Moores absuchen lassen, Frau Sanden. Ich verspreche mir zwar nichts davon. Eine innere Stimme sagt mir, daß Agnes lebt.“
„Ach – und das Kind hat Sie so … so unendlich lieb gehabt!“ schluchzte die schwergeprüfte Mutter leise.
Gaupenberg seufzte.
„Das Schicksal hat uns getrennt, Frau Sanden.“ – Ihm war weh’ ums Herz.
„Das Schicksal – das Schicksal?!“ schrillte Frau Sandens Stimme. „Oh – das Schicksal heißt hier Mafalda Sarratow! – Glauben Sie mir, Herr Graf, der Tag wird kommen, an dem Ihnen die Augen aufgehen werden!“
Sie hatte sich erhoben.
„Leben Sie wohl, Herr Graf … Agnes hat für Sie stets nur Worte der Verteidigung gefunden. Deshalb will ich hier nicht härter als mein Kind sein. Aber eins verlange ich, Herr Graf: Geben Sie mir Agnes zurück! Wenn jener Elende sie wirklich entführt hat, werden Sie Mittel und Wege finden, Lomatz wieder die Sphinx abzujagen.“
Ohne Gruß schritt sie hinaus – durch die Bibliothek in den Flur – zu dem ihrer wartenden Wagen.
Mafalda Sarratow hatte noch rechtzeitig die Bibliothek wieder verlassen, um eine Begegnung mit Frau Sanden zu vermeiden.
Gaupenberg telephonierte mit dem Gemeindevorsteher in Sellenheim. Der versprach ihm, sofort eine Anzahl Männer aufzutreiben, die helfen würden, die Grenze des Moores abzusuchen.
Kaum hatte er den Hörer wieder weggelegt, als Mafalda erschien.
Sie umarmte ihn, küßte ihn.
Viktor unterlag auch jetzt wieder den lockenden Reizen der schönen Heuchlerin. Sein Gesicht hellte sich auf. Und am gemeinsamen Frühstückstisch im kleinen Speisesaal erklärte Mafalda dann: „Wir reiten zum Heißen Moor hinüber, Viktor. Wir helfen suchen!“
Er hatte nichts dagegen einzuwenden. Er freute sich sogar, daß Mafalda sich so selbstlos zeigte, persönlich für Agnes einzutreten.
Georg Hartwich war noch nicht ins Schloß zurückgekehrt. Die Jagd auf den Zwerg erwähnte die Fürstin nur so ganz nebenbei. Gaupenberg zeigte auch weiter kein Interesse dafür. Agnes’ Verschwinden beunruhigte ihn doch stärker, als er sich den Anschein gab. Ihm war es nur lieb, daß Mafalda zum Aufbruch drängte. Er ahnte nicht, weshalb sie es tat. Sie fürchtete Georg Hartwichs eingehende Schilderung der durch den Revolverschuß begünstigten Flucht des Zwerges. Sie wollte dieses Ereignis durch andere Geschehnisse erst mehr in den Hintergrund drängen.
Im Nu hatte sie dann einen Reitanzug angelegt. Inzwischen sattelte Graf Viktor eigenhändig die Pferde.
* * *
Hartwich war beim Anblick des Zwerges von seinem Stuhle hochgeschnellt.
Doktor Falz schmunzelte. „Ich habe den kleinen Kerl, der sich hier in den Steintrümmern verkriechen wollte, vorläufig in Obhut genommen, Herr Hartwich.“ Sein Lächeln schwand wieder. Er drückte Pannaru auf einen Holzschemel und setzte sich dicht davor.
„Wie heißt du?“ fragte er ihn in spanischer Sprache. Und zu Hartwich gewandt: „Es ist ein südamerikanischer Zwerg, wahrscheinlich einer aus den Urwäldern Innerbrasiliens.“
Pannarus schwarze Augen blickten den alten Arzt voller Verachtung an. Er blieb stumm.
„Er will also nicht reden – auch jetzt nicht!“ meinte Falz gleichmütig. „Ich hatte ihn vorhin schon ausforschen wollen. Nun – dann müssen wir’s eben anders anfangen. Bewachen Sie ihn, Herr Hartwich. Ich gehe nur ein kleines Überredungsmittel holen.“
Er verließ den ärmlichen muffigen Raum.
Steuermann Hartwich erkannte immer mehr, daß die Eule von Sellenheim ohne Zweifel über das Schloß und seine derzeitigen Bewohner weit besser Bescheid wußte, als irgend jemand dies bisher vermutet hatte. Weshalb wohl hätte Falz sonst den Zwerg festgenommen?! Doch nur, weil er von dessen Beziehungen zu dem Kammerdiener Mafaldas unterrichtet sein mußte!
Der Doktor erschien nach fünf Minuten mit einem Sacke aus Leder in der Hand, der oben zugeschnürt war. In dem Sacke bewegte sich etwas.
Wortlos schnürte er ihn vorsichtig auf, indem er mit der Linken den unruhigen Insassen von außen durch das aufgebauschte Leder festhielt. Dann stülpte er ebenso vorsichtig den Sack um und packte eine knallgelb und ziegelrot gesprenkelte Schlange von doppelter Armlänge dicht unterhalb des Kopfes, hob das wütend zischende Reptil, dessen Leib sich ihm um den ausgestreckten Arm wand, empor und fragte den Zwerg mit verdächtiger Freundlichkeit abermals in spanischer Sprache:
„Nun, kleiner Amigo, – kennst du dies hier?“
Pannaru war erdfahl geworden. Er bog den Kopf zurück. Seine Augen stierten auf den flachen Schädel der Giftschlange.
„Schararaka!“ stieß er hervor.
„Aha – also nicht ganz stumm!“ schmunzelte der Doktor, aber dieses Schmunzeln war in seiner bewußten Verstellung eine furchtbare Drohung. „Ja – eine Schararaka aus Brasilien, kleiner Amigo. Und diese Schararaka wird dich beißen, falls du nicht die Wahrheit sagst. Wer wie du mit einem vergifteten Dolch auf einen braven Diener eindringt, verdient selbst Gift.“ Er drehte den Kopf zu Hartwich. „Der Dolch, den ich dem kleinen Halunken vorhin abnahm, ist mit Kurare vergiftet. Hätte Gottlieb auch nur die geringste Wunde erhalten, wäre es mit ihm vorbei gewesen.“
„Oh – Sie wissen, Herr Doktor?!“ stammelte der Steuermann, dem diese Szene hier die Nerven wieder rebellieren machte.
„Gewöhnen Sie sich an den Gedanken, Herr Hartwich, daß ich alles weiß … alles!“ meinte Falz ohne jede Prahlerei. „Einsiedler wie ich schlafen nur wenig und sind Nachttiere.“
„Wie heißt du?“ wandte er sich dann aln den braunen kleinen Kerl.
„Pannaru …“
„Aha! Er lügt nicht! Er hatte nämlich in seiner Brieftasche einen Erlaubnisschein der Berliner Polizei für Motorradler, ausgestellt auf den Namen Juan Pannaru, Artist, geboren in Mintaxas, zur Zeit Berlin. – Also, Juan Pannaru, da du jetzt wohl auch weiter vernünftig sein wirst, will ich die Schararaka wieder in den Beutel tun.“
Das Verhör ging weiter.
„Pannaru, wie bist du in das Schloß hineingelangt?“
„Im Koffer.“
„Mit Hilfe Sennor Petrows?“
„Ja …“
„Der heißt auch noch anders. Das ist doch gar kein Russe, sondern ein Südamerikaner, nicht wahr?“
„Ja … Alfonso Jimminez heißt er.“
Hartwich machte eine Bewegung der Überraschung. Er hörte diesen Namen ja zum ersten Male.
„So … so … Alfonso Jimminez! – Was für ein Landsmann ist er?“ fragte Falz beharrlich weiter. „Ein Brasilianer?“
„Nein, Sennor, aus der Republik Patalonia.“
„Feiner Räuberstaat! Immerhin grenzt er an Brasilien. – Also ein Patalonianer ist der Herr Jimminez. Was treibt er denn so?“
„Er ist Kammerdiener einer Fürstin, die ich bisher nur von fern gesehen habe, Sennor.“
Falz bückte sich nach dem Schlangensack.
Pannaru schrillte: „Er ist … ist Geheimagent der Republik.“
Der Doktor lachte. „Sehr brav, Amigo. Dein Gedächtnis bessert sich. – Geheimagent also … Und du bist sein Unteragent.“
„Sennor, nur … nur … sein Bote.“
„Wo warst du jetzt zuletzt, Pannaru?“
„In Berlin – in der vergangenen Nacht.“
„Mit dem Motorrad. Weiß Bescheid. – Was tatest du dort?“
„Ich gab einen Brief ab.“
„Wem?“
„Sennor Ramon Orsaro, dem Gesandten von Patalonia.“
„Schau’ an! Politik! Das ist selbst mir etwas Neues. – Was enthielt der Brief?“
„Das weiß ich nicht. Er war chiffriert.“
„Und du ahnst auch nicht, was der Inhalt des Schreibens gewesen sein kann?“
„Nein, Sennor.“
„Was tat denn Sennor Orsaro auf den Brief hin?“
„Er schrieb eine lange Depesche, die ich sofort aufgeben mußte.“
„War die auch chiffriert?“
„Nein. Sie war für den Generalkonsul Sennor Cervera in Lissabon bestimmt und enthielt den Befehl, sofort eine schnelle Motorjacht zu kaufen oder zu mieten und unverzüglich mit zuverlässiger Besatzung zum Walfischfang nach der Insel San Miguel, Azorengruppe, in See zu gehen. Weitere Befehle würden drahtlos folgen.“
Steuermann Hartwich riß es abermals hoch. Er war erblaßt.
Falz winkte. „Behalten Sie Platz … Wir sind noch nicht fertig.“ Und zu Pannaru:
„Weißt du etwas über Jimminez’ Beziehungen zu der Fürstin?“
„Nein, Sennor. – Jimminez weiht mich in nichts ein. Ich war bis vor drei Wochen im Zirkus Sarasani Parterreakrobat, brach mir das Bein, geriet in Not und wandte mich um eine Unterstützung an den Generalkonsul von Patalonia, denn ich bin selbst Patalonianer.“
„Feiner Banditenstaat! – Weiter …“
„So kam ich mit Jimminez zusammen. Er hat mich verschiedentlich zu … zu Aufträgen verwandt. Die Fürstin kenne ich nicht.“
„Aber Edgar Lomatz?“
„Nein … Nur dem Namen nach.“
„Jimminez ist sehr vorsichtig! – Weiß die Fürstin, daß ihr Kammerdiener Sergius Petrow in Wahrheit Geheimagent ist?“
„Nein, Sennor …“
„Aha – Doppelspiel!“
Falz überlegte, wandte sich an Hartwich … „Ich werde den kleinen Schuft mit Reisegeld versehen und laufen lassen. Was sollen wir mit ihm?“
Pannaru verstand genügend Deutsch und rief freudig:
„Oh Sennor, wenn Sie das täten! Ich könnte in Amerika beim Film ankommen.“
Falz nickte. „Du sollst Geld haben. Aber – nun die Hauptsache. Wo und wie wolltest du Jimminez wieder sprechen? Hatte Sennor Orsaro dir für Jimminez etwas Schriftliches mitgegeben?“
„Nein. Ich sollte ihm nur bestellen, daß die Sache in Ordnung sei und daß er die Hälfte erhalten würde. Wovon – weiß ich nicht. Ich hatte von Jimminez vor meiner Abfahrt mir den Weg beschreiben lassen, wie ich wieder ins Schloß gelangen könnte – durch das Erbbegräbnis im Park und die Keller und die geheimen Gänge …“
„Mein Weg!“ murmelte Falz leise. Dann zog er eine abgegriffene Brieftasche hervor und entnahm ihr ein Bündel Dollarnoten.
„Hier, Pannaru … Das reicht bis über den Ozean und noch ein paar Wochen länger. Laß dich aber nie wieder hier herum sehen!“
„Sennor, ich schwöre bei …“
„Unsinn!“ Er löste Pannarus Fesseln, der halb sinnlos vor Freude nun im Zimmer umherhüpfte … – Gleich darauf verschwand er im Walde.
Falz sagte zu Hartwich: „Ich sehe Ihnen an, daß Sie mich nun mit Fragen überfallen möchten. Tun Sie es nicht. Kämpfen Sie Ihre Sache allein durch.“
Hartwich war enttäuscht. „Ist das wirklich Ihr Ernst, Herr Doktor?! Weshalb haben Sie mich denn an diesem Verhör teilnehmen lassen, wenn Sie jetzt …“
Der Sonderling unterbrach ihn. „Genügt es Ihnen nicht zu wissen, daß die Republik Patalonia die Krallen nach Ihrem Schatz und der Sphinx ausstreckt?! Genügt es Ihnen nicht zu wissen, daß ich dieser Fürstin nicht traue?! – Seien Sie ein Mann, Hartwich! Seien Sie aber auch Komödiant. Lassen Sie sich nicht anmerken, daß Mafalda Sarratows Charakter Ihnen wieder recht zweideutig erscheint.“
Er reichte ihm die Hand …
„Ich greife ungern in andere Geschicke ein. Ich lebe mein Leben, verachte die Welt … – Glück auf, lieber Hartwich!“
Ganz benommen schlich nun auch der Steuermann in den Wald hinein und nahm die Richtung auf die Gaupenburg.
Mafalda und Viktor ritten im Schritt an der Ruine Sellenheim vorüber. Die Pferde schnoben von der Anstrengung des steilen Weges. Nun ging’s bergab, nun lagen nach Nordwest hin baumlose Abhänge vor ihnen, die sich bis zum Heißen Moor hinzogen.
Gaupenberg war’s, der den dort im Tale eilends dahintrabenden kleinen Menschen zuerst erspähte.
„Mafalda – der Zwerg!“ rief er frohlockend. „Wir fangen ihn! Halte dich links. Ich versperre ihm den Weg in den Wald!“
Sie trennten sich.
Mafalda bog in einen schmalen Fußsteig ein. Streckenweise konnte sie ihr Pferd zu ein paar Galoppsprüngen anspornen. Als vorzügliche Reiterin, die daheim die Savannen schon als Kind auf blankem Pferderücken durchstreift hatte, konnte sie es unschwer so einrichten, daß der Zwerg, der die beiden Verfolger sehr bald bemerkt hatte, nach dem Moor hin abgedrängt wurde. Gaupenberg blieb zurück. Sein Fuchs hatte einen Fehltritt getan und lahmte leicht.
Jetzt hetzte die Fürstin den armseligen Pannaru, der verzweifelt wie besessen dahinraste, auf ein ausgedehntes Torfloch am Rande des Moors zu.
Die ersten Nebelschwaden zogen hier bereits milchig über den Boden hin.
Mafalda wußte, was sie zu tun hatte.
Ein Blick nach rückwärts. Gaupenberg war dreihundert Meter entfernt, führte seinen Fuchs am Zügel.
Die Nebelschwaden wurden dichter. Der Graf konnte unmöglich beobachten, was hier geschehen würde. Der Zwerg mußte sterben. Er konnte zum Verräter werden. Wer weiß, wie weit Sergius ihn eingeweiht hatte, was er alles vielleicht ausplaudern konnte.
Pannaru jagte an dem Torfloche vorüber. Der dumpfe Hufschlag hinter ihm lieh ihm letzte Kraft.
Zwei Bretterkähne lagen da am Rande des Moors im dunklen Tümpel, Kähne für die Heuernte … Stoßstangen darin.
Pannaru sprang in den einen hinein, faßte die Stange.
Und – der Kahn glitt davon.
Mafaldas Rappe stand mit schäumendem Maule.
Er kleine Revolver knallte.
Fünf Schüsse noch. Der eine hatte vorhin den Zwerg gewarnt, der erste.
Die fünf Kugeln gingen fehl.
Die Nebel wallten um den entschwindenden Nachen. Des Weibes heiserer Wutschrei trieb Pannaru zu unerhörten Anstrengungen.
Als Graf Viktor an der Stelle angelangt war, wo der Rappe nun behaglich das Gras rupfte, war auch der zweite Kahn im Nebel untergetaucht.
„Mafalda!“ rief Viktor. „Mafalda, kehre um! Er entgeht uns nicht!“
Keine Antwort.
Nochmals rief Gaupenberg, hielt die Hände als Trichter vor den Mund.
Keine Antwort.
Da setzte er sich ärgerlich auf einen Torhaufen und wartete. Mafalda würde die zwecklose Jagd bald aufgeben.
Pannaru kam wieder zu Atem. Seine Armmuskeln waren wie Stahl. Das Vorwärtsschieben des Kahnes mit Hilfe der Stoßstange war ihm keine Anstrengung.
Und doch hatte er eine gleich zähe Gegnerin hinter sich. Mafalda stand aufrecht da, und die Stöße mit der Stange waren nicht minder kraftvoll als die des Zwerges.
Das schlammige Wasser gurgelte am Bug des Kahnes. Durch enge Durchfahrten wanden sich die beiden Nachen – blindlings immer tiefer in die Wasserwildnis.
Birkenstämme leuchteten im Nebel auf. Erlenbüsche säumten die Ränder der zahllosen Moorinselchen ein.
Tiefer ging’s in das meilenweite Labyrinth.
Und Stille ringsum. Nur das Glucksen des Wassers, keuchendes Atmen und das Geräusch der am Nachenrand entlangschrammenden Stangen …
Pannarus Schicksalsstunde nahte.
Das Schicksal ließ ihn den Weg zur felsigen großen Insel inmitten des Moores finden.
Blinder Zufall, sagen die Menschen. –
Was ist Zufall?! Doch stets das Endglied einer Kette von Geschehnissen, die uns Menschen in ihrem Ineinandergreifen verborgen bleiben.
Was seit Jahrhunderten nur Doktor Falz geglückt, auch nur durch Zufall, hier ward’s wiederum Ereignis! Nach anderthalb Stunden ziellosen Hin und Her’s fand Pannaru einen breiten Streifen offenen Wassers, fand die Insel.
Doch – keine vier Meter hinter ihm war Mafalda.
Pannarus Kahn stieß auf festen Boden.
Der Zwerg drehte sich blitzschnell um.
Die lange Stoßstange ward zur Waffe …
Als Mafaldas Nachen sich festrannte, traf vom Uferrande ein sausender Hieb ihre Ledermütze – ihren Kopf.
Hintenüber schlug sie in den Kahn, lag still.
Der Zwerg hetzte zu Fuß weiter.
Glaubte das Moor durchkreuzt zu haben, hoffte zu entrinnen.
Und stand Minuten später wieder am Ufer, wieder vor offenem Wasser.
Rannte in anderer Richtung weiter.
Abermals dasselbe Hindernis: Wasser – das Moor!
Nochmals machte er kehrt. Und – gelangte an die Stelle, wo die beiden Kähne nebeneinander lagen, wo Mafaldas blasses Gesicht mit geschlossenen Augen anklagend in den Nebel emporstarrte.
Pannaru schwankte davon. Nun wußte er, eine Insel – eine Insel!
Und fürchtete, daß sehr bald andere Verfolger erscheinen würden. Suchte nach einem Versteck, irrte im Inselwalde umher, stieß auf die Ruinen der einstigen Siedlung aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges.
Schicksal – Schicksal …!
Fand den Eingang des Grottenfriedhofs, schlüpfte hinein ins Dunkel.
Erkannte undeutlich die vertrockneten Mumien an den Wänden.
Wollte entsetzt wieder ins Freie.
Taumelte.
Lag … und starb einen schmerzlosen Tod. –
Stunden später …
Eine Krähe strich über das Moor … Setzte sich auf den Rand des einen Nachens, wetzte den Schnabel, an dem noch Stückchen einer Muschel klebten.
Heiser krächzend flog sie plötzlich davon.
Mafalda richtete sich schwerfällig empor. Stützte sich gegen die Bootswand. Ihre Zähne schlugen im Fieberfrost klappernd aufeinander. Vor ihren Augen schwammen blutige Nebel. Übelkeit würgte in der Kehle.
Ihre matte Hand schöpfte das braune kalte Wasser.
Sie trank … trank, obwohl es widerlich schmeckte, salzig, faulig.
Sie erholt sich … Und mit ungeheurer Energie gelang es ihr dann auch, aus dem Nachen an Land zu klettern. Unweit des Ufers, wo zwischen Felsen eine heiße Quelle hervorsprudelte, riß eine neue Ohnmacht sie zu Boden. Nur der Umstand, daß auch die Felsen ringsum etwas Wärme ausatmeten, rettete Mafalda vor dem Erfrieren. Denn noch stundenlang lag sie hier ohne Bewußtsein, während die Frost- und Hitzeschauer des Fiebers über ihren Leib hinjagten. –
Abend war’s, gegen sieben Uhr, als aus den infolge der Kälte noch dichteren Nebelmassen des Moors das Zinkboot des Einsiedlers von Sellenheim herausglitt.
Doktor Falz stieg an Land.
Bald hatte er die beiden Kähne bemerkt, die Ohnmächtige gefunden. Sein alter Radmantel hüllte Mafalda ein. Hastig eilte der Doktor dann weiter. Er hatte bereits nachmittags durch Hartwich von dem Verschwinden Mafaldas in der Wasserwildnis erfahren. Er suchte jetzt Pannaru. – Seiner Laterne über den Boden zitternder Schein näherte sich den Ruinen der Siedlung. Eine ungewisse Vermutung ließ ihn vorsichtig die Grotte betreten.
Falz hatte eine Sauerstoffmaske mitgebracht, lief zum Boote, holte sie, betrat die Höhle aufs neue.
Pannarus Leiche befestigte er neben einer Kindermumien an der Wand.
Seine Gedanken bei dieser traurigen Arbeit waren die eines Mannes, der an die Macht der Gestirne, an das vorgezeichnete Lebensmaß jedes Menschen glaubt.
Nachher hob er Mafalda in sein Boot und trat die Rückfahrt durch die Kanäle des Moores an, die jetzt einem Irrgarten voller Dampfwolken glichen. –
Die Fürstin Sarratow blinzelte aus matten Augen in die Nebelfinsternis. Sie war wach. Sie täuschte die Ohnmacht nur mehr vor. Sie fürchtete den Mann, der sie zu den Menschen zurückbrachte. Nach Viktors Beschreibung hatte sie den Einsiedler in ihm erkannt, dem sie nicht traute. Sie traute niemandem, der sich mit Schleiern des Geheimnisvollen umgab. Ein Gewissen wie das der Fürstin Sarratow macht die Seele empfänglich für die feinsten instinktartigen Regungen. Sie witterte förmlich in diesem Doktor Falz den Feind, und es bereitete ihr trotz der halben Fieberbenommenheit stillen Triumph, als sie feststellte, daß der Sonderling durch das Wirrsal der nebligen unzähligen Kanäle so sicher nur deshalb den Weg fand, weil er an bestimmten Stellen auf den kleinen Moorinselchen geheime Zeichen angebracht hatte: Erlenäste, die scheinbar zufällig an hellen Birkenstämmchen hingen! –
Das Boot landete. Doktor Falz trug Mafalda eilends bis an die fahrbare Hütte des Schäfers Radtke, pochte an die Scheibe und ließ die Fürstin auf dem Dache des kleinen Wohnkarrens liegen.
Der Schäfer kroch brummend aus seiner warmen Bude hervor, fand die so ängstlich gesuchte vornehme Dame, hüllte Sie in seinen Schafpelz und schaffte sie nach Sellenheim. –
Um neun Uhr abends hielt vor dem Schlosse Gaupenburg ein Wagen. Mafalda Sarratow, auf zwei Männer gestützt, erstieg die Freitreppe und lag wenig später schluchzend an Viktors Brust.
Georg Hartwich war fast noch besorgter um Mafaldas Zustand als Graf Gaupenberg. Der Steuermann hatte sich des Doktors gute Ratschläge wohl gemerkt: Heucheln – und doch ein Mann sein! – Unaufrichtigkeit, Komödie lag ihm nicht. Und doch fand er sich rasch in das Ungewohnte hinein.
Helene, das wohlgenährte Stubenmädchen, hatte die Fürstin zu Bett bringen müssen.
Dann waren Viktor und Georg im Schlafzimmer mit der Hausapotheke erschienen.
Mafalda lächelte ihnen sanft zu. Sie fühlte sich merkwürdig kräftig. Ihre zähe Natur war mit der leichten Gehirnerschütterung schnell fertig geworden.
Viktor saß nun am Kopfende des Bettes, hielt ihre Hand in der seinen und horchte gespannt auf Mafaldas leisen, abgebrochenen Bericht.
Mafalda verschwieg die Hälfte, sagte nichts von der großen felsigen Insel, sprach nur von einem Inselchen, erwähnte nichts von Doktor Falz.
„Wer mich bis zur Schäferhütte brachte – ich weiß es nicht,“ betonte sie nochmals.
„Es kann nur der Zwerg gewesen sein,“ meinte Gaupenberg. „Ihn mag der Hieb mit der Stange gereut haben. Deshalb rettete er dich.“
Sie nickte nur.
Und begann unvermittelt von der Notwendigkeit einer beschleunigten Reise nach San Miguel zu sprechen, von dem ursprünglichen Plan, in Berlin ein Flugzeug zu kaufen.
Gaupenberg schaute Hartwich fragend an.
„Falls die Fürstin morgen früh nicht reisefähig sein sollte, müssen wir beide allein nach Berlin,“ erklärte der Steuermann, und insgeheim wünschte er, Mafalda möchte nicht reisefähig sein.
„Lieber Hartwich,“ sagte sie da und lächelte ihr treuherzigstes Lächeln, „wenn man unten im Städtchen ein geschlossenes Auto besorgen könnte, so würde mein Krankentransport bis Berlin kaum Schwierigkeiten bereiten.“
Der Steuermann sprang sofort auf. „Ich werde telephonieren, Fürstin …“
„An das Hotel „Schwarzer Adler“,“ rief Viktor ihm noch nach.
Und sagte dann ganz gerührt zu Mafalda:
„Ein guter, lieber Mensch, der Georg.“
„Ein Prachtkerl!“ nickte sie burschikos.
Und dachte doch: ‚Er ist wie ausgewechselt! Seine Fürsorge ist fast verdächtig.‘
Viktor beugte sich über sie und küßte sie heiß.
Die Fürstin als Patientin war noch berückender als bisher.
Hartwich war ins Herrenzimmer hinabgeeilt. Lehnte am Schreibtisch und telephonierte.
Der Hotelbesitzer versprach, das Auto sofort zu schicken. „Es hat elektrische Heizung,“ rühmte er noch. „Über den Fahrpreis werde ich mit dem Herrn Grafen schon einig werden.“
Und da, als dieser Nachsatz Georgs Ohr erreichte, wurde ein anderer Gedanke in seinem Hirn geweckt.
Fahrpreis – gut! Der würde zu bezahlen sein! Aber das Flugzeug …?! Das Flugzeug …! Viktor war nicht reich, hatte noch letztens betont, daß seine Kasse so gut wie leer sei! Wer sollte das Flugzeug bezahlen?! – Mafalda …?! – Niemals! Alles sträubte sich in Hartwichs Seele gegen diese Inanspruchnahme der zweifelhaften Fürstin – alles!
Und bedrückt legte er nun den Hörer weg, wollte das Zimmer wieder verlassen, drehte sich um …
Im Sessel am Kamin saß Doktor Dagobert Falz.
Georg hatte in leichtem Schreck die Hände etwas gehoben.
„Guten Abend,“ sagte die Eule von Sellenheim harmlos. „Sie sind überrascht, lieber Hartwich. Das müssen Sie sich abgewöhnen. So alte Leute wie ich, die gerade ihr zweites Leben beginnen, lieben kecke Streiche. – Doch ich will Sie nicht lange aufhalten. Ich weiß, daß Sie nun zunächst nach Berlin fahren, Sie drei …“
Hartwich machte förmlich entsetzte Augen. Es erging ihm genau wie Agnes: Doktor Falz, der allwissende, wurde ihm unheimlich!
„… Sie drei … und wollen mit einem Flugzeug nach San Miguel … – Zunächst seien Sie vorsichtig, falls Sie wirklich die Insel auf dem Luftwege erreichen sollten. Denken Sie an das, was der Zwerg über die Depesche nach Lissabon angab. Es dürfte also vielleicht schon die Konkurrenz am Vorgebirge Retorta eingetroffen sein. – Übrigens, Pannaru ist tot!“
„Mein Gott! – Hat Mafalda ihn …“
„Nein, nein … Er starb an … Gasvergiftung und ist auch schon bestattet. – Zweites, lieber Hartwich, darf ich Ihnen auf den Azorenschatz einen Vorschuß von einhunderttausend Dollar geben? Sie werden das Geld brauchen. – Bitte, hier sind drei Schecks. Nehmen Sie nur …“
Er drückte die drei Papiere dem Steuermann in die Hand.
„Gute Nacht … Glück auf!“
Und verschwand in der Ecke, wo die unselige Geheimtür im Getäfel verborgen war.
Georg Hartwich hörte das Schloß der Tür klingend zuschnappen und kam wieder zu sich.
Lächelte etwas blöde.
„Ich habe nicht mal Danke gesagt!“
Hartwich und Gaupenberg verließen das Schlafzimmer der Fürstin, die sich nun mit Helenes Hilfe zur Fahrt ankleiden wollte.
Erst unten im Herrenzimmer sagte der Steuermann zu seinem Freunde:
„Denk’ dir, Doktor Falz, der Einsiedler, war vorhin hier. Er läutete am Haupteingang, und ich ließ ihn ein. Er hat mir Geld geliehen …“
„Geld … Geld …?!“
„Ja. – Er muß ahnen, was wir vorhaben. Er sprach sich darüber nur ganz allgemein aus. – Hier sind drei Schecks.“
Gaupenberg stand wie vom Donner gerührt da.
„Falz?! … Geld … Schecks …?!“
„Nun ja. Näheres kann ich dir auch nicht erklären. Er verabschiedete sich sofort wieder.“
Viktor prüfte die Schecks.
„Hm – drei Berliner Großbanken! – An sich käme uns das Geld ja sehr gelegen.“
„Und ob! – Falz wünschte nur, daß wir Mafalda nichts von diesem Darlehn erzählen sollten.“
„Oh – das kann er habe!“ Gaupenberg war jetzt wirklich erfreut. Der Gedanke an die Geldbeschaffung hatte ihm schon Kopfschmerzen bereitet. „Schnurriger Kauz! Und gleich solche Summe! Und – dabei gilt er hier für bettelarm.“
„Wenn der Stöhner nichts hat, der Prahler hat gewiß nichts.“
Gaupenberg lachte. „Stimmt, alter Georg!“ Und fügte ernster hinzu: „Ich werde nun zu Johann in den Turm gehen und ihm wegen Sergius Bescheid sagen.“
Zur gleichen Zeit schrieb Mafalda mit farbloser Tinte folgenden Brief, – „Ein paar Abschiedszeilen für meinen Kammerdiener,“ hatte sie Helene erklärt.
‚Sergius, wir verlassen das Schloß. – Am Südrande des Moors steht eine dicke hohle Weide inmitten von Dorngestrüpp. In der Weide ist ein Zinkboot verborgen. Es gehört dem Einsiedler. – Inmitten des Moors liegt eine felsige große Insel. – Wenn du fliehst, halte dich dort eine Weile verborgen. Der Weg durch das Moor ist durch Erlenzweige, die an Birkenstämmen hängen, gekennzeichnet. Durchsuche die Insel. Es muß dort etwas zu entdecken geben. Nur Falz weiß etwas von ihrer Existenz. Ich traue ihm nicht. – Lomatz ist mit Gottlieb und Agnes auf der Sphinx entkommen.
Mafalda‘
Und mit anderer, sichtbarer Tinte schrieb sie auf die erste Seite:
‚Sergius, Sie haben mich schwer enttäuscht. Sie werden nun von Johann streng bewacht werden. Machen Sie gut, was Sie gefehlt haben, und werden Sie ein braver Mensch.
Mafalda Sarratow‘
Als Helene mit diesem Brief den Flur des Westflügels durchschritt, traf sie den Grafen, der gerade aus dem Turme kam.
Gaupenberg nahm ihr den Brief ab.
„Ich werde ihn Sergius persönlich abgeben. Es ist gut, Helene …“
Das Mädchen machte kehrt.
Gaupenberg fühlte ein leises Mißtrauen in seinem Herzen aufsteigen, wie er nun abermals die Turmtür öffnete und der Brief in seiner Hand Mafaldas zartes Parfüm mit der muffigen Turmluft mischte.
Abschiedsworte für Sergius?! Merkwürdig! Was hatte eine Fürstin Sarratow einem Verbrecher noch mitzuteilen?!
Die Briefklappe war nur lose eingeschoben.
Viktor zauderte.
Und wiederum dachte er da: ‚Pesthauch des Goldes!‘
Und – unterlag doch …
Las die wenigen Zeilen …
Schämte sich seines Mißtrauens.
* * *
Die Eule von Sellenheim verließ das Schloß auf unterirdischenem Wege, stieg durch das Erbbegräbnis wieder an die Oberwelt empor und wanderte durch die schweigende Nacht der Ruine zu.
Unten am Gaupa-See neben dem Bootsschuppen blieb Doktor Falz stehen.
Leichte Nebel strichen über den kleinen Bergsee hin.
„Ein großer Erfinder ist er,“ murmelte der Einsiedler und dachte an Gaupenberg und die wunderbaren Sphinxstrahlen.
„Aber – ein Charakter, der erst im Feuer des Schicksals geläutert werden muß. – Arme Agnes! Mein armes Kind.“
Er seufzte, wickelte sich fester in seinen Mantel ein, dem das Parfüm Mafaldas noch anhaftete.
„Und das Schicksal, Graf Gaupenberg, wird für dich der Goldschatz der Azoren sein! Auf diese Weise ist das verfluchte Gold doch mal zu etwas nütze, ist das Elixier, das die Schlacken abwäscht von den Seelen der Guten und Leib und Seele der Schlechten der Verdammnis zuführt.“
Sein Kopf hob sich.
Über ihm das nächtliche Firmament.
Die andere Welt, die Welt der ewigen Gestirne, die einst schon dem ersten Kulturvolke der Erde, den Ägyptern, schimmerten und sie veranlaßten, die Lebensbahn der Erdenpilger aus dem Lauf der Sterne zu berechnen.
Wie des alten Mannes junge Augen so gen Himmel starrten, nahm sein Gesicht einen Ausdruck stiller Verzückung an.
Seine Hände glitten ineinander, falteten sich über der Brust, streckten sich flach wieder empor, so, wie man’s auf altägyptischen Skulpturen findet.
… Doktor Dagobert Falz betete zu einem Gotte. Zu dem Gotte, den ihm die Aufzeichnungen des Schülers des berühmten Theophrasten Parazelsus hatten finden lassen.
Zum Gotte des Weltalls, zum Weltall, zu der Unzahl der fernen, fernen Welten …
Immer starrer wurde sein Blick hinter den funkelnden Brillengläsern.
Immer regloser seine Gestalt.
Fahle Farbe überzog seine Wangen.
Nur seine Lippen murmelten Worte, Bitten, Beschwörungen.
„Ihr dort, die Ihr Eure Strahlen ausschickt über das Erdenrund, Ihr, die Ihr alles seht, was armselige Menschlein eigenes Handeln nennen und was doch nur erzwungenes Wandern auf vorgeschriebener Bahn ist, – Euch, Ihr Ewigen, beschwöre ich als Gläubiger, zeigt mir, wo das Wesen wohl weilt, dem mein gütiges Herz in reiner Liebe entgegenschlägt!“
Ein Windstoß fuhr da über die Berge hin.
Die Wälder rauschten auf. Die Nebel zerstoben.
Und Schweißperlen rannen über das fahle Gesicht des Einsiedlers von Sellenheim.
Seine Augenlider hatten die blinkenden Sterne seines Antlitzes verhüllt.
Und doch … sah er …
Sah eine schmale Gasse mit uralten maurischen Häusern.
Sah schwankende Öllaternen an rostigen Ketten.
Und ein Weib, das in besinnungsloser Angst die Gasse entlanggerannt kam, hinter ihm drein ein Mann in der kleidsamen Tracht der spanischen Stierkämpfer.
Das Weib warf die Arme in die Luft.
Das Kopftuch glitt nach hinten.
Agnes war’s … Agnes Sanden …
Und fiel stolpernd in einen Hauseingang, halb aufgefangen von einem dicken geputzen Frauenzimmer.
Wurde in den Hauseingang gezerrt …
Die Tür schlug zu.
Der Stierkämpfer stand und schaute zu der knallgelben Laterne empor, die an diesem Hause wie ein häßlicher Mond in dem Halbdunkel der Gasse vielsagend lockte …
Dann wurde das Bild der Gasse wieder undeutlich. Die Konturen verwischten sich.
Rote Nebel nur noch.
Rote Nebel.
Und – mit qualvollem Stöhnen riß Doktor Falz die Lider auf.
Seine Arme sanken.
Zucken ging durch seinen Leib.
Er erwachte – wie jene ägyptische Priester erwachten, die zu Isis und Osiris beteten und tagelang wie im Starrkrampf dalagen.
Doktor Falz ging tiefgesenkten Hauptes weiter.
Eisesschauer schüttelten seinen Leib.
Zum ersten Male war ihm in dieser Nacht die furchtbare Beschwörung gelungen.
Und nicht eine Sekunde lang zweifelte er, daß die Bilder, die er soeben geschlossenen Auges geschaut, im selben Moment auch tatsächlich Geschehen gewesen.
Er beruhigte sich allmählich. Die Angst um Agnes schwand.
„Liebe und Menschentum muß erst durch Fegefeuer gehen, bis es vollkommen ist,“ so stand’s in der Niederschrift des Lieblingsschülers des großen Parazelsus.
Doktor Falz schob die Tür der Ruine auf.
Zündete im Flur die Karbidlampe an und schritt den Gang hinab bis dorthin, wo die geborstenen Mauern den Weg versperrten, wo nur ein wüster Schuttberg lagerte.
Und hier bückte er sich.
Hier war in die metergroße Steinplatte des Bodenbelags eine Figur eingemeißelt, eine ägyptische Gottheit, ein Hermaphrodit, Weib und Mann in eins, auf einem Throne sitzend, einen Krummstab in der Hand, auf dem Haupte die heilige spitze Mütze.
Bückte sich der Einsiedler von Sellenheim und legte die Rechte auf die Stirn des Hermaphroditen mit starkem Druck.
Die Platte sank … Klappte als Falltür nach unten.
Doktor Falz stieg die Steintreppe hinab, ließ die Platte wieder hochschnellen.
Befand sich in dem Arbeitszimmer des Luithard Brandfels, des Schülers des Meisters der Magie, des berühmten Parazelsus.
Befand sich mit Luithard Brandfels zusammen hier unten.
Zusammen mit der Mumie des Alchimisten, die dort auf altem Ledersessel hockte, unheimlich gut erhalten, wie ein Schlafender, infolge der Tränke, die der Tote als Lebender noch gebraut und in seiner Sterbestunde genommen. –
Doktor Falz stellte die Lampe auf einen großen plumpen Eichentisch mitten zwischen seltsame Gläser, Röhren, Flaschen und Instrumente. Zündete zwei große Karbidhängelampen an, warf den Mantel ab und trat vor die Toten hin.
Ernst, feierlich … – „Gefährte meiner Einsamkeit, ich danke dir. Heute ist’s mir geglückt. Ich sah, was du oft gesehen, Ereignisse, die sich in der Ferne abspielten! – Deine Aufzeichnungen sind auch in diesem Punkte keine bloßen Phantastereien. – Gold lehrtest du mich bereiten. Das war das erste. Noch nicht voll habe ich deine Kunst erfaßt. Ich werde die rote Tinktur verbessern. – Das zweite war das Lebenselixier. Ich braute es ebenfalls nach deinen Angaben in Vollmondnächten. Es ist fertig. Du selbst hast dein Leben mit Hilfe dieses Elexiers um das Doppelte verlängert. Auch ich will noch leben, will wieder jung werden. – Und das dritte prüfte ich heute. Es gelang. Ich habe Agnes gesehen.“
Er verneigte sich vor der Mumie, die in ihrer mittelalterlichen Tracht wie eine aus frohem Maskengetriebe hierher geflüchtete Erscheinung wirkte. –
Doktor Falz trat in eine Ecke des Raumes, der mit Schränken, Bücherbrettern und Holzkästen dicht besetzt war.
Aus einem Käfig nahm er einen altersschwachen, blinden zahnlosen Jagdhund mit zarter Sorgfalt heraus und stellte ihn auf einen der Tische.
Er hatte diesen Hund vor zwei Wochen einem Jagdaufseher abgekauft, der das Tier hatte erschießen wollen.
Der Hund zitterte vor Schwäche und legte sich nieder.
Doktor Falz mischte in einer Schale klares Wasser mit genau acht Tropfen aus einem länglichen Fläschchen mit eingeschliffenem Glasstöpsel.
Auf dem Fläschchen klebte ein Papierschildchen, worauf in roten zierlichen Buchstaben stand:
Arcanum
Es war das Lebenselixier, dessen Wirkung der Einsiedler von Sellenheim nun zunächst an dem Hunde erproben wollte.
Die acht Tropfen hatten das Wasser goldgelb gefärbt und ihm einen wunderbar aromatischen Geruch verliehen.
Doch der Hund bog den Kopf zurück, als der Doktor ihm nun die Schale hinhielt, zeigte Widerwillen und suchte sogar rückwärts zu kriechen.
Der Doktor war enttäuscht.
Überlegte.
Packte dann den Kopf des Hundes mit der Linken und drückte ihm die Schnauze in die Schale.
Der Hund schüttelte sich, leckte das Maul und begann freiwillig zu saufen.
Als die Schale leer war, trug der Doktor ihn wieder in den Käfig auf das weiche Heulager.
„Warten wir ab,“ murmelte er.
Sergius Petrow, in Wahrheit Alfonso Jimminez, Geheimagent der Republik Patalonia, hatte den Brief Mafaldas mürrisch aus des Grafen Hand entgegenkommen und achtlos vor sich auf das Deckbett geworfen.
Nachdem Gaupenberg das Turmgemach wieder verlassen hatte, richtete Sergius sich etwas auf und rief dem am Ofen sitzenden Kutscher Johann matten Tones zu:
„Stellen Sie doch Tisch und Lampe hier ans Bett. Ich möchte den Brief lesen.“
Johann tat’s, rückte auch seinen Lehnstuhl herbei, setzte sich wieder und vertiefte sich aufs neue in sein spannendes Buch, das Graf Viktor ihm nebst anderen aus der Bibliothek mitgebracht hatte.
Sergius riß den Umschlag auf, faltete den Briefbogen auseinander und überflog die wenigen Zeilen.
Lachte höhnisch.
Schleuderte Johann den Brief hin.
„Da – lesen Sie! Moralpauke!“
Johann las und meinte: „Eine edle Frau, die Fürstin.“
Sergius bekam fast einen Lachkrampf, besann sich noch rechtzeitig, daß er ja weiter den Schwerkranken spielen wollte und sagte nur:
„Geben Sie den Wisch wieder her.“
Lachte leise, höhnischer, frecher.
„Werde ihn an die Lampenglocke stecken, damit ich die Moral so recht vor Augen habe!“
„Lump!“ knurrte der biedere Johann.
Trotzdem klemmte Sergius den Briefbogen unter der Glocke fest.
Und wartete.
Die Wärme des heißen Zylinders krümmte das Papier. Es bog sich wie vor Schmerzen …
Sergius wartete …
Und sagte dann kichernd:
„Nein, der Anblick allein genügt mir noch nicht. Ich werde Ihrer Durchlaucht fromme Episteln auswendig lernen.“
Und nahm den Briefbogen und … las …
Las den nun durch die Hitze sichtbar gewordenen Text …
Dann zerriß er das Papier in kleine Fetzen und zerkaute sie, schluckte sie hinab, höhnte:
„So – nun hab’ ich die Moral auch innerlich!“
Johann hatte gerade das spannende Kapitel aus Gerstäckers ‚Flußpiraten des Mississippi‘ vor und hörte gar nicht hin. –
Gegen fünf Uhr morgens erschien Helene im Turme, um Johann abzulösen.
Flüsterte ihm an der Tür zu:
„Um Mitternacht sind die Herrschaften weggefahren. – Hier – die Fürstin hat Ihnen Trinkgeld dagelassen … Zweihundert Mark …“
„Oh – eine sehr edle Dame. – Gute Nacht, Helene. Hier haben Sie den Revolver …“
„Nein. Damit verstehe ich nicht umzugehen. Ich hab’ mein Küchenbeil mitgebracht.“
Johann ging davon, und das behäbige Mädchen schloß hinter ihm die Tür ab. Der Gedanke, hier nun stundenlang einen Verbrecher bewachen zu müssen, erregte sie nicht weiter. Sie war eine sehr gelassene Natur, und bevor etwas an ihrer Seele rührte, mußte es erst die nicht geringen Fettschichten ihrer Walkürengestalt durchdringen. Außerdem war diese Helene auch außerordentlich kräftig, und so, wie sie nun mit wuchtigen Schritten, das Beil in der herabhängenden Rechten, sich dem Tische näherte, überkam Alfonso Jimminez ein leichtes Unbehagen.
Er wollte fliehen und zwar recht bald. Er durfte Mafalda und ihre Begleiter nicht aus den Augen lassen. Er spielte ja auch mit der ‚hohen‘ Regierung der glorreichen Republik Patalonia ein feines Doppelspiel. Die Herrschaften glaubten, er sei ein gefügiges Schäfchen, das mit der Hälfte des Schatzes zufrieden sein würde, – das heißt, diese Hälfte würde er natürlich nie erhalten, nie! Das wußte er. Wenigstens nie erhalten, soweit es nach dem Willen des Herrn Gesandten von Patalonia ging. Er kannte diese Banditen! Wenn die Sache erledigt war, würde man eben auch ihn erledigen! – Na – sie sollten sich wundern, die Herrschaften! Er mußte ja mit ihnen Hand in Hand arbeiten. Ein U-Boot läßt sich nicht mit einem Bindfaden aus fünfundvierzig Meter Tiefe herausholen, und auch zur Abwehr der Gegenparteien brauchte er die sogenannten Machtmittel der glorreichen Republik.
Der Gegenparteien …! Denn es waren nun zwei geworden, erstens die natürlichen Widersacher, Steuermann Hartwich und der Graf. – Zweites der Schuft, der Lomatz, der nun auf eigene Faust mit der Sphinx Schatzsucher spielen wollte, – dieser hinterlistige Schuft, der ihn hier mit dem Schüreisen niedergeschlagen hatte!
Wenn Alfonso Jimminez an Edgar Lomatz dachte, dann weitete sich sein Brustkasten in ungeheurer Wut und sinnloser Rachgier.
So auch jetzt, wo er nochmals überlegte, was er tun könnte, um aus dieser Patsche herauszukommen.
Da saß Helene, die Walküre, und las …
Zuweilen blickte sie auf. Aber Sergius lag ganz still da … Ganz still mit geschlossenen Augen, blinzelte nur durch die Lider ganz wenig hindurch.
Neben Helene auf dem Tische lag das Küchenbeil.
Sergius-Alfonso verzichtet von vornherein auf jeden Gedanken von Gewaltanwendung. Dazu fühlte er sich denn doch zu schwach. Er hatte immer noch leichtes Fieber, und ein Rückfall konnte ihn gänzlich als Mitspieler bei der Partie ‚Azorenschatz‘ ausschalten.
Also List … List …
Und dazu war die Dicke dort gerade das geeignete Objekt. Ihre geistige Regsamkeit entsprach durchaus ihren gemessenen Bewegungen.
Jimminez, politischer Agent der glorreichen Mulattenrepublik Patalonia, begann Pläne zu entwerfen.
Um eine Flucht zu erschweren, hatte man ihm die Kleider weggenommen. Das war mit am unangenehmsten. Im Nachthemd konnte er nicht gut ins Freie, nicht mal ins Schloß hinüber, um etwa vom Grafen das Nötige zu … leihen …
Eine verdammte Geschichte!
Schwer – sehr schwer.
Und Jimminez fühlte zudem, daß sein leicht entzündetes Hirn das scharfe Denken nicht ertrug.
Eine verdammte Geschichte!
Gewiß – flüchtig dachte er auch an Pannaru, den Zwerg. Der mußte ja längst wieder aus Berlin zurück und im Schlosse sein. Aber – auch das half ihm nichts! Pannaru war zu selbständigem Handeln nicht fähig.
Jimminez ahnte nicht, daß diese seine Gedanken über Pannaru den Tatsachen in traurigster Weise entsprachen. Pannaru würde nie mehr handelnd auftreten. Pannaru leistete den schweigsamen Mumien auf der Moorinsel Gesellschaft und würde selbst in kurzem zur Mumie werden.
Sergius-Jimminez fluchte im stillen.
Was tun – was tun?! – Es doch wieder mit Gewalt versuchen?! – Nein – unmöglich.
Fiel ihm denn heute gar nichts ein – gar nichts?! Sollte es so schwer sein, die Dicke dort hineinzulegen?!
Und da – ging plötzlich ein Zucken über sein Gesicht hin.
Eine Viertelstunde später raste die arme Helene wie gehetzt über den Schloßhof, raste zu Johanns Stallwohnung, donnerte gegen die Tür.
„Johann – Johann! Aufwachen! Der Sergius stirbt.“
Johann fuhr in die Unterhosen, die Oberhosen, den Schafpelz.
Öffnete, und Helene taumelte hinein.
„Er stirbt. Ich bleibe nicht bei ihm allein. Er röchelt so furchtbar.“
Der alte Johann machte ein sehr bedenkliches Gesicht.
„Hm, Sie haben ihn doch hoffentlich eingeschlossen, Helene?“
„Ja, das hab’ ich … Der Schlüssel steckt von außen …“ –
Und – von innen lauerte jetzt Sergius auf den Erfolg seiner List. Er hatte sich in die Steppdecke gehüllt, stand neben der Tür hinter dem Schranke, hatte die Lampe etwas herabgeschraubt und das Bett so hergerichtet, daß noch ein Mensch darin zu liegen schien. –
Johann drehte den Schlüsse um, trat mit vorgehaltenem Revolver zögernd ein. Noch zögernder folgte Helene.
Und dann erhielt die Walküre einen Stoß in den Rücken, flog wie ein Riesenball auf den dürren Johann, riß ihn nieder.
Die Tür knallte zu, der Schlüssel wurde zweimal von außen gedreht, und Alfonso Jimminez lief auf Pantoffeln ins Schloß, in des Grafen Schlafzimmer.
Als er sich angekleidet hatte, ging er in die Bibliothek an den großen Gewehrschrank und steckte eine kleine Mauserpistole nebst Patronen zu sich.
Dann suchte er die Küche, die Speisekammer auf, packte Eßwaren zusammen und … sah beim Verlassen des Schlosses durch den Hofausgang im Flur ein Motorrad stehen.
Pannarus Motorrad!
Jimminez ahnte jetzt, daß dem Zwerge irgend etwas zugestoßen sein müsse.
Er nahm das Rad und schob es ins Freie.
Hörte da auch schon vom Turme her den Knall eines Revolverschusses.
Noch einen …
Der verdammte Johann feuerte offenbar durch das Turmfenster in die Luft, um Hilfe herbeizurufen.
Noch ein Schuß.
Jimminez beeilte sich, strebte durch den Park der Chaussee zu.
Erreichte sie.
Wieder ein Schuß vom Schlosse her.
Und dort – dort hielt ein Wagen auf der Chaussee, ein Bauernwagen, dunkle Gestalten darin.
Jimminez fluchte, schwang sich auf das Rad.
Knatternd setzte der Motor sich in Gang, und Jimminez sauste die Chaussee nach Sellenheim zu hinab … – –
* * *
Im Berliner Tiergartenviertel in stiller vornehmer Straße lag das villenartige Haus, in dem Seine Exzellenz Ramon Orsaro, Gesandter und bevollmächtigter Minister der Republik Patalonia, im ersten Stock wohnte. Im Erdgeschoß und im zweiten Stock befanden sich die Büros der Gesandschaft.
Am 15. Februar 1919 war Seine Exzellenz, ein fetter Herr von gelblicher Gesichtsfarbe, gegen zehn Uhr vormittags gerade dem Morgenbade entstiegen und wurde nun von einem geschwätzigen Masseur sachgemäß auf dem Diwan des Badezimmers bearbeitet.
Da erschien Seiner Exzellenz langjähriger Diener und flüsterte ihm etwas zu.
Worauf Exzellenz den Masseur sofort wegschickte, seine schwammige Mißgestalt in einen Bademantel hüllte und in sein Herrenzimmer hinüberging, wo Alfonso Jimminez völlig erschöpft von der rasenden Fahrt in einem Klubsessel halb ohnmächtig dahindämmerte.
Exzellenz warf einen prüfenden Blick auf den erschlafften Agenten.
„Was ist geschehen, Jimminez?“ fragte er ängstlich.
Und fünf Minuten später erteilte Ramon Orsaro dem Botschaftsrat Largossa eine Menge Befehle, und Sennor Largossa schickte sofort zwölf zuverlässige Angestellte der Gesandtschaft dorthin, wo man etwa in Berlin ein Flugzeug zu kaufen bekam – nach Johannistal drei Leute, – den Rest aufgeteilt anderswohin.
Um ein Uhr mittags telephonierte einer dieser Spione, daß eine Dame und zwei Herren mit einem großen Militärdoppeldecker und dem Piloten Fritz Bauer vor einer Stunde in Adlershof vom Startplatz der Maxim-Fabrik aufgestiegen seien. Das Flugzeug hätte der eine Herr sofort bezahlt. Der Beschreibung nach seien die drei die Gesuchten gewesen.
Exzellenz Orsaro wandte sich an Jimminez, der mindestens dreimal so schlau als der Herr Gesandte und mindestens ebenso frei von jedweden Gewissensskrupeln war.
„Was nun, Jimminez?“
Alfonso hatte inzwischen eine Stunde geschlafen, gebadet, gefrühstückt und seine Kopfwunde frisch verbinden lassen.
War zu allen Schandtaten bereit, lächelte und meinte:
„Exzellenz müssen der Jacht „Otritis“ das Nötige funken. Fritz Bauer ist einer der besten deutschen Flugzeugführer. Es ist anzunehmen, daß er die Insel San Miguel erreicht, zumal der neue Typ der Maxim-Doppeldecker technisch geradezu glänzend durchkonstruiert ist. Der Doppeldecker wird natürlich vor der „Otritis“ am Vorgebirge Retorta eintreffen. Aber die Jacht wird bei den Insassen des Maxim als harmloses Privatfahrzeug keinerlei Verdacht erregen. Mithin wird man Gaupenberg nebst Anhang jetzt abfangen können.“
„Sehr gut … – Und Sie, Jimminez?“
„Ich fliege natürlich hinterdrein. Exzellenz müssen mir ebenfalls ein Maxim-Modell beschaffen – umgehend …“
„Hm – etwas kostspielig! Die Sache eilt doch nicht so. Wenn die Besatzung der „Otritis“ die vier Insassen des Maxim erst an Bord hat, wenn also auch die Fürstin, die doch zu uns gehört, sich mit Kapitän Bracklist in …“
„Die Fürstin?!“ lachte Alfonso, und sein Gesicht ward zur Fratze. „Die Fürstin, Exzellenz, ist Weib. Ich traue ihr nicht mehr. Außerdem vergessen Exzellenz ganz und gar, daß zu einem Skat drei Spieler gehören. Der dritte ist Lomatz mit der Sphinx, der gefährlichste!“
„Caramba – der Lump!“
„Hm – ein gewesener Verbündeter von uns, Exzellenz.“
„Solche Anspielungen verbitte ich mir,“ brauste Orsaro auf. Besänftigte sich aber rasch.
„Sie meinen also, Jimminez, daß Sie Lomatz’ wegen ein Flugzeug brauchen?“ fragte er nachdenklich.
„Ja, das meinen ich. Lomatz muß genau so verschwinden wie die anderen Mitwisser des Geheimnisses, und die Sphinx muß unser werden. Der Staat, der als ersterer mit Hilfe der Sphinxstrahlen sich eine Flotte gepanzerter Luftkreuzer schafft, kann der Welt Gesetze diktieren.“
„Allerdings. – Gut, in zwei Stunden können Sie aufbrechen, Jimminez. Und Sennor Largossa wird Sie begleiten.“
„Ich brauche keinen Aufpasser, Exzellenz.“
„Oho …!“
„Wir kennen uns doch, Exzellenz! Wenn ich Sie betrügen will, wird auch Largossa das nicht verhindern können. Ich will Sie aber nicht betrügen. Ich bin mit der Hälfte des Goldes zufrieden.“
„Hm – und … und die Sphinx?“
„Darüber reden wir später, Exzellenz. Wir haben sie noch nicht …“
Nördlich von Lissabon an den Ostabhängen des Junto-Berges zieht sich ein uralter Saumpfad entlang, dicht vorüber an dem stillen romantischen Junto-See, dessen turmhohe, steile Ufer ihm den Namen ‚Granada Topaka’, großer Topf, eingetragen haben, – vorüber auch an dem Wirtshaus des sehr ehrenwerten Don Porfirio Estremaldo, das so hart am Seeufer steht, als müßte es mit dem nächsten Bergrutsch hinab in die Granada Topaka sausen.
Aber – es saust nicht hinab. Es steht da schon ein paar hundert Jahre, und es war ursprünglich der Edelsitz der edlen Familie Estremaldo, sank dann von Stufe zu Stufe genau wie die Familie Estremaldo und hatte in diesen Februartagen 1919 zum ersten Male wieder sich auf seine vornehmer Abkunft besonnen und war … außen frisch gestrichen worden, ziegelrot und weiß, was sich bei dem Hintergrund der grünen Berghänge recht hübsch ausnahm.
Don Porfirio Estremaldo kehrte soeben von einem seiner geheimnisvollen Ausflüge nach Lissabon im flinken Maultierkarren heim. Es war elf Uhr abends, und vom Meere her fegte ein scharfer Wind um den Junto-Berg.
Estremaldo, lang, hager und mit einem verkniffenen Gaunergesicht, warf seinem Ältesten die Zügel zu, sprang aus dem schmalen, von einem Leinenverdeck überwölbten Karren und fragte kurz:
„Was Neues, Estevan?“
„Ja … Ein Fremder, der euch zu kennen behauptet, Vater.“
„Du kennst ihn nicht?“
„Nein. Ein Deutscher ist’s …“
Don Porfirio schob dem eleganten Velourhut ins Genick.
„Hm … Deutscher?“ Er sann nach. „Der Name, Estevan?“
„Lomatz, Vater …“ – Estevan führte den Karren um das Haus herum nach dem dicht an den Abhang geklebten Stall.
Estremaldo pfiff durch die Zähne. ‚Aha – der Sennor Lomatz!’ schmunzelte er in Gedanken an das viele Geld, das er während des Krieges durch den Spion verdient hatte.
Indem trat schon aus der Tür des großen Steinkastens von Haus Edgar Lomatz ins Freie.
Der Mond stand als Sichel über der Granada Topaka und gab genügend Licht.
„Hallo, Estremaldo!“ rief Lomatz vertraulich. „Feine Überraschung, nicht wahr? Haben uns lange nicht gesehen.“
Sie drückten sich kräftig die Hand.
„Was treibt Ihr denn hier?“ meinte Don Porfirio gleichfalls mit jener listigen Vertraulichkeit, wie sie zwischen dunklen Ehrenmännern vom Schlage dieser beiden üblich ist.
„Ich suche ein Dutzend Kerle, auf die ich verlassen kann,“ ging Lomatz ohne Umschweife auf sein Ziel los.
„Ah so … – Geschäfte!“ grinste Porfirio.
„Ja. – Könnt Ihr mir ein Dutzend Burschen besorgen, die schon zur See gefahren sind, aber noch nicht im Zuchthaus saßen? Also anständige Kerle! Vielleicht Schmuggler von der Küste.“
„Hm – kommt ins Haus, Amigo. Bereden wir das in Ruhe …“
„Bedaure. Habe keine Zeit, warte hier schon eine Stunde.“
„Wo wohnt Ihr denn? Ihr könnt doch hier bei mir nächtigen.“
„In Lissabon, Porfirio. Ich will den Nachtzug von Vedras zur Rückfahrt benutzen.“
„Unsinn, Amigo. Meine Maultiere bringen euch bequemer hin. – Komm!“
„Nein, es geht nicht, Porfirio. – Also, wie ist’s mit dem Dutzend Kerle?“
„Zu wann?“
„Sofort …“
„Sofort?! Was heißt das?“
„Es ist jetzt elf Uhr. Um vier morgens sollen die Burschen oben auf dem Junto sein.“
„Alle Heiligen! Auf dem Junto? Wozu das?“
„Will sie dort in Empfang nehmen. Jeder bekommt monatlich tausend Mark.“
„Alle Heiligen! Viel Geld!“
„Und Ihr für die Vermittlung fünfhundert.“
„Hm – legt noch fünfzig zu!“
„Abgemacht. Hand her, Porfirio! Aber – nur Leute, die verschwiegen, zuverlässig und mit dem Meere vertraut sind.“
„Könnt Ihr haben. Und die Anzahlung?“
„Erhalten die Burschen auf dem Junto oben, Waffen müssen sie mitbringen.“
„Waffen!“ Porfirio pfiff einen Triller. „Amigo, Amigo, – ist’s was Gefährliches?“
„Wie man’s nimmt.“
Der Portugiese kaute seinen parfümierten schwarzen Schnurrbart.
„Hm – könnte nicht mein Estevan mitmachen? Der Junge ist kräftig, sehr kräftig.“
Lomatz überlegte.
„Meinetwegen!“ Und doch war er entschlossen, Estevan im letzten Moment noch heimzuschicken – unter irgend einem Vorwand und mit gutem Gelde. Denn verderben durfte er es mit Porfirio nicht. Er brauchte ihn noch. Sogar sehr notwendig.
Und so begann er denn von neuem:
„Ihr könntet mir noch einen anderen Gefallen tun, Estremaldo. Ich habe da eine Sennorita und einen alten Mann aus Deutschland mitgebracht, auch einen Hund, die mir unbequem werden könnten.“
„Alle Heiligen! Ihr habt jetzt ja sehr dunkle Geschäfte, Amigo!“
„Könntet Ihr die beiden also bei Euch verbergen? Das heißt – so verbergen, daß sie nicht fliehen können?“
„Was zahlt Ihr?“
„Tausend …“
„Gut. – Wo sind die beiden? Den Hund ersäufen wir im See. Was soll das Vieh?!“
„Der Hund bleibt leben, Porfirio. Ich bin abergläubisch.“
Estremaldo bekreuzigte sich. „Ist’s ein Fennar?“
„Vielleicht,“ erwiderte Lomatz ausweichend.
„Und das Mädchen ist … schön?“
„Ja…“
Estremaldo nickte zufrieden.
Und meinte: „Soll Euch Estevan nicht bis zur Bahnstation fahren?“
„Nicht nötig. Ich gehe schon. – Lebt wohl, Porfirio … Ich habe Euer Wort: zwölf Mann – um vier Uhr morgens auf dem Junto …! Dort übergebe ich Euch auch die Gefangenen.“ Er verbesserte sich hastig: „Nein, ich bringe sie Euch vorher. So gegen drei Uhr morgens.“
Noch ein Händedruck, und Lomatz eilte den Saumpfad entlang, verschwand in der Dunkelheit.
Estremaldo war mit ein paar langen Sätzen hinten im Stalle, verständigte seinen Sohn, der mit einem Ruck einen alten braunen Baskenmantel aus Schlafwolle vom Nagel riß und Lomatz lautlos auf weichen Pompas, den selbstgefertigten Schnürschuhen, wie ein Schatten folgte.
Lomatz hatte mit bewundernswertem Geschick die freilich sehr leicht zu steuernde Sphinx in großen Höhen über halb Europa gen Südwest schweben lassen.
Nur eine einzige Zwischenlandung hatte er gewagt und zwar abends bei dichtem Nebel in den endlosen Heidestrecken der Normandie. Hier war’s, wo er zum ersten Male sich um seine Gefangenen kümmerte. Mit dem Revolver in der Hand öffnete er die Tür der kleinen Kammer und zwang den infolge der flehentlichen Bitten Agnes Sandens leidlich gefügigen Gottlieb, mit dem Teckel Kognak in einen anderen Raum, ein noch engeres Gelaß, überzusiedeln. Er versorgte die Gefangenen auch mit Speise und Trank und suchte, einer Regung an Menschlichkeit folgend, ihnen alle nur möglichen Bequemlichkeiten zu schaffen.
Nach diesem Aufenthalt von zwei Stunden ließ er die Sphinx wieder aufsteigen. Sein Plan war längst fertig. Er kannte die Umgebung von Lissabon sehr genau, kannte insbesondere die öden nördlichen Täler des Junto-Berges und die Räuberspelunke seines guten Freundes Porfirio Estremaldo.
So landete er denn bei Dunkelwerden, nachdem er mühsam sich aus der Höhe orientiert hatte, nach sechzehnstündiger Fahrt auf einem bewaldeten Höhenkamm unweit des Junto.
Er war nun zum Umsinken müde. Die Natur forderte ihr Recht. Er schlief auf ein paar Decken im Führerstand ein.
Erwachte – da war es zehn Uhr abends.
Nochmals sah er nach seinen Gefangenen. Agnes wechselte kein Wort mit ihm. Gottlieb Knorz empfing ihn mit Drohungen.
Lomatz lachte den Alten aus. Wurde ernst, drohte: „Sollten Sie auch nur einen Fluchtversuch wagen, schieße ich Ihren Kognak vor Ihren Augen tot! Richten Sie sich danach!“
Dann ging er …
Schloß die Mittelluke der Sphinx vom Deck aus ab und schwang sich an einem Baum auf die Erde, schlug die Richtung nach Don Porfirios Banditenburg ein und fand sich trotz der Dunkelheit gut zurecht.
Er glaubte, seine Gefangenen sicher untergebracht zu haben, glaubte auch, daß weder Gottlieb noch Agnes es gemerkt haben könnten, als er sich so leise entfernte.
Er hatte nur damit nicht gerechnet, daß die Sphinx, dieses plattgedrückte, spindelförmige Boot von nur zwölf Meter Länge, lediglich aus Aluminiumblech von vier Millimeter Dicke bestand, nur im Innern noch eine dünne Holzverkleidung hatte und sehr hellhörig war, da es nur zwei durchgehende Querwände und nur eine Längswand besaß.
Jedenfalls, Gottlieb Knorz wußte aus den in seine Kammer dringenden Geräuschen mit aller Sicherheit zu entnehmen, daß Lomatz die Sphinx verlassen und sogar die Hauptluke verschlossen hatte!
In seinem Gelaß war es blendend hell. Eine elektrische Birne hing von der Decke herab. Und Gottlieb, fest überzeugt, daß Lomatz längere Zeit wegbleiben würde, zögerte keinen Moment, den längst gefaßten Entschluß nun auch auszuführen.
Die Seitenwände und die Tür der Kammer waren zu festes, dickes Eichenholz, als daß sein starkes Gärtnermesser ihnen etwas angehabt hätte.
Anders die Holzverkleidung der Außenhaut der Sphinx! Sie bestand nur aus sanft gekrümmten dünnen Brettern.
Wir begann Gottlieb zu arbeiten.
Hier bohrte er zunächst ein Loch. Und als er erst soweit war, daß er die eine Hand zwischen Aluminium und Holz stecken konnte, riß er die Verkleidung in großen Stücken ab. Zwischen dieser und der Außenhaut war ein Zwischenraum von etwa zwölf Zentimetern. Ein in der Kammer liegender kleiner eiserner Bootsanker mit zwei Schaufeln diente Gottlieb nun als Hammer. Das Aluminiumblech löste sich schon nach zwei Hieben in den Nieten, und Minuten später hatte Gottlieb eine Platte halb losgesprengt, bog sie nach außen um und setzte zunächst seinen Kognak ins Freie, kroch hinterdrein und kletterte an Deck. Der Anker bewährte sich auch hier. Das Schloß der Schiebeluke sprang von selbst unter den wuchtigen Schlägen auf.
Gottlieb hastete hinab.
Holte Agnes … Der Riegel war ja nur vorgeschoben.
„Fragen Sie nichts!“ keuchte er.
Wieder ging’s an Deck.
Unten am Boden zwischen verdorrten Gräsern winselte der Teckel. Irgendwoher kam der Knall eines Schusses herüber, weckte Echos in den Bergen.
Gottlieb half Agnes. Ihre Hände umklammerten die harzige Bergtanne. Harz klebte an zarter Haut. Der Baum bog sich unter der Last, und sanft landete das Mädchen neben dem freudig an ihr emporspringenden Hunde.
„Wohin?“ fragte Agnes flüsternd.
Und nicht die Spur von Angst war in ihrer Stimme.
Seit jener Stunde, da Doktor Falz ihr von der wahren Liebe gesprochen, die erst durch ein Fegefeuer zur Läuterung gehen müsse, war sie ja eine andere geworden.
„Wohin?“ fragte sie nochmals
„Fort – nur fort! Der Schuft kann jeden Augenblick zurückkehren.“
Und Gottlieb drang in den Wald ein, hinter ihm Agnes … hinter ihr der halbblinde Teckel.
Nur schmal war der Waldstrich. Vor dem alten Manne mit der Hakennase und dem Falkenblick nun ein kahler Abhang.
Mondlicht bestrahlte Bergeinsamkeit.
Frieden, Stille ringsum. Und sanfter die Luft wie in der Heimat.
Agnes flüsterte neben dem Alten – träumerisch, wie entrückt den Sorgen hastenden Ereignisse.
„Schön ist das … so schön!“
Gottlieb lachte hart – ein innerliches Lachen:
„Ein Revolver wär’ mir lieber!“
Agnes’ Augen glitten von silbern umkränzten Höhen in schwarze Schlünde hinab.
Und da gewahrte sie auf hellerem Strich, der nur ein Pfad sein konnte, eine Gestalt – einen eilends aufwärtsklimmenden Mann: Edgar Lomatz!
All der Haß, den sie gegen den Elenden in tiefster Seele fühlte, schrie nach Tat – nach Vergeltung.
Ein Gedanke sprang in ihrem Hirn auf.
Und – lautlos huschte sie zunächst ins Dunkel des Waldes – zurück zur Sphinx, fand den eisernen Anker, hob ihn empor, schmetterte ihn gegen das Metallgehäuse am Heck des Bootes, gegen die Hülle der Sphinxröhre, deren Strahlen dem Apparat Flügel verliehen.
Knisternd, klirrend zerbrach die Röhre.
„Nun bist du gelähmt, Edgar Lomatz! Nun erobere den Schatz!“
Höhnischer Triumph schrie’s halblaut in das Rauschen des Waldes.
Und Agnes tappte zurück zu der Stelle, wo sie Gottlieb verlassen.
Leer der Platz … leer …
Und dort … dort nahte der Feind.
Hinter ihm drein aber gleich einer lautlos schwebenden Fledermaus im weiten Mantel ein anderer Mann.
Tief duckte Agnes sich in die Finsternis der schattenden Äste.
Und aus dem Dunkel heraus hinter ihr eine leise Stimme – Gottlieb Knorz:
„Was taten Sie, Agnes? Ich hörte ein Klirren, ein metallisches Dröhnen?“
„Die Sphinx ist unbrauchbar,“ gab das blonde Mädchen mit Hast zurück. „Ich habe die Sphinxröhre zerschlagen, den Lebensnerv des Fahrzeugs …“
Der alte Mann trat leise neben sie, und zwischen seinen Beinen leuchteten milchig die halb blinden Augen des Teckels Kognak.
„Still jetzt,“ warnte er. „Still.! Es ist Lomatz, der Schuft …! Und hinter ihm ein Verfolger … Wie wär’s, wenn wir den um Schutz bäten? – Doch – still … Sie nahen …“
Zwei Gestalten huschten nacheinander am Versteck der beiden Deutschen vorüber. Die zweite im braunen weiten Baskenmantel aus Schlafwolle, auf weichen selbstgefertigten Pompas, praktischen Lederschuhen. –
Edgar Lomatz hatte die Sphinx erreicht, hatte das Deck erklettert. Das zerschlagene Lukenschloß sagte ihm, was geschehen.
Ein wilder Fluch entrang sich seinen Lippen …
Und Minuten später hatte er auch das Loch in der Außenhaut der Sphinx entdeckt, hatte ebenso am Heck den schlimmsten Schaden bemerkt, die zertrümmerte Röhre!
Da war er aschfahl vor ungeheurer Erregung geworben. Er zitterte. Sein Grimm kannte keine Grenzen. Die geballten Fäuste warf er zum Nachthimmel empor, keuchte – und es klang wie ein heiserer Schrei:
„Erwürgen tu’ ich den Alten …! Mit diesen meinen Händen! Er … wür … gen! Er soll’s mir bezahlen! Machtlos bin ich! Die Sphinx einen Wrack, ein zweckloses Gehäuse aus Aluminium! Machtlos … machtlos.!“
Und – da schoß ihm jäh eine heiße Blutwelle zu Kopfe …
Seine Arme sanken. Körper- und Gesichtsmuskeln entspannten sich.
Ein dämonisches Lächeln glitt über das hagere Antlitze. Die farblosen Augen sprühten.
Und im Nu war er wieder im Innern der Sphinx.
War in der einen Heckkammer … Riß eine Kiste auf …
Und das Licht der pendelnden Glühbirne beleuchtete die in Holzwolle sauber verpackte Ersatzröhre – die Sphinxröhre, neu, unbeschädigt – den gesunden Lebensnerv des kleinen und doch so gigantischen Flugbootes. –
Edgar Lomatz suchte weiter …
Fand hier noch zwei Ersatzröhren.
Seine Brust hob sich unter unendlichem Jubel. Nicht machtlos – – nein! Eine Kleinigkeit war’s, die neue Röhre in das Gehäuse einzufügen, dieses wieder auszubeulen … Und dann … dann war die Sphinx, was sie gewesen, – das genialste Luftschiff aller Zeiten!
Doch – abermals kamen dem gewitzten Verbrecher allerlei Bedenken …
Seine Stirn krauste sich.
Agnes und Gottlieb Knorz waren frei.
Wenn sie nun zum Beispiel den Weg nach Porfirio Estremaldos Spelunke fanden, wenn sie Porfirio …
Oh – er mochte all das gar nicht zu Ende denken! Er kannte Porfirio. Der war treu, so lange man ihn sah … Der brauchte nur zu wittern, daß es hier um Milliarden ginge, und – er, Edgar Lomatz, würde die Fische unten in der Granada Topaka, im stillen Bergsee, füttern – mit eigenem Fleische.
Wieder entschlüpfte da dem vielseitigen, menschenkundigen Gauner einer Verwünschung.
Was tun – was tun?! – Zunächst natürlich die Sphinx reparieren und anderswohun bringen, denn Agnes und der alte Knorz kannten ja hier diesen Liegeplatz des Bootes.
Zunächst …!
Und – ein Mann wie Lomatz zögert nicht lange. Er hat schon oft erfahren, daß Sekunden entscheidender sind als nutzlose minutenlange Erwägungen. Das Dringendste zuerst. Dann weiter zusehen, was geschehen muß …
Und so machte er sich denn ans Werk.
Arbeitete schweißtriefend, und doch ohne Hast. Arbeitete sorgfältig. Hatte in einer Viertelstund die Röhre eingefügt. Eilte in die runde Kabine unterhalb der Luke, in das Hirn der Sphinx, wo die Schalthebel und Räder blinkten, die Zeiger und Skalen, die Höhenmesser, die Barometer – die Hirnzellen des genialen Schiffes.
Schaltete vorsichtig die Röhre ein …
Ein Ruck …
Die Sphinx hob sich. Die Anziehungskraft der Erde war besiegt. Keine tote Masse war die Sphinx mehr. Sie lebte, schwebte zum reinen Firmament, den Sternen entgegen.
Und zur selben Zeit trafen Agnes Sanden, Gottlieb Knorz und Kognak, geführt von Estevan Estremaldo, in den Grotten des Juntoberges ein.
Das war so gekommen:
Estevan, seines Erzeugers Ältester, zweiundzwanzig Jahre, – ein Kerl wie eine Zeder so schlank, wie ein Bär so stark, dabei ein Gesicht von jener verwegenen Kühnheit, das alle Weiber toll macht.
Und dazu nur ein ganz bescheidener Lump, noch nicht völlig verdorben, groß geworden inmitten der besonderen Ehrbegriffe von Schmugglern, Banditen, Fälschern und Dieben.
Immerhin, im Grunde ein anständiger Kerl! Viel zu anständig für des Vaters alles umfassende Ausgekochtheit.
Dieser Estevan, im weiten Baskenmantel und breiten Filz phantastisch und unheimlich zugleich, war auf seines Vaters Geheiß dem fragwürdigen Edgar Lomatz nachgeschlichen, war bis zum Rande des Waldstreifens vorgedrungen, sah nun die Sphinx vor sich.
Seine Adleraugen, von nächtlichen Streifzügen katzenartig geschärft, erkannte das große Boot mit den Propellern, staunten es an wie einen Spuk.
Ein Boot hier in den zerklüfteten Abhängen des Junto – auf festem Lande?
Unmöglich – unglaublich!
Und doch – es war da.
Es war kein Spuk.
Auch Lomatz war da, stand am Heck und reckte die Fäuste gen Himmel …
Estevan, im Finstern, mit der Finsternis in eins verschmelzend, begriff nichts von alledem.
Ja – wenn das Boot noch ein Flugzeug gewesen wäre mit Tragflächen – oder eins jener aus Leinwand hergestellten, gasgefüllten Luftschiffe! Dann hätte er Bescheid gewußt.
Aber dies Ding da?! Ein graues richtiges Boot, spindelförmig, mit abgeplattetem Deck …?! – Nein – das ging über Estevans Horizont! –
Als Lomatz jetzt wieder im Inneren der Sphinx verschwand, da begab es sich, daß Estevans Luchsohren hinter sich im Gestrüpp das vorsichtige Nahen eines lebenden Wesens spürten.
Die Rechte glitt unmerklich unter den losen Mantel – unter die Jacke – in den Gürtel …
Der lange persische Dolch, den Estevan vor einem Jahr in der Tanzkneipe der Sennora Sakibo einem Engländer gestohlen, – dieser Dolch kam zum Vorschein …
Und beides sank, Dolch und Mantel …
Estevan schnellte herum, hob mit der Linken schützend das eine Mantelende …
Ein blasses Mädchengesicht, umrahmt von blonder Haarfülle, schimmerte durch die Finsternis dicht vor Don Porfirios Ältestem.
„Karamba!“ entfuhr es dem schlanken Burschen – ganz leise nur …
Und ebenso leise hauchte das Mädchen:
„Sennor, schützen Sie uns …!“
Französisch sprach sie … Und Estevan verstand’s. Er hatte genug Geschäfte mit den Gaunern von drüben gemacht.
Wenn der brave, leicht schuftige Estevan schon vorher beim Anblick der Sphinx gestaunt hatte, jetzt war er vollständig kopflos!
Seine Katzenaugen sahen den berückenden Liebreiz des blonden jungen Weibes, und wie alle Südländer hatte auch Estevan für Blondhaarige eine Schwäche – oh, eine sehr große Schwäche … Zumal die echten Blondinen so selten waren. Denn die leicht zugänglichen Sennoritas der dicken Sennora Sakibo, – die waren ja nur blond gefärbt, das Haar gebleicht … Das war Schwindel! Man merkte es doch …
Dies hier – dies war echtes Blondhaar, von jenem nie künstlich vorzutäuschenden Farbenton! Das sah Estevan Estremaldo sofort.
Und wieder drang da das feine Stimmchen an sein Ohr:
„Schützen Sie uns!“
Estevan war kein schwerfälliger Bauer. In seinen Adern floß das Blut eines Geschlechts, das schon zu Zeiten des Entdeckers Kolumbus hervorragende Krieger und Staatsmänner geliefert. Diese jetzt so heruntergekommene Familie hatte sich in den männlichen Mitgliedern ihre Intelligenz und Tatkraft immer noch bewahrt, obwohl sie diese Eigenschaften jetzt nicht mehr zum Nutzen, sondern zum Schaden der Allgemeinheit betätigten.
Estevan war sogar in vielem noch schlauer als sein gewiß schon überaus gerissener Erzeuger. Vielleicht deshalb, weil er seine mangelhafte Schulbildung durch eifriges Lesen von allerhand Büchern ergänzt hatte. So wahllos diese Lektüre auch gewesen und noch war, denn Estevan kaufte sich in Lissabon beim jedesmaligem Besuch stets einen ganzen Berg alter Schmöker von den Straßenhändlern, – diese Lektüre hatte immerhin seinen Blick geweitet und ihm zu jener Fähigkeit verholfen, die bereits ein Zeichen höherer geistiger Schulung ist, zu der Fähigkeit, seine Gedanken folgerichtig zu ordnen, Ursache und Wirkung zu erkennen und die Beziehungen von Ereignissen, denen nur scheinbar ein Zusammenhang fehlt, durch Gedankenarbeit untereinander herzustellen.
Estevan Estremaldo war somit der Typ des verfeinerten portugiesischen Banditen, ein Mittelding zwischen Hochstapler, Schmuggler und Gelegenheitsdieb.
Und diesen jungen Menschen, der mit seinen zweiundzwanzig Jahren bereits der Held zahlloser Liebesabenteuer gewesen, flehte Agnes Sanden hier in der Bergwildnis des Junto in sternenflimmernder Nacht um Schutz an…
Estevan begriff sofort, dieses Mädchen gehörte irgendwie zu Edgar Lomatz, dem Deutschen! Und wenn Lomatz solch ein blondes engelhaftes Geschöpf hier nach Portugal geschleppt hatte, dann … wollte er es nur – nur an Sennora Sakibo verschachern, genau wie dies der Vater Estevans mit anderen Mädchen machte …!
Der junge Portugiese zauderte nicht, überlegte nicht …
„Sennorita – kommen Sie! Folgen Sie mir,“ flüsterte er. „Ich habe hier genug gesehen.“
Er nahm Agnes bei der Hand. Und Agnes wieder leitete ebenso den treuen Gottlieb Knorz, um den Estevan sich bisher gar nicht gekümmert hatte. Hinter Gottlieb wieder wackelte Kognak her.
So ging’s auf einem geschlängelten Pfade durch den stockfinsteren Wald – auf einem Pfade, den nur die instinktiv feinen Sinne eines Estevan finden konnten.
Abwärts ging’s.
Immer tiefer hinab – über steinige Terrassen, durch enge Schluchten, durch Gestrüpp.
Und während dieser drei Menschen und der halbblinde Hund so dahineilten, denn Estevan hatte seine Schritte sehr bald beschleunigt, als man außer Hörbereich der Sphinx war, – während dieser stillen, lautlosen Wanderung überlegte Estevan Estremaldo, wie er nun das Mädchen und den alten Mann zunächst verbergen könnte.
Seinen Vater ins Vertrauen zu ziehen, – das erwog er auch nicht einen Augenblick. Dann wäre die blonde Madonna erst recht verloren gewesen!
Und so fogte sehr bald auch ein bestimmter Entschluß, der so recht dem ganzen moralischen Empfinden des stattlichen Burschen entsprach.
Deshalb auch dieser Weg durch die Bergwildnis, der kein Weg war.
Nicht einmal ein Pfad. Und doch zauderte Estevan an keiner Stelle auch nur eine Sekunde. Er wußte hier Bescheid, war hier groß geworden – in Ungebundenheit und Wildheit wie die verwilderten Schafe und Ziegen, die niemandem gehörten, die wie Gemsen das Klettern und Springen gelernt hatten – und dazu die scheue Vorsicht des stets umlauerten freien Geschöpfes.
So ging’s eine gute halbe Stunde abwärts, dann einen natürlichen Zickzackpfad empor an einer schier unersteigbaren schroffen düsteren Felswand.
Einen Zickzackpfad, der auf einem schmalen Felsgrat endete, wo drei flache Riesensteine scheinbar zufällig wie ein Zaun am Rande standen.
Diese Steine verdeckten die Spalte, die sich von hier in die Wand hineinzog, breiter wurde und eine kleine Grotte bildete.
Schon am Eingang hatte Estevan eine einfache, seitwärts an einem in eine Ritze getriebenen Holzpflock hängende Laterne angezündet.
Der rötliche Laternenschein tanzte voraus, enthüllte nun die niedere Grotte, ein paar leere Holzkisten, ein Lager von Schaffellen und ein zweites, auf dem ein Mann in tiefem Schlafe lag.
Der Mann mußte halb tot vor Erschöpfung auf dieses Lager gesunken sein, denn er ermunterte sich erst, als Estevan ihn nun derb rüttelte …
„He – Manuel, – aufgewacht!“ rief Estevan … „Aufgewacht! Besuch ist da!“
Der blonde schlanke Mann schnellte hoch. Mißtrauen und kampfbereite Entschlossenheit sprachen aus der halb geduckten Haltung, in der er Agnes und Gottlieb musterte.
Dann lachte er leise. Ein seltsam melodisches Lachen. –
Estevan drehte sich den beiden Deutschen zu.
„Hier seid Ihr sicher,“ erklärte er kurz. „Da, Sennorita, setzten sie sich.“ Er deutete auf eine der Kisten. Und Agnes sank dann auch mit einem Seufzer auf den willkommenen Ruheplatz, während Gottlieb Knorz höchst argwöhnisch die beiden Männer aus scharfen jungen Augen abschätzte.
„Sennorita, Sie gestatten ein paar Fragen,“ fuhr Estevan in französischer Sprache fort, hier auch Gottlieb als dem langjährigen vertrauten Diener des Hauses Gaupenberg geläufig war.
Agnes sah sich gezwungen, in ihren Antworten mancherlei zu verheimlichen. Kein Wort fiel über den Azorenschatz, über die besonderen Eigenschaften der Sphinx.
„Gewaltsam entführt hat Lomatz uns,“, – das war der Hauptinhalt ihrer Erwiderungen.
Estevan merkte, daß das Mädchen ihm allerlei verschwieg. Vorläufig gab er sich jedoch zufrieden. Er hatte Zeit. Er würde alles erfahren – später.
Den blonden Mann mit dem intelligenten, stoppelbärtigen Gesicht zog er nun in eine Ecke.
„Manuel, du bürgst mir für die beiden,“ flüsterte er, und jetzt sprach er englisch. „Du bist mein Freund … Du wirst das Mädchen behandeln wie deine Schwester.“
Der Blonde lächelte etwas von oben herab.
„Estevan, ein Lord Goodbeari kann zum Hochstapler herabsinken. Er bleibt Gentleman. – Besorge mir jetzt Rasierzeug. In Gegenwart dieser jungen Dame schäme ich mich meiner Stoppeln.“
Lord Manuel Charly Douglas Goodbeari schaute nach Agnes hin.
Fügte hinzu: „Es paßt sich nicht, daß wir hier miteinander flüstern. Geh’ nur, Estevan. Du kannst von mir noch manches lernen.“
Der Älteste der Söhne Don Porfirio Estremaldos fühlte abermals die Überlegenheit des englischen Entgleisten.
„Ja – ich gehe,“ nickte er ein wenig verlegen. „Ich muß heim. Der Vater erwartet mich. Leb’ wohl, Manuel.“
Er machte Agnes eine Art Verbeugung, ließ die Laterne auf einer der Kisten stehen und eilte von dannen. –
Gottlieb Knorz lehnte an der kühlen Steinwand. Neben ihm hockte der Teckel.
Gottliebs klare leuchtende Augen, die das weiße Haar des Alters fast Lügen straften, hingen an der eleganten Erscheinung des Engländers.
Elegant – so war Goodbeari gekleidet. Elegant, wie man ihn vorgestern in Lissabon im Cafee der Sennora Sakibo hatte verhaften wollen.
Ein wunderliches Bild in dieser Umgebung, dieser überschlanke Lord in Smoking und Lackschuhen und Stoppelbart.
Der Lord trat auf Agnes zu
„Miß Sanden,“ sagte er in seiner Muttersprache, „dort links hinter den zerrissenen Wolldecken gibt es eine kleine Seitengrotte. Falls Sie sich dorthin zurückziehen und ruhen wollen, werde ich Ihnen ein Lager herrichten.“
Agnes neigte nur den Kopf. Sie war jetzt in einem Zustande völliger Gleichgültigkeit. Die Abspannung hatte die erregten Nerven wohltuend beruhigt.
Goodbeari winkte Gottlieb. „Helfen Sie mir,“ sagte er nun. – Es war der Ton des großen Herrn.
Fünf Minuten später lag Agnes auf weichen Fellen in der Nebengrotte. Über ihrem Haupte brannte eine Petroleumlampe mit Blechscheinwerfer, deren Licht durch ein paar alte Zeitungen gekämpft worden war. Dieser schwache Lichtschein traf Gottlieb Knorz und Kognak, die drei Schritte weiter auf alten Decken neben einem Tische ruhten, auf dem eine Handdruckpresse stand.
Gottlieb hatte neben diesem Tische in einer Spalte des Felsbodens ein paar zusammengeknüllte Papierblättchen gefunden und eins davon glatt gestrichen.
Es war … eine nur einseitig bedruckte portugiesische Banknote.
Ein … Falschstück – ein Fehldruck!
Das erkannte Gottlieb sofort.
Er unterdrückte das, was er Agnes am liebsten nach dieser Entdeckung zugeflüstert hätte.
Und das war ‚Wir scheinen aus dem Regen in die Traufe geraten zu sein!’
Er lag halb aufrecht da und kämpfte gegen den Schlaf an.
Nur ein Gedanke beherrschte ihn: Fliehen! Fliehen! – Denn das hier war keine Umgebung für seinen Liebling Agnes! Das waren hier Leute von ähnlichem Schlage wie Edgar Lomatz! –
Nebenan in der Hauptgrotte saß Lord Manuel Goodbeari, Sohn eines Engländers und einer reinblütigen Portugiesin aus dem Geschlecht der Herzöge von Santa d’Albatto, auf einer der Kisten und säuberte mit Hilfe des Wassers aus einem Steinkrug und eines seidenen Taschentuches seine schmalen Aristokratenhände, die ihn für den Beruf des Taschendiebes hervorragend geeignet erscheinen ließen.
Goodbeari überlegte das, was Agnes dem jungen Estevan geantwortet hatte. Da war fraglos irgend ein Geheimnis noch mit im Spiel – fraglos! Und ganz sicherlich eines von Wert. Man mußte dies ergründen – so oder so.
Seine Müdigkeit war wie weggewischt. Er erhob sich, nahm die Laterne und schritt lautlos dem Ausgang zu.
Ihn verlangte nach frischer Luft. Jetzt in der Nacht durfte er es schon wagen, sich draußen zu zeigen.
Nun stand er zwischen zweien der mächtigen Steine.
Mondlicht beleuchtete fahl die Umgebung des Tales unterhalb der schroffen Wand. Die gegenüberliegende Talseite war flach, eine kleine Hochebene, mit Gestrüpp stellenweise bewachsen.
Goodbeari zog sein Zigarettenetui, schweres Silber. Rauchte mit Andacht …
Vorgestern abend hatte er noch bei der dicken Sennora Sakibo nach den Klängen der Zigeunerkapelle mit schwach bekleideten Lebedamen Boston getanzt. Vorgestern … Und dann war Estevan gekommen, der die Kriminalbeamten draußen bemerkt hatte. Estevan war’s, der ihn hinten in den Maultierwagen unter Decken verpackte. So entkam Seine Lordschaft aus Lissabon.
Und seine Lordschaft lächelte jetzt. Ein müdes Lächeln im vornehm schmalen Gesicht. Das Lächeln der Entgleisten, die der Polizei ein Schnippchen geschlagen haben.
Das Lächeln erstarb jäh.
Manuel Charly Douglas Goodbearis Augen wurden schmal.
Da drüben senkte sich auf die Hochebene ein graues Etwas herab – still – ohne jedes Geräusch.
Das Luftboot – die Sphinx jenes Grafen Gaupenberg, den Agnes Sanden vorhin erwähnt hatte.
Der Lord schaute noch schärfer hin.
Er hatte nicht die Luchsohren Estevans. Nicht die Bärenstärke des jungen Portugiesen.
Als Gottlieb Knorz ihm nun von hinten die Hände mit eisernem Druck um den Hals legte, war Seine Lordschaft nicht fähig, sich irgendwie zur Wehr zu setzen. Er verlor das Bewußtsein, wurde gefesselt. Gottlieb hatte eine der Wolldecken in Streifen geschnitten. Das gab haltbare Stricke.
Was der Alte hier tat, entsprach ganz seinem Charakter, seiner Entschlossenheit und Tatkraft. Genau so, wie er sich einen Weg durch die Bordwand der Sphinx gebahnt hatte, handelte er hier. Der Lord mußte vorläufig ausgeschaltet werden. Nun war es geschehen.
Und Gottlieb blickte hinüber zur mondhellen Hochebene.
Dort lag nun, unsichtbar im Buschwerk, die Sphinx, die also doch nicht gelähmt worden war, wie Agnes gehofft hatte.
Und das war unter diesen Umständen nur erfreulich.
Der Alte ging und weckte Agnes Sanden.
Sie saß aufrecht, lauschte seinen hastigen Worten.
„Und dies hier fand ich in des blonden Manuel Beinkleidtasche,“ schloß er mit einem Aufblitzen der jungen Augen.
Eine Repetierpistole war’s, kleines Format.
Agnes sprang empor.
„Wir werden die Sphinx … erobern, Gottlieb …“
Er nickte. „Erobern – ja! Und … So wahr ich bisher keinem Menschen ein Haar gekrümmt haben, Edgar Lomatz wird diese Nacht nicht überleben!“
Mit verbissener Wut sprach er’s.
Agnes legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Nein, Freund Gottlieb, – nicht das, keinen Mord!“ Und ihre Stimme war ebenso fest wie die seine.
Er schob die Waffe in die Tasche.
„Wollen sehen,“ brummte er.
Dann verließen sie die Grotten.
Auf dem Feldlager in der Hauptgrotte lag Seine Lordschaft und tat gerade die ersten stoßweisen Atemzüge, als die beiden Deutschen und der Hund vorbei huschten.
Sennor Porfirio Estremaldo hatte, nachdem Estevan hinter Lomatz her im Dunkeln des Bergpfades verschwunden, sein Haus betreten und war in sein sogenanntes Arbeitszimmer gegangen.
Im Flur traf er seine Frau, ein verschüchtertes Weiblein, früh verblüht, Sklavin ihres Ehemannes, immer noch in hündischer Liebe an dem brutalen, treulosen Menschen hängend.
Er nickte ihr nur zu.
„Das Essen in mein Zimmer!“ und die Tür knallte ins Schloß.
Estremaldo zündete die große Hängelampe an und öffnete dann ein geheimes Fach in der Zwischenwand. Ein Telefon stand darin. Die Leitung lief unsichtbar über unwegsames Gelände vier Meilen weit zu sechs verschiedenen Häusern. – Seit einem Jahr besaß Porfirio diese neuzeitliche Anlage. Mühe genug hatte es gekostet, die Leitung so insgeheim zu legen. Aber es hatte sich gelohnt.
Porfirio läutete seinen Freund Ramon Cervera an, hochgeachteten Generalkonsul der südamerikanischen Mulattenrepublik Patalonia.
Sennor Cervera besaß nördlich des Junto ein Landhaus unweit der Bahnstation Vedras. Und war ein Ehrenmann von den Fußknöcheln bis zur Sohle. Alles übrige an ihm war Lump. Deshalb hatte er es auch zu etwas gebracht, besaß eine elegante Dampfjacht, eine blendend schöne Frau, hatte drei Freundinnen in Lissabon möbliert wohnen und – das weiteste Gewissen von der Welt in seiner breiten Männerbrust.
Als das Telephon in Ramon Cerveras feudalem Herrenzimmer anschlug, hatte der Herr Generalkonsul gerade eine Chiffredepesche Seiner Exzellenz des Berliner Gesandten der glorreichen Mulattenrepublik im Schweiße seines Angesicht dechiffriert.
Die Depesche war verspätet in seine Hände gelangen, weil er zwei Tage dienstlich in dem Luxusbade San Sebastian zu tun gehabt hatte, – wie er seiner Frau sagte.
Der Inhalt der Depesche setzte ihn sehr in Erstaunen. Und als nun noch sein Freund Don Estremaldo ihn durch den Fernsprecher begrüßte und ihn bat, die Verbindung mit Pasquillos Kneipe in Vedras herzustellen, da der wackere Pasquillo ihm umgehend zwöl tüchtige Leute schicken müsse, da hatte Ramon Cervera gerufen:
„Hör’ mal, guter Porfirio, da kommst du so spät! Denn zwölf Mann brauche ich ebenfalls, und ich wollte soeben Pasquillo den genau gleichen Auftrag erteilen.“
Am anderen Ende des geheimen Drahtes brüllte Porfirio einen Fluch.
„Daraus wird nichts, Ramon! Zwölf Mann bringt Pasquillo nur mit Mühe zusammen, niemals aber zweimal zwölf. Mir entgeht ein fettes Geschäft, wenn …“
„Und mir ein noch fetteres!“ fuhr der Herr Generalkonsul dem edlen Don dazwischen. „Ich brauche für meine Yacht „Otritis“ schleunigst eine Besatzung, die mit allen Salben gesalbt ist! Der Obereunuche in Berlin hat’s befohlen. Nach den Azoren soll die Jacht – schleunigst! Nach San Miguel, so heißt die Insel.“
„Karamba, Ramon, – dann haben deine zwölf Kerle doch nicht so große Eile! Bevor deine „Otritis“ …“
Cervera lachte schrill …
„Glaubst du?! Keine Eile?! Die „Otritis“ soll dort am Vorgebirge Retorta der Insel San Miguel ein Luftboot namens Sphinx abfassen, und der Obereunuche in Berlin würde mich sofort meiner Stellung entheben lassen, wenn ich jetzt nicht, wo bereits fast achtundvierzig Stunden nutzlos verstrichen sind, die Sache mit Hochdruck betreibe. Vielleicht interessiert es dich, daß jener Edgar Lomatz, der während des Weltkrieges hier sein Vaterland …“
Ein gellender Pfiff kam durch den Draht, ein Pfiff von Don Porfirios Lippen.
„Lomatz – – Lomatz?!“ brüllte Estremaldo dann. „Den habe ich soeben gesprochen.“
„Nicht möglich!“
Ramon Cervera überlegte rasch … füge hinzu:
„Porfirio, ich komme sofort im Auto zu dir. Die zwölf Kerle werde ich bestellen. Nicht wahr – sie sind für diesen Lomatz?“
„Ja.“
„Gut. Erwarte mich in zwanzig Minuten. Im Vertrauen, Porfirio, es geht um … Milliarden! Milliarden, die die Republik Patalonia einheimsen will! Du – wir beide sind doch auch noch da! Und dann … meine „Otritis“ – meine „Otritis“ …!“
„Verstehe … verstehe! Nur – – Milliarden, daran glaube ich nicht!“
„Wirst es schon! Die Geschichte ist ganz klar. Ein U-Boot sank am Kap Retorta. Es hatte eine Goldladung für Deutschland an Bord. Ein Graf Gaupenberg, der Erbauer der Sphinx, und sein Freund Georg Hartwich wollen mit Hilfe der Sphinx das U-Boot heben und die achtunddreißig Kisten mit Gold nach Berlin schaffen.“
Don Porfirio lachte … lachte wie ein Verrückter. Der Goldrausch hat ihn gepackt.
Kreischte in den Apparat:
„Nicht eine einzige Kiste werden sie bergen – sie nicht! Wir – wir, nur wir werden’s tun … alle … alle achtunddreißig … wir beide!“
Ramon Cervera verzog das Gesicht. Estremaldo konnte diese Grimasse ja nicht sehen.
Und der Portugiese Ramon Cervera war entschlossen, den Portugiesen Porfirio Estremaldo als Helfershelfer sich zu sichern, dann aber …
Und er grinste noch hämischer.
Also – wieder zwei Anwärter auf das Azorengold.
Wieder zwei elende Betrüger, die der Goldrausch noch tiefer hinabwarf in den Schlamm erbärmlichster Gewinnsucht. –
Das Telefongespräch war beendet.
Estremaldo schloß das geheime Wandfach, trat an ein Schränkchen heran. Sein Blut kochte, sein Blut sang in den Ohren mit feinem Klingen. Sang stets dasselbe Wort:
Millarden … Milliarden – Gold – Gold!
Oh – keine bedruckten Papierfetzen, wie man sie in den Grotten des Junto vor einem Jahr hergestellt hatte! Nein – reines Gold – Gold!
War ein schlechtes Geschäft gewesen, die Falschmünzerei, ein gefährliches Geschäft. Und schwierig – schwierig! Die Banknoten hatten nie so recht tadellos gelingen wollen. Nur in den Hafenspelunken in Lissabon hatte man sie umsetzen können. Und das war mühselig, ruinierte den Körper. Saufen mußte man dabei – viel saufen … Und jede Minute stand man bereits mit einem Bein in einer Zuchthauszelle! Ungemütlich war’s gewesen!
Jetzt aber – –: Gold – – Gold! Milliarden! Und das rumorte Porfirio Estremaldo wie Fieber im Blut.
Das Fieber mußte heraus. Da half nur der Alkohol, das schwere achtzigprozentige Aqua Ardiente, der reine, selbstgebrannte Schnaps! – Eine Batterie Flaschen enthielt das Schränkchen. Nicht nur Schnaps und Wein auch anderes. Geheime Tränkchen, die von alten Weibern auf der Pyrenäen-Halbinsel gebraut werden.
Porfirio trank, wurde ruhiger.
Dann brachte ihm die verschüchterte Donna Maria eigenhändig das Abendessen.
Er jagte sie hinaus …
„Hab keinen Hunger! Geh’ …!“
In der halb geöffneten Tür blieb sie stehen.
Flüsterte scheu: „Die Französin will heim, Porfirio. Sie ahnt wohl, daß sie nicht lediglich als Erzieherin für unsere Manuela hierher berufen wurde.“
„Karamba!“ fluchte Porfirio. „Mag sie sich zum Teufel scheren! Zahl ihr das Gehalt! Das Frauenzimmer hat mich ohnedies betrogen. Ihre eingeschickte Photografie ist mindestens vor zehn Jahren aufgenommen. So alte Ware kann ich für Lissabon nicht brauchen. – Geh’ …!“
Er war wieder allein. Schweren Schrittes wuchtete er im Zimmer auf und ab. Kaute nervös den gefärbten parfümierten Schnurrbart.
Wenn nur Estevan erst käme!
Wenn er nur käme, bevor Ramon Cervera eintraf!
Es litt ihn nicht im Hause. Er ging hinaus auf den Vorplatz, der sich bis zum kleinen Bergsee dehnte. Eine moderne Mauer von Steinen grenzte das Steilufer der Granda Topaka ab. Hier stand Porfirio und stierte auf das im Mondlicht flimmernde Wasser des Sees.
Seine Gedanken galoppierten gleich durchgehenden Rossen.
Milliarden … Milliarden …
Und Edgar Lomatz, der Schuft! Und das Luftboot – die Sphinx!
Oh – wenn nur Estevan erst zurück wäre!
Da tauchte gespenstergleich, lautlos huschend, neben dem hageren Don Estremaldo die schlanke Gestalt des Ältesten auf.
Porfirio fuhr herum.
„Nun?“ fragte er gurgelnd.
Estevan berichtete.
„Ein graues Boot liegt westwärts neben der großen Schlucht. Lomatz ist jetzt an Bord. Da bin ich wieder davongeschlichen. Es gab nichts mehr zu sehen.“
„Und das Boot hat Luftschrauben, Propeller?“
„Ja – wie ein Flugzeug. Und ist doch ein Boot.“
Porfirio atmete schwer. Es war also Tatsache, was er schon vermutet. Lomatz mußte das Boot, die Sphinx, dem Erfinder Grafen Gaupenberg gestohlen haben! Es mußte so sein!
Estevan beobachtete des Vaters faltiges Banditengesicht, in dem die Kerben der Leidenschaft, der Gier und der Rohheit wie eine leserliche Runenschrift lagen.
„Weißt du etwas über dieses Boot?“ fragte Estevan bedächtig.
Der Alte nickte. „Von Cervera, mein Junge! – Höre gut zu.“
Estevan lächelte, als die Milliarden erwähnt wurden. Ein zweifelndes Lächeln.
Porfirio sah’s, meinte gereizt:
„Glaubst du, daß die gelbe Mulattenbande aus Patalonia, dieses Mastschwein von einem Gesandten in Berlin, um nichts solche Befehle an Cervera erteilt?! Mein Junge, diese Brut ist gelbbraun, aber verteufelt schlau!“
Estevans Bedenken schwanden. „Und wir?“ meinte er etwas lauernd.
Porfirio flüsterte: „Wir werden Lomatz ausheben – sofort. Du und der Lord. Ihr beide genügt. Und damit du nun auch dies erfährst, er hat zwei Gefangene bei sich, die ich für ihn verbergen sollte. Kümmere dich nicht weiter um dieses Mädchen und den Mann. Warte mein Erscheinen ab.“
Estevan erschrak, blieb stumm. Er fürchtete nur, irgend ein Zufall könnte es an den Tag bringen, daß er diese beiden Gefangenen verborgen hielte.
„Hast du etwa Angst?“ rief Don Estremaldo da, als sein Ältester starr zur Seite blickte.
Estevan besann sich, daß er durch sein Benehmen nichts verraten dürfe.
„Wohl nur ein Scherz, Vater! Angst …?!“ Er zuckte die Achseln.
„Dann – geh’! Und sei vorsichtig. Lomatz wird scharf aufpassen. Vielleicht hat er auch noch jemanden bei sich. Ich kann mir nicht denken, daß ein Mann allein das Luftboot von Berlin bis hierher steuern könnte.“
„Ich sah nur ihn,“ meinte Estevan hastig. „Nur ihn allein … Und Manuel und ich werden mit ihm schon fertig werden …“
„Ohne Lärm – ohne Schießerei!“
„Keine Sorge, Vater.“
Und der schlanke Estevan eilte von dannen. Er war froh, daß der Vater den Generalkonsul Ramon Cervera erwartete und daher vorläufig daheim bleiben mußte. Inzwischen würde er dann Agnes Sanden und den alten Gottlieb Knorz schon anderswo untergebracht haben.
Lord Manuel Douglas Goodbeari, seit zwei Jahren Schmerzenskind der Polizeibehörden so ziemlich aller Länder, wie alle Briten von Jugend an sportgeübt und dazu noch aus persönlicher Vorliebe unglaublich abgehärtet, – dieser Lord Goodbeari hatte sich nach der kurten Betäubung überraschend schnell erholt und ebenso rasch auch die dehnbaren Wollstricke abgestreift.
Er sprang auf die Füße, reckte sich, massierte den schmerzenden Hals und tastete sich dann in der tiefen Finsternis bis zum Ausgang der Grotte hin.
Der Mond war noch höher gestiegen. Mitternacht war es jetzt, genau Mitternacht. Aus weiter, weiter Ferne trug der Wind das dumpfe Rollen eines Eisenbahnzuges herüber. Der Nachtschnellzug nach Lissabon, wußte der Lord. Und er lächelte schmerzlich. Eisenbahn – das war ihm vorläufig verschlossen. Zu dicht waren die Schergen hinter ihm her – englische, französische Detektive …
Hinter ihm, dem Fürsten der Diebe, dem tollkühnen Gentlemangauner.
Goodbeari war ein Träumer, ein halber Dichter, jedenfalls ein außergewöhnlicher Mensch. Die Mondlandschaft fesselte ihn für Minuten. Über diesem entzückenden Bilde der zerklüfteten Zacken und schwarzen Schlünde, der gestrüppbewucherten Flächen und schroffen Wände vergaß er alles andere.
Für Minuten.
Nur für Minuten. Dann war’s, als könnte er durch blitzschnellen Hebeldruck seinen gesamten seelischen Organismus umschalten.
‚Dort drüben also liegt die Sphinx,’ dachte er nüchtern und sachgemäß. „Dort drüben werde ich das Mädchen und den Alten finden. Denn sie werden ja zweifellos versuchen, das Luftboot in ihre Gewalt zu bekommen. Dieser Gottlieb Knorz ist ganz und gar der Mann dazu.“
Er befühlte seine Taschen.
„Aha – die Pistole fehlt! Schadet nichts. Ich brauche sie nicht.“
Er begann den Abstieg ins Tal, schritt dahin mit der elastischen Sicherheit des geübten Hochtouristen.
Das Schloß seiner Ahnen stand ja dicht an der Grenze der schottischen Bergzüge, und schon als Junge hatte er die schwierigsten Höhen spielend leicht erklommen.
Lautlos bewegte er sich nun wieder aufwärts dem bewachsenen Plateau zu, wo er die Sphinx hatte landen sehen.
Seine Vorsicht wuchs mit jeder Minute. Ein rollender Stein hätte ihn verraten können. Lomatz würde mißtrauisch sein. Man tat gut, nichts außer acht zu lassen, um unbemerkt an das Luftboot heranschleichen zu können.
Goodbeari durchquerte die kleine Hochebene.
Einmal – nochmals – im Zickzack.
Erstieg ein Felsstück, auf dem eine Wildkastanie Wurzel geschlagen. Der Baum deckte ihn.
Von der Sphinx keine Spur.
Nirgends … nirgends … –
Da suchte denn Seine Lordschaft eifriger, weniger vorsichtig. Bis er bestimmt wußte: Die Sphinx war verschwunden, wieder davongeflogen!
Goodbeari wandte sich erneut den Grotten des Junto zu. Es hätte keinen Zweck gehabt, nach dem Luftboot etwa noch die Umgebung zu durchstöbern. Vielleicht hatte Gottlieb Knorz diesen Lomatz wirklich überwältigt und die Sphinx mit Agnes Sandens Hilfe nach Deutschland zurückgesteuert – vielleicht …
Gewiß – es konnte auch alles anders sein. Zu erraten war das wohl kaum, was sich vor kurzem auf dem Plateau abgespielt haben mußte.
Der Lord betrat die Grotten, setzte sich auf sein Lager und wartete. Freund Estevan würde sich ja sehr bald wieder einfinden. Dann konnte man überlegen, was man tun sollte.
Seine Lordschaft hätte allerdings niemals erraten, was an Bord der Sphinx vor kaum dreißig Minuten geschehen.
Da hatte Edgar Lomatz, wohl versehen mit Waffen aus den Vorräten des Luftbootes, oben flach auf dem Deck hinter der Reling gelegen und mit Auge und Ohr das Gestrüpp ringsum belauert.
Hatte den auf Raub ausziehenden Fuchs beobachtet, der durch den Anblick des Bootes hier in seinem Revier so in Schrecken gesetzt wurde, daß er wie gehetzt davonraste.
Hatte auch eine gestreifte Ginsterkatze bemerkt, die mit größerer Kühnheit die Außenhaut der Sphinx beschnupperte und sogar mit federndem Satz in das von Gottlieb geschlagenen Loch hineingesprungen, dann aber doch geflüchtet war.
Lomatz langweilte sich nicht. Er fürchtete jetzt nur eins, daß vielleicht Schmuggler, Wilddiebe oder sonstiges lichtscheues Gesindel die Landung der Sphinx mitangesehen haben könnten und dem Boote aus Raubgier einen Besuch abstatten würden.
Bis zwei Uhr morgens wollte er hier wachen. Geschah bis dahin nichts, dann durfte er sich sicher fühlen, durfte die Sphinx verlassen, um mit Porfirio Estremaldo weiter zu verhandeln.
Und in Gedanken an diese Verhandlungen war ihm keineswegs behaglich zumute. Ganz abgesehen davon, daß seine Stimmungen schon durch die Beichte Agnes Sandens und Gottliebs auf den Gefrierpunkt gesunken war, – noch Schlimmeres quälte ihn! Er hatte bei Estremaldo zwölf vorurteilsfreie Schnapphähne bestellt, hatte Estremaldo Vermittlerlohn und den Zwölfen einer Anzahlung zugesagt.
Und – sein gesamter Geldbestand betrug lumpige zweihundert deutsche Papieremark!
Mithin mußte er nicht nur Estremaldo, sondern auch die Besatzung der Sphinx, die zukünftige Besatzung, irgendwie vertrösten.
Irgendwie …
Und – das würde wohl nur möglich sein, wenn er einen Teil vom Geheimnis des Azorenschatzes preisgab! Nur so! Goldgier mußte er entfachen, mußte Riesengewinne in Aussicht stellen. Auf den Köder würden die Männer schon anbeißen, zumal er ja in der Lage war, Beweise für das Vorhandensein des Goldschatzes beizubringen. Er besaß zum Glück ja noch die Photographie jener Skizze, die auf Schloß Gaupenberg gestohlen worden war – jener wertvollen Skizze, die der Freund des Grafen, Steuermann Georg Hartwig, einst von der Liegestelle des gesunkenen U-Bootes angefertigt hatte!
Immerhin, bevor er die zwölf Desperados an Bord haben würde – und er brauchte sie ja unbedingt! – dürfte es noch mancherlei Unangenehmes zu überwinden geben! – Edgar Lomatz schob jetzt alle diese peinlichen Gedanken beiseite. Das Grübeln hatte keinen Zweck. Man wurde nur müde dadurch. Und er, Edgar Lomatz, hatte schon schwierigere Dinge fertiggebracht, als einen Haufen Portugiesen auf den Leim zu locken!
Sein Denken glitt südwärts – gen Lissabon …
Das war angenehmer …
Lissabon kannte er. So eine Art Klein-Paris – wie Bukarest … Nachtleben, Weiber, Spielhöllen …! – Oh – da flogen die Stunden und das Geld nur so hin …
Besonders in den Salons der fetten Sennora Emanuela Sakibo …!
Hm – ob Porfirio wohl die Dicke noch immer mit frischer Ware versorgte? Ob der edle Don noch immer zusammen mit dem Halunken Cervera, dem feinen Generalkonsul, die weltumfassende Mädchenhändlerorganisation leitete …?!
Und da – da ging es plötzlich wie ein leichter elektrischer Schlag durch Edgar Lomatz’ Körper …
Seine Gedanken umkreisten den geringen Kassenbestand, die fette Emanuela und … Agnes Sanden, seine einstige Verlobte, sein ehemaliges ahnungsloses Spionagewerkzeug.
Spielten mit ungeheuerlichen Gemeinheiten, die sich jetzt leider nicht mehr verwirklichen ließen, denn – Agnes war ja entflohen!
„Pest!“ fluchte Lomatz innerlich. „Pest! Daß ich auch jetzt erst daran denke! Oh – das wäre ein glattes Geschäft geworden, und …“
Jäh riß hier der Gedankenfaden …
Geräusche … Rauschen von Blättern … das Knacken eines trockenen Astes …
Zwei Gestalten …
Mann und Weib … der Teckel hinter ihnen …
Dämonische Freude zuckte in des Elenden verworfener Seele auf…
Näher kamen die beiden …
Ganz nahe …
Lomatz hatte den Kopf geduckt …
Lauschte … Hörte Agnes flüstern: „Ich steige Ihnen auf die Schultern, Gottlieb. Dann kann ich den Rand der Reling erfassen …“
Lomatz schob sich mehr nach links …
Der Rand der Reling wurde vom Mond beschienen …
Wieder Geräusche …
Dann – zwei Frauenhände …
Und – jetzt brutale Männerhände packten zu, packten die Handgelenke, zerrten Agnes nach oben …
Lomatz stand jetzt aufrecht …
„Hund!“ keuchte unten der alte Mann. Und seine Finger umkrallten des Lords Pistole …
Er zielte … zielte … Wagte nicht abzudrücken. Agnes’ Leib schützte den Schurken …
Und hohnlachend umfing Lomatz das wütend sich währende Mädchen, trug’s in das Innere der Sphinx – in eine der Wohnkabinen, warf die Türe zu, verriegelte sie …
Gottlieb war gerade im Begriff, in das zackige Loch in der Außenhaut der Sphinx hineinzuklettern, als Lomatz über ihm an der Reling sichtbar wurde …
Lomatz’ Hand reckte sich …
Bevor der Alte noch die eigene Waffe hoch hatte, knallte ein dünner Schuß.
Gottlieb Knorz breitete die Arme aus, fiel nach hinten und – gerade auf den halbblinden Teckel, der mit kläglichem Heulen sich unter dem schweren Körper nun vorzuarbeiten suchte.
Die Sphinx aber stieg – stieg zu den reinen Gestirnen des friedlichen Firmaments empor … –
* * *
Dort, wo die Terrassenstadt Lissabon in das Flachland übergeht und des Judenviertels düstere Häusermassen zwischen verödeten Gärten und einstigen Friedhöfen wie geduckte armselige Bettler, einstöckig, fensterlos nach den Straßen zu tief am Boden kauern – inmitten all dieser stinkenden, zum Teil erheuchelten Verwahrlosung und Dürftigkeit lag die Tanzkneipe der Emanuela Sakibo.
Grand Caffee chantant Odeon
war auf dem Holzschilde des großen Hauses zu lesen, eines Gebäudes, das einst … Gefängnis gewesen.
Und hinter diesem Grand Cafee mit seinen vier strahlend erleuchteten Riesenfenstern erstreckte sich der einstige Seemannsfriedhof. Auch den hatte die Sennora Sakibo vor fünf Jahren angekauft. Sie fand es nützlich und angenehm, ihn in einen Park zu verwandeln und dem Hause noch eine Terrasse nach der Parkseite zu spenden – die Weinabteilung, wo nur die ganz vornehmen Kavalier verkehrten. –
In dieser Nacht, als die Sphinx mit Agnes Sanden davonschwebte, wurde Emanuela Sakibo, um ein Uhr von einem Kellner aus dem Barraum herausgerufen.
„Ein deutscher Sennor Lomatz möchte Sie sprechen,“ hatte der Kellner der Dicken zugeflüstert.
Emanuela im schwarzen Seidenkleid, ohne jeden protzigen Schmuck, äußerlich ganz die feiertäglich gekleidete biedere Bürgerin, sann eine Weile nach.
Lomatz – – Lomatz …?! – Und dann erinnerte sie sich … –
Edgar Lomatz saß oben im ersten Stock in Emanuelas Privatsalon.
Die Begrüßung fiel äußerst herzlich aus …
„Oh, Sennor Edgardo, für Sie hätte ich etwas!“ meinte die fette Dame sofort mit einem lüsternen Grinsen, das die ganze Gemeinheit ihrer Seele enthüllte … „Eine kleine Japanerin … zwölf Jahre … Estremaldo hat sie mir besorgt … hatte sie als Gouvernante engagiert – der alte Kniff! – Edgardo, wirklich, die kleine Japanerin …“
Lomatz winkte schroff ab. Und grinste auch … Begann zu flüstern …
Nach fünf Minuten verließ er in Begleitung Emanuelas und zweier Männer, die einen mit Früchten und Gemüse beladenen Handwagen schoben, das Grand Cafee und schlug die Richtung nach den dichten Waldungen am Tajo ein.
Hier war er mit der Sphinx gelandet. Hier fand er das Luftboot unversehrt wieder.
Emanuela wartete in der runden Steuerkabine der Sphinx. Lomatz hatte die Außenleiter des Bootes für die Dicke eingehängt gehabt, und keuchend war die Kupplerin an Bord geklettert.
Lomatz holte Agnes. Er fand sie ruhig und gefaßt vor. Mit unendlicher Verachtung schaute sie ihn wortlos an.
„Ich möchte Ihnen eine neue Heimat schaffen, Agnes,“ sagte er mit widerlicher Freundlichkeit. „Nein – dir, dir, mein Liebling,“ verbesserte er sich, und jetzt kam der grausame Hohn zum Durchbruch. „Wir haben uns einst ja so nahe gestanden, Agnes … Da darf ich dich getrost du nennen … – Folge mir, bitte … Eine Dame möchte dich kennen lernen … Eine Bekannte von mir, die in Lissabon ein Pensionat für junge Mädchen besitzt, … ein … Pensionat, wie es in Hafenstädten zur Freude der seemännischen Gäste stets …“
Agnes hatte auf einem Schiffstuhl gesessen.
Nun fuhr sie empor. Leichenblaß. Die Augen aufgerissen …
Sie hatte verstanden. Sie war ja keines jener Mädchen, die blind durchs Leben gehen, von denen man alles ferngehalten hat, was den zarten Blütenstaub der Reinheit der Weiberseele vernichten könnte …
Lomatz schwieg – Sekunden …
Oh – dieser Anblick des hellen verkörperten Entsetzens war seine schönste Rache! Das entschädigte ihn für vieles!
Er musterte Agnes von oben bis unten, höhnte:
„Du wirst der Sennora Sakibo schon gefallen, mein Täubchen, mein blondes Rehäuglein …“
Dann trat er näher auf sie zu …
Agnes war wie gelähmt …
Fühlte sich emporgehoben …
Sah wie durch Schleier in der blendend hellen Steuerkabine unter der großen Deckluke das geschminkte und gepuderte Gesicht eines dicken Weibes …
Fühlte etwas Feuchtes, Weiches an Mund und Nase …
Watte … Chloroform …
Schrie gellend auf … –
Der Gemüsekarren rollte dem Grand Cafee wieder zu, und Emanuela Sakibo zahlte an Edgar Lomatz in guten englischen Pfundnoten zweitausend Mark …
Der treue Gottlieb Knorz hatte vielleicht noch nie in in seinem Leben so viele Geistesgegenwart bewiesen wie in jener Sekunde, als er Edgar Lomatz’ Revolver von oben her auf sich gerichtet sah …
Eine Sekunde war’s, in der Gottlieb Knorz zwischen Himmel und Erde an dünnem Fädchen zu hängen schien …
Eine Sekunde, die alle seine Gedanken aufjagte zur entscheidenden Frage: ‚Wie entgehst du dem Tode – Agnes wegen?!’
Er sah den Revolver … Der war auf seinen Kopf gerichtet …
Er sah den um den Abzug gekrümmten Finger …
Im Mondlicht bemerkte er die geringfügige Bewegung dieses Fingers …
Warf den Kopf zur Seite, fast gleichzeitig die Arme hoch – mit dem Knall des Schusses …
Sank nach hinten in das Steingeröll, auf den armen Teckel, seinen Liebling.
Lag still …
Wartete. Entging so einer zweiten Kugel, verhinderte so den zweiten Schuß.
Und die Sphinx schwebte empor, entschwand. Da erhob sich Gottlieb Knorz, bückte sich wieder, betastete den Teckel, streichelte ihn …
„Nun sind wir allein, Kognak … Der Lump hat uns Agnes entführt. Aber wir werden ihn finden, Kognak. Jetzt … jetzt müssen wir’s wohl oder übel mit den dunklen Ehrenmännern halten, die wir in den Grotten kennen lernten. – Komm, mein alter Freund, ich trage dich. Wir werden dem Engländer die Stricke abnehmen und ihm alles beichten.“
Gottlieb, den Hund im Arm, schritt dem Tale zu.
Die schroffe Wand lag jetzt im Schatten. Gottlieb fand den Zickzackpfad, der nach oben führte, in diesem Dämmerlicht selbst nach längerem Suchen, selbst nach mehrfachen zwecklosen Kletterpartien nicht mehr.
‚Es soll nicht sein!’ dachte er schließlich und verfiel in einen Zustand dumpfer Verzweiflung und Mutlosigkeit.
Traurig setztet er sich auf einen flachen Stein nahe an die Felswand.
Grübelte …
Bis dann Lord Goodbearis leichte Schritte ihn weckten.
Er schaute dem schlanken Engländer nach, dachte: ‚Er wird die Sphinx suchen – ganz umsonst!’
Goodbearis Gestalt verschwand im Mondzwielicht …
‚Jammerschade um den Menschen,’ dachte Gottlieb weiter. ‚Eine so vornehme Erscheinung …! Unsereiner versteh doch etwas davon. Das ist Rasse, der Mann …!’ Er seufzte. „Rasse – – Rasse, edles Blut, wie mein lieber junger Herr, der Graf… Edles Blut, und – doch blind …!“
Seine Gedanken glitten nach der Graupenburf zurück … Seine Augen schauten ferne Bilder …
Die Fürstin Mafalda Sarratow, die lockende Verführerin, der sein Herr so leicht ins Netz gegangen …
Und den breitschultrigen blonden Steuermann Georg Hartwich, den Treuesten der Treuen, den letzten Überlebenden des Goldschiffes U 45, den Hüter des Milliardenschatzes … –
Sein Kopf sank ihm in die derben Hände, dem alten braven Gottlieb …
Die Einsamkeit lastete auf ihm stärker als bisher. Unendlich mutlos wurde er. Seine Jahre meldeten sich. Sein Geist besaß nicht mehr die jugendliche Spannkraft, in die rasch wechselnden Umstände sich so schnell hineinzufinden.
Die Erinnerung an seinen Herrn, an Georg Hartwich und die gleißende Schlange Mafalda zeigte ihm erst so recht seine jetzige Verlassenheit …
Wo mochten Graf Viktor, Hartwich und Mafalda weilen? Noch auf der Graupenburg?
Er zweifelte daran. Besonders die heuchlerische Fürstin, der es ja nur um das Azorengold zu tun war, würde schon Mittel und Wege finden, schleunigst nach den Azoren zu gelangen – nach San Miguels zerrissenen, buchteneichen Küsten …
Wieder seufzte der alte Mann im Gefühl seiner Hilflosigkeit und traurigen Verlassenheit tief auf …
Und unterdrückte dieses halbe Aufstöhnen urplötzlich …
Seinen Kopf schnellte hoch …
Seltsam, auch der des Hundes, dessen Gehör noch besser war als die milchigen armen treuen Augen…
Mondenglanz durchflutete den Äther. Ein Surren kam von oben herab. Propellersurren.
Ein Doppeldecker zog in schneller Fahrt über den Junto dahin – gen Süden, gen Lissabon … –
Es war der Maxim-Doppeldecker, den die Freunde Graf Gaupenberg und Georg Hartwich in Berlin gekauft hatten.
Und in der engen Kabine des Flugzeuges saßen übermüdet und doch munter bis zur Überreiztheit die drei Personen, denen soeben Gottlieb Knorz’ Gedanken gegolten hatten …
Vorn im Führerstand aber hockte Berlins bester Pilot Fritz Bauer, ehemals Fliegeroffizier.
Die Fürstin Mafalda rauchte unaufhörlich Zigaretten. Ihr Antlitz war noch bleicher als sonst. Um die Augen lagen die bläulichen Schatten der vielen durchwachten Stunden und der Nachwehen jenes Hiebes mit dem schweren Ruder, den ihr im Teufelsmoor der Zwerg Pannaru versetzt hatte.
Mafalda Sarratow fühlte sich außerdem auch unsicher und bedrückt durch Georg Hartwichs Benehmen, in dem sie nach wie vor den Feind witterte.
Hartwich hatte darauf bestanden, daß man in Lissabon oder doch in der Nähe lande. Er hatte behauptet, er besäße in Lissabon einen Freund, den er mit nach den Azoren nehmen wolle, einen zuverlässigen früheren Taucher – Taucher von Beruf. Und ohne einen Taucher nebst Ausrüstung könnte man ja an das Wrack des Goldschiffes nicht heran.
Mafalda ahnte, daß Hartwich anderes in Lissabon vorhätte, denn auch Gaupenberg war sehr erstaunt gewesen, als der Steuermann diesen angeblichen Freund ins Treffen geführt hatte.
Die Fürstin haßte Hartwich jetzt. Eine Natur wie diese Abenteurerin schreckte vor nichts zurück. Sie als Verlobte des Grafen, als Anwärterin auf die Milliarden des U-Bootes und als heißblütiges Weib dazu, das Viktor Gaupenberg ganz für sich allein haben wollte, würde schon Mittel und Wege finden, Georg Hartwich vollständig auszuschalten. –
Gaupenberg saß neben ihr. Hand in Hand saßen sie. Des Grafen Verliebtheit flammte stets von neuem auf. Mafalda mit diesem blassen Gesicht und diesen Augen, in denen tauseend heiße Wünsche wie hinter feinen Wölkchen flimmerten, fachte sein Blut immer wieder an.
Hartwich stand jetzt auf, beugte sich etwas zum kleinen Kabinenfenster hinaus …
Dort in der Ferne lag der helle weite Lichtkreis einer großen Stadt: Lissabon!
‚– Lissabon!’ dachte Georg Hartwich …
Und rief sich nochmals die Szene ins Gedächtnis zurück, wie in des alten Einsiedlers armseliger Ruine der Zwerg Pannaru durch diesen geheimnisvollen Doktor Falz zum Geständnis gezwungen worden war – zu dem überraschenden Geständnis, daß der Kammerdiener der Fürstin Sergius Petrow in Wahrheit Alfonso Jimminez heiße und Geheimagent der Republik Patalonia sei …
Daß ferner der Berliner Gesandte der Mulattenrepublik an den Generalkonsul Cervera in Lissabon eine Depesche geschickt habe, einer Yacht wegen, die sofort nach San Miguel in See gehen solle … –
Deshalb – auch deshalb hatte Georg Hartwich die Zwischenlandung in Lissabon gefordert. Er wollte erkunden, ob die Jacht bereits ausgelaufen sei.
Nun näherte der Doppeldecker sich der Hauptstadt Portugals, und Hartwich betrat den Führerstand, um mit dem Piloten nochmals über den zu wählenden Landungsplatz zu sprechen.
Diese Gelegenheit benutzte Mafalda sofort zu einem heimtückischen Vorstoß gegen den Verhaßten.
Sie schmiegte sich enger an Gaupenberg …
Flüsterte, indem sie seine Linke sanft gegen ihre frauliche Fülle drückte …
„Viktor, liebst du mich …?“
Zarteste Hingebung durchwehte das weiche Organ der Abenteurerin …
Gaupenberg lächelte sie an. Etwas müde, und doch mit der flackernden Gier des Mannes, dessen Sinne nie zur Ruhe kommen, weil eines Weibes verderbtes Minnespiel das Feuer stets von neuem schürt.
„Ich liebe dich …!“ und seine Lippen suchten ihren heißen Mund … –
Zur selben Minute, als dieser Kuß Gaupenbergs Sinne benebelte, und die Fürstin dann tropfenweise das Gift des Mißtrauens gegen Georg Hartwich in seine Seele träufelte, erwachte Agnes Sanden…
Erwachte unten auf der verderblichen Erde – im Karren der Sennora Emanuela Sakibo.
Sie war klug genug gewesen, völlige Betäubung bereits vorzutäuschen, während sie noch vollkommen bei Sinnen. So war sie tieferer Ohnmacht entgangen.
Der Karren rumpelte stoßend über das elende Pflaster der engen Gassen des Judenviertels. Und gerade diese ruckweisen Stöße weckten die Lebensgeister des jungen blonden Weibes noch schneller.
Mit einem Schlage ward sie sich ihrer verzweifelten Lage bewußt.
Ihre ausgestreckten Hände fühlten die dicke Decke, die über sie gebreitet war und auf die man wieder zum Schein allerlei Früchte und Gemüse gelegt hatte.
Mit raschem Entschluß wagte Agnes das Äußerste. Sie hörte an dem laut hallenden Rumpeln des Karrens, daß dieser durch eine bebaute Straße geschoben wurde. Durch die breiten Ritzen des Karrenkastens gewahrte sie auch trübes Laternenlicht.
Alle Kraft nahm sie zusammen. Und Angst und der Gedanke an den Mann, den sie über alles liebte – an Viktor Gaupenberg, verliehen ihrem durch das Chloroform halb vergifteten Körper ungeahnte Stärke.
Sie duckte sich wie sprungbereit zusammen, schob den gekrümmten Rücken und die flach nach oben gerichteten Hände unter die schwer belastete Decke und stieß diese beengende Hülle samt der Schicht der welken Bodenerzeugnisse mit einem Ruck in die Höhe.
Was dann folgte, hat Agnes Sanden im einzelnen nie mehr klar zu erfassen vermochte. Sie handelte wie in einem Zustande von Hypnose. Sie tat ganz instinktmäßig das Richtige …
Sprang aus dem Karren, überannte die ihr kreischend den Weg versperrende dicke Bordellwirtin und hetzte die Gasse entlang, bog um die nächste Ecke – in ein noch engeres völlig dunkles Gäßchen hinein, raffte den leichten Mantel mit beiden Händen hoch, stürmte weiter …
Hörte hinter sich das Trappeln eilender Stiefel, das Fluchen rauher Kehlen – in der Ferne das gellende Keifen der fetten Portugiesin …
Hinein in eine breitere Gasse ging’s …
Vorbei an einem Manne, der sich gerade eine Zigarette anzündete, einem Manne in der bunten Tracht der spanischen Stierkämpfer …
„Santa Virgen – welch ein Engel!“ brüllte der Torero – setzte sich lachend in Trab … –
Und – alles kam, wie Doktor Dagobert Falz, der geheimnisvolle Einsiedler von Sellenheim, es in seiner Verzückung, bei seinem Zwiegespräch mit den unirdischen Mächten der fernen Gestirne als Vision geschaut hatte…
Agnes stolperte … Warf, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, die Arme in die Luft. Der dichte Sturmschleier, den sie um ihr köstliches Blondhaar gewunden, glitt rückwärts, flatterte hinter ihr her…
Und nochmals stolpernd, fiel sie in einen Hauseingang, halb aufgefangen von einem dicken geputzten Frauenzimmer …
Wurde in den Hausflur gezerrt …
Die Tür schlug zu …
Der Stierkämpfer stand und blickte zu der knallgelben Laterne empor, die an diesem Hause wie ein häßlicher Mond in dem Halbdunkel der Gasse vielsagend lockte…
Das war’s, was Doktor Falz geschaut …
Und weiter nun …?
Zunächst der Torero …
Der sah jetzt die beiden Angestellten der Sennora Emanuela, zwei zerlumpte Kerle von jener Sorte, die um zwei Silberlinge einen Menschen erdolchen …
Die schrien ihn an:
„He, Sennor, saht Ihr nicht ein blondes Weib? Eine mit Schleier um den Kopf, im Mantel?“
Der kleine, stämmige Stierkämpfer fühlte sich Kavalier.
„In dieser Gasse war sie nicht … Aber dort in den Durchgang lief ein Frauenzimmer hinein …“
Und er blies den Zigarettenrauch mit der gezierten Vornehmheit der Toreros von sich …
Lächelte hinter den beiden drein, die jetzt umkehrten – davonrasten …
Dann pochte er an die Haustür, über der gelb und fahl die Laterne glomm …
Pochte kräftiger …
Ein Weib schrillte hinter der Tür: „Schert Euch zum Teufel, Sennor.! Wir haben bereits Feierabend gemacht …“
Laut lachend ging der Stierkämpfer weiter …
Was kümmerte ihn schließlich die Blonde, wo er gerade von seiner Rosarita gekommen …! –
Und drinnen im Hause, im Zimmer rechter Hand, lag Agnes Sanden halb ohnmächtig auf einem fellbedeckten Diwan…
Süßlicher Duft füllte das Gemach. Im Hintergrunde stand ein breites Himmelbett, darüber ein Amor, der ein rotes Laternenchen hielt …
Über Agnes beugte sich das schlumpige dicke Weib. Musterte voll Gier die feinen Züge des unerwarteten Gastes …
Agnes Sanden richtete sich auf. Ein Blick in die Runde – ein Blick in das widerwärtige Gesicht der Alten, und – sie flog empor, wollte zur Tür – besann sich, daß draußen die Verfolger lauerten …
Wandte sich an das Weib…
„Erlauben Sie, bitte, daß ich mich hier etwas ausruhe …“ und nestelte vom linken Handgelenk die goldene Uhr los, reichte sie der alten Vettel …
Und die erwiderte gleichfalls in fließendem Französisch:
„Oh – Mademoiselle sind hier ganz sicher … Wenn Mademoiselle sich wieder setzen wollen … Ich darf Mademoiselle wohl eine Erfrischung bringen … Ein Glas Limonade …“
Agnes nickte nur. Die so kriecherische Freundlichkeit des Weibes fachte all ihrer Angst wieder an. Und doch spielte sie die Selbstsichere, Gelassene …
Die Zimmertür nach dem Flur stand noch weit offen. Im Rahmen der Tür wurde jetzt ein Mann sichtbar, der soeben das Haus betreten hatte – ein Bewohner dieser elenden Baracke, in der Sünde und Gemeinheit Unterkunft gefunden.
Ein breitschultriger älterer Mann war’s, schlicht, aber sauber gekleidet, mit kurzem grauem Vollbart.
Das Weib kehrte ihm noch den Rücken zu …
Nur Agnes sah ihn …
Und – verstohlen gab er dem Mädchen ein Zeichen, schlich dann lautlos weiter den Flur hinab – bis auf den mondbeschienenen Hof, wo ein zweites Häuschen stand.
Dies war Pasqual Orettos Behausung, das Heim des Hafentauchers von Lissabon, des Sonderlings Oretto. –
Das Weib ließ Agnes nun allein. Aber – die Tür schloß sie ganz leise ab, ließ den Schlüssel von außen stecken …
Agnes saß zusammengesunken auf dem Diwan …
Selbst der vertrauliche, tröstende Wink des graubärtigen Mannes hatte ihre ungeheure Angst nicht zu zerstreuen vermocht. Sie hatte ja gehört, daß das Weib sie einschloß… Sie ahnte, daß dieses Zimmer, diese Spelunke mit der gelben Laterne nichts anderes sein konnte als jenes Haus, an daß der elende Lomatz sie verschachert hatte …
Ihre weiten, angsterfüllten Augen wanderten zu den Fenstern …
Oh – keine Fenster …! Nur noch Nischen … vermauerte Fenster …!
Die peinvolle Angst trieb sie hoch …
Fliehen … Fliehen …
Wie – – wie?! Wie hinausgelangen aus diesem Kerker, dessen süßlicher, lasterhafter Duft, dessen rötliche Beleuchtung ihre Keuschheit verletzte …
Wie – – wie könnte sie fliehen? Und – wenn sie auch wirklich die Straße erreichte, würde sie dann in der fremden Stadt sich zurechtfinden – einen Polizeibeamten entdecken, der sie schützte …?!
Da – das Schloß kreischte leise …
Das Weib trat ein – mit einem kleinen Teebrett, darauf ein Glas rötlichen Inhalts.
Agnes hatte sich schnell wieder gesetzt …
Sie zauderte, als die Vettel ihr das Glas reichte …
Es war, als ob eine innere Stimme sie warnte …
Aber des Weibes lauernder Blick gebot Vorsicht …
Nur einen Schluck trank Agnes, dankte dann …
Ein höhnisches Grinsen verzerrte der Vettel gemeine Züge …
„Mademoiselle werden jetzt gut schlafen,“ lachte sie frech. „Der eine Schluck genügt, Mademoiselle … Solch ein blondes Täubchen habe ich mir für meine Kaballeros längst gewünscht … Oh – feine Herren verkehren bei der alten Georgina … sehr feine Herren, Mademoiselle … Sie werden zufrieden sein …“
Agnes’ Blut stockte – jagte wieder durch die Adern.
Leichenblaß sprang sie auf, stürmte zur Tür …
Ein Stoß warf sie auf den Diwan zurück …
Und im gleichen Moment fühlte sie auch bereits die lähmende Wirkung des süßen Gebräus …
Im gleichen Moment – und das war wie das Wehen einer unsichtbaren Macht – schienen die Wände des Zimmers sich zu weiten – in Grau zu verschwinden …
Ein Bild erschien, die Ruine Sellenheim im Mondlicht – davor der Einsiedler im weiten Mantel, den Schlapphut tief im Gesicht …
Und dieses Bild ließ Agnes plötzlich vom Diwan in die Knie sinken …
Sie streckte die Hände flehend empor …
Des Einsiedlers Worte klangen ihr in den Ohren – jene liebreiche Verheißung:
‚Sollten Sie je in eine Lage geraten, in der Sie einen zuverlässigen Freund nötig haben, der über Machtmittel besonderer Art verfügt, so … rufen Sie mich …!’
Und Agnes tat’s …
Agnes faltete die Hände, rief mit halb erstickter Stimme:
„Du, dort in der Ferne, du, mein väterlicher Freund – hilf mir, rette mich …!“
Das schlumpige Weib war zurückgewichen vor dem überirdischen Glanz, der plötzlich in des blonden Mädchens Augen aufstrahlte …
Die Vettel bekreuzigte sich …
Agnes war bewußtlos neben dem Diwan auf dem Bastteppich zusammengesunken …
Der Maxim-Doppeldecker war auf einem Felde nördlich von Lissabon gelandet.
Georg Hartwich verabschiedete sich jetzt von seinen Gefährten.
„Ich hoffe in einer Stunde zurück zu sein, Viktor,“ sagte er dann noch zu Gaupenberg, der ihn bis hinaus auf den Acker begleitet hatte. Sie standen einige Schritte von dem Flugzeug entfernt.
Graf Viktor übersah Georgs Hand, die dieser ihm nun nochmals hinstreckte.
„Eine Frage …“ meinte er recht förmlich. „Willst du in der Stadt wirklich nur diesen Taucher aufsuchen, von dem du bisher nie gesprochen hast? – Wie heißt er übrigens?“
Hartwich wurde sofort stutzig.
Das war nicht der Ton, in dem Viktor sonst mit ihm zu verkehren pflegte. Das war … Mißtrauen, Argwohn, das waren soeben versteckte Verdächtigungen gewesen …!
Mafalda – – Mafalda hatte hier gewühlt, hatte üble Saat gestreut! Nur Mafalda!
Aber Georg Hartwich wußte leider nur zu genau, daß er den durch die weiblichen Reize völlig geblendeten Freund von der Heimtücke dieser berückenden Bestie niemals durch Worte überzeugen könnte – nur durch augenfällige Beweise – nur!
Und so unterdrückte er denn all das, was ihm bereits in aufsteigendem Grimm die Lippen beben gemacht hatte …
Sagte nur:
„Mißtraust du mir etwa, Viktor? – Wenn dem so wäre, müßten sich unsere Wege trennen. Vergiß nicht, daß ich – ich allein der wahre Hüter des Millionenschatzes bin! Meine Handlungen werden lediglich durch die reinsten Motive bestimmt! Auch das vergiß nicht!“
Dann … ging er …
Und zwischen ihm und dem Erfinder der Sphinxröhre, dem Entdecker der die Schwerkraft besiegenden Strahlen war eine unsichtbarer Scheidewand entstanden.
Er ging eilenden Schrittes. Kannte Lissabon von früheren Seereisen her. Hatte 1913 hier im Hafen die Hebung der gesunkenen deutschen Brigg ‚Gertraude’ überwacht und dabei den Hafentaucher Pasqual Oretto zum Freunde gewonnen.
1913 war das gewesen, vor sechs Jahren …
Ob Oretto noch lebte? Ob er noch in dem kleinen Hofgebäude im Judenviertel wohnte, in diesem Museum seltsamster Dinge?!
Der erste Polizist, dem Georg Hartwich begegnete, konnte ihm diese Frage beantworten. Oretto war ja eine stadtbekannte Persönlichkeit.
Und noch eiliger schritt Steuermann Hartwig jetzt dahin, fand ein leeres Auto am Bahnhof, ließ sich nach der Rua Madra fahren. Der Chauffeur hatte gegrinst, als er Rua Madra hörte. Aber Hartwich rief grob: „Nicht zu den Sennoritas, Pocharo! Zu Pasqual Oretto will ich!“
Die Fahrt dauerte keine fünf Minuten.
Hartwich bezahlte den Chauffeur und donnerte dann mit der Faust gegen die Haustür. Über ihm schwebte die gelben Laterne …
Das Klappfenster in der Tür wurde geöffnet.
„Was beliebt, Sennor?“ flötete ein nur sehr notdürftig bekleidetes junges Frauenzimmer.
„Nur auf den Hof – zu Sennor Oretto,“ erklärte der Steuermann kurz.
Und eisig kühl kam’s zurück:
„Bitte … dort geradezu …“
Die Tür war aufgegangen, und Hartwich tappte den schwach erleuchteten Flur hinab, hielt sich die Nase zu, da nichts ihm so widerwärtig war wie aufdringliche Parfüme. Die ganze Spelunke stank nach Sünde …
Pasqual Oretto saß in seinem Wohnzimmer im uralten geschnitzten Lehnstuhl. Rauchte eine pechschwarze Zigarre und streichelte seinen noch schwärzeren Lieblingskater, der ihm auf dem Schoß lag.
Inmitten der Erinnerungen an ein wildbewegtes Leben saß der Taucher von Lissabon …
Erinnerungen an aller Herren Länder bedecken die Wände, standen auf Wandbrettern und in hohen Schränken … An der Decke hingen Modelle von Segelschiffen, ausgestopfte Vögel, seltsame Fische, Stoßzähne von Elefanten, menschliche Schädel, Tiergerippe …
Pasquals buschige graue Augenbrauen waren über der Nasenwurzel finster zusammengezogen. Pasqual dachte an das blonde Mädchen. Die durfte nicht dort drüben bleiben, nein, keine Stunde länger … Das war eine Neue, ein neues Opfer dieser weiblichen Bestien des Judenviertels …
Pasqual sah das liebliche Kind noch immer vor sich …
Und überlegte … Sie zu befreien, war nichts so leicht. Dieses Hofgebäude hier war Eigentum der dreimal verfluchten Kupplerin Georgina. Wenn Georgina wollte, konnte sie ihn jeden Tag von hier verjagen, ihm die Wohnung kündigen. Und sein Herz hing an dem Häuschen, das er seit zwei Jahrzehnten fast als sein eigen betrachtete.
Pasqual Oretto lauschte plötzlich …
Schritte kamen über den Hof, feste Männerschritte.
Machten vor dem dicht verhängten Fenster halt …
„Hartwich – Georg Hartwich!“ rief der draußen Stehende leise.
Pasqual zuckte leicht zusammen …
Hartwich – der Deutsche?! Wär’s möglich?! – Und er eilte in den Steinflur, öffnete die Haustür …
„Amigo – welche Freude!“
Hartwich wurde es warm ums Herz. Dieser Portugiese war ein echter Nachkomme jener großen Seefahrer, die einst die Weltmeere beherrscht hatten – der war treu, verschwiegen, zuverlässig und von jener selbstverständlichen Tapferkeit, die diese Eigenschaft als etwas Natürliches ansieht. –
Oretto und Hartwich saßen sich gegenüber. Auf dem Tische zwischen ihnen standen zwei Gläser und die dickbauchige, umflochtene Flasche mit feurigem Taragona.
Sagte da der Taucher mit leichtem Wiegen des Kopfes:
„Der Generalkonsul Cervera besitzt selbst eine Jacht, Amigo … „Otritis“ heißt sie, und ein flinkes Schifflein ist’s … Die liegt noch im Hafen. Erst heute nachmittag sah ich sie, und nichts deutete darauf hin, daß sie seeklar machte. Aber – wir werden zum Hafen gehen, Amigo … Und was dein Angebot betrifft, Georgio – gut, ich mache mit! Mit dem Verdienst ist’s seit Monaten schlecht bestellt. Nichts hält mich hier zurück. Der Taucheranzug ist bald zusammengepackt, ebenso die Schläuche. Und wenn ihr eine starke Pumpe an Bord Eurer Sphinx habt, dann ist’s noch besser …“
„Die Sphinx müssen wir erst … zurückerobern,“ warf Hartwich mit einem leichten Seufzer ein. „Ein … Schurke hat sie entführt, dazu noch den alten treuen Diener des Grafen Gaupenberg und eine junge Deutsche …“
Pasqual blickte den Steuermann überrascht an …
„Eine Deutsche, Amigo? Blond, schön …?“ In seinem Hirn hatte er unwillkürlich das junge Opfer der Kupplerin Georgina mit dieser Deutschen in Verbindung gebracht.
Hartwich nickte. „Ja – blond und von besonderem Liebreiz, alter Pasqual … Ein Engel ist’s …!“
Oretto unterbrach ihn …
„Ob die Sennorita einen dunkelblauen Seidenmantel besitzt, Amigo?“
Hartwich beugte sich über den Tisch. „Es ist so, Pasqual …! – Wie kommst du auf den Mantel?“
„Weil diese Sennorita drüben im Hause zu finden ist, weil ich sie vor kaum einer halben Stunde gesehen habe … Das heißt, es ist möglich, daß es dieselbe ist, von der du sprachst, Amigo …“
Der Steuermann startet den Taucher entsetzt an.
„Drüben – im Hause? Bei … bei der … der …“
„Ja – bei der Georgina, Amigo … Doch – nun wir zwei sind, hat das, was ich plante, keine Schwierigkeiten mehr …“
Pasqual setzte Hartwich kurz auseinander, wie man mit Hilfe der Polizei sofort die Lasterhöhle durchsuchen lassen könnte, ohne daß auf ihn selbst als den Mieter Georginas der Verdacht fiele, die Hand hierbei im Spiel gehabt zu haben. –
Hartwich verließ den Taucher. Im Flur des Vorderhauses traf er mit dem alten Weibe zusammen. Absichtlich begrüßte er sie ganz freundschaftlich. Sie erkannte ihn, denn er war ja vor Jahren oft genug bei Pasqual gewesen.
Dann aber, als er auf der Straße war, setzte er sich in Trab. Die nächste Polizeiwache lag in der dritten Querstraße. Der dicke Kommissario dort strich die schönen Dollarscheine schmunzelnd ein und versprach, daß die Sennorita in spätestens zehn Minuten auf der Wache sein würde.
Mit drei Beamten eilte er davon, klopfte die alte Vettel heraus und fragte fast drohend, ob sie ein blondes Mädchen bei sich verborgen hielte.
Georgina kannte die Art, wie man derlei Unannehmlichkeiten abwehrte. Aber der Kommissario fuhr sie grob an, als sie ihm flüsternd eine hohe Summe anbot, winkte seinen Leuten und ließ das Zimmer rechts vom Flur erst als drittes öffnen, damit der Eindruck vermieden würde, als ob er den Kerker der blonden Fremden kannte.
Agnes Sanden lag auf dem Diwan und schlief.
Einer der Polizisten nahm sie in die Arme und trug sie zur Wache. Georgina aber flehte heulend den Kommissario an, er solle sie doch nicht anzeigen …
Als sie nun abermals etwas von Geld flüsterte, war der edle Sennor Kommissario, da seine Untergebenen sich schon entfernt hatten, weniger ablehnend.
Jedenfalls – er hatte ein glänzendes Geschäft gemacht!
Und abermals eine halbe Stunde später befanden sich in der Kajüte von Pasqual Orettos Motorkutter drei Personen, die hier in aller Eile recht merkwürdige Dinge trieben.
Agnes Sandens wundervolles Blondhaar fiel einer Schere zum Opfer, und Pasquals Färberkünste setzten selbst Steuermann Hartwig in Erstaunen. –
* * *
Mafalda Sarratow und Viktor Gaupenberg schritten auf dem Acker neben dem Doppeldecker Arm in Arm auf und ab. Sie erwarteten Georg Hartwig. Die Fürstin Sarratow befand sich in einem Zustande peinvollster Erregung. Gerade weil Hartwig auch Gaupenberg gegenüber vorhin nicht zugegeben hatte, daß er nicht lediglich des Tauchers wegen die Stadt betreten wollte, war ihre ungewisse Angst vor dem wortkargen Steuermann noch mehr gestiegen. Sie fürchtete stets, daß Hartwig bereits auf Schloß Graupenburg irgendwie erfahren haben könnte, in welchem Verhältnis sie zu ihrem angeblichen Kammerdiener Sergius Petrow stand. Sie fürchtete weiter, Hartwig würde bei passender Gelegenheit verlangen, daß Gaupenberg sie nicht mit nach den Azoren nähme. Gerade ihr schlechtes Gewissen ließ alle diese Sorgen ins Ungemessene anschwellen, und um Gaupenberg noch enger an sich zu fesseln, überschüttete sie ihn hier in der stillen Nacht jetzt mit stürmischen Zärtlichkeiten, deren nervöses Übermaß den Grafen sehr bald fast peinlich berührte. Vielleicht hätte Mafalda ihren dunklen Plänen gerade durch dieses recht unweibliche Benehmen schwer geschadet, wenn nicht noch rechtzeitig drei Gestalten aufgetaucht wären, die sich rasch dem Doppeldecker näherten.
Es waren Hartwich, Pasqual und ein schlanker Bursche, den der Steuermann jetzt als Orettos Gehilfen Juan Lobeza vorstellte.
Pasqual und Hartwich schleppten einen schweren Sack aus geteertem Leinen, während Juan einen kleineren auf den Schultern trug.
Sofort begann der Steuermann dem Grafen das Wichtigste mitzuteilen, daß Oretto zufällig am vergangenen Abend am Junto-Berge gewesen sei und dort ein Luftboot auf einer kleinen buschreichen Hochebene bemerkt habe – ein Broot, das nur die Sphinx sein könne!
Gaupenberg jubelte auf …
„Georg – – Georg, unsere Sphinx …! Wir werden sie uns zurückgewinnen! Georg, das Schicksal meint es gut mit uns!“
Er drückte des Freundes Hände, und die unsichtbare Schranke gegenseitiger Entfremdung brach in diesem Augenblick wieder zusammen.
Der Gehilfe Pasquals hielt sich etwas abseits der erregten Gruppe …
Was in seinem Herzen vorging, als er die Fürstin Mafalda Arm in Arm mit Gaupenberg sah, vermag nur eine liebende und bitter enttäuschte Frauenseele zu begreifen. –
Gaupenberg hatte nichts dagegen einzuwenden, daß auch Juan Lobeza die Fahrt mitmachte, zumal Pasqual betonte, er brauche seinen Gehilfen bei anstehenden Taucherarbeiten unbedingt.
So stieg denn der Doppeldecker mit zwei neuen Insassen an Bord wieder auf und nahm Kurs gen Norden – dem Junto-Berge zu …