Sie sind hier

Kapitel 31–40

31. Kapitel.

„Ich sterbe … als Lord Goodbeari …!“

Lord Goodbeari, Estevan Estremaldos Freund, saß auf dem Fellager in den Grotten des Junto und wartete …

Sehr geduldig … Ungeduld war nicht Goodbearis Sache. Nerven war ihm fremd. Dass er die Sphinx auf dem Plateau nicht mehr vorgefunden hatte, war ihm im Grunde recht gleichgültig. Seine Hauptsorge war sein eigene Sicherheit. Er hatte bisher allen Detektiven stets eine Nase gedreht, und er verspürte nicht die geringste Lust, sich etwa hier in Portugal verhaften zu lassen …

Goodbeari saß im Dunkeln. Und die Finsternis um ihn her machte ihn wieder zum Träumer …

Sein ganzes verfehltes Dasein überdachte er in dieser nächtlichen Stille des Berginnern. Jene Tage in Monte Carlo entstiegen mit allen Einzelheiten seiner Erinnerung – jene Tage, als er wie ein Wahnsinniger all sein Hab und Gut verspielt hatte. – So hatte das Unheil für ihn begonnen – der … Rutsch nach unten – auf die Verbrecherlaufbahn…

Und – seltsam, wie er sich all dies ins Gedächtnis zurückrief, überkam ihn mit einem Male ein unendlicher Ekel – wo ich selbst!

Wenn er in dieser Stimmung noch seine Pistole zu Hand gehabt hätte, Estevan würde nur noch einen Toten vorgefunden haben! – Aber die Pistole hatte ihm der alte Gottlieb Knorz abgenommen …!

‚Verwünschter Alter!’ dachte Seine Lordschaft …

Und … ruckte hoch …!

Vom Grotteneingang her unsicher tappende Schritte.

Das war nicht Estevan! – Teufel – wer mochte es sein?! – Und Lord Manuel Charlie Douglas Goodbeari hob einen schweren neben seinem Lager liegenden Stein auf…

Für alle Fälle …

Und die schleichende Schritte kamen näher …

Verstummten …

Dann – eine tiefe Stimme, etwas unsicher:

„Mylord – Schlafen Sie?“

Goodbeari lachte …

„Keineswegs, Mr. Knorz … Welcher Wind treibt Sie denn wieder hierher? Und wo ist Miß Sanden? – Bitte, treten sie nur dichter heran … Setzen Sie sich zu mir, falls Sie mir nicht etwa abermals an die Kehle fahren wollen…“

„Mylord entschuldigen … Der Angriff war nötig …“

„Nicht unbedingt, Mr. Knorz … Aber setzen Sie sich doch …“

Und Gottlieb tat’s. Gottlieb hatte seinen geliebten Teckel im Arm und sagte nun traurig:

„Der Schurke von Lomatz hat Fräulein Sanden entführt – wieder entführt – mit der Sphinx …“

„Ah – der Halunke …!“

„Es ist ein kleiner Trost dabei, Mylord … Die Sphinx ist vor wenigen Minuten drüben auf der Hochebene wieder gelandet …“

„Famos …! Dann werden wir beide sie stürmen und Miß Sanden befreien …“

„Oh – würden Sie mir wirklich dabei helfen, Mylord?!“

„Gewiß. Ich habe in meinem Leben leider nicht viel Anständiges getan, Mr. Knorz. Im Gegenteil. Ich bin ein elender Lump. Nur – vor Frauen habe ich Achtung – vor solchen, die Achtung verdienen.“

Er stand auf und rieb ein Zündholz an.

„Gehen wir also, Mr. Knorz … Ich werde, sobald wir uns der Sphinx nähren, vorausschleichen. Geben Sie ihr meine Pistole zurück. Man kann nicht wissen …“

Das Zündholz beleuchtete Lord Goodbearis vornehmes Verbrechergesicht …

Gottlieb fragte unsicher: „Und – Sie treiben kein falsches Spiel mit mir, Mylord?“

„Mein Ehrenwort – nein! – Behalten Sie die Pistole … Ein Stein tut’s auch … Ich bin ein vorzüglicher Werfer, und ein Stein hat den Vorteil, daß er nicht knallt … Gehen wir …“

Er rieb ein zweites Zündholz an.

Sie marschierten los. Als sie die Steinwand ins Tal hinabkletterten, meinte Goodbeari:

„Wer ist Miß Sanden eigentlich?“

Gottlieb fühlte, daß dieser adlige Verbrecher ein Mann von Gemüt war, und so erwiderte er der Wahrheit gemäß:

„Fräulein Sanden war Privatsekretärin des Grafen Victor Gaupenberg und kurze Zeit seine Verlobte. Eine Abenteurerin, eine Fürstin Sarratow, hat durch gemeine Intrigen das Paar auseinandergebracht und meinen Herrn für sich selbst erobert. Wenn es je ein Mädchen gegeben hat, das Achtung verdient und wert ist, für sie …“

Goodbeari fiel ihm ins Wort. „Sarratow … Sarratow …?! Mafalda Sarratow?“

„Ja, Mylord … Ein ganz gefährliches Weib …!“

„Allerdings!“ preßte Goodbeari hervor. „Ich kenne sie! Sie war einst Schlepperin für die Pesthöhle der Welt, für das … Spielerparadies Monte Carlo! Und – mich hat sie ruinieren helfen, auch mich!“

Sie hatten die Talsohle erreicht …

„Ich werde nun vorangehen, Mr. Knorz,“ fügte der Lord in gleichgültigem Tone hinzu. „Dieser Lomatz soll uns Miß Sanden ausliefern, so wahr ich Manuel Goodbeari heiße!“ –

Seine Lordschaft sah im Mondlicht die Sphinx vor sich liegen.

Auf allen Vieren kroch er heran, er, der Sportgeübte – lautlos, jede Deckung benutzend …

Still, tot, dunkel lag das wunderbare Luftboot. Der Lord umrundet es, merkte nichts Verdächtiges.

Vorsichtig erklomm er nun ein Felsstück, von dessen Spitze aus er den Rand der Reling erfassen zu können hoffte.

Einen großen Stein schob er als Waffe vorn in seine elegante Smokingjacke.

Es gelang … Er bekamen die Reling zu packen, zog sich empor – ganz sacht …

Noch ein Schwung, und er stand auf dem leicht gewölbten Deck der Sphinx.

Schaute sich um … Auch hier nichts Verdächtiges … Da vor ihm war die turmähnlich erhöhte Hauptluke.

Er schlich näher …

Und … stand still …

Aus der offenen Luke waren jäh Kopf und Brust eines Mannes aufgetaucht …

Ein Arm flog hoch …

Ein dünner Knall …

Und – gleichzeitig fast hatte Manuel Lord Goodbeari den Stein geschleudert …

Den Stein – und getroffen …

Bevor ihm selbst der Tod in die Brust fuhr …

Goodbeari stand starr, den Kopf nach hinten gebogen, den Blick auf die Sterne gerichtet …

Und mit seltsam hohler Stimme sagte er – laut und klar, so daß auch Gottlieb Knorz es hören konnte:

„Der – letzte – Goodbeari – stirbt – doch – als – – Lord Goodbeari …“

Dann schwankte er, fiel nach vorn auf das Gesicht – – war tot.

Lomatz’ Kugel hatte das Herz durchschlagen. –

Gottlieb Knorz war es eiskalt über den Rücken gelaufen … Diese hohle Stimme hatte bereits wie die eines Toten geklungen.

Und doch raffte der alte Mann, der sich noch so überraschend viel Jugendfrische bewahrt hatte, jetzt all seine Kraft zusammen, erkletterte eiligst denselben Felsblock und schwang sich an Deck der Sphinx …

Fand hier eine Leiche und – auf der Lukentreppe einen Bewußtlosen: Lomatz – Edgar Lomatz!

All der unendliche Haß, den der brave Alte in seinem Herzen gegen diesen Schurken aufgespeichert hatte, kam jetzt in dem einen einzigen Wort zum Ausdruck, das zischend den welken Lippen entschlüpfte:

„Endlich …!!“

Dann hob er Lomatz empor, schaltete das Licht im Innern der Sphinx ein und trug den Bewußtlosen in eine Kabine, wo er ihn erbarmungslos auf dem Bett festband. –

Fünf Minuten darauf wußte Gottlieb, daß Agnes Sanden nicht mehr an Bord war.

Er hatte das ganze Boot mehrmals durchsucht. Er ahnte nun, daß Lomatz das Mädchen irgendwohin verschleppt hatte.

Oh – wenn der Schurke nur erst wieder bei Bewußtsein wäre! Dann wollte er ihn schon zwingen, einzugestehen, wo Agnes geblieben. –

Zunächst holte er nun seinen Teckel, seinen alten halbblinden Kognak. Der hatte derweil draußen im Mondlicht ganz geduldig gesessen und nur zuletzt mißtrauisch schnüffelnd die lange Nase gehoben.

Als Knorz mit ihm an Bord kletterte, knurrte er plötzlich …

Gottlieb kannte seines Kognaks Sprache …

Ein mißtrauischer Blick auf die nahen Büsche …

Und – dort sah er Gestalten – Männer mit weiten Mänteln … Wohl ein ganzes Dutzend …!

Im Nu hatte er den Hund niedergesetzt, sich hinter die Reling geduckt …

In nächster Nähe lagen noch die drei Karabiner, die Lomatz hier für alle Fälle zur Verteidigung der Sphinx bereit gelegt hatte …

Dann auch schon eine Stimme von den Büschen her:

„Hallo – Manuel!! Bist du ebenfalls an Bord?!“

Estevan Estremaldo war’s …

Lord Manuel Charly Douglas Goodbeari blieb stumm – für alle Zeiten …

Estevan rief nochmals …

Und da kam Antwort – aus Gottlieb Knorz rauher Kehle – in verständlichem Englisch:

„Wer auch nur die Hand an die Reling dieses Bootes legt, erhält eine Kugel! – Zurück da – zurück …!“

Und der scharfe Peitschenknall eines Karabinerschusses weckte in den Schluchten des Junto vielfaches Echo … –

Inzwischen hatte sich auch in Porfirio Estremaldos Räuberspelunke an der Granda Topaka, dem stillen Bergsee, einigermaßen aufregende Dinge zugetragen.

Estevan, Porfirios Ältester, der auf des Vaters Geheiß zusammen mit Lord Goodbeari den auf der Sphinx befindlichen Lomatz hatte überwältigen sollen, war erst eine kurze Strecke den Hauptweg, der um den Junto in Serpentinen herumführte, entlangeilt, als ihm auch schon der höchst fragwürdige Sennor Ramon Cervera, Generalkonsul der glorreichen südamerikanischen Mulattenrepublik Patalonia, in Begleitung von zwölf höchst verwegen ausschauenden Gesellen, alles Schmuggler von der Küste, begegnete.

Cervera hielt den jungen Estremaldo an und fragte ihn nach allerlei, fragte insbesondere so eindringlich nach der Sphinx, daß dem schlanken bärenstarken Estevan, der ja dem Vater die Unterbringung Agnes Sandens und des alten Gottlieb in den Grotten des Junto verschwiegen hatte, himmelangst wurde, denn er merkte sehr bald, daß einer der Gefolgschaft des Sennor Cervera ihn offenbar beobachtet hatte, als er das Mädchen und den Alten nach den Grotten geleitete.

Ramon Cervera wieder, der immerhin in seiner Stellung als Generalkonsul halber Diplomat und nebenbei noch ein übler Gauner von nicht alltäglicher Gerissenheit war, merkte seinerseits, daß die verlegenen Antworten des jungen bildhübschen Burschen auf irgendwelche dunklen Machenschaften hindeuteten.

Da Estevan sich schließlich vollständig in die Enge getrieben sah, zog er Cervera etwas beiseite und flüsterte:

„Sennor, Ihr dürft mich dem Vater nicht verraten … Ich gebe zu, daß ich ein blondes Weib und ihren schon betagten Beschützer in der Nähe der Sphinx antraf und beide dann in den Grotten in Sicherheit gebracht habe. Ich fürchtete, der Vater könnte die junge Deutsche an die Emanuela Sakibo nach Lissabon verschachern. Ich – – liebe das Mädchen, Sennor …“

Cervera grinste. „Lieben?! Lieben?! – Du hast ein weites Herz, Estevan, und nebenbei bist du ein schlechter Geschäftsmann … Doch, lassen wir das … folge mir! Hier geht es um Dinge, die keine Heimlichkeiten unter uns Verbündeten vertragen. Hier geht’s …“ – seine Stimme senkte sich noch mehr – „um Milliarden …! Um einen Goldschatz, der freilich erst aus den Tiefen des Ozeans herausgeholt werden muß. – Komm’ …! Eilen wir!“

Er schritt mit Estevan voran. Die zwölf Gesellen, alles stämmige Kerle in weiten braunen Mänteln, alle bis auf die Zähne bewaffnet, folgten in geschlossenem Trupp.

Cervera begann wieder: „Du bist beobachtet worden, als du mit dem Mädchen und dem Alten durch die Schluchten eiltest. Peccaro war auf den Ziegenjagd. Er sah euch. – Ich werde deinen Vater beruhigen, Estevan. Gewiß, er wird toben, wenn er hört, daß du auf eigene Faust gehandelt hast. Aber das hast du ohne Widerspruch hinzunehmen. Wir müssen ja das Mädchen und den Alten unbedingt verhören. Ich habe aus Berlin von dem Gesandten der Republik noch eine Depesche erhalten. Gaupenberg, der Erbauer der Sphinx, und sein Freund Hartwich sowie eine gewisse Mafalda Sarratow sind mit einem Maxim-Doppeldecker unterwegs nach den Azoren. Der berühmte Pilot Fritz Bauer führt das Flugzeug. Gaupenberg und Hartwich hatten auf des Grafen Schloß in Deutschland den angeblichen Diener der Fürstin Sarratow mit Namen Alfonso Jimminez, der sich dort Sergius Petrow nannte, gefangen gesetzt. Er ist entflohen und hat dem Gesandten alles gemeldet, ist nun selbst im Doppeldecker von Berlin aufgestiegen, um schleunigst die Azoren zu erreichen … – So, wir sind angelangt … Ah – dein Vater steht dort an der Seemauer … Hallo, Porfirio …! Hallo …! Melde mich mit zwölf Mann zur Stelle …“

Was dann in Porfirios Zimmer in der Spelunke folgte, war für Estevan wenig erfreulich. Sein Erzeuger riß in heller Wut über seines Ältesten Verlogenheit eine Hundepeitsche von der Wand, und ehe Cervera noch dazwischentreten konnte, flammte auf Estevans Wangen und Kinn eine blutende Strieme.

Diesen Peitschenschlag vergaß Estevan dem Vater niemals. Sein leicht erregbares Blut lechzte nach Rache. Aber er bezwang sich.

Cervera suchte die beiden zu versöhnen. Doch ohne Erfolg.

In sehr ungemütlicher Stimmung begann nun zwischen den Estremaldos und dem Generalkonsul eine eingehende Beratung. Estevan war hinausgeschickt worden und hatte sich zu seiner Mutter in die Küche begeben, um seine wie Feuer brennende Strieme zu kühlen. Die zwölf Schmuggler saßen im Gastraum der Schenke bei Schnaps und einem einfachen Imbiß.

Cervera teilte Don Porfirio den Inhalt der zweiten Depesche mit …

„Die Jacht „Otritis“ soll also in See gehen,“ meinte er. „Ich habe bereits nach Lissabon telegraphiert. Morgens um fünf ist sie seeklar. Bis dahin haben wir die Sphinx in unsere Gewalt gebracht. Gelingt es uns, Lomatz zu zwingen, mit uns gemeinsame Sache zu machen und die Sphinx zu steuern, mit der wir ja wohl kaum fertig werden dürften, dann bleibt die „Otritis“ hier und die zwölf Kerle gehen mit an Bord der Sphinx …“

Zehn Minuten später brach man auf.

Estevan mußte mit, obwohl er sich schämte, sein verschwollenes Gesicht den spöttischen Blicken der Banditen darzubieten, er mußte …! Don Porfirio duldete niemals Widerspruch.

In schnellem Marsche strebte man den Grotten des Junto zu.

Daß mittlerweile Agnes und Gottlieb Knorz entflohen waren, daß Gottlieb den Lord, der die beiden hatte bewachen sollen, überwältigt hatte und daß vielerlei anderes sich zugetragen, ahnte selbst Estevan nicht. Er glaubte, die Sphinx läge noch an ihrer ersten Landungsstelle, während sie nun doch wieder unweit der Grotten auf dem Plateau sich befand und gerade von Lord Goodbeari und Gottlieb umschlichen wurde, als der Trupp feststellte, daß die Grotten leer seien.

Porfirio fluchte, denn er mußte annehmen, daß der Engländer mit den beiden Deutschen das Weite gesucht habe …

„Ein Schuft ist gewesen, ein Undankbarer!“ stieß er hervor. „Wir verbargen ihn hier vor der Polizei, und …“

Er schwieg …

Horchte …

Der Trupp stand auf der schmalen Terrasse vor dem Grotteneingang …

Ein Schuß war gefallen … drüben auf der Hochebene …

„Was bedeutet das?“ flüsterte Porfirio und griff nach dem Revolver.

Sie lauschten …

Mildes Mondlicht beleuchtete die phantastische Berglandschaft.

„Vielleicht ein Wilddieb,“ meinte Sennor Cervera achselzuckend.

„Wilddieb?! Das war ein Schuß aus einer Repetierpistole!“ lachte Porfirio verächtlich. „Du solltest nun bald lernen, den Knall einer Büchse von dem einer kleinen Waffe zu unterscheiden! – Vorwärts, sehen wir nach, was dort auf dem Plateau geschehen.“

Estevan und zwei Schmuggler mußten vorausschleichen.

So … fanden sie die Sphinx, sahen den alten Gottlieb Knorz, der gerade seinen Teckel an Bord holte …

Der halbblinde Hund, dessen Geruch und Gehör noch vorzüglich waren, hatte seinen Herrn rechtzeitig vor dem Angriff des Feindes gewarnt.

Und Gottlieb Knorz’ Karabinerkugel warf einen Schmuggler, der vorwitzig die Deckung der Büsche und Felsstücke verließ, mit Knieschuß zu Boden.

Oh – Gottlieb Knorz, der Alte mit den jungen sprühenden Augen, den noch jungen Muskeln und Sehnen, stand schon seinen Mann, auch in solcher Lage …!

 

32. Kapitel.

Als Porfirio abstürzte …

Estevan Estremaldo brüteten Rache. Der Schimpf, der ihm heute angetan worden war, hatte jedes Band zwischen ihm und seinem Vater zerschnitten.

Außerdem aber – und vielleicht waren diese so anders gearteten Gefühle der Hauptbeweggrund seines Handelns – hatte er noch nie für ein Weib so innig und tief empfunden wie für die blonde liebliche Deutsche.

Da er Agnes Sanden in der Sphinx vermutete, da er ferner wußte, daß sich in der einen Bordwand des Luftbootes ein Loch befand, welches jetzt durch einen Strauch zum Glück verdeckt war, richtete er es nun bei der Einkreisung der Sphinx schlauerweise so ein, daß er dieser von Gottlieb Knorz geschlagenen Öffnung gerade gegenüber in den Büschen seinen Posten bezog. –

Die Schmuggler hatten sich rund um das graue Boot verteilt. Der durch den Knieschuß Verwundete war mühsam in die Sträucher gekrochen und hier von Cervera verbunden worden.

Zehn Minuten lang ereignete sich jetzt nichts – gar nichts …

Der Mond neigte sich langsam der Kuppe des Junto zu. Noch eine Viertelstunde, und er würde hinter dem Berge verschwunden sein. Dann kam die Dunkelheit, dann, so fürchtete Gottlieb Knorz, würde es ihm kaum mehr gelingen, einen Angriff abzuschlagen.

Schwere Sorgen bedrückten den Alten, wie er so hinter der niederen Reling lag und hin und wieder den Kopf hob, um die kleine Lichtung spähend zu überblicken.

Schwere Sorgen, schwere ernste Fragen …

Er war allein an Bord der Sphinx, allein mit dem toten Lord, der dort neben der Hauptluke lag, und mit dem verruchten, verwundeten Edgar Lomatz, den er unten in der Kabine an das Bett gefesselt hatte.

Allein – allein auf sich angewiesen …

Und traute es sich nicht zu, die Sphinx steuern zu können, wenn auch die Schalthebel im runden Führerstand unter der Luke genau bezeichnet waren.

Er ahnte, daß die Horde da draußen nur auf die Finsternis wartete, daß sie dann über ihn herfallen würde …

Und – er preßte die schmalen Lippen desto fester zusammen …! Es mußte einen Ausweg geben – eine Art, die Sphinx zu retten! Und auch er selbst durfte hier nicht sterben …! Seines Lieblings, Agnes’ wegen mußte er sein Leben sich erhalten! Wer sollte sie denn sonst von dort befreien, wohin der Schurke Lomatz sie geschleppt hatte?!

Wohin – wohin war das?! Wohin – –?!

Neue Pein für den Alten mit der scharfen Hakennase, dem kühnen Wilderergesicht …!

Neue Pein!

Am liebsten wäre er jetzt in die Kabine hinabgeeilt, hätte Lomatz bei den Schultern gepackt und ihm irgendwie das Geständnis abgepreßt, wohin der Elende das Mädchen geschafft hatte …

Aber – jetzt war er hier an Deck nötiger! Jetzt durfte er seinen Posten noch nicht verlassen …

Noch nicht! – Sein Plan war fertig. Eine gütige Vorsehung würde ihm beistehen, daß er mit den Hebeln im Führerstande sich zurechtfinden könnte! Nur so war die Sphinx zu retten. Emporsteigen mußte sie zu jenen friedlichen Höhen des weiten Himmelszeltes, bis zu denen menschliche Verruchtheit nicht emporreicht!

Doch jetz noch nicht! – Erst dann, wenn die Mondscheibe hinter der Spitze des Junto verschwand, wenn der schwarze Bergschatten die Sphinx einhüllen würde!

Nicht früher …! Denn dort drüben auf jener nahen abgestorbenen Eiche, deren Stamm ganz schräg im Gestein hing, wie vor Altersschwäche, dort hatte er soeben zwei Gestalten gewahrt, hatte mit Adlerblick erkannt, daß der eine Mann ein Fernglas benutzte und ihn somit von dem erhöhten Standort aus sehen mußte.

Tiefer und tiefer senkte sich das Nachtgestirn. Unheimliche Stille lastete über der buschreichen kleinen Hochebene.

Wie die Stille vor einem Orkan, der jeden Moment losbrechen mußte … –

Gottlieb Knorz fieberte vor Aufregung. Selbst sein durch Gartenarbeiten im Parke von Graupenburg abgehärteter Körper und sein stählernes Nervensystem hatten den Mühsalen und wahnwitzig hastenden Vorfällen der letzten Tage nicht so recht standgehalten.

Er fieberte förmlich, seine Hände waren eiskalt, und das Gesicht brannte. In den Ohren sang das Blut, täuschte ihm zuweilen Geräusche vor …

So auch jetzt wieder …

Hatte da nicht soeben der Busch an der Backbordseite der Sphinx sich bewegt, hatten nicht die Blätter gerauscht, als schöbe sich ein Lebewesen in die belaubten tiefen Zweige?

Er hob den Kopf …

Reckte ihn über die Reling …

Schaute hinab … Sah nichts …

Und da – ein feines helles Singen ging dicht an seinem Ohr vorüber …

Ein Schuß war gefallen …

Die Kugel sollte den Verteidiger der Sphinx erledigen – ging vorbei …

„Ich muß vorsichtiger sein!“ brummte der Alte ingrimmig und duckte sich noch enger hinter die Reling. „Beinahe wäre es aus gewesen mit mir! Beinahe! Zwei Zentimeter seitwärts, und mein Kopf hätte ein böses Loch bekommen!“ –

Inzwischen war der sehnige, zedernschlanke Estevan, dieses Prachtstück eines portugiesischen veredelten Banditen, wie eine Schlange durch das Gras der Lichtung gekrochen – im Zickzack, stets sich deckend hinter Steinen, die ihn am besten verbargen …

Hatte sich in den Busch hineingedrückt und das Loch in der Außenhaut der Sphinx dann mit leichtem Schwung erklommen.

War nun in derselben Kabine, in die Lomatz den Alten eingesperrt gehabt hatte und aus der Gottlieb Knorz’ eiserne Muskeln durch Holz und Aluminium einen Ausgang gebrochen.

Die Kabinentür nach dem Schiffsgang hin nur angelehnt …

Ah – das erleichterte die Sache! – Estevan rieb ein Zündholz an der rauhen Fläche der kleinen Schachtel. Knisternd flackerte das Flämmchen auch. Estevans Gesicht ward hell – und deutlich wie ein knallroter Strich schimmerte die Strieme des Peitschenhiebes, den Porfirio seinem Ältesten versetzt hatte …

Ein Hieb, der manches umstoßen sollte, der mit eingriff in die Geschichte all der Kämpfe um den Goldschatz der Azoren!

Estevan schlich weiter.

Die Sphinx war ja nur klein. Er fand sich unschwer zurecht.

Stutzte … Horchte …

Stöhnen drang an sein Ohr …

Dort – durch diese Tür …

Laute der qualvollsten Schmerzen …

Und jetzt ein halb erstickter matter Schrei …

„Hilfe – – – Hilfe!“

Estevan riß die Tür auf … Ein neues Zündholz zeigt ihm den auf das Bett gefesselten Lomatz mit blutigem Kopf …

Des deutschen Verbrechers Augen starrten den jungen Portugiesen an. Er erkannte ihn, war seit Minuten bei Bewußtsein.

Röchelte …

„Sennor Estevan, helft mir … helft mir! Ich … verspreche euch Gold … Gold …“

Da erlosch das Zündholz. Und aus dem Finstern Estevans raue Antwort:

„Oben an Deck ist der alte Sennor Knorz. Wo ist die blonde Madonna?“

Lomatz schwieg …

Ein drittes Zündholz flackerte auf …

Estevan beugte sich über den Elenden …

„Wo ist die Sennorita …? Redet!“ – Seine Stimme war noch drohender …

Lomatz schloß die Augen, stöhnte, schauspielerte …

Der junge Herkules lachte kurz …

„Oh – ich werde es schon erfahren! Und – euch helfen – euch?! Daß ich ein Narr wäre! Ich weiß alles – alles …! Betrogen habt ihr euren Verbündeten Alfonso Jimminez, habt ihn auf der Graupenburg niedergeschlagen und die Sphinx entführt, um den Azorenschatz für euch allein zu erringen! Ein Verräter seid ihr, Edgar Lomatz!“

Und er verließ die Kabine, fand die Tür zum Führerstand.

Die Luke war offen. Mondlicht fiel in schräger Bahn in das runde Gemach mit den blinkenden Apparaten. Und das Mondlicht schwand jetzt. Das Nachtgestirn verkocht sich hinter dem Junto …

Estevan erklomm die Lukentreppe, schob den Kopf über den Lukenrand – ganz wenig nur …

Prallte zurück …

Des Mondes letzter Strahl traf das blasse Totengesicht Lord Goodbearis.

Ein friedliches Gesicht. Um die erkalteten Lippen schien noch ein glückliches Lächeln zu schweben … –

Estevan überlegte – nur Sekunden. Und er reimte sich zusammen, was hier geschehen. Ahnte, daß Lomatz den Lord niedergeschossen hatte.

Nun deckte Finsternis die Sphinx. Der Mond war verschwunden. Nun kroch Gottlieb Knorz herbei …

Eine Stimme da – von der Luke her:

„Hier gut Freund, Sennor Knorz … Estevan ist! Keine Sorge, daß ich euch etwas antue, Sennor, mein Vater hat mich geschlagen wie einen räudigen Hund, weil ich euch und die Sennorita Agnes verborgen habe … Ich liebe die Sennorita … Ich werde euch beistehen …“

Der Alte zauderte. Aber – langes Bedenken gab’s hier nicht. Wenn der junge Portugiese Heimtücke geplant hätte, wäre es ihm ein leichtes gewesen, ihn hinterrücks zu überfallen.

Gottlieb Knorz glitt die Treppe hinab, tastete nach dem Lichtschalter.

Die elektrischen Lampen im ganzen Boote flammten auf …

Da sah Knorz den blutig roten Streifen im Angesicht des Burschen. Nun war er völlig beruhigt.

Oben an der Luke winselte der vergessenen Teckel …

„Holen Sie ihn herein, Estevan,“ meinte Gottlieb und wandte sich den Hebeln zu.

Pochenden Herzens schob er den einen um zwei Striche der Skala nach links …

Über dem Hebel ein Schild:

Auftrieb

Und – es war der rechte …

Der rechte – zur rechten Zeit …

Draußen waren die braunen stämmigen Kerle wie die Katzen herangeschlichen …

Allen voran Porfirio, der edle Don Estremaldo …

Als erster bekam er den Rand der Reling zu fassen … Nach ihm drei andere …

Da – einen Ruck ging durch das Boot – unmerklich …

Es – – stieg … stieg langsam …

Der eine der Schmuggler ließ die Reling fahren, fiel herab, brüllte eine Warnung …

Auch die beiden anderen taten’s, landeten noch unversehrt im Geröll. Nur Don Estremaldo, zitternd vor ohnmächtiger Wut über die Feigheit der jämmerlichen Kerle blieb an der Reling hängen …

Zog sich empor …

Tiefer rutschte ihm der Hut ins Gesicht …

Und Estevan, der soeben den Teckel emporhob, erblickte undeutlich Kopf und Brust eines Mannes über der Reling …

Ließ den Hund auf die Deckplanken zurückgleiten, riß den Revolver aus der Tasche …

Feuerte … drei … vier Schuß …

Traf nicht …

Und sein Vater, völlig im unklaren über die Entfernung bis zur Erde, gab jetzt ebenfalls das Rennen auf …

Löste die Hände …

Fiel … fiel acht Meter hinab … acht Meter …

Beider Beine Schenkelknochen splitterten. Bewußtlos lag Don Estremaldo im Steingeröll. Nie wieder erlangte er die freie Bewegung seiner Gliedmaßen zurück. Ein Krüppel war er geworden in dieser Wildnis in den Schluchten des Junto.

Die Sphinx schwebte höher … höher …

Aus dem Schatten des Junto wieder heraus in den monddurchfluteten Äther.

Von Süden her, wo der Lichtschein der portugiesischen Hauptstadt am Horizont als heller Bogen leuchtete, nahte ein großer Doppeldecker …

 

33. Kapitel.

Lomatz am Tau.

Die in der Kabine des Maxim-Doppeldeckers versammelten fünf Personen, Graf Viktor Gaupenberg, Georg Hartwich, die Fürstin Sarratow, der Taucher Oretto und sein junger, dunkelhäutiger und schwarzhaariger Gehilfe Juan Lobeza – hatten nur schwer genügende Sitzplätze gefunden.

Pasquals Gehilfe hockte in der dunkelsten Ecke auf einem Klappstuhl. Als Gaupenberg vorhin zum ersten Mal das Wort an ihn gerichtet hatte, war Juan sehr verlegen geworden und hatte den Kopf zur Seite gewandt. Pasqual Oretto beeilte sich, zu erklären, daß der arme Jüngling leider stumm sei. Man möge ihn nicht weiter beachten, das sei ihm am liebsten.

Und doch schweiften des Grafen Blicke jetzt immer wieder nach jener Ecke hin, wo Juan mit auf die Brust gesenktem Kopf regungslos dasaß.

Dieses Gesicht mit den weichen Zügen rief irgendeine Erinnerung in Gaupenberg wach. Er mußte es schon einmal gesehen haben, sagte er sich, verwarf dann wieder diese Vermutung und widmete sich seiner Verlobten Mafalda.

Juan Lobeza litt unendlich – unendlich …!

Juan Lobeza war ja niemand anders als die arme Agnes Sanden, einst Gaupenbergs leidenschaftlich geliebtes holdes Mädchen, jetzt aus dem Herzen des Grafen verdrängt durch eine ränkevolle Abenteurerin.

Fast ging es über ihre Kräfte, hier aus nächster Nähe mit ansehen zu müssen, wie die Fürstin die ganzen Künste des reifen Weibes aufbot, den Grafen immer enger in ihre Netze zu locken.

Und doch bedeutete diese halbe Stunde, während der das große Flugzeug unaufhaltsam gen Norden zum Junto-Berge strebte, für die seelische Reife des jungen Mädchens einen weiteren Schritt zur Fortentwicklung. Hatten schon die Ereignisse auf der Graupenburg die zarte Agnes körperlich und geistig gestählt und ihr den Beweis geliefert, daß sie Gefahren und Aufregungen besser gewachsen war, als sie je geglaubt hatte – hier im Maxim-Doppeldecker lernte sie ihr klagendes Herz zum Schweigen zu bringen, lernte auch die schwere Kunst, ihre Rolle als Juan Lobeza ganz den Anweisungen Pasquals gemäß durchzuführen. ‚Sennorita,’ hatte der Taucher zu ihr gesagt, als er ihr das prächtige Blondhaar abschnitt, ‚Sennorita, die Augen und die Stimme eines Menschen lassen sich nicht ummodeln. Wenn ich Ihnen auch durch Farbstriche die Brauen anders geformt habe, vergessen Sie nie, die Lider stets halb zusammenzukneifen, als seien sie kurzsichtig! Und dann, sie sind stumm, Sennorita! Auch daran denken Sie!’

Oh – Agnes Sanden richtete sich danach … Und wie trefflich sie den Juan Lobeza spielte, sollte die Zukunft zeigen – diese Zukunft, die den Kämpfern um den Azorenschatz unerhörte Abenteuer, nervenzerreißende Gefahren und unsagbare Schrecken brachte …! Und all das überstand Agnes Sanden vielleicht besser und mit größerer Seelenruhe als alle übrigen, denn in ihrer erstarkten Seele lebte ja stärkster Halt, das hehrste aller Gefühle: die Liebe – die Liebe und die Hoffnung, den durch Lug und Trug ihr geraubten Verlobten für sich zurückzugewinnen …! –

Weiter und weiter flog der Doppeldecker. Im Führerstand saß die knabenhafte, zusammengeduckte Gestalt des berühmten Piloten Fritz Bauer …

Ein Mann von dreißig Jahren … Ein Körper, nur Muskeln und Sehnen … Und ein abschreckend mageres, aber kerngesundes Gesicht mit seltsam durchdringenden Augen und einem Zug brutaler Energie um den großen Mund.

Dunkel war’s im Führerstand, während nebenan die Lampen bei dicht verhängten Fenstern brannten …

Dunkel – und nur des Mondes bläuliches Licht beschien die auf den Steuerhebeln ruhenden Hände des starr in die Ferne schauenden Piloten.

Der Junto tauchte auf …

Die eine Seite des Berges lag im Schatten, die andere strahlte wie mit Silberfarbe überzogen. Und glitzernd schimmerte die Oberfläche des Bergsees, neben dem Don Porfirio Estremaldos Spelunke an der Felswand lehnte.

Fritz Bauer drückte auf einen Klingelknopf …

Nebenan in der Kabine schrillte eine elektrische Glocke …

Steuermann Hartwich sprang empor, öffnete die kleine Tür, betrat den vorderen Raum und schloß schnell wieder hinter sich, damit kein Lichtstrahl das Flugzeug verrate.

„Was gibt’s, Herr Bauer?“ Und er beugte sich über den Piloten.

„Schauen Sie mal nach Nordost,“ erwiderte Bauer kurz.

Hartwichs gute Seemannsaugen suchten das Firmament ab, dann die Erdlandschaft dort unten. Und glitten wieder zu den Sternen empor, blieben an einem Körper haften, der wie ein daumengroßer Fleck in der Luft schwebte …“

„Herr Gott – – die Sphinx!“ entfuhr es ihm dann …

„Allerdings,“ nickte Bauer. „Und – leider die Sphinx …! Lomatz ist also wieder aufgestiegen. Was tun wir nun?“

„Ich muß Viktor rufen …“

Der Graf hatte kaum noch Platz im engen Führerstand.

Auch er stierte nun geradeaus – dorthin, wo in der Ferne in gleicher Höhe mit dem Doppeldecker die Sphinx wie ein verschwommener Punkt in der Luft hing.

Auch er sagte stockend: „Was – – nun?!“

Steuermann Hartwich erwiderte:

„Es gibt wohl nur eine Möglichkeit. Umkehren, landen und unser Flugboot beobachten und dann verfolgen, bis sich eine Gelegenheit bietet, Lomatz zu überrumpeln.“

Fritz Bauer hatte schon den Motor abgestellt, und in Spiralen ging der Maxim im Gleitflug langsam nieder, landete auf einem dürren Acker.

Vier scharfe Ferngläser belauerten jetzt die Sphinx – vier Männer standen draußen auf dem Felde neben dem Maxim unb wußten sich nicht zu erklären, weshalb das Luftboot über dem Junto fast unbeweglich in etwa dreihundert Meter Höhe schwebte.

Die Nacht war völlig windstill, und so konnte auch keinerlei Luftströmung das Flugboot abtreiben, als die Propeller und Motoren nicht arbeiteten.

Gaupenberg ließ das Glas sinken.

„Was hältst du davon, Georg?“ fragte der Grab zögernd den Freund.

Hartwich hob die Schultern. „Ich weiß es nicht … Warten wir noch…“

Pilot Bauer dachte anders. „Wir stehen hier nun bereits eine Viertelstunde. Ich wette, daß nicht Lomatz die Sphinx steuert.“

„Wer sonst?!“ meinte Gaupenberg.

„Bitte – der alte Gottlieb Knorz ist doch des Verbrechers Gefangener, und nach Ihrer Schilderung, Herr Graf, scheint mir Knorz ganz der Mann danach zu sein, selbst Lomatz einen Streich zu spielen.“

„Sie glauben also, daß Knorz mit der Sphinx aufgestiegen ist?“

„Ja. Weshalb sollte Lomatz wohl dort oben wie angekettet im Äther hängen?! Er weiß doch mit der Maschinerie des Luftbootes Bescheid, und er dürfte es auch recht eilig haben, nach den Azoren zu kommen. Ich gestatte mir daher vorzuschlagen, unseren Maxim hell zu erleuchten, als ob er ein harmloses Passagierflugzeug sei. Dann gehen wir hoch und fliegen dicht neben der Sphinx hinweg. So werden wir feststellen, was dort an Bord gestehen.“

Gaupenberg und Hartwich waren einverstanden. Die Herren kletterten in die Gondel zurück, und nach kurzem Anrollen kam der Maxim vom Boden frei. – –

Auf der Sphinx hatte Gottlieb Knorz jetzt das große Sehrohr hochgewunden, damit er im Führerraum die Umgebung beobachten könnte.

Soeben hatte ihm Estevan Estremaldo berichtet, was er über den Inhalt der beiden Depeschen aus Berlin wußte, die der Generalkonsul Cervera erhalten hatte.

Knorz wurde durch diese Mitteilungen sehr beunruhigt, denn die Möglichkeit war ja nicht von der Hand zu weisen, daß vielleicht der Doppeldecker des patalonianischen Geheimagenten Alfonso Jimminez in Lissabon eine Zwischenlandung vornähme, um sich mit Cervera persönlich in Verbindung zu setzen.

Der Alte hatte bisher nicht gewagt, auch einmal versuchsweise die Motoren der Sphinx anlaufen zu lassen, und so schwebte nun das Luftboot noch immer über dem Monte Junto in mäßiger Höhe. Und doch sah Gottlieb Knorz ein, daß jetzt irgend etwas geschehen müsse.

Nach kurzem Überlegen entschied er sich dafür, zunächst Edgar Lomatz zu zwingen, den jetzigen Aufenthaltsort Agnes Sandens zu verraten.

„Estevan,“ sagte er zu dem jungen Portugiesen, „gehen Sie an Deck und halten Sie gut Ausschau, besonders nach Norden. Von dort könnte Jimminez Doppeldecker auftauchen. Wenn sie etwas bemerken, melden Sie es mir. Ich will Lomatz nötigenfalls durch schlimmste Drohungen dazu zwingen, mir anzugeben, wo er Agnes verborgen hält.“

Estevans durch die rote Strieme so arg entstelltes Gesicht verzerrte sich jäh.

„Oh, ich werde mit Lomatz reden,“ rief er überlaut. „Was Sie, Sennor Knorz, nie erreichen dürften – mir wird es gelingen!“ Seine Augen flammten düster, und dem alten Gottlieb lief’s kalt über den Rücken, als er das grausame Lächeln seines Gefährten bemerkte.

Er zögerte …

Aber Estevan wiederholte noch eindringlicher: „Mit Leuten vom Schlage dieses Schuftes weiß ich besser umzugehen!“

Da machte der Alte denn eine kurze zustimmende Handbewegung, nahm seinen Teckel unter den Arm und stieg die Treppe empor an Deck, setzte sich auf den Lukenrand und ließ die scharfen Blicke den nördlichen Horizont immer wieder absuchen.

Neben ihm hockte Kognak …

Und seltsame Gedanken waren’s, die dem Alten hier nun durch den Kopf gingen, Gedanken an all die bunten Vorgänge, die das Geheimnis des Milliardenschatzes jetzt bereits heraufbeschworen hatte …

Menschen, die in ruhiger Lebensbahn friedlich in Arbeit und Pflichtgefühl ihr Dasein bisher ohne größere Erregungen genossen hatten, waren herausgeschleudert worden aus Behagen und Zufriedenheit, hatten ihres Wesens innersten Kern völlig umwandeln müssen, waren … zu Abenteurern geworden …

So er selbst, Gottlieb Knorz … So die arme, betrogene Agnes, so Graf Viktor – viele andere, Böse und Gute …

Das Gold war’s, das wie ein unheilvoller Magnet all dieser Menschen Schicksale durcheinanderwirbelte …

Das … verfluchte Gold …!!

Und der alte Gottlieb ballte unwillkürlich die Fäuste.

Da – hinter ihm ein Geräusch – von der Treppe her …

Estevan kam, auf der Schulter den gefesselten Lomatz, in der Hand ein dickes Tau, dessen eines Ende er dem Verbrecher um die Brust geknotet hatte.

Gottlieb sprang auf.

„Was soll das, Estevan …?“ rief er unwillig, denn er ahnte, daß der junge Mensch mit Lomatz etwas Besonderes vorhatte.

Estevan legte gelassen das menschliche Bündel auf das Deck.

„Sennor Knorz,“ sagte er, und im Mondlicht war sein Gesicht wie eine Fratze ungeheurer Wut, „der Schuft hier schweigt – schweigt hartnäckig. Aber ich habe seine Taschen durchsucht und dabei ein Päckchen Banknoten gefunden, die in einem alten Briefumschlag lagen. Der Umschlag trägt eine mir nur zu wohlbekannte Adresse:

Sennora Emanuela Sakibo
Lissabon
Rua del Pravida 21

und dieses Weib, Sennor Knorz …“ – Estevans Stimme schlug vor Erregungen um – „dieses Weib ist Besitzerin … eines Bordells …!“

Gottlieb erfaßte sofort den Zusammenhang. Auch sein Gesicht ward zur Fratze …

Er kreischte … er kreischte …:

„Ver – kauft – an – das Weib …?! Glauben Sie das – – Nehmen Sie das wirklich an?!“

Estevan versetzte Lomatz einen Fußtritt …

„Oh – der Hund leugnet’s ab … Aber er soll schon die Wahrheit gestehen!“ – Er bückte sich, hob den Elenden auf …

„Sennor Knorz, binden Sie hier das lose Ende des langen Taues an den Haken dort …! Und dann – über Bord mit dem Schuft! Und – – Faser auf Faser des Taus will ich zerschneiden, bis er entweder gesteht oder – – unten in den Klüften der Junto zerschellt!“

Lomatz blieb stumm.

In seinen aufgerissenen Augen flackerte die Todesangst …

Und doch wußte er, die Wahrheit gestehen war ebenfalls sicherer Tod! Dieser in Agnes verliebte junge Portugies würde ihm das Messer in den Leib rennen!

Gottlieb Knorz machte noch einen letzten Versuch, im guten den Verbrecher zu einem Geständnis zu bewegen.

„Lomatz,“ sagte er fast feierlich, „Sie werden einst vor dem höheren Richter für Ihre Taten Rechenschaft ablegen müssen! Lomatz, ich verspreche Ihnen, daß …“

Estevan brüllte dazwischen:

„Was soll das?! Dem – dem reden Sie vom höheren Richter, Sennor Knorz – vergeuden hier kostbare Sekunden! Hinab mit ihm – – hinab!!“

Und er trat an die Reling heran – – warf Lomatz ins Leere …

Ein tierischer Schrei der Todesangst gellte auf …

Dann spannte sich das Tau mit scharfem Ruck, glitt durch Estevans nervige Hände, straffe sich vollends …

Und unter der Sphinx, zehn Meter unter ihr, pendelte der heulende Verbrecher im Mondesglanz hin und her …

Ein Zufall ließ Gottlieb Knorz im selben Augenblick nach Süden schauen …

Seine Pupillen zogen sich zusammen … weiteten sich …

„Ein … ein Flugzeug, Estevan!“ stieß er gurgelnd hervor. „Dort – dort – es kommt auf und zu …!“

Estevan Estremaldo blieb kalt.

„Und wenn’s Jimminez wäre – was könnte er uns anhaben, Sennor Knorz?!“ sagte er grimmig lachend. „Dort liegen die geladenen Karabiner … Und ich bin kein schlechter Schütze! Rückt uns der Doppeldecker zu dicht auf den Leib, werde ich ihn mit Kugeln spicken!“

Gottlieb hatte seinen ersten Schreck überwunden.

„Ich werde die Sphinx noch höher steigen lassen …“, meinte er mit einem prüfenden Blick auf den großen, hellen Doppeldecker. „Und wenn es sein muß, ich wage es! Ich werfe die Motoren an! Dann … holt uns kein Flugzeug ein!“

Leichtfüßig sprang er die Lukentreppe hinab …

Und – – die Sphinx schwebte höher … höher …

Unter ihr hing Edgar Lomatz – schlaff, ohne Bewußtsein …

Das Entsetzen hatte ihm die Besinnung geraubt.

 

34. Kapitel.

Eine Jagd in den Lüften.

Aust den Kabinenfenstern des Maxim schauten bewaffnete Augen nach der Sphinx hinüber.

Pilot Bauer sah ebenfalls, daß unterhalb des Flugbootes noch etwas in der Luft schwebte, als die Sphinx jetzt stieg …

Langsam – stetig …

Dann rief Hartwich ihm zu:

„Herr Bauer – es ist ein Mensch, ein Mann – ein Mann an einem Tau …“

Der Pilot erwiderte: „Das dürfte wohl kaum stimmen …“ – Er wollte noch etwas hinzufügen. Inzwischen hatte er jedoch den Doppeldecker gleichfalls steigen lassen und erkannte plötzlich, daß Hartwich recht hatte …

„Ah – ein Mann!“ rief nun auch Bauer in fassungslosem Erstaunen …

Mafalda Sarratow drängte Gaupenberg vom Fenster weg …

„Bitte – ich möchte hinausschauen … Gib mir das Glas, Viktor …“

Sie lehnte sich hinaus. Auch ihre Augen waren vorzüglich …

Und – das Fernglas brachte ihr jetzt das Gesicht des menschlichen Pendels dort unter der Sphinx ganz nahe …

Lomatz – – Lomatz war’s! Lomatz, ihr Verbündeter, ihr treuloser Verbündeter!

Wenn der jetzt hier diesen Männern in die Hände geriet, konnte er unabsehbares Unheil anrichten, konnte sie bloßstellen, konnte alles verraten …!

Und – jetzt bewegte Lomatz sich …

Er lebte …! Reckte die Arme hoch, er – faßte das Tau … Wollte emporklettern …

Nein – nein – die Hände waren gefesselt, lagen ganz dicht aneinander …

Nein – eine flehende Geste war diese Armbewegung …! Ein Flehen um Gnade, fraglos an die Leute gerichtet, die jetzt Herren der Sphinx waren …!

Mafalda, Dämon, Satan, Tigerin Mafalda – ihre Gedanken jagten, ballten sich zum Entschluß zusammen.

Und sie blickte schnell um sich … Niemand achtete auf sie …

Ein Griff seitwärts …

Das war die Repetierbüchse Bauers …

Und Mafalda schob sie blitzschnell hinaus zum Fenster, entsicherte die Waffe, zielte …

Fünfzig Meter nur noch …

Und beide Luftfahrzeuge lagen in einer Linie … einer Höhe …

Ein Schuß knallte …

Da sprang Gaupenberg zu …

„Mafalda …!!“

Er packte sie, riß sie zurück …

„Mafalda – was tust du?! Bist du von Sinnen?!“

Die Fürstin war Komödiantin … Keine bessere gab es …

Ein perlendes Lachen … „Viktor, es ist ja nur ein Kleiderbündel, eine Puppe, nichts weiter … Mir kam ganz plötzlich der Gedanke, die Puppe …“

Gaupenberg ließ von ihr ab, wandte sich um …

Hartwich hatte ihm zugerufen: „Man … man schießt auf uns …!“

Im selben Augenblick schnellte Pilot Bauer von seinem Sitz im Führerstand hoch …

Drehte sich um sich selbst, schlug nach vorn auf das Gesicht, fiel in die offene Tür hinein …

An seinem Hinterkopf klaffte das faustgroße Loch eines Ausschusses …

Der führerlose Maxim begann zu schwanken, sauste in die Tiefe, richtete sich wieder auf …

In der Kabine lag alles wild durcheinander – übereinander …

Nur Hartwich war mit raschem Satz im Führerstand …

Packte die verwaisten Hebel …

Richtete den Doppeldecker wieder auf … –

Die Sphinx verschwand mit surrenden Propellern gen Süden …

* * *

Der Maxim-Doppeldecker, den Seine Exzellenz Ramon Orsaro, Gesandter der glorreichen Republik Patalonia, für Alfonso Jimminez angekauft hatte, fuhr mit ein hundertundzwanzig Kilometer Geschwindigkeit mit südlichem Kurs über den Monte Junto hinweg gen Lissabon.

An Bord befanden sich: ein Pilot der Maxim-Werke namens Grieb, Alfonso Jimminez und der patalonische Botschafter Emilio Targossa, ein gelbhäutiger Mestize, ein übler Schuft, bei dem selbst das Monokel und die überelegante Kleidung den Eindruck hochstaplerischer Aufgeputztheit hervorrief.

Dieser Targossa war dem anrüchigen Sennor Alfonso von Seine Exzellenz als stiller Wächter mitgegeben worden.

Die beiden Ehrenmänner saßen in der Kabine und würfelten um Geld.

Bis plötzlich Pilot Grieb ihnen durch die offene Tür zubrüllte:

„Achtung! Vor uns ein anderer Doppeldecker, mit dem irgend etwas nicht in Ordnung zu sein scheint!“

Jimminez und Targossa eilten ans Fenster …

Da rief der Pilot schon wieder: „Es ist ein Flugzeug unserer Fabrik! Also wahrscheinlich Maxim – Nummer 12 …!“

Targossa rief: „Jimminez, ob es etwa wirklich Gaupenberg mit den Seinen ist?! Das wäre ja ein ungeheures Glück!“

Der hagere Riese Alfonso, dieser Mensch mit den groben, listigen Zügen, dieser Athlet mit den Kräften eines Stieres, hatte noch mehr gesehen – in der Ferne – in lichten Ätherhöhen, die enteilende Sphinx!

Er beugte sich zu Targossa hin:

„Dort – die Sphinx!“ flüsterte er keuchend. „Nun gilt’s! Nun muß die Maske gegenüber Grieb fallen …!“

Und er betrat rasch den Führerstand.

„Herr Grieb,“ sagte er hastig, „wir haben Sie bisher über unser Vorhaben im Unklaren gelassen …“

Der Pilot der Maxim-Werke, ein Mann mit einer Kinderfigur und doch mit den verbitterten Zügen gereiftester Jahre, wandte halb den Kopf zurück, behielt die beiden Luftfahrzeuge dort vorn im Auge und meinte kurz auflachend:

„An eine diplomatische Mission habe ich noch nie geglaubt. Die dauert nicht vier Wochen. So lange haben Sie Maxim Nr. 17 gemietet. Außerdem, Herr Jimminez, das leichte Maschinengewehr und Ihr sonstiges Waffenarsenal weisen auch auf mehr gewaltsame Pläne hin!“

„Hm – und wie würden Sie sich dazu stellen?“

„Ganz nach der Bezahlung, Herr Jimminez …“

„Gut – fünftausend Dollar extra, Herr Grieb …“

„Abgemacht. – Und nun – –?!“

„Nun – zunächst eine Frage! Ist Maxim Nr. 17, auf dem wir uns hier befinden, wirklich das schnellste Ihrer Flugzeuge?“

„Das schnellste, das es zurzeit in Europa überhaupt geben dürfte …“

„Dann – – ist alles in Ordnung …!“ Ein pfeifender Atemstoß kam aus des Riesen Brust. „Dann bleiben Sie jetzt mehr zurück, Herr Grieb, damit der Doppeldecker dort uns nicht bemerkt …“

„Das ist kaum zu fürchten, Herr Jimminez. Wir liegen jetzt etwa in einer Höhe mit dem Monde. Die Insassen von Nr. 12 werden durch das Mondlicht geblendet, dazu kommt noch unser Schutzfarbenanstrich. Keine Sorge!“

„Noch besser …! – Damit Sie völlig im Bilder sind, das Fahrzeug dort ganz weit voraus ist ein Luftboot neuartiger Konstruktion. Es wurde dem Erbauer, einem Grafen Victor Gaupenberg, durch einen Hochstapler, Edgar Lomatz, entführt. Gaupenberg befindet sich auf Maxim 12, und …“

Grieb nickte. „Genügt – genügt, Herr Jimminez. Bin schon im Bilde. Nr. 12 will das Luftboot zurückerobern, und Sie wollen es wieder für sich haben …! – Wird wohl etwas gefährlich werden, die Geschichte … Legen Sie noch tausend Dollar zu, dann sind es sechstausend – ein halbes Dutzend Tausender, und – die Hälfte bitte sofort, Herr Jimminez … Geschäft ist Geschäft …!“

Alfonso Jimminez rief den Botschaftsrat Targossa herbei. Der sträubte sich erst nach Kräften. Aber ein heimlicher Wink des Geheimagenten der Republik Patalonia besagte ihm, daß die dreitausend Dollar Anzahlung wohl nicht für immer die Brieftasche des Piloten füllen würden.

So rückte er denn mit den Banknoten heraus.

Alexander Grieb aber, ein Mensch von verblüffender Vielseitigkeit und Gewissenlosigkeit, hatte in den Fenstern des Führerstandes diesen verfänglichen Wink des riesigen Athleten wie in einem Spiegel genau bemerkt und reimte sich sofort das Richtige zusammen. Ein blitzschnelles Grinsen flog über sein faltiges, bartloses Gesicht, und seine innersten Gedanken in diesem Moment hätten auch wohl Männer wie die beiden Patalonianer zum Erschauern gebracht. –

So bewegten sich denn nun die drei Flugzeuge mit den Kämpfern um den Azorenschatz in weiten Abständen und in verschiedener Höhe gen Süden.

Sehr bald hatte die prächtige Sphinx das Meer erreicht und schwebte jetzt, fünfhundert Meter hoch, in mäßig schneller Fahrt über dem noch in nächtliche Schleier gehüllten Ozean.

Gottlieb Knorz und Estevan standen in dem runden Maschinenraum unterhalb der Hauptluke, deren Deckel weit aufgeschoben war. Noch immer lag der arme erschossene Lord Manuel Goodbeari neben der Luke, noch immer hing der Verbrecher Lomatz als lebendes Pendel zehn Meter unterhalb der Sphinx an dem dicken Tau.

Die Erregung der beiden neuen Verbündeten Knorz und Estevan über das Auftauchen des einen Doppeldeckers, in dem sie irrtümlicherweise Jimminez und Targossa vermuteten, hatte sich jetzt gelegt. Estevans Karabinerschüsse, die dem bedauernswerten schneidigen Piloten Fritz Bauer das Leben gekostet und beinahe Nr. 12 zum Absturz gebracht hätten, waren auch fernerhin nicht ohne Erfolg geblieben: Nr. 12 wagte sich nicht mehr näher heran!

In dem Spiegel des Sehrohres der Sphinx konnten Knorz und der junge Portugiese den einen Verfolger genau beobachten. Den anderen, Nr. 17, hatten sie noch nicht erspäht.

Als sie nun etwas zu Atem gekommen und unter ihnen düster und endlos der Ozean sich ausbreitete, sagte Gottlieb mit einer Handbewegung zu Luke: „Estevan, ziehen Sie jetzt den Lomatz nur wieder ein! Wir haben zurzeit andere Sorgen, als ein Geständnis aus ihm herauszupressen.“

Estevan Estremaldo, dieser prachtvolle Typ des verwegenen Banditen und Schmugglers, schüttelte jedoch den Kopf. „Einziehen will ich ihn, Sennor Knorz … das ja! Aber – er muß gestehen, wo er die blonde Sennorita gelassen hat! Er muß!!“

Mit zwei Sprüngen war er an Deck.

Blieb neben des Lords Leiche einen Augenblick stehen und schaute traurig in das starre Gesicht seines Freundes.

„Du sollst gerächt werden, Manuel,“ flüsterte er in aufflammender Rachgier. „Du warst mir der treueste Freund! Lomatz’ Kugel streckte dich nieder! Lomatz wird es … spüren!“

Als der Kopf des Verbrechers über der Reling erschien, sah Estevan im nur noch schwachen Licht des Mondes, daß Lomatz an der linken Schläfe einen Streifschuß erhalten hatte und ohnmächtig war, vielleicht infolge des starken Blutverlustes. Seine Kleider waren jedenfalls wie mit Blut getränkt.

Mafaldas Kugel war’s gewesen, die dem Hochstapler so dicht am Gehirn vorübergegangen.

Mafalda, Fürstin Sarratow, hatte von Nr. 12 aus Lomatz erschießen wollen, weil sie ihn fürchtete. Er wußte zu viel von ihr, der jetzigen Verlobten Viktor Gaupenbergs.

Estevan legte den Bewußtlosen auf die Deckplanken. Ihm war es nur lieb, daß Lomatz ohne Besinnung. So konnte er denn in Ruhe das ausführen, was sein wilder Sinn bereits als Strafe und zur Einschüchterung des verwegenen Schurken ausgeklügelt hatte. –

Nach fünf Minuten war er wieder unten in der Führerkabine bei dem alten Knorz, der sofort etwas ungeduldig fragte: „He, Estevan, was haben Sie denn solange an Deck getan? Hoffentlich nicht etwa Grausamkeiten mit …“

Der Portugiese lachte drohend. „Wollen Sie sehen? – Bitte – ich bediene die Steuerhebel schon allein! Die Sphinx läuft ja so ruhig durch die Lüfte wie eine tadellose Lokomotive auf Schienen!“

Knorz stieg die Lukentreppe empor.

Der Mond war noch mehr erblaßt. Im Osten lichtete sich der Horizont bereits. Der Morgen nahte. Und von Osten her strich ein frischer Wind über Meer und Sphinx, trieb leichte Wolken zusammen, die die weiße Flocken über das Firmament segelten.

Knorz stand an Deck …

Stand wie angewurzelt.

Seine scharfen jungen Augen erkannten mit stillem Grauen das unheimliche Bild dort vorn, wo die Ankerwinde des Luftbootes und andere kleine Maschinen montiert waren.

Zwei saßen sich dort dicht gegenüber.

Ein Toter … und sein Mörder … Ganz dicht auf den Deckplanken, die Beine ineinander geschoben, die Rücken an die Eisengehäuse der Winde gelehnt …

Der Lord und Lomatz.

Und Lomatz war soeben wieder zu sich gekommen.

Stierte mit weit aufgerissenen Augen der Leiche ins Gesicht …

Eine Hand des Toten aber lag auf seiner Schulter, gestützt durch einen Bootshaken …

Ein Anblick war’s, daß auch Gottlieb Knorz ein Eiseshauch über den Rücken kroch.

Lomatz wandte die Augen nicht von dem bleichen Antlitz des Erschossenen. Wie magnetisch festgehalten, änderte sich die Richtung seiner Blicke auch dann nicht, als Knorz näher herantrat …

Der Verbrecher, auf der blutfreien Hälfte der Stirn dicke Schweißperlen, versuchte umsonst die Hand des Toten durch hastige Bewegungen von seiner Schulter zu entfernen. Es gelang ihm nicht. Sein Gesicht, dessen eine Seite von einer bereits angetrockneten Blutkruste bedeckt war, ward sehr bald ebenfalls leichenähnlich. Lomatz’ Nerven versagten hier. Die Verwundung, die lange Ohnmacht und die entsetzliche Angst, als er noch unten am Tau hing und in die grausige Tiefe hinabschaute, – all das hatte selbst dieses abgebrühten Schurken ganzes Nervensystem erschöpft.

Und jetzt noch hier ihm gegenüber der von ihm Getötete …!! Das – war zu viel für seine erlahmte Willenskraft! Wie Blei so schwer lastete außerdem die Totenhand auf der Achsel. Ein Strom eisiger Kälte schien aus dieser Hand ihm nach dem Herzen zu dringen …

Ein gepreßter Schrei kam jetzt zwischen den klappernden Zähnen des Elenden hervor …

„Weg – – nur weg mit der Leiche …! Ich … will … alles … gestehen!“

Knorz beugte sich zu ihm hinab.

„Wo ist Agnes Sanden?“ fragte er hart …

Lomatz zitterte stärker.

Kaum verständlich dann die Worte – tonlos und doch durchbebt von den Schauern unendlichen Grauens:

„In … Lissabon … Bei … Emanuela Sakibo …“

„Wer ist dieses Weib?“ forschte Gottlieb weiter, und sein Herz krampfte sich in ahnungsvoller Pein zusammen.

„Eine … Kneipenwirtin …“ stammelte Lomatz schnell.

„Schuft – Schuft!“ keuchte der Alte. „Kneipenwirtin? – Sag’ die Wahrheit! Oder bei Gott, ich werfe dich über Bord!“

„Eine … Bordellbesitzerin …“ wimmerte der Schurke … „Aber Agnes wird dort nichts geschehen … Agnes hat …“

Knorz brüllte auf wie ein Stier, der den Todesstreich empfangen …

Stürzte hinab in die untere Kabine …

„Estevan – – Estevan, wir … müssen nach … Lissabon zurück … Agnes … Agnes befindet sich … in … in einem Bordell!!“

Er konnte kaum sprechen. Er flatterte am ganzen Körper …

Estevan Estremaldos prächtige Raubtierzähne knirschten aufeinander …

„Oh – das soll der Lump büßen!! Tausendfach soll er sterben! Bei der heiligen Jungfrau schwöre ich’s. Ist Sennorita Agnes etwas etwas geschehen, … so …“

Dann – schwieg er. Eine unnatürliche Ruhe war über ihn gekommen.

„Wir dürfen den Verfolger nicht vergessen, Sennor Knorz,“ sagte er mit völlig veränderter Stimme. „Wenn wir ihm entgehen wollen, müssen wir die Sphinx in jener Nebelwand dort im Westen verschwinden lassen …“

Gottlieb gab der Sphinx sofort westlichen Kurs. Zehn Minuten später tauchte sie in die grauen dichten Schwaden ein, senkte sich und glitt ganz dicht über dem Meere weiter …

 

35. Kapitel.

Das Totenschiff.

So dicht über den träge rollenden, schäumenden Wogen des Ozeans fuhr die Sphinx dahin, daß Estevan, der nun an Deck gestiegen war, die weißen Wellenkämme trotz des Nebels aufleuchten sah und das Branden der schäumenden Wasserberge ganz deutlich hörte.

Hin zu Lomatz und dem Toten tappte der junge Portugiese. Sein Herz war wie ein feuerspeiender Krater, seine Seele kochte. Aber sein Hirn blieb kalt.

„Lomatz, wie heißt dieses Weib?“ fragte er den zitternden Verbrecher, der schon wieder mit einer Ohnmacht kämpfte.

Lomatz hauchte flehend:

„Nehmt … die Leiche weg, Estevan … Nehmt die Leiche weg! Ich … ich sterbe …! Der Tod kriecht mir zum Herzen …“

„Wie heißt das Weib? Ist es Emanuela Sakibo?“

„Ja … – Erbarmen – – Erbarmen!“

Ein Faustschlag hatte ihn getroffen … Kopf und Oberleib schnellten vor. Er berührte den Toten – Gesicht an Gesicht …

Und verlor nach heiserem Schrei das Bewußtsein.

Estevan knirschte abermals mit den Zähnen …

Noch ganz zusammengeduckt stand er da, die Hände geballt, verzerrt das Antlitz …

Mordgier flackerte in den schwarzen Augen. Jede Selbstbeherrschung hatte er verloren …

Packte zu …

Legte dem Elenden die Hände um den Hals, diese muskelstrotzenden Hände, wollte ihn erwürgen …

Lomatz’ Leben hing in dieser Sekunde an einem Spinnwebfädchen …

Aber das Schicksal wollte es anders.

Nicht jetzt sollte dieser Verbrecher sterben. Nicht so sterben. Für eine andere Todesart bewahrte die Nemesis ihn auf, die rächende Vorsehung …

Ein Splittern und ein Krachen ließ Estevan hochfahren, bevor er die Hände noch zum tödlichen Druck um den Hals des Opfers geschlossen hatte …

Ein donnerndes Splittern, begleitet von heulenden, pfeifenden Tönen …

Die Sphinx … war im Nebel in die Takelage eines großes Segelschiffes geraten, und der vordere Propeller war an einer Rahe in Stücke gesplittert …

Entsetzt starrte Estevan um sich …

Das Luftboot hatte sich in den Tauen des Schiffes verfangen, hatte nur noch den zweiten Propeller am Heck, drehte sich jetzt träge und – – ein zweites Splittern, Pfeifen und Sausen kündete den Bruch auf dieses Propellers an …

Die Stücke flogen mit verderblicher Kraft umher, geschleudert wie von gigantischen Fäusten …

Und Gottlieb kam an Deck gestürzt …

Kam gerade zur rechten Zeit, um Estevan in seinen Armen aufzufangen …

Aus des jungen Portugiesen Brust ragte wie ein halbmeterlanger Keil ein spitzer Splitter des harten Propellers heraus …

Ein – tödliches Geschoß …! Ein Geschoß, das wieder einen der Kämpfer um den Goldschatz der Azoren niedergemäht hatte.

Estevan fühlte das Ende nahen. Sein Kopf ruhte im Schoße des alten, noch so starken Mannes mit dem kühnen Wilderergesicht …

„Emanuela … Sakibo …“ hauchte der Sterbende, während bereits blutiger Schaum seine Lippen färbte. „Sa – ki – bo, Rua del Pravida 21…, Rua del Pravida 21 …“

Mit letzter Kraft hatte er’s aus der zerfetzten Lunge herausgequält …

Ein tiefes gurgelndes Seufzen …

Ein Hochwerfen des Leibes noch, der sich gegen den Sensenmann wehrte …

Dann war Estevan Estremaldo hinüber geglitten in jenes Land, aus dem es keine Heimkehr gibt …

Reine Liebe zu einem reinen Geschöpf, zu Agnes Sanden, hatte die letzten Stunden seines Lebens verklärt und vieles ausgeglichen, was der Älteste Don Porfirios in seiner Zügellosigkeit und Kraftüberfülle begangen. – –

An Bord des M 12 …

In der Kabine des Doppeldeckers hatte man Fritz Bauers, des wackeren Piloten, schlaffen Körper an die eine Wand gelegt und mit einer Flagge bedeckt, einer Marineflagge, die Gaupenberg in einem Schränkchen gefunden.

Auch hier auf M 12 hatte sich die ungeheure Erregung wieder gedämpft. Als der Doppeldecker abstürzte, als nur Steuermann Hartwichs rasches Eingreifen den Maxim vor dem Zerschellen in den Klüften des Monte Junto bewahrt hatte, als die durcheinander geschleuderten Insassen der Kabine wieder aufrecht dastanden, – in dieser Sekunde war in des Grafen Gaupenberg Brust ein seltsames Rätsel wach geworden …

Der stumme, junge Gehilfe des Lissabonner Hafentauchers Pasqual Oretto, den Steuermann Georg Hartwich samt der Taucherausrüstung mit aus der Stadt vor kaum einer Stunde an Bord von M 12 gebracht hatte, – dieser knabenaft schlanke Juan Lobeza mit dem dunkelbraunen Gesicht, dem schwarzen Haar und den halb zugeschnittenen Augen war vorhin bei dem allgemeinen Durcheinander halb auf Gaupenberg gefallen, so daß ihre Gesichter sich fast berührt hatten …

Schon da war in des Grafen feinsten Nervensträngen ein merkwürdiges, unerklärliches Vibrieren eingetreten, schon da fühlte er, daß dieser junge Portugiese, den er schon vorhin mit ihm selbst so unverständlichem Gefallen gemustert hatte, einen eigenartigen Reiz auf ihn ausübte …

Er ahnte nicht, daß dies lediglich jenes seelische Fluidum war, welches stets von zwei Personen, die einander einst in zärtlicher Hingabe nahegestanden, unbewußt ausgestrahlt wird und sich wie ein elektrischer Strom über beide Körper ergießt …

Er ahnte nicht, daß Juan Lobeza niemand anders war als seine einst so heiß geliebte Agnes, seine blonde, scheue Taube …

Nichts ahnte er – nichts …

Empfand nur, als er nun wieder etwas zur Besinnung gekommen nach diesem Chaos sich überhastender Vorfälle, eine immer stärkere Sympathie für den schlanken Burschen, der bereits wieder bescheiden auf einem Liegestuhl in der einen Ecke hockte und vor sich hinschaute … –

Noch jemand aber war durch dieses Unter- und Übereinander menschlicher Leiber, durch diesen Knäuel verstörter Menschen um eine drohende und doch wertvolle Erkenntnis reicher geworden. Mafalda Sarratow, die Fürstin, die Abenteurerin, jetzt Verlobte Viktor Gaupenbergs, jetzt gefährlichste Gegnerin aller derer, die ihren dunklen Plänen irgendwie im Wege standen.

Auch Mafalda hatte ein Zufall einen Moment Leib an Leib mit Juan Lobeza gepreßt.

Und diese Sekunde gegenseitiger Berührung hatte genügt, Mafalda die rundliche Fülle der Brust des schlanken Tauchergehilfen erkennen zu lassen.

Ein Weib – ein Mädchen! war jäh ein scheuer Gedanke in ihr aufgelebt …

Scheu – weil schon der nächste ihr die Wahrheit nahe brachte. Das ist Agnes Sanden, die dein heimlicher Feind Hartwich auf diese Weise hier an Bord geschmuggelt hat! Es kann nur deine Rivalin sein!

Und jetzt – jetzt beobachtete sie noch, wie Gaupenberg traumverloren den schwarzhaarigen knabenhaften Juan anschaute – so traumverloren, als ob seine Seele vor einem unfaßbaren Rätsel stände …!

In diesem Moment faßte Mafalda Sarratow den finsteren Entschluß, drei Personen von den Insassen des Maxim 12 sobald wie möglich für immer verschwinden zu lassen: Hartwich, Juan Lobeza und den Taucher Pasqual Oretto, der ja von Hartwich mit eingeweiht sein mußte!

Freie Bahn wollte sie haben zum großen Ziel, zum Golde der Azoren, zu dem Mannes, den sie jetzt mit allen Fasern ihres leidenschaftlichen Herzens begehrte!

Denn was sie aus Lust an dunklem Intrigenspiel im Schlosse Gaupenberg vollendet, das war nun bei ihr tiefinnerstes Empfinden geworben. Sie liebte den Erbauer der Sphinx! Ihr sollte er gehören, ihr allein, und dazu noch die Milliardenschätze des gesunkenen deutschen U-Bootes dort in den Tiefen des Ozeans am Vorgebirge Retorta der Azoreninsel San Miguel! –

Der Doppeldecker folgte nun der Sphinx, ohne sie jedoch einholen zu können.

Und kaum zehn Minuten nach Fritz Bauers jähem Tode durch Estevans Karabinerkugel dann Gaupenbergs Alarmruf:

„Ein zweiter Doppeldecker – weit hinter uns …!“

Der Zufall hatte ihn den Maxim 17 entdecken lassen. Nur um die seltsame innere Unruhe zu bekämpfen, die ihn bisher den schlanken Juan immer wieder prüfend anschauen ließ, hatte er ein Fernglas genommen und war die eiserne Leiter zum Gondeldeck halb emporgestiegen. Zugluft, Pfeifen des Propellers umbrausten ihn, kühlten sein brennendes Gesicht. Er führte das Glas an die Augen, und so ward er im Mondlicht in mindestens tausendfünfhundert Meter Höhe des anderen Doppeldeckers ansichtig ….

So sprang er hinab in die Kabine …

Sein Alarmruf brachte Hartwich und Mafalda an die Fenster …

Gaupenberg übernahm die Lenkung des Maxim 12, und rücksichtslos holte er nun aus dem Motor heraus, was dieser nur hergeben konnte …

Der Ozean schimmerte längst aus der Tiefe. Das Festland war entschwunden. Dann stieg dort vorwärts die graue Nebelmauer auf, bester Schutz jedes flüchtenden Fliegers, – ein Irrgarten, in dem tausend gleiche Wege vielleicht nur tiefer in das dichte Gebräu der feuchten Schwaden führen …

Die Sphinx glitt in die Wolke hinein …

Und kaum eine Minute später schoß auch M 12 in die düsteren Schleier, flog durch das dunkle Nichts dieser toten Gebilde, in denen selbst der rasch eingeschaltete Scheinwerfer machtlos blieb … –

Hartwich lag jetzt lang auf dem Gondeldeck, horchte, schaute mit Falkenaugen …

Bis seitwärts ein seltsames Geräusch ihn stutzen machte …

Neben ihm lag das Telephon, dessen anderen Hörer Gaupenberg über den Kopf geklemmt hatte.

Georg Hartwich rief hinein:

„Wenden! Steuerbord soeben Geräusch wie splitterndes Holz – dann ein gellender Schrei …! Wenden!!“

Eine ungeheure Nervosität bemächtigte sich des Steuermannes …

Er ahnte, daß dort irgendetwas geschehen, daß die Sphinx irgendwie verunglückt war …

Er hatte Gaupenberg nicht alles zugerufen, hatte sich nicht Zeit dazu gelassen …

Dieser gellende Schrei war aus einer anderen Kehle gekommen, die Hartwich kannte …! Der Mann, der dort im Nebel wie in wildestem Entsetzen unverständliche Worte mehr gekreischt als gebrüllt hatte, konnte nur der treue Gottlieb Knorz gewesen sein …

Mit angehaltenem Atem stierte Hartwich nun in die grauen Schleier …

Horchte … schaute rundum …

Er wußte, wie sehr gerade im Nebel der Schall die Richtung ändert …

Alles still …

Da rief er wieder in die Hörermuschel hinein:

„Viktor – die Schwimmkörper einstellen …! Die See geht nicht so hoch, daß wir nicht auf dem Wasser landen könnten!!“

Und Gaupenberg ließ M 12 im Gleitflug hinabgehen …

Ließ den Doppeldecker eine Strecke über die Wogen tanzen, bis er in einem Wellental zum Schwimmen kam …

Im selben Moment hatte Hartwich in einer lichteren Stelle des Nebels die verschwommenen Umrisse eines großen Schiffes mit zerfetzten Segeln bemerkt.

Ein neuer Anruf, und der Grad schwenkte M 12 herum …

Gleich darauf lag der Doppeldecker dicht neben einem mächtigen dreimastigen Vollschiff, das steuerlos auf den Wogen trieb. – –

Estevan Estremaldo war tot. Das abgesplitterte Stück des einen Propellers der Sphinx hatte ihn wie ein Pfeil getroffen.

Gottlieb Knorz legte den Kopf des armen Burschen vorsichtig auf die Deckplanken und erhob sich.

Er sah, daß die Sphinx in dem Tauwerk des Dreimasters wie in einem Netz hing. Er sah weiter, daß beide Propeller an den Rahen zerschmettert waren. Die Sphinx war … lahm, gelähmt, gefangen.

Der Alte zauderte nicht lange. Er wußte schon, was er zu tun hatte.

Stieg hinab in die runde Führerkabine, schob den Hebel der Auftriebsteuerung nach links, und die Sphinx sank allmählich bis auf das Deck des herrenlosen Dreimasters hinab, setzte mit dumpfem Schlag auf und lag still.

Knorz hatte schon vorhin bemerkt, daß auch nicht ein einziges menschliches Wesen an Deck des Seglers sich bewegte und daß der Zustand der Takelage mit Bestimmtheit darauf hindeutete, das Schiff müsse von der Besatzung verlassen worden sein.

Er eilte wieder an Deck der Sphinx, schob die Außenleiter des Luftbootes nach unten und kletterte auf den Segler hinab.

Der Nebel lichtete sich gerade jetzt und zerrann an dieser Stelle soweit, daß der Dreimaster gleichsam mit einem Schlage alle Einzelheiten enthüllte – alle Einzelheiten eines furchtbaren Bildes …

Dort, drei Schritt von dem Alten entfernt, hockten an der Hauptluke des Mitteldecks vier Gestalten in unmöglichen Stellungen …

Von dort her umpestete den Alten atemberaubender Verwesungsgeruch …

Leichen waren es, die dort an der Luke lehnten …

Leichen mit unkenntlichen Gesichtern, an denen Seevögel ekles Mahl gehalten …

So grauenhaft wirkten diese verstümmelten Gesichter, bei denen zum Teil schon die Knochen bloßgelegt waren, daß Gottlieb Knorz einen wilden Schrei ausstieß, wieder die Leiter hochturnte und dabei kreischte:

„Ein Totenschiff – – ein Totenschiff …!!“

Er hatte es gekreischt, um seine Flucht gleichsam vor sich selbst zu entschuldigen.

Und doch – machte er wieder kehrt, brummte ärgerlich:

„Bist ein Narr, alter Gottlieb! Tote beißen nicht! Nur die Lebenden sind zu fürchten! Nur diese!“

Und wollte sich nun weiter auf Deck des treibenden Dreimasters umschauen …

Horchte plötzlich …

Das Surren der Propeller des Maxim 12 dünkte Gottlieb furchtbarer als soeben der Anblick der entstellten Toten.

Er glaubte ja, daß die Insassen dieses Flugschiffes jene Leute seien, vor denen der arme Estevan ihn gewarnt hatte, – vor Alfonso Jimminez, dem Geheimagenten, den er als angeblichen Kammerdiener der Fürstin Sarratow auf Schloß Gaupenburg kennengelernt hatte, und vor dessen Helfershelfern.

Jetzt hieß es, noch rascher einen Entschluß fassen als vorhin …

Und Gottlieb Knorz, der rüstige grauhaarige Alte, wußte genau, was ihm bevorstand, wenn er diesem Jimminez in die Hände geriet, wußte aber auch, daß seinem Gefangenen Lomatz, der noch immer an Deck der Sphinx dem erschossenen Lord gegenübersaß, nichts Ärgeres zustoßen konnte, als wenn er Jimminez hier begegnete. Die ehemaligen Verbündeten waren ja Todfeinde seit jener Nacht, als Lomatz auf der Graupenburg den Geheimagenten hinterrücks niedergeschlagen hatte, um sich ganz allein der Sphinx bemächtigen zu können.

So verschwand Gottlieb denn blitzschnell im Kajütenniedergang vom Achterdeck des Dreimasters, nachdem er eine an der Wand hängende große Schiffslaterne aufgegriffen hatte.

Kaum war er in der Finsternis der Treppe untergetaucht, als auch schon der Scheinwerfer des Doppeldeckers den mächtigen Segler beleuchtete …

Auf der Gondel des M 12 standen Hartwich, neben ihm Mafalda und Pasqual Oretto, der stämmige, graubärtige Taucher …

Pasqual hielt eine Leine bereit und schleuderte deren Schlinge geschickt über einen Pflock der Reling des Seglers. Eine zweite wurde genau so befestigt, und nun war M 12 sicher neben dem Vollschiff vertäut.

Jetzt kam Gaupenberg ebenfalls an Deck.

Ein Windstoß trieb die Nebelmassen für Sekunden auseinander, und ein Trichter klarer Luft zog sich bis zum sonnendurchglühten Morgenhimmel empor …

Klar und scharf war nun jede Rahe, jede Spiere, jedes Tau des Dreimasters zu erkennen …

Ebenso der Rumpf der Sphinx …

Und …

„Die Sphinx – – die Sphinx!!“ jubelten Hartwich und Gaupenberg … „Jetzt haben wir sie …!“

Blitzschnell enterten die beiden Freunde und Pasqual an Bord des Seglers …

Stutzten …

Stierten …

Verwesungshauch umpestete sie …

Grauenvolle Einzelheiten zeigte der breite Trichter in der Nebelbank den drei Männern …

Leichen – entsetzlich entstellt – in den entsetzlichsten Verkrümmungen …

Nichts als Leichen …

Und doch sahen sie noch mehr: die verstümmelten Propeller der Sphinx, und oben an Deck des Luftbootes vorn an den Ankerwinden zwei sitzende Gestalten …

„Lomatz!“ heulte der erregte Hartwich förmlich auf „Lomatz ist’s …! Endlich – endlich!“

Und er klomm an Deck, stand vor dem blutbefleckten Unhold, vor der Leiche Lord Manuels, und dicht daneben lag Estevan Estremaldos zu früh geknickte strotzende Jugend …

 

36. Kapitel.

Agnes beschwört den Einsiedler von Sellenheim.

Mafalda Sarratow sah die drei Männer an Bord der Sphinx, die, ein seltsamer Anblick, auf dem Mitteldeck des Vollschiffes ruhte.

Sie waren allein mit Juan Lobeza auf dem Doppeldecker …

Allein – und voll von Haß und Vernichtungswillen ….

Stieg die Leiter zur Kabine halb hinauf …

Winkte dem schlanken Burschen …

„Komm’, Amigo, hier gibt es etwas zu sehen … Komm nur’ …“

Agnes blieb sitzen, hielt weiter den Kopf gesenkt. Bis Mafalda nochmals rief …

Da kam sie langsam die Sprossen empor.

Und – alles gelang, wie Mafaldas Tücke es gewünscht.

Das große Ende der eine Leine, die M 12 mit dem Dreimaster verband, lag auf dem Deck wie eine gewundene Schlange.

Mafalda hielt ihr äußerstes Ende in der Hand, und kaum hatte Juan Lobeza zwei Schritte vorwärts getan, als ein scharfer Ruck ihr die Füße unter dem Leibe wegriß …

Mit schnell verhallendem Schrei, den das Branden der Wogen gegen den dunklen Rumpf des Seglers übertönte, taumelte sie außenbords von der Gondel in die brodelnde See …

Schlug im Sturze mit dem Kopf leicht gegen das Gestänge der Tragflächen, verlor für Sekunden das Bewußtsein und versank – sank tiefer und tiefer, erwachte, und der Selbsterhaltungstrieb straffte die Muskeln zu halb unwillkürlichen Schwimmbewegungen.

In traumhaftem Zustand vollster Todesgewißheit tat sie in diesem Augenblick dasselbe, was sie bereits drei Stunden vorher in dem parfümgeschwängerten Erdgeschoßzimmer der widerlichen Portugiesin versucht: Sie rief den Einsiedler von Sellenheim zu Hilfe, jenen geheimnisvollen Doktor Dagobert Falz, der ihr in jener Nacht in der Nähe der Graupenburg in feierlich – dringender Weise angedeutet, daß er ihr beistehen würde, selbst wenn Zeit und Raum sie beide scheinbar endlos trennten.

Schon einmal hatte sie heute mit dieser Beschwörung des rätselhaften Einsiedlers Erfolg gehabt: Pasqual Oretto und Steuermann Hartwich hatten sie gerettet!

Nun versuchte sie es wiederum …

Im traumhaften Zustand vollster Todesgewißheit …

Und versuchte es dennoch mit gläubiger Inbrunst …

Dachte – und vielleicht bewegten sich auch ihre Lippen bei diesem stillen Gebet, das ihre Seele ganz erfüllte:

‚Du, mein väterlicher Freund, der Du wie segnend Deine Hand mir aufs Haupt legtest, – Du, der Macht hat über vieles, was uns anderen unüberwindlich, – laß mich hier nicht sterben …! Ich will leben – weil ich liebe, weil ich das Glück erobern möchte – –! Laß mich nicht sterben, denn Du selbst hast mir gesagt, daß Liebe erst durch ein Fegefeuer von Leiden zur Läuterung gehen muß!“

So … beschwor sie den Sonderling von Sellenheim …

Und ihre arbeitenden Muskeln trieben sie hoch …

Trieben sie … genau unter den Rumpf des Dreimasters, wo in der grünlichen Dämmerung des Ozeans ein riesiges grelles Zyklopenauge funkelte …

Ihr Kopf stieß gegen den kupfernen Bodenbeschlag des Seglers …

Und – wieder verlor sie das Bewußtsein … – –

Gottlieb Knorz war am Fuße der Schiffstreppe im Dunkeln über eine Leiche gestolpert.

Auch hier atemraubende Verwesungsdünste …

Und als er nun rasch die Laterne angezündet hatte, sah er die Leiche eines Weibes in elegantem seidenen Gesellschaftskleide, Brillantschmuck an den Fingern der in den Treppennläufer eingekrallten Hände, Perlen um den Hals …

Gerade diese Tracht der Lebensfreude, dieser eitle Schmuck erhöhte noch das Grausige des Anblicks.

Gottlieb flüchtete weiter …

Tiefer in die Räume des Schiffes hinab, stets die Laterne ganz hoch haltend, um rechtzeitig einem neuen Toten ausweichen zu können.

So kam er schließlich in das Ladedeck, wo Ballen, Kisten, Fässer in Unmengen sauer verstaut waren.

Hier nun fand er ein geeignetes Versteck, kroch in einen Winkel hinter einen Stapel von Kisten und – machte plötzlich, starr vor Überraschung, halt …

Denn hier in dieser Ecke des Laderaumes beleuchtete seine Laterne Decken und Kisten, einen Spirituskocher, ein Zinkfaß mit Abschlußhahn, Konservenbüchsen, Bücher, Blechflaschen und vieles andere.

Der Alte war geistig genau so rege, wie körperlich überaus rüstig.

Er sagte sich sofort, daß in diesem Winkel nur ein blinder Passagier des Seglers gehaust haben könne. Dieser Mann war nun wohl ebenfalls ein Opfer der rätselhaften Katastrophe geworden, die auch die übrige Besatzung hinweggerafft hatte.

Gottliebs setzte sich auf das Lager des Unbekannten und verdunkelte die Laterne, indem er sein Taschentuch darüberhängte. Nun würde ihn niemand hier finden. Nun durfte er getrost alles weitere abwarten. Immerhin hielt er seine Repetierpistole bereit. Es war dies dieselbe Waffe, die er vor dem Eingang der Grotten des Junto dem Lord abgenommen hatte. – –

Auf Deck der schwer beschädigten Sphinx, die auf dem Dreimaster einen so ungewöhnlichen Liegeplatz gefunden, sagte Georg Hartwich plötzlich zu Gaupenberg und Pasqual:

„Ich habe soeben eine überraschende Entdeckung gemacht. Wir glaubten bisher, dieser Segler triebe herren- und steuerlos auf dem Meere. Das trifft nicht zu. Das Schiff liegt fest. Achten Sie mal darauf, Pasqual, – der Dreimaster schwankt auch nicht im geringsten. Die Wellen treffen ihn stets von derselben Seite – halb von vorn, und nichts geschieht.“

Der Taucher Oretto nickte. „Stimmt, Senor Hartwich … Ich hatte das schon vorhin beobachtet, und es gibt nur eine einzige Erklärung dafür. Der Segler ist auf die Dorgas-Klippe aufgerannt, die in dieser Meeresgegend einsam und vereinzelt setzt zur Zeit der Flut etwa zwei Meter über den Wasserspiegel hinausragt. Der Felsen muß sich wie ein Riesennagel in den Schiffsboden eingerammt haben, und nur deshalb liegt dieser Segler so vollkommen unbeweglich. Ich werde nachher einmal in den Kielraum hinabsteigen, und …“

Ein heller Schrei von den Lippen der Fürstin scheuchte die Männer an den anderen Rand des Decks …

Mafalda rief klagend:

„Der junge Bursche ist soeben ins Wasser gestürzt …! Schnell, schnell …, helfen Sie … helfen Sie!“

Die Fürstin spielte so glänzend die Mitleidige, Erregte, wußte so vollendet zu heucheln, daß nur Georg Hartwich an dieses zufällige Stolpern über das Tauende nicht glaubte. Nein – er blieb mißtrauisch, und in all seiner Trauer und tiefen Erschütterung über Agnes Sandens trauriges Ende fand er doch Gelegenheit, dem genau so entsetzten Pasqual zuzuraunen:

„Verschweigen Sie weiter, wer Juan in Wirklichkeit war …!“

Oretto wieder gab sich auch seinerseits Mühe, seine Betrübnis über den jähen Tod seines jungen Gehilfen recht eindrucksvoll kundzugeben.

Gaupenberg war ebenso erschüttert wie Hartwich und der Taucher. Deutlicher als bisher empfand er jetzt, daß besondere seelische Fäden ihn mit Juan Lobeza verbunden hatten, über deren Ursprung er sich nicht klar zu werden vermochte.

Trotz dieses Unglücksfalles erheischten jedoch die obwaltenden Umstände ein so rasches Handeln von den drei Männern, daß sie nun so bald von anderen Dingen vollständig abgelehnt wurden.

Da war zunächst Edgar Lomatz, den man nun losband und in der Kabine der Sphinx eingehend verhörte.

Auch Mafalda war dabei.

Als Lomatz sie bemerkt hatte, war es wie ein schwaches Aufleuchten über sein verzerrtes, von Blut starrendes Gesicht gegangen.

Sehr bald erhaschte er dann einen Blick der Fürstin, der seiner Zuversicht neue Nahrung gab.

Er schwieg hartnäckig.

Gaupenberg ließ nichts unversucht, den Verbrecher zum Reden zu bringen. Lomatz blieb stumm.

Schließlich meinte Gaupenberg ingrimmig:

„Wir wissen, daß Sie Gottlieb und Fräulein Sanden an Bord hatten. Wehe Ihnen, wenn Sie den beiden ein Leid angetan haben!“

Dann wandte er sich an Mafalda.

„Du wirst Lomatz hier bewachen, während wir den Dreimaster uns genauer ansehen. Sei vorsichtig. Du kennst die Gefährlichkeit dieses Menschen.“

Die drei verließen die Kabine, schafften des Lords und Estevans Leichen auf Deck des Seglers und begaben sich dann in die Kajüte des Kapitäns, wo sie aus den Schiffspapieren feststellten, daß der Dreimaster in New Orleans in Nordamerika beheimatet und mit Fracht nach Le Havre unterwegs gewesen war. Die Besatzung hatte aus achtzehn Leuten bestanden. Außerdem war noch die Frau des Kapitäns Simpkins an Bord gewesen.

Der Segler hieß ‚Connecticut’ und hatte New Orleans vor fünf Wochen verlassen. Mithin mußte er bereits etwa drei Wochen hier auf der Dorgas-Klippe hängen. Wäre inzwischen ein Orkan über den Atlantik hinweggetost, so würde der ‚Connecticut’ längst durch die Wogen in Trümmer geschlagen worden sein. Dies betonte Pasqual Oretto und fügte hinzu, man solle nun einmal im Kielraum nachsehen, ob der Felsen nicht wirklich die Planken durchbohrt habe.

Gaupenberg legte die Schiffspapiere beiseite und nahm das Schiffstagebuch zur Hand.

Die letzte Eintragung Kapitän Simpkins war mit zitternder Hand und kaum leserlich geschrieben:

Soeben, drei Uhr nachmittags, befällt die ganze Besatzung ein furchtbares Unwohlsein. Einige Matrosen winden sich schon in Krämpfen an Deck und schreien jammernd um Hilfe. Auch ich fühle mich krank. In meinen Eingeweiden fahren glühende Messer hin und her … Ich kann nicht mehr schreiben … Wir … sind … frag … los … ver … giftet … worden – alle … alle … Wir wissen nicht, ob … durch unseliges Versehen des Kochs oder absichtlich … Ich … selbst … fürchte, daß meine Frau …

Hier brachen die Aufzeichnungen ab.

Das Tagebuch hatte am Boden gelegen, so daß es wahrscheinlich dem kranken Kapitän aus den Händen gelitten war.

Die drei Männer schauten sich an …

In ihren Augen lag es wie tiefes Grauen.

Steuermann Hartwich sagte leise:

„Von einem Versehen des Kochs kann hier keine Rede sein. Nein – dies hier ist Massenmord, und anscheinend hat doch Simpkins seine eigene Frau verdächtigen wollen.“

Gaupenberg hatte durch das Fenster des Kajütenaufbaus sinnend über das Deck geblickt, wo die verkrümmten, entstellten Leichen wie anklagend in den grauen Nebel zu stieren schienen …

So sah er denn auch, daß schattengleich ein Mann über diese Stätte des Todes huschte: Lomatz – Edgar Lomatz!

Sein Ruf jagte auch Pasqual und Hartwich an Deck. Er selbst stürmte voran …

Sie kamen zu spät …

Der Maxim-Doppeldecker fegte schon mit kreischendem Propeller über die Wogen – – entschwand in den feuchten Schleiern …

Und oben in der Kabine der Sphinx lag die Fürstin Sarratow mit einer blutigen Wunde an der Stirn bewußtlos auf dem schmalen Rohrsofa … – –

Als Lomatz entfloh, erlangte auch Agnes Sanden das Bewußtsein zurück …

Sie ruhte auf einer mit weichen Fellen bedeckten Ottomane in ihren nassen Kleidern …

Ein mildes Licht erhellte ein geräumiges Gemach, dessen Einrichtung in allem echt maurischen Stil zeigte.

Und vor ihr stand, die Arme über der Brust verschränkt, – – der Einsiedler von Sellenheim, Doktor Dagobert Falz …

Ja – er war’s …

Er war’s: hager, groß, – der graue wirre Vollbart, das schmale, durchgeistigte Gesicht, die klugen, tiefen Augen hinter den Brillengläsern, der löcherige Radmantel, der breitkrempige, schwarze Filzhut …

Ein unendlich gütiges Lächeln umspielte seinen Mund, als er Agnes’ Augen in langem Forschen auf sich gerichtet sah …

Agnes richtete sich langsam auf …

Und mehr und mehr vergegenwärtigte sie sich die letzten Sekunden dort unten in den klaren dämmerigen Fluten des Ozeans …

Sie hatte den Einsiedler abermals um Hilfe angefleht …

Und … nun hatte er sie gerettet …

Oder … träumte sie nur …

Lebte sie vielleicht gar nicht mehr – war sie in einem Zustand, den sie nicht begriff?!

Da sagte der hagere Mann schon, und – es war auch des Einsiedlers volle, tönende Stimme, die er nur Auserwählte wie Agnes hören ließ:

„Es ist weder Tod noch Traum …! Es ist Wirklichkeit …! Sie leben und sind in Sicherheit … – Wie heißen Sie, wie darf ich Sie anreden, Miß, denn daß Sie verkleidet sind, weiß ich …“

Agnes war hochgeschnellt …

Starrte den Mann fragend an, der sie soeben in englischer Sprache und mit dem fremden ‚Sie’ angeredet hatte.

„Oh – sind Sie denn nicht Doktor Falz?“ stammelte sie verwirrt …

Er war unmerklich zusammengezuckt.

„Ja, ich bin Droktor Falz …“ erwiderte er, und nun sprach er wie Agnes deutsch – ohne jeden fremden Beiklang.

Dann schob er den Hut aus dem Gesicht, fuhr sich mit der Hand über die Stirn …

Sagte leise:

„Mein Gedächtnis setzt zuweilen aus … Ich … kenne Sie … Wer sind Sie noch …?“

Agnes sank auf den Diwan zurück …

Bang und traurig war ihr ums Herz.

„Agnes Sanden bin ich doch, Herr Doktor … Oh, weshalb nennen Sie mich jetzt mit einem Male so … so fremd … Sie – –?! Und dort in der Nähe der Graupenburg, – wissen Sie noch? da war ich doch … Ihr Töchterlein, Herr Doktor … Wissen Sie noch?“

Falz nickte, und wieder lächelte er ein unendlich gütiges Lächeln …

„Arme Agnes,“ meinte er … „Armes Kind! Erschrick nicht, wenn dir mancherlei an mir rätselhaft vorkommt. – Bevor wir aber über die Vergangenheit sprechen, mußt du andere Kleider anlegen. Folge mir bitte …“

Er half ihr beim Aufstehen, stützte sie.

Und da überkam Agnes wieder dasselbe Gefühl unendlichen Geborgenseins wie damals in jener Nacht an der Gaupenburg …

Doktor Falz schlug einen der dichten Teppichvorhänge zurück …

Diese Türöffnung hier war lediglich eine Felsspalte, die in eine zweite kleinere Höhle führte.

Auch hier waren die Wände mit kostbaren bunten Stoffen bekleidet. Auch hier alles altertümliche maurische Möbelstücke, Teppiche, Felle von Löwen und Leoparden … –

Falz deutete auf ein Schränkchen.

„Dort wirst du allerlei Gewänder finden, mein Kind … Freilich keine modernen … Ziehe dich um. Und wenn du damit fertig, komm wieder hinüber in mein Studierzimmer …“

Er strich ihr sanft über das feuchte, gefärbte Haar …

Und verließ das Gemach.

Agnes stand mit hängenden Armen da …

Dies Erleben war ja zu unwirklich, als daß sie ohne weiteres die Möglichkeit eines seltsamen Traumes von der Hand weisen durfte …

Sie schaute sich um …

Flüsterte:

„Träume ich doch nicht nur? Bin ich wach …?! Ich weiß es nicht … Ich habe Doktor Falz zu Hilfe gerufen, und – scheinbar ist er gekommen …“

Ihr Blick wurde klarer, bewußter …

„Nein – nein, das ist niemals ein Traum …! Das ist nur genau so ungewöhnlich wie mein Zusammentreffen mit Doktor Falz damals an der Gaupenburg …“

Und immer fester war sie jetzt überzeugt, daß all dies hier Wahrheit und Wirklichkeit …

Ihr Blick blieb nun an einer Stelle der Wandbekleidung hängen, wo es wie durch feinste Tüllstores hell schimmerte, als befände sich doch ein Fenster.

Sie eilte hin …

Schlug den dünnen Stoff zur Seite …

Ein Ausruf des Staunens …

Ja – ein Fenster … ganz dickes Glas … Und draußen … draußen schwammen Fische hin und her – draußen lag die grünliche Dämmerung der Meerestiefe, seltsame Pflanzen, wie die Oberwelt sie nicht kannte … –

Agnes trat zurück …

Wo befand sie sich? Wo – – wo?! Fast schien’s, als ob diese Gemächer hier zu einer unterirdischen Behausung gehörten …

Sie kleidete sich um …

In dem Schränkchen fand sie nur maurische Frauengewänder …

Und als sie dann wieder zu Doktor Falz zurückkehrte, der an einem Tische saß und ein dickes, in Pergament gebundenes Buch vor sich liegen hatte, – als er sie erblickte in dieser bunten kleidsamen Tracht, da streckte er ihr beide Hände hin …

„Kind, was bist du noch schön, obwohl man dir dein schönstes, das herrliche Haar, genommen hat!“

Agnes errötete …

Und fragte schüchtern:

„Herr Doktor, Sie … Sie haben also doch meinen Hilferuf vernommen – selbst bis Sellenheim hin …? Beide Hilferufe?“

„Für die Mächte, die unser Leben regieren, mein Kind, gibt es keine Entfernungen,“ erwiderte er feierlich. „Alles im Leben ist Fatum, Vorherbestimmung … Wenn du in Gefahr, und wenn es scheint, daß der Tod dir gewiß, so wirst du doch stets … Hilfe finden, wenn du mich rufst und wenn deines Daseins Pfade noch nicht … versperrt.“

„Oh – wie soll ich Ihnen nur danken, Herr Doktor! Wie nur …!“

„Danken – mir?! – Mein Kind, danke anderen, die du nicht siehst, die uns dennoch dauernd umschweben und die ein Teil von uns selbst sind … – Setz’ dich, mein Kind … Erzähle mir jetzt deine Erlebnisse. Frische dein Gedächtnis auf. Berichte auch alles, was in Sellenheim geschah …“

„Wie gern will ich das tun … Ich bin nun ja geborgen … Nur eine Bitte, Herr Doktor, – eine Frage … Wo befinde ich mich hier? Ich schaute dort im Nebengemach durch das dicke Glasfenster. Ich sah Fische, Meerespflanzen und … die Tiefen des Ozeans, scheinbar beleuchtet durch irgendein künstliches Licht …“

Doktor Falz zog sie auf einen Sessel neben sich …

Sagte, indem er die Linke auf das uralte Buch legte:

„Dies hier, mein Kind, ist die Meereswohnung eines Weisen, der fern der Welt seinen Studien oblag … Der Name des Mannes ist Theophrastus Parazelsus. Er war der größte Chemiker seiner Zeit, vielleicht der größte aller Zeiten, nebenbei ein Alchimist, Goldmacher, und der Erfinder eines Lebenselixiers, eines wundersamen Verjüngungsmittels …“

Agnes hörte atemlos …

„Also … unter dem Meere liegt diese Wohnung?“ fragte sie etwas ungläubig.

„Ja, mein Kind … Ich werde sie dir nachher vollständig zeigen. Jetzt mußt du zunächst etwas genießen … Dort auf dem Tischchen steht alles bereit …“

Agnes blickte Doktor Falz bittend an.

„Noch eine einzige Frage … Wie – wie haben Sie mich aus dem Wasser gerettet?“

Doch Doktor Falz wandte nun den Kopf zur Seite …

„Iß und trink, mein Kind … Dadurch erfreust du mich am meisten …“

Agnes seufzte leise. Aber gehorsam setzte sie sich an das Tischchen und ließ es sich schmecken. Es waren kalte Speisen: Büchsenfleisch, Sardinen – Ähnliches, dazu Dauerzwieback und leichter Obstwein …

So nahm Agnes Sanden in des berühmten Alchimisten Theophrastus Parazelsus geheimer Meeresbehausung ihre erste Mahlzeit ein, während zwanzig Meter über ihr Graf Viktor Gaupenberg in der Kabine der Sphinx sich um die von Lomatz anscheinend niedergeschlagenen Fürstin Mafalda bemühte.

Mafalda erwachte, schlang Gaupenberg aufschluchzend die Arme um den Hals und wimmerte:

„Oh – es war entsetzlich, Viktor … Wie ein Panther sprang er mich an … Habt ihr ihn noch erwischt …“

„Er ist mit M 12 entflohen, Mafalda …“

Da küßte sie ihn … küßte ihn immer wieder …

Sie hatte ja gesiegt …! Agnes Sanden tot – und Lomatz entwichen!

Nun – – war die Reihe an Georg Hartwig …

Auch er würde sehr bald verunglückten – sehr bald …!

 

37. Kapitel.

Gottliebs Abenteuer.

Gottlieb Knorz fand es mit der Zeit doch recht einsam in seinem Versteck.

Und dabei saß er hier in dem Winkel des Ladenraumes des Dreimasters kaum erst eine Stunde. Dieses Gefühl der Einsamkeit wurde noch stärker durch die sorgende Unruhe, die den braven Alten seines Lieblings wegen quälte. Umsonst zergrübelte er sich den Kopf, wie er es möglich machen könnte, ungefährdet nach Lissabon zurückzukehren. Er mußte ja sein Leben um jeden Preis zu erhalten suchen, nicht für sich selbst, nur für Agnes Sanden, die er ja noch immer in den kupplerischen Klauen jener Emanuela Sakibo vermutete.

Gottlieb Knorz ahnte nicht, daß alles, was er in den letzten Stunden getan und sich überlegt hatte, auf völlig falschen Voraussetzungen beruhte. Er sorgte sich um Agnes, – und Agnes war in Sicherheit und wohl geborgen. Er glaubte, der Doppeldecker, der sich dem Dreimaster näherte, sei des Geheimagenten Jimminez Flugzeug gewesen, und in Wahrheit befand sich auf M 12 sein geliebter Herr und dessen von Knorz ebenso verehrter Freund Georg Hartwig.

Zu diesen Irrtümern kam nun noch ein anderer.

Mit einem Male hörte Gottlieb im Lagerraum Schritte …

Er hielt den Atem an, umklammerte seine Pistole fester …

Den Schritten nach war es ein einzelner Mann, der langsam zwischen den Frachtstapeln hin und her ging.

Es war – Pasqual Oretto, der Hafentaucher von Lissabon, Hartwichs alter Bekannter.

Was wußte Gottlieb von Pasqual?! – Nichts, gar nichts! Nicht einmal, daß es einen Pasqual Oretto gab!

Und Pasqual sprach dort zwischen den Warenstapeln mit sich selbst – in seiner Muttersprache natürlich …

„… Millionen an Waren …! – Und dazu das dunkle Geheimnis des Todes der Besatzung! – Wie wird sich das alles klären …?!“

Nach Art der lebhaften Südländer verlieh er so seinen innersten Gedanken lauten Ausdruck.

Und Gottlieb hörte es, nahm an, daß es einer von Alfonso Jimminez Kumpanen sei, verhielt sich mäuschenstill und – hätte doch sich nur zu zeigen brauchen, um mit Gaupenberg und den anderen wieder vereint sein …!

Dann verklangen die Schritte. Der Alte hörte, daß der Fremde die Treppe in die tieferen Decks hinabstieg. –

Pasqual begab sich in den Kielraum hinab, fand diesen zur Hälfte mit Wasser gefüllt und sah auch beim Lichte seiner hellen Schiffslaterne, daß seine Vermutung sich hier bestätigt fand. Durch den Schiffsboden der ‚Connecticut’ ragte eine graue kantige und rissige Granitmasse hindurch – ein Felskeil mit stumpfer Spitze von gut fünf Meter Durchmesser an der tiefsten sichtbaren Stelle: die Dorgas-Klippe!

Dann ging Pasqual Oretto wieder nach oben und erstattete Gaupenberg und Hartwich Bericht, die inzwischen das grauenvolle Geschäft der Entfernung der halb verwesten Leichen fast vollendet hatten.

Da sie all diese Toten unmöglich nach Seemannsart bestatten konnten, hatten sie sich darauf beschränkt, die Leichen über Bord zu werfen.

Entsetzlich war diese Arbeit, zumal die Verwesungsdünste nur zu rasch Übelkeit und Schwindelanfälle hervorriefen. Es gehörten schon eiserne Nerven dazu, die zum Teil bereits auseinanderfallenden Körper auf Stücke Segeltuch zu legen und dann ins Meer gleiten zu lassen.

Trotzdem trieb Gaupenberg seine beiden Gefährten noch mehr zur Eile an. Hatte er doch bei einer Untersuchung der Propellerwellen der Sphinx festgestellt, daß das Laufgestänge verbogen war und gleichfalls ausgewechselt werden mußten. Bevor das Luftboot wieder voll aktionsfähig, würden noch viele Stunden vergehen. –

Inzwischen hatte sich Mafalda Sarratow soweit erholt, daß sie die Kabine der Sphinx verlassen und die weit geräumigere Kajüte des Kapitäns der ‚Connecticut’ hatte beziehen können.

Lug und Trug begleiteten dieses intriegante schöne Weib auf allen Wegen. Die Flucht Edgar Lomatz war geglückt – mit ihrer Hilfe. Von Lomatz hatte sie erfahren, daß Gottlieb Knorz mit an Bord der Sphinx gewesen. Wo also war Gottlieb geblieben? Weshalb hielt er sich verborgen?!

Ihr nimmermüdes Mißtrauen, ihr schlechtes Gewissen sah überall Gespenster, neue Gefahren, drohende Enthüllungen, die das Lügengespinst, das sie um ihre Person gewoben, zerreißen konnten.

Auch diesen Gottlieb Knorz haßte sie, weil sie ihn fürchtete. Genau wie Georg Hartwich.

Die Ungewißheit, was der alte treue Diener des Grafen Gaupenberg wohl planen mochte, trieb sie heimlich aus der Kajüte hinaus in die inneren Räume des Vollschiffes. Es gab da eine zweite Tür in der Kajüte, wo die Frau des Kapitäns gewohnt hatte. Weibliche Neugier ließ Mafalda hier einen Augenblick verweilen. Sie musterte die überaus luxuriöse Einrichtung dieses Raumes und sagte sich, daß eine Frau von solchen Ansprüchen wohl kaum die richtige Lebensgefährtin für einen schlichten Seemann gewesen sein könne.

Gerade dieses minutenlange regungslose Verweilen hier in dieser Kabine sollte in seltsamer Weise die Geschicke all der Menschen beeinflussen, die um die versunkenen Milliarden des U-Bootes mit- und gegeneinander kämpften.

Mafalda vernahm plötzlich draußen im Schiffsgang leise schleichende Schritte.

Sofort war ihr klar, daß die Person, die dort so vorsichtig sich bewegte, weder Gaupenberg noch Hartwich oder Pasqual Oretto sein könnte. Ein kurzer Blick durch das Fenster hatte ihr die drei draußen auf Deck gezeigt, wie sie gerade die Leichen des Lords und Estevans in ein großes Segel hüllten, um wenigstens diese beiden Opfer des Azorengoldes nach altem Seemannsbrauch zu bestatten.

Mithin mußte es jemand anders sein …

Gottlieb Knorz vielleicht …?!

Da – machten die Schritte vor der Kajütentür halt …

Mafalda huschte hinter die Vorhänge des Bettes, hielt diese mit einer Hand zu und auch straff, damit sie sich nicht bewegten.

Die Tür ging leise auf.

Ein Mann trat ein, hager, graubärtig, gehüllt in einen alten dunklen Radmantel, einen Schlapphut auf dem Kopf.

Hinter den Gläsern der Brille schimmerten lebhafte unruhige Augen, und die Art, wie der Fremde nun zum Fenster schlich und vorgebeugt die drei Männer auf Deck beobachtete, hatte etwas überaus Gewandtes, Katzenartiges an sich.

Dann machte er kehrt und verließ die Kabine wieder.

Mafalda war über den Anblick des Fremden so überrascht gewesen, daß sie mit angehaltenem Atem und mit jagendem Herzen die in vielem unheimliche Erscheinung gemustert hatte.

Jetzt schüttelte sie diesen lähmenden Bann von sich ab, öffnete genau so lautlos die in den Gang mündende Tür und sah auch noch in der Ferne den Lichtschein irgendeiner Leuchte und die Umrisse jener hageren Gestalt in dem unförmigen Mantel.

Im Nu hatte sie ihre leichten Halbschuhe abgestreift …

Und so folgte sie dem Fremden, der Raum zu Raum wanderte, schließlich auch in das Ladedeck kam und hier hinter einen Stapel von Kisten kroch …

Und – hier im Lagerraum, wo Gottlieb Knorz erst vor Sekunden sein Versteck verlassen hatte, hier hätte der Fremde den Alten beinahe erwischt.

Gottlieb hatte kaum noch Zeit gefunden, sich hinter einige Ballen zu pressen, beobachtete nun den Mann im Mantel, der zu des Alten Bestürzung hinter die Kisten schlüpfte, sehr bald aber wieder auftauchte.

Inzwischen hatte Gottlieb jedoch auch Mafalda bemerkt, die sich seitlich in den Schatten einiger Fässer geduckt hatte.

Der Alte begriff nicht, was dies alles bedeutete. Wie kam die fragwürdige Fürstin hier auf den Dreimaster, und wer in aller Welt mochte dieser Fremde sein, der ihm so merkwürdig bekannt erschien …?!

Der Hagere mit dem Schlapphut ging langsam zwischen den Frachtgüterstapeln dahin …

Und – blieb plötzlich stehen …

Gerade da, wo drei Schritt nach der Bordwand zu Mafalda hockte …

Sagte laut und klar, indem er seine Laterne gleichzeitig ganz hoch hielt:

„Mafalda Sarratow, kommen Sie hervor aus Ihrem Versteck … Ich habe Sie längst gesehen. Und ich möchte Ihnen einiges mitteilen, was Ihnen nützlich sein dürfte.“

Gottlieb traute seinen Ohren nicht – ebensowenig seinen Augen …

Das war doch kein anderer als Doktor Dagobert Falz, der Einsiedler von Sellenheim! Er war’s …! Die Stimme, Gestalt – alles deutete auf den Sonderling hin! Und doch, wie sollte Doktor Falz urplötzlich hier an Bord des Dreimasters gelang sein?!

Seine Gedanken wurden abgelenkt. Mafalda hatte es nicht gewagt, diesen ernsten Befehl des Fremden unbeachtet zu lassen und war hervorgekommen.

Nun standen die beiden sich dicht gegenüber. Mafalda trotzig und selbstbewußt, wenn auch mit ungewisser Angst. Der Hagere ruhig und ohne jede Pose. So recht im Gefühl wahrer Überlegenheit.

Seine Augen bohrten sich in die Mafaldas ein. Das war das einzige, was vielleicht hätte theatralisch wirken können.

„Mafalda Sarratow,“ begann er eindringlichem Tones, „geben Sie all Ihre dunklen Pläne auf und flüchten Sie irgendwohin. Ihr … Maß ist voll! Sie haben vorhin Agnes Sanden absichtlich über Bord geworfen. Das war … Mord – Mordversuch, Mafalda Sarratow, denn Agnes lebt. Einer, der mächtiger ist als Sie und Tausende Ihres Schlages, hält seine Hand schützend über Agnes Sanden. – Gehen Sie wieder nach oben, Mafalda Sarratow! Und – fliehen Sie – bereuen Sie! Sie werden weder Viktor Gaupenberg noch den Azorenschatz je ihr eigen nennen! Gehen Sie.!“

Er streckte den Arm befehlend aus …

Und Mafalda, bleich und verstört wie noch nie in ihrem Leben, hetzte davon – wie von Furien gejagt …

Unendlich unheimlich war ihr dieser Mensch … Grauen hatte sie gepackt … Agnes lebte … lebte!! Alle stürzte um sie her zusammen …!

Und atemlos langte sie in der Kajüte an, warf sich auf das Sofa, und preßte die Fäuste in die Augenhöhlen – bebte noch am ganzen Leibe, als hätte sie soeben dem Fürsten der Finsternis gegenübergestanden. –

Gottlieb sah die Gestalt des rätselhaften Einsiedlers zwischen den Warenstapeln verschwinden …

Die leisen Schritte verklangen …

Da kroch der Alte wieder in sein Versteck zurück …

Ihm war’s im Kopfe so wirr, daß er sich erst ein wenig erholen wollte …

Nur nicht denken – nur nicht denken! Da war ja nichts als Unerklärliches, Unbegreifliches …

Und mit zitternder Hand füllte er einen Becher mit dem lauwarmen Wasser aus dem großen Zinkbehälter.

Trank …

Widerlich fade schmeckte es …

Draußen im Gange vor dem Kistenstapel stand der Fremde in tiefster Dunkelheit.

Lauschte …

Hörte das Wasser in den Becher rinnen …

Nickte befriedigt …

Zehn Minuten später war Gottlieb Knorz fest eingeschlafen.

Der Fremde rückte ein paar Kisten zur Seite, nahm Gottlieb in die Arme und trug ihn davon.

Als der Alte nach zwei Stunden erwachte, befand er sich in einem matt erleuchteten, orientalisch eingerichteten Gemach, lag auf einem Diwan und … schaute in Agnes Sandens frohe, reine Augen …

Mit einem Ruck saß er aufrecht …

„Kind – Agnes – – du – – du?!“ Er konnte kaum stammeln vor Rührung.

Sie hatte seine Hände ergriffen …

Sie liebte diesen schlichten Mann, der wie ein Vater auf der Gaupenburg sich ihrer angenommen hatte, als alle – alle sie verließen, als Lug und Tücke ihr den Geliebten geraubt hatten.

„Onkel Gottlieb, – ja, ich bin's!“ lachte sie glücklich. „Ich bin’s wirklich – trotz des kurz geschnittenen gefärbten Haares und trotz dieser bunten Tracht …“

Gottlieb starrte sie an …

Ein tiefer, tiefer Seufzer kam über seine Lippen …

„Oh – das … das ist, als ob mir eine Zentnerlast von der Seele fiele, Kind …! Du glaubst ja nicht, welche Angst ich …“

Er schwieg, schüttelte den Kopf, schaute sich um …

„Wo … wo sind wir hier, Agnes?“ meinte er ganz scheu. „Ich schlief doch in meinem Versteck ein, und … und …“

„Doktor Dagobert Falz hat dich geholt, Onkel Gottlieb … Dies hier ist die unterseeische Wohnung eines berühmten Alchimist, der um das Jahr 1680 gelebt hat … Mehr weiß ich auch noch nicht …“

Wieder schüttelte der Alte den Kopf …

„Doktor Dagobert Falz, Kind?! Der aus der Ruine Sellenheim …?! – Kann das denn möglich sein?!“

Agnes wurde ernst.

Sie flüsterte hastig:

„Ich … ich weiß es auch nicht ganz genau, ob er’s wirklich ist … Zuweilen schien’s mir, als ob er mich zu sehr nach Einzelheiten über die Ereignisse in der Gaupenburg ausfragte, die er doch kennen muß …“

Der Teppichvorhang wurde hochgeschlagen. Der Fremde trat ein – kam langsam auf die beiden zu, lehnte sich an den Tisch, auf dem noch das alte Buch mit den vergilbten Blättern lag und sagte ohne jede Einleitung:

„Ich bin nicht Doktor Dagobert Falz – und doch bin ich’s auch! Diesen scheinbaren Widerspruch kann ich Ihnen hier nicht aufklären.“

Er nahm den Hut ab, entfernte Perücke und Bart und zeigte das scharf geschnittenen Gesicht eines Mannes von vielleicht fünfunddreißig Jahren.

Auch die Brille legte er weg …

„Nun bin ich der,“ fuhr er fort, „der als blinder Passagier die Unglücksreise des Dreimasters ‚Connecticut’ mitgemacht hat …“

Kuzre Pause …

„Ich bin … Detektiv … Mein Name tut hier nichts zur Sache …“, erklärte er weiter, ohne die ebenso verblüfften wie bestürzten Gesichter des Mädchens und des Alten zu beachten. „Ein Detektiv, der von der Juwelenfirma Ewans & Co. in New Orleans beauftragt wurde, der Frau des Kapitän Simpkins, die aus Leidenschaft für Brillanten und Schmuck raffinierte Diebin geworden, all die Juwelen wieder abzunehmen, die sie bei Ewans & Co. sehr geschickt hatte verschwinden lassen, wie die Geschäftsinhaber vermuteten. Als ich mich in New Orleans mit Wissen des Steuermanns Golbrean auf dem ‚Connecticut’ im Laderaum verbarg, ahnte ich nicht, daß diese Reise in so entsetzlicher Art enden würde. Daß sich etwas ereignen würde, ahnte ich, denn der Koch, der Frau Simpkins andauernd nachstellte und bis zum Wahnwitz in sie verliebt war, hatte wiederholt gedroht, er würde sich in einer Weise rächen, wie’s niemand sich ausmalen könnte. – Ich sah das Unheil kommen, war jedoch nicht im Stande, es zu verhüten, da auch ich nicht ahnte, daß der Koch so viel Blausäure mit sich führte, um insgesamt achtzehn Personen durch eine vergiftete Puddingsauce zu ermorden …“

Agnes und Gottlieb saßen mit erstarrten Gesichtern da.

Der Detektiv sprach noch leiser weiter:

„Als ich mich nachts wieder aus meinem Versteck hervorwagte, beunruhigt durch das wilde Rollen des Schiffes, da … war der Dreimaster ein Massengrab. Und noch in derselben Nacht schleuderte ein Orkan das Schiff auf die Dorgas-Klippe. Als dies geschah, als mit ohrenbetäubendem Krachen der Felsen die Bodenplanken durchschlug und seinen steinernen Keil immer tiefer in den Leib der ‚Connecticut’ einbohrte, da … geschah noch etwas anderes …“

Er hob die Hand und deutete ringsum …

„Da – entdeckte ich kurz darauf ein Geheimnis, das fast drei Jahrhunderte von der Dorgas-Klippe gehütet worden war … Da fand ich, als ich in den Kielraum hinabstieg und den Felsen besichtigte, ein Stück des harten Granits, eine zackige, genau in einer Öffnung passende Steintafel verschoben … Und als ich in den Schacht auf verrosteter eiserner Leiter mich hinabwagte, gelangte ich in diese unterirdischen Grotten, die einst Theophrastus Parazelsus, der Chemiker und Alchimist, in aller Stille sich als Schlupfwinkel und Werkstatt hergerichtet hatte, als er am Hofe des Königs von Spanien sechs Jahre sich als Goldmacher versuchte. Dort liegt sein Tagebuch, eins der merkwürdigsten Dokumente aus einer Zeit, als dreißig Jahre lang die Kriegsfurie Europa verwüstete … – So, nun kennen auch Sie beide dieses Geheimnis. Ich habe es zuerst Ihnen verbergen wollen. Ich wurde anderen Sinnes, als ich mich soeben überzeugte, daß Fräulein Sandens Schilderung von Ihren Charaktereigenschaften, Herr Knorz, wirklich zutraf. Wer wie Sie so ganz ohne jede Selbstsucht, ohne jede Rücksicht auf sein eigenes Wohl und Wehe in Treue und väterlicher Liebe an einem Mädchen hängt, der soll erkennen, daß ich ihm volles Vertrauen schenke, Herr Knorz, – vollstes Vertrauen …“

Gottlieb Knorz hatte seine hastenden Gedanken mittlerweile wieder ein wenig geordnet.

Er nickte jetzt sinnend vor sich hin und sagte zögernd:

„Vollstes Vertrauen – ja, das können Sie mir schon schenken, Herr … Und deshalb frage ich Sie: Wer sind Sie?! Und jetzt ohne Bart, Perücke und Brille haben sie immer noch überraschende Ähnlichkeit mit Doktor Dagobert Falz. Auch Ihre Stimme gleicht der des Doktors, und selbst Ihre Gestalt und die Art, wie Sie sich bewegen, erinnert so eindringlich an den Sonderling, daß ich …“

Der Detektiv hatte durch eine müde Geste dem Alten Schweigen geboten.

„Wer ich bin?!“ meinte er mit leichtem Achselzucken. „Was ist denn ein Name?! Nichts – nichts …! Die Persönlichkeit ist alles! – Nennen Sie mich Fator – – Fator, abgeleitet von Fatum, das Geschick … Ja, so nennen Sie mich! Fator, das personifizierte Schicksal, die fleischgewordene Vorsehung! – – Fator wird Sie beide jetzt allein lassen, wird sich oben im ‚Connecticut’ mit Steuermann Hartwich in Verbindung setzten und mit ihm beraten, was weiter geschehen soll …“

Mit gültigem Lächeln verneigte er sich vor Agnes und verließ das Gemach durch eine andere Tür. –

Agnes Sanden schmiegte sich dichter an ihren Freund …

„Onkel Gottlieb,“ hauchte sie, „er … er ist doch der Doktor! Er muß es sein!“

Der Alte seufzte. „Ich … ich will weder ja noch nein sagen, Kind … Ich stehe hier vor einem Rätsel …“

„Oh – ich kann es vielleicht lösen, Onkel Gottlieb … Ich habe, als ich durch Mafalda heimtückisch in die See geschleudert worden war, den Einsiedler in meinem heißen Begehren, für Viktor noch am Leben zu bleiben, zu Hilfe gerufen – gleichsam beschworen… Und – wurde ja auch gerettet, Gottlieb! Auf eine Weise gerettet, wie sie kaum phantastischer sein kann. Der Mann, den wir Fator nennen sollen, hatte gerade diese Grotten verlassen, als ich mit dem Kopf gegen den Boden des Dreimaster stieß, und mein Jackenzipfel sich in den zackigen Rändern des durchbohrten Kupferbeschlages verfing. Der Schein seiner Laterne beleuchtete einen Teil der Tiefe, da zwischen der Klippe und dem Rande des Loches an einer Stelle ein meterbreiter Zwischenraum entstanden ist. So … erblickte er mich, tauchte, zog mich nach oben und brachte mich hierher …“

„Dabei ist doch nichts Übernatürliches,“ sagte Knorz leise. – Aber Agnes merkte, daß auch der Alte von den Schauern geheimnisvollsten Erlebens erfüllt war.

Sie schwiegen nun …

Sie mochten den Namen Faktor nicht mehr aussprechen …

Das Wehen unerklärlicher Kräfte umgab sie …

Und – genau so war’s Agnes damals in jener Nacht zu Mute gewesen, als sie den Einsiedler von Sellenheim kennenlernte.

 

38. Kapitel.

Die Jacht Otritis.

Steuermann Georg Hartwich beseitigte mit Hilfe Pasqual Orettos die letzten Spuren des grausen Verhängnisses, den die Besatzung des Vollschiffes zum Opfer gefallen.

Nun war der ekle Verwesungsgeruch nicht mehr zu spüren, nun waren die Toten dem Meere übergeben und das Leben, die Lebenden forderten wieder ihr Recht.

Gaupenberg und Mafalda arbeiteten oben in der Sphinx, die als seltsame Last auf dem Mitteldeck des Dreimasters ruhte. Der Graf wollte die Propellerwellen erneuern, und die Fürstin reichte ihm die nötigen Werkzeuge zu.

Noch immer lastete der dicke Nebel rund um die Dorgas-Klippe, auf der das prächtige Schiff, äußerlich wohlerhalten, wie ein riesiger Hut unverrückbar festgekeilt hing …

Hartwich begab sich jetzt in die Schiffsküche des Dreimasters, um auch hier Ordnung zu schaffen, ein Feuer in dem eisernen Herde anzuzünden und ein kräftiges Essen zu bereiten. Pasqual wieder war nun zur Sphinx emporgeklettert und ging Gaupenberg eifrig zur Hand. –

Steuermann Hartwichs Gedanken waren bei Mafalda.

Die Fürstin hatte vorhin sich den drei Männern zugesellt und ihr bleiches Aussehen und ihre nur mühsam verheimlichte Verstörtheit durch die stickige Luft in der Kapitänskajüte zu erklären gesucht.

Hartwich war überzeugt, daß diese Intrigantin, die sich leider zu fest in das Herz seines Freundes hineingestohlen hatte, Lomatz befreit und auch Agnes über Bord befördert hatte. Weshalb sie dann die Kajüte verlassen und in diesem Zustände seelischer Verwirrung bei den Männern geblieben und immer wieder gemahnt hatte, man solle die Sphinx schleunigst reparieren und die Fahrt nach San Miguel fortsetzen, – das blieb ihm dunkel – vollkommen dunkel. Er ahnte nur, daß Mafalda hier an Bord irgendetwas erlebt haben müsse, was selbst sie in Angst und Schrecken gesetzt hatte.

Als er nun die Küche verließ und den Vorratsraum betrat, prallte er zurück.

Greller Laternenschein traf ihn, und vor ihm stand ein hagerer Mann in einem dunkelgrauen Sportanzug …

„Erschrecken Sie nicht, Herr Hartwich,“ sagte der Mann mit gedämpfter Stimme. „Mein Name ist Fator. Ich habe einiges mit Ihnen zu besprechen …“

Hartwich war auch keineswegs erschrocken. Er war nur durch den jähen Lichtschein geblendet worden, und nichts weiter. Seine Nerven vertrugen schon andere Belastungsproben. Das sah man sowohl seinem Gesicht wie jeder Bewegung seiner kraftstrotzenden und doch keineswegs plumpen Gestalt an. Er, Georg Hartwich, war ein Mann wie aus Stahl gehauen, dazu eine Seele, ein Herz klar und hart wie Diamant.

So war der Hüter des Azorenschatzes, der drei Jahre als Robinson auf dem Inselchen Formigas gehaust hatte, der als einziger Überlebender des Goldschiffes einen Eid geschworen, daß die versunkenen Milliarden nur einem großen, hehren Zwecke dienen sollten: dem der inneren und äußeren Wiedererstarkung des deutschen Vaterlandes!

Nein – erschrocken war Georg Hartwich nicht …!

Aber jetzt, als dieser jäh aufgetauchte Mann da vor ihm ihn angesprochen hatte, da hatte Hartwich vor ungläubigem Staunen den Oberkörper vorgebeugt und den Fremden gemustert, hatte geradezu mit Gier dieser Stimme gelauscht, rief nun, und – seine Worte waren die treffende Bezeichnung dieses Wunders:

„Doktor Falz …! Herr Doktor Falz – sind Sie es wirklich – in unbegreiflicher Verjüngung?!“

Fator lächelte … Ein Rätsellächeln …

Und Steuermann Hartwich streckte ihm freudig die Hand zum Gruß hin …

„Herr Doktor, Sie müssen es sein! Und daß ich gerade Ihnen, der uns in so selbstlosen Weise mit hohem Geldbetrag geholfen hat, damit wir das Maxim-Flugzeug kaufen könnten, hier begegne, nehme ich als glückverheißendes Zeichen hin …“

Fator war ernst geworden. Er drückte des Seemannes Hand, sagte:

„Ich bin nicht Doktor Dagobert Falz, Herr Hartwich …! Und wiederum, ich bin es doch! Was bedeutet ein Name?! Die Persönlichkeit ist alles. Nennen Sie mich Fator, das leibhaftige Schicksal, das Fatum ins Männliche übertragen! – Und nun genug davon, Herr Hartwich … Das sind Dinge, die nur die Zukunft klären wird. Die Gegenwart ist wichtiger. Sie verlangt mancherlei. Hören Sie mich an …“

Und er berichtete dem ungläubig Staunenden seine Erlebnisse als Detektiv an Bord des ‚Connecticut’ und von seiner bereits wochenlangen Einsamkeit in der unterseeischen Grottenwelt …

Als er den Namen Theophrastus Parazelsus erwähnte, fiel Hartwich ihm ins Wort:

„Genau wie Dagobert Falz – genau so! – Sie müssen Falz sein! Ein Wunder hat Sie verjüngt. Auch Falz hat mir, als wir in seiner Ruine den Zwerg Pannaru zum Geständnis zwangen, mancherlei über Parazelsus erzählt, über dessen Lieblingsschüler Luithard Brandfels, der in der Burg Sellenheim einst seinen geheimen Studien und chemischen Versuchen oblag und dessen Niederschriften Falz gefunden hat! – Der Zusammenhang zwischen Sellenheim und dieser hohlen Klippe hier, die den Schiffsboden des ‚Connecticut’ durchbohrt hat, ist gegeben: durch den Alchimisten Parazelsus! – Oh – ich habe nichts von all dem Wunderbaren vergessen, was Sie mir im Sellenheim anvertrauten! Ich weiß, daß Sie unedle Metalle durch ein einfaches Verfahren in Gold verwandeln werden, daß Ihre Experimente nach den Rezepten des …“

Da unterbrach Fator ihn.

„Ich bin nicht Dagobert Falz, nicht der Einsiedler und doch bin ich’s! Nochmals: Genug davon!“

Und in kurzen Worten schilderte er Agnes Sandens Rettung, schilderte auch Gottliebs Erlebnisse, fügte hinzu:

„Ich weiß, daß Ihr Freund Gaupenberg in unseliger Verblendung sich nur durch augenscheinliche Beweise wird überzeugen lassen, wes Geistes diese Mafalda Sarratow ist. Es hätte wohl kaum einen Zweck, ihm mitzuteilen, daß Agnes Sanden durch der Fürstin Schuld beinahe ertrunken wäre …“

„Nein,“ erklärte Hartwich in verbissenem Groll. „Gar keinen Zweck hätte das! Noch übt diese Mafalda auf Viktor einen so starken Einfluß durch ihr lebensprühendes Weibestum aus, daß jedes Wort gegen die Fürstin ihn nur fester an sie ketten würde. Wenn ich nicht so felsenfest an die Nutzlosigkeit solcher Eröffnungen geglaubt hätte, würde ich längst mit dem offenen Kampf gegen Mafalda begonnen haben, denn, weiß der Teufel, alle Heimlichkeiten widern mich an!“

Nun rückte Fator mit seinen Vorschlägen heraus. Er hatte sich alles genau überlegt. Er wollte jetzt in dem erbitterten Ringen um den Azorenschatz selbst eine Rolle übernehmen, wenn auch nicht die eines aktiven Helfers.

Hartwich war erstaunt über den weiten Blick und die phantastische und doch folgerichtige Art seiner Pläne, bei denen das neue Patentrettungsboot des ‚Connecticut’ System Parfang, ebenso beteiligt war wie das Inselchen Formigas.

Bevor die beiden Männer sich trennten, sagte Fator noch:

„Haben Sie der Leiche der Kapitänsgattin die Schmucksachen abgenommen? – Ja? – Nun gut, ich rechnete damit. Händigen Sie sie mir aus, Herr Hartwich. Sie sind Eigentum der Firma Ewans & Co. in New Orleans.“

„Wie – Sie halten also Ihre Behauptung aufrecht, daß Sie Detektiv sind?!“ meinte der Steuermann ein wenig gereizt. „Wozu das Versteckspiel, Herr Doktor Falz?! Ich weiß, daß Parazelsus auch ein sogenanntes Lebenselixier erfunden hatte, das eine Verjüngung des menschlichen Leibes herbeiführte. Ich zweifle nicht an der Möglichkeit eines solchen Medikaments, nachdem hervorragende Mediziner unserer Zeit sich mit ähnlichen Versuchen beschäftigt haben. – Weshalb leugnen Sie, Herr Doktor?! Sie können nur Doktor Dagobert Falz sein! Und niemals glaube ich Ihnen, daß Sie als blinder Passagier diese Unglücksreise des ‚Connecticut’ mitgemacht haben.“

Fator gab ihm die Hand …

„Auf Wiedersehen … – Gehen Sie hinab in den Lagerraum. Dort werden Sie in der linken Ecke neben dem Haupteingang hinter Kisten mit kalifornischem Wein mein Versteck finden …“

Hiermit verließ er die Vorratskammer und eilte in den Kielraum hinab, schwang sich auf die durch den Schiffsboden ragende mächtige Felsnase hinüber, hob den Granitdeckel des Schachtes und kletterte auf der rostigen Leiter abwärts, nachdem er die Steinplatte wieder sorgfältig eingefügt hatte. –

Es war jetzt sechs Uhr morgens.

Der Wind, der schon hin und wieder breite Lücken in die Nebelbank gerissen hatte, frischte immer mehr auf.

Während jetzt auch Hartwich, nachdem er das Frühstück fertig hatte und die vier Insassen der Sphinx in Eile ihren Hunger gestillt hatten, bei den Arbeiten an den zertrümmerten Propellern der Sphinx mithalf, wurde im Vorschrift des Dreimasters an der Steuerbordseite die dicht über dem Wasserspiegel liegende Ladeluke geöffnet und lautlos mit Hilfe einer besonderen Gleitbahn das Patentrettungsboot zu Wasser gebracht.

Fator und Gottlieb hatten das acht Meter lange Zinkboot, das mit einem kräftigen Motor ausgerüstet und völlig geschlossen war, reichlich verproviantiert.

Ebenso lautlos gingen sie nun an Bord, halfen auch Agnes hinein, die wieder ihren inzwischen trocken gewordenen Männeranzug trug, und stießen von dem ‚Connecticut’ ab.

Der noch immer recht dichte Nebel begünstigte ihre unbemerkte Abfahrt. Erst nachdem die Strömung sie bis an die Grenze der Nebelbank geführt hatte, warf Fator den Motor an, und das seetüchtige schnelle Fahrzeug nahm Kurs gen Süden – auf die unendliche Meilen entfernte Azoren-Gruppe zu.

Agnes stand neben Gottlieb am Steuer.

Ihre Augen waren rückwärts auf die graue Nebelmasse gerichtet, in der die Sphinx auf dem Deck des Dreimasters wie in Schleier gehüllt ruhte …

Wo auch Viktor Gaupenberg weilte, dem Agnes soeben noch so nahe gewesen und dem ihr Herz noch genau wie einst gehörte. Nichts als einen armen Verführten sah sie in ihm … nichts anderes! Ihre große Seele konnte ihm nicht grollen. Sie bedauerte ihn nur. Und wenn sie an all die feinen niederträchtigen Intrigen dachte, durch die Mafalda ihr den Geliebten abspenstig gemacht, fand sie es fast begreiflich, daß Viktor so rasch an ihr irre geworden.

Während sie so keinen Blick von den wallenden Wolkenschleiern ließ, die das Geheimnis der Dorgas-Klippe, den Dreimaster und die Sphinx verbargen, hatte Gottlieb Knorz ein langes Fernrohr auseinandergezogen und an die Augen geführt.

Am fernen Horizont bemerkte er im Nordosten ein einzelnes Schiff, das überraschend schnell seine Umrisse genauer zeigte, also mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit die Wogen durchschnitt.

Ein Verdacht zuckte in ihm auf …

Vielleicht die Jacht „Otritis“ des Generalkonsuls Ramon Cervera …

Jene Jacht, die bemannt mit einer Bande portugiesischer Abenteurer am Kap Retorta, an der Liegestelle des Goldschiffes, der Sphinx auflauern sollte!

Vielleicht …!!

Und mit angehaltenem Atem beobachtete er das rasch immer klarer aus dem Dunste des Horizontes sich herausschälende Fahrzeug …

Plötzlich ließ er das lange Fernrohr sinken …

„Agnes, mein Kind, – eine Frage …,“ sagte er hastig …

Aber Agnes hörte nicht …

Sie hatte nur Augen für die Nebelwand, die jetzt in langen Streifen auseinanderflatterte …

Die der strahlenden Sonne die Bahn öffnete zur Dorgas-Klippe, – zum Dreimaster …

Grell beleuchtet lag mit einem Male dort vielleicht acht Seemeilen nach Norden zu der ‚Connecticut’ … und die Sphinx …

Von dort befand sich Viktor Gaupenberg … Nur das hatte für Agnes jetzt Interesse, nur das …

Bis neben ihr Gottliebs raue Stimme rief:

„Kind, du hast doch die „Otritis“ im Hafen von Lissabon liegen sehen …! Kind, – hier nimm das Fernrohr! Schau dir das Schiff dort an … Wenn’s die „Otritis“ ist, dann … gnade Gott unseren Freunden, denn – das weiße Schiff dort hat soeben den Kurs geändert und jagt auf den Dreimaster zu!“

Mit leisem Aufschrei jäher Angst um den Geliebten fuhr Agnes herum …

Griff nach dem langen Messingrohr …

Stellte es ein auf die weiße Jacht …

„Die ‚Otritis“!’ schrillte ihre helle Stimme. „Es ist die „Otritis“ …!! Sie ist’s!“

Fator war an Deck erschienen …

Stand vor den beiden …

„Die „Otritis“?“ fragte er rasch …

„Ja – leider!“ erwiderte der Alte dumpf. „Was tun wir da? Umkehren?“

Fator blickte scharf nach der Jacht aus.

„Umkehren?“! meinte er. „Etwa damit auch wir drei gefangen genommen werden?! – Niemals! Vorwärts geht unser Weg!“

Und – seltsam! – Agnes gab ihm recht …

„Wir können unseren Freunden nur damit helfen, wenn wir uns unsere Freiheit bewahren,“ erklärte sie ernst. „Hoffen wir aber, daß Gaupenberg die Sphinx flugfertig hat, bevor die „Otritis“ dicht heran ist …“

„Oh – es war erst ein Propeller eingefügt,“ meinte Gottlieb mit gerunzelter Stirn. „Mir will es gar nicht gefallen, daß wir drei hier …“

Fator unterbrach ihn …

„Ein Propeller?! – Oh – das dürfte wohl für die Sphinx genügen! Und schlimmsten Falles wird Gaupenberg sein Luftboot so emporsteigen lassen wie es ist …!“

„Ja – wenn die Takelage des ‚Connecticut’ nicht wäre!“ rief Gottlieb in wachsender Erregungen, da es immer deutlicher wurde, daß die „Otritis“ den Dreimaster und auch die Sphinx bemerkt hatte und tatsächlich auf die Klippe zuhielt. ‚Die Takelage des Vollschiffes liegt ja wie ein Netz über der Sphinx!“ fügte er hinzu. „Ich weiß das am besten, denn ich habe es mit erlebt, wie wir in das Tauwerk hineingerieten und die Propeller zum Teufel gingen!“

Mit angstvoller Spannung beobachtete Agnes die Jacht …

Ihr Herz hämmerte, als ob sie selbst sich auf der Sphinx befände und die Aufregung dort an Bord persönlich mitmachte. –

An … Bord der Sphinx …

Als die Nebelmassen sich lichteten, als die Sonne freundlich das Totenschiff und seine seltsame Decklast beleuchtete, da war’s Mafalda, die als erste die ferne Jacht bemerkte …

Ihre tadellosen Augen, seemännisch geschult durch ein abenteuerliches Leben, durch monatelange Kreuzfahrten auf einem Kaperschiff, – Mafalda sah sofort, daß das helle schlanke Schiff dort nur eine Privatjacht sein könne … und ihr nächster Gedanke galt der „Otritis“ …

Wenn’s die „Otritis“ wäre …!!

Und in wildem Schreck rief sie Pasqual Oretto, dem Hafentaucher von Lissabon, zu:

„Holla, Sennor Oretto … Dort ein Schiff!“

Drei Augenpaare starrten jetzt ebenfalls nach Nordost …

„Die „Otritis“!!“ brüllte der Taucher … „Die „Otritis“ …!!“

„Und – mit Kurs hierher!“ schrillte Hartwichs Stimme …

Dann nach sekundenlanger starrer Pause Gaupenberg:

„Beile – Messer herbei!! Schlagt das Tauwerk entzwei! Schafft freie Bahn für die Sphinx!“

Diese drei Männer, die soeben noch in aller Ruhe und mit größter Sorgfalt die Propeller, die Bewegungsgliedmaßen der wundervollen Sphinx, hatten erneuern wollen, – diese drei packte jetzt das Fieber der nahenden Gefahr.

Sie wußten, was ihnen bevorstand, wenn sie denen in die Hände gerieten, die dort auf der eleganten Jacht nur den brutalen Anweisungen, Seiner Exzellenz, des gewissenlosen Gesandten der Republik Patalonia, gehorchten …

Seiner Exzellens Ramon Orsaro, der da in Berlin in der vornehmen Tiergarten-Villa all die Fäden in der Hand zu haben glaubte, die zum Milliardenschätze der Azoren hinüberliefen …

Glaubte – nur glaubte! Denn: Exzellenz, selbst ein hartgesottener Schurke, kannte seinen Geheimagenten Alfonso Jimminez noch viel zu wenig! Ein Mann wie Jimminez, eine Kraftnatur von der Verschlagenheit eines Fuchses, spielt nie ein einfaches Spiel. Nur ein Doppelspiel, bei dem er selbst den Hauptanteil der Beute gewinnen kann …! –

Und die drei Männer auf der Sphinx fuhren nun wie die Teufel mit Handbeilen in die Takelage des ‚Connecticut’ empor …

Kappten die Taue, schmetterten mit wuchtigen Hieben die Hindernisse hinweg …

Trieften vor Schweiß … Hatten vorgequollene Augen … Keuchten vor Hast und Anstrengung…

Näher kam die schlanke Jacht …

Näher, immer näher …

„Es genügt!“ brüllte Hartwich … „Hinab – hinab auf die Sphinx …!“

Und rutschte an den Wanten abwärts wie ein Blitz …

Nicht minder schnell folgte Pasqual Oretto, gleichfalls Seemann, gleichfalls nur Muskeln und Sehnen trotz seiner Jahre.

Und Gaupenberg, der noch auf einer Rahe hoch über der Sphinx ritt und mit letztem Hieb ein Tau beseitigte, rief schallend:

„Wo steckt Mafalda?! Ich sehe sie nicht! Ruft sie herbei!“

„Sie ging vorhin in die Kapitänskajüte,“ kam Pasquals Antwort …

Und er und Hartwich sprangen hinab auf die Deckplanken des Dreimasters …

Liefen zum Heckaufbau … Rissen die Tür auf …

Riefen … riefen umsonst …

Stürmten weiter … Füllten die stillen Gänge und Decks des Totenschiffes mit schrillem Mahnen.

„Fürstin – Fürstin, wir wollen aufsteigen – – aufsteigen!!“

Pasqual fluchte …

Er als Junggeselle, als Sonderling haßte die Weiber …

Alle – alle …

„Die Pest klebt an diesem Unterrockvolk!“ japste er wütend …

Und Hartwich gab ihm recht …

So kamen sie ins Vorschiff, ins Matrosenlogis …

Riefen auch hier …

Bis drohend die eine Tür zuschlug, Riegel knackten …

Da standen sie einen Moment wie erstarrt …

Standen in dem schmalen Gang zu den Segelkammern – im Dunkeln jetzt …

Und dann – ein Sprung von Hartwich gegen die schmale Tür – eine Panthersprung …

Dröhnend prallte seine Schulter gegen das Holz …

Das Holz knisterte … hielt …

„Oh – eingeschlossen hat sie uns hier … Eingeschlossen! Die … die Bestie!“

Und gemeinsam wuchteten sie dann ihres Leibes volle Kraft gegen das feste Holz …

Im Dunkeln …

Keuchten stoßweise …

„Bestie!!“ knurrte auch Pasqual, der ja schon in Lissabon in alles eingeweiht worden war.

Nochmals versuchten sie die Türen zu sprengen …

Es gelang nicht.

Erschöpft verharrten sie sekundenlang regungslos …

Bis Hartwich leise, mutlos sagte:

„Ja – wenn ich meinen Revolver bei mir hätte!! Nur meinen …“

„Da – hier ist einer … Kein schlechter, Sennor Hartwich …“

Und Pasqual Oretto tastete in der Finsternis nach Hartwichs Hand …

Der nahm die Waffe …

Seine Finger der Linken fühlten nach dem Schloß …

Den Revolverlauf setzte er auf den Fleck, wo der Riegel durch das Holz ging …

Drückte ab …

In dem engen Raume dröhnte der Schuß wie Geschützdonner …

Und – wäre oben an Deck gehört worden, wenn nicht Gaupenberg kurz vorher schon den Motor der Sphinx hätte anspringen lassen, wenn nicht der eine Propeller mit sausendem Knattern die Sphinx langsam von dem Dreimaster hinweggetrieben hätte …

Daß dies geschah, war Mafaldas Werk …

An Deck war sie geeilt nach dem schlau überlegten, schlau durchgeführten Streich …

War an Bord der Sphinx geklettert, wo Gaupenberg gerade im runden Maschinenraum unter der Hauptluke vor den blanken Schalthebeln stand und das Sehrohr des Bootes hinausschob …

„Wir sind da!“ rief Mafalda ihm von der Luke aus zu. „Rasch – rasch, Viktor … Fort von hier! Aufsteigen! Die „Otritis“ ist keine zweihundert Meter mehr entfernt.“

Und Gaupenberg, getäuscht durch das klug berechnete ‚Wir – wir sind da!’, – Gaupenberg nahm an, daß auch Georg und Pasqual oben an Deck …

Die Sphinx gehorchte dem Auftrieb das Sphinxröhre, hob sich …

Der Propeller drückte sie hinaus aus dem lose hängenden Tauwerk – hinaus über das Meer …

Und hier nun schnellte sie hoch – wie ein emporgeschleuderter Ball, fast senkrecht …

Und tief unter ihr hinweg fegten heulend die Granaten des Revolvergeschützes der Jacht …

Mafalda stand wie eine Statue neben der Luke …

Wie eine finstere Siegerin, die ihres Sieges nicht froh werden kann.

Den Leuten der „Otritis“ hatte sie ihren Feind Hartwich und den Taucher in die Hände gespielt … Ein Wunsch lebte nur in ihrem verderbten Herzen: Daß die Banditen auf der Jacht mit den beiden und mit dem unheimlichen Menschen, der ihr im Lagerraum des ‚Connecticut’ von einer Rettung Agnes Sandens vorgefaselt hatte, kurzen Prozeß machen würden!

Nun stieg sie langsam die Lukentreppe hinab …

„Glück haben wir gehabt, Viktor!“ sagte sie in harmlosem Jubel. „Die „Otritis“ feuerte auf uns … Jetzt sind wir ihr entronnen …“

Gaupenberg, vor den Schaltbrettern beschäftigt, stets den Höhenmesser kontrollierend, der bereits zweitausend Meter anzeigte, rief Mafalda zu:

„Hartwich soll sofort den zweiten Ersatzpropeller aus der Vorratskammer an Deck bringen. Wir können den Propeller auch hier oben im Äther auf die Welle schrauben …“

Nun – kam das Schwere für Mafalda, die schwere Aufgabe, die Überraschte zu spielen.

„Ist Hartwich in einer der Kabinen?“ fragte sie schnell und stieß die Tür nach dem Mittelgang auf …

Da drehte Gaupenberg sich langsam um …

Mit einem Gesicht, als ob man ihm sein Todesurteil soeben verkündet hatte …

„In … einer Kabine …?!“ brüllte er. „Aber Mafalda, ist Hartwich denn nicht oben an Deck?“

Die Fürstin Sarratow lächelte ein wenig …

„Viktor, Viktor, du bist durch die Hetzjagd der letzten Ereignisse etwas verwirrt … – Oben an Deck ist niemand mehr. Hartwich und Oretto müssen doch hier im Inneren der Sphinx irgendwo stecken …“

Gaupenberg ahnte nichts …

Nichts …

Blaß wurde er, Schweißperlen liefen ihm über die Stirn …

Stöhnend quälte er hervor: „Mafalda, die beiden suchten dich … Du warst irgendwo in dem ‚Connecticut’ … Ich hörte sie rufen … Und nun – nun haben wir sie dort zurückgelassen …!“

Mafalda schluchzte auf …

So natürlich wirkte dieser Laut tiefster Erschütterung, daß Gaupenberg rasch erklärte:

„Liebste, dich tritt kein Vorwurf! Ein bedauerlicher Irrtum hat die Sphinx emporsteigen lassen – zu früh … zu früh!“

Die Fürstin Sarratow stand geduckt mit tränenverschleierten Augen da…

„Viktor – wir … wir müssen sie holen … Viktor – hinab aufs Meer mit der Sphinx! Wir …“

Gaupenberg schüttelte traurig den Kopf.

„Unmöglich, Mafalda! Soll ich die Sphinx den Schüssen der ‚Otritis’ aussetzen?! Ist’s nicht ein Wunder, daß wir überhaupt unversehrt davonkamen?! – Nein, Mafalda, – selbst Freund Georg würde es niemals billigen, wenn ich die Sphinx seinetwegen leichtsinnig opferte! Und – das Opfer wäre zwecklos. Für uns bleibt immerhin die Hoffnung, daß Männer wie Georg und Pasqual Mittel und Wege finden werden, sich den Leuten der Jacht zu entziehen. – Aber eins können wir tun, Liebste. Nimm ein Fernrohr, lege dich glatt oben an die Reling. Ich werde die Sphinx bis auf achthundert Meter hinab gleitenlassen. Dann kannst du mit Hilfe des Glases die Vorgänge auf der „Otritis“ beobachten. Vor Schüssen sind wir in solcher Höhe sicher.“

Mafalda stieg an Deck …

Und mit welcher erwartungsvollen Hast stellte sie das Fernrohr ein …!

Sah nun, daß die „Otritis“ dicht neben dem ‚Connecticut’ lag, sah Menschen auf beiden Schiffen hin- und her eilen …

Einzelheiten vermochte sie doch nicht zu erkennen …

So hing denn die Sphinx über der Dorgas-Klippe in der Luft. Nur selten schlug der Propeller an und drückte das schwebende, vom Winde abgetriebenen Boot an dieselbe Stelle zurück …

 

39. Kapitel.

Auf dem Eiland Formigas.

Drei Stunden vorher …

In der einen Kabine der Sphinx saß der gefesselte Edgar Lomatz auf einem leichten Rohrsessel. Ihm gegenüber seine Wächterin – Mafalda Sarratow …

Das war zu jener Stunde, als die drei Männer zur Besichtigung des Totenschiffes die Sphinx verließen …

Als Mafalda und der Verräter Lomatz allein an Bord der Sphinx waren.

Edgar Lomatz, bis zum Entsetzen entstellt durch die Streifschußwunde an der Stirn, das im Gesicht angetrocknete Blut und die blutstarrenden Kleider, hatte die Schritte der sich Entfernenden mit scharfem Ohr verfolgt.

Ein Grinsen ging jetzt über sein heimtückisches Antlitz …

„Feines Wiedersehen, Mafaldachen,“ höhnte er. „Feines Wiedersehen! – Wir – wir beide hatten uns auf der Gaupenburg den Verlauf der Dinge etwas anders gedacht!“

„Das wohl,“ hastete die Fürstin hervor. „Doch – dieser Ton paßt nicht zu diesen Umständen, Lomatz. Lassen Sie uns handeln. Ich weiß, daß Sie mich als Ihre frühere Verbündete verraten können. Sie werden es auch tun, falls … ich Ihnen nicht die Flucht erleichtere.“

„Ein vernünftiges Wort, Mafaldachen! Gefällt mir!“

„Ich werde Ihre Fesseln lockern … Dann … schlagen Sie mich zum Schein nieder … Der Hieb darf nicht zu schwach ausfallen. Ich ertrage es schon …“

„Kein Wunder! Eine frühere Seeräuberbraut …!! – Nicht wahr, Mafaldachen, Sie haben doch die Insel Formigas nicht vergessen! Alfonso Jimminez hat mir so manches davon erzählt … Von dem Mulatten, der mit einem tadellosen Dolchstoß im Herzen in der Bucht als Leiche …“

„Schweigen Sie!“ brauste Mafalda auf. „Bedenken Sie eins, Lomatz …! Es gibt auch noch ein anderes Mittel, mich vor Ihnen zu schützen …!“

Ihre dunklen Augen funkelten drohend. Ihre Hand wog den kleinen Revolver …

„Wenn ich Sie jetzt zum Beispiel niederschieße, wenn ich dann erst Ihre Stricke lockere und Gaupenberg gegenüber behaupte, Sie hätten mich angefallen, dann …“

Lomatz wurde totenbleich …

Da lachte die Fürstin höhnisch …

„Keine Angst, Freund Edgar …! Ich will Sie mir doch lieber als wertvollen Verbündeten aufheben. Vergessen wir, was geschehen …“ –

Zwei Minuten drauf lag die Fürstin mit blutiger Stirn scheinbar bewußtlos in derselben Kabine, und Edgar Lomatz fuhr mit dem Maxim-Doppeldecker M 12 in den dichten Nebel hinein …

Er war entkommen. Vorläufig nur Gaupenberg und den beiden anderen. Er wußte, noch ein zweiter Feind lauerte hier in der Nähe, auch ein Maxim-Doppeldecker, und der hatte Alfonso Jimminez an Bord, den patalonische Geheimagenten …

Das war ein Gegner, der ein Dutzend Gaupenbergs und Hartwichs aufwog. Das war ein Riese ohne jeden Funken Mitleid, eine blutgierige Bestie, racheschnaubend wegen des niederträchtigen Streiches auf der Gaupenburg im düsteren Turmgemach …

Wenn Lomatz jemals diesem Alfonso begegnete, dann – das wußte er mit aller Bestimmtheit – würde einer von ihnen in Sekunden eine Leiche sein.

Und Alfonso Jimminez hatte mit seinem Maxim die Sphinx und M 12 verfolgt, hatte nur im Nebel die beiden Flieger aus den Augen verloren …

Lauerte nun sicherlich außerhalb der Nebelbank, – viel leicht umkreiste er die Dunstmassen wie ein Falke, dem die Tauben im Qualm eines Fabrikschlotes vorläufig entgangen sind. –

So saß denn der Verbrecher Lomatz im Führerstand des M 12 vor den breiten, feuchten Glasfenstern und überlegte, wie er am leichtesten dem Todfeinde entgehen könnte.

Noch glitt M 12 auf den Schwimmkörpern über die nur leicht bewegte See hin …

Noch war die Grenze der Nebelbank nicht erreicht … –

Lomatz war im innersten Herzen ein erbärmlicher Feigling. Ein Mensch, der einer Hyäne glich, ein Leichenfledderer … Nichts Jämmerliches gab es, was er in seinem Leben nicht schon begangen hätte: im Kriege Spion gegen sein Vaterland, – verlobt gewesen mit Agnes Sanden, die er schlau und heimtückisch gleichfalls als Spionen benutzte, – nachher Hochstapler, Mädchenhändler, Taschendieb …

So sah der Elende aus, der nun mit M 12 aus den grauen Nebelschleiern hinausfuhr in lichten Sonnenschein …

Bebende Angst im Herzen … spähende Blicke werfend – hierhin, dorthin …

Noch dazu gebannt an den Führersitz des M 12, der nun allmählich emporstieg, sich höherer schraubte – in Spiralen …

Da – bemerkte Lomatz den anderen Doppeldecker …

Sein Gesicht wurde fahl. Sein Mund verzerrte sich …

„Narr, wäre ich im Schutze der Nebelwand geblieben …!“

Und sofort versuchte er, M 12 zurückgleiten zu lassen in die dunstige, feuchte Dämmerung …

Zu spät …

Zu … spät … –

Auf M 17, dem anderen, besseren Typ der Maxim-Maschinen, hatte Jimminez dem durch Geld bestochenen Piloten Alexander Grieb bereits zugerufen:

„Schräg über uns M 12 …! – Grieb, nun gilt’s! Ich mache die Kugelspritze feuerfertig. Auf keinen Fall darf M 12 wieder im Nebel untertauchen! Beweisen Sie, daß Sie ein geschickterer Pilot sind als der berühmte Fritz Bauer drüben beim Gegner!“

So rief Alfonso. Ahnte nicht, daß die Insassen von M 12 längst gewechselt hatten, daß der kühne Fritz Bauer längst ein Opfer des Milliardenschatzes geworden, eins der vielen Opfer des unseligen Goldes!

Näher und näher rückte M 17 …

Lomatz hatte es aufgegeben, in den Nebel zurückzufliehen.

Er hielt jetzt südlichen Kurs. Hatte eine geringe Hoffnung, noch rechtzeitig die Nordwestspitze Afrikas, irgend einen Küstenpunkt Marokkos zu erreichen!

Und hinter ihm her, für ihn selbst unsichtbar, kam M 17 …

Bis er es wagte, die Spiegelvorrichtung über seinem Sitz einzustellen, so daß er auch nach rückwärts beobachten konnte.

Dabei mußte er für für halbe Minute die Höhen- und Seitensteuer loslassen …

So ereignete es sich, daß M 12 in eine Schicht dünnerer Luft geriet, abrutschte und sich überschlug …

In sausendem Fall schoß M 12 abwärts …

Abwärts – bis dicht über den Meeresspiegel … –

Lomatz war kein gelernter Flugzeugführer. Immerhin wußte er soweit Bescheid, daß es ihm gelang den Doppeldecker im letzten Moment wieder aufzurichten …

Dieser Sturz aus tausendfünfhundert Meter Höhe hatte die Kraft seiner Nerven völlig erschöpft. Zitternd, am ganzen Leibe mit eisigem Schweiß bedeckt, hockte er auf dem schmalen Sitz …

Seine umflorten Augen sahen nichts mehr …

Blindlings ließ er M 12 weiter gen Süden jagen …

Bis unter ihm eine starke Qualmfahne ihm bewies, daß dort ein Dampfer seine Band zog. Da raffte er sein Letztes zusammen. Ging noch tiefer hinab, flog nun neben dem Dampfer her, war hier … in Sicherheit, konnte jeden Augenblick das Schiff um Hilfe anrufen.

Es war ein Dampfer der französischen Levantelinie, die Marseille mit Smyrna verbindet.

Lomatz sah Passagiere und Matrosen an der Reling stehen, winken …

Sein feiges Herz schwoll in ungeheurem Jubel …

Denn – jetzt hatte er auch den Gegner erspäht, der sich vorsichtig ganz in der Ferne hielt.

Ein Lachen kam über Lomatz’ trockene Lippen. Ein Lachen wie das eines Wahnsinnigen …

So löste bei ihm die ungeheure Nervenanspannung dieses irrsinnige Gelächter aus. –

Auf M. 17 hielten Alfonso Jimminez und der patalonische Botschaftsrat Emilio Targossa, von Seiner Exzellenz dem Berliner Gesandten als Wächter für den Geheimagenten kommandiert, eine große Beratung ab.

Alfonso kochte vor Wut. Er sah ein, daß M 12 ihnen entgangen war – vorläufig! Es handelte sich jetzt nur um die Frauge, ob man M 12 weiterverfolgen oder besser der Sphinx an den Grenzen der Nebelbank auflauern sollte.

Jimminez wußte, daß M 17 gegen die Sphinx nichts ausrichten könnte. Und so kam er denn mit Targossa dahin überein, in vorsichtiger Entfernung M 12 auf den Fersen zu bleiben. –

Drei Stunden später öffnete sich der berühmte Verbindungsweg vom Atlantik zum Mittelmeer, die Straße von Gibraltar, vor dem dahinrauschenden Levante-Dampfer.

Und fast zur selben Zeit sprang der Wind um und führte vom spanischen Festland dichtes Gewölk herbei.

In diesen schwarzen Wolkenmassen verschwand M 12 …

Verschwand – und sagte dem schützenden Dampfer Lebewohl. –

Auf M 17 tobte der Riese Jimminez wie ein Toller.

Es half nichts. Der Gegner war entkommen.

Alfonso beruhigte sich.

„Kurs Südwest!“ befahl er dem Piloten Grieb, der bisher nichts von einem Azorenschatz ahnte. „Südwest – nach den Azoren, Herr Grieb! Dort werden wir als erste am Platz eintreffen. Dann – wird sich alles finden!“ –

Lomatz aber hielt denselben Kurs, nur noch ein wenig südlicher, denn sein Ziel war jetzt das unbewohnte Eiland Formigas. Dort wollte er landen, dort sich erst erholen von all den Strapazen, seine Nerven wieder in Ordnung bringen. –

Im Schutze des dichten Regengewölks segelte M 12 unaufhaltsam gen Süden. Mitunter hatte Lomatz doch freien Ausblick nach unten über die unermeßliche Wasserfläche des Atlantik. Um die Mittagszeit war der Brennstoff im Benzinbehälter des Motors verbraucht. Da er den betreffenden Tank nur auffüllen konnte, wenn er auf das Meer hinabging und für sich volle Bewegungsfreiheit hatte, wagte er sich aus den Wolkenmassen heraus und senkte sich vorsichtig in weiten Spiralen auf die See hinab. Gerade im Osten gewahrte er so die grünen Hänge des Inselparadieses Madeira, erkannte, daß er zu sehr nach Süden geraten und nahm sich vor, ab nun genauer auf den Kurs zu achten.

Außer zwei großen Frachtdampfern war die überschaubare Fläche des Ozean frei von Fahrzeugen. Auch in der Luft konnte Lomatz nichts entdecken, das ihn irgendwie geschreckt hätte.

Ohne Schwierigkeiten gelang ihm das Nachfüllen des Tankbehälters. Dann stieg er wieder auf und steuerte nun M 12 nach Nordwest. Nachmittags vier Uhr sichtete er aus tausend Meter Höhe das kleine Eiland Formigas, konnte auch weiter gen Westen die dunklen Felsgestade von San Miguel erkennen. Rasch schraubte er sich tiefer, denn der Himmel war jetzt wieder völlig wolkenleer. Er fürchtete, daß die Insassen von M 17, die vielleicht gleichfalls Kurs auf die Azoren genommen hatten, ihn doch als hellen Punkt im Äther bemerken könnten.

Nachdem er über dem Eiland zwei Schleifen gefahren und festgestellt hatte, daß auch nicht einmal ein Fischerboot in einer der zahlreichen kleinen Buchten lag, landete er auf demselben seeartig sich erweiternden Kanal, der an der Südseite des Inselchens tief ins Land einschnitt, umgeben von schroffen, zum Teil bewaldeten Anhöhen.

Es war dieselbe Bucht, auf deren nördlicher Uferterrasse Steuermann Hartwich nach der Versenkung des U-Bootes fast drei Jahre in einer Hütte als Robinson gehaust hatte.

Lomatz wußte dies. Hatte er doch auf der Gaupenburg an jenem ereignisreichen Abend den Grafen und Hartwich bei vertraulicher Aussprache über das Milliardengeheimnis belauscht. – Noch mehr wußte er. Hier in dieser Bucht war im März 1916 das von Alfonso Jimminez damals befehligte Freibeuterschiff für eine Nacht vor Anker gegangen, und hier war es gewesen, wo die Fürstin Mafalda Sarratow den ihr lästigen Mulatten eines Brillantgeschmeides wegen niedergestoßen hatte. –

Lomatz befestigte M 12 mit zwei Tauen dicht am Nordufer und erklomm dann zunächst mit einem Fernrohr den höchsten Punkt des Eilandes.

Die klare Luft und das scharfe Glas zeigten ihm nach Nordwest zu die Hauptinsel der Azoren San Miguel. Und dort – dort ruhte am Südgestade unweit der Halbinsel Retorta, die sich als steiles Vorgebirge weit ins Meer hinausschiebt, das Goldschiff U 45. Dort sank es, von Granaten zerfetzt, mit seinen achtunddreißig Kisten Gold in die Tiefe … –

Edgar Lomatz starrte mit fiebernden Pulsen in die Ferne …

Der Rausch des Goldes hatte ihn gepackt, jener unselige Rausch, der Menschenleben als ein Nichts erscheinen ließ, der selbst starke Seelen in Verwirrung brachte und Haß, Rachsucht, Vernichtungswillen säte.

Lomatz konnte den Blick nicht losreißen von dem fernen Gestade. Der Gedanke, daß dort drüben, vielleicht dreißig Seemeilen gen Nordwest, in dem Wrack des U-Bootes Milliarden an reinem Golde lagerten, trieb ihm in wahnwitziger Erregung den eisigen Schweiß in dicken Tropfen auf die Stirn. Seine das Fernrohr haltenden Hände zitterten immer stärker …

Und fester denn je zuvor war er entschlossen, den Goldschatz an sich zu bringen, koste es, was es wolle …

Nur langsam kamen seine Nerven wieder zu Ruhe. Er schob das Fernrohr zusammen und stand auf. Über eine Stunde hatte er auf hartem Gestein zwischen dem Gestrüpp auf der Kuppe des Berges gelegen. Er wußte es selbst nicht, daß inzwischen eine volle Stunde verstrichen. Und als er nun den Blick zufällig nach Norden wandte, schrak er zusammen …

Ein schlankes Motorboot nahte dort mit großer Geschwindigkeit. Ein graues, geschlossenes Boot, dessen Typ ihm nicht fremd war. Es konnte nur eines jener modernen Rettungsboote von Seeschiffen sein, wie sie die Gefahren des Weltkrieges, Minen und U-Boote, für Ozeanfahrer notwendig gemacht hatten.

Rasch dukte er sich wieder hinter die Büsche.

Was ihn am meisten beunruhigte, war der Kurs des flinken schlanken Bootes. Offenbar wollte es genau dieselbe Bucht ansteuern, in der jetzt M 12 lag.

Im Nu hatte Lomatz das Fernglas wieder an den Augen …

Und stellte es ein … Erkannte dort drüben am Steuer des Bootes das verwegene, kühne Wilderergesicht des alten Gottlieb Knorz …

Sah neben diesem eine schlanke knabenhafte Gestalt …

Und – ein wilder Fluch öffnete da die Lippen des vielseitigen Verbrechers …

Kurzes Überlegen dann …

Er hastete zur Bucht hinab … M 12 mußte verschwinden … Und löste die Taue, ließ den Propeller spielen. Die Randberge der gewundenen Bucht schützten ihn gegen Sicht. M 12 stieg empor, glitt über dem Kanal entlang gen Norden – bis zu einer Schlucht, die vollständig mit hohem dichten Gestrüpp bewachsen war.

Hier landete Lomatz. Krachend und knisternd grub der Doppeldecker sich in die grüne Wildnis ein, überschlug sich beinahe.

Lomatz schnitt Zweige ab, kappte kleine Bäume, hüllte M 12 in dichteste grüne Vorhänge …

Schlich wieder hinüber zur Bucht, lag zwischen Geröll auf hoher Terrasse, wartete…

Und das Boot erschien …

Machte gerade unterhalb der noch gut erhaltenen Hütte des Steuermannes Hartwich fest.

Drei Personen an Deck …

Drei …

Und mit einem höhnischen Grinsen erkannte Lomatz jetzt in dem schlanken Burschen seine einstige Verlobte Agnes Sanden.

Der dritte, ein hagerer bartloser Mann, war ihm fremd …

Nun reimte er sich auch mancherlei zusammen, was ihm noch unklar gewesen. Das Motorboot konnte nur zu dem Dreimaster ‚Connecticut’ gehört haben, der auf der Dorgas-Klippe gestrandet war. Und Gottlieb Knorz und Agnes hatten irgendwie dieses Boot unbemerkt zu Wasser bringen und davonfahren können.

Wer aber war der Fremde dort?! – Lomatz hatte ihn noch nie gesehen …

Ahnte nicht, daß es sich hier um eine Persönlichkeit handelte, die berufen war, in dem Kampf um die Goldmilliarden eine ebenso geheimnisvolle wie wichtige Rolle zu spielen.

Dieser Mann war jener Fator, der in der hohlen Dorgas-Klippe wochenlang gehaust hatte, über sich das Totenschiff, den ‚Connecticut’, mit den verwesenden Leichen der gesamten Besatzung …

 

40. Kapitel.

Die Plünderer.

Im schmalen Vorschiffgang zwischen den Segelkammern, wo Mafalda Sarratows Hinterlist den Steuermann Hartwich und Pasqual Oretto, den Hafentaucher von Lissabon, eingesperrt hatte, dröhnte ein zweiter Revolverschuß gegen das Schloß der kleinen, nur zu festen Tür …

Dann noch ein kraftvoller Stoß Hartwichs, und die Tür flog auf.

Die beiden hasteten an Deck des Dreimasters, ahnten bereits, daß sie die Sphinx nicht mehr vorfinden würden.

Waren doch vorsichtig genug, sich nicht in voller Größe zu zeigen. Sahen die weiße Jacht „Otritis“ bereits in nächster Nähe, sahen hoch über sich des Grafen Gaupenberg wunderbare Sphinx im Äther schweben.

„Was nun?!“ keuchte der alte Pasqual. „Was nun, Sennor Hartwich?! Dort kommt die „Otritis“, und die Besatzung, die sie an Bord hat, wird uns kaum sehr rücksichtsvoll behandeln!“

Steuermann Hartwich zog Pasqual wieder die Lukentreppe hinab ins Vorschiff.

„Verbergen wir uns, Freund Oretto,“ meinte er finster. „Hoffen wir, daß die Schufte nicht allzulange uns belästigen. Nachher wird Gaupenberg uns schon wieder aufnehmen.“

Pasqual lachte. „Da kennen Sie die Kerle schlecht! Glauben Sie, daß dieses Schmugglergesindel, welches der edle Sennor Cervera für seine Jacht durch Porfirio Estremaldo hat anwerben lassen, die reiche Lagerung des ‚Connecticut’ unberührt liegen läßt?! Nein, Sennor Hartwich, – meinen Kopf wette ich, ausplündern werden sie den Dreimaster, alles an Bord der „Otritis“ schaffen!“

„Hm – dann tun wir gut, uns nicht im Laderaum zu verstecken. Der Kielraum ist sicherer … – Also hinab mit uns! Nehmen wir Laternen mit!“

Laternenschein umspielte dann den zur Hälfte mit Wasser gefüllten Kielraum des großen Seglers, durch dessen Bodenplanken sich wie ein riesiger Granitkeil die Spitze der zackigen Dorgas-Klippe gebohrt hatte.

„Ein Anblick, der wahrhaftig selten ist!“ flüsterte Pasqual …

Hartwich deutete auf einen Haufen sandgefüllter Ballastsäcke, die durch die Felsmasse hoch aufgeschichtet und dich zusammengedrängt worden waren …

„Dort verbergen wir uns, Pasqual. Wir brauchen die Säcke nur anders zu legen, und ein Versteck ist fertig …!“ –

Die „Otritis“ hatte soeben neben dem Dreimaster festgemacht.

Eine Horde abenteuerlicher Gestalten, alles Kerle mit braunen, wilden Gesichtern, flutete auf den ‚Connecticut’ hinüber.

Cervera, Generalkonsul der Mulattenrepublik Patalonia, sowie der Kapitän der „Otritis“ sandten von der Kommandobrücke aus der Bande unzählige Flüche nach. Jede Spur von Disziplin war geschwunden.

Diese Schmuggler an der Küste, die Cervera für seine Kreuzfahrt nach San Miguel als die geeignetste Besatzung angesehen hatte, zeigte hier, daß nicht Cervera und der Kapitän, sondern sie selbst als geschlossene Masse Herren der „Otritis“ waren.

Plünderungslust flutete über alle anderen Regungen hinweg. Vierzehn Kerle verteilten sich über das wracke Vollschiff, fanden sich im Laderaum wieder zusammen, prüften sachverständig den Inhalt der Ballen, Kisten und Fässer.

Einer war unter ihnen, der schon vorher das große Wort geführt hatte. Ein Mensch, der gar nicht zu den naturwüchsigen Burschen gehörte.

Ein verkommener Advokatenschreiber aus Lissabon, geflüchtet wegen Diebereien, durch Zufall in die Spelunke Don Estremaldos am Monte Junto verschlagen, – ein Feigling, aber ein listiger Fuchs und glänzender Redner …

Der war’s, der nun einfach befahl, daß die gesamte Ladung des Dreimasters auf die „Otritis“ hinübergestaut würde – das Wertvollste zuerst.

Cervera schäumte vor Wut …

War ihm doch soeben die Sphinx, die er bereits sicher in den Krallen zu haben glaubte, entgangen.

Dort oben im Äther hing die Sphinx … unerreichbar …

Er schäumte vor Wut …

Und hohnlachend stand der blasse Schreiber Josee Margolla vor ihm …

„Sennor – es hilft nichts! Wir werden doch die Millionen an Frachtgütern nicht unberührt lassen!“

Cervera kreischte …

„Verfluchter Narr – – Millionen! Nur Millionen! Und ich könnte euch …“

Da schwieg er …

Nein, niemals durften diese Banditen die Wahrheit erfahren – niemals!

Josee blinzelte ihn listig an …

„Sennor, sprecht nur weiter …! Was sollen wir denn eigentlich auf San Miguel?! Fische fangen, Möveneier sammeln?!“

Da wandte Cervera sich ab und ging in die Kajüte. –

Gebrüll erfüllte die Luft … Die Kranketten quietschten … Kisten baumelten in der Luft, wurden auf die „Otritis“ hinübergeschwungen …

Stundenlang – stundenlang …

Und die Sphinx war indessen davongeflogen – gen Süden …

Cervera war krank vor Grimm.

Endlich faßten die verfügbaren Räume der Jacht auch nicht eine Tonnen mehr. Selbst das Vorderdeck war schwer belastet worden. Die „Otritis“ lag viel tiefer im Wasser, als es für ihre Geschwindigkeit gut war. –

Nachmittags fünf Uhr stiegen Josee Margolla und drei andere zum letzten Male in den Laderaum hinab …

Beilhiebe öffneten ein Petroleumfaß …

Brennendes Werg flog in das stinkende Öl …

Es lohte auf … Die Zwischenwände fingen Feuer … Qualm zog in dicken Schwaden durch Treppengänge und Luken nach oben …

Qualm flutete auch in den Kielraum hinab.

„Die Schurken haben den ‚Connecticut’ in Brand gesteckt!“ sagte Pasqual hinter der Barrikade von Ballastsäcken. „Riechen Sie’s, Sennor Hartwich? Riechen Sie’s!! Wir sind verloren!“

Georg Hartwich legte Pasqual Oretto die Hand schwer auf die Schulter.

„Freund Pasqual, jetzt bin ich gezwungen, ein Versprechen zu brechen. Jetzt ja …! Wir sind nicht verloren! Kommen Sie! Nun sollen Sie das Geheimnis der Dorgas-Klippe kennenlernen!“

Und mit gewandtem Sprung, die Laterne ganz hoch haltend, setzte er auf den Granitkeil hinüber …

Pasqual folgte. – Und Steuermann Hartwich bückte sich, betastete die Risse der zerklüfteten Spitze, betastete körniges Gestein, fand die eingefügte Platte …

Der erstickende Dunst und die Hitze hatten in Minuten so zugenommen, daß die beiden Männer keine Sekunde zu früh die rostige eiserne Leiter in das hohle Innere der Klippe hinabkletterten …

Hartwich schob die Platte wieder in die richtige Lage zurück …

Und unten in dem orientalischen Grottengemach mit den dicken Glasfenstern, vor denen neugierige Fische sich dem Laternenschein zudrängten, sagte Hartwig zu Oretto:

„Der Dreimaster wird bis zum Wasserspiegel niederbrennen. Und doch wird noch so viel vom Balkenwerk übrigbleiben, daß wir ein Floß zimmern können, falls Gaupenberg nicht zurückkehrt, weil er uns für tot hält.“

Er sagte dies mit jener kühlen Selbstverständlichkeit, die den Mann von eisernem Charakter verriet. –

Der ‚Connecticut’ brannte wie ein Riesenfanal …

Und hoch in der Luft schwebte wieder die glorreiche Sphinx, umkreiste die Stätte des Verderbens …

Gaupenberg und die Fürstin, jetzt die einzigen Insassen des Luftbootes, gaben Hartwich und Oretto verloren.

Mafalda spielte die Untröstliche …

Weinte … jammerte.

Gaupenberg, bleich und in tiefstem Schmerz über das grauenvolle Ende des Freundes, lenkte seine Sphinx wieder gen Süden …

Er war mutlos, verzweifelt …

Er überschaute, was er bereits alles durch den Azorenschatz hingeben mußte …

Wo war der treue Gottlieb? Wo Agnes, die er einst so unendlich geliebt?

Und auch der Toten gedachte er, der Opfer des Goldes …

Gedachte all der Schwierigkeiten, die sich nun vor ihm, dem Erben des heiligen Vermächtnisses des in den Flammen umgekommenen Freundes auftürmten.

Sah dort unten auf dem Ozean die Jacht „Otritis“ gleichfalls nach Süden zu die Wogen durcheilen …

Und sagte dumpf zu Mafalda:

„Wir müssen erst einmal wieder Atem schöpfen können – ruhen – – schlafen! Und dann uns klar darüber werden, wie wir jetzt Leute anwerben können, die uns helfen, U 45 zu heben … Wir beide allein, Masalda, – wir können nichts ausrichten, nichts …“

Die Fürstin stand hinter ihm, schlang ihm die Arme um den Hals …

Küßte ihn glühend …

„Liebe macht stark, Viktor! Und – ich liebe dich!!“

Sie log nicht. Sie liebte Gaupenberg aus ihrer Art – mit unersättlicher Inbrunst …

Tigerin Mafalda …!!

Und – die Tigerin siegte …

Die Wolken von Gaupenbergs Stirn schwanden …

Er lächelte Mafalda an …

„Die Insel Formigas werden wir aufsuchen … Dort werden wir uns erholen, kräftigen …“

Wieder küßte sie ihn, hauchte ihm ins Ohr …

„Und dort – nur wir beide, Liebster … Allein … allein … Endlich allein!“

Ihre Augen verschleierten sich in verheißungsvoller flackernder Sinnlichkeit …

So war Mafalda, Fürstin Sarratow … – –

Die „Otritis“ war nicht mehr die windschnelle, elegante Jacht.

Sie war ein elender Frachter geworden, der wie altersmüde durch das Meer schlich und infolge der allzu schweren Decklast bedenklich schlingerte.

Ramon Cervera, der bei dem Ringen um den Azorenschatz vor der Ausfahrt seiner Jacht in jener denkwürdigen, windstillen Mondnacht sich eifrig betätigt hatte, als es galt, die auf dem Plateau des Monte Junto liegende Sphinx zu erobern, wobei sein Freund Don Porfirio Estremaldo beide Unterschenkel gebrochen hatte, dieser feine Generalkonsul der überfeinen südamerikanischen Republik Patalonia saß jetzt mit dem Kapitän und dem Obermaschinisten der „Otritis“ in der großen Kajüte und spülte den Ärger und die Wut über die schmähliche Degradierung seines Schiffes mit kalifornischem Wein hinweg.

Der Wein stammte aus der Ladung des hinten am Horizont brennenden ‚Connecticut’.

Der Wein war schwer, gut und süffig.

„Karamba!!“ fluchte der edle Generalkonsul, dessen halbes Niggergesicht bereits wie eine Kohle glühte, „Karamba – diese vierzehn Schufte werden uns noch manche Nuß knacken geben!“

Kapitän Paolo Visteria sog sein Glas leer, füllte es zum achtzehnten Male und knurrte:

„Sennor, vorläufig sind die Kerle beschäftigt. Sie saufen wie wir!“

Vom Deck her kam Gitarrengeklimper und gröhlender Gesang …

Cervera machte böse Augen. „Daß sie alle verrecken möchten!! Mit solcher Bande soll ich meine Mission zu Ende bringen?! Wenn ich das geahnt hätte, – niemals wären mir diese Halunken an Bord gekommen!“

Und er trank …

Auch das achtzehnte Glas. –

Auf Deck trank man nicht aus Gläsern. Nein, aus großen Aluminiumbechern. Und der Erfolg war erschreckend. Noch nie hat ein Schiff auf hoher See solch eine betrunkene Besatzung beherbergt wie diese. Selbst die Leute unten im Maschinenraum waren voll bis oben. Selbst der zweite Maschinist …

Nur einer blieb unheimlich nüchtern: Josee Margolla, der Advokatenschreiber, der Volksredner, der Mann mit dem blassen Rattengesicht.

Er lehnte oben auf der Brücke am Steuerrad …

Er hatte bisher selten Gelegenheit gehabt, ein Schiff nach dem Kompaß zu steuern. Aber wie alle seinesgleichen war er ein heller Kopf und ein praktischer Mensch.

Er stand und schaute mit verächtlichem Lächeln auf seine betrunkene Rotte hinab.

Seine Rotte war’s! Daran gab’s nichts mehr zu deuteln. Er war der Herr der Jacht. Seine Intelligenz, sein schlaues Gefasel von Brüderlichkeit und Gleichheit hatte die Brüderlichkeit und Gleichheit ausgelöscht. Er war hier der Macher, weil er diese Banditen zu nehmen verstand.

So stampfte denn die „Otritis“ weiter und weiter …

Fuhr einen Kurs, der sonst nie von Ozeanschiffen benutzt wird.

Weit und breit nur Himmel und Wasser, rollende, schäumende Wogen und ein paar träge flatternde Seevögel.

Und doch – oben im Äther zog eine heller Punkt gleichfalls gen Süden. Die Sphinx!

Doch so scharf waren Josee Margollas Augen nicht. Nur ein Adler hätte die Sphinx erspäht.

Stunden vergingen. Der helle Punkt war längst verschwunden, war vorausgeeilt – nach dem Eiland Formigas, wo bereits zwei weitere Parteien der Kämpfer um die Goldmilliarden eingetroffen.