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Kapitel 41–50

41. Kapitel.

Die Rifkabylen.

Stunden vergingen …

Die Sonne sank. Die Dämmerung kam. Auf der „Otritis“ war es still geworden. Das Deck diente sinnlos Trunkenen als Lagerstatt. Schnarchtöne mischten sich in das leise Pfeifen des Windes, der durch das Tauwerk der beiden Masten der „Otritis“ strich …

Noch immer hielt Josee Margolla die Speichen des Steuerrades umklammert. Er hatte jetzt die Kompaßlampe eingeschaltet, hatte soeben mit dem Obermaschinisten ein paar Worte gewechselt. Als er nun die Brücke wieder verlassen wollte, stutzte er …

Dort weit voraus in der Fahrtrichtung der Jacht segelte eine Brigg …

Doch nicht soweit voraus, daß der Obermaschinist nicht in der rasch zunehmenden Dämmerung das kreisende rote Licht wahrgenommen hätte, eine Laterne, die im Kreise geschwungen wurde, also ein Notsignal …!

Er wandte sich um.

„Margolla, – daß Sie nicht etwa das Signal beachten! Zu derlei Art von Menschlichkeit haben wir keine Zeit! – Besser ist’s, sie steuern mehr westwärts …“ fügte er hinzu. „Gehen wir der Brigg dort aus dem Wege …!“

Und er stampfte die Brückentreppe hinab und begab sich in den Maschinenraum. – –

Die Brigg war ein Schiff mit mannigfachen Schicksalen.

1917 war sie unter englischer Flagge segelnd vor einem deutschen U-Boot in eine der Buchten der nordwestmarokkanischen Küste geflüchtet.

War aus dem Regen in die Traufe geraten.

Rifkabylen, marokkanische Freiheitskämpfer, Todfeinde der Spanier, die hier die Herren des Landes spielen wollten, überfielen die Brigg und ließen die sieben Mann Besatzung Seewasser schlucken.

Seit jener Nacht war die Brigg Eigentum des eifrigsten Unterführers des marokkanischen Freiheitshelden Abd el Crim.

Als der Obermaschinist der „Otritis“ das Notsignal bemerkte und dem einzigen Nüchternen an Bord der Jacht die Weisung gab, der Brigg auszuweichen, standen an der Backbordreling des Seglers, der mit kräftigem Hilfsmotor neuzeitlich ausgerüstet war, ein schlanker Kabyle mit schwarzem Spitzbart und ein dicker, pockennarbiger Europäer.

Der Kabyle, der einen hellen Flanellanzug und eine Art Leinenkapuze trug, war eine imponierende Erscheinung. Sein stolzes, offenes Gesicht von dunklem Bronzeton stach angenehm ab gegen das widerwärtige Bulldoggengesicht Mr. Owen Gaublatz, Angestellten der Firma Feddersen, Mexiko.

Der Kabyle war kein anderer als Abd el Sarfa, der begabte Unterführer des sogenannten Rebellen Abd el Crim.

„Sie werden nichts sehen und hören,“ sagte er in fließendem Englisch zu Mr. Owen Gaublatz. „Gehen Sie am besten in Ihre Kammer hinab …“

Er hielt ein tadelloses Fernglas in den Händen, mit dessen Hilfe er soeben die Flagge der Jacht erkannt hatte.

„Hm – ein gefährlicher Streich,“ grunzte Gaublatz. „Seeräuberei wird durch Aufhängen bestraft, mein lieber Sarfa.“

Der Marokkaner erwiderte nur:

„Wir brauchen ein schnelles Schiff. Jetzt, wo der Weltkrieg beendet ist, können wir leichter als bisher Waffen aufkaufen und ins Innere des Landes schmuggeln. Ihre paar Gewehre und Geschützte, Mr. Gaublatz, nützen uns wenig.“

„Na – erlauben Sie mal! Tausend Gewehre, dreißig Kisten Munition und zwölf Geschütze, – – das nennen Sie wenig!! Schwer genug war’s, die Dinger von Mexiko bis nach der Insel zu schaffen.“

Abd el Sarfa hob das Glas …

„Ah – die Jacht ändert den Kurs!“

Und mit raschen Schritten eilte er über das Deck zum Steuer hin, gab dem Steuermann, gleichfalls Marokkaner, ein paar Befehle.

Eine Signalpfeife schrillte dann …

Der Motor der Brigg begann zu arbeiten, und dreißig braune sehnige Gestalten, nur bekleidet mit leichten Leinenanzügen, verteilten sich hinter der Reling.

Abendrot schimmerte matt auf Gewehrläufen, Revolvern, breiten Hiebmessern. –

Die Brigg schob sich der „Otritis“ in den Weg …

Ganz unauffällig …

Wieder ließ Abd el Sarfa die rote Laterne schwenken.

Wieder suchte er mit dem Fernglas das Meer ab, ob der Überfall auch keinen Zeugen hätte. – –

Josee Margolla rief in der Sprachrohr hinein:

„Die Brigg dicht vor uns!! Sehr verdächtig!! Ohne Flagge!“

Der Obermaschinist stürmte an Deck, auf die Brücke.

„Wenden!!“ brüllte er …

Griff selbst zu …

Die „Otritis“ schwenkte herum …

„So, nun werden wir ja sehen, was geschieht,“ meinte der Maschinist ganz heiser vor Erregung.

Und – er sah’s …

Sofort …

Die Brigg schwenkte gleichfalls nach Norden ein, kam näher …

„Verfluchte Ladung!“, knirschte der Maschinist. „Wir kriechen wie eine Schnecke! – Josee, wecken Sie die besoffenen Schweine …! Begießen Sie sie mit Wasser! Ich kenne die Brigg dort … Das ist einer der Kabylenkaper …!“

Margolla wurde kreideweiß.

Er als Portugiese, als Nachbar der Spanier, wußte nur zu gut, daß diese Kabylen wie die Bestien hausten, wenn sie es auf Mord und Raub abgesehen hatten.

Er flog zum Deck hinab …

Trat die Schlafenden mit Füßen, kreischte, puffte, rüttelte …

Die Kerne erwachten allmählich. Allmählich begriffen sie …

Und bewiesen dann, daß sie als wetterfeste, kampferprobte Schmuggler auch den tiefsten Rausch rasch abschüttelten …

Bewiesen, daß sie von anderem Schlage als der käsige Maulheld Margolla.

Im Nu hatten sie Waffen in den Händen …

Im Nu war das Revolvergeschütz feuerbereit, das schon die Sphinx mit heulenden Granaten bedacht hatte. –

Die Brigg war noch zweihundert Meter entfernt.

Kapitän Visteria von der „Otritis“ ließ Lichtsignale geben:

Zeigt die Flagge!

Ein Fetzen ging drüben auch wirklich hoch …

Offenbar ein Weiberunterrock – was Ähnliches!

Visteria sagte zu Sennor Ramon Cervera:

„Der Obermaschinist hat recht. Es sind Kabylen! Wir werden nochmals wenden und den alten Kurs steuern! Bleibt die Brigg hinter uns, schießen wir ihr ein paar Löcher in den Rumpf!“

Die Jacht beschrieb einen weiten Bogen, einen Halbkreis …

Aber die Brigg tat Klügeres. Sie fuhr keinen Bogen, sondern verlegte der „Otritis“ abermals den Weg.

Inzwischen war es völlig dunkel geworden. So dunkel, wie die kurze Spanne zwischen Dämmerung und Nacht das Meer mit Finsternis belastet.

Aller Augen waren nur auf die Brigg gerichtet – nur …

Und niemand an Bord der Jacht bemerkte, daß ein kleines Boot von dem Segler abstieß, ein Boot, das mit geteertem Leinen bedeckt und kaum als schwarzer Fleck zu erkennen war.

Dieses Boot, unter dessen Hülle acht Kabylen steckten, trieb auf den Wogen, bis die Brigg durch geschicktes Manövrieren die „Otritis“ abermals aus dem Kurs gedrängt hatte. –

Cervera zögerte noch immer, den Befehl zum Feuern zu geben …

Und als er’s dann wirklich tun wollte, als die Brigg wiederum der Jacht sich vor dem Kurs legte, stieß mit dumpfem Krach das Boot gegen das Heck der „Otritis“ …

Enterten blitzschnell acht gelenkige braune Kerle an Bord …

Feuerten … feuerten aus Repetierbüchsen …

Schossen kniend – mit unheimlicher Sicherheit …

Angstgeheul – Schmerzensschreie – Flüche gellten …

Cervera flüchtete in die Kombüse. Josee folgte ihm. In die Vorratskammer krochen sie …

Und oben kämpften die noch unverwundeten fünf Portugiesen mit der wilden Tapferkeit ihrer berühmten Ahnen, die einst die Meere beherrscht hatten …

Kämpften – und starben …

Einen Heldentod …! –

Blinkende Hiebmesser verrichteten grausame Henkerarbeit. Die Leichen flogen über Bord.

Neben der „Otritis“ lag die Brigg. Fest vertäut.

„Durchsucht die Jacht!“, befahl Abd el Sarfa seinen Leuten.

Der dicke, pockennarbige Owen Gaublatz hatte die grausigen Schlußszenen des blutigen Gemetzels mit angesehen. Ihn rührte das nicht weiter. Er lehnte neben dem Kabylenführer am Fockmast der „Otritis“ und schaute ebenso gelassen zu, wie einige der Marokkaner die Blutspuren von den Deckplanken wegspülten, andere jetzt den um Hilfe kreischenden Josee Margolla und den Sennor Cervera aus der Kombüse hervorzerrten und vor Abd el Sarfa schleppten.

Cervera zeigte jetzt doch weit mehr Haltung als der Jämmerling Josee.

Sofort wandte er sich, seine Angst klug verbergend, an den schlanken Marokkaner.

„Ich bin der Generalkonsul Cervera aus Lissabon, beglaubigter Vertreter der Republik Patalonia, und Besitzer dieser Jacht. Ich – – schenke sie Ihnen, Sennor …“

Der Kabyle lächelte unmerklich. Ein eisig – hochmütiges Lächeln.

„Was mein ist, kann mir niemand schenken,“ erwiderte er kurz.

Cervera ahnte, was folgen würde: Der Tod!!

Er trat hastig noch näher auf Abd el Sarfa zu, flüsterte:

„Sennor, wir waren unterwegs, um Milliarden an Gold aus dem Meere zu bergen. Sennor – machen Sie mit mir gemeinsame Sache!“

Der Marokkaner verzog das Gesicht – eine wegwerfende Grimasse des Zweifels.

„Wo soll sich denn dieses Gold befinden?“, fragte er ganz laut.

Josee Margolla, halb tot vor Angst, horchte dennoch begierig auf …

Cervera gab das Geheimnis preis. „Am Vorgebirge Retorta der Azoreninsel San Miguel wurde am 29. November 1915 das deutsche U-Boot U 45 durch englische Kreuzer in Grund geschossen. Das U-Boot kam von der Kamerunküste, wo es achtunddreißig Kisten Goldkiesel, die ein deutscher Farmer in einer Höhle gefunden hatte, an Bord genommen und sie heimlich weggeschafft hatte …“

Er sprach sehr ruhig. Es war ja die volle Wahrheit …

„Der einzige Überlebende des U-Bootes, ein Steuermann Georg Hartwig, hat dieses Milliardengeheimnis vor einiger Zeit seinem Freunde, dem Grafen Viktor Gaupenberg, anvertraut. Beide beschlossen, das Gold für ihr Vaterland zu bergen. Die Regierung meiner Heimat, der Republik Patalonia, erfuhr hiervon und beauftragte mich, die Goldkisten um jeden Preis zu rauben. – Hier ist im übrigen die Originalskizze, die der Steuermann Hartwich als Robinson auf der Insel Formigas von dem Liegeplatz des Goldschiffes angefertigt hat.“

Er faßte in die Tasche, holte sein Portefeuille hervor und entnahm ihm ein viereckiges Stück Leder, auf dem in roten Linien eine rohe Zeichnung zu erkennen war.

Der Kabyle winkte kurz …

„Folgen Sie mir, Sennor … Gehen wir in die Kajüte …“

Cervera atmete auf.

Abd el Sarfa drehte sich nach Josee Margolla um …

„Liegt Ihnen etwas an diesem Menschen?“ fragte er den Generalkonsul.

Cervera dachte an die Anführerrolle, die Josee vor Stunden an der Dorgas-Klippe gespielt hatte.

„Er ist ein Lump,“ meinte er und ging weiter.

Hinter ihm ein heulender Schrei – ein wahnwitziges Angstgebrüll …

Dann noch ein entsetzlicherer gurgelnder Laut …

Und – – das Platschen eines menschlichen Körpers im Wasser.

Cervera überlief ein Zittern …

Hinter ihm her kam der Marokkaner. Sie verschwanden in der Kajüte.

 

42. Kapitel.

Die Nacht auf Formigas.

Das Rettungsboot des inzwischen in Flammen aufgegangenen Dreimasters ‚Connecticut’ war in der Südbucht von Formigas gelandet.

Die drei Insassen, der geheimnisvolle hagere Fator, Gottlieb Knorz und Agnes Sanden in der Verkleidung des Gehilfen Juan Lobeza unterließen nichts, was den ganzen Umständen nach an Vorsichtsmaßregeln geboten schien.

Sie wußten ja, daß Edgar Lomatz mit dem Doppeldecker M 12 entflohen war, wußten ferner, daß ein zweiter Doppeldecker, der des Geheimagenten Alfonso Jimminez, ebenfalls vielleicht in der Nähe sein könnte, wenn nicht hier auf Formigas, so doch drüben auf San Miguel, der Hauptinsel der Azoren.

„Bleiben Sie beide noch an Bord,“ hatte Fator zu Agnes und Gottlieb gesagt, nachdem das Motorboot kaum an einem der Uferfelsen vertäut war. „Ich werde mich genauer auf dem Eiland umsehen. Halten Sie sorgsam Wacht, lieber Knorz, denn so, wie die Dinge liegen, müssen wir jeden Augenblick mit gefährlichen Überraschungen rechnen.“

Dann war er in einer Schlucht der Uferberge verschwunden.

Fator erklomm dieselbe Anhöhe, von der aus auch Lomatz vorhin über das Meer gen Westen geschaut.

Fator war kein Fährtenleser. Der harte Boden, die Gräser und Büsche hätten einem geübten Auge fraglos mancherlei verraten.

Nichts jedoch verrieten sie dem hageren Manne, dessen geistige Stärke auf anderen Gebieten lag. Nach einer Stunde kehrte er mit der Meldung zum Boote zurück, daß sich außer ihnen dreien kein menschliches Wesen auf Formigas befände.

Auf seinen Vorschlag zogen sie das Boot nun tiefer in den schmalen Kanal hinein, der von dieser seeartigen Erweiterung der Bucht mehr nach Norden führte und in einer kanonartigen Schlucht endete.

Hier vertäuten sie das Boot aufs neue und begaben sich in ein nahes, kleines Seitental, dessen reicher grüner Baumwuchs einen angenehmen Aufenthalt versprach.

Gottlieb hatte in seiner väterlichen Fürsorge für Agnes auch die Reservesegel des Bootes neben anderen nützlichen Dingen mit nach dem Tale genommen, und in kurzem errichtete er nun mit Fators Hilfe zwei Zelte. Ebenso schnell war an einem kleinen Feuer eine Mahlzeit hergestellt worden, und als die ersten Schatten der Nacht sich über das Eiland herabsenkten, hatten sich die drei Gefährten bereits in ihre Zelte zurückgezogen, um nach den mannigfachen Strapazen in langem Schlaf frische Kräfte zu sammeln.

Agnes Sanden war denn auch wirklich in dem für sie allein bestimmten kleinen Zelte vor Übermüdung sehr bald eingeschlummert.

Hier das friedliche Rauschen der tropischen Bäume, dort das ferne Branden des Meeres, das uermüdlich mit hohen Wogenbergen gegen die Riffkränze der Insel Sturm lief, das heisere, schnell verhallende Geschrei der zahllosen hin- und herjagenden Seevögel und das beruhigende Bewußtsein, zwei treue Freunde in nächster Nähe zu haben, – all das hatte dem blonden Mädchen rasch den Schlaf auf die Lider gehaucht.

Agnes träumte …

Kein Wunder, daß nach den unerhörten Aufregungen der letzten vierundzwanzig Stunden ihr überreiztes Hirn all die bunten Vorfälle im Traume noch bunter durcheinander mischte …

Ihre Flucht aus dem Karren der widerwärtigen Emanuela Sakibo in Lissabons dunklen Gassen verlegten die huschenden Traumgesichte in die Grottenbehausung im hohlen Innern der Dorgas-Klippe …

Ihre Errettung durch Fator aus den Tiefen des Meeres war das einzige, was sie ohne jede traumhafte Verzerrung im Schlafe nochmals durchlebte – mit allen seltsamen Begleitumständen …

Und derselbe Lebenswille, der sie in diesen Sekunden sicheren Todes veranlaßt hatte, den Einsiedler von Sellenheim herbeizurufen, – dieser selbe ungeheure Lebenswille ließ sie jetzt jäh aus tiefstem Schlafe hochfahren.

Verwirrt schaute sie um sich …

Mußte sich erst in die Gegenwart mühsam zurückfinden …

Dort dicht vor ihr war in dem Türvorhang des Zeltes eine handbreite Spalte.

Draußen im Tale schimmerte freundliches Mondlicht …

Noch immer rauschten die Bäume, brandete die See …

Agnes saß aufrecht da.

Unendliche Sehnsucht nach dem Geliebten, der sie verstoßen, weil ein ränkevolles Weib seine Sinne umnebelt hatte, erfüllte ihr Herz mit stummen Klagen. Dieselbe Sehnsucht war’s, die ihr, der Ertrinkenden, im letzten Moment den kraftvollen Willen zum Leben vermittelt hatte. Gaupenbergs wegen hatte sie nicht sterben wollen. Sie hatte noch eine Mission auf Erden: ihn aus den heuchlerischen Händen Mafalda Sarratows zu befreien und ihm zu beweisen, daß die wahre tiefe Liebe allein in ihrer Seele wohnte.

Ganz still saß sie da auf dem weichen Mooslager und lauschte gleichsam in ihr Inneres hinein …

Prüfte sich selbst, prüfte all das, was sie seit jener Stunde erlebt hatte, in der Viktor Gaupenberg an ihr irre geworden.

Und dachte wieder an des Einsiedlers von Sellenheim seltsame Worte:

Liebe muß erst durch ein Fegefeuer zur Läuterung gehen!

Damals, als Doktor Dagobert Falz ihr dies in seiner unendlich gütigen Art und doch mit so feierlichem Ernst sagte, da hatte sie begriffen, daß er sie darauf vorbereiten wolle, was ihr noch alles bevorstünde.

Und jetzt fragte sie sich:

‚Ist denn all das Furchtbare, das mir widerfahren, immer noch nicht genügend, meine innige, selbstlose Liebe zu Viktor geläutert zu haben? Soll dieses Fegefeuer denn noch länger währen?’

Und – erschrocken bog sie den Kopf zurück …

Eine Stimme draußen – irgendwoher …

Eine Stimme, die ihren Vornamen gerufen – – dreimal …:

Agnes – – Agnes – – – Agnes!

Hatte sie sich getäuscht? War sie für Sekunden eingeschlummert und hatte sie nur geträumt?

Sie horchte …

Hielt den Atem an …

Da … wieder … wieder ihr Vorname – wieder dreimal …

Und jetzt –, schwören hätte sie mögen, daß es Viktors Stimme war!

Eine unbegreifliche Unruhe packte sie …

Ein geheimnisvoller Magnet zog sie ins Freie.

Leise erhob sie sich. Sie hatte in ihrem Männeranzug auf dem Mooslager geschlafen. Sie brauchte nur die leichten Schnürschuhen überzustreifen.

Sie tat’s mit bebenden Händen …

Die Unruhe in ihr wuchs …

Wurde zur körperlichen Qual. Ihr Herz jagte …

Und – wie gehetzt eilte sie nun unter den Bäumen entlang zu der kleinen Lichtung, von der aus man einen weiten Ausblick über die Wildnis der Nordseite der Insel hatte.

Beide Hände auf das klopfende Herz gedrückt – so stand sie minutenlang wie eine Statue im Mondlichte da …

Und horchte … lauschte …

Alles still …

Nur Blätterrauschen – Grollen der Brandung, die dort in der Ferne an den Riffen schneeweiße Streifen entstehen ließ.

Bis ihre spähenden Blicke im dichten Gestrüpp geradeaus einen ganz schwachen Lichtschein bemerkten …

An diesem hellen Fleck im dunklen Gewirr von Bäumen und Büschen, Felsblöcken und entwurzelten Urwaldriesen hingen ihre Augen wie gebannt – kamen nicht los davon …

Und wie getrieben von einer Kraft, die außerhalb ihres Körpers unwiderstehlich wirkte, hob sie langsam den Fuß und schritt vorwärts …

Gleicht einer Traumwandlerin …

Dem fernen schwachen Lichtschein zu … schritt dahin mit starrem Gesicht, unverwandt in dieselbe Richtung schauend – unbewußt, daß sie sich überhaupt bewegte.

Dieselbe unerklärlich Kraft, die sie durch die Wildnis lockte, bahnte ihr auch den Weg, ließ sie freie Stellen finden, die keinerlei Hindernisse boten.

Klarer leuchtete das Licht, immer klarer …

Bis Agnes, ein paar hohe stachlige Büsche umrundend, plötzlich regungslos verharrte.

Und da – erwachte sie …

All das übernatürliche dieser nächtlichen Wanderung war von ihr abgeglitten wie ein unsichtbarer fallender Mantel.

Sie erwachte …

Und – keine fünf Schritt von ihr auf einer kleinen Lichtung lag die Sphinx.

Matter Schein drang durch den weißen Vorhang des einen Kabinenfensters in die monddurchflutete Dämmerung der Tropennacht.

Die Sphinx – die Sphinx …!!

Aber – nicht nur die Sphinx!

Agnes duckte sich tiefer in den Schatten des Gestrüpps …

Geschmeidige Gestalten umkreisten lautlos das Luftboot …

Männer mit schwarzen Bärten, braunen Gesichtern …

Männer, drei an der Zahl …

Keine Europäer …

Araber vielleicht … Beduinen vielleicht von drüben – von Afrikas Küsten … –

Agnes ahnte, was bevorstand …

Ein Angriff …!

Und sie wußte, dort in der Sphinx glaubte sich Viktor Gaupenberg hier in voller Sicherheit!

Ihre Gedanken jagten … Ihr Hirn versagte fast …

Angst – bebende Angst um den Geliebten verwirrte ihre Sinne … – –

* * *

Und in der Kabine der Sphinx lag Viktor Gaupenberg vor dem verführerischsten Weibe der Welt anbetend auf den Knien …

Mafalda, in einen seidenen Kimono gehüllt, saß auf dem kleinen leichten Rohrsofa, hatte sich zu Viktor hinabgebeugt und ihr Haupt an seine Wange geschmiegt …

Der Duft ihres Frauenleibes umwehte ihn …

Derselbe Duft, der schon auf der Graupenburg den jungen Grafen zum willenlosen Sklaven dieser Abenteurerin gemacht hatte.

Mafalda flüsterte …

Worte der Liebe, Worte schrankenloser Hingabe …

Sie heuchelte nicht. Sie liebte Gaupenberg – auf ihre Art …

„Nacht auf Formigas, Viktor … Tropennacht … Nacht der Erfüllung …! Dein will ich sein – ganz dein! Nimm mich in deine Arme! Dort wartet das bräutliche Lager des berauschenden Glückes …“

Und er sprang auf, riß sie mit empor …

Jubelnd wollte er rufen:

‚Du – du mein Weib!’

Und – formte nicht eine einzige Silbe des brünstigen Schreis …

Die lohende Glut verließ seine Wangen …

Er … erblaßte …

Lauschte …

Und hörte abermals draußen den schrillen Schrei, den Schrei aus weicher Kehle:

„Viktor – – Viktor, – – Gefahr – – Gefahr …!!“

Der Rausch war verflogen.

Mafalda glitt aus seinen Armen.

Sie starrten sich an …

Und – nochmals ein Schrei …

Ein Schrei wildester Angst …

„Hilfe – – – Hilfe!!“

Jetzt hatte Gaupenberg die Stimme erkannt:

„Agnes – – Agnes!!!

Viktor stürmte zur Kabine hinaus – in den Gang – in den runden Führerstand unter der Hauptluke, riß die Riegel zur Seite, hob den Lukendeckel …

Fing … Agnes Sanden auf, die halb bewußtlos die Treppe hinabfiel.

Und hinter ihr wilde, bärtige Gesichter …

Ein Schuß blitzte auf …

Aus Mafaldas Revolver …

Noch einer …

Heulende Schreie an Deck …

Die Gesichter verschwanden …

Mafalda riß den Lukendeckel wieder zu, schob die Riegel vor …

Und Viktor Gaupenberg stand noch immer wie gelähmt da, die jetzt ohnmächtige Agnes an sich pressend …

Erkannte in ihr den Gehilfen des Tauchers Pasqual Oretto … Wußte jetzt, weshalb er in der vergangenen Nacht an Bord des Maxim-Doppeldeckers immer wieder den schlanken Burschen prüfend gemustert hatte … –

Mafalda aber war sich im Moment über ihr ferneres Verhalten klar geworden.

„Viktor,“ rief sie wie in herzlicher Teilnahme, „überlaß nur mir das arme Mädchen … Wir müssen sofort aufsteigen … Kabylen sind draußen, – Marokkaner … Zweien gab ich eine Kugel …“

Gaupenberg legte Agnes behutsam in die Arme der Fürstin, wandte sich den Schalthebeln zu …

Wollte schon die am Heck angebrachte Sphinxröhre einschalten, dem Boote die Auftriebskraft verleihen …

Draußen neue Rufe …

Eine Stimme, die Gaupenberg wie Musik in den Ohren klang: Gottlieb, der Treueste der Treuen!

Auf mit dem Lukendeckel …

Schon kletterten der Alte und Fator an Deck, eilten die Treppe hinab …

„Aufsteigen!“ brüllte Knorz mit überschlagender Stimme … „Draußen – Marokkaner – zwanzig – dreißig!“

Gaupenberg griff nach den Hebeln …

Ein Ruck ging durch die Sphinx, und wie ein losgeschnellter Pfeil schoß sie zu den Sternen empor …

 

43. Kapitel.

Der Fallschirm.

Schüsse knallten hinter ihr her …

Kugeln klatschten in die Aluminiumhaut, … ohne Schaden anzurichten.

Gaupenberg kam zur Besinnung. Freudestrahlend streckte er dem treuen Diener beide Hände hin …

„Endlich wieder vereint – – endlich, mein lieber, lieber Gottlieb!“

„Danken Sie’s Fräulein Sanden und Herrn Fator hier,“ meinte Knorz mit stoßweisem Atmen. „Herr Fator hörte Agnes’ überlaute Rufe und weckte mich. So kamen wir gerade noch zur Zeit …!“

Um den Mund Fators, des Geheimnisvollen, glitt ein Lächeln.

Weder Gaupenberg noch Gottlieb bemerkten es.

Dann sagte Fator: „Herr Graf, ich bin Ihnen noch ein Fremder. Ich nenne nicht Fator. – Fatum ist das Schicksal, die Vorsehung … Und Fator die personifizierte Vorsehung. Im übrigen bin ich Detektiv, Herr Graf. Wie und weshalb ich wochenlang in dem hohlen Dorgas-Riff gehaust habe, sollen Sie später hören. Jetzt nur eine Frage, sind Herr Hartwich und Pasqual Oretto hier an Bord?“

„Nein …“ Gaupenbergs Gesicht ward dunkel vor tiefem Schmerz. „Die beiden sind mit dem ‚Connecticut’ zusammen verbrannt.“

Fator schüttelte leicht den Kopf.

„Sie irren … Hartwich kannte durch mich das Geheimnis der Klippe, sie befinden sich in dem Schlupfwinkel und Laboratorium des großen Alchimisten Theophrastus Parazelsus in voller Sicherheit. Ich würde Ihnen vorschlagen, Herr Graf, sofort nordwärts zu steuern und Hartwich und Pasqual Oretto zu holen. Wie ich gesehen habe, ist jetzt auch der zweite Propeller der Sphinx in Ordnung, und gegen drei Uhr morgens können wir wohl die Dorgas-Klippe erreicht haben …“

Gaupenberg stierte dem seltsamen Mann sprachlos und ungläubig in das schmale kluge Gesicht …

„Verzeihen Sie, Herr Fator … Zunächst: hohle Klippe – – Parazelsus – –?! Und Sie haben mit Georg Hartwig gesprochen? Wo denn – wann denn? – Ich bin wirklich vollkommen verwirrt …“

Fator teilte Gaupenberg in Eile das Allernötigste mit.

Gleich darauf schoß die Sphinx in tausend Meter Höhe nach Nordost davon. –

Agnes erwachte aus kurzer Ohnmacht. Sie lag in der Hauptkabine der Sphinx auf dem Bett, und dicht über sich erkannte sie der Fürstin Sarratow blasses, reizvolles Gesicht …

Sie versuchte sich aufzurichten. Die Nähe dieses Weibes, das ihre Todfeindin war, gab ihr ungeahnte Kräfte.

Mafalda wich etwas zurück, und jetzt standen die beiden Frauen sich eng gegenüber, deren Herzen demselben Manne in so unendlich verschiedenen Gefühlen sehnend entgegenschlugen.

Die Fürstin, klug und berechnend wie immer, ließ Agnes nicht zu Worte kommen.

„Fräulein Sanden,“ sagte sie leise, und sie vermied dabei jedes theatralische Pathos, „– was auch uns beide trennen mag, lassen Sie uns hier an Bord der Sphinx Frieden halten!“

Agnes dachte an all das unendlich Gemeine, das diese ränkevolle Abenteurerin ihr zugefügt hatte, auch an den hinterlistigen Mordversuch, dem sie an der Dorgas-Klippe beinahe zum Opfer gefallen wäre …

Ein ehrlicher Zorn, eine tiefe Verachtung drängten ihre sonstige Zurückhaltung und Mäßigung zurück.

„Frieden – zwischen uns beiden?!“ rief sie, und ihre Stimme war schrill und hart. „Wie kann es zwischen einer … Mörderin und ihrem Opfer Frieden geben! – Glauben Sie nicht, daß ich noch genau so wehrlos bin wie damals auf der Gaupenburg. Über meine Seele ist der Sturmwind grauenvollsten Erlebens hingegangen und hat alles Unreife, Zarte mit fortgerissen. Ich bin gestählt – – durch Leid! Meine Augen sehen Menschen und Dinge anders als früher. Rechenschaft werde ich jetzt fordern von Ihnen, Fürstin Sarratow! Alles wird an den Tag kommen! Ihre niederträchtigen Lügen und Intrigen werden aufgedeckt werden! Verbündete habe ich, gegen die ihr gleißnerisches Spiel nicht aufkommt!“

Blaß geworden war sie vor ungeheurer Erregung. War nicht mehr das scheue Reh von einst, stand vor der Feindin hoch aufgerichtet da, angriffslustig, kampfbereit und siegesbewußt.

Was dagegen in Mafalda in diesen Minuten vorging, spiegelte sich in keiner Weise auf ihrem Antlitz wider.

Ihre Gedanken schnellten hilfesuchend hin und her, ballten sich schließlich zusammen zu grausamem Entschluß.

Mafalda erkannte: Hier konnte nur noch die Tat sie retten – nur noch! Agnes mußte verschwinden!

Sie lauschte angestrengt in den Gang hinaus …

Von den Männern war nichts zu hören. Die befanden sich noch drüben im Führerstand …

Entschluß und Tat waren fast eins …

Mafalda sprang zu … Sie kannte sehr gut die Art und Weise, einen Menschen ohne äußere Verletzung des Bewußtseins zu berauben …

Tigerin Mafalda mit diesem trainierten geschmeidigen Leibe stieß mit der geballten Faust zu …

Ein Boxhieb – genau gegen die Herzgrube …

Ein ächzender Laut noch, und schlaff ruhte Agnes Sanden in der Fürstin starken Armen.

Die Nebenkabine war jener Raum, aus dem Gottlieb Knorz am Monte Junto sich ins Freie einen Weg gebahnt hatte, indem er die Außenhaut der Sphinx zertrümmerte.

Noch war dieses über ein Meter hohe Loch nicht wieder verschlossen worden. Niemand hatte Zeit dazu gehabt.

Und in diesen Raum trug Mafalda die Bewußtlose.

Nein – – nicht mehr Bewußtlose …

Nicht mehr …

Agnes war sofort wieder zu sich gekommen … Mit jeder Sekunde schwand das Gefühl bleierner Schwäche mehr und mehr …

Sie ahnte, was Mafalda vorhatte …

Jetzt drückte die Abenteurerin die Kabinentür leise zu …

Agnes hielt die Augen geschlossen, wartete nur auf den günstigsten Moment, der Feindin an die Kehle zu fahren. Noch nie war ihre Seele von so brutalem Vernichtungswillen erfüllt gewesen wie jetzt …

Leben um Leben – Tod um Tod, – Auge um Auge – Zahn um Zahn …! –

Mafalda ließ das Mädchen zu Boden gleiten …

Griff nach einem der Rettungsringe …

Oh – alles hatte sie genau überlegt … Alles!! Agnes sollte verschwinden, und doch sollte ihr Verschwinden nur wie eine Flucht wirken …

Den Ring zwängte sie über die Schultern des Mädchens …

Schlüpfte wieder hinaus …

War im Augenblick zurück – mit einem der Fallschirme, die die Sphinx für die Besatzung an Bord hatte, falls einmal der Auftrieb versagen sollte …

Und wollte den tollen Plan nun zu Ende führen, die anscheinend Ohnmächtige am Eisenring des Fallschirmes festbinden …

Agnes schnellte so plötzlich hoch, daß die Fürstin rückwärts taumelte, gegen die Wand glitt … hinein in das zackige Loch …

Ein halb erstickter Aufschrei noch, und Mafalda sauste in die Tiefe …

Agnes stierte mit einem Blick dorthin, wo soeben die Feindin verschwunden …

Ein Schwindel packte sie vor grausigem Entsetzen über das Geschehene …

Und wie vom Blitz gefällt, sank sie zu Boden, umfangen von wohltätiger Ohnmacht.

So fand Gottlieb Knorz sie auf …

Fator rief er herbei … Man trug Agnes in die andere Kabine …

Gaupenberg aber, in dieser Nacht noch mehr als bisher durch Mafaldas Sirenenkünste geblendet, wies jede Anschuldigung gegen die Fürstin, die der brave Alte nun in flammender Entrüstung als gefährliche Betrügerin und Mörderin hinzustellen suchte, entrüstet zurück. Für ihn stand es fest, daß Agnes seine Geliebte absichtlich durch das Loch in der Bordwand in die Leere des Äthers hinausgestoßen habe.

Agnes selbst konnte sich nicht verteidigen. Sie war noch immer ohne Bewußtsein.

Da Gaupenberg die Fürstin für tot hielt, da auch jedes Suchen nach der Leiche auf dem nächtlichen Ozean zwecklos sein mußte, setzte die Sphinx die Fahrt gen Nordwest ohne Aufenthalt fort. –

Fator hatte sich in den erregten Wortwechsel zwischen Gaupenberg und Gottlieb nicht eingemischt.

Als er jetzt mit dem Alten in der Kabine wieder allein war, sagte er mit einem bitterem Auflachen:

„Das Gold ist die schlimmste Pest, behaupten die Weisen! Sie irren sich. Die schlimmste Pest ist ein Weib vom Schlage dieser Mafalda, die den Sinnenrausch als stärkste Waffe zu benutzen weiß! – Aber auch der Tag wird kommen, an dem ihrem Herrn die Augen aufgehen werden!“

„Die Bestie ist tot …! Das genügt mir vorläufig!“ meinte Gottlieb Knorz finster. „Die Haie werden sie fressen …! Sie hat es verdient …!“

Fator schüttelte den Kopf.

„Sie lebt,“ erklärte er fest …

Gottlieb lachte grausam. „Die Sphinx liegt in tausend Meter Höhe, Herr Fator … Der Luftdruck beim Absturz allein tötet schon.“

„Mafalda lebt,“ wiederholte der geheimnisvolle Fator …

„So?! Na – das …“

„Bitte – das Sehrohr der Sphinx war bereits hochgekurbelt. Ich sah im Spiegel einen Fallschirm langsam hinabschweben. Und unten auf See schimmerten die Lichter eines Schiffes. Außerdem waren wir in dem Augenblick noch keine halbe Meile von Formigas entfernt. – Mafalda lebt …!“

Und die klaren großen Augen Fators hatten jetzt einen Ausdruck, als ob er in weiter Ferne besondere Bilder schaute …

Da schwieg Gottlieb Knorz …

Ihn überlief es kalt … Die unheimlichen Gaben Fators waren ihm so unbegreiflich, daß er vor dem hageren Manne abergläubische Scheu empfand …

Und ein Gedanke kam ihm wieder: ‚Es ist doch Doktor Dagobert Falz, der Einsiedler von Sellenheim!“

* * *

Mafalda Sarratow hatte den Fallschirm wie im Krampf der Armmuskeln fest umklammert gehalten …

Und – der Fallschirm öffnete sich auch, milderte den jähen Sturz, bewährte sich so trefflich, daß die Fürstin, vom frischen Nordwest seitwärts getrieben, ganz sacht auf den Wogen landete, keine zweitausend Meter vom äußeren Riffkranz von Formigas entfernt.

Den seidenen Kimono riß sie sich jetzt vom Leibe, benutzte den umgedrehten Schirm als Schwimmblase, streifte sich die Unterwäsche ab, um das Gewicht ihres Körpers zu verringern.

Sie als vorzügliche Schwimmerin fürchtete die Brandung nicht.

Und bereits eine halbe Stunde später stieg sie an der Nordküste von Formigas an Land …

Nackt – in all der bezaubernden Schönheit ihres tadellosen Wuchses, umflossen vom Mondlicht, wie eine verführerische Seenixe …

Den Bezug des Fallschirmes löste sie von den Stahlstangen, hüllte sich in den derben Stoff ein und verschwand im dichten Gestrüpp, wo sie unweit der Stelle, an der die Sphinx den Kabylen fast in die Hände geraten wäre, zunächst eine Weile ruhte und ihre Lage überdachte.

Vor Erschöpfung schloß sie die Augen. Das Rauschen der Büsche und das mächtige Konzert der tobenden Brandung wirkten einschläfernd und beruhigend.

Und doch war diese Frau, deren wildbewegtes Leben auch ihren Gehörsinn bis zu größter Vollkommenheit entwickelt hatte, auch jetzt vorsichtig und mißtrauisch gegenüber jedem besonderen Geräusch.

Sie wußte ja, daß hier auf dem Eiland braune Männer gelandet sein mußten, von denen sie zwei an Deck der Sphinx niedergeschossen hatte. Sie wußte freilich nichts von der Kabylen-Brigg, von Abd el Sarfa und dem Blutbad auf der „Otritis“. Sie glaubte, die braunen Gesellen seien vielleicht Fischer von der afrikanischen Küste, – Gesindel, das nie eine Gelegenheit zu heimlichen Rauben ungenutzt vorübergehen ließ.

Das zweimalige scharfe Knacken eines brechenden trockenen Astes ließ sie emporfahren.

Dicht vor ihr auf mondheller Blöße stand … Edgar Lomatz, einen Revolver in der Rechten, geduckt, den Kopf vorgereckt, ein Bild sorgsamster Wachsamkeit.

Lomatz – – Edgar Lomatz!!

Mafaldas Herz jubelte auf …

Lomatz, dem sie zur Flucht verholfen, der auf M 12 entwichen war, – Lomatz, wieder ihr Verbündeter!

Und ganz leise rief sie ihn an …

„Freund Edgar – hier Mafalda …! Ich bin allein!“ –

Gleich darauf führte Lomatz die Fürstin auf Schleichpfaden in sein Versteck, in jene buschreiche Schlucht, wo er mit M 12 gelandet war.

 

44. Kapitel.

Monna Vanna.

Die vier kleinen Fenster der Kabine des Maxim-Doppeldeckers hatte Lomatz dich verhängt, so daß er es wagen konnte, die durch Akkumulatoren gespeiste elektrische Beleuchtung einzuschalten.

Mafalda fand in einem Wandschrank einen der Anzüge des toten Piloten Fritz Bauer.

„Gehen Sie hinaus, Edgar,“ sagte sie und legte die Sachen über einen Schemel. „Ich will mich umziehen …“

Lomatz betrachtete ihre nur halb verhüllte Nacktheit mit lüsternen Blicken.

„Teufel, – was sind Sie doch für ein prächtiges Geschöpf, Masaldachen!“ flüsterte er mit glitzernden Augen.

Kam näher auf sie zu …

„Narr!!“ Geringschätzig klang’s. „Narr, es geht hier um Milliarden, und Sie schauen mich an wie eine käufliche Dirne!“

Lomatz drehte sich langsam um und verschwand vorn im engen Führerstand …

„Sie hat recht,“ murmelte er. „Derlei Narreteien passen nicht für diese verteufelte Insel, auf der es jetzt von braunen Banditen wimmelt! – Oh – Mafalda wird sich wundern, was alles ich ihr zu berichten habe …!“

Eine Weile später öffnete die Fürstin die schmale Tür.

„So, bitte, Freund Edgar … Nun erzählen Sie …!“

Sie setzten sich in die Kabine. Lomatz stellte eine Flasche Kognak, Gläser und Zigaretten auf den Tisch.

„Also Kabylen sind’s, Marokkaner?“

„Trinken Sie erst mal,“ meinte er und füllte die Gläser. „Sie sehen verteufelt hohläugig aus, Mafaldachen … – Prosit – auf ehrliche Kameradschaft!“

„Prosit – ehrliche Kameradschaft!“

Dann nahm sie eine Zigarette …

Selbst in dem Männeranzug war sie blendend schön mit dem reichen blauschwarzen Haar, das ihr feucht und aufgelöst bis auf die Hüften hing.

Lomatz erzählte …

Wie er dem anderen Maxim, auf dem sich Alfonso Jimminez befand, nur mit genauer Not entronnen war …

Wie er dann hier gelandet war und die Ankunft des Motorbootes beobachtet hatte, in dem Agnes, Gottlieb und ein hagerer Fremder gesessen hatten …

Wie er nach Dunkelwerden die Zelte umschleichen wollte, die Knorz in dem Tale drüben errichtet hatte … Und wie er schließlich im Mondenschein beim Umherkletter auf den Steinufern der großen Südbucht eine überraschende Entdeckung machte …

„Ausschau wollte ich von da oben halten, Mafalda. Sah so zwei Schiffe auf die Insel zulaufen, einen Segler und eine weiße Jacht …“

„Ah – die „Otritis“!“

„So ist’s. – Doch bevor die beiden Fahrzeuge in die Bucht hineinkamen, war ich schleunigst von der Höhe hinabgeklettert, gelangte zufällig auf einen breiten Vorsprung der südlichen Uferwand und sah hier im Mondlicht auf dem Felsboden etwas wie einen blanken Strich, einen vielfach betretenen Pfad! Er endete vor dem steilen Felsen, vor ein paar Steinblöcken. Nun – man ist doch nicht auf den Kopf gefallen, und so schob ich die Steine beiseite … Dahinter eine Höhle, und darin Kisten, unzählige Kisten …“

Er grinste …

„Die Form der Kisten war mir nicht fremd: Waffenschmuggel!! – Jedenfalls hielt ich es für angebracht, mich unweit des Höhleneingangs zu verbergen. Ich tat gut daran. – Der Segler ist ein Kabylenschiff, das hier die Kisten an Bord nehmen will, die der Angestellte einer Firma aus Mexiko hierher gebracht hatte, per Dampfer. – Dies und noch mehr entnahm ich der Unterhaltung des Kabylenführers mit dem Angestellten und mit – ja, staunen sie, Mafalda! – – mit Freund Cervera, dem famosen Generalkonsul!“

Lomatz füllte nochmals die Gläser …

„Prosit!“

Mafalda trank – sehr zerstreut … Ihre Gedanken spielten bereits wieder mit neuen Plänen.

„Cervera hat jetzt mit diesem Kabylenführer Abd el Sarfa gemeinsame Sache gemacht,“ fuhr ihr Gegenüber fort. „Seine Jacht wurde von den Marokkanern geentert, und von der Besatzung lebt nur noch er. Der Abd el Sarfa, ein hübscher Kerl übrigens, scheint Menschenleben nicht viel höher einzuschätzen als … Läuse!“

Mafalda lächelte – – tigerhaft …

„Jetzt werden die Waffenkisten in die Brigg verstaut,“ schloß Lomatz lebhafteren Tones. „Zwölf Kabylen und Abd el Sarfa und Cervera werden mit der „Otritis“ morgens gen Westen verschwinden – nach San Miguel, und dort am Kap Retorta der Sphinx auflauern. Die Brigg segelt gen Afrika.“

„Und wir?“ fragte die Fürstin sinnend.

„Wir?! – Ja, Mafalda, das will überlegt sein …! Wir sind nur zu zweien, und unsere beiden gegnerischen Gruppen sind uns weit überlegen …“

„Bitte – drei sind es, Lomatz: die Sphinx, die Kabylen und der andere Doppeldecker mit Jimminez an Bord!“

„Ganz recht – drei! Noch immer! Denn gerade Jimminez, liebe Mafalda, ist der gefährlichste von allen. Wenn der uns beide in die Klauen bekommt, – glauben Sie, daß er uns nach alledem, was wir ihm an … Treulosigkeit zu kosten gaben, schonen wird?“

„Nein …!“ Und Mafaldas Gesicht wurde steinern. „Nein, denn – Alfonso liebt mich ja, dieser brutale Kraftmensch! Liebt mich – und wurde betrogen!“

Auch Lomatz rauchte – sehr bedächtig …

„Wo er wohl stecken mag, der lieber Alfonso?“

„Vielleicht … am Vorgebirge Retorta, Freund Edgar …“

„Hm, nicht ausgeschlossen … – Also – was nun? Wie machen wir unsere geringe Anzahl durch Schlauheit wett?“

Die Fürstin gähnte …

„Mein Hirn ist müde … ich möchte erst ein paar Stunden schlafen …“

„Ich wahrhaftig auch! Schließlich eilt das alles nicht so sehr. Bevor die Sphinx oder die Kabylen das Goldschiff gehoben haben, sind wir schon zur Stelle!“ –

Die beiden Klappbetten der Kabine wurden herabgekippt, und fünf Minuten später war Lomatz fest eingeschlafen.

Nicht so Mafalda …

Nein – sie fand keinen Schlaf. Ihr Hirn arbeitete unaufhörlich, war alles andere nur nicht ermüdet.

Sie sah sich vor wichtige Entscheidungen gestellt. Gaupenberg war für sie vorläufig verloren, vielleicht auch für immer, obwohl sie den Kampf gegen Agnes Sanden und deren Freunde noch lange nicht aufgab.

Aber – sie mußte unbedingt so, wie die Dinge jetzt für sie lagen, neue und mächtige Verbündete gewinnen. Sie kannte Lomatz. Verachtete ihn. Er war ein Feigling, ein Verbrecher ohne jede auch nur etwas männliche Charaktereigenschaft. Was sollte der ihr nützen?!

Nein – nur lästig war er ihr! Verschwinden mußte er – für immer …! Und an seiner Statt würde sie es nun mit halbzivilisierten Verbündeten versuchten, mit den Rifkabylen, mit Abd el Sarfa! –

Sie richtete sich ganz leise auf …

Lauschte nach dem anderen Bett hinüber.

Lomatz schlief den traumlosen Schlaf todähnlicher Ermüdung … –

Mafalda stand mitten in der Kabine …

Überlegte nochmals …

Sie tat nie etwas ohne sorgsamste Prüfung …

Und langte nach Lomatz’ dolchartigem Messer, das er neben sein Lager auf einen Schemel gelegt hatte.

Öffnete es. Die große Klinge war haarscharf.

Noch ein Blick nach dem Feigling hin …

Dann … schnitt sie von ihrem Klappbett den buntgeblühmten seidenartigen Vorhang ab, behielt den Dolch und stieg die eiserne Leiter zur Gondelluke empor, schob den Riegel weg und drückte den Lukendeckel mit äußerster Behutsamkeit nach oben.

Noch ein letzter Blick auf den Schläfer …

Und Mafalda war an Deck, schloß die Luke genau so vorsichtig, stieg an der Außenleiter hinab und bahnte sich mühsam einen Weg durch die dornige Wildnis.

Als sie den Ausgang der Schlucht erreicht hatte, zog sie hastig den Männeranzug aus und hüllte sich in den bunten Stoff, band ihr prachtvolles Haar zu einem losen Knoten und flocht noch die grellroten Blütentrauben des Asklepia-Strauches hinein. –

Zwei Augen – zwei Männeraugen beobachteten diese phantastische Nachtszene …

Konnten sich nicht sattsehen an all der Schönheit des nackten Frauenleibes.

Und dieser Mann, der beim Nahen Mafaldas rasch hinter einen Busch getreten war, folgte ihr nun mit katzenartig unhörbaren Schritten, die man seinem athletischen Körper kaum zugetraut hätte … –

Mafalda Sarratow wandte sich in ihrem seltsamen Aufputz, der vielleicht die Reize ihrer Erscheinung mehr hervorhob als die modernste, kostbarste Gesellschaftsrobe, der großen Südbucht der Insel zu.

Das Dolchmesser Edgar Lomatz’ hielt sie noch in der Hand, verbarg es aber in dem Faltenwurf des leichten fließenden Stoffes.

Als sie dann das weite Becken der Bucht vor sich … –

Erinnerungen kamen …

Erinnerungen an jene Nacht, als sie hier den Mulatten, auch einen der Sklaven ihrer lockenden Reize, niedergestoßen hatte … eines Brillantschmuckes wegen … –

Sie scheuchte diese Gedanken hinweg. All das lag hinter ihr … All das war als Vergangenheit ein Nichts.

Die Gegenwart war alles … Die Gegenwart war die Vorstufe zur Zukunft, und diese Zukunft schimmerte wie reines Gold – – durch den Schatz der Azoren!

Sie gingen weiter.

Im Mondesglanz lagen dort die beiden Schiffe am Nordufer …

Laternenschein glänzte. Die Scheinwerfer der „Otritis“ beleuchteten die Höhle, aus der flinke Gestalten Kisten und Kisten herausschleppten. –

Abd el Sarfa hatte überall Wachen aufgestellt …

Mafalda wurde angerufen …

Gleichzeitig ein schriller Pfiff …

Alle Lichter erloschen …

Ein Kabyle, ein Kerl mit blondem Haar, das gegen das tiefbraune Gesicht merkwürdig abstach, trat mit angelegtem Karabiner auf sie zu. Er hätte abgedrückt, wenn’s sich nicht um ein Weib gehandelt hätte, um solch ein Weib!

„Ich möchte euren Führer sprechen,“ sagte Mafalda laut und ruhig in spanischer Sprache.

Der Kabyle schaute die Fürstin an wie einen Geist.

Die Waffe sank. Das … Weib siegte schon hier.

Mafalda lächelte. Der Mond bestrahlte sie. Sie lächelte vertraulich, freundlich, schalkhaft, verführerisch …

Dirne jetzt, die alles durch ein Lächeln verhieß – alles … –

Gestalten huschten herbei …

Stutzten …

Kamen zögernd näher …

Zuletzt ein hochgewachsener Mann in europäischer Tracht, mit schwarzem Spitzbart, mit leichten Bewegungen, hochmütig verschlossenem Gesicht: Abd el Sarfa, der Freund des mächtigen Abd el Crim, der einige Jahre später den tapferen Spaniern Schlappe auf Schlappe beibringen sollte.

Abd el Sarfa winkte.

Die Braunen traten zurück.

Dann verneigte er sich leicht vor Mafalda, ein Rifkabyle, aber ein Mann von Welt, der in Paris, London und Berlin die Europäer verachten gelernt hatte.

Die Fürstin war überrascht. Dieser Marokkaner übertraf noch ihre Erwartungen.

Sie kannte die Sitten und Gebräuche der afrikanischen Völker, die sich zum Islam bekehrt hatten. Doch sie wartete eine Anrede nicht ab, sondern sagte bittend, indem sie mit graziöser Geste dem braunen Gentleman das Dolchmesser hinhielt:

„Ich komme als eine Schutzsuchende zu dir … Hier meine Waffe … Gewähre mir Gastfreundschaft.“

Schlauer hätte sie die Unterhaltung mit Abd el Sarfa kaum einleiten können.

Der Kabyle, jetzt ebenfalls verwirrt durch so viel imponierende und doch reizvolle Schönheit, verbeugte sich abermals.

„Sennora, Abd el Sarfas Zelt ist ihre Heimat,“ erklärte er ohne Zögern. „Bitte, folgen Sie mir …“

Aber Mafalda wollte es anders. Sie wußte, daß die Höflichkeitsregeln es den wilden Söhnen der marokkanischen Hochebene zunächst verboten, den Gastfreund nach Woher und Wohin zu fragen.

Sie hielt es jedoch ratsamer, derartige Fragen sofort zu klären. Dann konnte sie weit leichter nur das angeben, was in ihre Pläne paßte.

„Entschuldigen Sie, Sennor,“ sagte sie mit einem anmutigen Lächeln, indem sie den Kabylen durch die Anrede Sennor als Gleichgestellten behandelte. „Entschuldigen Sie, wenn ich Sie vorher noch darauf aufmerksam mache, daß ich eine Verfolgte bin, die von mächtigen Feinden bedroht wird …“

Abd el Sarfa verzog das scharfgeschnittene Gesicht.

„Feinde sind dazu da, daß man sich ihrer entledigt, Sennora,“ meinte er gleichgültig.

„Hier handelt es sich um Männer, die über ein Luftboot verfügen, das jedes Angriffs spottet …“

Der Kabyle horchte auf. Seine Blicke wurden dunkler. Die beiden durch Schüsse schwer verwundeten Krieger hatten ausgesagt, daß ein Weib sie vom Deck der Sphinx durch Kugeln verjagt habe.

Mafalda ahnte, was in dem schlanken Manne vorging.

Schnell fügte sie hinzu: „Ich bin die Fürstin Sarratow. Zu meinem Bedauern habe ich in der Übereilung vor etwa drei Stunden auf zwei Ihrer Leute gefeuert … Als ich es tat, wußte ich noch nicht, daß bald darauf die frühere Geliebte des Grafen Gaupenberg, des Besitzers der Sphinx, mich heimtückisch über Bord werfen würde. Ich fiel ins Meer, mußte mich schwimmend von meinen Kleidern befreien und rettete mich hier auf die Insel, wo …“

Sie stockte – schwieg Sekunden, hatte jetzt in den schwarzen glänzenden Augen des Kabylen einen Ausdruck ungläubigen Staunens bemerkt …

Und – spielte den größten Trumpf aus, einen Monna Vanna aus feinster Berechnung …

„Sie dürfen nicht an meinen Worten zweifeln, Sennor …,“ rief sie leise … „Sie sehen ja – ich trage nichts als dieses Stück Stoff, und meine Haare sind noch feucht vom Meereswasser …“

Der bunte Anzug öffnete sich einen Moment, und von Mondesschimmer umflossen zeigten sich dem jungen Kabylenführer die edlen Linien eines vollendet schönen weiblichen Leibes.

Das köstliche Bild schwand. Der bunte Stoff schmiegte sich wieder neidisch um weiße Glieder.

Mafalda fuhr fort: „Hier traf ich mit einem Manne zusammen, den ich von früher her kannte, einem feigen Verbrecher. Er nahm mich mit in sein Flugzeug, und von dort bin ich soeben entflohen …“ –

Abd el Sarfa hätte Mafalda Sarratow vielleicht nicht so blindlings in seinen Schutz genommen, wenn nicht das heiße afrikanische Blut in seinen Adern ihm die kühle Überlegungen geraubt hätte.

Mit einer Stimme, die leicht vibrierte, sagte er nun:

„Sennora, mein Zelt ist Ihre Heimat … Daß Sie zwei meiner Leute verwunderten, hat nichts auf sich … – Bitte, folgen Sie mir …“

Jetzt blieb Mafalda neben ihm.

Unweit der Liegestelle der beiden Dampfer stand in einem Seitentale Abd el Sarfas großes modernes Zelt, ein Beutestücke aus den Kämpfen mit den Spaniern.

Dem freien Sohne der marokkanischen Berge war es eine Qual, eine Nacht in einer stickigen Schiffskabine zubringen zu müssen. Daher hatte er zu dieser Kreuzfahrt das praktische Zelt mitgenommen und hier sofort aufstellen lassen. –

In dem Zelte brannte eine Karbidlaterne.

Mafalda saß nun auf weichen Kissen ganz nach Art der Orientalinnen mit untergeschlagenen Beinen dem Kabylenführer gegenüber.

Sie rauchte wieder. Auf dem Tischchen zwischen ihnen standen allerlei Delikatessen, die aus der Kombüse der „Otritis“ stammten.

Noch hatte Mafalda weder den Angestellten der Firma aus Mexiko noch den Generalkonsul Cervera zu Gesicht bekommen. Die Begegnung mit Cervera fürchtete sie ein wenig.

„Abd el Sarfa,“ sagte sie zu dem Kabylen und schaute ihn offen an, „Sie sind weit über das Bildungsmaß ihrer Stammesgenossen hinausgewachsen. Ich kann mit Ihnen anders sprechen als mit einem ungebildeten Afrikaner. Ich will Ihnen ein Geheimnis anvertrauen, bei dem es sich um Gold im Werte von Milliarden handelt …“

Sie hatte den Kabylen, seine Ehrlichkeit prüfen wollen. Abd el Sarfa war ehrlich.

„Meinen Sie den Azorenschatz, Sennora?“ fragte er.

„Ah, – Sie wissen bereits …“

„Ich weiß alles, Sennora. Auch das zum Beispiel, Sie haben Ihre früheren Verbündeten fallen lassen und sich mit dem Grafen Gaupenberg zusammengetan. Ihr Name war mir nicht fremd …“

Mafalda lauschte nach draußen …

Stimmengewirr, Schritte näherten sich.

Es waren die sechs Leute, die Abd el Sarfa ausgeschickt hatte, damit sie Lomatz für immer stumm machten.

Sie betraten das Zelt. Und derselbe blonde Kabyle, der vorhin die Fürstin als Wachtposten angerufen hatte, meldete nun, daß sie zwar das Flugzeug in der Schlucht gefunden, aber nicht die beiden Männer hätten einholen können, die bei ihrem Nahen geflüchtet wären.

Die beiden hätten ein am Westrande stehendes Flugzeug erreicht, und dieses sei dann sofort aufgestiegen.

Abd el Sarfa nahm diese Meldung gleichgültig in. Nicht so Masalda. Sie sah ihre geheimsten Absichten durch Lomatz’ Flucht durchkreuzt und war außerdem aufs lebhafteste beunruhigt durch die Ungewißheit, wer dieser zweite so plötzlich aufgetauchte Europäer sein könnte.

Als die Kabylen das Zelt wieder verlassen hatten, schaute Abd el Sarfa die Fürstin mit offensichtlichem Mißtrauen prüfend an.

Sie beeilte sich zu erklären, daß sie nicht wüßte, wer der zweite gewesen, der Lomatz doch offenbar vor der drohenden Gefahr gewarnt hatte.

Und als sie diese Sätze mit der Sicherheit der vollen Wahrheit formte, kam ihr jäh ein Gedanke, der sich nun auch über ihre Lippen drängte …

„Ein Flugzeug …!! Das kann nur Alfonso Jimminez gewesen sein – nur!!“

Man sah ihr an, wie der Schreck ihre Augen weitete, weil sich jetzt fraglos zwei Todfeinde gegen sie verbündet hatten …

Der Kabyle nickte ernst. „Auch der Name Jimminez ist mir bekannt. Cervera fürchtete die Einmischung dieses Menschen, der allerdings von Berlin aus in einem Doppeldecker erwartet wurde. – Verzeihen Sie, Sennora, daß ich Sie soeben im Verdacht hatte, als … Spionin hierher gekommen zu sein …“

Und als Abd el Sarfa diese letzten Sätze gesprochen hatte, fiel auch über ihm das Netz zusammen, in dem Mafalda Sarratow schon so manchen gefangen hatte …

Ein Lächeln lockte ihn …

Und der halbwilde Sohn Marokkos sank anbetend vor der sieghaften Schönheit der Abenteurerin zu Boden und bettelte um … Liebe …

 

45. Kapitel.

Das Laboratorium des Alchimisten.

Lomatz erwachte …

Eine Bärentatzt rüttelte ihn …

Er fuhr hoch – sank mit wildem Schrei zurück …

Vor ihnen stand Alfonso Jimminez …

Und ein böses Lächeln verzerrte des Riesen wulstiges Gesicht …

„Brüderchen, eine böse Überraschung!“ meinte er seltsam hastig. „Eigentlich verdienst du es, daß ich dir das Genick breche, du … Lump! Aber – – ich verzeihe dir – Mafaldas wegen, die noch alle deine Gemeinheiten in den Schatten stellt! – Schau nicht nach dem leeren Bett hin. Die Bestie ist entflohen – ist hinüber zu den Kabylen, hat sich dem Anführer … zur Schau gestellt, die … Dirne!“

Sein Panthergebiß knirschte aufeinander …

„Zugesehen habe ich, wie sie den Zeugfetzen lüftete …! Und jetzt sitzt sie mit dem braunen Häuptling im Zelt und wird für uns alle feine Fallstricke drehen …! – Komm’, Lomatz, – oder die Kabylen schneiden uns die Kehlen ab!“

Keine Sekunde zu früh verließen sie die Kabine …

Mit genauer Not erreichten sie den Doppeldecker M. 17, und kaum an Bord, erhob das Flugzeug sich auch schon in die Lüfte.

„Einen lieben Gast bringe ich mit,“ sagte der Riese Jimminez in der Kabine zu dem Botschaftsrat Emilio Targossa, den ihm Seine Exzellenz der Gesandte von Patalonia als Aufsichtsbehörde mitgegeben hatte. „Einen sehr lieben Gast, Sennor Targossa … Die Herren kennen einander nicht. Dies ist also Herr Edgar Lomatz, seit fünf Minuten wieder unser Verbündeter, der sein Leben nur der noch größere Schuftigkeit dieses Weibsbildes von Mafalda verdankt.“

Diese beleidigende Ironie ging an Lomatz spurlos vorüber. Infolge des eiligen Laufes triefte sein Gesicht von Schweiß, und da seine Stirnwunde noch allzu frisch war, hatte sie sich wieder geöffnet und zwei breite Blutfäden über die Wangen hinabgeschickt.

Nein – Lomatz in diesem Zustand wirkte ebensowenig vertrauenerweckend wie heldenhaft. Keuchend war er auf einen der Schiffsstühle gesunken und machte nun dem Herrn Botschaftsrat der ehrenwerten Republik eine Art Verbeugung, sagte stockend:

„Sehr erfreut, Sennor Targossa, – sehr erfreut!“

Targossa beachtete ihn kaum, wandte sich an Jimminez, den Geheimagenten …

„Was reden Sie denn da von Mafalda, Alfonso? Ist sie denn hier auf der Insel?“

„Hier? – Das stimmt nicht mehr, denn wir haben Formigas bereits tief unter uns. Aber auf Formigas hält sich Mafalda zurzeit auf, und zwar bei einer Rifkabylenbande, die auch mit Cervera sich geeinigt zu haben scheint. Lomatz kann darüber besser Auskunft geben.“

„Das kann ich,“ nickte Lomatz. „Die Geschichte ist lehrreich und beweist, daß der Azorenschatz die seltsamsten Verwicklungen herbeiführt …“

Jimminez lachte dröhnend. „Allerdings! Verwicklungen!! – Hol’s der Teufel, wer mir vor einer Stunde gesagt hätte, daß ich dich schonen würde, den hätte ich für verrückt erklärt! Und doch ist es so. Aber nun weiter …“

„Ich kann mich kurz fassen … Die Kabylen haben mit ihrer Brigg Cerveras Jacht überfallen, die Besatzung schwimmen lassen – als Leichen, und Cervera hat sich nur durch die Preisgabe des Goldschiffgeheimnisses das werte Leben gerettet.“

Targossa stieß einen Fluch aus …

„Lump, – – oh der Lump!!“

Jimminez grinste …

„Wir wollen uns hier doch nichts vormachen, Sennor Targossa. Wenn Ihnen ein Kabylenmesser an der Kehle gesessen hätte, würden Sie auch dasselbe getan haben, denke ich. Das eigene Leben ist mehr wert als achtunddreißig Kisten Gold.“

Targossa hüstelte und schaute zu Boden. Und Lomatz berichtete nun alles weitere: Mafalda Sturz aus der Sphinx, ihre Rettung durch den Fallschirm und ihren neuesten Streich, die Verbrüderung mit den Marokkanern!

Mochte er auch ein Feigling und ein erbärmlicher Charakter sein, schlau und in gewissem Sinne ein tüchtiger Diplomat war dieser Verbrecher! – Seine letzten Sätze zeigten das …

„Wenn jemals, Sennor Targossa, im Kampfe um den Azorenschatz etwas für uns wirklich Ungünstiges eintreten konnte, dann ist es dieses Bündnis zwischen Mafalda und Abd el Sarfa. Hier haben sich Verschlagenheit und Heimtücke, vereinigt in Mafalda, sowie Tollkühnheit und Draufgängertum, nämlich die Kabylen, zusammengefunden und stellen nun Gegner dar, wie sie gefährlicher kaum auszudenken sind.“

Jimminez grinste wieder …

„Ah bah – – gefährlich! So klug wie Mafalda sind wir doch alle Tage, und die braunen Gesellen, die wickeln wir auch schon ein, zumal wir jetzt einen Lomatz an Bord haben …“

Er meinte dies ehrlich. Er kannte Lomatz.

„Also, Freund Edgar,“ fügte er fragend hinzu. „Was schlägst du vor? – Strenge dein Hirn etwas an …!“

„Hm – es gibt für uns nur einen Weg zum Ziel, meine ich, und der heißt, die Situation ausnutzen! – Und um diese Situation rechtzeitig erfassen zu können, müssen wir als erste am Vorgebirge Retorta sein, uns dort verbergen und … beobachten! – Ich bin überzeugt, daß die Sphinx, die jetzt den Steuermann Hartwich und den Taucher Pasqual sucht, sehr bald an der Liegestelle des U-Bootes erscheinen und mit den Versuchen zur Hebung des Wrackes beginnen wird. Unser Verhalten muß sich ganz danach richten, was die Leute der Sphinx mit dem Wrack beginnen …“

Seine weiteren Ausführungen waren so scharfsinnig, daß Targossa nachher rief:

„Teufel, – Sie hätten Diplomat werden sollen!“

Worauf Jimminez meinte:

„Oh – er ist auch so ein Lump geworden!“

Dann ging er nach vorn in den Führerstand und gab dem Piloten Alexander Grieb die Weisung, westwärts zu steuern.

Bereits eine Viertelstunde später landete M 17 an der Südküste von San Miguel, der größten der Azoreninseln, auf einem waldumgebenden Hochplateau und wurde dann von den Insassen in ein dichtes Gestrüpp gerollt und mit Zweigen sorgfältig bedeckt. –

Der auf der Dorgas-Klippe gescheiterte Dreimaster ‚Connecticut’, den die Besatzung der „Otritis“ in Brand gesteckt hatte, war bis zum Wasserspiegel niedergebrannt. Nur einige Spanten und Balken ragten noch rauchgeschwärzt aus dem Wasser hervor, so daß diese traurigen Reste des einst so stolzen Seglers wie ein schwarzes Gerippe aussahen, das auf dem mächtigen Granitblock hing.

Steuermann Hartwich und der alte Pasqual Oretto, die vor der Feuersbrunst gerade noch rechtzeitig in das hohle Innere der Klippe geflüchtet waren und hinter sich die Steinplatte des Eingangs wieder genau eingefügt hatten, verlebten in den Grotten, in dieser unterseeischen Behausung des vor drei Jahrhunderten so berühmten Alchimisten Theophrastus Parazelsus die vielleicht grauenvollsten Stunden ihres Daseins.

Nachdem sie die drei mit orientalischem Prunk ausgestatteten Räume, die jeder ein großes Glasfenster besaßen, genau sich angesehen und die vor den wasserumspülten Fenstern hin und her schießende Fische eine Weile beobachtet hatten, bereiteten sie sich ein reichliches Frühstück und aßen mit bestem Appetit, unterhielten sich über ihre letzten Abenteuer, über Mafalda Sarratows beispiellose Heimtücke und über deren nächste Pläne.

Inzwischen war hoch über ihnen das auf dem Felsen hängende Vollschiff in Flammen aufgegangen.

Die enorme Hitze des aus Holz erbauten Dreimasters mußte sich notwendig auch der Klippe mitteilen, zumal die ‚Connecticut’ volle acht Stunden wie eine Riesenfackel weit über das Meer leuchtete und ungeheure Qualmmassen gen Himmel schickte.

Wäre die Dorgas-Klippe eine feste, in sich geschlossene Masse gewesen, so hätte die stundenlange Glut des Brandes das Gestein wohl nur mäßig erwärmen können. Da sie aber bis zur Spitze hin hohl war, durchdrang die Hitze sehr bald die schmäleren Gesteinsschichten und bewirkte, daß die kältere Luft unten aus den Grotten wie durch einen Sog nach oben gerissen wurde und sich so in den drei Räumen immer mehr verdünnte. Der Sauerstoffgehalt sank mit jeder Minute, und genau um elf Uhr vormittags war’s, als Steuermann Hartwich, der in dem dicken alten Buche des Alchimisten geblättert hatte, keuchend zu Pasqual Oretto sagte:

„Merken Sie’s auch, Pasqual …? Es wird hier immer wärmer … Das Atmen fällt mir so schwer, als ob …“

Er schwieg …

Schwieg, weil der graubärtige Portugiese die Hand gehoben und auf die beiden brennenden Laternen gedeutet hatte.

Und da sah der Steuermann denn, daß die Flammen nur noch ganz schwach brannten.

Da – – begriff er …

Sprang auf …

„Der Sauerstoff fehlt!“ rief er heiser.

Pasqual stand dicht bei dem Vorhang, der den Zugang zu dem in der Klippe hochführenden Schacht verdeckte …

Er hob ihn empor …

„Ich spüre etwas wie Zugluft, Sennor Hartwich,“ meinte er. „Gerade ich als Taucher kenne mich mit derlei Dingen aus. Der Felsen oben ist heiß, und der Sauerstoff wird emporgesogen …“

Hartwich blieb sekundenlang regungslos.

Die furchtbare Bedeutung dieser Worte machte selbst sein starkes Herz zittern.

Dann sagte er schweren Tones:

„Sie meinen also, Pasqual, wir werden hier erstickten?!“

Der Taucher trat vor den Steuermann hin.

„Sennor Hartwich, da uns der einzige Ausgang durch das brennende Wrack versperrt ist, halte ich uns – für verloren.“

Hartwich stierte auf die nur noch trübe flackernden Flämmchen der Laternen. Er fühlte, daß ihm eisiger Schweiß das Gesicht entlangrann.

„Dann hätte Mafalda Sarratow also doch ihren Zweck erreicht,“ flüsterte er dumpf …

Und sank auf den altertümlichen Stuhl zurück und … schwieg.

Pasqual Oretto löschte die eine Laterne aus.

„Sie verbraucht nur unnütz das, was wir am nötigsten haben: Luft zum Atmen!“ stieß er hervor und trat an das dicke Glasfenster, schwieg gleichfalls.

Hartwich blätterte wieder in dem dicken Folianten, der die handschriftlichen Aufzeichnungen des Alchimisten Parazelsus über seine Erlebnisse am Hofe des spanischen Königs enthielt.

Ohne Gedanken gingen seine Finger von Blatt zu Blatt …

Ohne etwas zu lesen … lauschte er nur den pfeifenden Atemzügen seiner Lungen …

Grübelte – grübelte …

Gab es denn wirklich keine Rettung? Sollten Pasqual und er hier elend erstickten?!

Sein kraftvolles Mannestum bäumte sich auf gegen dieses Gespenst eines langsamen Sterbens. Hatte er deswegen etwa in freudiger Selbstverleugnung als letzter Überlebender des Goldschiffes drei Jahre auf Formigas, als Robinson und Schatzhüter, zugebracht, um jetzt hier durch die Hinterlist einer Mafalda Sarratow kläglich umzukommen?! –

Sein ganzer Leib war mit Schweiß bedeckt …

Und die Müdigkeit, die seine Gedanken zeitweise vollends verwirrte, nahm mehr und mehr zu, würde bald in Bewußtlosigkeit übergehen – das Vorstadium des Todes!

Grauen packt ihn plötzlich …

Jetzt machte er all die wahnwitzige Angst eines zum Tode Verurteilten am eigenen Leibe durch. Und er wollte noch nicht sterben. Wollte leben, weil er eine heilige Mission zu erfüllen hatte: den Schatz zu heben – für das Vaterland, sein besiegtes Vaterland!

Er sprang wieder auf …

Fiel vor Schwäche halb über den Tisch, riß den alten, in Schweinsleder gebundenen Folianten herab …

Polternd fiel das Buch zu Boden …

Ein einzelnes Blatt flatterte heraus …

Hartwich achtete nicht darauf, schwankte zu Pasqual hin, der neben dem Fenster am Gestein lehnte …

Wollte dem Alten etwas zurufen – halb wahnsinnig vor Todesgrauen …

Die Stimme versagte ihm …

Nur ein pfeifendes Gurgeln kam über die zitternden Lippen.

Und mit einem Male packte ihn ein Schwindel.

Er … schlug rückwärts zu Boden. Seine Linke stieß die Laterne vom Tisch, die dicht neben das einzelne Blatt fiel…

Die Scheiben zersplitterten … Aber – das winzige Flämmchen brannte noch …

Beleuchtete das Blatt …

Hartwichs trüber Blick streifte dieses vergilbte Papier …

Eine Zeichnung war’s …

Und – Steuermann Hartwig lebte plötzlich wieder auf …

Hoffnung erwachte …

Sein Hirn arbeitete … Er starrte auf die Zeichnung …

Das war doch die Klippe …

Das war der Schacht – die drei Grotten unter dem Meere …

Und – da war noch etwas über diesen Grotten …

Auf der Zeichnung …

Noch eine Höhle! Unterhalb der drei Räume! Und – da, – da eine Stelle in roter Farbe – –! Eine Tür sollte das darstellen …

Eine Falltür …

Und in der mittleren Grotte in der Ecke nach Norden zu mußte sie liegen …! –

Hartwich hatte nicht bemerkt, daß auch Pasqual Oretto umgesunken war. Er kümmerte sich nicht um den Taucher, nahm nur die Laterne, kroch auf allen Vieren davon, während in seinen Ohren das Blut brauste und immer wieder ein Feuerwerk vor seinen Augen aufblitzte – Zeichen der nahenden Bewußtlosigkeit.

Er biß sich die Lippen blutig …

Oh – nur jetzt nicht schwach werden! Nur jetzt nicht!

Und kam in den mittleren Raum – in die Nordecke …

Riß die Teppiche weg, die das Gestein bedeckten …

Betastete den Fels – jede Rille, jede Spalte …

Und fand die Stelle, wo er die Hand hineinzwängen konnte, fand auch die Kraft, die Steinplatte zu heben, bei Seite zu schieben …

Aus dem dunklen Loche drang eine fast eisige Luft heraus.

Ein Luftstrom, der Hartwich wie ein feuriger Trank durch die Adern ging und die Laterne hoch aufflackern ließ.

Der Steuermann erhob sich. Taumelte nur noch wenig. Eilte hin und holte Pasqual Oretto, der kein Lebenszeichen mehr von sich gab.

Den Taucher in den Armen, die Laterne an einem Strick um den Hals, so stieg er die Holzleiter hinab …

Eine weite Höhle erblickte er … Legte Pasqual auf den Boden, klomm wieder empor und schloß den Steindeckel.

Unendlicher Jubel erfüllte sein Herz. Gerettet – doch noch gerettet! Und auch Pasqual würde wieder zu sich kommen.

Er kniete neben dem Alten …

Der glasige Blick der weit aufgerissenen Augen schreckte ihn. Er fühlte den Puls …

Nichts … nichts …

Öffnete dem Taucher die Jacke, das Hemd, legte das Ohr auf das Herz …

Nichts – nichts …

Tot …! Pasqual Oretto war tot!

Das traf Hartwich wie ein vernichtender Schlag. Unendlicher Schmerz um den treuen Gefährten zerriß ihm die Brust. Er schämte sich fast vor sich selbst, daß er mit dem Leben davongekommen … –

Aber auch diese erste Aufwallung halber Verzweiflung ging vorüber.

Er nahm die Laterne in die Linke und durchwanderte die Höhle. Sah, daß er sich hier im geheimen Laboratorium des berühmten Alchimisten befand …

Und – stand plötzlich vor einem schmalen Tisch, auf dem … ein Weib ruhte …

Ein Wachsbild nur, aber so täuschend das Gesicht einer Lebenden gleichend, daß der Steuermann zunächst erschrocken zurückgeprallt war.

Nun trat er näher heran, hob die Laterne höher. Beleuchtete das Gesicht der in kostbare Gewänder Gehüllten …

Und – fuhr wieder zurück …

Eiseskälte überlief ihn …

Denn, keine Wachsfigur, sah er jetzt, sondern eine Leiche, die wie ein sanft schlafendes Mädchen von seltsamer Schönheit ausschaute, die nichts Leichenhaftes an sich hatte …

Mehr noch sah er …

Auf den roten Lippen lag ein Papierstreifen.

Vergilbt – mit Schriftzügen bedeckt. –

Georg Hartwich beugte sich über diese so unbegreiflich gut erhaltene Tote und versuchte die Schrift auf dem Zettel zu entziffern …

Es war Latein, erkannte er, jenes schlechte Mönchslatein, wie es in so vielen alten Urkunden zu finden ist.

Mühsam übersetzte er … Und – was er so von dem Inhalt des Zettels erfuhr, entsetzte ihn noch mehr als die rätselhafte Leiche.

‚Träume ich?!’ dachte er unsicher und blickte verwirrt um sich. ‚Dies hier kann noch nicht Wahrheit sein! Wahnwitz ist der Inhalt des ZettelsWahnwitz …!’

Und nochmals beugte er sich vor. Übersetzte nochmals:

‚Ich, Theophrastus Parazelsus, habe das Weib, das meine Liebe zurückwies, durch meine Tränke zu ewigem Schlaf verdammt. Sollte jemals ein Mensch diese meine Behausung hier finden, sollte er die Schlafende erwecken wollen, so mag er aus dem mit einem Totenkopf gekennzeichneten Schränkchen das darin stehende Fläschchen herausnehmen und der Donna Silvia Gonzalez dreißig Tropfen der grünen Flüssigkeit in den Mund träufeln.’

‚Wahnwitz!’ dachte Georg Hartwich wieder. Und – griff dennoch zu, hob den Zettel zwischen den lebensfrischen Lippen der Donna Silvia Gonzalez auf und … drehte ihn um, fand noch zwei Zeilen Schrift …

Übersetzte:

‚Die grüne Flüssigkeit, das Elixier der Erweckung, wird auch jeden, der nur an Entkräftung oder in ähnlicher Weise gestorben, wieder ins Leben zurückrufen, falls das Elixier ihm spätestens vier Stunden nach dem Tode eingeflöst wird.’

„Wahnwitz …!“ rief Hartwich nochmals. und seine Stimme hallte in der weiten Höhle in mehrfachen Echos wider …

Er stand da und überlegte …

Ging plötzlich nach links, wo er schon vorhin das Schränkchen mit dem weißen Totenkopf bemerkt hatte.

Öffnete es pochenden Herzens … Leuchtete hinein …

Ein einziges Fläschchen war darin – von der Form eines nackten Menschen, dessen Kopf den eingeschliffenen Glasstöpsel bildete.

Georg Hartwich zauderte. Die bereits erhobene Hand sank wieder zurück.

Es kam ihm wie eine ungeheure Vermessenheit vor, hier gleichsam mit der gewaltigen Macht des Todes ein laienhaftes Spiel zu treiben.

Laienhaft … und unsinnig!

Denn – wer war Theophrastus Parazelsus gewesen …?! Ein Alchimist, ein Goldmacher, der doch niemals diese lohnende Kunst der Verwandlung unedler Metalle in Gold voll beherrscht hatte! Nebenbei freilich auch ein bedeutender Chemiker, Physiker und Arzt. Kurz – ein für die damalige Zeit hochgebildeter, wenn auch phantastischer Kopf! Und gerade diese ausschweifende Phantasie all der vielen Alchimisten des 15. und 16. Jahrhunderts hatte aus ihnen sämtlich in der Hauptsache Betrüger gemacht. Nebenbei beherrschte sie alle auch ein krankhafter Ehrgeiz, der sie noch schneller auf die Bahn des Schwindels hinabgleiten ließ.

Einer dieser Goldmacher, wenn auch der gelehrteste, war Parazelsus.

‚Und da soll ich, Georg Hartwich,’ dachte der Steuermann weiter, ‚mich auf einen solchen Versuch einlassen, entflohenes Leben durch eine Art Zauberelixier wieder zurückzuzwingen?! Ich, ein Mensch von so kühlem Verstande und so rücksichtsloser Energie? – – Niemals!! Wahnwitz wäre das!!’

Und mit kraftvollem Schwung warf er die Tür des Schränkchens wieder zu, wollte sich entfernen, das Laboratorium genauer besichtigen.

Und – blieb doch, wie magnetisiert an denselben Fleck gebannt, stehen …

Starrte das Schränkchen an …

Den weißen Totenkopf …

Etwas Seltsames ging da in seinem Hirn vor …

Er überlegte, wurde kritischer – sich selbst gegenüber …

‚Wenn jemand vor hundert Jahren einem der damals Lebenden vorausgesagt hätte, daß im Jahre 1919 von Erdteil zu Erdteil mit Hilfe elektrischer Wellen telegraphiert werden kann, dann wäre dieser Prophet ohne Frage allgemein für … verrückt erklärt worden. Und wenn ich nun, ein Kind eines Jahrhunderts, das wie kein anderes Erfindungen über Erfindungen grandiosester Art hervorgebracht hat, – wenn ich nun hier mit eigenen Augen ein Wunder schaue, das ein Alchimist eines früheren Jahrhunderts aus Rache oder Eifersucht geschaffen, nämlich jene holde Schläferin dort, die ohne Zweifel nicht etwa nur eine Mumie ist, – dann – habe ich wohl kein Recht, jenes Theophrastus Parazelsus Angaben auf diesem verblichenen Zettel als Ausgeburt eines phantasievollen Hirns anzusehen! Weshalb sollte nicht im 16. Jahrhundert ein einzelner Mensch durch mühevolle Studien und Experimente Kenntnisse über den menschlichen Organismus, über Leben und Sterben gewonnen haben, die der heutigen Wissenschaft noch verborgen?! Ist es nicht Tatsache, daß die indischen Fakire sich für einen Monat und länger in die Erde eingraben lassen wie Leichen und nachher doch wieder gesund und lebensfähig erwachen?!’

Ebenso plötzlich, wie diese Gedanken in des stattlichen Seemannes kühlem Kopf aufgetaucht waren, entschloß er sich nun auch, des Alchimisten Elixier der Erweckung an dem armen Pasqual Oretto zu versuchen.

‚Ich schade niemandem damit,’ sagte er sich, indem er das Schränkchen wieder öffnete. ‚Nein – ich kann Freund Pasqual vielleicht wirklich den Klauen des Sensenmannes entreißen!’

Es entsprach durchaus Georg Hartwichs ganzem Wesen, daß er nun auch nicht mehr im geringsten zögerte, den Entschluß zur Tat werden zu lassen.

Er nahm das helle Fläschchen heraus und eilte dorthin, wo er Pasqual Oretto auf den Steinboden gelegt hatte.

Die Laterne stellte er neben den Kopf des Toten, kniete nieder …

Fühlte nochmals den Puls …

Öffnete nochmals Jacke und Hemd, brachte das Ohr an die haarige Brust …

Horchte …

Das Herz schlug nicht mehr …

Dann … öffnete er das Fläschchen …

Der Menschenkopf, der eingeschliffene Stöpsel, ließ sich ganz leicht herauswinden.

Kaum geschehen, spürte Hartwich auch schon einen scharfen Geruch, der aus dem Fläschchen aufdringlichst sich verbreitete …

Ein so scharfer Geruch, daß ihm die Augen tränten und seine Kehle rauh wurde.

Es kostete ihn dann doch einige Überwindung, Pasqual den Mund aufzuzwängen …

Und behutsam, mit schnellerem Herzschlag und mit einem Gefühl, als ob er höheren Gewalten gleichsam ins Handwerk pfuschte, träufelte er dem Hafentaucher von Lissabon zehn Tropfen der Flüssigkeit auf die Zunge … –

Als er es getan, überkam ihn abermals das Empfinden, als hätte er einen ungeheuren Frevel begangen … Nur Sekunden währte diese Anwandlung von Kleinmut. Er verschloß das Fläschchen wieder und schob es in die Westentasche.

Erhob sich, leuchtete Pasqual ins Gesicht.

Nichts … nichts …

Keinerlei Veränderung …

Und wartete ungeduldig …

Wartete …

Der Laternenschein umspielte weiter das starre Totengesicht … –

Eine halbe Stunde verging.

Georg Hartwich ließ seine Gedanken die letzten Ereignisse umspielen …

Ob Viktor Gaupenberg wohl mit der Sphinx zurückkehren würde hier zum brennenden Wrack des ‚Connecticut’? Oder ob der Freund ihn und Pasqual für tot halten würde? – Und – kehrte Victor zurück, fand er die beiden verloren Geglaubten, dann … dann war’s vorüber mit Masalda Sarratows unheilvollem Einfluß auf Gaupenberg, dann konnte er, Georg Hartwich, drohend vor die Fürstin hintreten und ihr die Anklage ins Gesicht schleudern, gegen die es keine Verteidigung gab: ‚Sie haben Pasqual und mich im Vorschiff des Dreimasters eingesperrt, damit wir der Besatzung der Jacht „Otritis“ in die Hände geraten sollten!’ Und dann würde endlich diese Abenteurerin ausgeschaltet werden für immer! Dann mußte Viktor einsehen, wie er von diesem Weibe getäuscht worden war! –

So dachte der Brave, der letzte des Goldschiffes, der selbstlose Schatzhüter …

Wußte nichts von alledem, was inzwischen sich ereignet hatte und noch ereignen sollte …

Nichts von dem braunen, schlanken Führer der Rifkabylen, der mit seiner Brigg die „Otritis“ gekapert, der von dem Feigling Cervera das Milliardengeheimnis erfahren hatte und der nun von Mafalda Sarratow nach deren überraschender Rettung nach dem Sturz aus der Sphinx ähnlich in unsichtbare Netze heißer Sinnenglut gelockt werden sollte wie einst Viktor Gaupenberg.

So ganz hatte Steuermann Hartwich über diesen jüngsten Erinnerungen die traumhaft unwirkliche Gegenwart vergessen, daß er nun leicht zusammenzuckte, als dicht vor ihm ein tiefer röchelnder Seufzer erklang.

 

46. Kapitel.

Das Grauen.

Pasqual Oretto hatte die Augen weit offen …

Augen jetzt voller Bewußtsein und Leben.

Augen, die den Steuermann wie sinnend anstarrten.

Das Ausdruckslose des Leichengesichts war geschwunden. Immer dunkler färbten sich die Wangen. Die Brust hob und senkte sich in stoßweisen tiefen Atemzügen.

Und dann murmelte der Taucher undeutlich:

„Sennor Hartwich, war ich denn lange ohnmächtig?“

Hartwich beugte sich noch tiefer.

Was jetzt in ihm sich abspielte, war ein Wirbelsturm von wildesten Gedanken, waren Überlegungen, die in ihrer Plötzlichkeit ohne Übergang bald diese, bald jene Einzelheit des nun zur Wahrheit Gewordenen nachprüften.

Pasqual lebte wieder! Pasqual war dem Tode entrissen durch das Elixier der Erweckung!!

Was Wahnwitz schien, war Tatsache. Was Vermessenheit schien, wäre zur freventlichen Unterlassung umgewandelt, wenn Hartwich den grünen Inhalt des Fläschchens nicht benutzt hätte! –

Und dann …

Dann wieder die leise, aber schon kräftigere Stimme Orettos:

„Was stieren Sie mich so an, Sennor Hartwig? Wo sind wir denn hier? Gibt’s denn keine Aussicht, daß wir dem Erstickungstode entgehen?“

Da raffte der Steuermann sich auch …

Fort mit all den jetzt zwecklosen Grübeleien!

Wieder Mann sein – kühl im Kopf, den Verhältnissen allzeit gewachsen!

Und er erwiderte, die Wahrheit vorläufig noch verheimlichend:

„Lieber Pasqual, wir sind hier in Sicherheit … Ihre Ohnmacht hat kaum eine Stunde gedauert …“

Mehr brachte er zunächst nicht über die Lippen.

Brauchte er auch nicht, denn der alte Oretto richtete sich nun auf, strich einige Male über die Stirn und sagte kopfschüttelnd:

„Mir ist … ja – mir ist ganz eigentümlich zu Mute, Sennor Hartwich … So, als hätte ich endlos – endlos lange ganz fest geschlafen und … gar wüst geträumt …“

Sein Gesicht war ernst und versonnen …

„Wüst geträumt … – Wenn ich nur wüßte was … Ich kann mich jedoch auf nichts besinnen … Nur eins weiß ich: Die Träume waren … unheimlich …“

„Inwiefern?“ fragte Hartwich atemlos, und es war ihm, als striche eine Totenhand über seinen Rücken hin …

Eine Totenhand …

Denn – da dicht vor ihm auf dem kahlen rissigen Felsboden der Höhle saß einer, der … aus dem Jenseits wiedergekehrt war …!

Unfassbarer Gedanke!!

Einer, vielleicht der einzige, der die Schwelle des Todes überschritten …! Einer, der endlich Aufschluß über Fragen geben konnte, die noch kein Lebender richtig beantwortet hat!

Unfaßbarer Gedanke …!!

Ein Grauen fast beschlich den Steuermann …

Noch nie in seinem reichbewegten Leben hatte er seelische Empfindungen kennen gelernt, die auch nur im entferntesten denen glichen, die nun sein Hirn in Flammen setzten …

Wie gebannt schaute er den Portugiesen an …

Wiederholte nochmals:

„Inwiefern unheimlich, Pasqual?“

Und der rieb sich die Stirn, kniff die Augen halb zu, preßte die Lippen zusammen, ganz wie einer, der sich alle Mühe gibt, sein Gedächtnis anzufeuern …

„Ja – unheimlich war’s!“ flüsterte er dann. „Aber – weshalb diese Träume noch jetzt mir ein Zittern in die Knochen jagen, das – das weiß ich nicht …“

Georg Hartwich schwieg …

Beide schwiegen …

Und Pasqual Oretto blickte dem Deutschen fest in die ehrlichen Augen …

Und fragte endlich seinerseits – endlich, denn länger hätte Hartwich diesen merkwürdig forschenden Blick nicht ertragen:

„War ich wirklich ohnmächtig …?! Oder – was ist sonst mit mir geschehen? – Sagen Sie mir die Wahrheit, Sennor Hartwich. Ich käme ja doch nicht eher innerlich zur Ruhe, als bis ich erfahren, weshalb mir ein so … so namenloses … Grauen … das Herz noch immer zusammendrückt …“

Hartwich konnte nicht lügen.

Einmal hätte er Pasqual ja doch alles offenbaren müssen …

Und – noch Seltsameres geschah da…

Noch weit – Unheimlicheres …

Denn der alte Oretto, der Einsiedler und Sonderling aus dem Dirnenviertel Lissabons, zeigte sich auch nicht im geringsten verwundert über das, was Hartwich ihm nun schonend beibrachte: Tot – und wieder lebendig geworden durch die rätselhaften Künste eines Alchimisten! –

Pasqual saß und nickte verschiedentlich mit dem Kopf … Ganz so, als hörte er Dinge, die er gewußt, nicht nur geahnt hatte.

Und als Hartwich nun zu Ende mit der Schilderung des Unerhörten, Unfassbaren, da sagte der Taucher, indem er sich als gläubiger Christ bekreuzigte:

„Sennor Hartwich, Sie haben mir da nichts mitgeteilt, was mich besonders schrecken könnte. Nein, – eine Prophezeiung einer Zigeunerin drüben aus dem spanischen Granada, wo diese merkwürdigen Gesellen in Dörfern vereinigt hausen, hat mich schon als zwanzigjährigen Burschen darauf vorbereitet, daß ich … sterben und wieder erwachen und dann … nie mehr sterben werde. – Bis an der Welt Ende fortleben werde als ein … zweiter ewiger Jude, als … der Ahasverus, der Ahasver, dem ja da irgend ein Franzose ein ewiges Denkmal durch einen Roman gesetzt hat, den … ich nie gelesen habe, weil … weil ein unerklärliches Gefühl mich davon abhielt …“

Der Taucher starrte vor sich hin …

In seinen Augen einen weltentrückten unirdischen Ausdruck …

Und ihm gegenüber der stämmige deutsche Seemann …

In den Augen einen anderen Ausdruck. Jetzt in Wahrheit ein namenloses Grauen!

Und dazu noch diese geheimnisvolle Umgebung, dieses Laboratorium des berühmten Alchimisten, unter dem Spiegel des Meeres in einer Klippe verborgen …

Dazu noch dort drüben auf schmalem Tische eine Schläferin, die fast drei Jahrhunderte hier der Vergänglichkeit getrotzt: Donna Silvia Gonzalez! –

Steuermann Hartwig fühlte, daß eisiger Schweiß ihm in dicken Perlen auf der Stirn stand …

Fühlte das Eisige seiner Hände …

Hatte im ganzen Körper ein Gefühl, als gefriere er zu Eis.

Und – fragte dennoch – halb unbewußt:

„Was – – wurde Ihnen noch weiter prophezeit, Pasqual? Was noch weiter?“

Und – da kam’s …

Da drehte der Portugiese den Kopf verlegen zur Seite …

Zauderte …

Knete seine Finger …

Öffnete den Mund, schloß ihn wieder …

Und Hartwich rannen die kalten Tropfen über das Gesicht …

Als er wieder fragte – ganz heiser und wie aus fremder Kehle – mit fremder Stimme:

„Was wurde Ihnen noch weiter geweissagt?“

Da blickte der kräftige Pasqual, trotz seiner Sechzig noch ein frischer Vierziger, dem Deutschen in die Augen – wie vorhin, nur mit anderem Schimmer in den dunklen Lichtern:

„Niemals werden Sie das erfahren, Sennor Hartwich! Und ich beschwöre Sie – forschen Sie nie mehr danach!“

Dann stand er rasch auf …

Sein Gesicht war wie eine Maske finsterer Entschlossenheit.

Fügte so hinzu – herrisch, befehlend:

„Geben Sie mir das Fläschchen, Sennor Hartwich! Geben Sie mir es sofort!“

Hartwich, noch immer völlig benommen, noch immer umweht von dem Hauche des Unirdischen, Spukhaften, flüsterte ohne Nachdenken:

„Das … Fläschchen? Wozu denn, Pasqual?!“

„Geben Sie es mir!“ Und jäh war der Ton des Befehlens geschwunden. Ein tiefes inständiges Flehen durchbebte die Stimme …

„Geben Sie es mir …! Glauben Sie mir, Sennor Hartwich, – es muß sein!“

Hartwich kehrte in die Wirklichkeit zurück.

Hier war ein Neues, das da aus Pasquals Munde geheimnisschwanger ihm entgegendämmerte …

Und – ein besonderer Verdacht kam ihm …

Ein Gedanke, wie ein Blitz, aus dem Nichts der Finsternis grell aufleuchtend …

„Ah – Sie wollen dem Schicksal Ahasvers entgehen …!“ sagte er halb fragend. „Pasqual, es mag doch ein Mittel geben, daß der Tod Sie hinwegnimmt. Der – – ganze Inhalt des Fläschchens! – Das ist’s! Das wird Ihnen die Zigeunerin geraten haben!“

Ein unendlich schmerzliches Lächeln erschien um Orettos bärtigen Mund …

„Vielleicht … vielleicht …“ murmelte er. „Und deshalb, – – ich muß das Fläschchen haben! Seien sie barmherzig, Sennor Hartwich …“

Der hatte sich nun gleichfalls erhoben.

Gegenüber standen sie sich …

Auge in Auge …

Und der Deutsche rief:

„Sie – – lügen!! Ich sehe es Ihnen an! Das ist es nicht, warum Sie um des Alchimisten Elixier der Erweckung flehen! Niemals ist es das!“

Und – – Oretto senkte den Kopf …

Flüsterte: „Vernichten Sie es! Lieber Sennor Hartwich, vernichten Sie es! Ich habe Sie ja lieb wie meinen Sohn … Vernichten Sie es …“

Der Steuermann fühlte, wie das Herz Pasquals sich in Angst verzehrte …

In Angst um … ihn selbst, um ihn, Georg Hartwich.

Und griff nach der Hand des Tauchers …

„Pasqual, Sie … müssen mir …“

Da – – riß der Portugiese sich los …

Reckte sich höher …

Hob die Rechte zum Schwur …

Mit einer eindringlichen Feierlichkeit, die des deutschen Seele vibrieren ließ unter den Schauern ungeahnter zukünftiger Geschehnisse, sprach er:

„Sie werden es bereuen, in dieser Minute nicht auf mich gehört zu haben! Sie werden die Qualen der bittersten Enttäuschung kennen lernen, werden … mir einst fluchen …!“

Und – ganz leise, fast winselnd um Gewährung:

„Geben Sie mir das Fläschchen!“

Hartwich konnte kaum atmen …

Hartwich hatte Zentnerlasten auf der von unirdischen Empfindungen zerfleischten Brust …

Erwiderte keuchend – Wort für Wort hervorquälend:

„Sie … sollen … das Fläschchen … haben … Aber erst … werde ich … die schlafende … Spanierin … erwecken … Das ist Menschenpflicht! Sie lebt ja …! Und es wäre ein Verbrechen, wenn …“

Schreckliches begab sich da …

Unerhörtes wieder – noch Unbegreiflicheres …

Pasqual Oretto war zugesprungen.

Hatte Hartwich bei der Kehle gepackt …

Umschlang ihn mit dem anderen Arm – mit Bärenstärke …

Würgte ihn, suchte ihn zu Boden zu drücken …

Und dieser Pasqual Oretto, soeben noch im Tone vollster zärtlicher Aufrichtigkeit den Deutschen seinen Sohn nennend, kämpfte nun wie ein wildes Tier gegen diesen selben Mann …

Sie stürzten …

Rollten hin und her …

Umschlungen wie Reptile, die, gleich stark, nur nach einem winzigen Vorteil suchen, um den Gegner abtun zu können …

Hartwich glaubte nicht anders, als daß Pasqual Oretto den Verstand verloren haben müßte, daß bereits die Erzählung von der Prophezeiung der Zigeunerin einem kranken Hirn entstiegen wie krankhafte Ausdünstungen … –

Minutenlang dauerte dieses entsetzliche Anspannen aller Kräfte …

Hartwichs Jugend siegte …

Ein Fausthieb, blitzartig gegen die Schläfe des Portugiesen geführt, machte ihn frei …

Er sprang empor …

Mit zerfetzten Kleidern, mit rasendem Puls, blaurot im Gesicht, taumelnd …

Und schaute sich um …

Sah, was er suchte …

Ketten an der Wand, rostig, aber noch fest …

Ketten, die einst Theophrastus Paracelsus zu irgendwelchen Zwecken gebraucht hatte.

Nichts anderes war hier zu finden, um den Wahnsinnigen zu fesseln. – –

Pasqual Oretto erwachte …

Er lag in einer Ecke der Grotte auf morschen Fellen, auf dem Bett des großen Alchimisten …

Angekettet gleicht einem wilden Tiere …

Und … drüben, zehn Schritt entfernt, beleuchtet vom Laternenschein, sah er mit blutunterlaufenen Augen zwei Menschen stehen …: Hartwich – – Donna Silvia Gonzalez …

Hand in Hand …

Silvia lächelnd – zauberhaft lächelnd, hingebungsvoll, sinnverwirrend …!

Da – sank der Taucher von Lissabon ächzend auf die Felle zurück …

„Zu spät!“ stöhnte er … „Zu spät! Das Verhängnis lebt – ist aufgelebt! – Dreimal verfluchtes Elixier der Erweckung, Elixier der Lüge, der Verblendung – sei … nochmals verflucht!“

Er ballte die Fäuste …

Seine Ketten klirrten dumpf …

Dicker Rost schwächte den metallischen Ton …

Da schaute Hartwich sich um …

Und die Blicke der beiden Männer trafen sich. In denen des Tauchers lag nicht als ein unaussprechliches Mitleid.

 

47. Kapitel.

Im Skelett des Connecticut.

Auf der Sphinx, die in großen Höhen gen Nordwest zur Dorgas-Klippe strebte, war es nach der recht erregten Auseinandersetzung über die Ursachen des Sturzes der Fürstin aus dem Wandloche der einen Backbordkabine still geworden.

Viktor Gaupenberg befand sich jetzt allein im runden Führerstand unterhalb der Hauptluke und saß in einem bequemen Sessel vor den Schalthebeln und dem großen Spiegel des hochgeschraubten Sehrohres.

Auf diesem Spiegel war, in vier Felder geteilt, die ganze Umgebung sichtbar: der ausgestirnte Nachthimmel, einige Wölkchen und hin und wieder etwas von dem Ozean und seinen weißleuchtenden Wogenkämmen und den Laternen still dahinziehender Schiffe.

Der junge Graf hatte, als er mit so nachdrücklicher Betonung für die, seiner Meinung nach über jeden Zweifel erhabene Makellosigkeit seiner Verlobten eintrat, hinterher doch bei nochmaligem Nachprüfen der ganzen Vorgänge, soweit sie ihm bisher bekannt, das dumpfe Empfinden gehabt, als ob Mafalda doch irgendeine Schuld an ihrem Verhängnis träfe.

Er hielt sie für tot. Er mußte sie ja für tot halten, denn kein menschliches Wesen vermag einen Sturz aus solcher Höhe in den Ozean hinab zu überstehen.

Seine Trauer und sein Schmerz um die Fürstin waren – und das setzte ihn selbst in Erstaunen – weit weniger heftig, als er dies selbst je gedacht hatte. Und wie er nun so in der Einsamkeit des kleinen Raumes mit den blinkenden Apparaten vor sich selbst Rechenschaft über diesen Mangel eines seelenzerfressenden Schmerzes ablegte, dämmerte ihm allmählich die Erkenntnis auf, daß das Band zwischen der Fürstin und ihm doch wohl nur das Aufwallen heißer Sinne gewesen und daß gerade das Verklärende der Liebe, die seelische Gemeinschaft, gefehlt haben müsse. –

Immer weiter zog die Sphinx ihre Bahn dahin …

Immer weiter …

Und in der großen Kabine des Luftbootes hielt der alte treue Gottlieb Knorz stille Wacht am Lager seines Lieblings Agnes Sanden.

Hinter ihm, für die bereits wieder bei Bewußtsein befindliche Agnes unsichtbar, saß der rätselhafte Fator.

Soeben hatte Agnes mit schwacher Stimme geschildert, wie das Unheil sich zugetragen.

Fator und Gottlieb waren entsetzt über die ungeheure Ruchlosigkeit Mafalda Sarratows, die sie doch nicht für so brutal, so über alles Maß gewissenlos und gefährlich eingeschätzt hatten.

Wenn es nach Gottlieb gegangen wäre, hätte er Gaupenberg sofort von den wahren Vorgängen Mitteilung gemacht. Aber Fator wollte es anders.

„Lassen Sie bei dem Grafen erst das Geschehene nachwirken,“ hatte er gemeint. „Wenn wir dann die Dorgas-Klippe erreicht haben werden, geschieht noch weit mehr, was Gaupenberg die Augen öffnen wird.“ –

Agnes schlief vor Erschöpfung ein. Der Schlaf erquickte sie sichtlich. Ihre Wangen bekamen wieder Farbe. Doch ihre Träume mußten unruhig und zum Teil qualvoll sein.

Schweigend saßen Gottlieb und Fator da. Der alte treue Diener des Hauses Gaupenberg nickte verschiedentlich ein.

Fator blieb regungslos. Seine hohe kluge Stirn war leicht gefaltet. Seine Augen hafteten starr auf dem einen runden Fenster der Außenwand, hatten einen völlig weltentrückten Ausdruck. All das Geheimnisvolle, das die Person dieses hageren Mannes umgab, der dem Einsiedler von Sellenheim so verblüffend ähnlich, jedoch weit jünger aussah, spiegelte sich jetzt gleichsam in seinem Gesicht wider.

Immer wenn Gottlieb Knorz erwachte und dann etwas wirr um sich blickte, fand er stets dasselbe Bild um sich her vor: die schlummernde Agnes, die in dem Männeranzug des Tauchergehilfen Lobeza auf dem Bett ruhte, und Fator, den Geheimnisvollen, der wie eine Statue unverändert dieselbe Stellung beibehielt. Dann fragte der Alte sich auch stets, was wohl hinter dieser klugen Stirn vorgehen mochte, welche Gedanken den Regungslosen wohl so völlig in Anspruch nehmen könnten.

Er ahnte nicht, daß nur Fators Leid hier in der Kabine der Sphinx weilte und das alles Geistige, Unkörperliche dieses seltsamen Menschen in der Ferne um die Ruine der Burg Sellenheim schwebte … –

Weiter und weiter flog die Sphinx.

Die Motoren arbeiteten unverdrossen stets mit denselben taktmäßigen leisen Geräuschen. Die Propeller surrten.

Und Gottlieb Knorz schien’s, als ob das Wunderboot seines Herrn erfüllt sei von dunklen unfaßbaren Geheimnissen, größer noch als das des auf dem Meeresboden ruhenden Milliardenschatzes. –

Im Osten dämmerte der Morgen.

Auf dem Spiegel des Sehrohres zeigte sich der helle Strich des westlichen Horizontes. Nur links davon, weit links, stieg aus dem Meere Qualm auf, dünne Rauchfäden, das nur noch aus Balkenresten, rauchgeschwärzt und formlos, bestehende Wrack der stolzen Seglers.

Die Sphinx ging tiefer.

Es wurde nun zusehends heller. Gaupenberg erkannte zwar Dampfer, die soeben die Klippe verließen. Eins der Schiffe war ein englischer Kreuzer, den fraglos die noch qualmenden Trümmer angelockt hatten. Albions seebeherrschende Flagge spielte auch hier die Polizei auf dem Ozean.

Das Luftboot hing im Äther und ließ sich vom flauen Ost treiben. Nur dann und wann schlugen die Propeller, damit die Sphinx stets genau über der Klippe und dem schwarzen Schiffsgerippe blieb.

Die beiden Dampfer, der Kauffahrer und der Kreuzer, tauchten unter die Horizontlienie hinab.

Die Sphinx senkte sich noch mehr. Und da betrat nun auch Gottlieb Knorz die runde Führerkabine.

„Guten Morgen, Herr Graf,“ sagte der Alte ernst. Seine Falkenaugen musterten das übernächtigte Gesicht seines Herrn. Etwas in diesen Zügen war anders als bisher. Wie trübe Verzweiflung lag es auf dem regelmäßigen, sympathischen Männerantlitz.

Und Gaupenberg erwiderte denn auch mit farbloser, gleichsam verzagter Stimme:

„Morgen, mein alter Gottlieb … – Wir sind angelangt …“

Pause … – Dann leiser:

„Wie geht es Fräulein Sanden?“

„Sie schläft, Herr Graf …“ – Knorz zauderte. Dachte an Fators Mahnung, Gaupenberg erst später die volle Wahrheit über Mafaldas Sturz aus der Sphinx mitzuteilen. Und doch brannten ihm schier die Lippen, die dieses Neue nicht preisgeben sollten.

Dann – ganz unvermittelt platzte er heraus:

„Die Fürstin hat Agnes zum Boot hinauswerfen wollen, stolperte und … hat so einzig und allein schuld an dem Geschehenen. Agnes hat mir erzählt, wie alles zugegangen ist.“

Gaupenberg blieb still und starrte ins Leere.

„Zweifeln Herr Graf an dieser Darstellung Fräulein Sandens?“ fragte Gottlieb nach einer Weile leicht gereizt.

„Nein – keineswegs, mein alter treuer Freund,“ erwiderte Gaupenberg leise. „Lassen wir jetzt aber dieses Thema ruhen,“ fügte er wie bittend hinzu. „Wir werden jetzt versuchen, auf der Klippe inmitten des verkohlten Schiffsgebälks zu landen. Wenn die Trümmer auch noch rauchen, so ist doch kaum Gefahr dabei. – Wo ist Fator?“

„In Agnes’ Kabine, Herr Graf …“ Und zaudernd dann die Frage: „Finden Herr Graf nicht auch, daß die Ähnlichkeit zwischen Doktor Dagobert Falz und diesem angeblichen Detektiv Fator überraschend groß ist?“

„Allerdings … Noch überraschender jedoch das, was er vorhin über die Dorgas-Klippe und seinen Aufenthalt in den unterseeischen Grotten erzählte. – Wenn es nur stimmte, daß unser guter Georg sich gerettet hat …!“ –

Die Sphinx senkte sich immer mehr …

Gerade als der obere Rand der Sonne über die am östlichen Horizont lagernden Dunstschichten hinweglugte, als die ersten Strahlen des Tagesgestirns leuchtend über den Ozean schossen wie silberne Pfeile einer hehren, licht- und wärmespendenden Gottheit, – da ließ das Luftboot sich infolge seiner glänzenden Manövrierfähigkeit ohne jeden Zwischenfall inmitten des schwarzen, noch leicht qualmenden Schiffsskeletts nieder und ruhte mit dem gewölbten Boden dicht neben jener sorgfältig eingefügten Steinplatte des Dorgas-Riffs, die den Zugang zu dem unterseeischen Schlupfwinkel des berühmtesten aller Alchimisten bildete.

Kaum hatte die Sphinx mit sanftem Stoß auf den grauschwarzen Granit aufgesetzt, als auch der hagere Fator im Führerstand erschien.

Die drei Männer gingen nun an Deck.

Die dünnen Rauchschwaden belästigten sie nicht weiter. Fator beugte sich über den Rand der Reling und blickte hinab zu der steinernen Falltür.

„Spuren in der Asche!“ rief er … „Dort, Herr Graf, – dicht neben der Steinplatte, von der die Asche und die verkohlten Holzreste entfernt sind! Vielfache Spuren sogar! Sollten etwa Hartwich und Pasqual die Grotten bereits verlassen und etwa eins der beiden Schiffe bestiegen haben, die soeben erst am Horizont verschwunden sind?!“

Kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, als die Granitplatte langsam gehoben wurde …

Ein blonder Männerkopf erschien – Steuermann Hartwich!

„Georg!!“ rief Gaupenberg jubelnd „Georg – du lebst!!“

Hartwig schaute empor.

Sein Gesicht war ernst und doch auch wieder durchleuchtet von tiefer Wiedersehensfreude.

Sein Blick streifte die drei Männer oben an der Reling …

Und dieser Blick hing dann mit fast zärtlichem Ausdruck an dem grauen Aluminiumleib der Sphinx …

„Ich lebe!“ sagte er laut. „Aber was ich hier durchgemacht habe, hier in den Grotten des Theophrastus Parazelsus, wünsche ich selbst meinem schlimmsten Feinde nicht!“

Das Mitteilungsbedürfnis trieb ihn, den Gefährten sofort das Wichtigste zu berichten, und so fuhr er denn in einem Atem fort:

„Pasqual Oretto ist wahnsinnig geworden. Wir wären in den Grotten beinahe erstickt. Ein Zufall ließ mich den Zugang zu einer noch tiefer gelegenen Höhle der Klippe finden, und dort …“ Da unterbrach Fator ihn. „Wie, Herr Hartwich, – noch eine Grotte?! Davon ist ja selbst mir nichts bekannt!“

„Und doch ist’s gerade das Laboratorium des Alchimisten, in dem wir Schutz vor den Auswirkungen der Schiffsbrandes fanden. Dort unten aber – welch Sterblicher würde mir all das ohne augenscheinliche Beweise glauben! – entdeckte ich … ein seit Jahrhunderten schlafendes junges Weib …! Ein Elixier des Parazelsus hat sie ins Leben zurückgerufen, und diese glutäugige Spanierin Silvia Gonzalez …“

Er … verstummte …

War vollends aus dem dunklen Schacht herausgekommen …

Auf der rostigen eisernen Leiter aber war soeben … das lebende Wunder dieser unterseeischen Behausung erschienen: Silvia Gonzalez!!

Die drei Männer oben an Deck stierten die Spanierin wie eine den Tiefen des Meeres entstiegene Nixe an.

Selbst Fators Gesicht verriet namenlose Überraschung.

Gaupenberg jedoch, durch die südländische üppige Schönheit des Weibes unwillkürlich an Mafalda erinnert, fragte jetzt, nachdem auch er der lächelnden Silvia einer Art Verbeugung gemacht hatte:

„Etwas möchte ich zunächst wissen, Georg. Wie kam es, daß du und Pasqual in dem Dreimaster nicht zu finden wart?! Mafalda suchte euch. Ich hörte sie rufen. Wir konnten nicht länger zögern. Die Jacht „Otritis“ des Generalkonsuls Cervera nahte, und wir mußten aufsteigen.“

Hartwich holte tief Atem.

Der Augenblick war da, wo Viktor Gaupenberg für immer von der Abenteurerin sich lossagen würde.

„Viktor,“ erklärte er überlaut und schaute den Freund durchdringend an, „längst wußte ich, daß Mafalda Sarratow ein verwerfliches Spiel mit dir trieb! Ich merkte jedoch, daß du nicht so leicht zu überzeugen wärest, wie jämmerlich der Charakter dieser Hochstaplerin ist! Sie war’s, Viktor, die Pasqual und mich der Besatzung der „Otritis“ in die Hände spielen wollte. Sie hat uns im Vorschiff eingeriegelt – ganz plötzlich! Und eilte davon …! Sicherlich in wildem Triumph über den geglückten Streich! – Begreifst du jetzt, was dieses Weib alles verbrochen! Begreifst du, daß nur sie und ihre Helfershelfer dich schlau von Agnes Sanden zu trennen verstanden?!“

Gaupenbergs Gesicht war aschfahl geworden. Minutenlang blieb er stumm …

Und rings um das Riff und das schwarze Schiffsskelett brandete die See …

Unten auf der mächtigen zackigen Klippe standen nun Hartwich und Silvia dicht nebeneinander. Die Spanierin hatte des Steuermannes Hand sanft und zärtlich umfaßt. Ihre Augen strahlten in hingebender Liebe …

Und oben auf dem Deck des Wunderbootes die drei Männer …

Einer davon blaß und verstört …

Mit einem Schlage aus allen Himmeln gestürzt, mit einem Schlage vor die Erkenntnis gestellt, daß Mafalda Sarratow eine Unwürdige, eine Intrigantin, eine Verbrecherin …!

Hinter den dreien noch ein Geschöpf, soeben mühsam die Lukentreppe emporkletternd: Gottliebs halbblinder Teckel Kognak!

Und drinnen in der Sphinx hinter dem dünnen Vorhang des Kabinenfensters Agnes Sanden, beide Hände auf das jagende Herz gepreßt …

Das Fenster, nach innen geöffnet, hatte ihr Wort für Wort Steuermann Hartwichs ungeheuerliche Anklage gegen die Fürstin vermittelt.

Und nun … wartete sie auf Gaupenbergs Antwort …

Ob Viktor etwa auch jetzt für Mafalda noch eintreten würde?! Ob er wirklich so mit allen Fasern seines Herzens an dieser verführerischen Abenteurerin hing, daß nichts seine Leidenschaft zu töten vermochte, nichts ihn erwecken konnte aus diesem unreinen Taumel von Sinnenglut?!

Sie wartete – lauschte …

Und dann seine Stimme, fest und bestimmt:

„Ich danke dir, Georg …! Endlich lichtet sich der Nebel! Ich sehe jetzt klar. Diese Enthüllung des wahren Wesens Mafaldas kommt für mich jedoch nicht völlig unerwartet. In den soeben verflossenen Stunden habe ich mancherlei geprüft. Da sind allerlei Zweifel in mir aufgestiegen. Nun – habe ich die Gewissheit! – Ich danke dir, Georg! Und Ihr, Freunde, steigt nun hinab in die Grotten. Ich folge euch später. Mich hält hier noch eine Pflicht zurück.“

Und er wandte sich und betrat den Führerstand, schritt in dem Schiffsgang entlang und pochte gegen die Tür der Kabine Agnes Sandens.

 

48. Kapitel.

Ein ganzer Mann …

Agnes und Viktor standen sich gegenüber.

Dämmerlicht herrschte in der Kabine.

Und doch sah jeder der beiden, daß der andere bleich wie ein Gespenst vor Erregung war.

In den wenigen Minuten, bis Gaupenberg an die Tür pochte, hatte das blonde Mädchen, das jetzt mit dem gefärbten Haar und in der Männertracht wie ein entzückender Bursche ausschaute, Zeit gefunden, sich über die nun unvermeidliche Aussprache mit Gaupenberg und deren Endergebnis klar zu werden.

Der Graf selbst vermochte kein Wort hervorzubringen.

Blitzartig war soeben vor seinem Geiste jene Szene erschienen, als er Agnes zum ersten und letzten Male auf der Gaupenburg in den Armen gehalten und geküßt hatte…

Was alles war inzwischen geschehen!! Irrtümer, Mißverständnisse, Intrigen und ein ganzes Lügennetz hatten Berge als Hindernisse zwischen Agnes und ihm aufgetürmt.

Und jetzt, wo er der Geliebten gegenüberstand, – jetzt, wo der Sinnentaumel verflogen, der ihn an die andere gekettet hatte, jetzt erkannte er erst, wie doch trotz allem in seiner Seele verborgenstem Kämmerlein stets eine andere Liebe heimlich weitergelebt hatte: die zur Agnes Sanden, der Reinen, Guten, der blonden Madonna!

Im Gefühl seiner unendlichen Schuld jedoch und im niederdrückenden Bewußtsein seiner Haltlosigkeit, seiner unverzeihlichen Charakterschwäche und schnellen Zweifelsucht fand er auch nicht ein einziges Wort, das wieder eine Brücke geschlagen hätte zwischen ihm und seiner großen wahren Liebe …

Stumm blieben sie beide …

Um sie her wehte das Sehnen nach dem heiligen Glück jenes ersten Sichfindens.

Und doch – sie schwiegen!

Noch war die jüngste Vergangenheit zu frisch in beider Gedächtnis, als daß es ein … Verzeihen hätte geben können!

Und – dies sprach Agnes nun endlich aus …

Leise – mit anfangs zitternder Stimme … Mit aller Vorsicht und scheuen Zurückhaltung des keuschen Weibes.

„Viktor,“ begann sie, und wich langsam bis zum Fenster zurück, „Sie sind hierher gekommen, um mich um Vergebung, um Nachsicht anzuflehen … Gerade ihr banges Schweigen beweist mir, wie tief Sie bereuen. – Wir beide wollen uns dieses Wiedersehen nicht durch Worte trüben, die an dem Geschehenen nichts ändern können. Ich will versuchen, zu vergessen, was sie mir angetan haben. Ich will Ihnen Freundin sein, Viktor … Mehr als das kann ich Ihnen vorläufig nicht sein! Und als Freundin rufe ich Ihnen in dieser feierlichen Minute zu: Viktor, werden Sie ein Mann, der nie mehr urteilt, ohne genau zu prüfen, der alle Kräfte seines Geistes und Körpers jetzt – – nur der einen einzigen Aufgabe widmet, den Schatz der Azoren zu heben und zu bergen für unser deutsches Vaterland! – Mann sein, Viktor, – in allem! Stark werden, hart werden, wie ich’s geworden! Menschen müssen wie die Liebe durchs Fegefeuer geläutert werden!“

Und jetzt trat sie wieder an ihn heran, streckte ihm die Hand hin …

„Auf treueste Kameradschaft, Viktor!“

Er beugte sich über diese Hand …

Halberstickt flüsterte er:

„Ja – auf treueste Kameradschaft! – Und dann, Agnes, dann … wieder … die … Liebe …!!“

Er küßte ihre Hand …

Und hastig verließ er die Kabine …

Fürchtete, daß Agnes die feuchten Perlen in seinen Augenwimpern wahrnehmen könnte …

Flüchtete an Deck seiner Sphinx, seiner Wunderschöpfung …

Die Sonne drüben im Osten hatte sich nun vollends aus den Dunstschleiern herausgekämpft und überflutete die Unermeßlichkeit des Atlantik mit strahlendem Licht …

Dieser schimmernden Sonne reckte Gaupenberg wie zum Schwur die Hand entgegen …

„Mein Herz wird schweigen! Nur eins fortan – die Pflicht! Und – Mann sein – – ein ganzer Mann!“

Eine wunderbare Ruhe zog da in seine Seele ein. Sein Gesicht veränderte sich. all das Gequälte, Fahrige verschwand. Er war wieder derselbe Viktor Gaupenberg, der einst dem Freunde, dem Hüter des Schatzes, feierlich gelobt hatte, mitzuhelfen bei dem großen heimlichen Werke der Bergung der versunkenen Milliarden! –

Und ein anderer Gaupenberg folgte nun den Gefährten hinab in die unterseeischen Grotten …

Staunte die Gemächer des Alchimisten an, sah vor den dicken Glasfenstern das Meer in grünlichem Schimmer liegen, sah Fische hin und her schießen und gelbbraune Tiefseepflanzen ihre seltsamen Ranken und Äste im Wasser ausbreiten.

Fand im zweiten Gemach den Deckel des Eingangs zum Laboratorium offen und stieg weiter hinab …

Erblickte hier noch mehr Seltsames …

Tische, Schränke, Gefäße, Apparate, unzählige Flaschen, Destillierkolben …

Erblickte am anderen Ende des Raumes die Freunde: Georg, den treuesten der Treuen, Gottlieb, den braven Alten, neben ihm seinen unzertrennlichen vierbeinigen Begleiter, – dann den hageren Fator und die Spanierin.

Und – – wurde leise angerufen …

Ganz leise …

Aus dem Dunkel heraus …

Und dort lag auf dem Bett von Fellen der arme Pasqual Oretto, der Taucher.

Nochmals rief er:

„Sennor Gaupenberg – auf ein Wort …!“

Und Gaupenberg eilte hin …

Da flüsterte Pasqual schon:

„Glauben Sie nicht, daß ich etwa wirklich den Verstand verloren habe …! Nein, – ich habe den Steuermann nur angegriffen, um ihm das Elexier der Erweckung zu entreißen und um das Fläschchen zu zertrümmern, bevor er die schlafende Spanierin zum eigenen unendlichen Leid ins Leben zurückrufen könnte! –

Näher heran, Sennor Gaupenberg, näher …! Hartwich ist ja ihr bester Freund! Hören Sie mich an … Eine Zigeunerin aus Granada prophezeite mir in meiner Jugend, daß ich einst sterben und durch einen Zaubertrank wieder … lebendig werden würde, daß mein Dasein dann aufs engste verknüpft wäre mit dem zweier Liebender, von denen der weibliche Teil ähnlich wie ich durch dasselbe Elexier aus endlosem Schlaf auferweckt werden würde. –

Und – auch dies ist ja eingetroffen, Sennor Gaupenberg! Sie haben Silvia Gonzales gesehen! Sie sahen und sehen sie heute noch jung und lebensfrisch …!! Noch mehr weißagte die Zigeunerin … Furchtbares für mich, Furchtbares für Hartwich, den ich liebe wie meinen Sohn! Ich selbst, so raunte mir jene Zigeunerin ins Ohr, würde … nie mehr sterben, würde ewig leben, ein zweiter ewiger Jude, ein zweiter Ahasver! Deshalb nie sterben, weil ich durch Menschenkunst dem Tode entrissen worden bin! –

Und Silvia Gonzalez wieder, in die Ihr Freund auf den ersten Blick sich verliebt hat, wird nach den Worten der Zigeunerin rasch dahinschwinden, wird rasch altern, wird vielleicht in einer Nacht … zur Greisin werden! Die Zeit, die sie durchschlafen hat, die drei Jahrhunderte, werden sich rächen! Und dann – wird Ihr Freund, strotztend in Jugendfrische, mit Entsetzen und Grauen die Geliebte als abschreckende zahnlose, gebeugte alte Vettel erblicken! Bedenken Sie, er mit seinen dreißig Jahren, und eine Greisen, die ebenso rasch dem Grabe entgegenwanken wird wie sie gealtert ist! –

Stellen Sie sich vor, was hier in mir vorging, als ich merkte, daß diese wahnwitzigen Prophezeiungen eintraten – ganz genau eintrafen! Hätten nicht auch Sie dann alles versuchen, das unselige Elexier zu vernichten!“

Viktor Gaupenberg sträubte sich über all dem Unfaßbaren das Haar vor Grauen. Ihm war jetzt genau so zu Mute wie Georg Hartwich in dem Moment, als er mit eigenen Augen schaute, daß das Zaubermittel den toten Pasqual wirklich wieder ins Leben zurückrief …!

Grauen packte Gaupenberg …

Er stöhnte dumpf auf … Georg Hartwich – – und Silvia Gonzalez, – – entsetzlicher Gedanke …!! – Und weiter noch, hier vor ihm im Ketten ein Mann, der das Sterben nie mehr kennen lernen sollte.!!

Eisige Schauer überrieselten ihn …

Und jäh blitzte da ein anderes Begreifen in ihm auf, daß die Milliarden auf dem Meeresgrund die unheimliche Kraft seien, die nicht nur bisher schon viele Geschicke bunt durcheinander gewirbelt hatte sondern auch noch in der Zukunft zahlreichen Menschen verhängnisvoll werden würde!

Er ahnte plötzlich, was er auf sich genommen, als er Hartwich seine Hilfe zugesagt hatte. Er ahnte auch, was alles ihm selbst noch bevorstehen würde – ihm und Agnes, der sein Herz nun wieder einzig und allein gehörte in tiefster reinster Liebe!

Und dennoch! Straffer richtete er sich auf …!

Ein Mann – ein ganzer Mann!! Und mochte das Fegefeuer der Läuterung ihm auch das Hirn versengen, er würde nie mehr wanken und weichen! –

Fragte dann leise den Portugiesen:

„Weshalb hat Georg Sie denn so brutal gefesselt, armer Pasqual?“

„Oh – war ich ihm nicht an die Kehle gefahren wie ein wildes Tier! Mußte er mich nicht für gefährlich halten!“

Gaupenberg bückte sich, löste die rostigen Ketten …

Und – – gerade da kam der rätselhafte Fator langsam auf sie zu …

Sagte flüsternd: „Pasqual Oretto, kommen Sie mit mir in die Wohnräume des Alchimisten … Kommen Sie! Ich habe einiges mit Ihnen zu besprechen.“

Das klang schlicht und doch wieder wie durchweht von neuen Geheimnissen.

Pasqual und Fator verließen das Laboratorium.

Oben vor dem einen Fenster schwamm gerade ein neugieriger Riesenhai umher.

Und innen standen Fator und Pasqual dicht beieinander.

„Trösten Sie sich,“ meinte der Rätselhafte mit einem trüben Lächeln. „Sie sind nicht der einzige, der bis an der Welt Ende die Bürde dieses Lebens tragen muß, weil er dem Elexier seine Erweckung verdankt. Sie werden einen Begleiter, einen Lebensgefährten haben …“

Pause …

Lauter, noch schmerzlicher:

„Mich, Pasqual Oretto, – – mich!!“

Und was die beiden noch weiter flüsterten, sollten andere erst später erfahren. – –

Die Sennorita Silvia Gonzalez hatte dem Steuermann in jenem Spanisch, wie es um das Jahr 1650 gesprochen wurde, ihre Lebensgeschichte erzählt, soweit sie sich auf Einzelheiten noch besinnen konnte. Ihr Gedächtnis war jedoch sehr angegriffen, und sie erinnerte sich eigentlich nur, daß ihr Vater in Madrid am Hofe des Königs eine Staatsstellung bekleidet und daß ihr der deutsche Alchimist Parazelsus verschiedentlich in heißen Worten seine Liebe erklärt hatte, daß sie ihn stets verlachte, weil er damals schon fast ein Greis, und daß dann eines Tages auf einem Spaziergang maskierte Männer sie überfallen und fortgeschleppt hatten. –

Diese wenig genauen Angaben hatten dem Steuermann vollauf genügt. Er war durch die feurige Schönheit der jungen Spanierin so völlig gefangen genommen, daß es ihm nicht einmal auffiel, mit welcher unbegreiflichen Gleichgültigkeit Silvia das Wunder ihres endlosen künstlichen Schlafes hinnahm.

Jede tiefer veranlagte Natur hätte wohl bei dem Gedanken, hier in den unterseeischen Grotten gleich einem Dornröschen drei Jahrhunderte überdauert zu haben, vor sich selbst ein stilles Grauen empfunden.

Silvia Gonzalez dagegen fühlte nichts anderes als lediglich einen ungeheuren Lebenshunger, eine Sehnsucht nach Glück und Liebe, die jede andere Regung erstickten. Vielleicht ahnte ihre Seele, daß dieses Glück nur eine kurze Spanne währen würde. Vielleicht hatte das geheimnisvolle Schlafmittel des berühmten Alchimisten auch in dem Hirn seines Opfers mancherlei ungünstige Veränderungen hervorgerufen.

Jedenfalls zeigte sich die Spanierin auch jetzt, als Gaupenberg sie begrüßte, ganz als lebensprühende Weltdame von der ganzen Anmut der Frauen eines Zeitalters galantester Abenteuer.

Ihre vielseitige Bildung offenbarte sich darin, daß sie auch das Französische und Italienische beherrschte. Die Unterhaltung mit ihr bereitete den Freunden immerhin einige Schwierigkeiten, da die heutigen Fremdsprachen genau wie das Deutsch der Jetztzeit doch erhebliche Änderungen in Wortform und Satzbau erfahren haben.

Gaupenberg konnte die Spanierin, die vor Lebensfrische glühte und aus ihrer Neigung für den blonden Steuermann weiter kein Hehl machte, nur mit tiefstem Mitleid betrachten.

Die Ärmste ahnte ja nicht, daß ihres Lebens Blüte im Nu dahinschwinden würde.

Zum Glück erforderten die Umstände rasches Handeln, so daß Gaupenberg sich der Spanierin nicht zu lange zu widmen brauchte. Nachdem er Hartwich kurz erklärt hatte, es könne bei Pasqual Oretto lediglich ein einziger Anfall geistiger Zerrüttung vorliegen, da der Taucher jetzt wieder völlig klaren Geistes sei, verließen auch diese drei das Laboratorium und trafen erst an Deck der Sphinx mit Pasqual und Fator wieder zusammen.

Nach kurzer Beratung beschloß man, sofort wieder aufzusteigen und zunächst nach der Insel Formigas zurückzukehren, um festzustellen, was die dort gelandeten Kabylen weiter im Schilde führten.

Silvia Gonzalez hatte sich zu Agnes in die große Kabine begeben, und Hartwich war’s, der Agnes über die merkwürdigen Schicksale der Spanierin aufgeklärte.

Dann waren die beiden Frauen miteinander allein geblieben.

Die überschwengliche Silvia war sofort bereit, die junge Deutsche als Freundin in ihr Herz zu schließen, und gegenüber ihrer aufrichtigen Zärtlichkeit konnte auch Agnes Sandens Zurückhaltung nicht lange sich mit kühler Förmlichkeit wappnen. In dem frischen Benehmen Silvias lag so viel Sehnen nach schwesterlicher Anlehnung, daß die blonde Madonna sehr bald herausfühlte, wie dieses im Grunde bedauernswerte Wesen, das aus fernem Jahrhundert in eine ihr völlig fremde Welt versetzt worden war, gleichsam Schutz und Hilfe suchte, um sich leichter in all das Ungewohnte hineinzufinden. –

Unzählige Fragen mußte Agnes der Spanierin beantworten … Und schon nach einer Stunde saßen diese beiden Wesen, die ein Spiel des Schicksals, vielleicht die geheimen Kräfte der Milliarden des Goldschiffes, hier zusammengeführt hatte, Hand in Hand da – wirklich wie Schwestern. –

Die Sphinx flog gen Süden …

In unendlicher Höhe … So hoch, daß nicht einmal ein Fernrohr diesen rasch dahinjagenden grauen Punkt wahrgenommen hätte.

Knorz wirtschaftete in der kleinen Küche des Luftbootes herum, und Fator und Pasqual hatten sich nun in einer Steuerbordkabine zum Schlafe niedergelegt.

Gaupenberg und Hartwich befanden sich im Führerstand. Jetzt erst erfuhr der Steuermann Einzelheiten über den Angriff der Kabylen auf die Sphinx, über Agnes’ rechtzeitige Warnung und über Mafaldas Todessturz.

Daß Kabylen auf dem Eiland Formigas gelandet waren, erfüllte den Steuermann mit ernstesten Besorgnissen. Er fürchtete, daß die Leute der Jacht „Otritis“ womöglich mit den Marokkanern gemeinsame Sache gemacht haben könnten.

Die Wahrheit wußte er ebensowenig wie der Graf oder wie einer der übrigen Insassen der Sphinx.

Hartwich schlug dann vor, man solle mit äußerster Vorsicht zunächst Formigas von oben her beobachten. Dann würde man ja mit Hilfe der scharfen Fernrohre leicht bemerken, ob die Insel noch besetzt sei.

Was er weiter noch plante, fand genau so des Grafen vollste Billigung. –

Um neun Uhr vormittags meldete der alte Gottlieb, daß er das Frühstück nun fertig und den Tisch in der großen Kabine gedeckt hätte. Da er selbst schon gegessen habe, würde er inzwischen die Steuerung der Sphinx übernehmen.

Fator und Pasqual wurden geweckt, und um ein Viertel zehn waren die Insassen des Luftbootes mit Ausnahme des wackeren Knorz in der großen Kabine zum ersten Male an gedeckter Tafel vereinigt.

Es ging trotzdem bei Tisch recht still her, denn all das Rätselhafte, das drei der Mitglieder der Tafelrunde umschwebte, blieb nicht ohne Wirkung auf die Stimmung der anderen. Gaupenberg saß neben Agnes, und oft genug streifte er ihr holdes Antlitz mit innigen Blicken versteckter Zärtlichkeit.

Auch das andere Paar, Hartwich und Silvia Gonzalez, konnten ungestört allerlei verliebte Heimlichkeiten treiben, da die beiden noch übrigen Tischgenossen Pasqual und Fator sich zunächst nur miteinander unterhielten. –

Nachmittags drei Uhr lag die grüne, felsige Insel Formigas genau unter der hoch im Äther schwebenden Sphinx.

Zwei Fernrohre suchten das Eiland aufs Genaueste ab.

„Leer – kein Mensch, kein Fahrzeug,“ sagte Hartwig zu Gaupenberg und legte das Fernrohre beiseite.

„Dann also – Kurs nach Westen!“ nickte der Graf.

Und Gottlieb Knorz fügte hinzu:

„nach San Miguel, zum Kap Retorta! Dort ruhen die Milliarden!“

„Ja – die Pest der Welt: Das Gold!“ raunte Pasqual seinem Leidensgefährten Fator zu …

 

49. Kapitel.

Hinab zum Goldschiff …!

Nacht war’s noch.

Jene Nacht, in der Mafalda Sarratow den feigen Lomatz verraten hatte und in das Lager der Kabylen hinübergegangen war. –

Abd el Sarfa, der Führer der braunen Gesellen, hatte seine jäh aufflammende Liebesglut zügeln müssen.

Als er vor der Fürstin in dem verschwiegenen Zelt in heißem Verlangen niedergesunken war, hatte Mafalda mit ihrem Sirenenlächeln ihn wieder auf seinen Sitz zurückgewiesen.

„Nur der Sieger genießt Frauengunst,“ hatte sie vieldeutig gesagt, und hatte plötzlich ganz ernst hinzugefügt:

„Was gedenken Sie mit Cervera zu tun, Abd el Sarfa? – Er ist der letzte Überlebende der „Otritis“. Glauben Sie, daß er es Ihnen je vergessen wird, daß Sie seine Jacht kaperten und seine Leute … schwimmen ließen?!“

Der Kabylen, brauner Gentleman, Diplomat, Krieger und Bandit, erwiderte ebenso kühl sachlich, denn auch er hatte sich gut in der Gewalt:

„Sennor Roman Cervera, Generalkonsul der Republik Patalonia, ist mein Verbündeter geworden. Ein Kabyle, Fürstin, ist nie treulos, solange sein Freund Treue hält. Sie wissen vielleicht nicht, daß wir Ryfenos, Rifkabylen, unsere Abstammung von germanischen Völkern herleiten und zwar von jenen Vandalen und Westgoten, die einst auch Nordafrika und Spanien beherrscht haben. Unsere Überlieferungen besagen, daß versprengte Trupps dieser Völker in die wilden Berge Marokkos flüchteten, sich dort ansiedelten und später mit den Mauren sich vermengten. Sie finden unter uns viele Blondhaarige und Blauäugige, und gerade dies beweist wohl, daß die sagenhaften Berichte unserer Abstammung nicht ganz ohne tatsächlichen Hintergrund sind. Von dem Germanenblut in unseren Adern merkt auch jeder etwas, der mit uns in Berührung kommt. Wir sind treu! Ein gegenseitiges Versprechen ist wie ein Eid, Fürstin! Sennor Cervera wird sich von meiner Seite nie über Heimtücke zu beklagen haben.“

„Und der andere Europäer, der Agent, der Ihnen die Waffen lieferte?“

„Oh – er liefert noch weiter, dieser Mr. Owen Gaublatz! Jetzt erst recht, nachdem der Weltkrieg beendet ist. Ich brauche ihn. Er schweigt. Er ist Geschäftsmann.“

„Und weiß nichts von dem Goldschatz?“

„Nein. Außerdem wird er frühmorgens die Insel mit dem Motorboot, das wir hier fanden, verlassen. Er hat seine Bezahlung erhalten, und damit scheidet er für uns aus.“

Mafalda schwieg minutenlang.

Sie hatte eine unklare Empfindung, als ob ihre Fragen von dem schlanken jungen Kabylen, der selbst in seiner europäischen Tracht eine imponierende Erscheinung war, für eine etwas unzulässige Einmischung in Angelegenheiten gehalten würde, die sie als Weib nichts angingen.

Sie wußte sehr gut, daß bei den Marokkanern wie bei allen nordafrikanischen Stämmen das Weib eine ganz untergeordnete Rolle spielt. Auch ein Mann wie dieser Abd el Sarfa, der sich die Überkultur Europas in den Hauptstädten der Großmächte soweit angeeignet hatte, als es ihm zweckdienlich erschien, war fraglos nicht losgekommen von diesen veralteten Anschauungen einer allgemeinen Minderwertigkeit der Frauen. Es hieß also, ihm gegenüber vorsichtig sein und erst allmählich ihre geistige Überlegenheit geltend zu machen.

Während sie, die stets sorgfältig alle Chancen Prüfende, dies noch überlegte, – während ihre dunklen Augen dabei wie gelangweilt über die braune Zeltwand hinglitten, gewann ihr Blick mit einem Male für Sekunden Leben und Feuer.

Es war, als ob irgend etwas ihre besondere Aufmerksamkeit hervorgerufen hätte.

Und doch – sie hielt mit graziöser Lässigkeit die zarte schmale Hand vor die Augen und gähnte …

Ihre Blicke glitten dabei wiederum zurück zu jener Stelle, wo sie soeben das schwache Blinken wahrgenommen hatte …

Und – wieder sah sie es …

Sah, daß es die Spitze der blanken Klinge eines Taschenmessers war, die dort die Leinwand behutsam zertrennte.

Und sagte sich sofort, daß nur Roman Cervera, Generalkonsul und Lump sondergleichen, dort den Lauscher spielte …!

Derselbe Cervera, den sie zu fürchten hatte, der zu viel von ihr wußte, der ihr hier das Spiel verderben konnte.

In ihrer Seele glühte Triumph. In ihrem Hirn gewann der Vernichtungswille rasch die Oberhand …

Ein Weib wie sie, von Jugend an Abenteurerin, von Jugend an vom Schicksal durch alle Tiefen des Lebens geschleudert, schätzte ein Menschenleben für ein Nichts …

Und – nochmals gähnte sie leicht. Die Hand sank herab, verschwand in den Falten des bunten seidig glänzenden Vorhangs, der ihre nackten schlanken Glieder anstatt eines Kleides umhüllte.

Der Kabylen hatte ihr vohin mit einer tiefen Verbeugung den Dolch zurückgegeben, den sie Edgar Lomatz geraubt hatte.

Ein Dolchmesser war’s, ohne Parierstange am Griff, mit sehr breiter, langer und zweischneidiger Klinge …

In den Falten des Stoffes steckte die Waffe. Heiße Finger schmiegten sich jetzt um den Griff.

Und dann – wie ein Blitz zuckte der Arm hoch zur weit ausholenden Wurfbewegung.

Dicht über Abd el Sarfas Kopf hinweg sauste der Dolch …

Durchschlug das Leinen …

Draußen ein leiser Schrei …

Im Moment hatte der Kabylenführer begriffen.

Schnellte sich zum Zelt hinaus …

Fand an der Rückseite im Gebüsch … Ramon Cervera – einen Sterbenden. Die Waffe war ihm von der Seite in den Hals gefahren. Saß noch in der Wunde, aus der in Strahlen der rote Lebensaft hervorquoll …

Abd el Sarfa beugte sich über den Portugiesen. Der lag da mit verzerrtem Gesicht. wußte, daß der Tod ihn bereits in den Klauen hielt …

Der Mond leuchtete … Der Kabylen richtete sich mit einem verächtlichen Auflachen empor …

„Doch ein Verräter!“ und das galt mehr Mafalda Sarratow, die hinter ihm erschienen war.

Da stemmte der Sterbende mit letzter Kraft die Hände auf das harte Gestein, brachte den Oberkörper empor, stierte Mafalda mit bereits erlöschendem Blick durchbohrend an …

Worte suchte er zu formen …

Über die zuckenden Lippen drang ein schaumiger Blutstrom. Schwer schlug der Körper zurück. Die Büsche rauschten, und das Gesicht des Verscheidenden ward beschattet von grünen Zweigen mit gelben duftenden Blütentrauben.

So – – starb Ramon Cervera …

Starb als Opfer der Milliarden, wie schon viele vor ihm, – als Opfer jenes Goldes, das da einige Meilen gen Westen an San Miguels felsigen Küsten in den Tiefen des Atlantiks schlummerte, ein Drache, gierig, unersättlich, – die Pest der Welt! –

Der Kabyle und Mafalda standen vor dem Zelt. Abd el Sarfa hatte einigen der Seinen Befehl gegeben, die Leiche irgendwo zu verscharren.

Jener blondhaarige Krieger, der die Fürstin als erster vor dem Lager angerufen hatte, erschien jetzt und reichte seinem Anführer schweigend ein Bündel: den Inhalt der Taschen des Toten!

Darunter befand sich auch jene Skizze, die Steuermann Hartwich vor Jahren hier auf dem Eiland Formigas auf einem Stück Leder von dem Liegeplatz des Goldschiffes angefertigt hatte.

Abd el Sarfa kannte den Wert dieser primitiven Zeichnung. Wortlos schob er sie in die Tasche. Das andere des kleinen Bündels gab er dem blonden Kabylen zurück, dessen blaue große Augen Mafalda mit heißen Blicken immerfort streichelten.

Und die Fürstin Sarratow lächelte dazu …

Ihr besonderes Lächeln … Ein Sphinxlächeln, aus dem jeder herauslas, was den eigenen begehrlichen Wünschen entsprach.

Mafalda hielt es für ratsam, sich auch unter den Kriegern Abd el Sarfas eine Gefolgschaft zu sichern.

Man konnte nie wissen, was einst geschehen würde … –

Der blonde stattliche Kabyle zog sich zurück.

Nun erst wandte sich Abd el Sarfa mit kurzem Dank an die Abenteurerin. In seinen Worten klangen deutlich Bewunderung und jene Achtung mit, die gerade der wilde Sohn der nordafrikanischen Berge stets schneller, rücksichtsloser Entschlossenheit zollen wird …

„Wer mein Zelt beschleicht, ist mein Feind,“ schloß der Kabylen seine mit blumenreichen Redensarten durchwebten Sätze. „Sie aber, Fürstin, sind kein Weib vom Schlage unserer Frauen. – Kommen Sie, beraten wir. Das Gold des U-Bootes muß in kurzem unser sein!“ –

Mafalda Sarratow hatte gesiegt – wieder einmal! Selbst Abd el Sarfa streckte vor ihr die Waffen.

Und als der Morgen graute, dampfte die „Otritis“ einem der kleinen Fischerdörfer an der Westküste San Miguels zu.

Der Kabylenführer kannte es. Er hatte dort seine Freunde. Im tiefsten Winkel einer engen Bucht lag das Dorf, armselig, nichts als etwa zwanzig Stein- und Holzhütten.

Hier kaufte Abd el Sarfa einen großen gedeckten Kutter, das einzige Boot, das mit Hilfsmotor ausgerüstet war. Hier wurde auch die ‚Otritis’ in wenigen Stunden mit neuem Anstrich versehen. Ihre beiden Masten erhielten Schonertakelung. Ihre Aufbauten wurden ebenfalls geändert. Und zu beiden Seiten des Bugs prankte nun in grellem Weiß ein neuer Name: Mauretania.

Keine Zufallswahl Abd el Sarfas! Nein, – ein Motorschoner dieses Namens war einst an den Küsten der Kabylen gescheitert. Die Schiffspapieren hatte el Sarfa sorgfältig aufbewahrt … Nun halfen sie, der neuen ‚Mauretania’ für den Notfall gegenüber der flüchtigen Revision durch irgendein Kriegsschiff die üblichen Ausweise zu liefern. –

Mittags verließen die ‚Mauretania’ und der große Kutter bereits wieder die verschwiegene Bucht, trennten sich und strebten doch beide demselben Ziele zu, dem Vorgebirge Retorta an der Südseite von San Miguel, wo hundert Meter von dem steilen Kap entfernt U 45 mit seiner Goldladung in zwanzig Meter Tiefe ruhte.

Auf dem Kutter befanden sich außer Abd el Sarfa und Mafalda, die jetzt den Anzug eines Azorenfischers und eine Art Turban trug, noch sieben Kabylen.

Außerdem aber hatte das so harmlos aussehende Fahrzeuge auch jenen Taucheranzug sowie die dazugehörige Luftpumpe an Bord, die Pasqual Orettos Eigentum waren und die der nun zerstörte Doppeldecker M 12 bis nach Formigas getragen hatte.

Nachmittags fünf Uhr langte der Kutter in der Nähe der steilen, zerklüfteten Halbinsel Retorta an.

Die Kabylen, jetzt ebenfalls in braune Azorenfischer verwandelt, hatten zum Schein ein Schleppnetz ausgeworfen, das sie nun etwa an der Stelle, wo U 45 liegen mußte, unter den üblichen Gesängen einzogen.

Zwei Anker hielten den Kutter am selben Platze fest. Zwei Ferngläser suchten heimlich den felsigen Inselstrand und den blauen Äther nach irgend etwas Verdächtigem ab.

Mafaldas sagte zu el Sarfa, der neben ihr am dicken Maste des Kutters stand:

„Nicht zu bemerken – nichts!“

Der Kabylen nickte und ließ gleichfalls das Glas sinken.

„Meer, Strand und Luft sind leer … Wir können beginnen …“

Mafalda Sarratow, die einzige hier an Bord, die mit einer Taucherausrüstung umzugehen wußte, hatte die Leute schon vorher genau über alles Nötige unterrichtet.

Mochte sie auch eine Verbrecherin sein, Mut konnte ihr niemand absprechen!

Freiwillig hatte sie sich erboten, zum Wrack des Goldschiffes hinabzusteigen und festzustellen, wie man es am leichtesten entweder in flacheres Wasser schleppen oder aber die Goldkisten einzelnen emporwinden könnte.

Sie war sich vollkommen im klaren darüber, daß diese Untersuchung des U-Bootes ein ungeheures Wagnis darstellte. Sie selbst hatte noch niemals einen Taucheranzug getragen, und die Kabylen wieder brauchten bei der Bedienung der Pumpe nur den geringsten Fehler zu machen, und es war um die unter Wasser Befindliche geschehen!

Trotzdem zögerte diese in ihrer Art wohl einzig dastehende Abenteurerin nicht einen Augenblick, als es nun galt, den wasserdichten Anzug und all die anderen Ausrüstungsgegenstände in der kleinen Kajüte anzulegen. –

Fertig bis auf den noch festzuschraubenden Helm stand sie nun da. Nochmals unterwies sie die beiden Leute, die die Luftpumpe bedienen sollten. Einer von ihnen war der blondbärtige Kabyle. Mit angstvoller Aufmerksamkeit lauschte der baumstarke Marokkaner. Mafalda wußte, der Mann würde alles tun, um das Wagnis ungefährlich zu gestalten!

Abd el Sarfa wieder sollte die Signalleine in der Hand halten. Auch ihm erklärte die Fürstin nochmals die Bedeutung der Zeichen, die sie durch Rucke an der Leine geben würde.

Bevor sie dann den schweren Helm sich aufsetzen ließ, schaute sie durch das kleine Fenster der Kajüte in den Sonnenglanz des heißen Maitages hinaus – über die See hinweg – hinüber zu den dunklen Felsenufern der Insel – zu den grünen Büschen und Bäumen.

Sonne – Luft – Licht – Grün – alles Zeichen des Lebens!

Und sie selbst – – sie selbst würde nun dort in zwanzig Meter Tiefe mit dem Tode spielen!

Auch an Viktor Gaupenberg dachte sie …

An den Mann, den sie liebte und begehrte, – wie eben nur eine Mafalda lieben konnte!

Sie ahnte, daß die Sphinx in der verflossenen Nacht die Dorgas-Klippe aufgesucht hatte, um nach Steuermann Hartwich und Pasqual Oretto zu suchen. Sie hielt die beiden für tot. Der Dreimaster war von der Besatzung der „Otritis“ in Brand gesteckt worden. –

Gaupenberg – – Gaupenberg …!!

Ihr Herz wurde seltsam weich …

Ihr Sehnen flog hinüber zu dem Manne, der für sie nun verloren war …

Vorläufig – – vorläufig!

Und dann rief sie den Kabylen zu:

„Her mit dem Helm! – Und nachher zunächst noch eine Probe hier über Wasser, eine zweite, wenn ich dicht unter der Wasseroberfläche an der Strickleiter hänge.“ –

Alles ging gut …

Die intelligenten Kabylen bedienten die Luftpumpe tatenlos.

Genau um halb sechs Uhr nachmittags gab Mafalda mit der Signalleine das Zeichen, daß sie nun vollends hinabsteigen würde.

Allmählich verschwanden auch die Umrisse des Taucherhelmes in der grünen schleiernden Flut. – –

* * *

Luft, Meer und Strand waren nicht leer und einsam …

Zunächst lag im dichten Gebüsch der bewaldeten Steilküste unweit des Vorgebirges der durch abgehauene Äste und Zweige noch besser gegen Sicht geschützte Maxim-Doppeldecker M 17.

Drei seiner Insassen aber hatten dicht am Kap auf einer Felsterrasse hinter Steinen und Blöcken ein sicheres Versteck gefunden.

Seit vielen Stunden beobachteten von hier aus Edgar Lomatz, Alfonso Jimminez und der Sennor Targossa, Botschaftsrat der glorreichen Mulattenrepublik Patalonia mit Hilfe guter Ferngläser das Meer.

An Bord von M 17 war also nur der Pilot Alexander Grieb zurückgeblieben. Man hatte ihn nunmehr notgedrungen in die wahren Ziele dieses abenteuerlichen Fluges eingeweiht, und zu der anderen maßlosem Erstaunen hatte der kleine sehnige Kerl darauf hin erklärt – in unverfälschten Berliner Jargon, offenbar um seine Verachtung noch stärker zu betonen:

„Jold – Kisten Jold?! Wat koof ick mir dafor, so lang der Dreck noch im Wasser liegt?! Klauben Sie det Zeigs erst aus ‘n Ozean raus, und dann können Se mir ja sone Mütze voll davon abjeben. Bis dahin aber jeht mir der Zimmt nischt an. Ick bin Pilot und nich Joldsucher!“

Und das war in der Tat auch eine ehrliche Absicht. So helle er auch war, nach irdischen Gütern verlangte ihn nicht! Wenn er sein gutes Essen und Trinken und Rauchen hatte, war er zufrieden!

Und so saß er denn auch jetzt neben M 17 außerhalb des Dickichts auf einem flachen Steinblock und rauchte Zigaretten, seine einzige Leidenschaft!

Freute sich über die fast halbmeterlangen Azoreneidechsen, von denen zwei, buntschillernd wie Papageien, auf einem Steine sich sonnten und den deutschen Piloten unverwandt anglotzten.

Bis leider dieses Idyll durch ein lautes Rauschen in den Büschen gestört wurde, und Edgar Lomatz schweißtriefend neben Alexander Grieb erschien.

„Nanu – was ist denn los?!“ fragte der Pilot gemütlich. „Immer langsam voran, Herr Lomatz …! Wer zu hastig ist, der …“

„Behalten Sie Ihre Weisheit für sich!“ fauchte der andere wütend. „Die verfluchten Kabylen sind da, ankern genau über der Liegestelle des Goldschiffes und haben soeben einen Taucher in die Tiefe geschickt …!“

„Na ja, – und nun?!“ meinte Grieb ebenso kaltschnäuzig. „Gegen die braunen Helden kommen Sie doch nicht auf, Verehrtester! Oder wollen Sie sich vielleicht den Hals abschneiden lassen?!“

Lomatz warf ihm einen giftigen Blick zu.

Daß jemand so in nächster Nähe von Milliarden ruhig Blut bewahrte, erschien ihm einfach unbegreiflich. Er fühlte auch, daß Grieb ihn seiner Goldgier wegen geradezu verspottete.

„Sie vergessen das … Maschinengewehr!“ triumphierte er dann. „Wozu haben wir denn die Kugelspritze an Bord?! Die braunen Schufte werden sich wundern, wenn wir plötzlich vom Vorgebirge aus dazwischenpfeffern! Verdammt werden die sich wundern! – Vorwärts – helfen Sie mir, Grieb! Ich habe es eilig …“

Und er turnte auf das Gondeldeck des Maxim-Flugzeuges, verschwand durch die Luke in der Kabine.

Alexander Grieb blieb sitzen.

Dachte gar nicht daran, sich in so faule Geschichten tätig einzumengen. Nein – schon gestern die Verfolgung des anderen Doppeldeckers war wenig nach seinem Geschmack gewesen. Das ihm angebotene Geld hatte er nachher zurückgegeben. Er hatte sich die Sache gründlich durch den Kopf gehen lassen und er wollte sich in keiner Weise die Finger verbrennen! Ja nicht! Er war Angestellter der Maxim-Werke. Und seine Aufgabe und Pflicht war lediglich die Führung des Doppeldeckers.

Lomatz brüllte aus der Luke hervor:

„Teufel, so kommen Sie doch, Grieb!“

„Ne, Männeken, schleppen Sie sich nur allein mit der Mordmaschine. Ich bleibe neutral, und da können Sie Ihr ganzes Register von Verwünschungen aufziehen!“

Lomatz wetterte denn auch wie ein Unsinniger.

Keuchend trug er erst das Gestell der Kugelspritze auf festen Boden, dann das eigentliche Maschinengewehr, schließlich zwei Kästen mit Patronenstreifen.

„Das werden wir Ihnen nicht vergessen, Grieb!“ brüllte er den Piloten krebsrot vor Wut an.

„Na – wenn schon!“

Und Alexander Grieb steckt eine neue Zigarette in den Mund.

Da rauschte es abermals im Gestrüpp. Der kleine dicke Targossa kam …

Auch keuchend und schwitzend …

Sein gelbbraunes Mulattengesicht fieberte im Spiel der Muskeln.

Die Goldgier flirrte in seinen schwarzen Äuglein …

„Wo bleiben Sie denn, Lomatz! Das dauert ja ewig!“ schnaubte er.

Und erblickte den beschaulich dasitzenden Grieb …

Staunte – tobte …

Grieb lachte. Für ihn war dieser Targossa nur ein besserer Nigger. Nichts weiter. Als der nun aber in seiner besinnungslosen Grobheit den Piloten einen feigen Lump nannte, da schnellte das sehnige Kerlchen von seinem Steine hoch …

Seine Hand fuhr nach der Schlüsseltasche der Beinkleider …

Aber – er besann sich …

Sagte nur verächtlich:

„Ein Kerl wie Sie kann mich gar nicht beleidigen!“

Setzte sich wieder.

Und die beiden schwer bepackten Helden zogen ab … –

Grieb wußte, was er zu tun hatte. M 17 war für vierzehn Tage gemietet zu einer Fernfahrt.

Zu einer Fernfahrt, nicht aber zu derlei Geschichten! – Und das Geld war bezahlt – auf Heller und Pfennig. Nichts also stand dem im Wege, daß Grieb aus diesen Geschehnissen die kaum anfechtbare Berechtigung herleitete, mit M 17 heimzukehren. Die Direktoren der Maxim-Werke würden das nur billigen. Und da er den drei Schuften nun mal sein Ehrenwort gegeben, über den Schatz zu schweigen, würde er eben von dem Goldschiff nichts erwähnen. Die Sache ließ sich ja auch so genügend schwerwiegend darstellen. Überfall auf ein Schiff, Maschinengewehr – – und so weiter! –

Der kleine Grieb war ein Mann der Tat. Er zögerte keine Sekunde länger. Kletterte in die Gondel, warf Koffer, Mäntel und alles, was den dreien gehörte, in das Gras und entfernte die Zweige und Äste, schob M 17 mühsam auf die weite Lichtung hinaus und füllte dann den Benzinbehälter nach …

Plötzlich – er war gerade wieder an Deck gekommen und hatte den Propeller geölt – trug der Südwind ihm den Knall rasch aufeinander folgender Schlüssel zu …

„Lumpenpack!“ murmelte er. „Beinahe hätten die Schufte mich mit in ihre unsauberen Geschäfte hineingezogen!“

Gleich darauf rollte M 17 an …

Dicht über dem Plateau strich der Doppeldecker hinweg gen Norden, schraubte sich höher, entschwand rasch …

Und als Grieb dann den Kurs änderte und mehr nach Osten steuerte, zeigte sich plötzlich keine zweihundert Meter seitwärts ein graues spindelförmiges Luftboot, das mit unheimlicher Geschwindigkeit im Sturzflug herbeigeschossen kam …

 

50. Kapitel.

Die goldene Brücke.

Mafaldas Sarratow hatte eine elektrische Laterne mit auf den Meeresgrund genommen, die durch Akkumulatoren gespeist wurde.

Das Ende der Strickleiter, an der sie in die Tiefe hinabgestiegen war, reichte nicht ganz bis auf den felsigen Grund. Vorsichtig ließ Mafalda sich nun vollends hinab, bekam festen Boden unter die dicken Bleisohlen der plumpen Taucherschuhe und schaute sich erst einmal hier in dieser ihr völlig fremden Umgebung genauer um.

Das Laternenlicht hatte sofort eine Menge Fische herbeigelockt, die zum Teil dicht vor dem Helmfenster hin und her schwammen.

Der Meeresboden, nackter Fels, zeigte ganz spärlichen Pflanzenbewuchs. Nur in weiten Abständen wucherten hohe Algen und andere Tiefseegewächse, deren Blätter und Ranken in andauernder Bewegung waren.

Mafaldas Sarratow fand sich sehr schnell in all das Ungewohnte, Neue hinein. Zunächst hatte der starke Wasserdruck in dieser Tiefe ihr merkliches Unbehagen bereitet. Doch das ging schnell vorüber. Herz und Lungen beruhigten sich. Auch Mafaldas Nerven zeigten sich diesem Wagnis durchaus gewachsen.

Immer deutlicher unterschieden ihre Augen Einzelheiten der unregelmäßigen Bodengestaltung.

Mächtige Felstrümmer lagen überall umhergestreut. Und als sie sich nun umdrehte, gewahrte sin auch weit vor sich einen verschwommenen dunklen Schatten von Spindelform, der auf zwei enormen Steinklötzen ruhte: U 45, das Goldschiff!

Ohne Zweifel war es das U-Boot. Und – seltsam genug – es hatte sich hier unten wie auf zwei Stützen gelagert, so daß man unter ihm hinwegschreiten konnte.

Noch hatte Mafalda sich an derselben Stelle gehalten. Noch saß ihr doch so etwas wie bange Angst im Herzen.

Aber der Anblick des Goldschiffes dort beseitigte auch diesen Rest von Unbehagen.

Es war nicht etwa die Goldgier des gewöhnlichen Verbrechers, die geradezu anfeuernd auf die Fürstin Sarratow wirkte. Nein – ihr Verlangen nach den Milliardenschätzen entsprang lediglich dem Wunsch, im Leben eine große Rolle zu spielen, über ungeheure Machtmittel zu verfügen und an der Seite eines Mannes, der ihr in der äußeren Erscheinung gleichwertig, den Neid der ganzen Welt zu erregen.

Ihre Goldgier war etwas Verfeinertes, Durchgeistigtes. Es entsprang vollständig ihrer besonderen Abenteurernatur, daß der Gedanke an Luxus und Wohlleben bei ihrer mehr zurücktrat. Machthunger war’s, der in ihrer verderbten Seele hauptsächlich wohnte. Und jetzt, wo sie den durch Granaten zerfetzten Stahlbehälter der Goldmilliarden so dicht vor sich hatte, schwoll ihr Herz in jäh aufflammenden zügellosen Phantasien einer märchenhaften Zukunft.

So hob sie denn den bleibeschwerten und hier in dieser Tiefe doch so leichten Fuß zum ersten Schritt …

Vorsichtig ging sie. Immer den Boden ableuchtend. Ihre Nerven waren nicht mehr vibrierende Fädchen eines zarten Frauenleibes. Das waren die durch ein wildbewegtes Dasein gehärteten Nerven einer Mafaldas Sarratow.

Sie zählte die Schritte.

Zwanzig nur waren’s. Dann stand sie dicht neben dem U-Boot.

Hob den Arm. Ließ den Laternenschein über den Schiffsrumpf gleiten …

Sah, daß U 45 seitlich auf den beiden Blöcken lag, das Deck ihr zugekehrt – den niederen Kommandoturm, die beiden anderen Luken und … die drei Granatlöcher.

Nur stellenweise hatten sich auf dem Wrack Muscheln und Meerespflanzen angesiedelt. Immerhin wogten diese im Wasser hochaufgerichteten Tiefseegewächse andauernd hin und her, so daß es schien, als ob das Wrack selbst sich bewegte.

Mafalda umwanderte nun das Goldschiff. Ebenso vorsichtig. Schritt für Schritt. Stets den Boden vor sich genau musternd. Immer noch begleitet von Schwärmen von Fischen.

Und – – stutzte plötzlich …

Sah dicht vor sich an der völlig veränderten Färbung des Meeresgrundes, daß hier irgend ein Neues zu beachten war.

Wie ein schwarzer Strich lief es an dieser anderen Seite des Wracks hin. Wie ein breiter Strich … Endlos breit …

Und dieser Strich zeigte keinerlei Pflanzenwuchs, keinerlei Felsstücke …

Da senkte Mafalda die Laterne tiefer. Kniete nieder …

Tastete mit der Rechten vorwärts, beugte sich weit vor …

Und – fasste … ins Leere …!

Ein Abgrund also. Ein Abgrund auf dem Meeresboden …!

Drei Meter nur weiter nach Norden, und das U-Boot wären in diese Kluft gesunken …

Dann – hätte niemand mehr das Gold bergen können. Dann wäre es verloren gewesen – – für immer!! –

Mafalda erhob sich …

Eisesschauer überrieselten sie …

Sie dachte an das Entsetzliche, was ihr bevorgestanden, wenn sie unvorsichtig, blindlings weitergegangen wäre!

Ein Sturz in den Abgrund!!

Gewiß, an dem breiten Gurt um ihre Hüften waren die beiden starken Leinen befestigt …

Aber – der Sturz dort in die Tiefe, der plötzlich vermehrte Wasserdruck hätte ihr die Blutgefäße gesprengt. Nur eine Tote oder Sterbende würden die Kabylen emporgehißt haben …!

Eisesschauer fühlte sie …

Und – wurde noch vorsichtiger …

Der Schreck über die dunkle Tücke des Meeresgrundes hatte selbst ihre Nerven erzittern lassen …

Allerlei Erinnerungen an das, was sie je über Tauchererlebnisse gelesen, gehört, durchkreuzten als wirre Drohungen ihr Hirn.

Jetzt hatte sie hier an dieser Seite des U-Bootes halt gemacht. Hier kehrte das Goldschiff ihr den Boden zu.

Und wieder hob sie die elektrische Laterne …

Beleuchtete nun die beiden steinernen Stützen. Suchte nach einer Möglichkeit, an ihnen emporzuklimmen.

Und fand nichts, was an den steilen Wänden der drei Meter hohen Felswürfel Hand und Fuß einen Ruhepunkt gewährt hätte. Keine Spalten, keine Vorsprünge …

Ging weiter …

Hindurch durch das seltsame Tor …

Und – dachte daran, daß nun genau über ihr die Milliarden lagen – das Gold – das verderbliche Gold …

Genau über ihr …

Dachte jedoch nicht ein anderes … rechnete nicht damit, daß nun der Luftschlauch und die Signalleine sowie das stärkere Aufzugstau nicht mehr direkt nach oben liefen, sondern die Biegung um den einen Block mitgemacht hatten …

War zu unerfahren, um dies zu beachten. War zu sehr von dem Wunsche beseelt, eindringen zu können ins Innere des Wracks …

Stand jetzt abermals auf der anderen Seite, das Deck dicht vor sich, den Turm, die Granatlöcher …

Musterte die Felswürfel genau. Und sah, daß hier die Möglichkeit gegeben, den einen zu erklimmen …

Packte eine Felszacke, hob den Fuß, schwang sich empor …

Packte die nächste Zacke …

War nun oben angelangt auf der Steinplattform, neben sich das … eine Granatloch …

Und … wich etwas zurück …

Zwischen den zerfetzten Stahlplatten war da ein Totenschädel festgeklemmt …

Ein Schädel, der die Fürstin Sarratow anzugrinsen schien …

Schädel eines der Braven, die mit U 45 in die Tiefe gegangen … –

Mafalda stierte auf den weißen Totenkopf …

Wie eine Warnung empfand sie diesen Anblick …

Wie ein Vorzeichen böser Zwischenfälle …

Und dann …

Dann – – spürte sie von oben her einen gewaltigen Ruck an der Signalleine, auch am Aufzugstau …

Und gleichzeitig merkte sie, daß die Luftzufuhr stockte …

Noch ein Ruck …

Und beide Taue wurden schlaff …

Da war die Fürstin schon in besinnungsloser Angst am Steinwürfel wieder hinabgeklettert …

Vergaß, daß sie erst wieder das … goldene Tor durchschreiten mußte, um sich hochziehen zu lassen …

Fühlte, daß noch immer die Luftpumpe nicht wieder arbeitete. Fühlte, daß das Blut ihr in den Ohren sauste, brauste, donnerte …

Anzeichen der nahenden Erstickung …

Eilte vorwärts …

Und die Leinen strafften sich … Sie konnte nicht weiter. Erkannte das verderbliche Versehen, machte kehrt …

Taumelte …

Taumelte … Und ihr letzter klarer Gedanke war:

‚Auch du – auch ein Opfer des Goldes, – – auch du!’ –

* * *

Oben aber, zwanzig Meter höher, spritzte die Kugelsaat über den Kutter der Kabylen hin …

Mähte braune Krieger wie armselige Halme …

Durchschlug Abd el Sarfas linken Arm …

Hörte nicht auf mit singendem Pfeifen rasender Geschosse …

Durchsiebte den Kutter …

Löschte das Leben tapferer Kämpfer, die den heimtückischen Gegner nicht einmal sahen.

Tot lagen Abd el Sarfas Leute. Nur er selbst lebte noch und jener Blonde, jener blauäugige, der mit Recht als seine Ahnen wilde Westgoten bezeichnen durfte.

Der Blonde hatte bis zuletzt die Luftpumpe bedient. Hatte sich erst niedergeworfen, als sein Führer ihm zurief, sich doch hinter der Pumpe zu decken …

Und weiter fegte der Kugelregen über das Deck …

Nickelmantelgeschosse zerstoben an den Eisenteilen der Luftpumpe. Tote, die sich nicht mehr regten, wurden aufs neue durchbohrt.

In satanischer Freude lag Edgar Lomatz auf der Terrasse des Vorgebirges hinter dem knatternden Maschinengewehr und ließ den Mechanismus weiterspielen, bis auch der zweite Ladestreifen vollends verbraucht.

Da erst verstummte die Kugelspritze. Da erst sagte Alfonso Jimminez, der Riese, mit grimmem Hohn zu Edgar Lomatz:

„Gut so! Denen haben wir’s besorgt! Die werden keinen Finger mehr ausstrecken nach dem Azorengolde!“

Und der dicke Mulatte Targossa, Botschaftsrat und Lump ohnegleichen, krähte japsend:

„Tot sind sie – alle – alle! Keiner rührt sich mehr! – Nun hin zu unserem Maxim! Und dann nehmen wir den Kutter für uns! Holen den erstickten Taucher heraus …! Holen … das Gold – das Gold!“

Und die drei sprangen empor …

Verschwanden im Walde …

Einer sah sie vom blutigen Deck des Kutters aus: der blonde Kabyle …!

Und wußte, daß die Gefahr nun vorläufig vorüber.

Schnellte hoch, der einzige nicht Verwundete …

Mafalda retten! – Das war sein Denken, Handeln …

Packte das Tau …

Zog … zog …

Und die reglose Last dort in der Tiefe schwebte empor …

Reglos …

Reglos schwamm Mafalda auf der Wasseroberfläche.

Der Blonde hatte das Tau um einen Pflock geschlungen. Kletterte die Strickleiter hinab. Bekam die Fürstin zwischen nervige Fäuste. Löste die schweren Bleisohlen, nahm die schlaffe Gestalt in seine Arme und stieg wieder zur Decke empor.

Abd el Sarfa rief ihm zu:

„Den Helm abschrauben! Schnell …!!“

Er selbst war Krüppel …

Eine zweite Kugel war ihm noch durch die rechte Schulter gefahren …

Sitzend lehnte er am Mast … Blutend, kraftlos …

Und der Blonde löste die Flügelschrauben …

Hob den Helm vom Kopfe der Wagemutigen …

Schaute in ein blaugedunsenes Antlitz …

„Muley Nassam,“ rief der Führer wieder, „schaffe uns im Beiboot an den Strand! Schnell! Bevor die feigen Schurken uns vollends abtun!“

Und Nassam riß der Fürstin den schweren Gummianzug vom Leibe …

Trug sie in den winzigen Nachen, den der Kutter im Schlepptau gehabt … –

Das Beiboot war wenig später an der Steilküste. Eine schmale, kaum drei Meter breite Bucht bot bequem Einfahrt. Dort hinein lenkte Nassam den Nachen, drückte ihn durch den engen Kanal immer weiter, bis dieser sich zum steilumrandeten Binnensee öffnete …

Hier trug er das Weib und den Führer ins Gebüsch. Zog das Boot gleichfalls in die Sträucher. Bemühte sich um die Fürstin.

Mafaldas Sarratow gab kein Lebenszeichen mehr …

Sie war tot …