Die Sphinx hatte die Insel Formigas immer wieder überflogen.
Als Gaupenberg überzeugt war, daß eine Landung vollkommen ungefährlich, ließ er das Luftboot unweit der südlichen Hauptbucht auf einem breiten flachen Streifen eines Bergabhanges landen.
Georg Hartwich, Knorz und Pasqual Oretto brachen dann sofort zu einem Erkundungsgang auf.
Gut bewaffnet, die Karabiner stets schußbereit, schritten sie in Abständen von hundert Meter, um bei einem Überfall nicht gleichzeitig niedergeschossen zu werden, unter Beobachtung aller erdenklichen Vorsichtsmaßregeln zunächst gen Süden.
Hartwich machte den Führer.
So gelangten sie auch nach jener Schlucht, wo Edgar Lomatz mit M 12 gestern gelandet war, wo er dann Mafalda Sarratow in der Kabine Zuflucht gewährt und wo ihn schließlich Alfonso Jimminez gewarnt hatte vor den nahenden Kabylen. –
Hier fanden die drei Männer jetzt die Überreste des M 12.
Viel war von dem Doppeldecker nicht mehr übrig. Der Motor und der Propeller fehlten. Die Tragflächen waren zertrümmert. Im Innern war alles Mitnehmenswerte entfernt worden.
Dann erreichten die drei die Südbucht. Hier war es Pasqual Oretto, dessen scharfe Augen einen Steinhügel mißtrauisch musterten.
„Sollte mich wundern, wenn darunter nicht eine Leiche läge,“ meinte der Portugiese.
„Sehen wir nach,“ erklärte Steuermann Hartwig. „Wir dürfen nichts unbeachtet lassen – nichts!“
Und Steine, Sand und welke Zweige bedeckten an dieser Stelle den reichen Sennor Ramon Cervera, Generalkonsul der rühmlichst unbekannten südamerikanischen Farbigen Republik Patalonia.
Den reichen Ramon Cervera … Einst Besitzer der schmucken Jacht „Otritis“, einst rühriger Geschäftsfreund des edlen Don Porfirio Estremaldo, des Mädchenhändlers, der nun als Krüppel in seiner Banditenspelunke am Monte Junto über den Fluch der Goldgier nachdenken konnte.
Aber Cervera war es noch schlimmer ergangen …
Cervera war Mafaldas Dolchmesser in die lügnerische Kehle gefahren, und nun hatte er hier auf Formigas ein armseliges einsames Grab gefunden. –
Pasqual Oretto erkannte den vornehmen Herrn, der in Lissabon eine große Rolle gespielt hatte – natürlich als untadeliger Ehrenmann.
„Einen Schurke weniger,“ sagte Pasqual kalt „scharren wir ihn wieder ein.“ –
Und die drei wanderten weiter.
Spuren gab’s hier an der Bucht übergenug.
Spuren, die schließlich auch das Geheimnis der steilen Süduferwand aufdeckten: die Höhle, in der die Waffenkisten von dem Vertreter der mexikanischen Firma untergebracht gewesen waren.
Hier hielten die Männer sich nicht lange auf.
Nach einer Stunde etwa war der Erkundungsgang beendet. Er hatte die Lage vollends geklärt. Das Eiland war von den Kabylen geräumt worden! Die „Otritis“ und die Brigg sowie das Motorrettungsboot des ‚Connecticut’ waren verschwunden.
Die Sphinx stieg wieder auf.
Da Gaupenberg und Hartwich damit rechneten, daß die Gegner bereits am Vorgebirges Retorta weilen könnten, beschrieb das Luftboot in tiefem Fluge einen meilenweiten Bogen nach Süden, schwenkte dann erst nach Westen ein, änderte wieder den Kurs und näherte sich, jetzt in zweitausend Meter Höhe schwebend, der Nordküste von San Miguel.
Und um dieselbe Zeit war der Maxim Pilot Alexander Grieb, der von einer weiteren Gemeinschaft mit Lomatz, Jimminez und dem Nigger Targossa nichts wissen wollte, mit M 17 von der Südküste der Insel heimlich aufgestiegen und hatte sich heimwärts gewandt gen Nordwest …
Hatte plötzlich von rechts her die in rasendem Sturzflug nahende Sphinx bemerkt und sah nun das Luftboot dicht vor sich mit gleichem Kurse den Äther durchschneidend.
Drüben an Deck erschien Steuermann Hartwig.
Er sah, daß im Führerstand von M 17 nur ein einzelner Mann sich befand, der nun das eine Fenster öffnete und lebhaft winkte. – Grieb hatte ja ein völlig reines Gewissen, und er wollte zu gern die beiden Hauptverteidiger des Azorenschatzes, den Grafen und Hartwich, kennen lernen …
Erspähte nun auch drüben hinter den kleinen runden Scheiben der Backbordwand Frauengesichter … –
Da tauchte schon neben dem Steuermann Gottliebs kleine hagere Gestalt auf, führte ein mächtiges Sprachrohr aus Aluminiumblech an den Mund und brüllte dem Piloten zu:
„Wir werden ihren Doppeldecker mit Kette und Haken einfangen! Erschrecken Sie nicht, wenn M 17 plötzlich nach oben gezogen wird. Stellen Sie dann den Motor ab.“
Grieb hatte ja von Lomatz schon allerlei über die geheimnisvolle Sphinxröhre, diesen Lebensnerv des Luftbootes, gehört.
Er war gespannt, ob die Sphinx tatsächlich so viel Auftrieb besäße, daß sie den an Kette und Haken hängenden Doppeldecker tragen könnte.
Gaupenberg strich mit der Sphinx jetzt ganz dicht über M 17 hinweg. Die Kette, von Deck aus durch Hartwich gelenkt, sank herab. Der mächtige Haken krallte sich unter dem gewölbten Lukenrand der Gondel fest.
Dann stieg die Sphinx. Straffer spannte sich die Kette. Der Haken hielt, glitt nicht ab.
Und Grieb hatte genau achtgegeben. Als er fühlt, daß M 17 nun wirklich nicht mehr frei dahinglitt, daß die Kette mit kräftigem Ruck die Verbindung zwischen beiden Fahrzeugen herstellte, ließ er die Luftschraube allmählich die Umdrehung verringern und stellte den Motor schließlich ganz ab.
Kein Zweifel, M 17 hing nun unter der Sphinx als schweres Gewicht! Und doch blieb das Luftboot in derselben Höhe wie bisher!
Grieb eilte nach oben.
Ein dickes Tau pendelte schon von der Sphinx herab. Der Pilot schlang es sich um den Leib und wurde dann hinaufgezogen.
Jetzt stand er den beiden Männern gegenüber, von denen Lomatz stets mit Ausdrücken wildesten Hasses gesprochen.
Im runden Führerstand des Flugbootes lernte Grieb so den Grafen und Steuermann Hartwig kennen.
Auch Pasqual Oretto, Gottlieb und Fator wohnten dem nun folgenden Verhör des Piloten bei.
Grieb gab auf alle Fragen bereitwilligst Antwort.
So erfuhren denn die Männer der Sphinx allerlei, was für sie höchst wichtig: daß die Kabylen und Mafalda Sarratow mit einem großen Fischkutter über der Liegestelle des Goldschiffes ankerten, daß sie einen Taucher in die Tiefe hinabgeschickt hatten und daß Lomatz, Jimminez und Targossa mit einem Maschinengewehr den Kutter unter Feuer genommen. –
Gaupenberg merkte bald, daß der kleine sehnige Pilot ein Mann war, auf dessen Wort man sich verlassen konnte. Er bat ihn um die ehrenwörtliche Zusage nach seiner Rückkehr, das Geheimnis des Schatzes genau so wie die besonderen Eigenschaften der Sphinx zu verschweigen.
Grieb erklärte daraufhin schlicht:
„Herr Graf, jetzt wo ich weiß, was Sie mit dem Golde beabsichtigten, – daß die Milliarden unserem gemeinsamen Vaterlande helfen sollen, über die traurigen Folgen des verlorenen Krieges rascher hinwegzukommen, wäre ich ja ein elender Lump, wenn auch nur ein Sterbenswörtchen über meine Lippen käme, daß Ihre heilige Mission irgendwie gefährden könnte.“
Gaupenberg drückte Grieb warm die Hand.
„Ich danke Ihnen, Landsmann …! Gleichzeitig wünsche ich Ihnen glückliche Heimkehr. – Klettern Sie wieder hinab auf M 17. Die Sphinx hat es eilig.“
Aber ein anderer wollte Grieb noch insgeheim sprechen: Fator, der Rätselhafte!
Sagte zu ihm: „Ein paar Minuten nur, Herr Grieb … Oben an Deck hätte ich einen Auftrag für Sie …“
Die beiden standen dann neben der Vorderluke – allein an Deck …
Und Fator flüsterte:
„Herr Grieb, hier haben sie Reisegeld. Bitte – nehmen Sie nur … Sobald Sie in Berlin eingetroffen sind, reisen Sie nach der Gaupenburg. Dort in nächster Nähe liegt die Ruine der Burg Sellenheim, in der ein gewisser Doktor Dagobert Falz einsam als Sonderling haust …“
Noch leiser flüsterte Fator, der mit dem Einsiedler von Sellenheim eine so verblüffende Ähnlichkeit hatte.
Und erstaunt betrachtete Grieb nun den Rätselhaften …
Nickte – reicht ihm die Hand. –
Die Sphinx und M 17 trennten sich. Auch das gelang ohne Schwierigkeiten.
Und in rasender Fahrt jagte nun das Luftboot wieder zurück zur Nordküste von San Miguel, senkte sich tiefer und überflog die Insel.
Als die Sphinx in geringerer Höhe über jene seeartige Bucht dahinschoß, in der Muley Nassam, der blonde Kabyle, seinen Anführer und die Leiche Mafaldas eben erst in Sicherheit gebracht hatte, holte Nassam gerade Wasser vom Buchtstrande, um die Schußwunden Abd el Sarfas zu reinigen und dann zu verbinden.
Zahlreiche Augenpaare beobachteten von der Sphinx aus alles, was hier am Küstenstrich von San Miguel so dicht am Kap Retorta vorging.
So wurde auch Nassam bemerkt, und sein tiefbraunes Gesicht, sein offenbarer Schreck beim Anblick der Sphinx und seine rasche Flucht in die Büsche veranlaßten Gaupenberg, das Luftboot in kurzer Schleife auf dem Becken landen zu lassen.
Wieder waren es Hartwich, Gottlieb und Pasqual, die nun die Sphinx eiligst verließen und in das Gestrüpp eindrangen.
Auf einer kleinen schattigen Lichtung fanden sie die beiden Kabylen und die tote Mafalda.
Nassam und Abd el Sarfa dachten nicht an Widerstand.
Der Kabylenführer war auch ehrlich genug, in Kürze alles Nötige zu berichten. Nur eins verschwieg er, daß die Jacht „Otritis“ jetzt, äußerlich völlig verändert, als Motorschoner ‚Mauretania’ in der Nähe kreuzte! –
Das lange Ausbleiben der drei Gefährten beunruhigte Gaupenberg so sehr, daß er Fator bat, doch einmal ebenfalls an Land zu gehen und sich zu überzeugen, weshalb Hartwich und seine Begleiter noch immer nicht zurückgekehrt waren.
Fator, der Rätselhafte, betrat so dieselbe Lichtung, sah Mafaldas Sarratows leblose Gestalt, das bereits totenbleiche Antlitz und war mit schnellen Schritten, ohne die anderen zu beachten, neben der Leiche, kniete nieder, fühlte den Puls und rief Steuermann Hartwig dann leise zu:
„Bitte – einen Augenblick, Hartwich …“
Der stand nun vor ihm.
„Hartwich,“ raunte Fator hastig, „Geben Sie mir das Fläschchen, das Elexier der Erweckung … Ich glaube nicht, daß bereits jeder Lebensfunke bei Mafalda Sarratow erloschenen ist. Und es ist unsere Pflicht, alles zu tun, sie wieder zum Bewußtsein zu bringen, – eine Pflicht, die in diesem Falle …“ –,Seine Stimme klang plötzlich ganz anders – „desto ernster ist, als Mafaldas Geschick noch nicht erfüllt sein kann – nicht erfüllt sein darf!“
Hartwich hatte finster die Stirn gegraust. Wollte ausweichend antworten. Alles in ihm sträubte sich dagegen, daß diese Mörderin und Verbrecherin abermals ihre Ränke weiterspinnen sollte …
„Hartwich,“ sagte da der hageren rätselhafte noch eindringlicher, „wollen Sie vielleicht vor Ihrem eigenen Gewissen als Totschläger dastehen?! Denn Totschlag ist’s, wenn ich jemanden, der vielleicht noch zu retten ist, vollends – verrecken lasse!“
Da faßte der Steuermann in die Tasche und holte das Fläschchen hervor …
Dasselbe Fläschchen von der Form eines nackten Menschen, das er aus dem Schranke mit dem Totenkopf in den Grotten der Dorgas-Klippe herausgenommen hatte und dessen grüner Inhalt sowohl Pasqual Oretto als auch Silvia Gonzalez, die Spanierin, wieder ins Leben zurückgeführt hatte.
Fator hob Mafalda empor und trug sie rasch eine Strecke weiter auf eine andere Lichtung, nachdem er Hartwich noch geraten hatte, sofort zur Sphinx zurückzukehren und ihn erst später von hier wieder abzuholen.
Nun war Fator mit der Fürstin allein.
Allein wie damals im Laboratorium des Dreimasters, als er ihr so warnende Worte zugerufen hatte.
Kniete wieder neben ihr …
Träufelte ihr zehn Tropfen aus dem Fläschchen auf die Zunge …
Hörte er an dem fernen Surren der Luftschrauben, daß die Sphinx wieder aufstieg.
Seine Blicke ruhten unverwandt auf den leichenhaften Zügen Mafaldas.
Er wartete …
Wartete – nicht allzu lange …
Auch hier blieb die Zauberwirkung des Elexiers des großen Alchimist Parazelsus nicht aus …
Mafaldas begann wieder zu atmen…
Die Wangen bekamen Farbe …
Sie erwachte …
Und neben ihr im Grase saß Fator, der Rätselhafte …
Und hinter Fator am Rande der Büsche lag Muley Nassam, der blonde Kabyle, den Revolver in der braunen sehnigen Hand …
Beobachtete alles …
Sah, daß der Weiße die schöne tapfere glutäugige Sennora jetzt etwas aufrichtete.
Mafalda stierte Fator lange – lange in das seltsam ernste, durchgeistigte Gesicht …
„Wer … wer sind Sie?“ lallte sie mühsam, und ihr Antlitz drückte eine Angst aus, als ob sie dem Tode in die Augen starrte.
Fator erwiderte – ohne jede theatralische Färbung im Ton, eher schmerzlich, jedenfalls aber mit eindrucksvollem Ernst:
„Wer ich bin, Mafalda Sarratow? – Ich bin derselbe, der Ihnen im Laboratorium des ‚Connecticut’ ein grauenvolles Ende prophezeite …“
Mafalda erschauerte …
Dachte an ihre wilde Todesangst unten auf dem Meeresboden neben dem Goldschiffe …
„… Ich bin einer, Mafalda Sarratow, der nicht sterben wird, nicht sterben kann … Ein zweiter Ahasver, ein zweiter ewiger Jude … Und weil ich verdammt bin, Jahrhunderte, ja Jahrtausende zu überdauern, hat mir die Vorsehung auch besondere Gaben verliehen. – Die Vorsehung – die Gestirne, die dort oben im Weltraum eine … ewige Macht bilden! – Mafalda Sarratow, nochmals warne ich Sie heute. Kehren Sie um! Noch ist es Zeit! Bereuen Sie Ihre Verbrechen, bereuen Sie ehrlich!“
Hinter Fator tauchte die kräftige Gestalt Muley Nassams auf …
Es entsprach durchaus der ganzen Natur des wilden Kriegers der marokkanischen Berge, daß er jetzt den Europäer zur Seite schleuderte und drohend die Waffe erhob …
„Die Sennora ist mein!“ rief er in gebrochenem Spanisch. „Du aber, Giaur, bist mein Feind.“
Und blitzschnell drückte er ab …
Auf kaum drei Schritte Entfernung …
Feuerte vier Schuß … und … taumelte zurück vor dem müden Lächeln des Unverwundbaren …
Zitternd vor Grauen stand er da …
Die Waffe entfiel ihm …
„Geh!“ sagte Fator befehlend …
Und Muley Nassam schlich davon wie ein geprügelter Hund …
Hockte neben seinem Führer, dem wunden Abd el Sarfa, nieder und stammelte angstvoll:
„Der Giaur stirbt nicht …! Du hörtest die Schüsse, Abd el Sarfa … Sie trafen … Aber – der Giaur lachte nur und … lebt … lebt …!“
Lomatz, der Geheimagent Jimminez und der dicke Sennor Emilio Targossa eilten durch den Waldstreiften dem Rande der Lichtung zu, wo sie noch den Doppeldecker M 17 vorzufinden hofften.
Der Riese Alfonso Jimminez war den beiden ein Stück voraus. Schon von weitem sah er die im Grase liegenden Koffer und Kleidungsstücke, sah auch die Äste und Zweige herumliegen, mit denen M 17 noch besser gegen Sicht geschützt worden war.
Er reimte sich sofort das Richtige zusammen. Der Pilot Grieb, der ihm schon durch die Rückgabe des Geldes höchst verdächtig erschienen war, hatte das Weite gesucht! M 17 war unterwegs nach Deutschland, war für sie für immer verloren!
Jimminez blieb stehen.
Sein gelbliches bartloses Gesicht, das nur aus dicken Wulsten zusammengesetzt zu sein schien, färbte sich dunkel in maßlosem Grimm. Die Fäuste ballten sich, die starken Augenbrauen schlossen sich über der Nasenwurzel.
Langsam wandte er sich um und zeigte dies wilde, brutale, von Leidenschaften zerwühlte Antlitz seinen beiden in keuchendem Lauf nahenden Gefährten.
„Der Schuft ist auf und davon!“ stieß er hervor. „Nun sind wir machtlos – so gut wie wehrlos! Ohne den Doppeldecker können wir in das blutige Spiel um den Azorenschatz nicht mehr eingreifen!“
Lomatz erblaßte vor Wut. Und Targossa geiferte mit bebenden Lippen:
„Oh – mir war’s doch auch so, als ob ich Propellergeräusche hörte! Der … Satan – der Lump!! Uns im Stich zu lassen!“
Jimminez schritt weiter.
Stand vor den Koffern, den anderen Sachen …
Pfiff leise durch die Zähne …
„Wenigstens drei Kästen mit den Ladestreifen hat er gleichfalls hier ins Gras geworfen!“
Lomatz, nie verlegen um einen Ausweg, feige wie ein flinker Schakal, der stets ein Loch zur Flucht zu finden weiß, rief triumphierend:
„Alfonso, du schwimmst sofort zu dem vor Anker liegenden Kutter hinüber! Sofort! Wenn wir den Kutter haben, können wir …“
„Caramba – ein Gedanke!“ fuhr der Athlet dazwischen. „Brüderlein, du bist bei Gott nicht der dümmste! Der Kutter – ja, – der ist vielleicht noch besser als M 17! – Packen wir die Koffer mehr ins Gestrüpp. Die drei Kästen mit den Ladestreifen nehmen wir mit. Der Teufel mag wissen, wann die Sphinx hier auftaucht! Kommt sie, so soll’s den Insassen nicht besser ergehen als den braunen Banditen auf dem Kutter!“
Sie beeilten sich.
Im Nu hatten sie die Sachen versteckt. Dann nahm jeder einen der Holzkästen, und zurück ging’s zum Vorgebirge Retorta.
Als sie den Waldstreiften hinter sich hatten und tief unter ihnen nun das Meer im grellen Nachmittagssonnenschein dalag, blieb Jimminez wieder stehen.
Ein Blick nach dem Kutter hin hatte ihm, dem früheren Seemann, sofort gezeigt, daß das Beiboot des Kutters fehlte.
„Caramba – sie waren doch noch nicht alle erledigt, die braunen Kabylen!“ fluchte er. Die Pest soll den Halunken in den Hals fahren! Alles geht verkehrt! Nun können wir uns höllisch in acht nehmen, daß das Gesindel uns nicht überfällt! Wissen wir, wie viele noch leben?! Und mit den Kerlen ist nicht zu spaßen!“
Lomatz blickte sich ängstlich um …
„Mafalda war sicherlich ebenfalls auf dem Kutter,“ flüsterte er. „Sie ist schlimmer als all diese Marokkaner … Sie wird …“
„Halt’s Maul, Memme!“ Und Jimminez warf ihm einen Blick unendlicher Verachtung zu. „Ihr beide geht weiter bis zur Terrasse des Kaps. Ich will versuchen, schon hier an der steilen Wand hinabzuklettern. Sollte sich irgend etwas ereignen, so werdet ihr mir mit der Kugelspritze den Rücken decken.“
Und ohne sich auch nur eine Sekunde zu besinnen, begann er den gefährlichen Abstieg.
Lomatz und der fette Targossa schauten sich an.
„Bitte, gehen Sie nur voran, Sennor,“ sagte Lomatz leise. „Ich schleppe mich gern mit den drei Kästen.“
„Damit ich Ihnen als Kugelfang diene!!“ höhnte der Patalonier. „Nein, wir bleiben dicht beieinander, Sennor Lomatz. Im übrigen dürften die überlebenden Kabylen kaum hier in der Nähe mit dem Boot gelandet sein. Sie werden sich gehütet haben, im Bereich des Maschinengewehrs der Küste nahe zu kommen! – Vorwärts – Ihre Angst ist überflüssig!“
Sie schritten weiter.
Lomatz fühlte sich tief gedemütigt. Wie alle diese kleinlichen, jämmerlichen Naturen schäumte auch er innerlich vor Wut, weil er sich derart bloßgestellt hatte. Sein geheimer Haß gegen Jimminez, den er fürchtete, und gegen diesen Targossa, der auch für ihn nur ein elender Nigger war, wuchs ins Ungemessene … –
Zehn Minuten später hatten die beiden nach mühseliger Kletterpartie die schmale Felsterrasse des Kap Retorta erreicht, lagen wieder lang hinter dem Steinwall und hatten das Maschinengewehr feuerbereit gemacht, spähten nun andauernd zu dem großen Fischerkutter hinüber, der dort vor seinen beiden Ankern träge auf den langen Wogen schaukelte.
Von Alfonso Jimminez war nichts zu sehen. Freilich lag die Stelle, wo er an der Steilküste hinabklettern wollte, gut fünfhundert Meter weiter westlich und war von hier aus durch einen Vorsprungs der Uferwand verdeckt.
Targossa zog jetzt zum dritten Male seine goldene Taschenuhr.
„Eine Viertelstunde ist’s her, seit wir hier anlangten,“ meinte er. „Jimminez müßte doch längst …“
Und da – hinter ihnen Gepolter herabrollender Steine …
Beider Köpfe flogen herum …
Jimminez kam …
Mit einem Gesicht, das nichts Gutes bedeutete …
In der Linken schleppte er sich mit drei starken Büschen, die er samt den Wurzeln herausgerissen hatte.
„Die Sphinx …!!“ zischte er … „Hölle und Teufel – die Sphinx ist da! Ein Glück, daß der Abstieg mir nicht gelang, daß ich’s weiter westlich nochmals versuchte. Durch eine Baumlücke erblickte ich das Luftboot … Es landete … Auf der Bucht dort drüben … – Hier – bedeckt euch mit den Büschen … Die Schufte werden ja von oben scharf Ausschau halten.“
Er war völlig atemlos …
War gerannt wie noch nie in seinem Leben …
Warf sich zwischen Lomatz und den halben Mulatten.
Keuchte, pustete …
Seine beiden Nachbarn blieben stumm. Ihre jagenden Gedanken verschlugen ihnen die Rede …
Bis Jimminez wieder hervorstieß:
„Oh – ich bin jetzt gerade in der richtigen Laune! Mag die Sphinx nun neben dem Kutter niedergehen! Diesmal soll nicht einer mit dem Leben davonkommen! Die dünnen Aluminiumwände des Luftbootes bieten keinen Schutz gegen unsere Kugeln!“
Unheimlich war der Mensch in seinem rasenden Grimm …
Mordgier funkelte in den bösen Augen …
„Und jetzt – verhaltet euch still!“ fügte er hinzu. „Lauschen wir! Wir müssen das Propellergeräusche rechtzeitig hören. Dann rührt keiner mehr ein Glied. – Zieht die Beine mehr an … Auch Sie, Targossa!“
„Bitte – Sennor Targossa!“ fauchte der Herr Botschaftsrat.
„Narr!“, lachte Alfonso. „Sennor hin – Sennor her …! Ohne mich sind Sie eine elende Laus, die jeder zertritt! Bilden Sie sich denn ein, daß ich dies alles hier etwa für Ihren Räuberstaat durchmache!“ Er lachte schrill. „Unter Pakt ist zu Ende, damit doch dies geklärt wird! M 17 ist auf und davon! M 17 hatte ihre Regierung gemietet. Nun mag der Satan ihre ganze Republik holen! Ich bin Alfonso Jimminez, und das Azorengold ist mein! Ihr beide bekommt euren Anteil! So liegt die Sache!“
Die ganze brutale Kraft dieses Riesen, das Gefühl selbstsicherer Stärke sprach aus diesen Worten.
Targossa schnappte nach Luft …
Da grinste auch Lomatz ihn höhnisch an …
„Ha – waren sie wirklich bisher so albern zu glauben, daß Jimminez für ihr Mulattenreich hier die Kastanien aus dem Feuer holt! Dann lassen Sie sich nur schleunigst ein neues Hirn einschrauben bester Targossa!“
Sagte es, und wollte sich so nur bei Jimminez einschmeicheln. Kriechernatur!
Der Riese fauchte:
„Still jetzt mit dem Geschwätz! Still …! Mir ist, als ob …“
Und er schwieg …
Horchte …
Neben ihm auch Lomatz:
„Propeller – – die Sphinx!!“
Und dicht über dem Steilgebirge hinweg strich die Sphinx …
Umkreiste den Kutter, auf dessen blutgetränktem Deck die toten Kabylen umherlagen …
Hinter der Reling des Luftbootes suchten bewaffnete Augen gleichzeitig die Steilküste ab …
Suchten nach den Mördern der tapferen Marokkaner.
Immer wieder umflog die Sphinx dann das Vorgebirge. So dicht schwebte sie auch an der Felsterrasse entlang, daß lediglich die blätterreichen Büsche die drei regungslos Daliegenden genügend schützten.
Jimminez, die Hand am Abzug des Maschinengewehrs, die andere am Griff des Laufes, war jeden Moment bereit, die Sphinx mit einem Kugelregen zu überschütten …
Hätte es auch ohne Bedenken längst getan, wenn Lomatz ihm nicht warnend zugeraunt hätte:
„Vorsicht – drüben vom Norden naht ein großer Schoner!“ –
Es war kein gewöhnlicher Schoner. Das war die ehemalige ‚Otritis’.
Sie hatte den von Abd el Sarfa erhaltenen Befehlen entsprechen bisher weit im Nordwesten gekreuzt und war von der Sphinx aus zwar bemerkt, aber nicht weiter beachtet worden, da ihr dunkler Anstrich und die Umbauten auf Deck sie als harmlosen Kauffahrer erscheinen ließen.
Der alte Kabyle, der diese neue ‚Mauretania’ kommandierte, hatte mit Hilfe guter Fernrohre sowohl die Begegnung zwischen der Sphinx und M 17 beobachtet als auch den weiteren Kurs des Luftbootes genau verfolgt.
Jetzt ließ er die ‚Mauretania’ mit voller Motorenkraft auf das Kap Retorta zulaufen, um dem Kutter noch rechtzeitig beispringen zu können. Von den blutigen Vorgängen der letzten Stunden wußte der Führer der ‚Mauretania’ nichts. – Das auf dem Vorschiff der ehemaligen Jacht postierte Revolvergeschütz war vorläufig noch mit einem Segel bedeckt, aber bereits geladen und feuerbereit. –
Als Gaupenberg und Georg Hartwig, die sich im runden Führerstand der Sphinx unterhalb der Hauptluke befanden, im Spiegel des Sehrohres den Schoner bemerken, der nun so eilig dem Vorgebirge zusteuerte, rief der Steuermann den Lissabonner Taucher Pasqual Oretto herbei, der bisher neben Knorz oben an Deck hinter der Reling gelegen hatte.
Pasqual kroch bis zur Luke und schlüpfte dann die Treppe hinab.
„Oretto, was halten Sie von dem Schoner?“ fragte Viktor Gaupenberg hastig.
„Hm – ich weiß nicht recht …“ meinte Pasqual bedächtig. „Für einen gewöhnlichen Zweimastschoner ist mir das Schiff zu schlank, zu schnittig in der ganzen Form …“
Er beugte sich über den Spiegel …
„Hm – und der Schwalch hinter dem Schoner läßt auf sehr starke Hilfsmotoren schließen … Zu starke für einen Kauffahrer! – Teufel – wenn es … die „Otritis“ wäre! Wir wissen ja durch den Piloten Grieb, daß die Kabylen Herren der Jacht sind und daß …“
Er schwieg … rief dann:
„Es ist die „Otritis“! Sie ist’s! – Und jetzt – –“
Von oben, von Deck her Gottlieb Knorz’ Stimme:
„Vorsicht! Die Kerle auf dem Schoner haben soeben ein Geschütz enthüllt … Vorsicht!“
Die Sphinx schwebte jetzt etwa in achtzig Meter Höhe über dem Kutter. Nach Norden zu – nur hundert Meter ab – lauerte das Maschinengewehr. Und dreihundert Meter gen Westen hatte die ‚Mauretania’ jetzt plötzlich gestoppt …
Abermals da Gottliebs Stimme:
„Der Schoner wird auf uns feuern!! Vorsicht!“
Gaupenberg hatte schon den Hebel, der den Auftrieb regulierte, ergriffen … Schob ihm etwas herum …
Und wie ein Bleiklumpen sauste die Sphinx dreißig Meter tiefer …
Schwebte wieder …
Über sie hinweg heulte die erste Granate …
Pfiff aber auch die Kugelsaat des Maschinengewehrs …
Und wiederum ließ Gaupenberg da das Luftboot noch tiefer fallen … Ließ es wieder hochschnellen …
Die einzige Möglichkeit, diesem verderblichen Feuer zu entgehen.
Gleichzeitig arbeiteten die Propeller mit voller Tourenzahl – rissen die Sphinx nach Norden, bis sie in tausend Meter Höhe aus dem Bereich der Geschosse war.
Sekunden nur hatte diese doppelte Beschießung gedauert. Das Schicksal des Luftbootes und seiner Insassen hatte in dieser kurzen Spanne Zeit in Wahrheit an einem Spinnwebfädchen gehangen. Eine einzige Kugel, die den Lebensnerv, die am Heck angebrachte Sphinxröhre, getroffen hätte, würde den sofortigen Absturz des Luftbootes zur Folge gehabt haben.
Bleich waren die Männer, die im Führerstand jetzt tief und erleichtert aufatmeten.
Bleich die beiden Frauen, die in der offenen Tür nach dem Schiffsgange lehnten: Agnes Sanden und Silvia Gonzalez, die Spanierin …
„Entkommen!“ sagte Gaupenberg laut. „Die Vorsehung hat uns beschützt! – Und jetzt – werden wir die Rollen vertauschen – genauso rücksichtslos, wie man uns mit doppeltem Tode bedroht hat!“
Als Mafaldas Sarratow mit stillem Grauen so aus nächster Nähe beobachtet hatte, daß dem rätselhaften Fator die Revolverschüsse Muley Nassams nichts hatten anhaben können, als der Kabyle nun scheu wieder davongeschlichen war und Fator sich ihr langsam zuwandte, da bedeckte sie, erfüllt von dem Bewußtsein, hier einem Menschen mit übernatürlichen Gaben überantwortet zu sein, das noch immer fahle Gesicht mit beiden Händen und wimmerte halb besinnungslos:
„Ich … ich verspreche alles, was Sie verlangen … Schonen Sie mich! Liefern Sie mich nicht denen aus, die jetzt meine erbarmungslosen Feinde sind …!“
Fator stand dicht vor ihr.
„Angst ist noch keine Reue, Mafalda Sarratow …! Sie werden noch bereuen lernen …“ – Seine Stimme war ernst und doch auch wie durchweht von unendlichem Mitleid. „Ich habe in einem langen, langen Leben in die tiefsten Abgründe menschlicher Seelen hineingeschaut. Ich will kein Richter sein, Mafalda Sarratow, sondern ein Helfer, ein Retter! – Sie werden diesen Platz nicht verlassen. Ich habe noch mit Abd el Sarfa zu reden …“
Und er schritt langsam davon, hinüber zu den beiden Kabylen …
Als die ihn erblickten, wollte Muley Nassam flüchten … Wie ein dräuender Geist erschien ihm der hagere unverwundbare Fator.
„Halt!“ rief Fator streng.
Nassam blieb …
„Abd el Sarfa,“ wandte Fator sich an dem Kabylenführer, „hörst du von der Küste das Knattern von Schüssen und das dumpfere Dröhnen der Sprache eines Geschütztes? – Die „Otritis“ hat eine Revolverkanone an Bord. Nur sie kann es sein, die jetzt die Sphinx zu zerstören sucht …“
Er schaute empor …
Hob die Hand …
Die Schüsse waren verstummt.
„Dort oben – die Sphinx!“ fuhr er fort. „Unverletzt! – Weißt du, Abd el Sarfa, was sich nun ereignen wird? – Die Sphinx hat Wurfbomben zur Verfügung. Die Jacht und mit ihr deine Leute werden nach einer Stunde auf dem Meeresboden ruhen!“
Das stolze, offene Gesicht des Kabylenführers verfärbte sich.
„Abd el Sarfa, ich befehle dir, daß du sofort mit Nassam in dem kleinen Beiboot hinausruderst zu der Jacht und dann diese Küste verläßt!“ Strenger noch ward Fators volle Stimme. „Gehorchst du nicht, so wirst auch du den Fischen zum Fraße dienen!“
Und ohne eine Antwort abzuwarten, ging er durch die Büsche zum Ufer der Bucht und stieg langsam zum Kap Retorta empor. –
Die beiden Kabylen hatten ihm nachgeschaut …
Auch in Abd el Sarfas Augen lag jetzt ein Ausdruck stillen Grauens.
„Trage mich ins Boot, Nassam,“ befahl er kurz.
„Ich muß es erst flott machen,“ flüsterte der blonde Kabyle …
Und er beeilte sich, diesen Ort zu verlassen, der ihn furchtbarer dünkte als die Dschohonna, die Hölle mit all ihren Schrecken. –
Fator fand oben am Waldrande die Spuren der drei, die mit dem Maschinengewehr heimtückisch die Kabylen auf dem Kutter zusammengeschossen hatten. Er folgte ihnen und gelangte so, jedes Geräusch vermeidend, auf die Terrasse …
Hörte die Stimmen der Elenden, die hier in blinden Haß zwecklos auf die Sphinx gefeuert hatten …
Als die drei ihn bemerkten, stand er bereits dicht neben ihnen …
Emilio Targossa war’s, der ihn als erster sah …
Und sofort erschrocken empor sprang …
Die Waffe aus der Tasche riß …
Auch Jimminez und Lomatz schnellten hoch.
Fator war ihnen ein fremder. Sie hatten ihn noch nie zu Gesicht bekommen.
Der Riese Jimminez brüllte wütend:
„Wer sind Sie?! Was wollen Sie hier?! – Scheren sie sich zum Teufel!“
Fator musterte die drei gelassen.
Dann sagte er ebenso ruhig:
„Sie werden mir folgen. Ihr Spiel ist aus … In kurzem wird die Sphinx sie drei in Atome zerschmettern. Sie wissen vielleicht, daß das Boot Wurfbomben an Bord hat, gefüllt mit einem Sprengstoff, von Graf Gaupenberg erfunden.“
Die eisige Ruhe dieser Drohung wirkte.
Selbst Jimminez blieb stumm.
„Die Kabylen dort unten,“ fuhr der Hagere gleich ruhig fort, „haben bereits eingesehen, daß der Azorenschatz für sie nicht zu erobern ist, werden heimkehren. Und sie drei – werden zusammen mit Mafalda Sarratow auf irgend einer entlegenen Insel des Ozeans Gelegenheit haben, ihre Untaten zu bereuen und zu erkennen, daß das Gold einen Pesthauch um sich verbreitet … Bleiben Sie hier auf der Terrasse. Wir werden Sie nachher abholen.“
Und er machte kehrt und ging wieder davon.
Die drei blickten aneinander vorüber. Scheuten sich einzugestehen, daß in ihrem Innern eine unerklärliche Angst jedes andere Gefühl erdrückte.
Sahen nun auch das kleine Beiboot auftauchen, sahen, daß es der ‚Mauretania‘ zustrebte …
Beobachteten, wie die Leute des Schoners die Toten vom Kutter an Bord nahmen und wie die ‚Mauretania‘ dann eiligst gen Osten davonfuhr.
Endlich brach Targossa das beklemmende Schweigen.
„Wir sollten fliehen … In den Wäldern werden sie uns niemals finden …“
Jimminez lachte.
„Glauben Sie?! – Fliehen …?! Wie denn?! Dieser Kerl, der uns da vorhin hier überraschte, ist sicherlich noch in der Nähe und gewiß nicht allein!“
Der Riese war genau so mutlos wie seine Gefährten.
Meinte weiter: „Im übrigen kämen wir noch sehr glimpflich davon, wenn die von der Sphinx uns wirklich nur zur Strafe auf eine Insel bringen würden. Daß wir von dort wieder sehr bald wegkommen, dafür werde ich schon sorgen.“
Lomatz lehnte kreideweiß am Felsen.
„Mich … schonen Sie nicht – mich auf keinen Fall!“ stieß er hervor …
„Na – an dir hätte die Welt wahrhaftig nichts verloren!“ höhnte Jimminez. „Du kannst jedoch ganz ruhig sein, Freundchen … Weder Gaupenberg noch Hartwich werden sich an uns vergreifen. Diese Sorte von Gentlemen liefert stets nur halbe Arbeit. Ihr Gewissen wird sich gegen den schönen Spruch: ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn’ sträuben.“
„Die … Sphinx …!“ lallte der zitternde Lomatz und stierte nach oben.
Die Luftschiff nahte tatsächlich …
Fator hatte durch Winken von der nächsten Bergkuppe aus die Sphinx wieder herbeigeholt. Was er vermutet hatte, entsprach den Tatsachen. Oben auf Deck lagen Pasqual, Gottlieb und der Steuermann, neben sich grauschwarze kindskopfgroße Stahlbälle mit Aufschlagzündern: Bomben!
Tiefer und tiefer hatte sich die Sphinx gesenkt, bis eine Verständigung durch Zurufe möglich war.
„Die Jacht mit den Kabylen fährt davon, und Jimminez und die beiden anderen haben wir sicher,“ meldete Fator schlicht. „Mafalda Sarratow befindet sich noch drüben im Gebüsch neben der Bucht.“
Das Luftschiff landete auf der Bergkuppe. Nur für Minuten. Gaupenberg kletterte an der Außenleiter herab.
„Gehen Sie an Bord, Herr Fator,“ meinte er mit seltsam düsterem Ernst. „Ich werde Mafalda Sarratow hierher bringen. Was ich mit dem Weibe zu besprechen habe, braucht keine Zeugen.“
Fator schaute ihn fest an.
„Herr Graf, ich warne Sie …! Ich an Ihrer Stelle würde jede Begegnung mit Mafalda vermeiden. Es … wäre besser so …“
Aber Gaupenberg beharrte bei seinem Entschluß.
„Eine Gefahr dürfte kaum dabei sein, Herr Fator. Ich muß Mafalda Auge in Auge erklären, was sie mir genommen hat, wie unendlich ich sie verachte.“
Sein Blick ging zu den kleinen Kabinenfenstern nach oben.
Und dort hinter dem blinkenden runden Glase tauchte soeben Agnes Sandens holdes Antlitz auf.
Gaupenberg schritt eilends den Berg hinab. Fator erkletterte die Außenleiter und begrüßte an Deck den Steuermann mit den bestimmten Worten:
„Noch heute Abend werden wir das Goldschiff heben können, Herr Hartwich. In der Dunkelheit wird niemand uns beobachten.“
Georg Hartwich strahlte …
„Endlich – endlich!“ sagte er freudig bewegt. „Worauf ich so viele Jahre gewartet habe, soll nun in Erfüllung gehen!“
Dann stieg die Sphinx wieder auf, um die drei von der Terrasse des Kaps an Bord zu nehmen. – –
* * *
Muley Nassam war einer der eifrigsten beim Bergen der Leichen seiner erschossenen Stammesbrüder.
Und doch trug er sich mit geheimen Absichten, die lediglich seiner blinden Leidenschaft für Mafalda Sarratow entsprangen.
Er wußte, daß diese Frau, die schöner war als all die vielen schlanken Mädchen seines Volkes, noch dort in den Büschen an der schmalen Bucht saß und daß sie dann als Gefangene auf die Sphinx gebracht werden würde.
So sehr nun auch noch immer eine dumpfe Angst vor dem hageren weißen Manne in seiner Seele lebte, so sehr er auch den Unverwundbaren fürchtete, der stärkste Trieb, den die Natur den Menschen mitgegeben, lockte ihn mit zwingender Gewalt an die stille Bucht zurück!
Er, Muley Nassam, bisher schlichter wilder Krieger, verfügte doch über jene natürliche Schlauheit aller in der Wildnis und deren Ungebundenheit unter steten Gefahren Herangereiften.
Er wußte es so einzurichten, daß er sich heimlich in der Vorschiffkammer des Kutters verkriechen konnte.
So stieß denn das Boot mit den letzten Toten ohne ihn vom Kutter ab, und auch auf der ‚Mauretania’ wurde sein Fehlen erst weit später bemerkt.
Sehr bald schlich er wieder hervor aus seinem Versteck und wagt es, den Kopf über den Lukenrand hinauszurecken.
Drüben auf der Terrasse des Vorgebirges stand gerade Fator den drei Übeltätern gegenüber.
Nassams scharfe Augen erkannten den Mann, vor dem er ein Grauen empfand.
Er ließ sich ins Wasser gleiten, barg den Kopf unter einer kleinen schwimmenden Seetanginsel und strebte der Küste zu, erreichte die enge Bucht und das seeartige Becken, stieg an Land und schlich den grünen Sträuchern zu. –
Mafalda saß noch dort, wo sie der Zaubertrank des Alchimisten wieder ins Leben zurückgerufen hatte.
Wie in halber Enttäuschung saß sie da…
Ihr Herz bebte in Gedanken, daß die Stunde nicht mehr fern, wo sie vor Viktor Gaupenberg stehen und seine kalte Verachtung würde ertragen müssen.
Alles, was sie an wildem Begehren jemals für Gaupenberg empfunden hatte, lebte in diesen Gedanken an das Kommende mit doppelter Kraft wieder auf.
Und aus diesem Übermaß von Leidenschaft entstand etwas anderes, neuer Mut zum Handeln, neue Energie!
Mafaldas Gesicht veränderte sich allmählich.
Das Starre, Tote, Gleichgültige schwand. In die Augen trat Lebenswille, Feuer. Der Blick wurde schärfer … –
Die Gedanken wurden kritischer, umspielten die letzten Ereignisse.
Fators seltsamer Einfluß erschien Mafalda plötzlich wie etwas durchaus Erklärliches. Ihr Zustand unendlicher körperlicher Mattigkeit, dazu die nervenfressenden Erinnerungen an die grausigen Erlebnisse auf dem Meeresboden, – all das hatte sie für das geheimnisvolle Getue dieses Mannes so überaus empfänglich gemacht!
Wer war denn dieser Fator?! Wer könnte es sein?! – Doch nur ein Mensch von Fleisch und Blut wie alle übrigen Erdenbewohner!
Übernatürliches – –?! – Lächerlich!
Die vier Schüsse, die ihm nichts angetan hatten?! – Vielleicht trug er einen leichten Stahlpanzer! Vielleicht …! Während des Krieges hatte man ja derlei Kugelschutz in Menge hergestellt …!“ –
So kämpfte die Fürstin Sarratow sich wieder, ihre Leidenschaft für Gaupenberg gleichsam als Waffe benutzen, zur alten Höhe des eigenen verderbten Ichs empor …
Und so kam es, daß der jäh vor ihr auftauchende Kabyle Muley Nassam, als er Mafalda zu Füßen stürzte und halbirre Worte von Liebe und Ergebenheit stammelte, bereits wieder durch dasselbe gewährende Dirnenlächeln zum willenlosen Sklaven der Abenteurerin wurde … –
Mafalda erhob sich, schob den blonden Kabylen sanft von sich.
„Wir müssen fliehen, Nassams,“ flüsterte sie. „Vor wenigen Minuten hörte ich wieder die Propeller der Sphinx, und jeden Augenblick kann …“
Eine hastige Bewegung des aufhorchenden Kabylen ließ sie verstummen …
Ein Rauschen in den Büschen …
Es nahte jemand … –
Nassam legte den Finger auf die Lippen, deutete auf den Dolch in seinem Gürtel und schlüpft in die grüne Wildnis. –
Gaupenberg betrat die Lichtung. Langsam näherte er sich Mafalda. Aber all das, was er ihr hatte mit eisiger Verachtung vorwerfen wollen, all die in seinem Hirn fertigen Sätze zerflatterten vor dem Anblick des Weibes, die dort, in den losen bunten Stoff gehüllt, wie eine blendende Göttin höchster Sinnenlust ihm mit einem strahlenden Lächeln entgegenschaute.
In den wenigen Sekunden, seit Mafalda Sarratow im Schutze des Kabylen sich geborgen wußte, war in ihr auch die wahre Evanatur wieder erwacht …
Gaupenberg sehen und den Entschluß fassen, ihn wieder für sich zu gewinnen, war eins …
Und kühn und ohne jede Verlegenheit heuchelte sie jetzt nichts anderes als freundlichste Überraschung bei seinem Anblick …
Wog die Worte fein ab…
Rief selig:
„So kommst du doch, Viktor …! So hast du doch eingesehen, daß man dich belogen und getäuscht hat!“
Er blieb stehen.
Er konnte nicht glauben, daß dieses Bild da tatsächliches Geschehen, das diese klingenden Worte wirklich gesprochen worden waren.
Er stand und schaute. Seine Gedanken flatterten empor, senkten sich, zerstoben, fanden sich wieder zusammen – wie ein aufgescheuchter Taubenschwarm …
War das Mafalda, die den Tod gekostet hatte, Mafalda, die genau wußte, daß er die Vorgänge im Bauche des Riesenwracks auf der Dorgas-Klippe kannte?!
Daß er nun wußte, wie Georg und Pasqual Oretto von ihr im Vorschiff eingesperrt worden waren, damit der Feind sie finge …!
Und doch – doch wagte Mafalda es, ihm hier so entgegenzutreten, – – so!!
Da sprach sich schon weiter …
In fliegender Hast – wie in aufsteigender Angst, halber Verzweiflung …
„Viktor, Viktor, mir dieses Gesicht, mir!! Mir diese Miene, als ständest du einer Irren gegenüber! – Viktor, bist du denn noch immer nicht sehend geworden!“
Pause …
Die Komödiantin spielte vorzüglich, besser er denn je …
Sie sah in seinem Antlitz etwas wie Spannung auf das, was ihre nächsten Sätze bringen würden …
„Viktor, ahnst du denn nicht, daß Georg Hartwich dich … betrogen hat! Daß hier ein ungeheuerliches Komplott vorliegt! Daß es – gar keinen Azorenschatz gibt! Daß alles von Anfang an lediglich deiner Sphinx galt! Daß deine erste Begegnung mit Hartwich auf der Treppe des Sportgeschäftes schon feinste Berechnung war …“
Gaupenberg griff sich an die Stirn …
Kein … kein Azorenschatz?! Hatte er recht gehört …?!
„Du – – bist wahnsinnig!“ murmelte er …
Ein unendlich trauriges Lächeln glückte ihr …
„Fast wünschte ich, daß ich den Verstand verloren hätte, daß ich gestorben wäre, als Agnes Sanden mich von der Sphinx in die Tiefe stieß … Oder heute, als ich im Taucheranzug auf dem Meeresboden nach dem … Goldschiff suchte – und nichts fand … nichts, nichts! Als ich so den Beweis erhielt, daß mein Verdacht gegen Hartwich berechtigt gewesen …“
Wieder Pause …
Und dann lauter und so bestimmt, daß Gaupenberg sie entsetzt anstarrte:
„Hartwich ist ein Betrüger, ist dasselbe wie Jimminez, Agent der Republik Patalonia, die deine Sphinx haben will! – Es gibt kein Goldschiff. Die Lederskizze ist Betrug. Nie hat Hartwig jahrelang als Robinson auf Formigas gelebt! Alles Lüge – alles Ränke! Jede Einzelheit, die du als mich belastend einschätzt, kann ich aufklären – jede!“
Und nun der feinste Trick …
„Gewiß – Agnes Sanden hat nichts mit alledem zu schaffen …! Was sie tat, geschah aus wilder Eifersucht auf mich. Ihr verzeihe ich …! Aber – ich werde nicht dulden, daß du schließlich doch in die Hände dieser Schurken gerätst! Ich werde dich retten, und wenn es gegen deinen Willen geschehen sollte!“
Gaupenberg schwieg. Sein Blick irrte umher – haltlos wie seine Gedanken. Bis plötzlich ein ehrlicher Zorn und grenzenlose Verachtung alles andere wegspülten …
„Und du hoffst, mich so zu fangen – – so?!“ meinte er eisig. „Ich sehe ein, daß eine Kreatur wie du nicht eines einzigen Wortes mehr wert! – Vorwärts, gehen Sie mir voran, Mafalda Sarratow!“
Mafalda war auf Ähnliches vorbereitet gewesen. Nur die giftige Saat hatte sie jetzt ausstreuen wollen. Würde schon dafür sorgen, daß die Saat später keimte …
„Nassam, – – über ihn!!“ rief sie in spanischer Sprache …
Und wie ein Rautier schnellte der Kabyle hervor …
Umschlang Gaupenberg mit eisernen Muskeln, warf ihn zu Boden …
Kniete auf ihm, riß ihm die Hände auf den Rücken.
Ein langer Streifen des bunten Vorhanges, den Mafalda malerisch über den Azorenfischeranzug geschlungen, fesselte des Grafen noch immer wie gelähmte Glieder.
Der Vorhang flog ihm über den Kopf …
Und Nassam hob das menschliche Bündel empor, folgte Mafalda in die Steinwildnis der Azoreninsel San Miguel …
Durch Täler und Schluchten, vorbei an erloschenen Kratern, vorbei an heißen dampfenden Seen, vorbei an sprudelnden Schlammgeisern …
Bis die Nacht sich immer dunkler über die Wildnis senkte.
Da machten sie halt…
Die drei auf der Felsterrasse des Kap Retorta sahen die Sphinx heranschweben, sahen, daß an Deck Pasqual Oretto und Gottlieb mit erhobenen Händen dastanden, in denen die grauschwarzen Bomben ruhten.
Die Sphinx fuhr bis dicht an den Abhang herab.
„Steigen Sie einzeln an Deck,“ befahl Gottlieb Knorz, und sein gebräuntes Wilderergesicht leuchtete vor Triumph. „Sie sollen es gut haben hier bei uns, so gut, daß Sie nie mehr Dummheiten machen werden!“ fügte er ironisch hinzu.
Targossa sprang als erster an Deck.
Hartwich war halb aus dem Führerstand emporgestiegen. Und an ihn wandte sich der edle Sennor nun mit einem Schwall von Worten …
… Botschaftsrat … Unverletzlichkeit als Zugehöriger der Gesandtschaft einer fremden Macht …
Hartwich lachte schließlich.
„Ein Lump sind Sie!“
Und er winkte …
Und so wurde auch Emilio Targossa gefesselt – mit Riemen – nicht gerade sanft!
Kam mit den beiden anderen in eine enge Kammer, wo die drei noch mit dünnen Ketten an die Zwischenwand geschlossen wurden.
Lomatz und Jimminez hatten alles wie leblos mit sich geschehen lassen.
Nur als Lomatz im Schiffsgang an der offenen Tür der Kabine vorübergeführt wurde, in der Agnes und Silvia am Fenster standen, rief er höhnend:
„Ah – mein gewesenes Bräutchen auch zur Stelle …! Schau’ an!“
Ein Fausthieb Gottliebs war die Strafe …
Ein Hieb, der den Elenden gegen die Wand schleuderte, daß er nachher mit blutender Stirn in der dunklen stickigen Kammer hockte. –
Die Sphinx stieg empor und kehrte zur Bucht zurück, landete dort, wo auch das kleine Beiboot gelandet war – vor Stunden …
Stunden nur!
Und doch, denen, die diese letzten Ereignisse miterlebt hatten, waren es wie Tage …
Unglaublich schien’s, daß all diese Szenen wildbewegtesten Geschehens sich wirklich im engen Raum zweier Stunden zusammengedrängt haben sollten! –
Oben von Deck rief Hartwich nach dem Freunde …
„Viktor – – hallo!“
Niemand meldete sich.
Und in der Kabine am jetzt geöffneten Fenster lauschte Agnes mit jagendem Herzen …
Verzehrt von unerklärlicher Angst …
Wartet auf Antwort …
Und wieder rief der Steuermann.
Neben ihm sagte Fator leise:
„Meine Ahnungen trügen nie – niemals!!“
Hartwich, Gottlieb und Pasqual eilten in die Büsche …
Zerstreuten sich … –
Agnes Sanden war an Deck gekommen. Ihre furchterfüllten Augen suchten Trost bei Fator, dem Rätselhaften, dem Freunde, dem Manne, der sie aus den Tiefen des Meeres gerettet.
Fator schaute sie an, nickte ihr zu …
„Kind, verzagen Sie nicht … Sie wissen, Menschen und Liebe läutert nur das Fegefeuer des Erlebens! – Verzagen Sie nicht …! Auch Ihnen wird einst ein wolkenloser Himmel reinsten Glückes strahlen.“
Gottlieb tauchte aus den Büschen auf …
„Hier – dies fand ich! Es ist meines Herrn Zigarettenetui! Es lag zwischen Steinen dort auf der Lichtung.“
Bald kehrten auch Hartwich und Pasqual zurück.
„Was tun wir?“ fragte der Steuermann den Rätselhaften, der als einziger jetzt seine volle Ruhe bewahrte. „Was tun wir, Herr Fator? Wie erklären Sie sich Gaupenbergs Verschwinden?“
„Ich kann es mir ebensowenig erklären wie Sie, kann nur annehmen, daß doch noch vielleicht einer der Kabylen hier an der Küste zurückgeblieben war und Gaupenberg auf Mafaldas Geheiß überwältigt hat. Nur gewaltsam kann der Graf weggeschleppt worden sein.“
„Vielleicht … befreit er sich, vielleicht findet er sich wieder ein,“ meinte Agnes hoffnugsfroh. „Wir müssen hier an dieser Stelle noch warten … – Wer weiß, ob sich nicht ganz andere Dinge zugetragen haben, von denen wir nichts ahnen können …“
Pasqual Oretto holte jetzt unter der Jacke eines der Riesenblätter des Seifenwurzes hervor.
Auf dem hellgrünen Blatt war klar und scharf eine Druckstelle zu erkennen, die Umrisse einer plumpen Schuhsohle!
„Das war ein Kabyle,“ sagte Pasqual schlicht. „Es stimmt schon, was Herr Fator annimmt. Nur ein Kabyle ist schuld an des Grafen Verschwinden.“
Agnes, all ihre sonstige Zurückhaltung beiseite setzend, rief flehend:
„Dann … werden wir den Spuren folgen …! Es werden sich doch noch mehr Hinweise finden lassen, Sennor Oretto?“
„Sicher, Sennorita … Aber die Nacht naht, und die Felsen jensen der Wildnis nehmen keine Fährten an. Viele Stunden würde es dauern, um selbst bei Sonnenlicht eine Fortsetzung der Fährte wieder aufzufinden. San Miguel ist wie ein Irrgarten.“
Gottlieb Knorz, neben sich den halbblinden Teckel, nickte Agnes verstohlen zu.
Sie war ja sein Liebling. Er wußte, was ihre Seele jetzt litt.
Und die blonde Madonna verstand ihn. Schwieg und drängte nicht mehr, daß sofort etwas geschähe, den Entführten zu befreien.
„Wir müssen also den Morgen abwarten,“ entschied Hartwich, der jetzt von allen als Führer anerkannt wurde. „Bis dahin werden wir das U-Boot auch gehoben haben. Dann steht nichts im Wege, daß einige von uns Mafalda und dem Kabylen nacheilen.“ –
Die Sonne hatte bereits den westlichen Horizont erreicht. Die Kuppen der Berge ringsum erstrahlten wie Gold im Widerschein des feurigen Abendrotes.
Noch immer standen die Insassen der Sphinx zum Kreise geschart an Deck. Auch Silvia Gonzalez lehnte neben Agnes an der Reling und hatte ihre Hand umklammert. Die glutäugige Spanierin fühlte sich in schwesterlicher Liebe zu der ernsten Agnes hingezogen.
Die Beratung war noch nicht zu Ende.
Fator schnitt eine neue Frage an …
„Angenommen, wir befördern das Goldschiff aus den Tiefen empor … – Haben Sie sich schon überlegt, Herr Hartwich, was dann geschehen soll?“
„Ich war mit Viktor hierüber völlig einig, Herr Fator,“ erwiderte der Steuermann. „Zweihundert Seemeilen weiter nach Westen zu liegen im Atlantik drei winzige Eilande, die auf den meisten Karten nicht einmal vermerkt sind, da die Meeresgegend dort weit außerhalb jeder Verkehrslinie für niemanden Interesse hat. Diese drei Robigas-Inseln, die übrigens Eigentum der Republik Patalonia sind, eignen sich zur vorläufigen Unterbringung des Schatzes am besten. Wir werden die achtunddreißig Goldkisten dort verbergen, bis die Verhandlungen mit der deutschen Regierung beendet sind, die sofort eingeleitet werden sollen, wenn das Gold in Sicherheit ist. Die Inseln, von jeher unbewohnt und ihrer Unfruchtbarkeit wegen so gut wie vergessen, bieten uns noch den Vorteil, daß wir unsere drei Gefangenen auf dem südlichsten Eiland, das von den beiden anderen weiter entfernt ist, aussetzen können. Eine Flucht von dort ist unmöglich. Wir Seeleute nennen gerade jenen Teil des Atlantik ‚Winkel der Strömungen’. Es treffen dort vier starke Meeresströmungen zusammen, und die Brandung an den Gestaden gerade dieser Südinsel ist so ungeheuer, dass meines Wissens dieses Eiland überhaupt noch nicht betreten worden ist.“
„Sehr günstig,“ meinte Fator darauf. „Nur eins gefällt mir dabei nicht, daß die Robigas-Inseln Eigentum derselben Republik sind, die als unsere Gegnerin gelten kann.“
„Die Patalonianer kümmern sich um die Eilande genau so wenig wie irgendein anderer Staat, Herr Fator. Es dürfte wirklich kaum ein besseres Exil für die drei Verbrecher geben als jene Südinsel der Robigas. – Strafe muß sein!“
„Allerdings, Herr Hartwich … Darüber haben wir ja bereits gesprochen.“
Der Steuermann deutete nach Süden. Seine Stimme wurde kraftvoller …
„Vorwärts – beginnen wir nun mit dem großen Werke! Dort am Kap Retorta liegt noch der Kutter! Dort finden wir auch das, was Freund Pasqual braucht, um die Ketten um den Stahlleib des U-Bootes zu schlingen: den Taucheranzug, die Luftpumpe! Vorwärts! Das Abendrot verblaßt, die Dunkelheit kommt. Die Schleier der Nacht sollen verhüllen, was wir vom Meeresgrunde bergen!“ –
Zehn Minuten später lag die Sphinx Bord an Bord mit dem Kutter, wiegte sich wie dieser auf der nur wenig bewegten See.
Bevor das Luftboot sich jedoch auf die Meeresoberfläche niedergelassen hatte, war es noch einmal bis zu tausend Meter Höhe emporgestiegen, damit man scharf nach allen Seiten Ausschau halten konnte, ob sich nicht irgendwo etwas Verdächtiges zeigte.
Hartwich traute den Kabylen nicht, die mit ihrem Schoner ‚Mauretania’, der ehemaligen Jacht „Otritis“, nur zu bereitwillig das Feld geräumt hatten. Er traute ihnen umso weniger, als nun ja klar erwiesen, daß einer der braunen Marokkaner als Helfershelfer Mafalda Sarratows Viktor Gaupenberg in die Wildnis des Inneren von San Miguel verschleppt hatte.
Diese Vorsichtsmaßregel, dieses sorgsam Absuchen des bereits im Dämmerlichte daliegenden Ozeans mit Ferngläsern, stellte sich als unnötig heraus. Nirgends ein Segel, nirgends die Rauchfahne eines Dampfers …!
Und so hatte denn die Sphinx sich leicht und sicher wieder herabgesetzt, hatte ihren grauen Aluminiumleib an den dunklen, plumpen, nach Fischen und Teer stinkenden Kutter geschmiegt.
Noch immer war das zackige Loch an der Backbordwand, daß Gottlieb Knorz mit nervigem Arm in jener Nacht am Monte Junto notgedrungen in die Außenwand geschlagen hatte, nicht ausgeflickt worden. Das tolle, blutige Spiel der jagenden Ereignisse hatte den Insassen des Luftbootes bisher keine Zeit gewährt, den Schaden sauber wieder auszubessern.
Nun aber, während Fator und Knorz dem Lissabonner Hafentaucher dabei behilflich waren, denselben wasserdichten Gummianzug, den Mafaldas Kühnheit vor Stunden benutzt hatte, anzulegen, machte sich Steuermann Hartwich voller Eifer an die Arbeit und nietete neue Aluminiumplatten über die meterhohe rissige Öffnung.
Agnes und Silvia Gonzalez halfen ihm, reichten die Werkzeuge zu, leuchteten und taten gleichfalls ihr Bestes, der Sphinx wieder zu einer glatten, festen Haut zu verhelfen.
Auf dem Deck des Kutters, wo das längst getrocknete Blut tapferer Kabylen breite schwarze Streifen bildete, brannte nur eine einzige Laterne.
Dunkelheit umlagerte die beiden träge sich wiegenden Fahrzeuge, die mit kreischendem Knarren ihre Wände aneinander rieben.
Pasqual Oretto stand im Taucheranzug zum Abstieg in die Tiefe fertig da.
Gelassen kletterte er nun an der Strickleiter hinab, verschwand in der metallisch matt glänzenden Flut.
Fator und Knorz bedienten die Luftpumpe. Fator hatte gleichzeitig auch die Signalleine um den linken Arm geschlungen.
Unten im Wasser glühte jetzt ein heller Fleck auf, die elektrische Laternen, die Pasqual mitgenommen hatte!
Nicht dieselbe war’s, die der Fürstin Sarratow das Goldschiff mit seinem von Granaten zerfetzten Deck gezeigt hatte. Nein – aus den Beständen der Sphinx war eine größere, heller brennende herausgesucht worden, deren Trockenbatterien in den wasserdichten Lampenkörper mit eingebaut waren.
Diese treffliche Leuchte trug Pasqual vor der Brust.
Ihm, der an diese Art Arbeit unter Wasser gewöhnt war, bereitet es keinerlei Schwierigkeiten, das Wrack des U-Bootes, das etwas auf der Seite auf zwei mächtigen Steinwürfeln wie auf Brückenpfeilern ruhte, genauer zu untersuchen.
Das Innere betrat er nicht. Ihm lag nur daran, die beiden Ketten unter dem Wrack sicher zu befestigen, die es nachher von seinem Doppelpostament emporheben sollten.
Er kehrte dorthin zurück, wo die Strickleiter hing, und gab mit der Leine die vereinbarten Zeichen.
Die eine Kette kam herab wie eine schwarze Schlange.
Pasqual zog sie hinter sich her bis zum Wrack, erklomm wieder den einen Felsenpfeiler und kletterte dann mit Hilfe der zackigen Ränder der Schußlöcher auf das schräg liegende U-Boot, warf das Ende der Kette über den Bootsrumpf und stieg wieder hinab, zog die Kette jetzt straff und klomm abermals empor, brachte den Haken in das eine Kettenglied und sorgte dafür, daß die eisernen Ringe an der Vorderluke einen Halt fanden und nicht abrutschen konnten.
Genau so verfuhr er mit der zweiten Kette.
Immerhin hatte diese Arbeit fast eine volle Stunde gedauert, und als Oretto nun wieder an der Strickleiter emporkam, und das Kutterdeck betrat, mußte er sich schleunigst niedersetzen, da ein Schwächeanfall ihn taumeln ließ. Eine Stunde lang den Wasserdruck in zwanzig Meter Tiefe ertragen, das war selbst für eine so kernige Natur wie Pasqual zu viel gewesen.
Rasch schraubte Gottlieb Knorz ihm den Helm ab, gab ihm Kognak zu trinken. Und das war die beste Medizin für den wackeren Portugiesen.
Der andere Kognak aber, der vierfüßige, saß dicht dabei und starrte mit milchigen Augen zum Monde empor, der gerade als wundervoll klare Scheibe aus dem Meere emporkam …
„Der Kognak ist gut,“ nickte Pasqual.
„Mein Kognak noch besser,“ sagte Gottlieb Knorz, der Hundefreund. „Wie steht’s mit den Ketten, Freund Oretto? Werden sie auch nicht abgleiten?!“
„Ausgeschlossen!“ – Und Pasqual berichtete nun, in welchem Zustande er das U-Boot vorgefunden hatte.
Alle umstanden ihn, alle, die zur Sphinx gehörten: Hartwich, Fator, Knorz und die beiden Mädchen, diese wieder Arm in Arm wie Geschwister.
„Meinen Dank, Pasqual!“ sagte Steuermann Hartwich dann voller Herzlichkeit und drückte dem alten Bekannten die Hand.
„Nicht nötig!“ wehrte Oretto ab. „War mir eine Freude, die Goldmilliarden durch die zwei Ketten an die Sphinx zu fesseln! – „Doch wird sie die Last nur heben können?!“ fügte er ein wenig zweifelnd hinzu.
„Oh – die schafft’s bestimmt!“ meinte Hartwig. Denken Sie, Pasqual, daß wir die Auftriebskraft der Sphinxröhre stets bisher nur zum kleinsten Teil zur Steuerung des Luftbootes ausgenutzt haben und daß wir das Goldschiff nicht etwa aus dem Wasser vollständig herausheben wollen. Nein – U 45 bleibt unsichtbar, und in dieser Weise schleppen wir es bis zu den Robigas-Inseln. Begegnet uns dann ein Fahrzeug, so ahnt niemand, was an den beiden Ketten hängt.“
„Sehr gut!“ nickte der Taucher.
Und gerade als er dies aussprach, schwang sich eine dunkle Gestalt blitzschnell an der Außenleiter der Sphinx aus dem Wasser empor und glitt in die Hauptluke hinein – ein völlig nackter Mensch, der beste Schwimmer, den der Kabylenführer Abd el Sarfa unter seinen Leuten hatte.
Die um Pasqual auf dem Kutterdeck Gescharten hatten von diesem heimlichen Besuch nichts bemerkt. –
Georg Hartwich war’s, der jetzt der allgemeinen Stimmung in schlichter Weise Ausdruck gab.
„Welche Freude könnte uns jetzt beseelen, Gefährten, wenn nicht der Mann unter uns fehlte, dessen genialer Erfindergeist es erst ermöglicht, die versunkenen Schätze mühelos zu bergen! Daß Gaupenberg diese Stunde nicht mit erleben darf, in der nun wirklich die Milliarden so gut wie unsere werden, – das drückt uns alle nieder! – Um so mehr aber sind wir auch verpflichtet, nichts unversucht zu lassen, meinem Freunde beizuspringen, soweit wir’s vermögen. Ich möchte euch, Gefährten, folgenden Vorschlag machen. Pasqual und Gottlieb werden hier zurückbleiben und beginnen mit den Nachforschungen nach Gaupenberg. Wir anderen bringen das U-Boot nach den Inseln, suchen dort ein sicheres Versteck für die Goldkisten aus, verbergen den Schatz und können in spätestens vier Tagen mit der Sphinx wieder hier am Kap Retorta sein. – Weiß jeman etwas Besseres?“
„Einverstanden!“ rief Gottlieb. „Nicht wahr, Freund Pasqual, wir beide sind Manns genug, meinen Herren diesem verdammten Weibe wieder zu entreißen!“
„Wir drei!“ meldete sich da Agnes mit fester Stimme. „Auch ich bleibe hier! Gaupenberg soll nicht sagen können, daß Agnes Sanden ihn in der Stunde der Not verlassen hat!“
„Brav, Kind, – sehr brav!“ meinte Knorz ganz gerührt. „Alle guten Dinge sind drei. So werden wir denn zu dreien nach meinem verehrten Herrn suchen! Und – – wehe Mafalda, wenn sie etwa …“
Er führte den Satz nicht zu Ende.
Agnes schrie in jäher Herzensangst leise auf. Sie ahnte, was der treue Alte befürchtete.
Fator, der Rätselhafte, beruhigte sie.
„Des Grafen Leben ist ebensowenig bedroht wie das unsere,“ erklärte er in seiner bestimmten Art. „Ziehen Sie getrost in die Wildnis, mein Kind … Der reinen Liebe Allmacht und die Gestirne dort droben werden Sie schützen und Ihrem Sehnen Erfüllung geben …!“ –
Wenig später löste sich die Sphinx von dem Kutter.
Sie schwebte langsam empor. Die beiden dicken Ketten spannten sich.
Und als Hartwich nun im Führerstand den Hebel der Auftriebsteuerung noch weiter herumlegte, hob die Sphinx sich noch um etwa acht Meter – hob gleichzeitig das Goldschiff von seinen steinernen Sockeln …
„Glückliche Fahrt!“ brüllte Knorz vom Deck des Kutters …
Und Agnes winkte…
Drüben winkten Fator und Silvia Gonzalez … bis die Sphinx mit ihrer unsichtbaren Last gen Westen entschwunden war. –
In einer der Vorratskammern des Luftbootes aber hockte hinter Kisten und Säcken der beste Schwimmer Abd el Sarfas …
Öffnete jetzt mühsam die kleine Luke in der Bordwand und warf eine Flasche ins Meer, an deren Kork ein kleineres Fläschchen gebunden war, dessen Inneres gelblich weiß leuchtete … –
Silvia, die Spanierin, bemerkte den leuchtenden Punkt auf den Wellen und zeigt ihn Fator.
„Eine Leuchtqualle,“ meinte der Rätselhafte …
Und weiter fuhr die Sphinx gen Westen in geringer Höhe über den langen Wogen des Ozeans …
Und mit ihr durchpflügte U 45 an den beiden eisernen Fesseln unten im Wasser den Atlantik …
Der Schoner ‚Mauretania’ hatte in der Tat nur zum Schein mit östlichem Kurs, als wollte er einen der versteckten marokkanischen Hafenplätze anlaufen, sich davongemacht.
Die ernsten Drohungen Fators, des Rätselhaften, waren nicht ohne Eindruck auf den Kabylenführer Abd el Sarfa geblieben. Er sah ein, daß die Sphinx seinem Schiffe an Kampfmitteln weit überlegen war, und wollte daher nicht nutzlos noch mehr seiner Leute opfern.
Mit den Leichen der auf dem Kutter so elend und heimtückisch durch die drei Verbrecher zusammengeschossenen Stammesgenossen an Bord hatte die ‚Mauretania’ in weitem Bogen nach Osten zu die Insel Formigas wieder angelaufen und hier in der bekannten Südbucht Anker geworfen.
Abd el Sarfa, dieser intelligente Kabylenführer, der die wilde Tapferkeit des unzivilisierten Bewohners der Bergtäler Marokkos mit der kühlen Verschlagenheit eines gewiegten europäischen Diplomaten in sich vereinigte, – dieser Mann von so imponierendem hochmütigen Äußeren dachte auch nicht im entferntesten daran, auf den Azorenschatz und das reizvolle schwarzhaarige Weib, deren wunderbare körperliche Schönheit sein heißes Blut entflammt hatte, für immer zu verzichten.
Nachdem er in der Bucht eine volle Stunde gewartet hatte, ob etwa seine heimliche Rückkehr nach Formigas von der Sphinx aus beobachtet worden sei, nachdem er auch selbst von der nächsten Bergkuppe aus den Himmel mit dem Fernrohr sorgfältig abgesucht hatte, ließ er seine Leute sowie die noch auf der ‚Mauretania’ befindlichen fünf Azorenfischer, gleichfalls junge Kerle mit verwegenen Gesichtern, auf dem Vordeck versammeln und fragte, ob einer von ihnen freiwillig in dem kleinsten Rettungsboote des Schoners es wagen wolle, nach Kap Retorta zurückzurudern. Der Betreffende müsse dann die letzte Strecke schwimmend zurücklegen und das Boot den Wellen überlassen.
Der jüngste der Kabylen, der in einem Küstendorfe geboren war und schon als Knabe ein ausdauernder Schwimmer gewesen, meldete sich sofort.
Der Bursche hieß Ali Mehmed. – Ihn nahm Abd el Sarfa nun beiseite und gab ihm die genauesten Verhaltungsmaßregeln, händigte ihm nachher auch eine Flasche, ein Stück Papier, einen Bleistift und ein kleineres Fläschchen aus, in dem ein Stückchen Phosphor wasserdicht eingeschlossen war.
Ali Mehmed, der drei Jahre als Boy in einem Hotel in Tetuan beschäftigt gewesen war und dort auch zur Not schreiben gelernt hatte, hing sich die beiden Flaschen um den Hals und bestieg, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, das winzige Boot.
Bei Anbruch der Dunkelheit näherte er sich der Südküste von San Miguel, sprang ins Wasser und schwamm langsam dem fernen Vorgebirge zu.
Zwei Stunden brauchte er, bis er dicht an die beiden nebeneinander vertäuten Fahrzeuge herangelangt war.
Inzwischen war die Nacht längst herbeigekommen. Der Kabyle sah, daß die Insassen der Sphinx auf dem Deck des Kutters eng zusammenstanden, erklomm die Außenbordleiter des Luftschiffes und war im Augenblick in seinem Innern verschwunden.
Hier verbarg er sich unter einem der Betten der großen Kabine. Sehr bald betraten Agnes Sanden und die Spanierin den Raum, und Agnes suchte rasch das Wenige zusammen, was sie mit auf den Kutter hinübernehmen wollte, der sich nun von der Sphinx trennen und in der Nähe des Kaps bleiben sollte, um Viktor Gaupenberg zu suchen.
Die beiden Mädchen, die sich so rasch in schwesterlicher Zuneigung gegenseitig ihr Herz geöffnet hatten, unterhielten sich auch jetzt über die bevorstehende Fahrt der Sphinx nach den Robigas-Inseln, nannten dabei wiederholt diesen Namen der drei Eilande und ahnten nicht, daß ein aufmerksamer Lauscher jedes ihrer Worte begierig auffing.
Als sie die Kabine wieder verlassen hatten, wagte auch Ali Mehmed sich in den Schiffsgang hinaus, um ein besseres Versteck zu suchen.
In einer der Vorratskammern kritzelte er auf das bisher in der größeren Flasche vor Nässe geschützt gewesene Papier beim spärlichen Lichte des Phosphorfläschchens nichts als die drei Worte:
Sphinx – Robigas-Inseln
tat den Zettel in die große Flasche, verkorkte sie sorgsam, befestigte das kleinere Fläschchen durch eine Schnur am deren Hals und warf diese Flaschenpost durch die Luke in die See. –
Mittlerweile war auch der Schoner ‚Mauretania’ von Westen her der Küste San Miguels und dem Kap bis auf Sichtweite nahe gekommen.
Da er nur die Motoren benutzt und die Segel gerefft hatte, konnte er im Dämmerlicht der Mondnacht auf solche Entfernung nur mit Hilfe eines Fernrohrs bemerkt werden, und auch dies nur, wenn jemand die Lage des Schoners gekannt hätte.
Weder von der Sphinx noch von dem Kutter aus erspähte ihn jemand. Dagegen hatte Abd el Sarfa die letzten Vorgänge, bevor die beiden Fahrzeuge sich trennten, und die Sphinx in niederem Fluge das Goldschiff durch die Wogen schleppte, recht genau beobachten können.
Jedenfalls wurde die Flaschenpost von der ‚Mauretania’ sehr bald auch aufgefischt, und nachdem Abd el Sarfa auf einer Seekarte herausgefunden, wo die Robigas-Inseln zu suchen seien, reimte er sich unschwer zusammen, daß die Sphinx den Azorenschatz jetzt samt dem stählernen Behälter nach diesen Eilanden brächte. –
Sein Plan war in kurzem fertig. Er wollte jetzt zunächst die auf dem Kutter befindlichen Personen gefangen nehmen und dann zusehen, ob er nicht der Sphinx, die anscheinend mit der schweren Last nur langsam weiterkam, vorauseilen konnte.
Doch – Abd el Sarfa hatte auch jetzt wieder Pech.
Der Mond, der soeben noch die Segel des Kutters als helle Flecken gekennzeichnet hatte, schob sich hinter ein paar Wolkenfetzen, und als dieser das Nachtgestirn wieder freigaben, war der Kutter in den wenigen Minuten tiefer Dunkelheit verschwunden.
Der Kabylenführer glaubte jedoch, auf die Gefangennahme der Kutterbesatzung nicht verzichten zu können. Er wollte Geiseln in die Hand bekommen, durch die er die Leute der Sphinx im Notfall gefügig machen konnte.
So ließ er denn die ‚Mauretania’ jetzt mit voller Motorenkraft auf das Kap zulaufen und gleichzeitig den Scheinwerfer, auch so ein Erbstück von der ehemaligen „Otritis“, einschalten.
Der grelle Lichtkegel zeigte das schroffe Vorgebirge Retorta in all seiner romantischen, großartigen Wildheit von Zacken und Klüften, spitzen Altanen, schmalen Terrassen und überhängenden Wänden …
Derselbe Lichtkegel warnte aber auch den Kutter, der vorhin, ohne von der Nähe des Feindes etwas zu ahnen, die Segel gerefft und nur mit dem kleinen Hilfsmotor sich an die Küste herangeschoben hatte, um eine breitere Bucht als Ankerplatz zu suchen.
Pasqual Oretto, der seeerfahrene Taucher, saß am Steuer, und neben ihm seine Gefährten, der alte treue Gottlieb, auf dem Schosse den noch treueren Teckel, und die holde liebliche Agnes …
Kaum war der Scheinwerfer dort keine fünfhundert Meter nach Süden zu aufgeflammt, als Pasquals gute Augen auch schon die einstige elegante Privatjacht des nun auf Formigas kläglich verscharrten Sennor Cervera erkannt hatte …
„Die … ‚Mauretania’!!“ flüsterte er heiser. „Die Kabylen …!“
Da war auch schon der Scheinwerfer herumgeschwenkt, glitt über den Kutter mit weißen Lichtfluten hinweg, kehrte zurück – blieb auf dem Flüchtenden kleben – ließ ihn nicht mehr los … –
Gottlieb hatte seinen Kognak umsonst vom Schoße fallen lassen, sprang empor …
Stierte in die blendende Lichtquelle hinein, schüttelte vor Ingrimm die Fäuste …
„Ein netter Anfang, Freund Pasqual!!“ rief er gepreßt. „Wenn die Kerle uns ein paar Minuten später entdeckt hätten, würden wir vielleicht entkommen sein …!“
„Kalt’ Blut!“ meinte der Taucher. Und er drückte den Kutter noch näher der schäumenden Brandung zu, die als heller Strich die Küste umsäumte …
Fügte fast in einem Atem hinzu:
„Dort – ein Loch im Gischt – eine Durchfahrt …!“
Und der Kutter schoß vorwärts – auf die Stelle zu, wo die weiße Linie eine Unterbrechung zeigte …
Schoß hinein in die grollenden Wogen, ward emporgeschleudert, glitt abwärts – schrammte über eine Untiefe hinweg – in ruhiges Wasser, hinein in eine breite Bucht, bergumkränzt, baumbestanden …
„Hallo – nun mögen sie nur leuchten so viel sie wollen, die braunen Kerle!“ höhnte Pasqual Oretto … „Nun müssen sie mit ihrer ‚Mauretania’ wie der Kater vor dem Mauseloch sich gedulden und erst ein Boot aussetzen!“
Der Scheinwerfer erlosch.
Der Kutter aber stahl sich immer tiefer in die Bucht hinein, landete in einem engen kleinen Nebenbecken dicht an steiler Felswand, deren Schwärze die Umrisse des Seglers völlig verwischte.
„Hier bleiben wir vorläufig,“ meinte Pasqual. „Sollten die Kabylen uns hier trotz der Dunkelheit aufstöbern, wenden wir uns landeinwärts. – Freund Gottlieb, packen Sie für alle Fälle in zwei Segel so allerlei, was wir brauchen werden. Ich will derweil an Land und bis zu jener Ecke schleichen, von wo ich die im Mondlicht daliegende Hauptbucht wahrscheinlich überblicken kann. – Und Sie, Sennorita,“ wandte er sich an Agnes, „Sie könnten unten in der kleinen Kajüte die Bodenbretter hochheben und zwei Beile zurechtlegen. Sollten die Kabylen uns fangen wollen, schlagen wir Löcher in die Bodenplanken, damit der Kutter wegsackt.“
Geschickt sprang er dann auf den schmalen Felsgrat hinüber, tastete sich hier in der Finsternis vorwärts und hatte auch bald die Ecke der schroffen Wand erreicht.
Vor ihm lag nun die hier etwa sechzig Meter breite Bucht. Und rechter Hand war die weit schmalere Durchfahrt zum Meere an dem Glitzern des Wassers zu erkennen. –
Pasqual Oretto lehnte sich an das harte Gestein und schob die blaue Seemannsmütze mehr ins Genick.
Der alte Taucher, als Sonderling in Lissabon bekannt, knebelte zwischen den breiten Fingerspitzen behaglich ein Stück Kautabak in die rechte Form, schob es dann in den Mund und lachte lautlos vor sich hin …
So wie alte Leute zu lachen pflegen, wenn sie schadenfroh daran denken, daß sie anderen einen Streich gespielt haben.
Diese anderen waren die Kabylen …
„Sind miserable Seeleute, aber tapfere Krieger,“ murmelte der Alte. „Werden es nicht wagen, im Boot die Brandung zu passieren …“
Und spie im Bogen ins Wasser …
Schaute scharf nach der Durchfahrt hin …
Nein – alles in Ordnung dort! Nicht war zu sehen! –
Die ‚Mauretania’ glitt zur selben Minute in den nächsten, weiter östlich gelegenen Meereseinschnitt hinein und bootete hier sofort sechs ihrer Leute aus, die nun eilends, begünstigt durch den Mondschein, die Hochebene überquerten, durch die beide Buchten getrennt wurden. –
Agnes Sanden hatte bereits Pasquals Anordnungen erledigt und war nun an Deck zurückgekehrt, saß wieder auf der kreisförmigen Bank am Steuer und schaute selbstvergessen zum lichten Firmament empor.
Ihre Seele schluchzt in banger Sorge um den Geliebten. Das Herz war ihr schwer, und wie eine dumpfe trübe Vorahnung unendlichen Unheils lastete es auf ihren feinsten Nervensträngen, so daß sie bei jedem Geräusch schreckhaft emporfuhr.
Unheimlich dunkel lastete die Nacht in diesem Winkel der Bucht. Der Mond stand noch zu tief, um mit seinem milden Licht die finsteren Konturen der Felsen und Büsche in harmlose Bilder zu verhandeln. –
Agnes Sanden horchte plötzlich auf …
Da – wieder kollerte ein Steinchen und winziges Geröll rieselnd dort den Abhang hinab …
Sie starrte hin …
Die Dunkelheit mußte sie narren. Sie glaubte Gestalten zu erkennen …
Nein – nein, – die Nerven täuschten sie! Die Augen trogen …
Sie setzte sich wieder … –
Viktor – – Viktor!!
Ihre Seele weitete sich in heißem Verlangen nach Zärtlichkeit …
Die Stille der Nacht ringsum war wie das keusche Schweigen eines Brautgemachs …
„Viktor …!!“ flüsterte sie, „aus dieser Angst um dein Leben ist die Gewißheit hervorgesprossen, daß ich dir nicht zürnen kann …! Ich – – liebe dich! Ich bin dein – ich will dir geben, was nie ein Weib dir gab – meine reine Seele, meinen knospenden Leib!“
Und unbewußt reckte sie die Arme verlangend empor in anmutvoller Bewegung …
Da – – wieder das Riesel der Steinchen …
Und jetzt – – jetzt auch das leise Klirren von Metall auf Metall …
Dort – am Abhang …
Und dort – – Gestalten …
Gestalten, die nun mit langen Sätzen herbeistürmten.
Nur eine Sekunde war Agnes wie gelähmt vor Schreck …
Ein gellender Warnungsruf schrillte durch die Stille des feierlichen Buchtwinkels …
Mit weitem Sprung schnellte Agnes sich dann ins Wasser.
Es gab keinen anderen Ausweg. Schon dröhnten des vordersten Kabylen derbe Sandalen auf den Deckplanken …
Schon – – fuhr Gottliebs unbedeckter Schädel über den Rand des Kajütenaufbaus hoch. Auf der Treppe stand der Alte ….
Grinste …
So, wie er im Parke der Gaupenburg gegrinst hatte, wenn er den Hühnerhabicht mit sicherem Schuß herabholte …
Sein faltiges kühnes Wilddiebgesicht mit der Hakennase, das so verdammt wenig zu einem gräflichen Diener paßte, kniff sich immer mehr zusammen …
Und die Hand mit dem Revolver glitt hoch …
Ein Schuß …
Noch einer …
Zwei sanken in die Knie – zwei, denen die Kugeln Gelenke durchschlagen.
Dann sprang Gottlieb Agnes nach in das tiefe Wasser, packte noch mit der Linken seinen treuen Kognak, nahm ihn mit …
Hätte nie dort an der anderen Seite des Ufers unter den überhängenden Büschen Schutz gefunden, hätte nie Agnes mit in das Dunkel der Zweige hineinziehen können, wenn Pasqual Oretto nicht eingegriffen haben würde.
Der Taucher traute seiner Schießfertigkeit nicht.
Aber den Steinen traute er, die er jetzt nach den vier Kabylen aus der Finsternis heraus mit sehnigem Arme schleuderte …
Steine wie Zentnergewichte, böse Geschosse …
Und die vier, die den Kutter hatten abstoßen wollen, flüchteten in die Kajüte – auf die Treppe …
Feuerten blindlings …
Feuerten noch, als Pasqual längst die triefende Agnes vollends aufs Trockene gezogen hatte und dann auch dem leise fluchenden Gottlieb half …
Der hatte den Teckel unter dem Arm, hätte nun am liebsten den Kutter gestürmt.
„Freund Gottlieb,“ flüsterte Pasqual ärgerlich … „Danken wir Gott, wenn wir mit heiler Haut fliehen können! – Hier in die engen Schlucht hinein – vorwärts! Ich klettere voran, nehme die Sennorita bei der Hand …“
„Und unsere Vorräte, die Rucksäcke, die ich so fein gepackt habe?!“ brummte Knorz.
„Man kann auch von Früchten leben und sich ein Mooslager bereiten, Amigo! – Vorwärts!“ –
So traten die drei denn die Flucht in die Wildnis an …
Drei, die als Waffen zwei Revolver, zwei Taschenmesser besaßen …
Und sonst nur noch ihre Kleider auf dem Leibe.
So zogen sie aus, den Grafen Gaupenberg zu suchen.
Der zum wehrlosen Bündel zusammengeschürte Gaupenberg hatte sich gegen die Umklammerung des ihn fortschleppenden Kabylen zunächst noch kräftig gesträubt, hatte mit den gefesselten Beinen wütende Stöße ausgeteilt und war erst ruhig geworden, als Nassam ihm brutal die Kehle zudrückte. –
Mitten in einer dicht bewachsenen Schlucht machte Mafaldas Sarratow, die stets einige Meter vorausgewesen war, endlich halt.
Die Dunkelheit füllte das Felsental bereits mit schwarzen Schatten.
„Lege den Gefangenen nieder, Muley Nassam,“ befahl die Fürstin. „So – nun sammele Holz für ein Feuer und Moos für Lagerstätten … Dann sieh zu, ob du noch eßbare Früchte findest.“
Der Kabyle gehorchte, obwohl der plötzlich so herrische Ton der Sennora, derentwegen er seine Stammesgenossen verlassen, seinen Stolz verletzte.
Er schritt dem Eingang der Schlucht wieder zu und wandte sich nach rechts, wo eine Waldlichtung noch von den letzten Resten des verglühenden Abendrots in farbige Helle getaucht wurde.
Der kräftige, schlanke Marokkaner mit dem krausen blonden Bart, den blauen Augen und der unnachahmlich stolzen Haltung des freien Kriegers der wilden Berge Marokkos hatte bisher noch nie in seinem Leben derlei Arbeiten verrichtet.
Daheim auf den steinigen Hochebenen in den Kabylendörfern war das alles Weiberpflicht. Und hier mußte er, Muley Nassam, Sohn Muley Benars, des Löwentöters, einem Weibe dienen!! Einem Weibe, die er aus den Händen ihrer Feinde befreit hatte, für die er stundenlang keuchend und mit erstarrten Muskeln den Giaur durch die Wildnis getragen!
Nassams starrte gen Westen …
Ins letzte Abendrot …
Und sank in die Knie als gläubiger Moslim, scharrte Sand zusammen, nahm mit Sand die vorgeschriebenen Waschungen zum Abendgebet vor …
Ahnte nicht, daß die Tigerin Mafalda ihm nachgeschlichen …
Wußte nichts von dieser Tigerin Mafalda …
Nichts von Weibern, die einen Teufel statt der Seele im Leibe haben. –
Nur daß er nun sein Gebet verrichtete, daß er in der phanatischen Verzückung eines wahren Gläubigen am Rande der Lichtung kniete und seine Gebete murmelte, rettete ihm das Leben …
Das bereits zum tödlichen Wurf erhobene Dolchmesser, jene breite Klinge, die schon Ramon Cervera durch die Zeltwand hindurch in die Kehle gefahren, – es sank langsam wieder herab.
Mafalda graute plötzlich vor diesem neuen Morde …
Graute davor, diesen Mann zu beseitigen, der jetzt vielleicht seinen Gott anflehte, die weiße Sennora und ihn selbst zu schützen …
Sie schlich davon.
Lautlos wie sie gekommen – mit den weichen Schritten der sehnigen Tigerin.
Und dieselbe breite Klinge fuhr jetzt durch Gaupenbergs Fesseln. Eine Hand riß den Stoff von seinem Haupte, der ihm bisher die Augen verhüllt hatte.
Wortlos knotete dieselbe Hand seine durch den Druck der Fesseln geschwollenen Gelenke.
Wortlos hob sie den Matten empor, stützte ihn … –
Gaupenberg war völlig erschöpft.
Schlaflose Tage und Nächte, unerhörte Aufregungen lagen hinter ihm.
Selbst er war am Ende seiner Kräfte.
Lies alles mit sich geschehen …
Folgte halb taumelnd der Fürstin, die ihn hinter sich her zog – zum anderen Ausgang in der Schlucht – ein Tal empor – auf eine Hochebene …
Und hier war’s, wo der Nachtwind über Steine und Gräser den aufhorchenden Ohren Mafaldas ein seltsames Klingen zutrug …
Ein Klingen wie von Glöckchen in allen Tonlagen …
Ein Konzert der Wildnis – unerklärlich, geheimnisvoll …
Und doch so leicht zu enträtseln.
Mafalda erkannte in der Ferne dunkle Massen dicht über dem Boden … Tiergestalten …
Maultiere, die hier in der Wildnis von San Miguel im Freien gezüchtet werden.
Die ausdauerndsten Maultiere, die genügsamsten …
Und jedes der Tiere mit einem Glöckchen am Halse, am Lederriemen, einem Glöckchen, weder von Bronze noch Stahl, noch sonst einem Metall …
Nur in Formen gegossen aus jener glasartigen siedenden Masse, die den Bodenspalten der zahlreichen erloschenen Vulkane der Insel entquillt. –
Mafalda führte den Mann, den sie nun wieder in ihrer Gewalt hatte, schrittweise weiter wie ein Kind, das erst gehen lernt.
Schweigend noch immer …
Bis in der Ferne zwischen den Herden der Schein eines Feuers leuchtete, an dem zwei Männer und zwei zottige Hunde lagen …
Männer, die der Zufall hierher verschlagen, nachdem die Kultur sie als Verbrecher abgeschüttelt hatte.
Zwei Ungarn, Kerle mit Pferdeverstand, die der Besitzer der Maultierzüchterei hier in der Wildnis schon brauchen konnte … –
Die Hunde fuhren bellend auf die Nahenden los. Die Kerle sprangen auf, griffen nach den Flinten …
Das flackernde Feuer beleuchtete zwei bärtige braune Gesichter … Lustige freche Augen blitzten Mafalda entgegen, die durch drohenden Zuruf die Köter verscheucht hatte.
Die Kerle stierten …
Hier in der Wildnis, zwanzig Meilen von der nächsten Ansiedlung entfernt, ein Weib von sinnbetörender Schönheit und eine Herr in tadellosem Sportanzug …!!
Dann rissen sie gleichzeitig die breitrandigen Strohhüte von den Schädeln …
Die Schönheit triumphierte …! –
Mafalda wußte, daß Muley Nassam sie verfolgen würde …
Und – bat die Hirten um zwei zugerittene Maultiere …
Wandte sich jetzt zum ersten Male an Gaupenberg, der vor Schwäche umzusinken drohte …
„Gib ihnen Geld!“
Weiter nichts …
Ein Befehl fast …
Des Grafen Hirn war leer. Seine Augen wie blind. Seine Seele ein einziger Wunsch: schlafen – schlafen …
„Gib ihnen Geld!“ Schärfer klang’s … Da gehorchte er …
Hätte jedem, jeder gehorcht. –
Dollarscheine glitten in schwielige Pfoten.
Dollarscheine, die der Einsiedler von Sellenheim gespendet, der Geheimnisvolle, der Rätselhafte, der dem rätselhaften Fator so auffallend glich …
Die Kerle sprangen davon. Brachten zwei Tiere, zwei Decken als Sättel, zwei einfache Tresen.
Lammfromm waren die Maultiere. Waren Lasttiere. Trugen nun zwei Menschen weiter ins Ungewisse hinein …
Die Kerle starrten, glotzten, bis die Dunkelheit über den Reitern zusammenschlug.
Zählten die Scheine …
Grinsten zufrieden. Und dachten an das, was die Dame ihnen eingeschärft hatte: Nichts verraten – nichts!
Eine halbe Stunde darauf bellten abermals die Köter, schossen Nassam entgegen, der wie ein Schweißhund die Fährte verfolgt hatte.
Laut heulten die Hunde unter den Steinwürfen des Kabylen, krochen zum Feuer zurück.
Die Kerle lagen auf ihren Decken, schielten zu dem Marokkaner empor…
Nassam fragte in gebrochenem Spanisch nach der schwarzen Sennorita und dem vornehmen Sennor.
„Amigo, hier kamen die nicht vorüber …“ meinte der eine der Hirten und gähnte … „Was bist du denn eigentlich für ein Gewächs, Amigo?! So halber Nigger, scheint’s!“
Muley Nassam, freier Kabyle, Abkömmling der Westgoten, die einst Nordafrika beherrscht hatten, bückte sich und deutete auf den Eindruck eines Schuhs in der verstreuten Asche des Feuers.
„Die Sennorita war hier. Wo blieb sie?!“
Er fragte nicht … Er forderte Auskunft. Seine braune Hand lag am Griff des breiten Hiebmessers, die andere am Kolben des Revolvers …
Unendliche Verachtung sprach aus seinen stolzen Zügen, unendlicher Hochmut des freien Kriegers …
Die Kerle schielten noch stärker. Waren Memmen. Witterten den Mann, der mit Waffen umzugehen wußte.
„Hm – setz’ dich doch zu uns, Amigo,“ brummte derselbe nun begütigend. „Setz’ dich … Wir werden dir alles berichten …“
„Wo blieb die Sennora?!“
Und der Revolver drohte nach unten … Auf blanker Klinge spiegelte sich das knisternde Feuer …
„Sie … sie ritten dorthin!“ Und der Kerl hob den Arm, zeigte die Richtung.
Nassam schritt weiter …
War mit einem Satz auf dem Rücken eines Maultieres …
Kannte nicht die Tücke derer, die mit Geld erkauft.
Schüsse knallten …
Muley Nassam glitt vom blanken Rücken des auskeilenden Tieres in das dürre Gras …
Das Gesicht nach oben … Die blauen Augen weit geöffnet … Über sich die Sterne, die auch seiner fernen Heimat leuchteten …
Vom linken Arm quoll der rote Lebensart in hartes Gestein …
Und am Feuer legten die beiden ihre Flinten weg.
„Er hat genug,“ feixte der eine …
„Gehacktes Blei – sicherer Schuß!“ nickte der andere …
„Trotzdem – sehen wir nach, Janko … Sicher ist sicher …“
Sie schlenderten hin, hatten die Flinten im Arm, im zweiten Lauf noch jeder einen Schuß.
Hinter ihnen drein schlichen die Hunde …
Knurrten nur … Heulten nicht.
„Hm – –!“ meinte der vorsichtige Janko. „Sie Knurren …!“
Und das war das letzte, was er in diesem Leben über die Lippen brachte.
Der Kabyle war empor …
Hatte gefeuert …
Sprang zu …
Und dem anderen fuhr das breite Hiebmesser wie das Beil eines Scharfrichters in den Hals …
Ein Blutstrahl – fingerdick …
Und über den zuckenden Leib fiel ein zweiter. –
Der Kabyle bückte sich ohne Hast, stieß noch zweimal zu …
Ging dann zum Feuer … Sah drüben an den Büschen die Blockhütte der beiden Hirten, holte Sattel und Zaumzeug … –
Nassam ritt stolz gen Norden, hinter sich an der Leine die beiden zottigen Hunde.
Der Mond kam. Die Fährte derer, die der Kabyle verfolgte, wurde deutlicher. Trotzdem ließ er sich Zeit.
Die Hochebene war endlos. Muley Nassam zog dahin wie ein finsteres Gespenst, hinter sich die mächtigen Hunde, die ihn, die urwüchsige Kraft des Kabylen fürchtend, bereits als ihren neuen Herren betrachteten.
Endlos war die Hochebene. War eine Steinwildnis voller Urweltgeheimnisse. Überall beleuchtete der Mond die steinernen Zeugen der feurigen Mächte des Erdinneren. Überall öffneten sich im granitenen Boden runde Löcher mit wulstigen Rändern, in denen es brodelte und zischte: heiße Quellen oder Schlammgeiser.
Feiner Dampf zerflatterte im Nachtwind, wehte in langgereckten Wölkchen einher wie Geister in Schleppgewändern.
Für den Marokkaner war’s eine völlig neue Umgebung. Die Hochebenen seiner heimatlichen Gebirge hatten nichts Ähnliches aufzuweisen. Seine abergläubige Angst vor höllischen Djins, den Teufeln der Djehenna, hätte ihn längst in die Flucht und in die weiten Wälder zurückgetrieben, wenn nicht der Haß und die Mordgier des Naturkindes, das in der Rachetat nur die logische Folge erlittener Unbill erblickt, stärker als alle anderen Empfindungen gewesen wären.
Die Sennora Mafalda hatte in seinem Herzen Flammen der Sinnlichkeit angefacht, hatte halbe Gewährung geheuchelt, hatte dann mit dem weißen Gefangenen, den er stundenlang durch die Wildnis getragen, das Weite gesucht und ihn als Verräterin sich selbst überlassen.
Nassams toller Rausch, der blinde Gefügigkeit einem Weibe gegenüber zur Folge gehabt, war verflogen. Dieser blonde Kabyle, in dessen Adern das Blut germanischer Vorväter kraftvoll und überschäumend in ungezügelten Begierden wie flüssige Lava pochte, – dieser Muley Nassam, treulos geworden den Stammesgenossen und dem unbarmherzigen Anführer Abd elf Sarfa, entflohen von Bord des Kutters, dessen Deckplanken Marokkanerblut getrunken hatten, er kannte jetzt nur ein Ziel, ein Streben: Rache – – Rache – – Töten, – auslöschen die beiden Menschen, die sich hier im Innern der großen Insel ihm zu entziehen suchten!
So ritt er vorwärts auf dem halbwilden Maultier, die erbeutete Büchse quer über dem linken Schenkel …
So glitten seine Augen über den harten Boden hin, erspähten jede Kleinigkeit, die eine Fährte andeutete.
Bis weit vor ihm aus der milchigen Dämmerung der Mondnacht ein stumpfer einzelner Bergkegel aufstieg, über dessen Kuppe es wie der Lichtschein eines Feuers schwebte …
Muley Nassam, Krieger vom Volke der tapferen Kabylen, erprobter Kämpfer und Späher in unzähligen Scharmützeln mit den ebenso zähen und tapferen Spaniern, erkannte in dem hellen Schimmer der glatten Bergspitze das Licht eines Holzfeuers.
Lächelte grimmig …
Ahnte, daß dort oben die beiden lagerten, denen sein Haß galt. Ahnte, daß sie im Glauben, dort vor ihm sicher zu sein, sich niedergetan hatten, vielleicht Lippe auf Lippe, Leib an Leib inbrünstiger Hingabe …
Und er, – er – ein Getäuschter, Betrogener, Sklave eines falschen Weibes …!!
Seine weißen Zähne knirschten gegeneinander …
Seine braune Hand krallte fester den Büchsenlauf … – –
Und die, hinter denen die mordbeflissene Vergeltung her war wie der Leopard auf lautlosen heimlichen Sohlen hinter dem zur Tränke ziehenden Antilopenpärchen, – die beiden hatten die Schüsse vernommen, die dumpf von der Lagerstelle der Maultierhirten herübertönten.
Viktor Gaupenberg, wie ein Betäubter im Sattel hängend, war in seiner bleiernen Müdigkeit selbst gegenüber diesen hallenden Zeichen blutiger Vorgänge völlig gleichgültig geblieben.
Mafalda lächelte …
Lächelte das grausame Lächeln der großen Verbrecherin, die den Kabylen nun ausgelöscht hoffte.
Und trabte weiter, führte das Maultier des Mannes am Zügel, den sie hier in der Einsamkeit der Inselwildnis wieder für sich zu erobern hoffte …
Ihre Gedanken spannen Pläne für die nächsten Stunden, entwarfen den Inhalt betörender Verteidigung gegenüber dem zornigen Zweifel des von ihr gewaltsam Verschleppten. –
Dann – mit einem Male dort vor ihr der Bergkegel …
Und nach links bog sie ab, umritt das zerklüftete Steingefüge, erblickte an den steilen Abhängen die matt schillernden erkalteten Ströme von Lava …
Ein Kraterberg – ein erloschene Vulkan!! Wohlbekannt in seiner besonderen Eigenart dieser Frau, deren unstätes Abenteurerdasein alle Länder des Erdenrunds gesehen …
Fand an der Nordseite eine Stelle, die ihrer Augen rasches Erkennen als günstig für den Aufstieg herausfand …
Klappernde Hufe kletternder Maultiere lösten Steine auf schroffem Felsengrat.
Und oben dann das Panorama der mondbeschienenen Steinwüste. Oben einzelne Blöcke, übereinander geschichtet zu phantastischen Bauten wie Ruinen alter Burgen.
„Steige ab,“ sagte Mafalda kurz und half dem Manne aus dem Sattel.
Gaupenberg taumelte wieder. Die Beine trugen ihn kaum. Wortlos, nur erfüllt von unendlichem Widerwillen gegen seine Begleiterin, sank er auf nacktem Stein zusammen, schaute über sich die glitzernden Sternenwelt – – und schlief ein …
Drei Tage, drei Nächte kaum eine Stunde Ruhe … Drei Tage, drei Nächte die Hetzjagd unsinnigen Erlebens auf den Spuren der geraubten Sphinx …
Das – das war selbst für einen Viktor Gaupenberg zuviel gewesen! Leib und Geist streikten. Die Natur forderte ihr Recht auf Ruhe.
Er schlief … –
Und vor ihm stand die Fürstin Mafalda Sarratow, ein anderes Lächeln um die vollen Lippen, deren matte Röte von heimlichen Zärtlichkeiten leuchtete …
Mafalda, die Tigerin …
„Mein bist du, mein bleibst du!“ flüsterte sie …
Und ihre Rechte hob sich wie in freventlichem Schwur. –
Dann umschritt sie den Kraterrand …
Blickte hinab in die zackige, meterbreite Öffnung, aus der einst vor vielleicht Jahrtausenden feuerflüssige Lavamassen emporgequollene waren …
Schwarz und geheimnisvoll gähnte der Schlund. Schräg nur die eine Wand, nicht steil wie die anderen Stellen. Schräg, daß ein vorsichtiger Fuß wohl hinabtasten konnte in unbekannte Tiefen …
‚Eine Zuflucht, – falls Nassam noch lebt,’ dachte Mafalda.
Sie war nicht das Weib, das Möglichkeiten leichtsinnig für Gewißheit nahm. Sie war die stets Vorsichtige, Mißtrauische. Rechnete wohl mit des Kabylen Ende durch die Kugeln der bestochenen Hirten. Rechnete ebenso gut mit dem Siege des wilden Muley Nassam. Sagte sich, daß, wenn er noch zu fürchten, seine Rache ihn sehr bald herbeiführen würde. Prüfte nochmals die Hänge des Kegelberges, legte sich dann auf der Nordseite nieder und starrte in die neblige Dämmerung der Hochebene hinab.
Kaum zehn Minuten …
Dann tauchte der Feind auf …
Die Hunde hinter sich, zottige Riesen, wie dahintrottende Löwen …
Er umrundete den Berg, sprang von seinem Reittier, suchte den Weg zur Höhe …
Hinter sich die riesigen Hunde …
Im Arm die erbeutete Büchse …
Mafalda glitt zu dem erschöpften Schläfer hin, nahm ihm die Waffe aus der Tasche, ließ den Laderahmen der Pistole herausschnellen, zählte die Patronen …
Fünf …
Und schob den Rahmen zurück in den hohlen Kolben, kroch zurück hinter das Randgeröll …
Wartete … –
Der Kabyle war … verschwunden …
Und Mafaldas Augen, bald schmerzend vor unaufhörlichem Spähen und Suchen, bekamen den unsicheren Schimmer wachsender Furcht.
Mafalda traute es dem klettergeübten Marokkaner wohl zu, daß er eine andere Stelle zum Aufstieg erwählte. Mafalda wußte, daß sie den Randkreis der Bergkuppe unmöglich im Auge behalten könnte. Sie fürchtete jetzt jeden Moment den Kopf Nassams irgendwo erscheinen zu sehen. Zwei Schüsse aus seiner Büchse, – und sie und Viktor Gaupenberg würden hier ihr Leben aushauchen – neue Opfer der verderblichen, versunkenen Milliarden!
Sie zauderte nicht länger. Angst saß ihr im Nacken. Angst verlieh ihr Kräfte, die sie selbst nicht geahnt …
Glitt hin zum harten Lager dessen, dem ihre verderbte Seele in toller Leidenschaft gehörte …
Hob den Schlafenden empor, klomm mit der schweren Last in den Armen fünf Schritt am schrägen Kraterloche abwärts …
Kam ins Gleiten …
Warf sich hintenüber …
Sauste auf glatter Fläche, den Geliebten neben sich, umschlungen in der Gewißheit des sicheren Todes, weiter und weiter, bis ihr bremsender Fuß beide Körper zur Seite warf …
Ins Leere glitten sie, Leib an Leib, – hinein in die Finsternis eines schaurigen Abgrundes, aus dessen Tiefen wie Hohngelächter gellende Töne emporflatterten …
Ein Schrei glitt über bebende Lippen. Ein doppelter Schrei …
Gaupenbergs Sinne waren wach. Sein Schrei war ein Fluch für das Weib, deren rücksichtslose Selbstsucht ihn hier in das Nichts des elenden Sterbens hinabgeschleudert … –
Und oben an der Krateröffnung lauschte vornübergebeugt der blonde Kabyle …
Hörte den wilden Ruf der beiden Verlorenen …
Sein Gesicht ward starr …
Noch tiefer beugte er sich …
Wagte den ersten Schritt …
Den zweiten …
Vernahm die seltsamen Töne aus unbekannten Schlünden empordringen wie die Stimmen grausamer Djins …
Und wagte den dritten vorsichtigen Schritt … Sein Haß malte ihm aus, daß die weiße Sennora ihn zu täuschen suchte, daß dieses dunkle zackige Loch in gangbare Höhlen führte …
Und unter der Ledersandale bröckelte mürbes Gestein …
So plötzlich wie soeben unter dem tastenden Fuß der Abenteurerin …
Ins Gleiten kann der von Liebe Betörte …
Seine Finger krallten sich fest in die schräge Bahn …
Lösten sich unter der Wucht des abwärtssausenden Leibes …
Und – – ins Leere flog Muley Nassam, der Tapfere …
Hinein in das vielstimmige Konzert der grausamen Geister des Kraters …
Steuermann Hartwich hockte zur selben Stunde im runden Führerstand der Sphinx und beobachtete aufmerksam Kompaß und Höhenmesser.
Neben ihm auf dem kleinen Schiffsklappstuhl aber saß Silvia Gonzalez, das Kind des sonnigen Spaniens, das Kind eines längst entschwundenen Jahrhunderts, erweckt aus dem Rätselschlaf durch den Zaubertrank eines der berühmtesten Alchimisten, die je die Köpfe der Menschen mit Gier nach unermesslichem Goldreichtum erhitzt hatten.
Theophrastus Parazelsus, Erfinder des Elexiers der Erweckung, Zeitgenosse des großen Wallenstein, abgewiesener Verehrer der jugendschönen Silvia, Günstling am Hofe des Königs der Pyrenäenhalbinsel, – er war’s, der gleich den Fakiren des modernen Indiens den Zauberschlaf auf die Augen Silvia Gonzalez’ gebannt hatte …
Und im meerumrauschten Dorgas-Riff war das zweite Wunder geschehen: ein Weib, das Hunderte von Jahren der Unvergänglichkeit alles Irdischen getrotzt hatte, war zum Leben wiedererwacht, war aus endlosem Schlaf hinübergeglitten in das lebenerfüllte Dasein ihrer fast ewigen Jugend.
Die Liebe galt dem blonden, deutschen Seemann, den ihre Augen, noch halb traumumfangen, als erstes in den Grotten der Dorgas-Klippe erschaut hatten … –
Nun zog die Sphinx ihres Weges hin gen Westen über den Atlantik, schwebte nur fünf Meter über den rollenden Wogen, deren weiße Kämme das Dunkel des nächtlichen Welmeeres wie mit hellen Streifen durchflochten … Nun schleppte die Sphinx an den zwei armdicken Stahltauen den Schatz der Azoren im stählernen Gehäuse des granatenzerfetzten U-Bootes zum Gestade der einsamen, einsamen drei Robigas-Inseln …
Im Wasser durchpflügte U 45 seine dunkle Bahn, gefesselt an Gaupenbergs wunderbares Luftboot, die einzige Sphinx …
Und im Führerstand bei pendelnder elektrischer Birne saßen die zwei, die einander liebten, und doch nicht ahnten, welch grausames Verhängnis über ihnen lastete.
Hand in Hand die beiden, die Lippen noch heiß von Küssen der Seligkeit.
Die Nerven noch zitternd im wonnigen Nachklingen heimlicher Liebkosungen.
Röte flammte auf Silvias Wangen. Die dunklen Augen lagen hinter den Schleiern erfüllter Liebe.
Eng schmiegte sie sich an Steuermann Hartwichs stattliche Brust. So eng wie das Täubchen, das scheu dem Gebieter in Zartheit des Lebens höchste Seligkeit dankt. –
Georg Hartwich lächelte glücklich – verträumt …
Und flüsterte:
„Oh Silvia, die böse Sphinx hat ohne meine Hand nicht Kurs gehalten. Weit nach Süden waren wir abgewichen in der kargen Zeit, wo wir beide uns von hier fortstahlen zur verschwiegenen Kabine und …“
Da legten ihre Finger sich rasch auf den bärtigen Mund …
„Still … still …!!“
Und noch enger preßte sie sich an ihn …
Hauchte weiter – mit den weichen Tönen keuscher Hingebung:
„Auf den Inseln werden wir beide den Schatz bewachen, Geliebter … Wir beide … In einer Hütte, die wir uns aus Zweigen erbauen, einen grünen Tempel der Liebe …“
Hartwich wurde ernst. Kam wieder zu sich aus seligem Rausch.
Schüttelte den Kopf. „Ich, meine Silvia, ich muß den Freund suchen, der auf San Miguel zurückgeblieben …! Sobald wir die drei Gefangenen auf der Südinsel untergebracht haben werden, kehre ich mit der Sphinx nach San Miguel zurück. Du und der rätselhafte Fator, ihr sollt die Milliarden schützen. Es muß sein.“
Sein Blick glitt zum Spiegel des Sehrohres hin …
Die Liebe trat zurück. Die heilige Pflicht hatte wieder gesiegt.
Und des Steuermanns Augen erkannten auf dem blanken Glase weit westlich die Lichter eines schnellen Schiffes …
Ein Schoner! Die ‚Mauretania’ der Kabylen! Kein Zweifel – die ‚Mauretania’! Und gleichfalls mit Kurs gen Westen, wo nichts anderes zu suchen als die Robigas-Inseln und weiterhin die Küsten Südamerikas!
Georg Hartwig erschrak …
Wie nur war es möglich, daß die ‚Mauretania’ wußte, wohin die Sphinx sich gewandt hatte?!
Wie nur war dieses Rätsel zu lösen?!
Neben ihm flüsterte Silvia Gonzalez:
„Warum sorgst du dich, Geliebter? Dein Gesicht ist düster … Dein Blick so streng …“
Er drehte den Kopf …
Lächelte sie an …
„Unsere Liebe hat die Sphinx geschützt, Silvia! Wäre die Sphinx nicht nach Süden von ihrem ursprünglichen Kurse abgekommen, so würde die ‚Mauretania’ uns eingeholt und bemerkt haben …! So aber ist sie uns bereits voraus! – Da, sieh, – hier auf dem Spiegel den dunklen Leib der ehemaligen Jacht des Senor Cervera! Sieh die Laterne des Schoners, sieh den weißen Schaumstreifen, den die arbeitenden Motoren aufwirbeln mit den das Wasser peitschenden Schiffsschrauben! – Silvia – über unserer Liebe leuchtet ein Glücksstern!“
Und er umfing Silvia Gonzalez und küßte die noch heißen Lippen …
Der – – Arme, arme Tor!!
Und sah nicht den Mann, der im Schiffsgang der Sphinx hinter der nur angelehnten Tür des Führerstandes mit wehem Gesicht des Wissenden lehnte und an das dachte, was kommen mußte: die Rache der betrogene Jahrhunderte, die scheinbar spurlos an der holden Schläferin vorübergegangen.
Fator war’s, der Geheimnisvolle …
Fator, von dem niemand der nun abermals auseinandergesprengten Insassen des Luftbootes sagen konnte, was der hagere ernste Mann in Wirklichkeit sein mochte.
Niemand … niemand! Allem ein wandelndes Rätsel … Vielleicht nur einem Weibe ein halbes Rätsel: Agnes Sanden, die jetzt auf San Miguels steinigen Hochebenen zusammen mit dem treuen Gottlieb und mit Pasqual Oretto, dem Taucher, den verschleppten Gaupenberg suchen wollte! –
Fator wandte sich und schlich wieder in seine Kabine zurück …
Schaute durch das kleine Fenster über den nächtlichen Ozean, hob den Blick zu den Gestirnen …
„Laßt sie sterben, bevor ihre Schönheit jäh dahinwekt!“ sprach er vor sich hin, starr den glitzernden Punkt der Venus am Firmament im Auge behaltend. „Laßt sie sterben mitten aus der Liebe heraus, die Ihr dort oben, Ihr Allmächtigen, noch gewährt …! Laßt sie nicht eines Morgens erwachen als Opfer der betrogenen Vergänglichkeit: alt, siech, weißhaarig, – ein abschreckendes Bild der Jahrhunderte, denen sie den Tribut schuldet – den Tribut der mordenden Zeit!“
Und die grauen Augen Fators starrten wieder empor zum flimmernden Venusstern …
Bis der glitzernde Punkt am Nachthimmel sich dehnte und dehnte …
Zur strahlenden Fläche wurde…
Zur hellen Wand, auf der immer klarer ein Bild erschien …
Eine grüne Hütte am Rande dornigen Gestrüpps … Und davor Silvia Gonzalez, ihr gegenüber ein Mann mit erhobener Waffe … Hinter ihrer Georg Hartwich …
Das Bild gewann Leben …
Silvia taumelte – sank Steuermann Hartwich in die Arme …
Glitt zu Boden mit ihm … –
Dann … verschwand das Bild …
Es war, als ob das nächtliche Firmament seine Vorhänge wieder über die helle Fläche breitete. –
Fator atmete schwer …
Er hatte mit den Mächten, die er durch uralte Pergamente beherrschen gelernt, wieder einmal Zwiesprache gehalten.
Eine Antwort war gekommen – das Bild der sterbenden Silvia!
Und Fator wußte, genau wie er soeben am Himmel das Ende der liebeglühenden Spanierin geschaut, genau so würde sich dieser Ausgang eines rätselvollen, über Jahrhunderte hinaus durch rätselhafte Kräfte gedehnten Lebens auch abspielen!
„Ich danke euch!“ flüsterte Fator …
Und nochmals:
„Ich – danke euch!“ –
Hinter ihm ging die Tür auf …
„Entschuldigen Sie, Fator,“ sagte Hartwich hastig. „Ich glaubte, Sie schliefen und würden mein Klopfen nicht hören … – Die ‚Mauretania’ ist vor uns, Fator. Soeben habe ich sie im Spiegel des Sehrohres bemerkt … Denken Sie – das Kabylenschiff! Wie nur kann es um alles in der Welt hier wieder aufgetaucht sein?!“
Fator winkte. „Ich komme in den Führerstand, lieber Hartwich. Beraten wird dort …“
Der Steuermann schritt voraus.
Silvia hatte sich in ihre Kabine zurückgezogen. Die beiden Männer waren allein.
Ein Blick auf Spiegel, Kompaß und Höhenmesser zeigte Hartwich, daß die Sphinx jetzt mehr südlich dahinschwebte.
„Ich will die Südinsel ansteuern,“ erklärte er Fator. „Die ‚Mauretania’ wird dieses von den beiden anderen vier Meilen entfernte Eiland kaum bemerken. Der Kabylenführer Abd el Sarfa dürfte kaum imstande sein, eine Seekarte richtig zu lesen. Die Robigas sind ja selbst alten Maaten völlig fremd. Wer kümmert sich um drei unwirtliche Inselchen weit ab von allen Schiffsrouten?! Und dann, die Südinsel hat Riffkränze, wird von Strömungen umspült, die zu jeder Zeit haushohe Brandung erzeugen. Ich erwähnte schon, daß dieses Eiland meines Wissens noch nie betreten wurde. Nur wir werden dort landen können, wir, denen die Möglichkeit gegeben, die Brandung zu überfliegen. In zwei Stunden wird die Südinsel vor uns auftauchen. Wenn Sie, Fator, bis dahin die Sphinx steuern wollten, wäre ich Ihnen dankbar. Ich möchte ein wenig ruhen …“
„Tun Sie es, lieber Hartwich … – Übrigens habe ich vorhin nach unseren drei Gefangenen gesehen und ihnen Speise und Trank gereicht. Der Sennor Targossa benahm sich wieder sehr anmaßend. – Was soll nun mit den dreien werden, die wir doch eigentlich auf der Südinsel zur Strafe aussetzen wollten?“
„Das wird auch geschehen, Fator. Die ‚Mauretania’ dürfte wohl umkehren, wenn ihre Besatzung merkt, daß sie doch nicht an uns herankann …! Und wenn sie es nicht tut …,“ Hartwichs Gesicht ward steinern – „dann – dann … wird sie die Folgen zu tragen haben! So wahr ich jede Gewalt verabscheue, eine Bombe für die ‚Mauretania’ liegt schon bereit! Bei diesem Kampf um die Goldmilliarden dürfen wir von der Sphinx, wir, die berechtigten Verteidiger des Schatzes, nicht weichherzig sein!“
Fator nickte …
„Ganz meine Ansicht … – Gehen Sie dann als … Sobald die Südinsel in Sicht kommt, wecke ich Sie.“
Hartwich verließ den Führerstand.
Und drückte die kleine Tür hinter sich zu …
Kam an Silvias Kammer vorüber …
Weiche Arme umschlangen ihn …
Ließen ihn – nicht vorüber …
Zogen ihn hinein ins Dunkel des engen Raumes, in dem so viel Seligkeit emporwuchs aus glühenden Menschenherzen. – –
Und vorn im Vorschiff, im winzigen festen Verschlag, hockten im Dunkeln die drei Männer, denen am Vorgebirge Retorta die Schicksalsstunde geschlagen hatte.
Drei Gefangene …
Gefangene, ohne Rücksicht gefesselt, angekettet – wie wilde Tiere …
Und das waren sie, die drei … Bestien, toll vor Hunger …
Bestien, die nach Gold lechzten …
Nach fremdem Golde! Denn die versunkenen Milliarden, geweiht dem deutschen Vaterlande von deutschen Männern, gehörten nur Deutschland – Deutschland allein! Sollten helfen, die Not des verlorenen Krieges zu lindern. Sollten helfen, die Wunden zu heilen, die das Völkermorden hinterlassen hatte.
Drei Bestien hockten im Finstern …
Gefüllt bis oben mit schäumender Wut, zweckloser Wut …
Geifernde Worte kamen über zuckende Lippen …
„Oh – nur wieder frei sein!“ keuchte Emilio Targossa, der Patalonianer… „Und dann die Schufte über einem Feuer rösten – alle – alle. Gaupenberg, Hartwich, Knorz … alle … alle …!! Rösten, daß sie sich die Seele aus dem Leibe brüllen …!!“
„Und – – langsam sie sterben lassen, ganz langsam!“ meinte Lomatz in wildem Haß …
Nur Alfonso Jimminez lachte geringschätzig.
„Narren ihr!! Feige Narren!!“
Mehr nicht … Der Riese konnte kaum mehr Verachtung in diese Worte hineinlegen.
Da schwiegen die beiden …
Haßten auch diesen Jimminez, weil sie fühlten, daß er wenigstens … Mann war! –
Und – – zwei Türen weiter, auch in einer Vorratskammer der Sphinx, saß eng zusammengedrückt hinter Kisten und Ballen jener Kabyle Ali Mehmed, den Abd el Sarfa als besten Schwimmer zum Kap Retorta geschickt hatte …
Saß der junge Marokkaner und triumphierte, weil er an Bord der Sphinx die Fahrt mitmachte … Weil niemand ahnte, daß zwischen den Aluminiumwänden des Luftbootes der Gegner verborgen …!
Triumphierte … Hatte doch die Ohren nie ruhen lassen … Hatte bald heraus, daß hier in der Nähe Leute festgehalten wurden – Europäer …
Hörte, wie jemand ihnen Essen brachte.
Hörte dann nichts mehr …
Wollte Verbündete werben. Wollte, er, der jüngste der Krieger Abd el Sarfas, den Triumph vollenden und der Sphinx sich bemächtigen! –
Stille im Luftboot … Nur die Motoren arbeiteten … Nur die Propeller pfiffen draußen ihr stummes Lied …
Der Kabyle schlich in den Gang hinaus. Dunkelheit ringsum … Tastende Hände suchten die Türen zu unterscheiden … Fanden die eine mit dem schweren Riegel, den vorgestemmten Stützen, den Eisenstangen …
Und wagte es. Entfernte die Stangen, legte sie lautlos auf die Matten des Ganges. Öffnete die Tür …
Flüsterte hastig, des Spanischen sich bedienend:
„Sennores, hier ist Ali Mehmed, ein Kabyle … Sennores, was kann ich für euch tun?“
Keine Antwort …
Den dreien, die vom Kap Retorta aus die Kugelsaat über den Kutter hinweggeschickt und die Planken mit dem Blute brauner Söhne Marokkos geträngt hatten, blieb der Atem für Sekunden weg …
Kabylen – – Kabylen an Bord!! Das hieß ja für sie sofortigen Tod …!
Und wieder raunte der junge Krieger:
„Wer seid ihr, Sennores …? – Ich habe mich heimlich an Bord geschlichen … – Wer seid ihr? – Ich weiß, daß nur zwei Männer und ein Weib hier auf der Sphinx sind … Wenn ihr Mut habt, können wir gemeinsam wohl die drei überwältigen!“
Jimminez zischte durch die Zähne …
Vor unendlicher Freude …!
Wie ein Reptil, das genau weiß, wie es dem Feinde sehr bald die Giftzähne in den Leib schlagen kann …
„Rasch – löse meine Fesseln … rasch!! Hier – links… Rasch!“
Er japste vor Aufregung
Er fühlte die Hände des Marokkaners, fühlte die Knoten der Stricke auseinandergleiten …
„Rasch – – rasch …!!“
Und auch Lomatz flüsterte heiser:
„Dann … dann ich – als zweiter!!“
Nun war der Riese Jimminez frei … Nun langte er nach oben, wo die Pendellampe hing …
Greller Lichtschein …
Und Alfonso Jimminez packte zu …
Seine Eisenklammern von Fingern umkrallten den Hals des Kabylen …
Dann … ein Ruck nach hinten …
Ein entsetzliches dumpfes Knacken wie von brechenden Genickwirbeln …
Und Jimminez schleifte den Körper nach rechts, wo die schmale Seitenluke in dicken Gummirändern luft- und wasserdicht durch den Druckhebel verschlossen war …
Die Leiche sank in die Tiefe, klatschte auf die Wellen auf, sank auf das Deck des Goldschiffes, glitt ab … verschwand in noch dunkleren Schlünden des Ozeans.
So starb Ali Mehmed, der Schwimmer. –
Jimminez ließ sich, nachdem er Targossa und Lomatz befreit hatte, zum Schein wieder fesseln. Er saß als vorderster in der engen Kammer. Er deckte mit seinem athletischen Leibe die beiden anderen …
„Wir warten ab, wo die Sphinx das U-Boot hinschleppen wird,“ hatte er bestimmt. „Dann erst fallen wir über die drei her … Dann erst!“ –
Und weiter zog die Sphinx ihre Bahn … –
Gen Westen …
Wo die Südinsel der drei Robigas-Eilande nun aus dem Dunkel des nächtlichen Atlantik mit weißen Sanddünen, weißen Brandungsringen, düsteren Dickichten und schwarzen Felsengruppen langsam sich herausschälte.
„Das hieß Glück haben!“ lachte Pasqual Oretto grimmig. „Den braunen Schuften sind wir entronnen …! Und wenn wir auch hier in der Wildnis jetzt nicht gerade behaglich lagern, wir lagern doch, haben Waffen und unsere Zähigkeit! Wir werden den Grafen schon finden!“
In einer der tiefen Schluchten unweit des Kap Retorta hatten Agnes, Pasqual und Gottlieb Knorz mit dem krummbeinigen halbblinden Teckel eine Stunde nach dem Überfall an der Südbucht halt gemacht, ein kleines Feuer angezündet und ein Erdhuhn am Spieß gebraten, das der vielseitige Pasqual durch einen Steinwurf erlegt hatte.
Agnes drängte jetzt zum Aufbruch.
„Die Kabylen werden kaum mehr in der Nähe der Bucht umherschwärmen,“ meinte sie. „Bei dem hellen Mondlicht können wir der Fährte Gaupenbergs und seiner Entführer leicht folgen. Ich bitte Sie herzlich, lieber Pasqual, all ihre Bedenken zurückzustellen. Ich kann und will hier nicht müßig in Sicherheit verharren, wo ich doch den Mann in den Händen einer Verbrecherin weiß, der meinem Herzen Glück und Seligkeit bedeutet.“
Der wackere Taucher erhob sich.
„Gut denn, Sennorita Agnes … Brechen wir auf. Es ist jetzt Mitternacht, und solange der Mond uns leuchtet, können wir uns vorwärts wagen.“
Auch Gottlieb Knorz war sofort bereit, dem Wunsche seines Lieblings zu entsprechen.
„Ich begreife Sie vollkommen, Freundin Agnes,“ sagte er in seiner schlichten Art. „Und ich begreife Sie um so mehr, als auch ich die Pflicht habe, alles zu tun, um meinen Herrn diesem Weibe wieder abzujagen. – Vorwärts also …!“ –
Und drei Stunden später hatten die nächtlichen Wanderer dieselbe Schlucht erreicht, in der Mafalda, Muley Nassam und Gaupenberg kurze Zeit gerastet hatten.
Der Mond war soeben verschwunden.
„Jetzt bleiben wir hier bis Sonnenaufgang,“ entschied Pasqual. „Setzen Sie sich nur, Sennorita. Hier liegt ja ein ganzer Berg Moos, den irgend jemand gesammelt haben muß. Geben Sie acht, welch weiches Lager ich Ihnen herrichte …“
Und der gute alte Oretto wählte einen geschützten Winkel zwischen zwei Felsblöcken aus, breitete das Moos hier auf den Boden, schichtete noch ein Kopfpolster zusammen und winkte Agnes …
„Schlafen Sie, Sennorita … Schlafen Sie recht fest … Wir werden unsere Kräfte brauchen!“ –
Agnes lag mit offenen Augen da …
Mit Gedanken, die weit – weit in die Ferne schweiften …
In die Heimat – zur einsamen Mutter dort im Dorfe Sellenheim …
Zur Ruine Sellenheim, in der Doktor Dagobert Falz hauste, ihr Beschützer, ihr guter Geist …
Und kehrten zurück, die Gedanken, zu den letzten Ereignissen …
Zu den Vorgängen am Kap Retorta … Zu der Aussprache mit Gaupenberg – zu dem feierlichen Moment, wo Gaupenbergs mächtige Sphinx des Goldschiff vom Felsgrunde des Ozeans gehoben hatte.
Und zu den Minuten grenzenloser Verzweiflung, als des Grafen gewaltsame Entführung zur Gewissheit ward … –
Agnes konnte nicht einschlafen …
Hörte mit einem Gefühl leisen Neides das tiefe Atmen ihrer beiden treuen Begleiter …
Wurde immer unruhig …
Wurde schließlich emporgetrieben vom weichen Lager, als der graue Schimmer der Morgendämmerung in die dunkle Schlucht sich hinabstahl …
Wanderte leise gen Norden … Wollte nur Ausschau halten im frühen Licht von der nächsten Kuppe … Und – fand jenseits der Schlucht am Rande der Hochebene deutliche Spuren …
Die lockten … lockten sie weiter und weiter …
Blindlings eilte sie dahin … Zwischen den Herden der Maultiere hindurch – zum erloschenen Feuer der Hirten …
Und – zu den beiden Leichen, den Opfern des wilden tapferen Nassam.
Da erst angesichts der im Blute schwimmenden Toten ward sie sich der Gefahren bewußt, die hier ihr drohten. Wollte umkehren …
Sah plötzlich zwei gelbzottige Riesenhunde von Norden dahergejagt kommen …
Hunde, wie sie noch nie des Mädchens Auge geschaut. San Miguel-Hunde, Kreuzung von Dogge und Bernhardiner, – Tiere wie die Löwen, aufgezogen mit rohem Fleisch, abgehärtet in der Wildnis, nicht gewöhnt an weiche Stimmen, die mit Liebe schmeichelten …
Mit gesenkten Köpfen, die gelblichen Augen hervorleuchtend unter den wehenden Zotteln der Gesichter, – so hetzten sie herbei in langen Sprüngen, als wollten sie sich ohne Zaudern auf das junge Mädchen stürzen, die da regungslos, überwältigt von jähem Schreck, unweit der beiden Toten stand.
Wenn Agnes Sanden jetzt noch dieselbe zarte, hilflose Agnes aus jenen Tagen gewesen, als Mafalda Sarratows feines, schamloses Intrigenspiel auf der Gaupenburg eine junge tiefe Herzensneigung vorläufig zu zerstören wußte, dann würden die beiden Riesenhunde, denen der Wind schon von weitem die Witterung des Blutes und der Leichen ihrer Herren zugetragen hatte, die eine Wehrlose in grimmer Wut zerrissen haben.
So aber, wie Agnes durch Leid und Erleben nun eine andere geworden, fanden die gelbfahlen Bestien in dem schlanken Weibe eine Gegnerin, deren erstes Erschrecken nur sekundenlang wehrte.
Agnes ahnte die Gefahr.
Sie zog blitzschnell den Revolver, den sie noch in der Tasche trug, da Gottlieb Knorz vergessen hatte, ihn ihr wieder abzufordern.
Sie wußte auch mit Hunden umzugehen. Auf der Gaupenburg hatte sie die kleine wilde Meute des Grafen lediglich durch Wort und Blick gelenkt. Ihre Stimme war von merkwürdigem Einfluß selbst auf die tückischten Rüden. Vielleicht gerade das unendlich Weiche, Melodische dieser Stimme gab dabei den Ausschlag.
Agnes feuerte – über die Tiere hinweg …
Zwei Schüsse …
Die Bestien stutzten – standen still …
Knurrten dumpf …
Ein tiefes Knurren, – wie ein Dröhnen aus breiter Brust und urgesunden Lungen …
Agnes blickte die Tiere scharf an. Begann zu ihnen zu sprechen … Irgend etwas … Sanft wie das streichelnde Wehen einen schwachen Luftzuges …
Sprach unermüdlich. Lächelte … Winkte, lockte …
Bis die buschigen Ruten der Bestien leicht hin und her pendelten: Zeichen friedlicher Gesinnung!
Agnes lockte abermals … Ihre Stimme ward strenger, befehlender, verlor trotzdem nicht das Gütige, Milde …
Dann tat der eine der fahlgelben Rüden den ersten Schritt vorwärts – auf das Mädchen zu …
Nährte sich langsam …
Beschnupperte die fremde Erscheinung, wedelte stärker mit dem Schwanz. Zeichen des feinen Tierinstinkts, der dem Hunde verriet, daß hier eine tierliebe Seele Frieden und Freundschaft wünschte!
Agnes wagte noch mehr.
Ohne Scheu streichelte sie den mächtigen zottigen Kopf …
Sprach dazu … irgend etwas …
Und die fahlgelbe Bestie begann die Schnauze an der Hüfte des jungen Weibes zu reiben – immer stärker …
„Pluto will ich dich nennen,“ sagte Agnes zu dem Bekehrten und kniete nieder. „Pluto – so, laß dich umarmen …“
Und mit behaglichem Knurren lag des Hundes Kopf nun an der Wange der neuen Herrin …
Pluto sog die Witterung des Frauenleibes ein … ganz tief …
Die gelbe Augen des Hirtenhundes schauten in die graublauen Sterne des Mädchens. In beider Augen lag Verstehen, Zuneigung, das Bewußtsein neuer Zusammengehörigkeit.
Auch der andere Hund nahte … Zögernd zwar. Scheuer. Offenbar eine herbere Natur, weniger leicht zu gewinnen.
Aber auch er unterlag dem Reiz der weichen Stimme. Auch sein Instinkt spürte die Güte dieses menschlichen Herzens.
Noch nie waren diese beiden Bestien, die schon oft genug ein Maultierfüllen zerrissen und fast in einer einzigen Nacht aufgefressen hatten, mit Liebe behandelt worden, noch nie gestreichelt worden.
Liebe und Güte bewältigten die Wildheit ihrer ungezügelten Natur, und das Anschmiegende im Charakter jedes Hundes vollendete den Sieg des Weibes über die riesigen Rüden.
Gewiß – sie eilten jetzt hin zu den Leichen und beschnüffelten sie, stießen winselnde Klagetöne aus.
Doch als Agnes sie lockte, gehorchten sie.
„Pluto – Cäsar, hierher, – – hierher!“
Sie folgten der Herrin, umsprangen sie …
Agnes kehrte zurück zu der fernen Schlucht.
Nein – wollte zurückkehren zu den beiden Gefährten.
Das seltsame Benehmen der Hunde hemmte ihre Schritte.
Pluto und Cäsar eilten wiederholt eine Strecke nach Norden, kamen zurück, bellten, heulten, liefen wieder davon, blieben stehen, bellten stärker … –
Agnes begriff. Die Hunde wünschten, daß sie ihnen nach Norden folge!
Und dort nordwärts sah sie nun im goldigen Glanz der ersten Sonnenstrahlen einen stumpfen, einzelnen Bergkegel …
Sah deutlich oben auf der Kuppe die Umrisse zweier Maultiere. Mit hängenden Köpfen standen die beiden – hoch oben auf dem Berge.
Und von neuem begannen Pluto und Cäsar die Herrin zu rufen …
Ihr Bellen hieß: ‚Dort ist ein Unglück geschehen. Dort versanken drei von Deinesgleichen im finsteren Schlund!’
Agnes schritt jetzt nach Norden weiter. Durch Maultierherden hindurch, die vor den zottigen Hunden im Galopp auseinanderstoben.
Das klare Morgenlicht hatte die Entfernung bis zum Kraterberge weit kürzer erscheinen lassen. Über eine volle Stunde verging. Dann erst waren Agnes und ihre Hunde an der Nordseite des Kegels angelangt.
Sofort kletterten Pluto und Cäsar leichtfüßig hinan …
Bellten – lockten die Herrin.
Agnes ahnte, daß hier in der Nähe nachts sich Furchtbares ereignet haben müsse. Die Leichen der Hirten, die doch fraglos im Kampf die schweren Wunden empfangen, und die Maultiere oben auf der Kuppel, die noch gesattelt waren, deuteten auf ernsteste Vorfälle hin.
Agnes’ Angst um Viktor Gaupenberg wuchs mit einem Male wieder ins Ungemessene.
Sie erklomm den Berg. War oben, sah, wie Pluto und Cäsar am Rande des schwarzen Schlundes hin und her eilten, wie Pluto sich an der schrägen Wand wiederholt ein Stück hinabwagte, wieder emporkam, den Kopf hob und kläglich jaulte.
In dem feinen körnigen Felsstaub bemerkte sie auch Spuren.
Da waren die schmalen, kleinen Abdrücke eines Frauenschuhs, daneben die größeren eines Männerstiefels und die plumperen von Sandalen …
Agnes erblaßte …
Sandalen – – Kabylen …!! Kabylen in Begleitung Mafaldas und Gaupenbergs! So also war Viktor entführt worden, – durch Kabylen, die sich die Fürstin als Verbündete geworben! Pasqual Oretto hatte also richtig vermutet gehabt: Kabylen raubten den Grafen auf Mafaldas Geheiß! –
Agnes trat nun gleichfalls an den Rand des Kraters heran, beugte sich weit über die Öffnung.
Das Tageslicht zeigte ihr an der schrägen Wand an einer Steinzacke einen Zeugfetzen. Sie erkannte den Seidenstoff, den Mafalda als losen Umhang getragen.
Und ein Laut des hellen Entsetzens kam über ihre Lippen.
Dort in der Tiefe – vielleicht Gaupenberg – – halb zerschmettert – – noch lebend – – ohne Hilfe!!
Sie raffte sich auf. Handeln hieß es hier – – handeln!
Und mit jener bewundernswerten Energie, die der Goldschatz der Azoren mit magischem Wirken in dem zarten Leibe geweckt, – mit jener kühlen Überlegung, die ein Übermaß an Gefahren ihr längst verliehen, entfernte sie die Zäume von den Köpfen der Maultiere, auch die Satteldecken, stellte aus alledem eine Art Strick her, schlang das eine Ende um einen Steinblock am Rande des Kraters und … begann den Abstieg ins Dunkel, stets sich an dem straff gespannten Tau festhaltend.
Oben heulten Pluto und Cäsar ein jämmerliches Konzert …
Versuchten der Herrin zu folgen …
Rutschten ein Stück, machten kehrt …
Und Agnes klomm abwärts, soweit der Strick reichte …
Vielleicht sechs Meter …
Lauschte nun den seltsamen Tönen, die aus der Tiefe empordrangen …
Eiskalt überlief es sie.
Wie Dämonengelächter erklang’s dort unten …
Und über ihr auf der Kuppe das Jaulen der Hunde …
Und in ihr die herzzerfressende Angst um den Mann, den sie liebte, der sie verstoßen hatte und der doch nur Mafaldas betrogenes Opfer war.
Dann begann sie zu rufen …
Strengte ihre Stimme an …
„Viktor – – Viktor …!!“
Prallte zurück vor Grauen …
Das Dämonengelächter schwoll an … Ein entsetzliches Lachen, schrill, satanischen, spie die Finsternis aus …
Agnes fühlte, daß die Widerstandskraft ihrer Nerven schwand …
Und hastig, wie verfolgt von den Geistern der Tiefe, schwang sie sich an dem Tau wieder nach oben, sank hier auf harten Stein, trank gierig der Sonne belebendes Licht.
Pluto und Cäsar drängten sich neben sie. Schmeichelten. Leckten ihre im Schoße ruhenden zitternden Hände … –
Agnes empfand die Liebe der gelbfahlen Bestien wie eine Wohltat. Sie war nicht allein hier gegenüber den unbekannten Schrecken der Tiefe. Sie hatte Beschützer, Freunde … Die treuesten, die je die Natur dem Menschen schenkte: Hunde …!
Erhob sich. Ihr Entschluß war gefaßt, zurück zu Gottlieb und Pasqual! –
Sie zäumte die Maultiere wieder auf, legte die Satteldecken zurecht, schnallte die Gurte fest.
Da fiel ihr Blick auf die Büchse, die Nassam von den Hirten erbeutet.
Auch diese Waffe nahm sie mit, führte die Maultiere abwärts, lockte die zunächst sich weigernden Rüden. Und ritt langsam gen Süden, den Herden wieder zu – nach der fernen Schlucht.
Und – was kommen mußte für den zarten Frauenleib nach all den Mühsalen der letzten Tage, das – – kam mit aller Macht: Erschöpfung, Übermüdung!
Gleich einer Träumenden hing Agnes Sanden im Sattel …
Öffnete nur hin und wieder die Augen und lenkte das Tier.
Sah flüchtig, daß Pluto und Cäsar eines der hier so zahlreichen Wildkanninchen hetzten. Hörte das angstvolle letzte Quäken der Beute, deren Blut die Fangzähne und Lefzen der Hunde färbte. –
Die Schlucht war erreicht.
Dort das Mooslager – die Asche des Feuers, die Knochen des Erdhuhns, das man in der Nacht verspeist hatte.
Pasqual und Oretto waren verschwunden. Kein noch so lautes Rufen fand Antwort. Agnes’ Stimme verhallte ungehört.
Müdigkeit, Abspannung, tiefe Mutlosigkeit ließen sie auf das Mooslager sinken.
Und bald verloren ihre hastenden Gedanken sich im wirren Reich der Träume.
Pluto und Cäsar bewachten die Schläferin, suchten die Knochen der Nachtmahlzeit, zermalmten sie …
Agnes schlief …
Nicht allein …
Vor ihr ruhten die fahlgelben Rüden, die Köpfe auf die Vorderpfoten gelegt, blinzelnd – alles im Auge behaltend …
Die Wildnis lebte auf. Die Sonne stieg höher und höher …
Und drüben am Ostrand der Hochebene, wo die Hütte der toten Hirten stand, wo zweihundert Meter nach Norden zu die Leichen lagen, suchten Pasqual und Gottlieb nach Agnes Sanden, die vor kaum zehn Minuten, gedeckt durch die Herden und Gestrüpp, an ihnen vorüber nach Süden geritten war.
Die Sphinx schleppte ihre im Wasser entlanggleitende Last, das Goldschiff, dem Brandungsgürtel der Südinsel der Robigas-Eilande zu.
Soeben hatte Fator den Steuermann Hartwich wecken wollen, damit dieser die Lenkung der Sphinx nunmehr übernähme, die nun das U-Boot aus dem Ozean vollends herausheben und über Riffgürtel und Brandung hinweg ins Innere der Insel tragen sollte.
Fator fand den Steuermann nicht in dessen kleiner Kabine. Das Lächeln des alles begreifenden Menschenfreundes glitt über sein Gesicht.
Leise pochte er dort an, wo die Liebe verschwiegene Feste feierte …
An die Tür der Kabine Silvias, der Spanierin …
Rief dazu: „Hartwich, die Südinsel ist in Sicht!“ –
Der Steuermann löste sich aus den Armen des Weibes, deren Lebensdrang nicht Maß noch Ziel kannte.
Silvia Gonzalez schien zu ahnen, daß ihr über Jahrhunderte hinwegreichendes Rätseldasein in kurzem jäh enden würde.
Nochmals umschlang sie den blonden Deutschen …
Ihre Lippen dankten für Stunden des Glücks. Unendlich zart und keusch trotz allem war diese Liebkosung.
„Mein Weib – mein Weib …!!“ flüsterte Hartwig, und das ganze starke ehrliche Empfinden einer Kraftnatur bebte gewaltsam durch das innige Wort …
Dann riß er sich los, eilte in den Führerstand und sagte etwas scheu zu Fator, dem Rätselhaften:
„Sie werden Silvia und mich nicht verurteilen, weil wir …“
Da hatte ihm Fator schon die Hand gereicht – mit seltsam ernstem Gesicht, mit seltsam mitleidigem Blick in die Augen …
„Mein lieber Freund, die so genannte Moral ist eine Erfindung der Unmoralisch. Wo Liebe Mann und Weib zueinander treibt, spielt das heiligste Naturgesetz mit. Da soll der Mensch mit unheiligen Redensarten das Keusche nicht … entheiligen. – Genießt euer Glück …! Euer … kurzes Glück …!“
Dann wandte er sich ab, deutete auf den Spiegel des Sehrohres …
„Dort – die Insel … Und der Morgen naht. Besser, wir verbergen noch im Dunkeln den Schatz!“
Hartwig, wieder nun ganz Pflicht und Hüter der Milliarden, griff zum Auftriebshebel, drückte ihn weiter nach rechts – ganz langsam …
Die Sphinxröhre am Heck des Luftbootes strahlte stärker aus, vernichtete die Anziehungskräfte der Erde, vernichtete die Schwere der Körper …
Die Sphinx stieg …
Und unter ihr, an den armdicken Ketten hängend, tauchte aus dem Ozean der von Granaten zerfetzte Stahlleib von U 45 auf …
Wie ein ungeheurer Walfisch, der an die Oberfläche kommt, um Luft zu schöpfen …
Tangbewachsen – grün bemoost …
Zeichen der Jahre, die U 45 auf den Felsenpfeilern in der Tiefe geruht hatte … –
Höher stieg die Sphinx …
Zog den Stahlbehälter des Schatzes ebenfalls höher.
Gischt der haushohen Brandung taufte das Goldschiff …
So schwebten beide Fahrzeuge über Riffe und Küste hinweg, eingehüllt in die Schleier der Dunkelheit …
Senkten sich wieder …
In ein sandiges Tal hinab, dessen Ränder von undurchdringlichem stachligen Dickicht umgeben waren.
Hier setzte U 45 schwer auf den hellen Sandboden auf, lag still …
Die Ketten wurden schlaff, und dicht neben dem Goldschiff ging die Sphinx allmählich nieder. Ihre Motoren, die Propeller schwiegen. Die beiden Männer eilten an Deck, hielten Umschau.
Und – – gaben sich die Hand …
„Ich gratuliere,“ sagte Fator feierlich. „Der Schatz ist in Sicherheit!“
Steuermann Hartwich drehte sich um. Silvia kam die Lukentreppe empor.
„Angelangt, Silvia!“ rief er …
Und – erschrak …
Starrte das Weib an, das er noch vor zehn Minuten jugendschön in den Armen gehalten…
Der Dämmerung erstes Zwielicht beleuchtete Silvias Gesicht. Sie war – – kaum mehr Silvia Gonzalez … Es war fast eine Fremde … Ein Weib, in dessen Antlitz jäh das Alter verheerend gearbeitet …
Aufschluchzend schlug Silvia unter den entsetzten Blicken des Geliebten die Hände vor dieses urplötzlich um Jahrzehnte veränderte Gesicht. Der Spiegel in ihrer Kabine hatte ihr verraten, was geschehen. Die Zeit begann sich zu rächen, die im Zauberschlaf verbrachten Jahrhunderte …!
Und zu Fator flüchtete sie in ihrer unaussprechlichen Angst vor dem Grauenvollen, das die gierigen Krallen der Vergänglichkeit nach ihr ausstreckte …
Drängte sich an den Rätselhaften, haschte nach seinen Händen …
Flüsterte: „Retten Sie mich …! Mein Haar ist in Minuten ergraut … Die Spuren des Alters verwüsten mein Gesicht… Retten Sie mich, wie Sie Agnes retteten – vor drei Tagen … Retten Sie mir … meine Liebe!“
Fators graue Augen strahlten väterliche Güte.
„Mein Kind, Ihre Liebe bleibt Ihnen erhalten … Da – Steuermann Hartwich streckt Ihnen sehnsüchtig die Arme entgegen …“
Hartwichs Herz fühlte tiefes Erbarmen mit dem bedauernswerten Weibe. Er ahnte die Tragik, die jetzt begonnen, die Rache der Zeit!
Und ward Herr über das dumpfe Entsetzen, heuchelte Sorglosigkeit, ja Frohsinn …
Zog die Geliebte an sich …
„Silvia, der Schatz ist in Sicherheit … Jetzt werden wir rasch ein Versteck für die achtunddreißig Goldkisten suchen und dann …“
Sie unterbrach ihn … Ihr Kopf blieb gesenkt …
„Ich … ich werde für uns beide eine Hütte bauen … Aus grünen Zweigen, Georg … Einen Tempel der Liebe. Und dort …“
Die Stimme versagte ihr …
Weinend – hastig kletterte sie an der Außenleiter der Sphinx hinab …
Fator winkte dem Steuermann.
Sein Gesichtsausdruck verriet wie schwer es ihm wurde, den wackeren Hartwich vollständig in Silvias Schicksal einzuweihen.
„Seien Sie überzeugt, daß ich alles täte, was in meinen Kräften steht, das Verhängnis abzuwenden,“ sagte er leise. „Ich bin jedoch machtlos gegenüber dem uns Menschenkindern vorgezeichneten Lebenspfaden, machtlos gegenüber dem … Fatum! – Fator nenne ich mich! Weil ich an das Fatum glaube, an eine Vorherbestimmung alles dessen, was uns scheinbar zufällig begegnet. Silvia Gonzalez’ Lebenspfad führte auf der Brücke unnatürlichen Schlafes über Jahrhunderte hinweg. Sie erwachte – und ihr Schicksal war, nun wieder dahinzuwelken wie die künstlich gezüchtete Blüte, die mit chemischen Mitteln über ihre Zeit hinaus sich frisch erhält.“
Hartwich nickte traurig …
„Ich ahnte es, Herr Fator … Ich werde Silvia nicht merken lassen, daß …“
Fator schien nichts zu hören …
Seine Augen waren emporgerichtet zum dämmerigen Himmel, an dem noch ein paar Sterne blinkten …
Er sprach weiter – wie jemand, der eine Vision schaut …
„Silvia wird sterben – sehr bald … Silvia wird sterben, damit Sie weiter leben … Wir sind auch hier von Gefahren umgeben. Wir … – Doch nein – mehr darf ich nicht sagen … Gehen Sie, widmen Sie sich Silvia … Ich werde ein Versteck für den Schatz …“
Georg sah Silvia am Rande des Dickichts stehen. Sie knickte blätterreiche Zweige von einem Strauch ab.
Zum … Tempel der Liebe …! –
Liebe – – Liebe?!
Was war Silvia geworden – was war aus ihr geworden?!
Eine … Greisin …!!
Und da – – Liebe – – Zärtlichkeiten?!
„Gehen Sie!“ sagte Fator noch eindringlicher. „Silvias Lebensuhr läuft ab …“
Wieder fühlte Hartwich unendliches Erbarmen. Bezwang sich … Und gesellte sich Silvia zu …
„Hilf mir, Georg,“ sagte sie nur und wandte den Kopf zur Seite, ihm das verheerte Antlitz zu entziehen.
Ihre Stimme war ohne Klang … Ihre Gestalt eckig, hager …
Das Haar … fast weiß … –
Schweigend arbeiteten die beiden. Wie getrieben von unsichtbaren Mächten beeilten sie sich, die kleine Hütte fertigzustellen …
Und – zwischen ihnen stand als Gespenst die Vergänglichkeit … –
Nun war die Hütte beendet, nun trug Hartwich dürres Gras hinein, den kahlen Boten zu belegen …
Da war’s, daß in der Vorschiffskammer der Sphinx einer der drei Gefangenen leise flüsterte:
„Wir sind gelandet … In der Sphinx ist alles still … Ich werde mich hinausschleichen … Wartet hier …“
Und Jimminez der Riese öffnete die Tür …
Schlüpfte durch den Gang … fand die Tür zum Führerstand nur angelehnt … erblickte auf dem einen Schaltertische einen Revolver …
Alfonso Jimminez eilte zurück, holte Lomatz und Targossa … –
Silvia Gonzalez stand vor der neuen Hütte …
Zusammengesunken – müde …
Wie Ahnung des Sterbens lag es über ihrem Denken und Fühlen …
Sie horchte gleichsam in ihr Inneres hinein …
Das Herz pochte … Aber – das Liebessehnen war tot … Nichts als tiefe mütterliche, greisenhafte Zuneigung empfand sie für den Mann, der dort hinter ihr schweigend das dürre Gras ausbreitete …
Ihre Augen, starr in die Ferne gerichtet, gewahrten den Riesen Alfonso erst, als er dicht vor ihr stand.
Jimminez wollte hier jetzt reinen Tisch machen …
In seinen dunklen, kleinen Augen glühte das Verbrechen …
Verschwinden sollte, was hier auf der Insel hinderlich, die drei Insassen der Sphinx!
Er … hob den Revolver …
Und im selben Moment im Hütteneingang Steuermann Hartwichs breite Gestalt …
„Nehmen Sie Abschied von dieser Welt!“ brüllte der Athlet mit kurzem Auflachen dem Steuermann zu …
Und drückte ab … Hatte auf Hartwich gezielt … Hätte getroffen …
Silvia war zur Seite gesprungen … Fing die Kugel auf – mit dem eigenen Herzen …
Stand aufrecht … Lächelnd – den Tod in den Augen …
Rief – und es klang wie ein letzter Schrei der Liebe …
„Georg – – für dich …!“
… Schwankte …
Sank seitwärts in den hellen Sand … Das Gesicht nach oben …
Und Jimminez, schon bereit, die zweite Kugel dem Gegner zuzusenden, streifte flüchtigen Blickes die Tote …
Fuhr zurück …
Sein Gesicht ward fahl …
Denn das, was da als sterbliche Überreste der Spanierin im Sande ruhte, machte in Sekunden alle Stadien der Verwesung durch …
In Sekunden …
Die Leiche sank förmlich zusammen … Der entstellte Totenkopf ward fleischlos … Nichts als ein Schädel mehr – in Sekunden … Nichts als ein Gerippe, mit Fetzen umhangen …
So – – rächte sich die betrogene Vergänglichkeit!
Jimminez entfiel die Waffe …
Er reckte die Arme abwehrend hoch …
Grauen flackerte in seinen Augen … Wahnsinniges Entsetzen …
Mit einem Gebrüll, das nichts Menschliches an sich hatte, stürmte er blindlings in das Dickicht hinein, arbeitete sich tiefer und tiefer in die Dornen und Stacheln, bis er fest saß wie in tausend spitzen Klammern …
Und – ohnmächtig, blutend aus zahllosen Wunden, vornüber fiel … –
Fator hatte inzwischen den Gestrüppgürtel auf schmalem Pfade durchschritten, einem Pfade, der offenbar vor langer Zeit viel benutzt worden …
Einem sich kreuz und quer schlängelnden Pfade, der schließlich vor einer Felsgruppe, dem genauen Mittelpunkt der Insel, endete.
Hier war’s, daß Fator den Schuß hörte. Er wandte den Kopf, nickte mit trübem Lächeln …
„Vollendet!“ flüsterte er …
Targossa und Lomatz tauchten vor ihm auf … Jeder einen Karabiner in der Hand …
Das trübe Lächeln blieb auf Fators Gesicht …
Selbst als die beiden Schurken die Waffen anlegten, zielten …
„Glaubt Ihr, daß ihr mich erlösen werdet vom Fluche der … Unvergänglichkeit!“ sagte er laut und klar. „Ich bin Fator, der Gezeichnete, der sich anmaßte, die Natur zu bezwingen! Es gelang mir!“
Die Schüsse knallten …
Genau dieselbe Szene wiederholte sich nun wie am Tage vorher an der Bucht in der Nähe des Kap Retorta …
Genau dieselbe …
Fator blieb unverletzt …
Sein Lächeln ward zur Drohung …
Und als Targossa und Lomatz fluchend die leeren Patronenhülsen herausschnellen ließen und die Karabinerschlösser knackend zuschlugen, als die Verbrecher abermals auf Fator zielten, da hatte auch er nun seine breite Parabellumpistole in der Hand …
Nicht zwei, nein drei Schüsse knallten …
Sennor Targossa, Botschafter der Mulattenrepublik Patalonia, warf die Arme in die Luft und schlug nach vorn auf das Gesicht. Fators Kugel hatte den Schädel von der Stirn bis zum Hinterhaupt durchschlagen.
Lomatz floh …
Floh in weiten Sprüngen den geschlängelten Pfad zurück. Hoffte, daß Alfonso Jimminez inzwischen den Steuermann und das Weib abgetan hätte …
Bog jetzt um die beiden auf dem Sandboden ruhenden Fahrzeuge herum …
Sah nur Hartwich, der blaß und wie betäubt neben … einem Skelett kniete …
Stand still … tückische Wut in den verkniffenen Augen … Hatte im Laufen dem Karabiner geladen … Wollte dem Mann, der ahnungslos neben den Überresten des Weibes, die noch vor Stunden an seiner Brust glühende Küsse empfangen, in scheuer Andacht kniete, die tödliche Kugel zusenden …
Eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter.
„Es ist genug, Edgar Lomatz,“ sagte Fator ohne besondere Betonung. „Legen Sie den Karabiner weg …! Ich befehle es!“
Lomatz stierte in das schwarze Mündungsloch der Parabellum …
Der Feigling kam wieder in dieser jämmerlichen Seele zum Durchbruch. Er sah den Tod vor Augen … Ahnte, was ihm bevorstand …
Der Karabiner fiel in den Sand …
„Schonen Sie mich …“ stammelte er und verfärbte sich. „Ich will …“
Hartwich hatte die letzte Szene beobachtet, rief Fator zu:
„Silvias Mörder hängt dort in den Dornen … Mag Lomatz seinen Verbündeten herausholen …!“
Fator nickte …
„Vorwärts – hinein ins Gestrüpp, Bursche! Und wenn Sie nicht in zwei Minuten sich bis zu Jimminez durch die Stacheln hindurchgearbeitet haben, drücke ich ab …!“
Lomatz gehorchte …
Und in seiner Todesangst setzte er in langem Sprung vom Rande des Dickichts ab und schnellte mitten in die stachligen Ranken hinein …
Brüllte vor Schmerz … War wie verankert in all den Spitzen und Widerhaken …
Mußte weiter, denn unerbittlich hielt Fator die Waffe auf ihn gerichtet …
Halbtot, zerstochen, blutend, alle Nerven vibrierend vor Schmerz, langte er neben dem Ohnmächtigen an.
„Bringen Sie ihn heraus!“ befahl Fator wieder.
Lomatz brüllte, winselte …
Wie sollte er den Riesen emporheben und tragen?!
Und doch versuchte er es … Zerstach die Hände, die bald unter der Einwirkung des Giftstoffes der Monasia-Dornen zu unförmigen Klumpen aufquollen.
Fator wandte sich ab und trat auf den bleichen Steuermann zu.
„Mein lieber Freund,“ sagte er mit warmer Herzlichkeit, „Sie dürfen sich das Ende Silvias und diesen traurigen schnellen Verfall der Leiche nicht allzu nahegehen lassen. Bedenken Sie, daß die Natur ihrer nicht spotten läßt. Die Menschen sind zum Sterben bestimmt. Jede Lebensbahn hat Anfang und Ende. Wer wie Silvia durch die unheimliche Rache eines Gelehrten, der in die Geheimnisse der Werkstatt der Natur fast zu tief eingedrungen war, Jahrhunderte überdauert hat, mußte nach dem Wiedererwachen sehr bald in Staub zerfallen. Seien Sie glücklich, Georg Hartwig, daß es Ihnen vergönnt war, dieses kurze neue Dasein einer Todgeweihten mit dem Schönsten zu erfüllen, was die Schöpferin und Mörderin Natur uns verliehen: mit … Liebe! –
Wir wollen Silvias Gebeine nun sofort bestatten. Lomatz und Jimminez werden uns nicht mehr gefährlich werden. Der Dornenkerker dort hält sie fester als Wände von Stahl. Später werden wir überlegen, wo wir die beiden unterbringen.“ –
Die Morgensonne war inzwischen aufgegangen. Ein prachtvoller Sommertag brach an. Schwärme von Seevögeln erfüllten die Luft mit ihrem Geschrei, und rund um die kleine Insel brandete der endlose Ozean mit nimmermüder Gewalt.
Hartwich holte aus der Sphinx eine weiße Decke, Spaten …
In die Decke gehüllt wurden Silvias Gebeine drüben am Rande der Felsgruppe der Erde übergeben. Aus Steinen und Feldsstücken schichtete Hartwich über dem Grabe einen Hügel auf, bildete darauf aus weißen Steinen ein zierliches Kreuz und darunter die Anfangsbuchstaben des Namens Silvia Gonzalez.
Schweigend hatten die Gefährten die ernste Arbeit getan. In des Steuermannes Seele wohnte noch das stille Grauen vor dem Unfaßbaren, das er vorhin mit eigenen Augen erlebt. Das Hinschwinden der Leiche der Geliebte zum fleischlosen Skelett!
Fator wußte, was des starken Mannes Gedanken als unheimliches Rätsel umspielten.
Als sie nun ein stilles Gebet an der letzten Ruhestätte der Spanierin gesprochen hatten, sagte Fator, indem er Hartwich die Hand leicht auf die Schulter legte:
„Das, was Silvia Ihnen gewesen, müssen sie vergessen! – Glauben Sie mir, ich trage Schwereres und behalte doch den Kopf oben! Ich … trage das Schwerste, was einem Menschen als ewiger Fluch anhaftet: die … Unvergänglichkeit!“
Die Sonne schien Fator voll ins Gesicht, und Hartwich erschrak, als er in den Zügen des seltsamen Mannes einen Ausdruck schmerzlichsten Grames bemerkte. Er verstand nicht sofort, was Fator meinte, dachte lediglich, das Wort Unvergänglichkeit müsse hier eine besondere Bedeutung haben.
„Georg Hartwig, Hüter des Azorenschatzes,“ fuhr Fator leise fort, „auch Sie sollen nun hören, was meines Lebens unerträgliche Last ist, daß ich noch leben werde, wenn von Ihnen auch nicht einmal mehr ein Stäubchen vorhanden! Daß ich wandeln muß bis an der Welt Ende, ein Unsterblicher, ein Ahasver, ein zweiter … Ewiger Jude …! – Es ist so, Hartwich …! Es gibt mehr Unbegreifliches auf Erden als Sie ahnen …“
Er holte tief Atem …
Wie jemand, der vor einer wichtigen Entscheidung steht …
Und Hartwich benutzte die Pause, sagte ebenso leise:
„Fator, ich habe damals, als ich Sie zum ersten Male im Wrack des ‚Connecticut’ sah, sofort gewußt, daß Sie … der Einsiedler von Sellenheim sind, jener Doktor Dagobert Falz, dem Gaupenberg und ich unendlichen Dank schulden, weil er uns damals ein Mittel zur Verfügung stellte, den Maxim-Doppeldecker zwecks Verfolgung der Sphinx anzukaufen! Sie sind’s, Herr Doktor, nur in verjüngter Gestalt!“
Fator lächelte schmerzlich …
„Was soll ich Ihnen darauf antworten, lieber Hartwich? – Ja, – ich bin Doktor Falz, und – ich bin es auch nicht! So wenig die Larve eines Insektes als das Insekt selbst bezeichnet werden kann, genau so wenig bin ich, Fator, der einstige Doktor Falz! – Sie wissen, daß ich in den Kellern der Ruine die Werkstatt des berühmtesten Schülers des großen Alchimist Parazelsus auffand. Sie wissen nicht, daß ich das Lebenselixier des berühmten Magiers zunächst an einem alten hinfälligen Jagdhund erprobt habe. Zwölf Stunden, nachdem ich dem Tiere die Tropfen eingeflöst hatte, war es … jung und frisch. Und als ich den Hund dann ins Freie ließ, entlief er mir, getrieben vielleicht von derselben Unrast, die auch mich jetzt quält. Und – nach dieser Probe versuchte ich selbst das Lebenselixier, den Trank der Verjüngung …“
Er richtete den Blick gen Himmel – in den strahlenden Äther …
„Eine ungeheure Vermessenheit war es von mir, die gefährlichen Tropfen zu nehmen, – ein gewaltsamer Eingriff in die Gesetze der Natur …! – Das kam mir erst voll zum Bewußtsein, als ich die Tropfen genommen hatte … Das las ich in dem Tagebuche jenes Luithard Brandfels – an einer Stelle, deren verlöschte Schriftzeichen ich bis dahin nicht hatte entziffern können …
Und da stand in klaren Worten: ‚Wer das Elexier nimmt und verjüngt nach totenähnlichem Schlafe erwacht, der – – wird der Welt Ende miterleben! – Ich schlief ein … unten im Kellerlaboratorium des Luithard Brandfels in meiner Ruine. Und – – erwachte im Laderaum des Dreimasters ‚Connecticut’ als … Detektiv Harry Fator, als ein völlig anderer, als ein Mensch, der schon gelebt haben mußte, bevor ich in seine sterbliche Hülle schlüpfte, – als Detektiv, der genau wußte, daß er auf der Jagd nach gestohlenen Juwelen war, als ein Mann mit klarem Verstande – und doch als Doppelwesen: als Dagobert Falz, der Verjüngte, und als Harry Fator, der … Rätselhafte …“
Steuermann Hartwich blickte den hageren Fator zweifelnd an.
„Verzeihen Sie schon, das alles geht über meinen Begriffsvermögen,“ meinte er, und fühlte dabei, daß es ihn dennoch kalt überlief, als spürte er das Wehen geheimer Kräfte …
Fator lächelte noch schmerzlicher …
„Ja, ich glaube schon, daß Sie sich nicht hineindenken können in das, was täglich, stündlich sich in meinem Inneren abspielt … Bedenken Sie nur das eine, ich werde Geschlechter und Geschlechter ins Grab sinken sehen, ich werde – – alle überleben – – alle! Ich werde nur einen Weggenossen haben auf dieser unendlichen Wanderung: Pasqual Oretto, den Taucher! Denn er, der nicht aus dem Schlafe, sondern dem Tode durch das Elexier der Erweckung entrissen wurde, wird wie ich … ewig leben! Er ahnt es noch nicht … Und was uns diese Ewigkeit bescheren wird an Leichen, Enttäuschungen und Sehnsucht nach dem … Sterben, – das wird unsere Strafe sein, weil wir die Zeugen sind für die Keckheit eines großen Gelehrten, der Natur … ins Handwerk zu pfuschen! – Genug davon, lieber Hartwich …! Belasten Sie Ihr Hirn nicht noch mit Grübeleien über diese Dinge. Nehmen Sie sie als Tatsachen hin. Es sind Tatsachen. Genau so wenig, wie noch vor zehn Jahren jemand auch nur im entferntesten vermutete, daß einst ein Apparat konstruiert werden könnte, mit dem man meilenweit entfernte Vorgänge ohne jedes Fernglas schauen wird, eben der der Vollendung entgegengehende Fernseher, – ebenso sehr sträubt sich heute noch das Durchschnittshirn der Menschen gegen die Möglichkeit einer völligen Knebelung des von den meisten gefürchteten Schnitters Tod … Man sollte gerade in unserem Jahrhundert mit Zweifeln und sogenannter streng wissenschaftlicher Kritik sehr vorsichtig sein … Wir Menschen der Jetztzeit sind erst Anfänger auf der Bahn neuer Erkenntnisse. Wenn Professor Röntgen durch seine Strahlen das Knochengerüst des lebenden Menschen freilegte, wenn Ihr Freund Gaupenberg jetzt durch seine Sphinxstrahlen die Schwerkraft aufgehoben hat, wenn Geheimrat Herz, Graf Arco und Marconi die elektrischen Wellen zur Übertragung von Sprache und Musik durch die Luft benutzt haben, – wer will dann wohl wagen, heute zu behaupten, daß es ausgeschlossen sei, irgendwie auch … den Tod zu bannen! – Nichts ist heute mehr unmöglich. In zehn, zwanzig Jahren können Jules Vernsche Phantasien von einer Reise nach dem Mond genau so Tatsache sein wie heute schon eine Depesche in acht, neun Sekunden rund um den Erdball herum! –
Doch – genug nun endlich, mein Freund … Kehren wir unsere Gedanken den dringendsten Pflichten wieder zu. Bergen wir die Kisten mit dem Golde – verbergen wir sie!“
Hartwich schob die Mütze mehr aus der Stirn…
Fühlte auf dieser Stirn eisige Schweißperlen …
Strich darüber hin wie einer, der sich aus einer fremden Welt erst in die Gegenwart zurückzwingen muß.
Eine Ahnung kam ihn jäh – nein, die klare Erkenntnis, daß alle die Menschen, die irgendwie zu dem Azorenschatz in Beziehung getreten waren, herausgerissen schienen aus dem stillen Wege der übrigen Menschen …
Daß alle diese Menschen durch eine magische Kraft, die dem Golde auszuströmen schien, noch Unausdenkbares erleben müßten …
Und – das sprach er nun aus …
Hastig, überstürzt, als sollte es Fator ihm bestätigen …
Der Rätselhafte, den Blick wieder in die Unendlichkeit des Äthers gerichtet, flüsterte die Antwort …
Flüsterte nur …
Und was er sagte, war für Hartwich wie eine Reihe unheimlich rasch sich abrollender Bilder von ebenso unheimlicher Klarheit …
Er … erschrak noch mehr als vorhin. Er fühlte seine Nerven erbeben …
Und hörte aus unermeßlichen Fernen scheinbar die letzten Sätze Fators:
„Der Rutengänger spürt am Zucken der Wünschelrute in seiner Hand das Vorhandensein von Wasser- und Metalladern im Erdinneren … Er spürt’s, weil also dem Wasser und den Metallen noch Kräfte innewohnen müssen, von denen die … sogenannte exakte Wissenschaft nichts … weiß! Und – diese Kräfte sind da! Wer will beschwören, daß eine solche Unmenge edlen Metalls, wie es dort in U 45 aufgehäuft ist, nicht noch stärkere Kräfte auslösen könnte …?!“
Dann schritt Fator langsam auf die Felsgruppe zu, die er vorhin hatte besichtigen wollen.
Steuermann Hartwich stand noch minutenlang wie gebannt da.
Auf seiner Stirn perlte der Schweiß. Seine Nerven zitterten …
Und aus dem Chaos von Gedanken trat ein einzelner immer klarer hervor:
‚Fator hat recht! Der Goldschatz ist’s, der uns, die wir um ihn kämpfen, umhertreibt auf einem tollen Ozean unerhörten Erlebens, das jetzt erst begonnen hat!’
Fators Stimme da von der anderen Seite der Felsgruppe:
„Hartwich – – hierher …! Hierher!! Hartwich, das Geheimnis der Südinsel der Robigas-Eilande, das Geheimnis dieses alten Schlängelpfades durch Dornen und Dickicht drängt uns neue Rätsel auf …!“
Steuermann Hartwichs Augen ruhten noch einen Moment auf dem Grabhügel der armen Silvia. Dann folgte er dem Rufe Fators …
Und fand an der Westseite der Felsaufhäufung … das neue Wunder …
„Die Maultierherden haben sämtliche Spuren zerstört,“ sagte Pasqual Oretto traurig zu Gottlieb Knorz am Westrande der großen Hochebene der Insel San Miguel. „Und diese beiden Leichen hier geben uns auch keinerlei Anhalt dafür, was aus Agnes Sanden geworden. – Was also tun, Freund Knorz?“
Der Alte zuckte die Achseln. Sein Gesicht war gramerfüllt. Seine sonst so klaren jungen Augen blickten trübe.
„Ein Verhängnis heftet sich an die Fersen derer, die das Azorengold bergen wollen,“ murmelte er. „Liebe und Haß, Vernichtung und Qualen sät das … verderbliche Gold aus! Pasqual, Pasqual, wenn Agnes etwa der Fürstin in die verbrecherischen Hände geraten ist, dann … dann sehen wir unseren Liebling niemals wieder.“
Der Taucher nickte sinnend …
„Und doch dürfen wir nicht nachlassen sie zu suchen … Eine innere Stimme sagt mir, daß wir sie finden werden. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als die Hochebene zu umrunden, bis wir irgendwo außerhalb des von den Herden zerstampften Bodens wieder deutliche Spuren erkennen … – Gehen wir, Freund Knorz …“
Gottlieb, Treuester der Treuen, bückte sich, nahm seinen halbblinden Teckel in den Arm und folgte dem rüstig voranschreitenden Taucher; der bald nach Norden zu abbog, weil der hier völlig kahle Steinboden die Herden ferngehalten hatte.
So näherten sie sich langsam auch dem Kraterberge.
„Ein erloschener Vulkan, ohne Zweifel,“ meinte der weitgereiste Pasqual. „Wir könnten den Bergkegel erklimmen. Von dort oben hätten wir einen guten Rundblick.“
Und als sie jetzt am seinem Fuße entlangschritten, bückte Pasqual sich plötzlich, hob ein winziges Stückchen grauschwarzen Gummis auf …
„Von einem Gummiabsatz, Freund Gottlieb … Und Agnes’ Schuhe haben solche modernen Dinger unter den Hacken …!“
Er triumphierte …
„Eine Spur also, Freund Gottlieb … Und hier – hier ein paar zermalmte Felsbrocken … Hier wieder …“
So gelangten sie an die Westseite des Kegels – und nach oben auf die Kuppe, wo die Fährten noch zahlreicher waren.
Oretto prüfte all diese Spuren.
„Die Fürstin war hier, ebenso Gaupenberg, der Kabyle mit den plumpen Sandalen und unsere Agnes,“ behauptete er. „Dort, Gottlieb, dort am Rande der Krateröffnung lese ich aus den Spuren noch mehr heraus … Kommen Sie, sehen Sie …“
Und er bückte sich dann, zeigte auf den bunten Seidenfetzen, der an der schrägen Kraterwand an winziger Zacke hing.
„Mafalda Sarratow!“ erklärte er …
Und sprach so dasselbe aus, was kaum eine Stunde vorher Agnes Sanden als Gewißheit hingenommen.
Bückte sich noch tiefer …
Horchte …
„Merkwürdig!“ murmelte er. „Fast möchte ich behaupten, dort in der Tiefe Stimmen zu hören …“
Knorz starrte in den finsteren Schlund hinab …
„Wenn … wenn sie dort unten steckten, Pasqual …!“
Der Taucher richtete sich auf. „Ich nehme es fast an. Jedenfalls tun wir klug, uns nicht durch Rufen frühzeitig zu verraten. Ich werde von drüben aus dem schmalen Dickicht ein paar schlanke junge Stämme holen und Material zu Fackeln … Warten Sie, Freund Gottlieb, in zehn Minuten bin ich wieder hier oben.“
Er eilte von dannen – hinab auf die Ebene. Und Knorz saß nun dicht am runden Kraterloch, streichelte seinen Teckel und horchte dem seltsamen Wispern, Raunen und Dröhnen, das aus der Öffnung herausdrang.
Bis er, jäh zusammenfahrend, den Kopf noch tiefer beugte …
Andere Töne spie das Kraterloch jetzt aus. Töne, die wie ein höllisches Gelächter klangen.
Und ebenso jäh verstummten sie wieder …
Ein anderes infernalisches Konzert folgte …
Ein Konzert, daß der alte Mann die Farbe wechselte.
Er sprang auf, wich zurück …
Stierte in das finstere Loch hinein …
Fürchtete, jeden Augenblick müßte dort wie einem Höllenschlund ein Heer von Dämonen entsteigen …
Und hinter ihm da Pasquals tiefe Stimme:
„Freund Knorz, Sie zittern ja … Was in aller Welt …“
Schwieg …
Lauschte …
Vernahm noch die letzten Takte dieser Sinfonie der Unterwelt …
Die letzten Takte …
Und dann wieder Stille in dem dunklen Schalltrichter, der aus den Tiefen der Erde ungeheure und ungeheuerliche Schallwellen herausgeschleudert hatte.
Pasquals Gesicht war einen Schein fahler geworden. Er schaute seinen Gefährten unsicher an …
„Was … war das?!“ fragte er stockend …
Gottliebs Blicke glitten zu Boden …
Auf den gelben halbblinden Teckel hinab … Der stand jetzt, das Rückenhaar zur Bürste gesträubt, dicht an der Krateröffnung, den Kopf gesenkt …
Und … knurrte dumpf …
Bellte heiser auf …
Knurrte abermals … –
Auch Oretto beobachtete das Tier, sagte nun zögernd:
„Man könnte fast annehmen, daß da unten Bestien stecken, die unser alter Kognak als seine natürlichen Feinde wittert … Raubtiere also …“
Gottlieb Knorz sann nach, prüfte die Erinnerung an das Höllenkonzert …
Nickte … „Ja, Sie mögen recht haben, Pasqual … Raubtiere! Aber – aber, wie sollten dort unten …“
Und – auch er verstummte …
Das satanische Lachen quoll wieder empor …
„Verdammt!“ rief Oretto da ingrimmig. „Ich muß wissen, was dieser Höllenschlund birgt! Hier sind drei junge Bäume, hier ein Arm voll zäher Ranken. Wenn wir das alles richtig benutzen, Freund Knorz, können wir mindestens zwanzig Meter hinab – ohne Gefahr!“
Gottlieb erwiderte nichts.
Seine Gedanken waren schon wieder bei Agnes, bei seinem Herrn.
Dann murmelte er, und tiefe Angst war in seiner Stimme:
„Agnes und der Graf – sollten sie wirklich dort in irgend eine Höhle geraten sein?! Und birgt diese Höhle tatsächlich Raubtiere?!“
Pasqual knotete bereits die starken Ranken um die schlanken Bäume, an denen er die Äste als Widerhaken kurz gekappt hatte.
„Helfen Sie mir lieber,“ meinte er. „Alles Überlegen und Grübeln ist hier zwecklos. Dadurch kommen wir den Dingen nicht auf den Grund.“ –
Das infernalische Lachen war längst wieder verklungen. Nur das Sausen, Dröhnen, Wispern und einzelne Laute wie kurzes Aufheulen drangen noch aus dem Kraterloche hervor.
„So – fertig!“ rief Oretto eifrig. „Nun befestigen wir das eine Ende dieser Strickleiter hier an diesem Felsblock und lassen das andere in die Öffnung hinabgleiten. So erhalten wir die Möglichkeit, ein Ausgleiten auf der schrägen Wand leicht verhindern zu können. Wenn wir uns nur mit einer Hand festhalten, sind wir vor einem Absturz sicher.“
Knorz zog schweigend seine Jacke aus, wickelte die Arme zusammen, band Ranken an die Zipfel und stellte so einen Rucksack her, in dem er nun seinen geliebten Kognak unterbrachte.
Ebenso schweigend war Pasqual schon als erster einige Meter hinabgestiegen.
„Es geht besser als ich dachte,“ rief er nach oben. „Hier macht der Schlund eine Biegung nach links … Hier ist ein kleiner Vorsprung, auf dem auch Sie noch Platz haben, Freund Knorz. Nur vorwärts! Wir sind dem Geheimnis bereits recht nahe. Ich … rieche etwas …“
„Riechen?!“ – Und Gottlieb begann gleichzeitig den Abstieg.
„Ja – Raubtiergeruch, unzweifelhaft! Wie … Menagerie …“
„Noch besser!! Menagerie!! Das werden Erdgase sein.“
Der Teckel auf Gottliebs Rücken knurrte wieder …
Und als der Alte nun glücklich neben dem Taucher auf dem schmalen Felsvorsprung angelangt war, als über ihnen die Krateröffnung wie ein rundes Loch den sonnendurchleuchteten Himmel sehen ließ, da schnupperte Knorz mit gekrauster Nase wie ein guter Schweißhund und meinte kopfschüttelnd:
„Wahrhaftig – Raubtiergeruch! Daraus mag ein anderer schlau werden!“
Pasqual lauschte …
„Alles still … Nur das Zischen und Sausen ist geblieben. – Wissen Sie, wie das klingt, Freund Knorz? Wie das Fauchen eines großen Ventilators!“
Der Alte nickte nur.
Der Taucher bückte sich, packte die fast armdicke Ranke und ließ sich ein Stück abwärts gleiten, bis seine Füße wieder einen festen Halt gefunden.
„Ich werde jetzt eine unserer Harzfackeln anzünden,“ rief er leise nach oben. „Es ist hier schon recht dunkel. Übrigens scheint es so, als ob der Krater dicht unter mir sich stark erweitert.“
Das Flämmchen eines Feuerzeuges flackerte auf, und der dicke harzgetränkte Ast der Azorenkiefer fing langsam Feuer.
Zuckender Lichtschein überstrahlte die Wände des Kraters. Schwarzer Qualm zog empor, wurde jedoch wie durch die überstarke Saugwirkung eines in der Tiefe dahinstreichenden Luftzuges wieder nach unten gedrückt und bewies so, daß die Annahme, daß dort in den Schlünden des erloschenen Vulkans etwas wie ein Ventilator tätig sein müsse, nicht ganz verfehlt war.
Pasqual ließ die Fackel erst vollständig auflohen, bevor er weiter hinabkletterte.
„Warten Sie noch,“ rief er Knorz wieder zu. „Nur wenn irgendwo ein Vorsprungs uns beiden Raum bietet, können Sie mir folgen. Die Sache ist doch zu gefährlich. Die Wand besteht hier aus erkalteter reiner Lava und ist glatt wie geschmolzenes Glas.“
Gottlieb beobachtete den Gefährten, der nun äußerst vorsichtig seinen Weg nach unten nahm. In der Linken hielt Pasqual die Fackel, mit der Rechten umklammerte er den dünnen Stamm des schlanken Baumes. Indem er die Sohlen seiner Stiefel flach auf die zum Glück nicht allzu schräge Wandflächen drückte und sich ganz nach hinten überbog, verhinderte er sehr erfolgreich, daß er ins Gleiten kam.
Pasquals kräftiger Körper, unterstützt durch eine Gewandtheit, um die ihn jeder weit Jüngere hätte beneiden können, vollbrachte das Schwierige, gelangte bis zu jener Stelle, wo Mafalda und Gaupenberg und nach ihnen der Kabyle Muley Nassam in das Nichts der Finsternis hinabgesaust waren – ins Leere – in die unbekannte, von erschreckenden Tönen und beißenden Gerüchen erfüllte Tiefe …
An dieser Stelle fiel die Kraterwand jäh ab. Und als Oretto merkte, daß seine bremsenden Sohlen keinen Halt mehr fanden, zog er sie mit einem Ruck wieder nach oben, spannte alle Muskeln an, krümmte sich zusammen und streckte die Fackel tief nach unten.
So konnte er denn wirklich einen Blick hinabwerfen. So erkannte er etwa acht Meter unter sich einen stark spiegelnden breiten Streifen, den das Fackellicht aufleuchten ließ – einen Streifen, der in dauernder Bewegung war …
Wasser – fließendes Wasser war’s – ein unterirdischer Strom, der fast unten dem Fuße des Kegelberges mit starker Geschwindigkeit dahinfloß, vielleicht sieben Meter breit und ohne größere Krümmungen.
Noch mehr erkannte er …
Zu beiden Seiten dieses in einer mächtigen Grotte entlangeilenden Flusses bemerkte er endlose Reihen von Gitterstäben, die zum Teil bis zur Höhlendecke emporreichten – fraglos Käfige!
Und vor diesen wieder in weiten Abständen Holzmasten, an denen elektrische Bogenlampen hingen.
Das war aber alles, was das Licht des qualmenden harzigen Astes ihm enthüllte.
Jetzt widmete er seine Aufmerksamkeit der näheren Umgebung, suchte an der Kraterwand nach einer Stelle, wo er sich vorläufig bequem und sicher niederlassen konnte.
Diese schräge Wandung bildete nun links von ihm, bevor sie in den steilen, senkrechten Teil des Kraterloches überging, eine tiefe Einbuchtung, die vollauf genügte, einem Menschen Raum zu gewähren.
Pasqual gelang es auch, sich in diese Einbuchtung hineinzuschwingen. Als er dort sich niedergelassen hatte, rief er Knorz zu, in derselben Weise ihm zu folgen. Die primitive Strickleiter hatte nur noch Gottliebs Last zu tragen.
Der treue Alte glitt langsam nach unten. Wie er sich nun mit Oretto auf einer Höhe befand, reicht ihm dieser die Hand, und mit kräftigem Schwung landete Gottlieb Knorz so gleichfalls in der Einbuchtung.
„Donnerwetter,“ meinte er da und japste vor Anstrengung, „diese Akrobatenkunststücke sind doch nichts mehr für unsereinen! – Was nun, Freund Pasqual?“
„Nun kommt das Schwierigste … Ich muß unsere Strickleiter mehr nach rechts dirigieren. Ich weiß jetzt ja, was es dort unten zu sehen gibt. Das Ende des Strickes muß dicht neben einem der Masten hängen, damit wir daran hinabklettern können.“
„Mast – Mast?!“ fragte Knorz und fügte, den Kopf drehend, ärgerlich hinzu: „Knurre nicht, Kognak …! Sei froh, daß wir hier vorläufig in Sicherheit sind!“
„Ein Lampenmast,“ erklärte der Taucher ganz sachlich. „Und – Raubtiere gibt’s ebenfalls in der Höhle unter uns. Käfige erkannte ich … Riesige Käfige …“
„Donner noch eins! Wirklich eine Menagerie …! – Kognak, halte gefälligst das Maul …!“
Pasqual gab Knorz die linke Hand, stecke die Fackel in eine Spalte des Gesteins und meinte: „Halten Sie mich gut fest, Freund Knorz …!“
Dann wagte er’s, beugte sich vor und stieß mit dem Fuße den schlanken Baumstamm mehr zur Seite …
Wagte auch noch den Sprung bis zu dem schlanken Stamm, dessen gekürzte Äste ihn von der glatten Wand ein wenig abdrängten …
Bekam den Stamm zu packen …
Doch – der Ruck war zu groß für die ‚Strickleiter’ …
Oben irgendwo riß eine der Verbindungesranken, und Pasqual saust über die Kante der Wand hinab – – hinab in den gurgelnden unterirdischen Fluß – – ohne jeden Schrei – lautlos – ein Tapferer, der es durch seinen Beruf gewöhnt war, dem Tode ins Auge zu schauen …
Schreckerstarrt saß Gottlieb Knorz in der flachen Aushöhlung des Gesteins …
Neben ihm verbrannte die Fackel rasch bis zum winzigen Rest – erlosch …
Finsternis ringsum … Nur über dem armen Gefangenen ein schwacher Lichtschein, den der helle Tag trotz der Krümmung des Kraterloches dem Einsamen spendete …