Und – – die Sphinx?! Und Lomatz …?!
Was Doktor Falz vermutet hatte, traf in allem zu.
Steuermann Hartwichs Revolverkugel hatte den flüchtigen Verbrecher nur leicht verwundet … Das Geschoß war durch die Entfernung und durch die Kleidungsstücke in seiner Durchschlagskraft so stark abgeschwächt worden, daß es dicht unter der linken oberen Rippe stecken blieb.
Es waren mehr Schreck über die Verwundung und die Absicht, sich vor weiteren Kugeln so schützen, die den Abenteurer hintenüber taumeln ließen. Nur kurze Zeit lag er regungslos auf dem Deck des Luftbootes.
Dann richtete er sich halb auf und betastete seine Wunde, die mehr schmerzlich als gefährlich war.
Mühsam schleppte er sich in den Turm hinab und weiter in eine der halb zerstörten Kabinen, wo der Arzneikasten der Sphinx, wie er sich von früher her erinnerte, in einem der Schränke stehen mußte. Er fand ihn auch und beim matten Schein einer Laterne entfernte er mit einer der Zangen des chirurgischen Bestecks unter Stöhnen und Wimmern die Kugel aus der stark blutenden Wunde, reinigte die ein Schußöffnung sehr sorgfältig und legte sich einen Verband an.
Hierdurch wieder völlig erschöpft, kroch er auf eins der Betten der Kabine und fiel in einen tiefen ohnmachtähnlichen Schlaf.
Die innere Unruhe über sein ungewisses Schicksal hier auf dem steuerlos mit dem Winde treibenden Luftboot ließ ihn jedoch schon nach einer Stunde aus wirren Fieberträumen wieder emporschrecken …
Nachdem er, unter Frostschauern am ganzen Leibe bebend, eine Weile noch mit offenen Augen dagelegen hatte, schleppte er sich von neuem in den Führerstand und beobachtete den Höhenmesser …
Nur fünfhundert Meter zeigte das Instrument an …
Mühselig schob er den Hebel weiter nach rechts … Die Sphinx stieg bis auf tausendachthundert Meter …
Und stöhnend fiel Lomatz in einen der leichten Korbsessel zurück …
Fieberhitze brannte ihm im Gesicht … Vor seinen Augen sprühten bunte Lichter auf … Aber mit übermenschlicher Energie verscheuchte er diese Anwandlungen von Ohnmacht und starrte wieder auf den Höhenmesser …
Tausendachthundert …
Das genügte … Das schützte ihn vor jedem Feinde … Die Milliardärsjacht würde ihn verfolgen. Damit rechnete er. Aber niemand würde die Sphinx erreichen können …
Ein neuer Frostschauer warf ihn fast aus dem Korbsessel auf den Boden …
Er schloss die Augen … Schwankte hin und her … Seine Zähne schlugen klappernd aufeinander …
Und als er die Lider wieder öffnete, hatte er eine gräßliche Vision …
Dicht vor ihm stand der Zwerg Maupati, den Mafalda im Garten des einsamen Hauses niedergeschlagen und den sie beide dann gefesselt und geknebelt hatten.
Dicht vor ihm …
Mit einem widerwärtigen Grinsen auf dem scheußlichen schwarzen Gesicht …
Mit einem plumpen Jagdmesser in der Hand … stoßbereit …
Lomatz zitterte noch stärker …
Vor seinen Blicken verschwamm alles …
Und doch – aus den wallenden Nebeln der Fieberschauer trat immer wieder dasselbe scheußliche Gesicht hervor …
Wurde undeutlicher – wurde schärfer in den Umrissen …
Und blieb doch stets Maupati – der Daki …
Dann die klanglos plappernde Stimme des Wilden:
„Master Lomatz, hier an Maupatis Messerspitze Tamuagift … Nur kleine Wunde – – und tot sein …“
Des Verbrechers fiebrige Augen wurden blöde …
Keine Vision …! Kein Hirngespinst …! Maupati war leibhaftig hier an Bord …!
Und Lomatz’ feige schlaue Seele erbebte vor unnennbarer Angst vor der Rache des tückischen Zwerges …
Sein lügnerischer Mund formte mühsam Worte der Rechtfertigung …
„Maupati, … die … die schwarzhaarige Miß wollte … dir ans Leben … Ich … ich ließ es nicht zu, daß sie dich tötete … Sie ist meine Feindin … Sie … sie … hätte auch mich beseitigt …“
Der Daki nickte …
„Weiß schon, Master … Du ihr entflohen mit diesem Schiff … Maupatis Fesseln für Kinder … Rasch abgestreift … Hier in Schiff versteckt. – Was jetzt, Master Lomatz?“
„Gute Freunde … Gute Freunde wollen wir sein, Maupati …“
„So … gute Freunde …?! Solange Master krank … Dann er töten werden Maupati … Ich niemand trauen … Ich war auf Nilbarke … Ich kenne weiße Männer … Reden alle mit böse Schlangenzunge …“
Lomatz vermochte sich kaum noch aufrecht zu halten …
Das Messer des grinsenden kleinen Teufels kam seinem Gesicht immer näher …
„Weißt du auch, Maupati,“ kreischte er jetzt, „daß du nie die Erde wieder erreichen wirst, wenn ich nicht am Leben bleibe …! Dieses Boot wird ohne meine Hilfe …“
Der Daki unterbrach ihn höhnisch …
„Oh, Maupati nicht dumm sein … Ich gesehen habe, wie Master Hebel dort weitergeschoben, als Boot fliegen sollte … Noch auf schwarze Insel … Maupati weiß, daß Boot sinken wird, wenn Hebel nach anderen Seite umgelegt wird …“
„Satan …!!“ gurgelte Lomatz hervor … Er gab sich verloren … Seine Widerstandskraft gegen die ungeheure Fieberschwäche war dahin … Und wie leblos glitt er zur Seite von dem Korbsessel herab und regte sich nicht mehr.
Der Daki steckte das vergiftete Messer in seinen Lendenschurz zurück und betrachtete den Bewußtlosen mit höhnischen Blicken. Dann packte er ihn und schleifte ihn in eine der Vorschiffkabinen, deren Tür unversehrt geblieben, warf ihn mit einer Kraft, die niemand dem winzigen Neger zugetraut hätte, auf das Bett und beleuchtete nun mit der Laterne, die er derweil mit den spitz gefeilten Zähnen gehalten hatte, von außen das Türschloß. Nachdem er herausgefunden, wie es funktionierte, sperrte er Lomatz ein, zog den Schlüssel ab und kehrte in den Führerraum zurück.
Ganz vorsichtig schob er den Hebel des Höhensteuers nach links und beobachtete gleichzeitig die Quecksilbersäule in der Röhre des Höhenmessers. Es war ihm vorhin nicht entgangen, daß Lomatz dieses flüssige Silber dort in der Glasröhre, neben der Zahlen und Striche angebracht waren, ebenso prüfend angeschaut hatte.
Und nun stellte der kleine Schwarze mit zufriedenem Grinsen fest, daß das flüssige Silber dort desto tiefer sank, je mehr er den Hebel nach links bewegte, und daß es sofort wieder zu klettern begann, wenn er den Hebel nach rechts drückte.
Maupati war der äußere Zusammenhang der Vorgänge jetzt klar. Abermals nickte er mit gefletschten Zähnen und beließ den Hebel dort, wohin Lomatz ihn geschoben gehabt hatte. Dann stieg er an Deck …
Maupati war ein Wilder trotz der Dienstzeit als Bootsmann auf der Nilbarke.
Ihm war es sehr gleichgültig, daß über ihm in märchenhafter Pracht der nächtliche Sternenhimmel sich wölbte. Ihm war es ebenso gleichgültig, daß dort in der Tiefe der Atlantik als milchige Masse im Dämmer der Sternennacht sich dehnte …
Er lehnte an der Reling und prüfte nach Art der Wilden mit angefeuchtetem Zeigefinger die Windrichtung. So fand er heraus, daß die Sphinx mit dem Winde langsam dahinflog … Wohin – das wußte er nicht. Er konnte nach den Sternen die Himmelsrichtung nicht bestimmen, und einen Kompaß hatte er noch nie gesehen. Derartiges hatte es auf dem Nilschiff nicht gegeben.
Dann wandte er sich um und betrachtete die über das Deck verstreuten Schätze: Goldbarren – Geschmeide – goldene Tempelgeräte – anderes noch …
Eine goldene Streitaxt weckte seine Begehrlichkeit. Er hob sie auf, betrachtete sie … Sie hatte eine sichelförmige Schneide und fünf lange spitze Zacken. In das edle Metall waren Bilder des Aztekengottes Vitzliputzli eingraviert.
Und – an zwei der Zacken klebte eine dunkle Kruste …
Maupati kratzte etwas davon ab und verrieb es mit Speichel auf der Beilschneide, schmeckte vorsichtig.
„Blut …!“
Er grinste …
Und ahnte auch, daß er hier dieselbe Streitaxt in der Hand hielt, die den Expräsidenten Armaro das ein Auge geraubt hatte, – das José Armaros Blut an dieser Waffe klebte.
Er schob sie in den Lendenschurz.
Dann schlich er weiter über das Deck – immer mit den ihm eigentümlichen Bewegungen, die eine Ähnlichkeit mit denen eines Leoparden hatte, des schlimmsten Feindes der Daki in den Urwäldern an den Nilquellen …
Aufmerksam schaute er sich die Stümpfe der Propeller am Heck und am Bug an … Was sie bedeuteten, blieb ihm fremd.
Und so besichtigte er das ganze Luftboot. Überall schnüffelte er umher … überall … Kam in den kleinen Maschinenraum hinab, wo die Granaten des fremden Kreuzers damals durch den Boden der Sphinx eingedrungen und krepiert waren … Die Bodenlöcher hatten Gaupenbergs Getreue ausgeflickt. Die Motoren war noch unbenutzbar.
Maupati gelangte schließlich auch in die winzige Küche und den Vorratsraum. Die Kisten und Konservenbüchsen hier ließen seine Augen aufleuchten …
Alle Daki waren als Wilde ungeheure Fresser … Alle diese Zwerge, die in den Baumkronen der Urwaldriesen hausten und mit vergifteten Pfeilen flinke Affen erlegten, waren leidenschaftliche Fleischesser und … Verehrer von Menschenfleisch …
Maupati schlug gleich hier im Vorratsraum ein Dutzend Büchsen auf und nahm sie mit in den Turm …
Bevor er jedoch seine Mahlzeit begann, führte ihn die instinktmäßige Vorsicht aller Naturvölker nochmals an Deck, um draußen Ausschau zu halten.
Inzwischen hatte die Dämmerung der Nacht bereits dem feinen Zwielicht des jungen Tages weichen müssen.
Maupati schaute hinab auf das jetzt deutlicher sichtbare Meer …
Und stutzte …
Kniff die scharfen Augen zusammen …
Dort weit voraus in der Windrichtung glaubte er auf dem Ozean einen dunklen Fleck zu erkennen …
Eine Insel schoß es ihm durch den Kopf …
Eine Insel, auf der er vielleicht landen könnte …
Und mit ein paar Sätzen war er im Führerraum.
Packte den Hebel …
Die Sphinx sank … sank bis auf etwa tausend Meter …
Der Daki eilte wieder an Deck …
Hatte die Augen des Leoparden der heimischen Urwälder, wie er auch dessen Bewegungen besaß …
Nun erkannte er die Insel dort unten weit deutlicher …
Langsam trieb die Sphinx schräg über der Nordküste des Felseneilandes hinweg …
Und – in diesem Moment war’s, wo die Fürstin Sarratow, gehetzt von den Matrosen der Milliardärsjacht, das Luftboot bemerkt hatte …
Dieser Moment war für die weiteren Schicksale der Verteidiger und der begehrlichen Feinde des Azorenschatzes von entscheidender Bedeutung … Denn Mafalda hatte gesehen, daß die Sphinx mit einer in den oberen Luftschichten herrschenden westlichen Luftströmung gerade in entgegengesetzter Richtung segelte, als der ‚Star of Manhattan’ die gestohlenen Sphinx suchte … Sie wußte, wo etwa Lomatz mit Gaupenbergs genial konstruiertem Boote landen mußte … Sie hatte dann Armaro als Verbündeten von neuem gewonnen … Und so wurden denn all die Ereignisse eingeleitet, die auf der schwarzen Insel den tiefsten Schlaf halber Bewußtlosigkeit all den Sphinxleuten und ihren Freunden auf die Lider senkten … –
Weiter – weiter trieb die Sphinx jetzt in die Unendlichkeit des Äthers hinein …
Es wurde Tag …
Der schwarze Zwerg lehnte noch immer an der Reling …
Erste Sonnenstrahlen beleuchteten sein abstoßend häßliches wildes Gesicht …
Das Meer war nun bis zu runden Horizontlinie zu überblicken …
Kein Segel, keine Rauchsäule eines Dampfers zeigte sich. Im Osten verschwand auch der winzige dunkle Punkt – die schwarze Insel …
Da stieg Maupati denn in den Turm hinab, setzte sich mit unter dem Leibe gekreuzten Beinen auf die mit Linoleum belegten Planken des Führerraumes und begann zu essen …
Schmatzend schlang er das Konservenfleisch hinab …
Seine Freßgier war unersättlich …
Und ganz nach Art der auf tiefster Kulturstufe stehenden Wilden rollte er sich dann zum Verdauungsschlaf zusammen, legte den Kopf auf den Arm und … schnarchte sehr bald in so rauhen Tönen, daß er durch diese gurgelnden Laute selbst die verdächtigen Geräusche übertönte, die da durch die offene Tür aus dem Kabinengang bis in den Turm drangen. –
Lomatz war erwacht …
Noch wütete das Fieber in seinen Adern, und doch konnte er bereits mit voller Klarheit das Geschehene in seiner Erinnerung wieder aufleben lassen und sich dann hier im Dunkeln bis zur Tür vorwärtstasten …
Er fand sie von außen versperrt …
Der Gedanke, hier der Gefangene dieses mordgierigen, hinterlistigen kleinen Geschöpfes zu sein, verlieh ihm ungeahnte Kräfte …
Maupati hatte es versäumt, ihm das Messer und den Revolver abzunehmen. Mit der großen Klinge dieses Messers begann der vielerfahrene Abenteurer nun die Füllung der nicht allzu starken Tür herauszuschneiden …
Die Arbeit überstieg fast seine Kräfte … Aber mit einer Energie, die selbst die Fieberschauer und die erneuten Ohnmachtsanfälle überwand, ließ er die Messerspitze mit kräftigem Druck immer wieder in den Kerben entlanggleiten.
Ohne Geräusch ging das nicht ab …
Lomatz wunderte sich erst, daß Maupati nicht durch die Geräusche seiner Arbeit an der Tür herbeigelockt wurde …
Dann kam er auf den richtigen Gedanken. Der Daki war eingeschlafen – wahrscheinlich im Führerraum!
Desto eifriger betrieb er das Befreiungswerk …
Endlich – endlich konnte er dann die Mittelfüllung herausheben …
Seine Hände bluteten …
Und blutig biß er sich die Lippen, um nicht ohnmächtig niederzustürzen …
Ungeheure Anstrengung für ihn, durch das Loch in der Tür in den Kabinengang zu klettern …
Denn – der Schlüssel im Schloß fehlte. Maupati hatte ihn abgezogen … –
Lomatz stand jetzt dicht vor dem schlafenden Daki …
Die Laterne brannte … Durch die offene Turmluke quoll die Tageshelle herein …
Ein Stoß mit dem Fuß weckte Maupati …
Und mit jener Schnelligkeit, mit der die Naturkinder den Schlaf verscheuchen und mit wachen Sinnen der Gefahr gegenübertreten, fuhr der Schwarze empor …
„Steh still …!“ sagte Lomatz drohend …
Der Revolver war auf Maupatis Stirn gerichtet.
„Geh mir voran an Deck,“ befahl Lomatz weiter …
Der Daki gehorchte …
Oben mußte er an die Reling treten, das Gesicht dem Meere zu …
Und – hinter ihm war … der Revolver …
Er fühlte die Mündung im Genick …
„Wirf dein Messer in die See!“ verlangte Lomatz abermals …
Der Daki griff in den Lendenschurz …
Die vergiftete Waffe flog samt der Lederscheide in das Nichts hinaus …
Dann faßte Lomatz selbst zu und nahm dem Zwerge die goldene Steinaxt König Matagumas ab …
Sagte dabei:
„Ich könnte dich erschießen, Maupati … Deine Leiche würde über die Reling in das Meer fallen …“
Der Kleine zitterte …
Die kalte Revolvermündung kitzelte seine Genickhaut …
„Ich werde dir trotzdem das Leben schenken, Maupati … Falls du mir Treue versprichst … Du selbst hast mir und der Fürstin erzählt, daß es bei eurem Volke Brauch ist, ein feierliches Bündnis durch Blut zu besiegeln …“
Der Daki drehte sich langsam um. Sein Gesicht hatte jene erdige Farbe, die bei Negern das Erblassen anzeigt.
Dann stürzte er Lomatz zu Füßen, schlug mit der Stirn auf die Deckplanken und heulte:
„Maupati werden malen roten Kreis um Master … So Daki es machen, wenn Treue schwören …“
Und wirklich …
Er biß sich in den linken Unterarm …
Jeder der spitzgefeilten Zähne hinterließ ein tiefes Loch … Kleine Bächlein Blut sprudelten hervor … Und mit diesem Blute zog Maupati einen Kreis auf den Planken um Lomatz’ Füße …
Schob dabei ein paar Goldbarren beiseite …
Achtlos …
Und sein Blut befleckte diese goldenen Ziegel, die da einst an Kameruns felsiger Küste von treuen Deutschen in verschwiegener Strandhöhle gewonnen waren … –
Lomatz war jetzt zufrieden … Er kannte den Aberglauben, mit dem die Wilden derartige Zeremonien in ihrer Phantasie ausschmücken. Er wußte, daß der Daki diesen Blutschwur halten würde.
„Steh auf, Maupati …“ sagte er freundlicher …
Und – gab ihm dann die Hand …
Ein schlauer kleiner Schachzug, der denn auch den Erfolg hatte, daß der Daki nochmals wortreich beteuerte, er würde für den Master jetzt fortan gern sein Leben opfern …
Lomatz war viel zu menschenkundig, um auch solche Redensarten etwas zu geben. Immerhin, er war Maupatis erst einmal sicher – ganz sicher! Und deshalb schob ein nun den Revolver in die Tasche und nahm den Daki mit in den Turm hinab.
Hier zeigte er ihm nochmals die Handhabung des Höhensteuers und auch die Bedeutung des Höhenmessers, ebenso die des Kompasses, gab ihm dann ein Fernglas in die Hand und erklärte ihm, wie er es einstellen müsse.
Sagte weiter: „Das Wundfieber zwingt mich, wiederum mich niederzulegen … Du wirst genau aufpassen, ob du von Deck aus Land oder eine Insel erspähen kannst. Bemerkst du etwas, so weckst du mich sofort. Auch dann weckst du mich, fals der Wind sich drehen sollte …“
„Oh – Master Lomatz ruhig schlafen kann,“ versicherte Maupati eifrig. „Ich nicht dumm sein … Ich alles verstanden haben …“
So schloß Lomatz sich denn in eine Kabine ein, nachdem er aus der Bordapotheke noch ein Fiebermittel geholt hatte.
Maupati stand oben an Deck …
Da die Sphinx mit dem Winde beim Vorwärtstreiben sich um sich selbst drehte, brauchte der Daki stets nur nach einer Richtung das Fernglas zu benutzen, was er sehr bald heraushatte.
Stunden vergingen …
Immer noch schwebte die Sphinx gen Westen …
Maupati hatte inzwischen tief unten auf dem Meere verschiedene Schiffe gesichtet, ohne sich jedoch um die Fahrzeuge zu bekümmern, von denen aus das Luftboot in dieser Höhe kaum bemerkbar werden konnte.
Dann aber – etwa gegen zehn Uhr vormittags – glaubte er Land als dunklen Strich am Horizont wahrzunehmen …
Schärfer schaute er hin …
Eine große, hohe Felseninsel war’s …
Und hastig eilte er jetzt in den Kabinengang hinab und trommelte gegen Lomatz’ Tür …
„He – Master, – Insel, sehr große Insel – – sehr groß …!“
Nach diesem fast sechsstündigen Schlaf und auch infolge des Medikaments fühlte Lomatz sich jetzt bedeutend kräftiger …
Er folgte dem Daki an Deck, nahm ihm das Fernglas ab und musterte die Insel …
Sah, daß es sich um eine ganze Inselgruppe handelte …
Und … sah auch, daß die Sphinx dort kaum unbemerkt landen könnte, da ein reger Schiffsverkehr an den Küsten zu herrschen schien.
Langsam näherte sich das Luftboot der einen der umfangreichen Inseln immer mehr …
Maupati hatte den Hebel des Höhensteuers noch mehr nach rechts schieben müssen, und die Sphinx flog jetzt in etwa dreitausend Meter Höhe, nur ein Pünktchen im Äther, über die große, waldreiche Insel hinweg.
Mit Hilfe des Fernrohrs erkannte Lomatz genau, daß diese Insel aus zwei durch einen Kanal getrennten Teilen bestand, daß zahlreiche Gebäude und Ortschaften das Bergland belebten und daß zwischen den Höhenzügen des Inneren des westlichen Inselteiles tropische Urwälder in unabsehbarer Ausdehnung sich hinzogen.
Er überlegte schnell …
Wenn es ihm gelang, inmitten dieser Urwälder zu landen, war er fürs erste in Sicherheit …
Ein rascher Entschluß … Er sprang in den Turm hinab …
Mit unheimlicher Geschwindigkeit schoß die Sphinx abwärts – wie eine reife Frucht – senkrecht – – und gerade mitten in eine kleine Lichtung hinein …
So blitzartig war dieser förmliche Absturz, daß jeder, der das hier gewiß ungewöhnliche Schauspiel beobachtet hätte, niemals mit Bestimmtheit würde sagen können, ob es ein Flugzeug mit Tragflächen, ein Luftschiff oder etwa ein Meteor gewesen, das da so überraschend aus dem blauen Äther herabsauste …
Und – dies hatte Lomatz gewollt …
Deshalb hatte er auch den Absturz der Sphinx erst in Höhe der Baumkronen gebremst …
Sanft landete das Luftboot nun, legte sich in das meterhohe Gras der Urwaldlichtung und … war so gut geborgen.
Als Lomatz jetzt den Turm verließ und an Deck kam, fand er Maupati lang auf dem Bauch liegend und jämmerlich stöhnend …
Der Schreck über die jähe Landung war dem Daki derart in die Knochen gefahren, daß er doch eine ganze Weile brauchte, bevor er sich wieder etwas erholte …
Lomatz lachte ihn aus …
„Flink, Freund Maupati …“ meinte er … „Hier im Urwald ist dein Reich … Tummele dich … Suche die Umgebung der Richtung ab, ob etwa irgendwo eine Niederlassung in der Nähe …“
Der Daki kletterte denn auch an der Außenleiter hinab und verschwand im Walde …
Lomatz hätte jetzt am liebsten die Goldbarren und all die übrigen Kostbarkeiten irgendwo in der Nähe vergraben. Doch seine Kräfte reichten hierzu nicht aus. So mußte er sich denn damit begnügen, die Reichtümer, die er nun endgültig für sich erobert zu haben glaubte, mit Segelleinen zu bedecken … Man konnte ja nicht wissen, ob nicht doch ein Zufall Leute an diese Lichtung führte. Er wollte eben jedem den Anblick der Goldmilliarden entziehen und verhüten, daß die Begehrlichkeit eines Fremden ihn vielleicht zwang, mit der Sphinx abermals aufzusteigen.
Kaum hatte er denn die Segel über das Deck gebreitet, als auch schon das eintrat, was er um jeden Preis hatte verhüten wollen.
Er gewahrte ein junges Weib in einer Art Sportkostüm, die auf einem braunen Pony aus dem Urwalde hervortrabte und auf die Sphinx zuhielt.
Es war eine schwarzhaarige sonnengebräunte Europäerin mit breitrandigem Panama, von zierlicher und doch voller Gestalt …
Dunkle lebhafte Augen blitzten unter dem Hutrand hervor …
Lomatz stand mit finsterer Miene an der Reling …
„Bonjour, Monsieur …“ rief die Reiterin ihm nun in tadellosem Französisch zu. „Sie sehen mich außerordentlich erstaunt, hier eine Miniaturausgabe eines Luftschiffes zu finden …“ Dabei klatschte sie mit einer eleganten Reitgerte taktmäßig gegen ihre hellbraunen Überschnallgamaschen …
Lomatz hielt es doch für richtiger, gute Miene zum bösen Spiel zu machen …
Sein bisheriger Gesichtsausdruck war alles andere als liebenswürdig gewesen …
Nun jedoch lächelte er verbindlich, grüßte höflich und erklärte – ebenfalls in der Heimatsprache der bildhübschen Reiterin:
„Mademoiselle gestatten … Mein Name ist … Fredy, Herzog von Dalaargen … Von der österreichischen Linie … Ich bin mit meinem Diener für kurze Zeit hier gelandet … Wir wollen sofort wieder aufsteigen … Maupati wird sehr bald wieder hier sein …“
„Ah – Ihr Diener?! War das der halbnackte kleine Schwarze, dem ich soeben begegnete?“
„Allerdings … Maupati ist in der Kultur ein wenig zurück … Sonst aber ein Muster von einem Diener.“
„Dann stellen Sie recht geringe Ansprüche, Herr Herzog … Oder muß man Hoheit sagen?“
„Danke … – Sie wohnen hier in der Nähe, Mademoiselle?“
„Ja … Drüben zwei Meilen nordwärts … Ich bin die Oberin des Erholungsheims Santa Lucia – für weibliche Angestellte …“
Selbst Lomatz war außerordentlich verblüfft …
„Oberin? Santa Lucia …? – Verzeihung – auf welcher Insel befinde ich mich hier?“
„Auf Guadeloupe, und zwar auf Basse-Terra, dem westlichen Teil …“
„Also Antillen …“
„Ja, Herr Herzog … Eigentlich heißt die Inselgruppe ja ‚Über dem Winde …’. Aber das ist sehr gleichgültig. Wichtiger ist mir Ihr Luftschiff. Es ist das erste, das ich sehe. Ich bin hier geboren. Mein Vater ist der General Lataille, der Befehlshaber der hiesigen Truppen …“
„Gibt es hier in der Nähe denn noch mehr Gehöfte, Mademoiselle?“
„Nein, das Erholungsheim ist das nächste … Die Zuckerrohrplantage von Monsieur Gabarin liegt sieben Meilen weiter. Sie befinden sich hier im einsamsten Teile der Insel, Herr Herzog … – Dürfte ich mir Ihr Luftboot einmal näher betrachten?“
„Leider unmöglich, Mademoiselle … Dort kehrt mein Diener schon zurück … Wir müssen sogleich aufsteigen …“
„Hm – mit den defekten Propellern, Herr Herzog?!“ wunderte Fräulein Lataille sich über die Maßen.
„Allerdings … Die Propeller ergänzen wir in der Luft … Wir haben es eilig … Ein Rekordflug, Mademoiselle …“
Maupati erkletterte mit Affengewandtheit die Außenleiter, trat neben Lomatz und flüsterte:
„Master, vorsichtig sein …! Sind noch mehr Weiber im Wald … Am besten …“
Doch diesen Satz beendete er nicht …
Mademoiselle Lataille hatte mit einem Male aus der rechten Satteltasche eine jener Parabellumpistolen mit sehr langem Lauf hervorgezogen, die in sicherer Hand vollständig einen Karabiner ersetzen …
Sie hatte ebenso schnell auf Lomatz angelegt und rief gleichzeitig:
„Arme hoch, Herr Herzog …!“
Und … feuerte …
Lomatz’ Sportmütze wirbelte durch die Luft …
Ein Meisterschuß, der sehr vielsagend war …
Und Edgar Lomatz richtete sich auch danach …
Hob die Arme …
Und der Zwerg tat das gleiche …
Dann stieß die Reiterin auch schon einen gellenden Pfiff aus …
Drei andere kamen aus dem Walde hervorgesprengt.
Und Yvonne Lataille jubelte den Freundinnen zu:
„Celeste, Ninon, Claire, – denkt euch …! Das ist die Sphinx, über die soviel in den Zeitungen steht … Und das da oben ist angeblich ein Herzog … Sieht er wie ein Herzog aus …?!“
Schallendes, übermütiges Gelächter …
Aber Lomatz … lachte nicht …!
Teufel noch mal – auch Celeste, Ninon und Claire hatten Parabellumpistolen …!
Und wieder rief Yvonne Lataille:
„Rühren Sie sich nicht vom Fleck, Herr Herzog …!! Wir werden Sie so ein wenig gefangennehmen, den die Sphinx gehört einem Grafen Gaupenberg – und Sie dürften sie gestohlen haben …“
Was jetzt in Lomatz’ verderbter Seele vorging, ist schwer zu schildern …
Sollte er, Edgar Lomatz, sich etwa durch diese vier Mädchen um die Goldbeute bringen lassen?!
Niemals …!
Und – er versuchte es nun wie stets mit einer List …
Verbeugte sich, ließ die Arme sinken …
„Mademoiselle Lataille, ich selbst bin Graf Gaupenberg … Was Ihnen aus den Zeitungen vielleicht nicht bekannt sein dürfte, ist mein Anrecht auf den Teil eines Herzogs von Dalaargen … – Bitte – wenn die Damen an Deck kommen wollen … Ich werde Ihnen meine Papiere vorlegen …“
Und abermals verneigte er sich mit liebenswürdig ironischem Lächeln …
Dieselben Sonne, die hier auf der Insel Guadeloupe Zeugin des Überfalls auf die gelandete Sphinx durch vier schneidige junge Reiterinnen wurde, – dieselbe Sonne beschien auch mit leuchtenden Strahlen die seltsamen Bilder, die das schlafende Eiland noch um neun Uhr vormittags darbot …
Die beiden Riesenbrände waren mitlerweile erloschen …
Die ‚Sonora’, der aus Eisen konstruierte Dampfer, qualmte nur noch, war nur noch ein hohles Gehäuse, war völlig ausgebrannt …
Und dort am Ufer des Binnensees, wo er jetzt, kaum noch als Wrack zu bezeichnen, armselig, träge hin und her schaukelte, – dort in nächster Nähe lag die Besatzung der Milliardärsjacht – – eine lange Reihe lebloser Gestalten …
Alle bewußtlos …
Alle hingemäht durch das tückische Gift …
Die Sonne traf die gebräunten, jetzt etwas fahlen Gesichter …
Unbarmherzig schickte sie ihre Glutwellen über die kahlen Felsen hin …
Und doch, keiner dieser hinterlistig vergifteten Seeleute spürte etwas von dieser Hitze …
Keiner … –
Und nach Norden zu, jenseits der Uferhöhnen der Bucht, unter den grünen tropischen Bäumen ein ähnliches Bild. Die schlafende Hochzeitsgesellschaft!
Ein Bild, das einen uneingeweihten Beschauer leicht zu falschen Schlüssen verleiten konnte … Vielleicht zu der Annahme, daß alle diese Menschen in schwerer Trunkenheit niedergesunken …!
Freilich, wer dann die einzelnen Teilnehmer dieses Festes betrachtete, wer all diese holde Weiblichkeit, in der sich so viel rührende Unschuld verkörperte, mit fraglos immer stärkerem Gefühl des Mitleids anschaute, der gewann schließlich die Überzeugung, daß hier nur ein unfaßbares Unglück oder ein nicht minder unbegreifliches Verbrechen geschehen sein könne … –
Doch – niemand war da, der diese Eindrücke sammeln, der mit entsetzten Augen diese zahllosen Gestalten bedauernd in würdigerer Weise betten konnte.
Was an Menschen hier auf der schwarzen Insel weilte, war leblos, regellos, bewußtlos …
Alle … Selbst die kräftigen Körper eines Pasqual Oretto, eines Gottlieb Knorz und eines Georg Hartwich – und wie sie sonst noch hießen, diese Getreuen des Grafen Gaupenberg, selbst die abgehärteten wetterfesten und knorrigen Männer hatten gegen Tamuagift nicht widerstehen können … –
Und – – ein drittes Bild, näher nach den rauchgeschwärzten Ruinen des Hauses zu …
Dieses Haus, das einst den alten Herzog Dalaargen beherbergt hatte mit seinen glücklichen Schützlingen …
Unweit der Außentreppe lagen da im Grase noch zwei Gestalten …
Ein blondes junges Weib, gestern dem Geliebten als Gattin anvertraut: Agnes Sanden!
Und neben ihr der treue Homgori Murat, den Kopf in einer Blutlache …
Blut, das seiner durchschossenen Lunge entquollen.
Blut, das er für Agnes vergossen, indem er, der Schwerverwundete, das junge liebliche Geschöpf aus dem brennenden Hause rettete und dabei das letzte an Kräften hergab, was ihm das Wundfieber noch belassen … –
Agnes ruhte halb auf der Seite … Über ihrem Kopfe befand sich schattenspendend der dichtbelaubte Zweig eines Busches … Und um ihr goldenes Haar schwebten zwei prachtvoll bunte Schmetterlinge in zärtlichem Spiel …
Schmetterlinge, die vielleicht ein Orkan – ein Zufall hierher nach dieser entlegenen Insel geführt hatte …
Und diese buntschillernden Falter gaukelten jetzt graziös weiter den Hauptweg des Gartens entlang, als ob sie sich bereits an Agnes Sandens madonnenhafter Schönheit genügend sattgesehen hätten …
Als ob sie Neues schauen wollten auf diesem geheimnisvollen Felseneiland, das von vulkanischen Kräften des Erdinneren seine Entstehung verdankte und das vielleicht eines Tages in die Tiefen des Ozeans wieder zurückversinken würde …
Der Duft der auf der Hochzeitstafel in kostbaren Gefäßen verteilten Süßigkeiten, der Duft von Ananas, Erdbeeren und Pfirsichen lockte die beiden schillernden Falter an die Stätte des Grauens …
Da lag einer der Hochzeitsgäste halb über dem Tische … halb noch auf seinem Stuhl sitzend …
Sein blondes gescheiteltes Haar berührte fast den silbernen Tafelaufsatz, den Milliardär Randercild gleichfalls für dieses Fest gespendet …
Und in diesem Tafelaufsatz wölbten sich in zierlicher Pyramide die köstlichsten Pfirsiche …
Hier nun zogen die beiden Schmetterlinge in der Luft ihre verschlungenen Figuren …
Senkten sich tiefer … Berauschten sich am Aroma der wunderbaren Früchte …
Und einer der Falter ließ sich jetzt auf das blendend zarte Damasttischtuch nieder, auf die Tischdecke, um hier an einem verspritzen Tropfen schweren Kalifornierweins zu kosten …
Die Flügel des Schmetterlings streiften ganz leicht die Nase des blonden Schläfers …
Und … Gerhard Nielsen erwachte jetzt unter mehrfachem kräftigen Niesen …
Gerade er war einer der wenigen gewesen, die von der vergifteten Fleischbrühe kaum gekostet hatten, da das jähe Umsinken der ersten Betäubten ihn vor dem weiteren Genuß des gefährlichen Tasseninhalts bewahrt hatte …
Gerade er, bereits auf der Grenze zwischen Betäubung und Wachsein matt dahindämmernd, war nun durch den einen Falter geweckt worden …
Die beiden Schmetterlinge entflohen infolge der überlauten Geräusche, die des Steuermannes zum Niesen gereizte Nase hier in die Stille des Gartens hineintrompetete …
Gerhard Nielsen stand jetzt aufrecht, stützte sich mit den Händen schwer auf den Tisch und suchte dem wankenden Körper Straffheit und Haltung zu geben.
Seine Augen waren ebenfalls noch infolge der Nachwirkungen des Giftes leicht umflort …
Nebel schwammen vor seinen Blicken …
Lichteten sich …
Und jetzt schaute der Steuermann ringsum …
Ein leises Grauen überfiel ihn …
Ein Gedanke durchzuckte sein Hirn: ‚Stehe ich hier als einziger Lebender inmitten von Toten?!“
Dieser Gedanke heischte rasche Klärung. Dieser Gedanke gab Nielsen die körperliche Kraft, vorsichtig die ersten Schritte zu tun!
Er taumelte noch wie ein Trunkener … Doch mit aller Energie bezwang er die geschwächten Glieder …
Beugte sich jetzt zu seiner Tischnachbarin hinab, zu der jungen Detektivin Gipsy Maad …
Nahm ihre Hand …
Ah – der Pulsschlag schlug kräftig …
Und auch ein Anhauch gesunder Röte schimmerte auf Gipsys Wangen …
Ein Seufzer der Erleichterung kam über Nielsens Lippen …
Von einem zum anderen ging er …
Prüfte ob noch in allen Leben zu spüren …
Und gewahrte dann, daß Agnes Sanden – nein, Agnes Gräfin Gaupenberg fehlte …
Wo war Agnes?! Ob etwa die Fürstin Sarratow, die doch bestimmt mit hinter diesem ungeheuren Frevel – als Anstifterin vielleicht – stecken mochte, Agnes entführt hatte?!
Und da nun fiel Nielsens suchender Blick den Hauptweg entlang auf die noch qualmende Ruine des Hauses.
Mafaldas Werk …!! – Er wußte es … Nur Mafalda konnte in all ihrem Haß gegen die Sphinxleute diese Schandtat der anderen hinzugefügt haben …!
Noch mehr bemerkte der blondbärtige Steuermann.
Dort drüben lag Murats zottige Gestalt …
Und dort dicht daneben der Saum eines Kleides – ein Frauenfuß …
Nielsen eilte der Ruinen zu …
Fand Agnes Gaupenberg …
Sie lebte …
Und ebenso besorgt kniete der Deutsche jetzt neben dem Homgori …
Zunächst war nichts von Pulsschlag bei dem braven treuen Tiermenschen zu spüren …
Dann … – Ja, – ganz, ganz schwach der Puls … So, als ob das Leben jeden Moment vollends entfliehen wollte …
Nielsen erkannte, daß Murat der Hilfe am meisten bedurfte – rascher Hilfe …
Murat mußte aus dieser Gluthitze hinaus in kühlere Räume …
Aber – wie den mächtigen Homgori tragen?! Würden seine Kräfte dazu ausreichen?!
Der Steuermann schritt hastig zurück zur Hochzeitstafel …
Wein sollte ihn erquicken … Und einer Flasche schlug er den Hals ab … Dieser Wein war unmöglich vergiftet …
Trank … trank …
Kaliforniertrauben hatten dem Trank Feuer und Würze verliehen …
Nielsen fühlte den Wein im Blute … Fühlte Selbstvertrauen … Ging und packte den armen Murat unter den Armen, zog ihn zum Binnensee, nach der offenen Steintür des Kraterdomes, sah so das hohle, eiserne Gehäuse der einstigen ‚Sonora’ und die wackeren bewußtlosen Matrosen der Milliardärsjacht …
Der ‚Star of Manhattan’ selbst war verschwunden … geraubt …
Mafaldas Absichten, Mafaldas geglückter Plan waren enthüllt … –
Und im dunklen kühlen Kraterdom bettete Nielsen den Homgori vorläufig auf hartem Steinboden. Kehrt zurück zur Hochzeitstafel, zum Festtisch des Unheils …
Armaro fehlte …
Der einäugige Expräsident also war der Fürstin Mitschuldiger!
Nielsen konnte es zunächst kaum fassen, daß dieser vom Schicksal Gezeichnete wirklich abermals zu frecher Tat den ruhelosen Geist angespornt hatte …
Wer hatte Armaro mißtraut?! Wohl keiner! Alle hatten sich täuschen lassen! Alle hatten ihm Mitleid und Verzeihen entgegengebracht …
„Schuft!!“ murmelte Nielsen ingrimmig …
Und dachte an die Matrosen, die da auf dem nackten Felsen am Binnensee der prallen Sonne ausgesetzt waren.
Diese schaffte er nun als nächste in den Kraterdom.
Als er den letzten der Seeleute zur Steintür trug, kam der Amerikaner zum Bewußtsein – einer der jüngsten Matrosen …
Und erholte sich dann so schnell, daß Nielsen durch ihn wertvolle Unterstützung fand.
Harry Port hieß der Amerikaner … War ein fixes Kerlchen … War einer mit dem Herzen auf dem rechten Fleck …
„Mister Nielsen,“ sagte er zu dem Steuermann, als dieser ihm das dritte Glas Kalifornierwein zur Stärkung reichte, „bei uns auf der Jacht war die Bowle vergiftet … Ich selbst bin Alkoholgegner … Ich trank nur einen kleinen Schluck, als der Obermaschinist das junge Paar leben ließ … Und deshalb bin ich nun auch als erster nach Ihnen wieder munter geworden. – So, nun fühle ich mich frisch genug … Was soll ich tun, Mister Nielsen?“
„Wir müssen alle nach oben in die Wohngrotten bringen – alle … Zunächst brauchen wir eine Laterne … Oben in den Grotten werden Sie eine finden. Ich trage derweil die Damen in den Kraterdom …“ –
Eine Stunde später …
In der hellen großen Grotte mit den drei nach Norden zu gelegenen Fenstern sah es wie in einem Krankensaale aus.
Auf Matratzen und Decken lagen nebeneinander achtundvierzig Opfer der brutalen Tücke des Abenteurers Armaro und der Tigerin Mafalda …
Auch der dicke Mormonenpriester Samuel Tillertucky und seine beiden Frauen Sahra und Hekuba ruhten hier inmitten der anderen.
Es hatte Nielsen und Harry Port nicht geringe Mühe gekostet, den Fettwanst Tillertucky bis hier nach oben zu schaffen.
„Der Kerl muß eine Entfettungskur durchmachen!“ schimpfte Nielsen schwitzend, als Port und er diese über zwei Zentner Fett im Gang nach den Grotten emporschleppen mußten … „Ist das Möglichkeit …!! Eine holsteinsche Mastsau wiegt ja nicht mal so viel wie dieser Heilige der letzten Tage! Unerhört!“
Und Harry Port fluchte gleichfalls wacker und meinte:
„Da – wie schwer sogar die Schöße seines schwarzen Rockes nachschleppen …! Mister Tillertucky scheint dort Bleistücke eingenäht zu haben!“
Und als sie ihn dann als letzten auf eine Decke gelegt hatten, kniete Nielsen nieder und befühlte die Rockschöße, die auch ihm höchst verdächtig vorkamen …
Nahm sein Taschenmesser und schnitt die Nähte an jenen Stellen auf, wo offenbar zwischen Futter und Stoff ein paar harte Gegenstände steckten.
So fanden der Steuermann und der junge Matrose bei Mister Samuel Tillertucky etwas sehr … sehr Merkwürdiges …
Nielsen verwahrte diese Dinge sorgfältig in seiner eigenen Tasche und ermahnte Harry Port, vorläufig über diesen Fund Schweigen zu bewahren.
Dann machten sie sich daran, den Bewußtlosen etwas Belebendes einzuflößen. Wein und das eiskalte Wasser aus der Quelle der Wohngrotten ergaben ein Mittel, das in kurzem Wunder wirkte.
Nachdem die sämtlichen Patienten gelabt worden waren, kam nunmehr Gottlieb Knorz zu sich …
Die erste Frage des alten treuen Dieners galt seinem Herrn und Agnes, die zweite … seinem Teckel.
Nielsen konnte ihn beruhigen. Selbst Kognak, der halbblinde Hund, war von Harry Port im Gebüsch neben der Hochzeitstafel und neben einem Teller gefunden worden … In diesen Teller hatte einer der Stewards für den gelben Teckel etwas Fleischbrühe hineingegossen, und so war denn auch Kognak selig oder unselig eingeschlafen und schlief noch immer im Schatten der Büsche.
Gottlieb konnte sich gleich darauf an dem weiteren Samariterwerk beteiligen und tat dies nun hauptsächlich bei seinem Herrn und dessen junger Gattin. Gaupenberg und Agnes erwachten dann als nächste …
Und im Verlauf einer Stunde waren all diese Opfer Armaros und Mafaldas wieder auf den Beinen … Die große Wohngrotte zeigte jetzt ein völlig verändertes Bild. Man erörterte das Geschehene … Man hörte von Nielsen, wie traurig es draußen auf der Insel ausschaute. Das weiße Haus war nur noch eine Ruine … Der Dampfer ‚Sonora’ nur noch ein hohler eiserner Schiffsrumpf … Und die Jacht gestohlen – von Armaro, Mafalda und den Dakizwergen!
Dann aber bewies derselbe Nielsen hier wiederum seine kühle Ruhe und nie erlahmende Energie …
„Freunde!“ rief er … „Wir müssen uns sofort über unsere Lage klar werden … Wir dürfen auch nicht eine Stunde ungenutzt vorübergehen lassen …! – Zunächst die Lebensmittelfrage … Was sich hier in der Wohngrotte an Konservenvorräten befindet, darf nicht angegriffen werden. Wir brauchen diese Konserven vielleicht für später. Deshalb sollen die Matrosen sogleich an den Felswänden nach Vogeleiern suchen. Andere wieder sollen in den Buchten der Insel selbstgefertigte Angeln auswerfen. Inzwischen werden die Berufsseeleute von uns, also Kapitän Durley, die anderen Herren und ich, den ausgebrannten Dampfer besichtigen. Ich hoffe, daß wir dort mit Hilfe der hier in den Grotten vorhandenen Bretterverschläge, die uns genug Baumaterial liefern, und mit Hilfe der Bäume des Gartens aus dem Wrack so etwas wie ein Segelschiff zurechtzimmern können. Mit diesem Segler müssen wir bewohnte Gegenden aufsuchen – und dann an Vergeltung denken!! Sie verstehen mich! – Dieser Segler wird mit den Konserven verproviantiert werden. – Wer rastet, der rostet …! Also ans Werk, Freunde! Es sei denn, daß Graf Gaupenberg, den wir nach wie vor als unser Oberhaupt betrachten wollen, etwas Besseres vorzuschlagen weiß!“
Gaupenberg wehrte eifrig ab, reichte Nielsen die Hand und erklärte:
„Ich als Landratte habe hier jetzt nichts zu befehlen! Ich bitte Sie, lieber Nielsen, alles so anzuordnen, wie Ihr lebhafter Geist es zu unser aller Vorteil für am richtigsten hält …!“ –
Zwölf Uhr mittags war es jetzt …
Die Wohngrotte leerte sich …
Nur die Frauen und Mädchen und Tillertucky blieben hier zurück. Alle übrigen begaben sich durch den Gang zum Kraterdom hinab und dann durch die Steintür ins Freie. –
Samuel Tillertucky, dem es noch recht schlecht erging, hockte auf seiner Decke und ließ sich von seinen beiden Frauen trösten und pflegen.
Mit einer Armensündermiene saß er da, die sein schlechtes Gewissen verriet – und seine Gewissensbisse.
Umsonst redeten Sahra und Hekuba auf ihn ein …
Umsonst bemühten sich auch Agnes, Ellen und Gipsy, den Dicken aufzumuntern, dessen Niedergeschlagenheit sie nicht recht begriffen.
Dann – ein neuer Schreck für den dicken Mormonen. Er hatte bemerkt, daß die Ecken seiner Rockschöße leer, daß die Nähte aufgetrennt waren!
Grüngelb verfärbte sich sein Vollmondgesicht vor Entsetzen …!
Leer – wer nur konnte dieses Versteck der … der unseligen Gegenstände gefunden haben?! Etwa Mafalda – etwa Armaro?! Das – das wäre dann am ungefährlichsten …! Wenn aber vielleicht Nielsen und der junge Matrose, die ihn doch hierher getragen, diese Dinge entdeckt hatten, dann … dann …
Und Samuel stöhnte so qualvoll auf, daß Sahra und Hekuba ihm liebevoll die blassen Wangen streichelten …
Er aber dachte angesichts dieser Zärtlichkeitsbeweise seiner Frauen voller Scham an … die badende Venus und an seine schwache Stunde …!
Er war innerlich so zerknirscht, daß dicke Tränen hinter den Gläsern der Hornbrille hervorrollten …
Noch nie hatten Sahra und Hekuba ihren Herrn und Gebieter weinen sehen …!
Und ahnten nicht, daß er es gewesen, der mit zitternder Hand das Tamuagift in den Kessel mit Fleischbrühe getan hatte …
Daß er Mitschuldiger an diesem Verbrechen der Massenvergiftung … Daß er in Mafaldas Armen ein moralischer Schwächling geworden …! –
Dieses dicke Häuflein Unglück bebte jetzt in dem Gedanken an das Strafgericht …! Aber aus dieser Angst wuchs doch ein männliches Gefühl hervor. Er wollte sich selbst schuldig bekennen, wollte offen mit Gerhard Nielsen sprechen! Und der sollte dann entscheiden, ob alle von seiner Schuld erfahren, ob alle ihn … verurteilen sollten!
Dieser Gedanke ließ ihm jetzt keine Ruhe … So elend er sich auch noch fühlte, – er wollte sofort beichten, sofort Nielsen aufsuchen … –
Hekuba mußte ihm eine Laterne bringen. Er erklärte, er wünsche sich auch seinerseits zu betätigen … – So begründete er sein Verlassen der Wohngrotte.
Und als er dann unten den Kraterdom erreicht hatte, als ihn die Einsamkeit dieser mächtigen dunklen Halle mit den grandiosen Lavasäulen und Lavakanzeln umgab, – als das Laternenlicht nun auf die schwarze Mündung des Schachtes fiel, der hinab zu den Quellen der giftigen Gase führte, als Tillertucky neben der Öffnung das aufgerollte Tau liegen sah, an dem vor zwei Tagen ein Tapferer sich in diese verderbliche Tiefe hinabgewagt hatte, da tauchten andere Gedanken in seinem müden Hirn auf …
War’s nicht am besten, wenn er das Tau an eine der Lavasäulen knotete und dann hinabkletterte in den Todesschlund?! War’s nicht die wahre Sühne für sein Verbrechen, auf diese Weise sich selbst zu strafen?!
Und dann – ein rascher Entschluß …
Schon glitt er, die Laterne vorn in den Rock einigehakt, an dem Tau pfeilschnell abwärts…
Seine Haut blieb in Fetzen an dem rauhen Seil hängen …
Er fühlte es nicht …
Er war zu sterben entschlossen … Er wußte, daß das Gras, das hier unten den Spalten des vulkanischen Bodens entquoll, geruchlos war …
Stand nun mitten in dieser kleinen Höhle, von der rechts der Felsengang nach dem Kegelkrater im nordwestlichen Plateau abzweigte …
Wartete …
Wartete auf den Tod …
Eisiger Schweiß bedeckte seine Stirn …
Er beobachtete sich …
Wann – wann würde das erste Gefühl leisen Schwindels ihm anzeigen, daß das Gas sein Blut vergiftet hatte …?
Und – – schrak plötzlich zusammen …
Ein Geräusch …
Eine Gestalt trat aus dem Felsengang …
Ein kupferfarbenes junges Weib mit angenehmen Gesichtszügen – mit seltsamem Gewand …
Als sie den dicken Mormonen erblickte, prallte sie leicht zurück …
Winkte dann eifrig und geheimnisvoll …
Glitt voran in den Gang …
Samuel Tillertucky nahm das Erscheinen dieser Indianerin – eine solche mußte es sein! – als einen Einspruch des Himmels gegen seine Selbstmordgedanken hin …
Folgte dem jungen Weibe… Sah, daß hier im Felsengang in einer Spalte eine Harzfackel brannte, daß die Indianerin die Fackel an sich nahm und in eine Öffnung der Seitenwand hineintrat, neben der ein flacher, zackiger großer Stein lehnte – eine Festplatte.
Wieder winkte das braune Mädchen dem Zaudernden …
Ein Schacht fürte hier steil in die Tiefen der Erde hinab …
Die Indianerin ging voran … Wohl eine Stunde dauerte der Abstieg …
Dann öffnete der Schacht sich zu einer Höhle von so unermeßlicher Ausdehnung, daß Tillertucky nur hier an dieser Seite die Höhlenwand erkannte …
Ein zart gelbliches Licht erfüllte diesen ungeheuren Raum. Woher das Licht kam, war nicht festzustellen.
Es machte den Eindruck, als ob die Luft hier förmlich mit geheimnisvollem Lichtstoff erfüllt war …
Und dicht vor dem staunenden Mormonen zog sich das Ufer eines unterirdischen Gewässers hin, das die Riesenhöhle in einen Riesensee verwandelte.
Am steinigen Gestade lag ein seltsamer Nachen, dessen Bug und Heck in lange Schiffsschnäbel auslief, die mit fratzenhaften Götzenbildern bemalt waren.
Bisher hatte die Indianerin zu Tillertucky noch kein Wort gesprochen. Während er noch das merkwürdige Boot betrachtete, überlegte er, wie er sich wohl mit ihr verständigen könnte. Seine Neugier war jetzt aufs höchste gespannt, zumal er ja von den Sphinxleuten wußte, daß auf der fernen im Süden liegenden Insel Christophoro sich gleichfalls eine Riesengrotte befände, die von einem magischen Lichte beleuchtet wurde und die einst das unterirdische Reich der letzten Nachkommen des großen Aztekenvolkes gebildet hatte. Wenn er sich nun sagte, daß diese Höhle hier unmöglich dieselbe sein könne, in der die Verteidiger des Azorenschatzes so Wunderbares erlebt hatten, so lag doch die Vermutung nur zu nahe, die Indianerin sei vielleicht eine Aztekin. Daß ein einzelnes Mädchen dieses Volkes der ungeheuren Wasserkatastrophe auf Christophoro entgangen, war ihm unbekannt, denn nur in großen Zügen hatte er von Gaupenberg die Abenteuer der Sphinxleute erfahren.
Er wandte sich jetzt an die neben ihm stehende Indianerin, und auf gut Glück versuchte er es mit der spanischen Sprache, – fragte freundlich:
„Braunes Kind, wo kommst du her? Wie bist du hierhergelangt? Und weshalb führst du mich hier hinab?“
Zu seinem Erstaunen erwiderte das Mädchen ziemlich fließend in derselben Sprache:
„Ich bin Mantaxa, die letzte Aztekin … Ich … habe Hunger …“
So naiv ehrlich klang dies, daß der Mormone lächeln mußte, obwohl er sich doch wahrlich noch kurz vorher in traurigster Gemütsverfassung befunden hatte.
„Hunger? – – So soll ich dir Lebensmittel verschaffen?“ meinte er ebenso freundlich.
„Ja, Sennor … Ich bitte euch darum … Ich war bereits hier oben auf der Insel, – durch den Felsengang kam ich in eine kleinen Höhle, von deren Decke ein Tauch herabhing …“
„Ah – der Kegelkrater … – Und du kehrtest wieder um? Weshalb?“
„Weil ich Männer sah, denen ich entflohen bin, Sennor … Es sind die Männer von der Jacht des Milliardärs Randercild. Ich hatte auf der Jacht gastliche Aufnahme gefunden, aber als wir dann vor Christophoro ankerten, bin ich heimlich in unser unterirdisches Reich hinabgestiegen und habe dort in den fernsten Teilen der Riesengrotte nach meinen Brüdern und Schwestern gesucht. Ich hoffte noch jemand zu finden, der wie ich nicht mit ertrunken war. Und bei diesem Umherstreifen entdeckte ich dann einen See von unendlicher Größe … Das Boot dort lag am Ufer dieses Sees … Ich ahnte, daß einige meines Volkes das Geheimnis des Vorhandenseins dieses Sees streng behütet hatten – Wahrscheinlich unsere Priester, die auch den Nachen dorthin geschafft haben müssen. In der Hoffnung, irgendwo an den Gestaden dieses Gewässers noch Leute meines Volkes anzutreffen, ruderte ich auf den See hinaus und – – fand den Weg zurück nicht. Seit vielen Tagen bin ich so unterwegs, habe mich von Wasserpflanzen und Fischen, die ich mit den Rudern erschlug, bisher kärglich ernährt und landete schließlich hier, fand den steilen Schacht und konnte oben die nur lose eingefügte Steinplatte zur Seite rücken … –
Bitte, Sennor, beschafft mir doch etwas Eßbares … Ich habe Hunger …“
Tillertucky ergriff die zierliche Hand des rotbraunen Mädchens …
„Mein Kind, du hast keinen Grund, dich vor der Besatzung der Jacht verborgen zu halten … Man wird begreifen, daß die Sehnsucht nach den Deinen dich forttrieb … Begleite mich getrost … Mister Randercild wird sich freuen, dich wiederzusehen …“
„Ist … ist Sennor Lomatz bei euch?“ fragte Mantaxa jetzt mit einem unheimlichen Aufglühen ihrer dunklen Augen …
Der Mormone ahnte nichts von dem, was zwischen dem Verbrecher und diesem harmlosen Naturkinde vorgefallen war …
„Du kennst ihn?“ meinte er erstaunt und auch ein wenig mißtrauisch.
„Ich … hasse ihn …!“ stieß die Aztekin da in einer Erregung hervor, wie nur tiefste Feindseligkeit sie heraufbeschwört. „Ich hasse ihnen und … würde ihn töten, wenn ich ihn sehe …“
Und ihre braune Hand fuhr in die Falten des Gewandes … kam mit einem uralten Dolch wieder zum Vorschein …
„Diesen Dolch hier entrang Lomatz mir auf dem Floße … Diesen Dolch habe ich ihm heimlich wieder abgenommen… Schon einmal sollte die scharfe Klinge ihn durchbohren … Und ihn, meinen Verführer, – ihn, den schändlichsten Verräter, den die Erde trägt, wird diese Klinge zu finden wissen …!
Tillertucky war etwas zurückgewichen …
Dieses junge Weib erschien ihm in diesem Augenblick wie eine Rachegöttin … Wie eine jener Priesterinnen des Aztekengottes Vitzliputzli, des blutigen, die einst in verflossenen Jahrhunderten die Spanier zur Ehre des Götzen wie Tiere hingeschlachtet hatten …
Ablenkend erklärte Tillertucky jetzt, um die Erregte zu beruhigen:
„Lomatz ist nicht hier … Er entfloh mit der Sphinx und den Schätzen … Wir wissen nicht, wohin das Luftboot vom Winde entführt wurde. – Begleite mich, Mantaxa … Man wird dich herzlich begrüßen …“
Das Mädchen schüttelte jedoch ernst den Kopf …
„Sennor, ich liebe die Weißen nicht … Wir letzten Azteken lebten zufrieden in unserer Riesengrotte. Dann kamen die Europäer zu uns … Als erste die Amerikanerin Ellen Barrouph …“
„Ah – Steuermann Hartwichs Gattin jetzt …“
„Wir hielten die Sennorita Ellen gefangen … Hartwich befreite sich … Und als nach dem Richtspruch unserer Priester beide verbrannt werden sollten, kam es zum Kampfe mit der in die Höhle hinabschwebenden Sphinx … Und dann … dann brachen die Wassermassen herein … Der Ozean ertränkte mein Volk bis auf mich … – Sennor, ich will die Weißen nicht mehr sehen … Nein – sie brachten das Unheil zu uns! Ich werde zurückrudern, woher ich gekommen … Und Gott Vitzliputzli wird mich vor dem Verhungern beschirmen …“
Ehe Tillertucky sie noch zurückhalten konnte, war sie schon in den Nachen gesprungen und hatte ihn vom Ufer abgestoßen …
Und wie er ihr jetzt noch sinnend nachstarrte, hörte er hinter sich von dem steilen Schacht ein Geräusch …
Sich umwendend, sah er Gerhard Nielsen aus der Schachtmündung hervortreten …
„Schau an, – Sie hier, Mister Tillertucky …!“ meinte Nielsen mit besonderer Betonung. „Ich fand im Kraterdom das Tau um eine Lavasäule geschlungen. Wollte doch mal prüfen, wer trotz der giftigen Gase dort hinabgestiegen … Zunächst stellte ich fest, daß die Gasausströmung, die sich ja durch Zischen und Brodeln kundtat, nicht mehr stattfindet. Es müssen da im Erdinneren Veränderungen der vulkanischen Schichten vor sich gegangen sein … Anders ist dieses Versiegen der Gasquellen nicht zu erklären. Und nun finde ich Sie, Mister Tillertucky, hier an einem Orte, den noch keiner von uns kennt … Was tun Sie hier?“
Der Mormone, der sich erst fast scheu zusammengeduckt hatte, blickte jetzt den blonden Deutschen fest an …
„Mister Nielsen, ich möchte zunächst meine eigenen Angelegenheiten ins Reine bringen … Ich habe etwas zu beichten …“
„Ah – also doch!“
„Ich … ich bin ein Lump, der seine Gefährten verraten hat … Ich selbst war’s, der das Gift in die Fleischbrühe des Hochzeitsmahles tat …“
Nielsen starrte ihn ungläubig an, denn … dies hatte er doch nicht erwartet!
Tillertucky sprach weiter. Nichts verschwieg er … Wie Mafalda ihn umgarnt und verführt, wie sie ihm gedroht hatte, ihn bloßzustellen … und wie er dann absichtlich ebenfalls den vergifteten Inhalt seiner Tasse getrunken habe, damit ihn das gleiche Schicksal ereile wie alle anderen …
„Und jetzt, Mister Nielsen, jetzt, wo die Reue kam, da habe ich mich selbst durch die Gase richten wollen … Da kletterte ich an dem Tau abwärts, fest entschlossen, zu sterben … – Es sollte nicht sein … Mantaxa, die Aztekin, tauchte auf, führte mich hierher … Soeben erst ist sie mit ihrem Nachen wieder davongefahren.“
Er berichtete dann Einzelheiten … Und Nielsen konnte nur immer wieder den Kopf zu alledem schütteln.
Mantaxa hier plötzlich erschienen – hier im Erdinneren?! Und – hier ein unterirdisches Meer, eine geheimnisvolle endlose Wasserwüste …?!
„Wie … ein Märchen …,“ sagte der blonde Deutsche nun leise. „Märchen erlebt man, wenn man mit für das Azorengold kämpft …!“
Dann … zog er aus seiner Tasche ein Lederbeutelchen hervor, dessen Außenseite mit rohen gefärbten Kerbschnitten verziert war …
„Ist diese graue lehmige Masse in dem Beutel das Gift, Mister Tillertucky?“
„Ja – das Tamuagift der Dakizwerge, Mister Nielsen …“
„Ich fand es in Ihren Rockschoß eingenäht …“
„Ich weiß … Und Sie fanden noch mehr, was Sie stutzig machen mußte …“
„Allerdings … Dies hier …“
Und er hielt ihm auf der starken Hand vier schwarze glitzernde Steine hin …
„Schwarze Diamanten, nicht wahr, Mister Tillertucky?“
„Ja … rohe, ungeschliffene schwarze Diamanten … – Ich war, wie Sie wissen, ein Jahr lang Gefangener des Zwergenvolkes der Daki … Dort in den Urwäldern habe ich aus einem steinigen Hügel diese vier enormen Edelsteine herausgeholt – die größten von zahllosen anderen …“
„Also eine Diamantenmine, Mister Tillertucky …“
„Nein, Mister Nielsen … Keine Mine … Ein Vogel hatte in dem Steinhügel sein Nest. Die Daki nennen diesen Vogel, der einer Elster gleicht, Schauma Gibri, das heißt: der suchende Vogel! Und dies deshalb, weil das scheue Tier eine Vorliebe für blanke Gegenstände hat – genau wie die Elster. – Jedenfalls muß das Schauma Gibri Pärchen, das den Hügel bewohnte, Edelsteine anderswo entdeckt und dann nach seinem Nest geschleppt haben …“
„Meinetwegen …! Ich habe keinerlei Interesse für derlei Tand … – Was Ihre Person betrifft, Mister Tillertucky, so glaube ich Ihnen Wort für Wort, was Sie soeben gebeichtet haben … Auch an Ihre ehrliche Reue glaube ich … – Hand her …! Ich verzeihe Ihnen … Und – – die Sache bleibt unter uns … – Bitte – kein überflüssiges Wort des Dankes … Sie sind eben eines von den vielen Opfern dieser schlauen Dirne Mafalda, die mit ihrem Leibe gefährlichen Schacher treibt … Auch mich wollte sie einfangen … Gelang ihr vorbei …! Gold, Edelsteine und Weiber stelle ich auf eine Stufe: Gott hat sie im Zorn erschaffen! Den Menschen zum Leide!“
„Aber Mister Nielsen …! Die Frauen nennen Sie in einem Atem mit …“
„Oh – nicht alle …! Es gibt Ausnahmen … Doch selbst diese Ausnahmen lassen mich kalt … Vollständig … Ein Unterrock bringt selten Gutes …“
„Bitte, die Fortpflanzung des Menschengeschlechts ist …“
„Ereifern Sie sich nicht …! Sie haben ja das Ihrige getan … Fünfundzwanzig Kinder …! Da haben Sie auch gleich meinen Pflichtanteil erfüllt, Mister Tillertucky! – Und nun will ich hier noch diesen wunderbaren Anblick des unterirdischen Sees stumm genießen – ein paar Minuten lang … Wer weiß, ob dieser See nicht auch noch seine Rolle in dem Ringen um den Azorenschatz spielen wird …!“
Wortlos standen die beiden Männer jetzt da …
Plötzlich aus der milchigen Dämmerung ein heller Schrei …
Nach einer …
„Mantaxa ist’s!“ rief der Mormone atemlos …
Dann tauchte auch schon das Boot auf …
Nielsen brüllte:
„Hierher, Mantaxa … Hierher!!“
Und wie eine Vision schauten der Mormone und der Seemann nun undeutlich die Umrisse eines größeren Fahrzeuges, das jedoch langsam wieder verschwand …
Mantaxa trieb ihren Nachen ans Ufer …
Taumelnd sank sie Nielsen in die Arme …
Irgendeine ungeheure Angst hatte selbst dieses Naturkind bewußtlos niedergestreckt …