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Kapitel 141–150

141. Kapitel.

Die Fata Morgana.

Drei Stunden später …

Leuchtender Sonnenschein lag auf den Felsmassen der schwarzen Insel, ließ die Oberfläche des Binnensees gleich einem polierten Metallspiegel schimmern und entlockte den tropischen Pflanzen des fruchtbaren Talkessels ganze Dunstwellen … –

Die Sphinxleute waren inzwischen aus der Grotte in das Haus übergesiedelt, und Nielsen, Knorz und Dalaargen hatten – eine traurige Arbeit, die Gräber für Jakob Worg und Alfonso Jimminez im Garten vorbereitet, auch die übrigen Leichen bereits der Erde übergeben und die Spuren des nächtlichen Kampfes nach Möglichkeit beseitigt. –

Dann die Beisetzung der beiden toten Gefährten …

Eine ernste, kurze Feier …

Gaupenberg hatte sich von seinem Krankenlager erhoben, um nicht unter denen zu fehlen, die jetzt Worg und Jimminez die letzte Ehre erwiesen.

Der Priester der Mormonen sprach ein Gebet. Dann folgte des Grafen eindrucksvolle Gedenkrede. In Rücksicht auf den neuen Mitbewohner der Insel, der nichts von dem Azorenschatz wußte und vorläufig auch nichts davon erfahren sollte, vermied Gaupenberg jede Andeutung, die die Goldmilliarden betraf …

Von Worgs reichbewegtem Leben sprach er, von dessen Treue und Opfermut. – Weit länger hielt er sich bei Alfonso Jimminez’ Person auf, der, einst ein Feind, nun in den letzten Tagen ein vorbildlicher Kamerad gewesen … –

So erhielt denn nun der Garten bereits fünf Gräber von Männern, die den Sphinxleuten nahegestanden hatten …

So wölbte sich denn nun ein neuer gemeinsamer Hügel über den treuen Toten, die der schnöden Großmannssucht des Abenteurers Guardo zum Opfer gefallen waren.

Auf Agnes gestützt, schritt Gaupenberg dann dem Hause wieder zu …

Er fühlte sich heute bedeutend kräftiger. Die Brandwunden im Gesicht und am Halse schmerzten nicht mehr.

Und neben dem jungen Paare ging Samuel Tillertucky in seinem schäbigen schwarzen Bratenrock, mit den zerknitterten Beinkleidern und den unglaublich plumpen derben Stiefeln.

Tillertucky war ein Mann der Phrase … ein Eiferer, ein überzeugter Mormone …

Und auch jetzt pries er mit freudigen Worten die Vorzüge seines Bekenntnisses, der Vielweiberei und all der anderen Besonderheiten, die den ‚Heiligen der letzten Tage’ eigen sind …

Gaupenberg ließ ihn reden …

Hand in Hand schritt er mit seiner heißgeliebten Braut …

Seine Gedanken wandelten eigene Wege. – Vor der Haustür blieb er stehen …

„Mister Tillertucky,“ sagte er ernst, „wenn Sie als Mormone Priester sind, so dürften Sie auch die Befugnis haben, ein Paar ehelich zu verbinden, dem die ganzen Umstände eine Eheschließung nach den gewöhnlichen Gebräuchen unmöglich machen …“

Und als er dies sprach, drückte er der Geliebten Hand in tiefer Zärtlichkeit.

Der dicke Tillertucky, in dessen Vollmondgesicht ein paar kleine wässrige Schweinsäuglein keineswegs zur Verschönerung der verschwommenen Züge beitrugen, hob mit großartiger Geste den rechten Arm …

„Ich darf es, Mister Gaupenberg …! Ich bin Priester, bin von unserem Propheten dazu erkoren und von Staatswegen anerkannt. Wenn ich jedoch ein Paar zusammentue, so muß es vorher zur Mormonenkirche übertreten …“

„Ist das unbedingt notwendig?“ meinte der Graf enttäuscht …

„Notwendig?! – Insofern nicht, als ein von mir eingesegnetes Paar ohne weiteres fernerhin zu unserer heiligen Kirche zählt …“

Gaupenberg schaute Agnes an …

Und in seinen Augen war das Leuchten reinster Liebe …

„Mister Tillertucky,“ sagte er wieder, „meine Braut und ich haben so unendlich viel Trauriges und … Böses durchgemacht, sind vom Schicksal schon so oft wieder getrennt worden, daß wir beide uns danach sehnen, unserem Liebensbunde den Abschluß zu geben, den jedes bräutliche Paar ersehnt. Bitte, tun Sie uns ehelich zusammen auch ohne jede Bedingung …“

Der Mormone überlegte …

Und erwiderte feierlich:

„Es sei …! Geben Sie mir die Stunde an, wann es geschehen soll …“

„Nachmittags – heute noch … Um sechs Uhr.“

Und Agnes nickte glückselig zu diesem Entschluß des Geliebten.

„Um sechs Uhr …,“ wiederholte Tillertucky und reichte dem jungen Paare die Hände … „Ich werde dafür sorgen, daß die Feier würdig verläuft …“

Dann betraten Agnes und Viktor das Haus.

Der Mormone aber schritt um das Gebäude herum und machte vor der auf dem Hofe ruhenden, so schwer beschädigten Sphinx halt und beobachtete still Gipsy, den Herzog und Mela Falz, die oben an Deck des Luftbootes bereits eifrig tätig waren.

Dann nahten auch Gottlieb und Nielsen, die das Grab der beiden Getreuen in Ordnung gebracht hatten.

„Ich werde helfen, Mister Nielsen,“ erklärte der Mormone nun. „Sie werden sehen, daß ich nicht so ungeschickt bin wie meine Leibesfülle es vermuten läßt. Weisen Sie mir nur bitte irgendeine Beschäftigung zu.“

Steuermann Nielsen konnte jeden brauchen, der hier mit zugreifen wollte.

Und so nahm er den Dicken denn mit an Deck, meinte hier zu Gipsy und Mela:

„Sie gehören in die Küche, meine Damen … Sorgen Sie für das Mittagessen … Wir werden Ihren Speisen nachher alle Ehre antun …“

Während die beiden jungen Mädchen dann in den sauberen Wirtschaftsräumen des einsamen Hauses ihren Hausfrauenpflichten nachgingen, spielte an Deck der Sphinx eine andere, weniger friedfertige Szene sich ab.

Da Nielsen es übernommen hatte, die Reparaturarbeiten zu leiten, hatte Gottlieb ihn gefragt, ob man zuerst die Außenwandflächen des Luftbootes ausflicken solle.

Nielsen erwiderte in Gegenwart von Dalaargen, dem der Mormone von vornherein wenig sympathisch zu sein schien:

„Erledigen wir vor den Außenschäden eine innere Angelegenheit unserer Kolonie … Sie betrifft Mister Samuel Tillertucky …“

Die Schweinsäuglein des frommen Mannes glotzten den blonden Deutschen fragend an.

„Mich – mich betrifft es?!“ meinte er salbungsvoll. „Was könnte wohl meine bescheidene Persönlichkeit für Sie, Mister Nielsen, für eine Bedeutung haben?!“

„Oh – eine bescheidene Persönlichkeit sind Sie wohl kaum, sehr ehrenwerter Mister Tillertucky. Wer wie Sie reichlich zwei und ein halb Zentner wiegt, fällt überall schon ohne sein Dazutun auf. – Als ich vor einem Jahr im Hafen von Tampico, der bekanntlich zu Mexiko gehört, ein paar freie Tage an Land verlebte, geriet ich auch in eine obskure Kneipe, die den schönen Namen ‚Zur nackten Sennorita’ führte …“

„Oh – ein Sündenpfuhl!“ nickte Samuel entsetzt und hob wie beschwörend die feisten Hände … „Eine Lasterhöhle, in der ich das heilige Wort der Lehrer meines Glaubens tauben Ohren gepredigt habe! Immerhin – meine Kollekte hatte doch Erfolg … Die rauen Gesellen spendeten, zwar mit frechen Redensarten, manches Scherflein … Und falls Sie, Mister Nielsen, damals gerade in der nackten Jungfrau geweilt haben sollten und auch Ihrerseits in meinen Filzhut eine Münze taten, so sage ich Ihnen hiermit nochmals meinen Dank …“

Gerhard Nielsen musterte den Dicken merkwürdig ironisch …

„Also Sie geben zu, damals in Tampico gewesen zu sein … – Wie wollen Sie es dann weiter einleuchtend erklären, daß ich Sie in einem Kostüm an jenem heißen Tage gewahrte, das mit Ihrem jetzigen Schulmeisterhabit verdammt wenig Ähnlichkeit hatte?!“

Dalaargen und Gottlieb Knorz, jetzt bereits recht stark an diesem heiklen Verhör interessiert, traten näher heran …

Greller Sonnenschein beschien die Gruppe der vier Männer …

Drückende Hitze lastete über dem Talkessel und dem Hofe …

Vielleicht kam es daher, daß Samuel Tillertuckys Gesicht so dicht mit Schweißperlen bedeckt war. Es glich einem braunroten Kürbis, der soeben unter kräftigem Regenguß gelitten hatte …

Aber im übrigen verriet das Vollmondgesicht des würdigen Herren keinerlei innere Erregung …

Nein – nur mit hörbarem Seufzer sagte er nun:

„Mein Habit von damals, Mister Nielsen, wird Gott in seiner Güte verzeihen … Sollte ich etwa in diesem ernsten Gewande dort in der Höhle der Ausschweifungen eintreten?! Nein – wer die Gemüter verirrter Schäflein auf den rechten Pfad …“

Nielsen unterbrach ihn lachend.

„Jedenfalls sahen Sie durchaus wie einer jener berüchtigten Desperados aus, die im gesegneten Mexiko mit seinen unermeßlichen, einsamen Landstrichen die Straßen unsicher machen und zuweilen auch mal eine entlegene Hazienda plündern … Ihre Tracht, recht malerisch und bunt, entbehrte selbst der metallenen Zubehörteile eines Desperados nicht. In Ihrem seidenen roten Gürtel steckten zwei Revolver und ein langes Jagdmesser!“

„Leider – leider …! Ich hatte diese Waffen zusammen mit dem Anzug in einem Kramladen kaufen müssen … – Sollte ich, der ich Ihnen heute so verändert gegenüberstehe, irgendwie Ihren Verdacht erregt haben, Mister Nielsen, so will ich Ihnen besser sofort den Beweis liefern, daß ich hier kein falsches Spiel treibe …“

Und mit einer Fixigkeit, die bei seiner Dicke und bisherigen Pomadigkeit höchst überraschend wirkte, hatte er sich auf die Deckplanken gesetzt, seinen linken plumpen Schnürschuh aus derbem Rindleder ausgezogen und unter einer Einlegesohle ein schmal gefaltetes Papier herausgenommen, das er nun, ebenso flink sich erhebend, Nielsen reichte …

Der nahm es mit den Fingerspitzen entgegen und sagte trocken:

„Ein duftendes Versteck …! Und – eine neue Entdeckung …!“

„Welche?!“ – Samuel schüttelte dabei wie verwundert den Kürbisschädel …

„Nun – Ihre klownartige Gewandtheit, Mister Tillertucky … Bisher machten Sie den Eindruck eines Kartoffelsackes, dem man Arme, Beine und eine Kohlrübe angeheftet hat … Jetzt sind Sie wie ein Gummiball.“

„Oh – auch ich vergesse leider zuweilen die Würde, die bei meiner Stellung als Prediger der wahren Lehre notwendig ist … – Lesen Sie nur …“

Nielsen hielt das Papier auf Armlänge von sich ab und entfaltete es …

Las vor:

„Große Salzseestadt, den 14. April 1923

Der amerikanische Regierungskommissar bescheinigt dem hier in der Hauptstadt des Mormonenstaates ansässigen Mormonenpriester, Doktor der Theologie, Samuel Tillertucky, daß dieser im Auftrage des Propheten Mr. Isaak Gallarty freiwillig Spenden zur Errichtung eines Waisenhauses einsammeln soll.

Doktor Tillertucky ist amerikanischer Bürger und genießt als solcher den Schutz unserer Behörden und Konsulate.

Stempel

Unterschriften“

Nielsen nickte …

„An der Echtheit ist nicht zu zweifeln, Mister Tillertucky … Nur glaube ich auf eins aufmerksam machen zu müssen … Derlei Papiere werden zuweilen gestohlen … Wenn Sie der rechtmäßige Inhaber dieses Scheines sind, dann werden Sie als Theologe uns unschwer aus der Bibel einen Abschnitt hersagen können, – wozu ich und jeder Laie kaum imstande wäre …“

Der Dicke reckte sich höher …

„Schlimmer Verdacht ruht auf mir …! Nun gut … Hören Sie …!“

Und er begann …

Begann mit der Schöpfungsgeschichte …

Seine Stimme wurde dröhnend … Seine Gesten eindrucksvoll und den Worten angepaßt …

Dalaargen und Gottlieb verbissen ein Lachen …

„Genug!“ rief Nielsen und hielt sich die Ohren zu … „Genug!! – Die Sache ist nun erledigt, Mister Tillertucky … Sie können es mir nicht verargen, daß ich hier als Stellvertreter des Grafen Gaupenberg nach Möglichkeit für unsere Sicherheit sorge … Wir mußten wissen, mit wem wir es zu tun hatten … Wir glauben Ihnen, daß der Frachtschoner, mit dem Sie nach Caracas unterwegs waren, im Sturm unterging und daß Sie allein sich auf die ‚Sonora’ retteten und dort viele Wochen eingesperrt gehalten wurden … – Hier haben Sie Ihren Ausweis zurück …“

Und Samuel Tillertucky setzte sich wieder auf die Deckplanken, verbarg das Papier im Schuh und meinte:

„Ich werde Ihnen ein treuer Gefährte sein … Und Gott wird es mir verzeihen, wenn ich jetzt ohne Rücksicht auf meine Würde jede Arbeit verrichte, die Sie mir auftragen …“

Zehn Minuten später war’s Doktor Samuel Tillertucky, der im Maschinenraum der Sphinx eine eiserne Tür, die sich festgeklemmt hatte, mit erstaunlicher Kraft freibekam, nachdem Dalaargen und Gottlieb sich ganz umsonst bemüht hatten …

Hämmern und Pochen erscholl jetzt auf dem Hofe …

Dröhnende Hammerschläge kündeten an, daß das Luftboot vielleicht sehr bald wieder sich zu pfeilschnellem Fluge würde emporschwingen können … – –

Gaupenberg hatte zwei Stunden geruht und fühlte sich jetzt so kräftig, daß er Agnes bat, mit ihm einen Spaziergang zum Meeresstrand hinab zu unternehmen.

Die blonde Agnes war glücklich, daß ihr Verlobter nun völlig fieberfrei und daß die Genesung so gute Fortschritte machte.

„Ja, … gehen wir, Viktor …,“ meinte sie strahlend … „Die Bewegung wird dir nichts schaden … Außerdem müssen wir ja auch einmal Ausschau halten, ob der Dampfer ‚Sonora’ nicht doch vielleicht zurückkehrt, obwohl dies wenig wahrscheinlich ist …“

Gaupenberg setzte den breitrandigen Strohhut auf … Seine eigene Kopfbedeckung war in jener furchtbaren Nacht im brennenden Ozean verlorengegangen.

Den Strohhut hatte die Geliebte ihm aus einem der Schränke hervorgesucht …

„Sehen wir aber erst nach Murat,“ schlug Agnes in treuer Fürsorge um den Homgori vor, der im Nebenzimmer untergebracht war … „Murats Fieber ist zum Glück weit geringer geworden. Er wird den Lungenschuß schon überstehen. Die Ruhe hier wird ihn gesund machen …“

Hand in Hand betraten sie den Nebenraum, wo auf dem schlichten Bett der zottige Tiermenschen lag.

Der Homgori schaute den beiden mit klaren Augen entgegen … Und als Agnes sich nun über ihn beugte, da haschte er dankbar nach ihrer Hand und drückte sie an sein Herz … In seinen Blicken schimmerte dabei so unendlich viel Hingabe und Anhänglichkeit, daß Gaupenberg bewegt zu ihm sagte:

„Ich wünschte, daß in jedem Menschen ein so treues Herz schlüge wie das deine, Murat … Du bist für uns alle ein lieber, lieber Gefährte …“

Und Agnes flüsterte warnend:

„Nicht sprechen, Murat … Ganz still liegen … Darf ich dir zu trinken geben?“

Murat nickte schwach …

Und der Graf hob zart den häßlichen Kopf des Treuen etwas empor, und Agnes führte ihm das Glas mit dem erquickenden Naß an die dicken Wulstlippen.

Dann verließ das junge Paar das Haus, durchschritt den Garten und bog in die Schlucht ein, die zur Nordbucht sich hinabsenkte.

Gaupenberg hatte seinen Arm in den der Braut gelegt und schaute nun zum ersten Male die hohen Steilufer dieses tiefen Meereseinschnittes, an dessen Westseite vor zwei Tagen die so schwer durch Granaten zerfetzte Sphinx niedergegangen war.

Agnes schilderte dem Geliebten nochmals die Ereignisse jener Nacht, – wie der hagere Greis und die geheimnisvollen Mädchen aufgetaucht waren und wie Gipsy Maad entführt wurde …

Zeigte ihm die Stelle, wo die Sphinx gelandet war, und wandte sich dann nach rechts zum Inselufer, um Viktor auch den turmhohen senkrechten Felsabhang aus nächster Nähe bewundern zu lassen, in dessen oberen Teilen die Wohngrotte und die drei Fenster lagen …

Gaupenberg war nach der Erwähnung der ursprünglichen Bewohner der schwarzen Insel schweigsam und nachdenklich geworden, meinte nun unvermittelt:

„Dalaargen ist uns seine Erzählung noch immer schuldig geblieben …“

„Du irrst, Viktor … Mela weiß bereits alles. Sie hat ihn neuerdings nochmals bestürmt, seinen Widerstand gegen eine Verlobung mit ihr, ein Verlöbnis vor uns allen, doch aufzugeben. Doch er blieb fest bei seiner Meinung. Aber bei dieser Gelegenheit hat er ihr in aller Kürze mitgeteilt, was es mit seinem armen Vater und den Mädchen hier auf sich gehabt hat. Das meiste davon hatten wir uns ja bereits richtig zusammengereimt. Sein Vater war geisteskrank, ebenso seine Schwester Toni. Diese befreite er in Wien aus einer Heilanstalt. Deswegen war er dort verhaftet worden.

Inzwischen hatte der alte Herzog hier diese Insel entdeckt und in jahrelanger Arbeit das Haus und den Garten geschaffen. Dalaargen führte ihm nun nicht nur seine Schwester, sondern auch andere junge Mädchen zu, die von ihren Angehörigen, obwohl nur harmlos geisteskrank, in Anstalten untergebracht worden waren.

Der alte Herzog, sich seines Zustandes sehr wohl bewußt, besaß immer noch genug klaren Verstand, um mit Recht zu hoffen, daß das friedliche stille Leben hier all diese Unglücklichen heilen würde, was denn auch bis auf kleine Eigentümlichkeiten, die den zarten Geschöpfen noch anhaften, auch eingetreten ist. –

Dalaargen steht jedenfalls vollkommen gerechtfertigt da – auch was seine Verurteilung zu Zwangsarbeit in Spanien betrifft. Er ist nie der Liebhaber jener Gräfin Torrasita gewesen, deren Gatten er durch Gift beseitigt haben soll. Nein, auch dies ist aufgeklärt! Die Gräfin war gleichfalls geisteskrank, und um sie, eine entfernte Verwandte seiner Mutter, vor dem traurigen Lose der in einer Irrenanstalt Internierten zu bewahren, nahm er die Schuld auf sich.

Die Gräfin hatte ihren Mann vergiftet – aus krankhafter Eifersucht! Sie starb bald nach Fredy Dalaargens Flucht aus dem Bagno, und so konnte er sie nicht, wie sein Vater es wünschte, hierher bringen … –

Wenn er, als wir ihn kennenlernten, Mela seine Lebensgeschichte in manchen Punkten entstellt erzählt hat, so tat er es nur, weil sein Vater das Geheimnis dieser Insel unbedingt gewahrt wissen wollte.“

Gaupenberg drückte zärtlich Agnes’ Arm …

„Mein Liebling,“ sagte er versonnen, „wenn wir in unserer Erinnerung all die seltsamen Menschen, die wir durch den Kampf um den Azorenschatz kennengelernt haben, wieder auferstehen lassen, dann müssen wir unserem verkehrten Doktor Falz, der jetzt leider zusammen mit Hartwich und Pasqual als Gefangener an Bord der ‚Sonora’ sich befindet, wohl recht geben, daß in größeren Mengen des edlen Metalls eine geheimnisvolle Macht schlummert, die geradezu mit Menschenschicksalen zu spielen scheint …! Was haben wir alles erlebt, meine Agnes! Wie verschiedenartige Charaktere haben unsere Wege gekreuzt! Denke an den englischen Lord in Portugal, an den Besitzer der Schmugglerkneipe, an die Rifkabylen, an Doktor Percy Goulden mit seinem Observatorium, in dessen Flammen ich beinahe umgekommen wäre … Und dann an den Präsidenten Armaro, an die Aztekin …!“ Seine Stimme sank zum Flüstern herab … „Was alles aber mag uns noch bevorstehen, meine Agnes …! Ferner denn je liegt unser hehres, heiliges Ziel, das Gold dem deutschen Vaterlande zu spenden! Der Schatz befindet sich wiederum in Feindeshand … Unsere vier treuen Freunde ebenfalls in Mafaldas Gewalt … Und wir – wir hier nun auf dieser Insel, abgesperrt von der Welt …! Wir nur mit der einen Hoffnung im Herzen, daß die Sphinx uns recht bald die Verfolgung der Feinde ermöglichen wird und daß Nielsen, des wackeren Mannes, Vermutung zutreffen möchte und daß wir in der sandigen Bucht der mexikanischen Küste den Dampfer ‚Sonora’ wiedersehen … und unsere Freunde – und den Milliardenschatz …!“

Sie hatten haltgemacht …

Standen auf steinigem Hügel unweit des Seestrandes, die Gesichter dem unendlichen Ozean zugekehrt …

Und wie Gaupenberg diese Sätze von der dunklen, abenteuerlichen Zukunft in so leisem prophetischen Tone gesprochen hatte, war Agnes Sanden ein banges Frösteln über den jungen Leib geglitten …

Aufs neue erschauerte sie jetzt …

Flüsterte:

„Viktor, ich werde heute dein Weib werden … Viktor, was dann auch kommen mag, ich bin dein über Zeit und Ewigkeit hinaus!“

Und sie legte ihm mit zarter bräutlicher Hingabe die Arme um den Hals und küßte ihn innig …

Minutenlang standen sie eng umschlungen da …

Gaupenberg fühlte abermals die ganze Größe ihrer hart geprüften Liebe …

„Agnes, Agnes, – heute Nachmittag … Vor einem Altar werden wir knien … Der Mormone will alles aufs feierlichste herrichten …“

Seine Stimme zitterte vor innerer Ergriffenheit …

Und – seine Augen wurden trotzdem mit einem Male seltsam forschend …

Ängstlich musterte er der Geliebten Antlitz …

Agnes hatte den Kopf nach links gewandt … Der See zu – dem wogenden Meere …

Und ihre Arme sanken plötzlich schlaff herab …

Ihr Blick wurde immer starrer …

Da … sah auch Gaupenberg das Unheimliche … Gespenstige …

Sah drüben über dem Ozean in der Luft einen … zweiten Ozean …

Eine Fata Morgana, eine Luftspiegelung …

Und auf diesem zweiten Ozean, der da mit verschwommenen Rändern als Bild im Äther schwebte, taumelte das Wrack eines Dampfers auf den Wogen.

Mit geknickten Masten, halb zerstörter Kommandobrücke …

So scharf war die Spiegelung dieses Dampfer, der da irgendwo vielleicht in endloser Ferne auf dem Atlantik schaukelte und hier nur als Gemälde wunderbarer Naturkräfte sich zeigte, – so scharf, daß man auf Deck ein paar Leichen erkannte …

So scharf, daß auch die Gestalt der Frau auf der zertrümmerten Brücke bis ins einzelne zu erkennen war.

Mafalda – – die Fürstin Mafalda Sarratow …!!

Die Hände hatte sie um die Geländerstange der Brücke gekrampft, den Oberleib vorgebeugt … Stierte seitwärts …

Und – von dort her ward nun auf dem Spiegelbilde etwas anderes sichtbar …

Ein … Floß …

Ein großes Floß, das mit einem Notsegel mit dem Winde auf das Wrack zutrieb …

Halbnackte Menschen auf dem Floß … Sie winkten … winkten …

Und die Fürstin Sarratow griff in die Tasche ihrer Sportjacke … Hob den rechten Arm …

Schoß … schoß auf die Schiffbrüchigen … –

Und da – zerrann die Fata Morgana langsam …

Das Bild verzerrte sich … Die Konturen wurden unscharf …

Bis an jener Stelle nur noch der strahlende Himmel wieder zu sehen war … –

Agnes drängte sich angstvoll an den Verlobten …

Zum ersten Male hatte sie ein derartiges Naturphänomen geschaut …

Und auch Gaupenbergs Gesicht war düster und bedrückt …

Leise sagte er nun: „Wir haben soeben Dinge beobachtet, die sich tatsächlich ereignet haben – viele Meilen von hier entfernt – irgendwo auf der grenzenlosen Wasserwüste des Atlantik …“

„Mafalda … Wieder Mafalda!“ seufzte Agnes bang.

Viktor beugte sich zu ihr hinab …

„Liebling, wir wollen uns durch die Fata Morgana nicht schrecken lassen … Mafalda wird uns nichts Böses zufügen … Der Dampfer ist ein Wrack … Die Besatzung scheint tot zu sein …“

„Uns – unsere Freunde, Viktor?“

„Agnes, sei auch ihretwegen ohne Sorge …! Du weißt, daß Doktor Falz und Pasqual Oretto … nicht sterben können … Sie tranken das Elixier der Erweckung, sie spotteten dem natürlichen Ziel, das unserem Dasein gesetzt … Sie werden leben bis ans Ende aller Tage … Und Georg und Ellen werden unter ihrem Schutz gleichfalls jedem Verderben entrinnen …! – Komm, erklimmen wir die Steilwand … Halten wir Ausschau über das Meer …“

Langsam stiegen sie aufwärts …

Erreichten schweigend die Höhe …

In ihren Seelen lastete noch der bange Druck des soeben Geschauten … Sie wollten sich freimachen von dem Gedanken, daß Mafaldas Erscheinen im Gemälde der Luftspiegelung eine schlechte Vorbedeutung sei für das bevorstehende Hauptereignis dieses Tages, für … ihre Hochzeit! Und konnten diese Gedanken, die sie einander verbargen, doch nicht völlig verscheuchen …

Gaupenberg hatte ein Fernglas mitgenommen …

Suchte nun das Meer nach allen Seiten ab … Es war leer …

Leer …

Nur Wogenkämme – Wogenberge – Wogentäler…

Und sagte zu Agnes tröstend:

„Liebling, bis zum Horizont hin alles frei …“

Und in träumerischer Sehnsucht fügte er hinzu:

„Agnes, wäre es nicht schön, hier auf dieser Insel fern dem Getriebe der Welt nur unserem Glück zu leben …?! Wäre es nicht für uns wie eine Hochzeitsreise, wenn wir hier wochenlang unsere Liebe in dieser reinen Natur, im Anblick des unendlichen Meeres genießen dürften?!“

„Ja – es wäre schön …“

Aber Agnes Sandens Stimme war tonlos und wie erfüllt von unbekannten Schrecknissen …

Und ihre Worte hatten genau so geklungen, als ob sie nie auf die Verwirklichung solcher Träume zu hoffen wagte …

Gaupenberg begriff, was in der Geliebten vorging. Für sie, der die Fürstin Mafalda Sarratow gleichsam das verkörperte Prinzip eines Schlechten war, mußte der Anblick der Fata Morgana wie eine neue ungewisse Bedrohung sein …

Und mit jener großen, ehrlichen Güte, die den Grafen Gaupenberg bei jeder Gelegenheit auszeichnete, suchte er nun aufs neue ihre Sorgen zu zerstreuen …

Nur allmählich gelang es ihm.

Der lähmende Bann wich von dem blonden jungen Weibe, und in ihren klaren Augen erschien wieder jene bräutliche, scheue Innigkeit, mit der sie den Geliebten vorhin so heiß geküßt hatte.

Sie lebte wieder auf …

Und in fast heiterem Geplauder kehrte das junge Paar zum weißen Hause zurück …

Das Dröhnen von Hammerschlägen empfing sie …

Nielsen, der Jacke und Weste abgelegt hatte, rief ihnen zu:

„Hallo – unsere Sphinx hat bereits ein paar Schönheitspflaster erhalten … Die äußeren Schäden sind geheilt … Und alle Hochachtung vor seiner Ehrwürden Doktor Samuel Tillertucky … Wo der hinhaut, wächst kein Bäumlein mehr …“

Der Mormone, ebenfalls in Hemdsärmeln, zeigte sein schweißtriefendes feistes Gesicht und meinte:

„Samuel Tillertucky hat mehr als einmal den Hammer geschwungen … In meiner Jugend war ich nämlich Auktionator … Bis ich mir das nötige Geld zum Studium verdient hatte …“

In einem der Hinterfenster des Hauses erschien Melanie Falz …

„Bitte – zu Tisch – – zu Tisch …!! Rasch – – die Suppe wird uns kalt …!“

„Was bei dieser Hitze kein Fehler wäre, Fräulein Mela …,“ rief Nielsen zurück … „Im übrigen sind wir sofort zur Stelle … Nur säubern müssen wir uns ein wenig …“

Samuel Tillertucky ließ sich am längsten Zeit. Während er sich auf dem Hofe in einer Wanne die Hände wusch, schaute er wiederholt nach dem Nordrande des Talkessels hinüber, wo eine Anzahl einzelner spitzer Felsblöcke eine Art Zaun am Abhang bildete …

Und mit einem Male tauchte da hinter einem der Steine für Sekunden eine … Hand auf – mit auseinandergespreizten Fingern, die sich dreimal zur Faust schlossen …

Dann wurde die Hand wieder zurückgezogen …

Tillertucky lächelte zufrieden vor sich hin …

Er wußte nun Bescheid …

Und eilends folgte er Nielsen und Gottlieb in den Speisesaal.

 

142. Kapitel.

Der blinde Abenteurer.

Der Milliardärsjacht ‚Star of Manhattan’ war der Orkan, der mit dem Dampfer ‚Sonora’ so übel umgegangen, gleichfalls recht schlecht bekommen.

Und in noch schlechterer Laune befand sich Josua Randercild.

Der Gedanke, daß durch seine Schuld der Azorenschatz den berechtigten Eigentümern wieder entrissen worden war, ließ ihm keine Ruhe.

Immer wieder sagte er sich, daß es in seiner Macht gelegen habe, das Gold der ‚Sonora’ abzunehmen und in der Jacht zu verstauen. Nur sein Eigensinn war schuld an dieser peinlichen Wendung der Dinge.

Nun schwamm der Dampfer dieser Banditen irgendwo auf dem Atlantik, und nun erforderte es die selbstverständliche Pflicht, die ‚Sonora’ zu suchen. –

Der Sturm war vorüber …

Randercild stand mit all seinen Sorgen und all seinen Selbstvorwürfen auf der Kommandobrücke und besprach sich mit Kapitän Durley …

Der verwitterte Seebär meinte achselzuckend:

„Den Dampfer suchen, Mister Randercild?! – Unmöglich …! Einfach unmöglich. Unsere Granaten trafen … Der Kahn dürfte ein halbes Wrack und eine große Leichenkammer sein …“

Der kleine Milliardär fluchte grimmig …

„Und doch muß etwas geschehen, Durley … Muß!! Zum mindesten müssen wir die Insel anlaufen, von der Dalaargen so geringe Andeutungen machte … Dort weilen die Sphinxleute … Wir müssen ihnen mitteilen, wie es mit ihrem Schatze bestellt ist … – daß das Gold auf einem Wrack im Atlantik schwimmt …“

Wieder hob Durley die Schultern bis zu den Ohren.

„Mister Randercild – nichts für ungut … Aber eine solche Insel gibt es nicht! Der Herzog hat … geschwindelt. Nordwärts von der Stelle, wo der Kutter uns traf, findet man auf keiner Karte eine Insel …“

„Verdammt – Dalaargen betonte ja, daß die Insel auf keiner Seekarte verzeichnet sei …! Und Dalaargen lügt nicht. Wo sollte er denn wohl die jungen Mädchen und seine Schwester aufgefischt haben?!“

Der Kapitän wurde stutzig …

„Hm – allerdings … – Könnte man nicht mal die Schwester des Herzogs befragen?!“

„Oh – mit der Prinzessin Toni habe ich bereits gesprochen, Durley … Sie versicherte mir, das Eiland der Glückseligkeit sei nur äußerlich eine düstere Felseninsel … Ach, sie ist sehr traurig, das arme Prinzeßchen … Der Tod ihres Partners ist ihr sehr nahe gegangen.“

Durley brummte: „Nun – dann suchen wir die Insel eben … Der Orkan hat uns nach Westen abgetrieben … Also müssen wir mit nordöstlichem Kurs nach ein paar Stunden zu kreuzen beginnen. Ich werde zwei Leute mit Ferngläsern in das Krähennest schicken … Legen Sie sich nur einige Zeit nieder, Mister Randercild … Vor zehn Uhr vormittags könnten wir die Insel nicht in Sicht bekommen, – falls wir sie überhaupt finden …“

Der Milliardär zog sich denn auch in seine Luxuskabine zurück.

Es war jetzt sechs Uhr morgens …

Und etwa um dieselbe Stunde hatte achtzig Seemeilen nach Norden hin auf der schwarzen Insel Mister Samuel Tillertucky die Bekanntschaft Nielsens und Gipsy Maads gemacht, durch … das Geisterklavier … –

Kapitän Durley gab den Matrosen jetzt die nötigen Befehle.

Die Jacht schwenkte in den neuen Kurs ein …

Zwei flinke Leute aber enterten zum Krähennest empor …

An Deck des ‚Star of Manhattan’ waren alle Mann tätig, die Sturmschäden zu beseitigen. Und die Gespräche dieser kräftigen Jan Maate drehten sich ausschließlich um die Beschießung des Dampfers ‚Sonora’ und … um den Goldschatz …

So war denn abermals Gaupenbergs Geheimnis durch die Mißgunst des Schicksals einem größeren Kreise von Menschen bekanntgeworden …

Wie lange würde es noch dauern, dann mußte die ganze Welt von den goldenen Reichtümern erfahren haben, dann … würden sich wieder neue Abenteurer finden, die mit List und Gewalt versuchen würden, die Goldmilliarden und die Juwelen König Matagumas an sich zu bringen …

Vorläufig freilich schwamm die ‚Sonora’ noch mit ihrer kostbaren Ladung in fernen Breiten des Ozeans… Vorläufig spielte sich der Kampf nur wieder zwischen den alten Gegnern ab: Mafalda und Lomatz – – und die Sphinxleute! –

Die Milliardärsjacht durchschnitt jetzt mit fünfzehn Knoten Geschwindigkeit die hochgehenden Wogen …

Wie silberne Perlen glitzerten im Morgensonnenschein die Tropfen des am Bug des eleganten Schiffes emporsprühenden Gischtes …

Im Westen lagerte noch am Horizont die Wolkenwand, die mit ihren Regengüssen und Sturmstößen die Bergung des Schatzes vereitelt hatte.

Kapitän Durley gähnte herzhaft und stapfte breitbeinig auf der Brücke hin und her …

Er war müde, hatte seit achtzehn Stunden sein Bett nicht gesehen …

Und – er hatte nebenher noch besondere Sorgen.

Er wußte nur zu gut, daß die Beschießung des Dampfers ‚Sonora’ gegen Recht und Gesetz stattgefunden hatte. Kein Privatfahrzeug durfte in dieser Weise gegen ein anderes auf hoher See Gewalt anwenden …!

Und nun gar noch die verderbliche Wirkung der Gasgranaten, die man auf diese Weltreise doch nur mitgenommen hatte, weil der ‚Star of Manhattan’ auch die Sundainseln mit ihrem immer noch recht regen Piratentreiben besuchen wollte …

Wenn diese Beschießung der ‚Sonora’ bekannt wurde, dann gab es fraglos Scherereien … Dann würde auch Randercilds Geld nicht helfen … Dann kam’s zu einer Gerichtsverhandlung, und vielleicht …

Da – – wurden Durleys Gedanken mit einem Male durch den Zuruf eines der Leute aus dem Mastkorb in andere Richtung gelenkt …

„Hallo, Käpten, – – hallo …!!“

Durley schaute nach oben …

„Was gibt’s, Smitson?“

Und der Matrose brüllte wieder.

„Ein Floß, Käpten … Mit Leuten – mit Schiffbrüchigen … Dort scharf ostwärts …“

Durley nahm das Fernglas an die Augen …

Ja – es stimmte. Dort trieb ein Floß … Und mindestens zwei Dutzend Gestalten bemerkte er … –

Die Jacht schwenkte abermals herum und hielt auf das Floß zu …

Je näher sie aber den Schiffbrüchigen kam, desto mehr schüttelte Seebär Durley den grauen Kopf …

Und auch Booder, der Erste Offizier, meinte nun zu seinem Vorgesetzten:

„Das sind ja Neger … Neger – von irgend einem Zwergenstamm … Eine nette Bande …! Fast nackt – und …“

Da rief der Matrose Smitson abermals aus dem Krähennest:

„Hallo – hallo, Käpten …!! Ist kein Floß … Ist ein Wrack, das ganz tief im Wasser liegt … Ich erkenne die beiden Maststümpfe …! War eine Brigg anscheinend …“

Durley knurrte:

„Brigg hin, Brigg her … Die schwarze Bande kommt uns höchst ungelegen … Was hilft’s, wir müssen sie aufnehmen! – Entdecken Sie einen Europäer darunter, Mister Booder?“

„Nur Zwerge … Sind fraglos Leute von einem innerafrikanischen Zwergenvolk … – Aber wie kommt die Gesellschaft hier in den nördlichen Atlantik?!“

Inzwischen war die Jacht bis hundert Meter heran …

Durley musterte das Wrack sehr aufmerksam …

„Kalkuliere, daß ein Unternehmer die Nigger aus Afrika zu Schauzwecken geholt hatte,“ sagte er zu Booder. „Muß wohl so sein … – Lassen Sie die Leute emporhissen … Wir werfen ihnen Taue zu …“

Zehn Minuten darauf hockte die ganze nasse, nackte Bande auf dem Vorschiff der Jacht …

Eine Verständigung mit den geradezu abstoßend häßlichen Zwergen war nicht möglich. Nicht einer von ihnen konnte auch nur englisch radebrechen. Lediglich durch Zeichen machten sie Durley klar, daß sie Hunger und Durst hätten.

Er ließ denn auch sofort Brot und Büchsenfleisch verteilen.

Wie die Tiere schlangen die kleinen Geschöpfe alles hinab, was man ihnen reichte.

Sie trugen nur Lendenschurze aus Bastgewebe … In den durchbohrten Nasenbeinen steckten Ebenholzstäbe … Die Vorderzähne waren spitz gefeilt, und die Unterlippe künstlich gereckt, so daß sie bis zum Kinn herabhing.

Daß der weibliche Teil dieser neuen Gäste alles andere als reizvoll wirkte, war bei allen diesen körperlichen Verunstaltungen nicht weiter wunderbar, zumal die schwarzen Schönen das wollige Haar mit Talg zu einer festen, schüsselförmigen Masse geformt hatten.

Die Jacht setzte nun ihre Fahrt gen Norden fort, um die unbekannte Insel zu suchen …

Die Neger waren gesättigt. Man hatte ihnen Wolldecken gegeben, und eifrig miteinander schnatternd lagerte das Völkchen nun dicht an der Vorschiffreling.

Durley war wieder auf die Brücke gegangen … Der Erste Offizier Mister Booder aber gab seine Bemühungen nicht auf, sich mit den Schwarzen schließlich doch irgendwie zu verständigen, deren Anführer ein grauhaariger, runzliger kleiner Kerl mit höchst verschmitztem Gesicht war.

Booder radebrechte ein wenig spanisch und redete den Alten nun in dieser Sprache an …

Zu seinem Erstaunen sprang der Knirps da wie elektrisiert empor und rief schrill:

„Sennor, – – ich spanisch verstehen … Nur ganz kleine Worte …“ – Er meinte offenbar, daß sein spanischer Wortschatz mäßig sei.

Es entspann sich nun zwischen Booder und dem alten Zwerge eine höchst komischer Unterhaltung, die doch immerhin recht überraschende Aufschlüsse über die Schicksale der winzigen Geschöpfe gab.

Die Neger gehörten zum Volke der Daki aus den Urwäldern der Nilquellen und waren tatsächlich vor Monaten von einem Spanier zu einer Reise rund um die Erde verpflichtet worden. Der Trupp hatte einschließlich der Kinder aus fünfzig Personen bestanden und war in Sansibar an Bord der Brigg ‚Manuela’ gegangen und jetzt unterwegs nach den Südstaaten Nordamerikas gewesen. Vor Tagen war die Brigg im Gewitterregen von einem Dampfer gerammt worden, der sich dann um den sinkenden Segler nicht weiter gekümmert hatte. Zum Glück aber hatte die ‚Manuela’ unten im Lagerraum eine große Menge afrikanischer wertvoller Hölzer, so daß sie auf dieser Ladung weiterschwamm. Ein Teil der Daki war jedoch mit der Besatzung in den beiden Rettungsbooten gleich nach dem Zusammenstoß davongefahren. Man hatte nichts mehr von ihn gesehen. –

Dies entlockte Booder dem Alten durch zahllose Fragen …

Als er dann aber wissen wollte, wovon diese vierundzwanzig jetzt hier auf der Jacht befindlichen Daki all die Tage als Schiffbrüchige gelebt hatten, fletschte der Anführer nur die Zähne und blickte scheu zur Seite.

Ein furchtbarer Verdacht kam da dem amerikanischen Seemann …

Sollten die Daki etwa Menschenfresser sein?! Sollten Sie etwa … die mitgeretteten Kinder als scheußliche Mahlzeit vertilgt haben?!

Und als er dem Alten dies jetzt auf den Kopf zusagte, stotterte der schwarze Kerl überaus verlegen allerlei Ausflüchte …

Booder wandte sich angeekelt ab und schritt auf die Brücke zu …

Und – prallte an der Brückentreppe leicht zurück …

Vor ihm stand der Mann, der nun hier auf der Jacht vorläufig Zuflucht gefunden, – vor ihm stand, die geblendeten Augen durch einen Verband geschützt, der Expräsident von Patalonia, Don José Armaro …

Stand da mit vorgestreckten Händen, hatte sich aus seiner Kabine bis hierher vorwärtsgetastet und fragte nun mit seltsam hohler, klangloser Stimme:

„Sind Sie’s, Mister Randercild?“

„Nein … Booder, Mister Armaro …“

Der Blinde sagte mit derselben toten Stimme:

„Ich hielt es in meiner Kabine nicht länger aus … Gestatten Sie, daß ich an Deck bleibe, Mister Booder … Ich will frische Luft atmen … Will spüren, daß ich noch lebe …, aber – – wie lebe …!!“

Booder nahm seine Hand …

Jeder hier an Bord hatte Mitleid mit diesem Unglücklichen, der mit einem Schlage von den Höhen unbeschränkter Macht in die dunklen Tiefen ewiger Finsternis gestürzt war …

„Kommen Sie mit auf die Brücke, Mister Armaro,“ meinte der Amerikaner freundlich …

„Nein, nein … Ich will allein sein … Ich will lernen, mich mit Hilfe des Tastsinns frei zu bewegen.“

Und – seltsam! – In diesem Moment war José Armaros Stimme voller Leben und Tatkraft …

Ebenso energisch fügte er hinzu:

„Ich bin kein … lebender Leichnam …! Noch nicht! Mein Geist ist rege wie einst … Jenes Weib, die Fürstin Sarratow, konnte mir wohl das Augenlicht rauben, nicht aber … mein Hirn!“

Booder war erstaunt über diese Wandlung in Armaros Benehmen und Auftreten. Bisher hatte der Expräsident stets mit weinerlichem Klagen sein hartes Schicksal recht unmännlich bejammert. Jetzt schien er allmählich sich wieder auf sein wahres Selbst zu besinnen …

Und – sprach schon weiter, in demselben Tone zielbewußten Wollens:

„Bedenken Sie, Mister Booder, daß ich in mir eine Quelle unerhörter Kraft trage, den Haß!!“

Und – wie er dieses eine Wort jetzt hervorstieß und um seinen harten Mund die Falten der Leidenschaft sich noch tiefer gruben, da … wurde dem Schiffsoffizier ganz eigentümlich zu Mute … So, als ob er in seinem Unterbewußtsein plötzlich dumpf die Gefährlichkeit dieses blinden Tyrannen erkannte …

„Ja – der Haß ist die Quelle der Kraft,“ fuhr Armaro noch lebendiger fort. „Der Haß und die Rache!! Glauben Sie denn, daß ich, José Armaro, nicht Mittel und Wege finden werde, was Mafalda Sarratow zu vernichten?! – Gewiß, Sie mögen über mich lächeln … Ich bin ein Flüchtling, bin bettelarm, bin blind … Die, die nicht gestürzt haben, trachten mir nach dem Leben … – Was tut das alles?! Ich bin José Armaro! Mein Hirn arbeitet … Meine Gedanken fluten … Ich fühle Riesenkräfte …! – Lachen Sie doch über mich Narren, Mister Booder, – lachen Sie!“

„Ich bemitleide Sie …,“ meinte Booder ernst. „Sie werden mich jetzt entschuldigen … Meine Pflicht ruft mich auf die Brücke …“

Und flüchtig drückte er des Expräsidenten Hand und stieg die mit Gummi belegte Treppe hinan, – erfüllt von einem Widerwillen, den die großsprecherische Art Armaros in ihm geweckt hatte.

Armaro tastete sich weiter …

Immer an der Reling entlang …

Scheu wichen ihm die Matrosen aus …

Dann hörte er dicht vor sich seltsam schnatternde Stimmen …

Machte halt …

Und fragte ins Leere hinein:

„Was sind das für Leute hier vor mir?“

Ein Maat klärte ihn auf … erwähnte, daß der Häuptling der Zwerge leidlich spanisch spreche.

Und Armaro rief nach dem Alten …

Der trat neben ihn …

Ihre Unterhaltung wurde leiser und leiser. Niemand beachtete die beiden …

„Wie viele Männer seid ihr?“ fragte Armaro nun.

„Achtzehn, Sennor …“

„Wie heißt du?“

„Pullolaku, Sennor …“

„Seid ihr bewaffnet?“

„Wir erlegen in unserer Heimat das Wild mit vergifteten Pfeilen … Unsere Bogen blieben auf dem Schiffe … Nur unsere Messer haben wir … Und …“

Er zauderte …

„Nun – und …?!“

„Und – – unser Pfeilgift, das wir stets in die Lendenschurze eingeknotet tragen … wir nennen es Tamua, dieses Gift, Sennor …“

„Es tötet, wenn es in die Blutbahn gelangt?“

„In wenigen Sekunden, Sennor …“

Armaro war überrascht, daß der Häuptling, der zuerst das Spanische so mühselig nur radebrechen konnte, jetzt so fließend sprach …

Und stolz fügte Pullolaku hinzu:

„Das Gift ist ein Geheimnis unserer Fetischmänner, Sennor … Wer es in einer Speise genießt, wird wie tot und lebt erst nach einem Tage wieder auf …“

Armaro schwieg jetzt …

Sein brutaler Mund verzog sich …

Sein Hirn gebar ungeheuerliche Gedanken …

„Muß ein Mensch viel von dem Gift genießen, damit er bewußtlos wird?“ fragte er dann noch leiser.

„Nicht mehr, Sennor, als an einer Nadelspitze haften bleibt …“

„Und ihr habt eine Menge von dem Gift bei euch?“

„Nur ich, Sennor …“

Armaro atmete hastiger …

„Höre mich an,“ flüsterte er, indem er sein Gesicht dem des Zwerges näherte und seine Hand auf dessen nackte Schulter legte … „Höre mich an, Pullolaku … Ich kann dir alles verschaffen, was du begehrst … alles …“

Seine Stimme klang rauh vor Erregung …

Jetzt war er wieder José Armaro, der große Diplomat, der gewissenlose Intrigant …

Jetzt ebnete er sich den Anfang des Weges zu neuem Aufstieg …

Der kleine, alte Daki-Häuptling lauschte seinen Worten wie ungeahnten Offenbarungen … – –

Und oben auf der Kommandobrücke hatte der junge, frische Mister Booder, der mit seinen bartlosen, scharfen Zügen so recht den Typ des modernen Amerikaners darstellte, lieblichen Besuch erhalten, die lichtblonde Prinzessin Toni Dalaargen …!

Neben ihm lehnte sie am Geländer der Brücke …

In den großen reinen Kinderaugen schimmerten schwere Tränen …

Sie galten dem geliebten Bruder, der nun ebenfalls in den Fluten den Tod gefunden haben sollte …

Klagend sprach sie jetzt zu Booder mit ihrer weichen melodischen Stimme:

„Alles – alles haben wir, meine Freundinnen und ich, jetzt verloren, die Heimat, unsere Insel, unseren gütigen Vater und damit unseren Frieden … Auf unsere Insel lebten wir im Märchenlande … Dort gesundeten wir … Krank betraten wir das Felseneiland, krank am Geiste – als Unglückliche … Eine andere Welt nahm uns dort auf … Und – wir genasen … Was vielleicht an uns noch seltsam erscheint, ist nichts Krankhaftes mehr, ist nur die Folge dieser glückseligen Jahre im Reiche Salomonis, des großen Königs und Zauberers … Und das war für uns mein Vater …“

Ein wehes Schluchzen erstickte ihre Stimme …

Und Tom Booder schwoll das biedere Herz in unendlichem Mitleid …

Ganz sanft nahm er Tonerls Hand und sagte:

„Ich … will Ihr Freund sein, Prinzessin … Und – und um Ihre Zukunft machen Sie sich keine Sorgen … Master Randercild ist Milliardär … Er wird Ihnen und Ihren Gefährtinnen ein Heim bieten, wie es Ihrer würdig ist … Er sprach bereits mit mir darüber …“

Toni Dalaargens fast überirdisch zartes Gesichtchen nahm plötzlich einen schwärmerischen Ausdruck an …

„Ein Heim?! Ein Heim?! – Oh – mag er uns zurückbringen zur Insel der Glückseligkeit …! Keinen anderen Wunsch kennen wir als dort wieder im friedlichen Garten zu wandeln und am Strande Hand in Hand den Wogen zu lauschen …“

Tom Booder schaute sie bitter enttäuscht an …

Und sie merkte es, fügte in kindlicher Harmlosigkeit hinzu:

„Oh – Sie dürfen auch dort wohnen, Mister Booder … Bleiben Sie dann doch bei uns …!“

Und – war doch ein vollerblühtes Weib, die Prinzessin Toni Dalaargen …

Unter dem dünnen losen Gewand wölbte sich lieblich die Brust in sanften Rundungen … Und in den blaugrauen Augen schimmerte in der Tiefe ein Sehnen, das sie selbst vielleicht noch nicht begriff …

Noch hielt Tom Booder ihre Hand …

Und … führte diese schmale Hand plötzlich an die Lippen – an heiße lebendige Männerlippen …

Flammengluten schlugen dem Tonerl da in die Wangen …

In holdester Verwirrung zog sie ihre Hand zurück …

„Oh – was tun Sie …!“ stammelte sie scheu und doch plötzlich erfüllt von ungeahnter Seligkeit …

Das … Weib war in ihr erwacht …

Jäh – einem Blitze gleich war in ihrer Seele der heiße Drang nach Liebe erwacht …

Sie spürte es … Sie schaute den Mann flehend und doch voll versteckter Zärtlichkeit lange an, der soeben ihr Herz geweckt …

Und stammelte wieder in all ihre Unschuld und Ehrlichkeit:

„Ja – bleiben Sie bei uns … Es ist so schön auf unserer Insel … Niemand kommt dorthin … Wir werden sehr glücklich sein …“

Tom Booder nickte …

„Sehr … glücklich, Prinzessin …“

Ihm war so eigen zu Mute …

Und er war jung, hatte Weiber geküßt – übergenug … Hatte nie wahrhaftig geliebt …

Nur als in der verflossenen Nacht Fredy Dalaargens Motorkutter diese seltene Fracht an Bord des ‚Star of Manhattan’ geführt hatte, als Tom Booder da im Lichte der Laternen zum ersten Male die Prinzessin Toni erblickt und auf Randercilds Geheiß den neuen Gästen Kabinen angewiesen und dabei mit Toni die ersten Worte gesprochen, – da war’s ihm gewesen, als ob eine neue Gattung Weib ihm plötzlich erschienen sei …

Und jetzt – jetzt fühlte er mit aller Deutlichkeit, daß … er bereits sein Herz an diese liebliche Unschuld verloren hatte …

Daß in seiner Brust Empfindungen sich regten, die so ganz anders waren als all das, was er bisher Frauen gegenüber gespürt … –

Toni Dalaargen senkte jetzt den Kopf …

Das Weib in ihr las in seinen Augen die Wahrheit …

Das Weib in ihr flüchtete jetzt scheu vor dem großen Geheimnis der Liebe in die einsame Kabine …

Mit einem schüchternen ‚Auf Wiedersehen …“ eilte sie die Treppe hinab …

Tom Booder seufzte kläglich … Und … lächelte dann …

Regen und Sonnenschein wechseln bei Verliebten im Handumdrehen …

So erging’s Tom Booder … –

Und vorn an der Reling sagte Expräsident José Armaro zu dem Daki-Häuptling:

„Du wirst es nicht bereuen, Pullolaku, mit mir ein Bündnis geschlossen zu haben … – Schweig und warte ab! Wenn ich auch blind bin, mein Hirn und … dein Gift wird uns zur Herren dessen machen, was wir begehren …!“

Dann kehrte er langsam mit vorgestreckten Händen zum Achterdeck zurück.

Ein Matrose wollte ihn geleiten …

Er wies ihn fort …

„Ich danke Ihnen …,“ sagte er merkwürdig stolz. „Ich muß lernen, auch im Dunkeln allein meinen Weg zu finden …“

Und er setzte sich in einen der Liegestühle unter das Sonnensegel und … sann vor sich hin …

Sein Haß war seine Kraft … Sein Haß galt allen, allen, die auch nur durch einen Zufall sein Unglück miterlebt hatten …

Allen …

Auch … Josua Randercild, der ihn in seiner tiefsten Erniedrigung am Oststrande von Christophoro aufgefunden hatte …!

Randercild war Dalaargens Freund … Und … Dalaargen gehörte zu den Sphinxleuten …

Die Sphinx aber war schuld an seinem Sturz …

Auf Christophoro hatte sein Niedergang im Kampf um den Azorenschatz begonnen … –

So saß er da, dieser große gefährliche Abenteurer … sinnend, grübelnd …

Jetzt noch gefährlicher, da niemand ihn, den Geblendeten, fürchten zu müssen glaubte …

Und seine Gedanken bauten ungeheure Pläne.

Sein Haß zerfraß seine verderbte Seele noch mehr …

Tamua … Tamua – – das Gift der Daki …!!

Welch wundervolles Gefühl, sich sagen zu können, Herr über Leben und Tod zu sein – – als Blinder!

Wie ein Rausch prickelte es in Armaros Nerven …

Hatten nicht auch die großen Giftmischerinnen des französischen Königreiches in entschwundenen Jahrhunderten diesem selben Rausch Unzählige geopfert?!

Und er – – er wurde herrschen – wieder herrschen – – durch das Tamua …!!

So saß er da und sann und grübelte …

Baute ungeheuerliche Pläne …

 

143. Kapitel.

Der Giftpfeil des Daki.

Der Dampfer ‚Sonora’ schaukelte, ein hilfloses Wrack, auf den haushohen Wogen …

Der Dampfer ‚Sonora’ beherbergte Tote und sechs Bewußtlose …

Vor der Tür der Vorschiffkammer, in der das Ehepaar Hartwich, Doktor Falz und Pasqual Oretto eingesperrt worden waren, lagen mit fahlen, verzerrten Gesichtern Mafalda Sarratow und Edgar Lomatz.

Stundenlang …

Nichts weckte sie …

Das Wrack rollte, bäumte sich …

Donnernd spülten die Brecher über das Deck hin …

Nichts weckte sie … –

Und drinnen in der Kammer vier gleichfalls regungslose Gestalten …

Betäubt durch die Giftgase …

Am Rande des Todes dahindämmernd in tiefster Ohnmacht …

Stundenlang …

Bis vor der Tür im Schiffsgang Mafalda Sarratow mühsam die Augen öffnete …

Wieder die Lider schloß … Wieder zurücksank in die Abgründe des giftigen Rausches …

Auf allen Vieren dann vorwärts kroch …

Die Treppe hinan …

Und oben an Deck sank sie von neuem zusammen …

Des Morgens erster bleicher Schimmer beleuchtete das Wrack, das Meer …

Leichen lagen verkrümmt hier und dort … Guardos Getreue waren tot … Er selbst von den Wellen hinabgerissen in die grünen Tiefen des Atlantik … Sein Kaisertraum ausgeträumt … Der Tod hatte einen Strich durch seine Lebensrechnung gezogen … –

Mafalda kroch weiter …

Zur Kombüse …

Hinab die Treppe …

Und stierte Guardos Koch, dem dicken Chinesen, ins gräßliche Totengesicht …

Kroch über ihn hinweg …

Zur Vorratskammer …

Fand eine Flasche …

Wein – feurigen Kalifornier … Schlug den Hals ab … trank … trank …

Lebte auf … Saß auf den Dielen der Vorratskammer und rief sich die letzten Ereignisse ins Gedächtnis zurück …

Und – da ging’s wie ein elektrischer Schlag durch ihren erschöpften Leib …

Das Gold – – der Schatz! Hier an Bord!! Der Azorenschatz jetzt – – ihr eigen!!

Und – der Gedanke feuerte all ihre Lebensgeister an …

Sie trank den Rest aus der Flasche … Erhob sich … Taumelte …

Schwankte an Deck …

Fünf Tote hier …

Und die Fürstin Sarratow beugte sich über die Toten, prüfte, ob auch wirklich allen das Leben entflohen …

Denn – sie wollte allein an Bord der ‚Sonora’ den Schatz hüten …

Sie ganz allein …

Und in diesem Gedanken schritt sie wieder ins Vorschiff hinab … Dort befanden sich ihre gefährlichsten Gegner: Doktor Falz und Pasqual Oretto, der Hafentaucher von Lissabon … – zwei Männer, über die der Tod keine Gewalt hatte, wie Mafalda nur zu gut aus eigener Erfahrung wußte …

Nie würde sie ja jene Stunde auf dem Zaubereiland Christophoro vergessen, in der Doktor Dagobert Falz mit unendlich müdem Lächeln der Revolverkugeln gespottet hatte und das Grauen dann die Mörder in die Dornenwildnis trieb …

Und doch, es genügte der Fürstin schon, wenn nur das Ehepaar Hartwich dem großen Sterben hier an Bord der ‚Sonora’ zum Opfer gefallen war …

Georg und Ellen, die Verhaßten, die Gaupenberg nebst Agnes und Gottlieb am nächsten standen …

Wenn die beiden nicht mehr erwachten, für Falz und Pasqual gab es Stricke, gab es Eisenstücke, die man ihnen an die Füße binden konnte …!

Und dann … hinab mit den vier Verhaßten in das unergründliche Meer – hinweg über die Reling.

Mochten Falz und Oretto doch versuchen, sich aus den Schlünden des Ozeans wieder emporzuarbeiten!

Ein dämonisch grausames Lächeln umspielte der Fürstin volle, begehrliche Lippen …

Tigerin Mafalda lechzte nach Blut …

Stand nun im Gang des Vorschiffes vor ihres verbündeten Lomatz kläglich verkrümmter Gestalt …

Überlegte …

Auch er …?! Sollte auch er verschwinden?! … Falls noch Leben in ihm?!

Sie bückte sich …

Der Puls war schwach, aber das Herz arbeitete noch.

Mochte er ihr also weiter helfen, das Gold zu bergen … Ihn … verschwinden zu lassen, war immer noch Zeit. –

Dann betrat sie die Kammer der Gefangenen …

Fast dunkel war’s hier … So holte die Fürstin denn eine Laterne …

Leuchtete den Gefangenen in die gelbfahlen Gesichter …

Bückte sich auch hier …

Und stellte fest, daß die hier schneller erwachen würden als Lomatz …

Beeilte sich … Fesselte ihnen jetzt Hände und Füße …

Und immer wieder suchte ihr Blick dabei Ellen Hartwichs Gesicht …

Die haßte sie am meisten …! Die war ihres Geschlechts …! Die hatte bei mehr denn einer Gelegenheit ihre Pläne durchkreuzt …!

Und war damals in Taxata Georg Hartwichs Gattin geworden nach menschlicher Satzung, war sein rechtmäßiges Weib, hatte ihres Lebens Inhalt gefunden – die wahre Liebe!

Und sie selbst – Mafalda Sarratow?! Sie würde doch stets mit leerem Herzen die Reichtümer des Azorenschatzes genießen … Ihre Liebe war Viktor Gaupenberg … Und der war ihr verloren – – für immer …!

Einen Moment überwältigte jetzt das bedrückende Gefühl die große Verbrecherin, daß letzten Endes ihr Dasein stets inhaltslos und unbefriedigend bleiben würde – stets! Was halfen ihr die Milliarden?! Und wenn’s Billionen an reinem Golde gewesen, das Glück ließ sich nicht erkaufen!

Diese weichere Regung zerflatterte im Nu …

Das alte böse Lächeln lag um den begehrlichen Mund, als sie jetzt die Kammertür wieder verriegelte und abermals an Deck emporstieg.

Sie spürte Hunger …

Ihr Blick glitt über die Leichen hier auf den Deckplanken …

Mochten sie liegen bleiben – vorläufig …! Sie waren der beste Schutz gegen die Neugier eines vielleicht vorüberkommenden Schiffes. Seeleute betreten so ungern ein mit Toten bemanntes Schiff … Ein alter Aberglaube hält sie davon ab …

Ja – mochten sie liegen bleiben …!

Und Mafaldas scharfe Augen suchten jetzt den Horizont ab …

Das Meer hatte sich beruhigt … Ward immer friedlicher … Nur ganz selten ging noch eine Sturzsee über die ‚Sonora’ hin …

Der Horizont war leer …

Wasser – – Himmel … Und mitten darin das treibende Wrack mit seinen Toten, Lebenden und Goldschätzen …

Die Sonne funkelte über das verwüstete Deck hin … Gräßlich stierten die Toten aus verglasten Augen.

Übermütig strahlten die schweren Goldbarren, die dort rechts an der Relingpforte unter dem über den goldenen Berg gebreiteten Segel hervorlugten …

Und dieses Glitzern und Gleißen des edlen Metalls war für Mafalda wie ein belebendes, anfeuerndes Fluidum …

Reichtum – – Macht …!!

Die Macht zum Bösen …!! Niemals sollte Agnes Sanden über eine Mafalda Sarratow triumphieren und den Geliebten als Gatten erringen – niemals …!!

Mit diesen Gedanken betrat die Fürstin aufs neue die Schiffsküche …

Die Leiche des chinesischen Kochs mußte jedoch von hier entfernt werden. Nur zu schnell setzte ja in diesen heißen Breiten die Verwesung ein …

Mafalda packte zu …

Überwand das Grauen … Schleifte den Toten die Treppe hinan …

Die blickenden gelben Zähne im halb offenen Munde des grünlich verfärbten Asiatengesichts ließen selbst ihre Nerven vibrieren …

Schnell hastete sie hinab in die Vorratskammer …

Trank feurigen Kalifornier, aß, bezwang die Erinnerung an das abschreckende Totengesicht …

Und dann … dann, verstärkt durch den kräftigen Wein, überfiel sie mit einem Male eine ungeheure, nicht mehr abzuwehrende Müdigkeit.

Auf den einen Schemel am eisernen Schiffsherd sank sie …

Und … schlief ein, gegen den Herd gelehnt … den Kopf auf die Brust gesenkt … –

Weiter – weiter taumelte das Wrack der ‚Sonora’ ziellos mit dem rollenden Wogen …

Stunden vergingen …

Die Fürstin erwachte wieder …

Blinzelte in das Licht des Treppenniederganges – in die gleißende Sonne … Mußte sich nach diesem todesähnlichen Schlaf erst auf das Geschehene besinnen.

Das Gold … Die Gefangenen …!!

Sie schnellte empor …

Sie fühlte die Kraft des festen Schlummers in ihrem Blute kreisen … Die letzten Folgen der Gasvergiftung waren überwunden … –

An Deck …!!

Umschau halten …!!

Und – leer das endlose Meer …

Einsam die Wasserwüste …

Einsam?!

Mafalda stierte auf einen bestimmten Punkt …

Jetzt hob eine Woge dort drüben das schwer erkennbare Etwas empor …

Ein Floß … Menschen darauf …

Und die Fürstin lief in die Kajüte des Kapitäns, holte ein Fernglas, erkletterte die halb weggeschwemmte Brücke …

Richtete das Glas auf das ferne Fahrzeug …

Atmete auf …

Neger – Nigger – – armselige Schwarze von winziger Gestalt …

Sie zählte die Schiffbrüchigen …

Zwanzig waren’s …

Die reinen Zwerge alles – wie Kinder, nackt bis auf kleine Lendenschurze …

Keine Gegner für eine Mafalda – – farbiges Gesindel …!

Und – – schaute plötzlich schärfer hin …

Da warfen die schwarzen Knirpse irgend etwas vom Floß in die See …

Nochmals …

War das nicht der Kopf eines Menschen gewesen?!

Und jetzt, – – waren das nicht menschliche Beine, die da ins Wasser flogen?!

Mafalda starrte hinüber …

Ein Notsegel war auf dem Floß errichtet … Eine lange Planke diente als Steuer … Und all diese Zwerge hatten sich mit Tauen an den Balken festgebunden … Zuweilen lief ein Wogenkamm schäumend über das langgestreckte Fahrzeug hin … Dann verschwanden Floß und Menschen für Sekunden in der grünen Flut … Tauchten wieder auf … –

Die Fürstin sah, daß die kleinen Kerle auf den treibenden Dampfer zuhielten. Es war unmöglich, ihnen auszuweichen. Die ‚Sonora’ konnte nicht fliehen. Sie waren eine tote Masse, mit der die Wogen ihr Spiel trieben …

Rasch stieg Mafalda wieder zum Deck hinab … Holte an Waffen, was sie in der Kapitänskajüte fand … für alle Fälle …

Und beobachtete wieder das plumpe Fahrzeug. Erkannte nun, daß es aus Schiffsplanken bestand, die über zwei auf ihren Luftkästen schwimmenden Rettungsbooten befestigt waren …

Fünfzig Meter noch …

Die Zwerge glotzten zur ‚Sonora’ verlangend hinüber …

Selten hatte Mafalda so abstoßend häßliche Gesichter gesehen.

Dann … legte sie eins der Gewehre auf die Reling, zielte – feuerte …

Absichtlich hatte sie nur den Notmast treffen wollen … Die Kugel riß Splitter vom Holze … Dieh Zwerge kauerten sich angstvoll nieder … Der Knirps, der die Steuerplanke regierte, gab dem Floß rasch eine andere Richtung …

Und doch strich es so dicht an der ‚Sonora’ vorbei, daß jäh ein heimtückisch hinter dem Segel hervorschnellender Pfeil ganz leicht Mafaldas linken Handrücken streifte …

Zwei roten Blutstropfen rollen aus der witzigen Wunde …

Die Fürstin hatte sich geduckt …

Preßte die Lippen auf die verletzte Haut, saugte zur Vorsicht die Wunde aus …

Und fühlte doch, wie dunkle Gewalten ihr Hirn plötzlich verwirrten, wie ihre Glieder matt und tot wurden … Schatten senkten sich über ihre Augen …

Langsam sank sie nach hinten über – lag regungslos – mit verdrehten Augen … –

Minuten vergingen …

Dann lugte über die Backbordreling ein scheußlicher Zwergenkopf …

Flink wie die Affen sprangen dann zehn – zwölf der schwarzen Knirpse auf das Deck … Ein paar von ihnen hielten Bogen und Giftpfeile bereit …

Ihre Blicke flogen rundum …

Eilends huschten sie hin und her …

Schauten die Leichen an – gefühllos – ohne Grauen vor diesen entsetzlich entstellten Gesichtern …

Noch mehr der Zwerge kamen an Bord … Verteilten sich … Durchsuchten den Dampfer … Schnatternd und lebhaft die Hände bewegend berieten sie dann in ihrer Sprache … Einer unter ihnen machte den Wortführer …

Der befahl nun, das Floß aufzugeben und auf der ‚Sonora’ zu bleiben …

Das Floß schwamm leer davon …

Achtlos gingen die Zwerge an dem Goldhügel vorüber. Achtlos lüftete einer von ihnen das darüber gebreitete Segel und hob eins der antiken Geschmeide aus der Schatzkammer Matagumas empor, warf es wieder zurück mit verächtlicher Gebärde. Diese Naturmenschen, die in ihren afrikanischen Urwäldern nichts von dergleichen Kostbarkeiten gekannt hatten und dere ganze Sehnsucht der Erwerb eines Elefantenstoßzahnes gewesen, verachteten diesen Tand und diese schweren Metallziegel genau so wie … ein Kulturmensch von besonderen Charaktereigenschaften, genau so wie etwa Gerhard Nielsen …

Überall hin zerstreuten sie sich nun … Fanden so den bewußtlosen Edgar Lomatz im Vorschiffgang und auch die vier Gefesselten in der Kammer …

Kümmerten sich auch um sie nicht weiter, warfen nur oben auf Deck die ihnen unbequemen Leichen über Bord und trugen Mafalda, die noch schwach atmete, gleichfalls in die Kammer hinab, legten ebenso Lomatz hinein und verriegelten die Tür …

Andere wieder hatten die Vorratskammer geplündert, schleppten an Deck, was ihnen besonders behagte …

Eine allgemeine Schmauserei brachte dann für eine halbe Stunde Ruhe in die lebhafte Schar …

Schwatzend und schmatzend hockten sie im Kreise um die aufgehäuften Konservenbüchsen … Fraßen mit tierischer Gier, tranken das laue Wasser aus dem Süßwassertank und hörten nur zerstreut auf die Worte ihres Anführers, der als intelligentester dringend verlangte, man solle auch hier auf dem Dampfer wie vordem auf dem Floß ein Segel anbringen, damit das Schiff dem Steuer gehorche.

Erst nach der Mahlzeit bequemten sich ein paar der schwarzen Zwerge dazu, ein großes Segel hervorzusuchen. Nach vieler Mühe wurde es am Vordermast befestigt …

So kam denn die ‚Sonora’ träge in Fahrt … –

Diese schiffbrüchigen Zwerge hier waren der andere Teil jener Daki, die ein spanischer Unternehmer mit einer Brigg zu Schauzwecken zunächst nach Amerika hatte bringen wollen, und von denen die Hälfte inzwischen auf der Milliardärsjacht Unterkunft gefunden hatte.

Auch diese Daki hier auf der ‚Sonora’ besaßen in der Person eines älteren Zwerges, der jahrelang auf einem Nilschiff als Matrose gedient und dadurch mancherlei von den Kulturerrungenschaften der Europäer gelernt hatte, einen Anführer, der ihrem Häuptling Pullolaku in vielen Dingen weit überlegen war und sogar als findiger, leider auch äußerst hinterlistiger Kopf gelten konnte, denn zugleich mit der Erweiterung seiner Kenntnisse hatte er auch, stets seines Zwergentums und seiner Häßlichkeit wegen verwöhnt und verspottet, einen dumpfen Haß gegen alle hellhäutigen und wohlgebildeten Menschen in sich aufgespeichert, den zu verraten er zu schlau und den zu betätigen er bisher zu ohnmächtig gewesen.

Maupati hieß dieser Negergnom …

Er war der einzige der Daki, der sofort erkannt hatte, daß der Berg von gleißenden Ziegeln dort an der Relingpforte und all die anderen funkelnden Dinge gerade das waren, um dessentwegen sich die Fremden gegenseitig kaltblütig mordeten: Gold – Edelsteine – Schmuck!!

Während er nun einem der Seinen die Führung des Steuerrades erklärte und von der Brücke aus das Meer überschaute, glaubte er am Horizont mit seinen scharfen Naturmenschenaugen fern im Westen einen dunklen Fleck zu unterscheiden, – Land – – vielleicht eine Insel …

Sofort rief er zum Deck hinab, man solle ihm das Fernglas, das noch auf den Deckplanken neben der Stelle lag, wo Mafalda infolge des Pfeilschusses umgesunken, nach oben bringen.

Er wußte mit dem Glase genau so gut umzugehen wie mit Feuerwaffen … Auch das hatte er auf der Nilbarke gelernt …

Und das Fernglas brachte ihm nun die Gestade des fernen Landes so nahe, daß er eine kleine, felsige Insel mit hohen Steinufern feststellte, und daher sofort beschloß, die ‚Sonora’ dorthin zu lenken. Er sagte sich ja mit Recht, daß ein neuer Sturm sowohl dem wracken Dampfer als auch ihm und seinen Stammesgenossen den Untergang bringen müßte.

So wurde denn der Bug der ‚Sonora’ der Insel zugekehrt, und bei günstigem Winde schaukelte das wracke Schiff langsam der düsteren Felsenküste näher und näher.

Maupati aber verteilte nun die in der Kapitänskajüte gefundenen Waffen unter die Seinen und zeigte nochmals, wie ein Gewehr, eine Pistole und ein Revolver zu bedienen seien.

Die Scheu vor Schußwaffen hatten die Daki schon auf der Brigg der Spanier verloren, wo die Seeleute häufig nach Möwen, Haifischen und Delphinen gefeuert hatten.

Maupati fand gelehrige Schüler. Den schwarzen Zwergen bereitete das Knallen der Waffen eine unheimliche Freude, und ein paar Haie, die dem Wrack dauernd folgten, wurden jetzt die lebenden Zielscheiben dieses wilden, grausamen Völkchens, das während der tagelangen Fahrt auf dem Floße die sieben Leute der Brigg nach heimlicher Übereinkunft hinterrücks getötet und … verspeist hatten.

Da den Zwergen als guten Bogenschützen der Begriff des Zielens nicht fremd war und da alle Naturvölker bei der Handhabung von Waffen ein überraschendes Geschick zeigen, hatten die männlichen Daki in einer Stunde, zumal ihnen überreich Munition zur Verfügung stand, sich leidlich eingeschossen und bildeten nun unter der Führung Maupatis eine Horde verwegener kleiner Gesellen, deren völlige Todesverachtung sie als recht gefährliche Gegner erscheinen ließ. –

Inzwischen waren Lomatz und Mafalda in der Vorschiffkammer wieder zu sich gekommen.

Die Fürstin erwachte als erste. Die Wirkung des Pfeilgiftes machte sich freilich noch immer in recht beängstigender Weise bemerkbar. Mafaldas Glieder waren wie gelähmt. Nur ihr Geist war klar und arbeitete mit jener Genauigkeit, der die große Abenteurerin neben ihren körperlichen Reizen die Erfolge im Kampf gegen die Sphinxleute hauptsächlich verdankte.

In der tiefen Dunkelheit der kleinen Kammer hörte sie nun Lomatz leise neben sich stöhnen …

„Bist du wach?“ fragte sie ihren Verbündeten mit gedämpfter Stimme …

Ein kaum vernehmbares „Ja“ war die Antwort …

„Verhalte dich still,“ flüsterte die Fürstin darauf harten Tones. „Wir sind in der Gewalt von zwergenhaften schwarzen Wilden … Ich selbst wäre beinah einem ihrer Giftpfeile zum Opfer gefallen … – Ich will lauschen … Man muß irgendwie mit diesen erbärmlichen Kreaturen, die jetzt Herren der ‚Sonora’ sind, sich anfreunden … Es müßte doch merkwürdig hergehen, wenn es mir nicht gelingen sollte, diese nackte Niggerhorde zu überlisten …“

Lomatz bekämpfte mit aller Macht das ungeheure Schwächegefühl, das ihm vorhin die leisen Jammerlaute entlockt hatte.

Mafalda schob sich näher an die Tür heran, durch deren Ritze ein ganz geringer Schimmer von Tageslicht wie helle Streifen hindurchfiel.

Sie horchte…

Draußen im Gang alles still …

Dann suchte sie sich aufzurichten …

Sank zweimal zurück …

Aber ihre eiserne Energie bezwang den matten Leib …

Ihr Geist war stärker …

Stand nun und prüfte mit den Fingerspitzen die Lage der Riegel, die durch Eisennieten auf dieser Seite der Tür kenntlich waren …

„Gib mir dein Messer,“ flüsterte sie für Lomatz in das Dunkel hinein …

Nun hielt sie das Messer in der Hand …

Bohrte es durch eine Fuge der Türbretter, erweiterte die Öffnung, bis die Spitze der Messerklinge auf dem Riegel entlangschrammte …

Und so schob sie in mühseliger Arbeit die drei Riegel endlich zurück.

Was tat’s, daß die Messerspitze abbrach …!

Was tat’s, daß die Arbeit nicht ohne Geräusch vonstatten ging …!

Niemand von den Zwergen ließ sie hier im Vorschiff sehen …

Was machte es Mafalda aus, daß ihre Finger voller wunder Stellen waren! Sie war frei … frei …!

Sie würde noch mehr erreichen …

Sie hatte schon ganz andere menschliche Bestien als diese Nigger da oben für sich gewonnen …! –

Diese körperliche Anstrengung war für sie auch die beste Kur gewesen … Ihr Körper war erfrischt. Ihre geistige und körperliche Spannkraft wieder auf der Höhe …

Lautlos schlich sie zur Treppe …

Horchte …

Hatte den kleinen Revolver entsichert in der Rechten.

Wußte nur zu gut, daß ihr Leben hier mehr denn je bedroht war …

Die Giftpfeile der Zwerge hatte sie noch lebendig genug in der Erinnerung.

Oben an Deck hörte sie sprechen …

Und wollte jetzt das Äußerste wagen … Wollte nach oben – wollte mit ihrem berückendsten Lächeln die kleinen Feinde entwaffnen …

Ein Wunder wär’s, wenn selbst diese Wilden nicht vor der sieghaften Schönheit eines vollerblühten Weibes sich beugten …

Und da gerade … gerade da ging es durch den Rumpf des wracken Dampfers wie ein harter Stoß …

Und anschließend nun an den Außenplanken an Backbord ein Scharren und Kreischen, als ob das Schiff an harten Balken sich riebe …

Mafaldas stutzte …

Hatte etwa ein anderes Fahrzeug sich Bord an Bord mit dem Dampfer gelegt?!

Das … wäre das Schlimmste, was hätte eintreten können …! Dann war der Schatz verloren …! Dann war abermals alle Qual und Mühe umsonst gewesen …! –

Sie hielt es hier unten nicht länger aus …

Sie wollte Gewißheit haben …

Unbedingt – – sofort …

Und eilte die Treppe hinan …

Bob den Kopf über den Rand des Decks …

Ein Blick …

Das stand die schwarze Rotte an der Reling …

Alle mit dem Rücken nach ihr hin …

Und dort dicht neben der ‚Sonora’ stieg eine grauschwarze Felswand zu dem sonnendurchfluteten Himmel empor …

Und nach links eine ähnliche Wand, Ufer einer schmalen Bucht!

Also war die ‚Sonora’ irgendwo gelandet …

Irgendwo …! –

Da kehrte die Fürstin um …

Wenige Worte genügten für Lomatz.

Mafalda half ihm auf die Füße …

In den Maschinenraum eilten sie hinab, wo der erkaltete Kessel wie ein düsteres Ungeheuer ruhte … Und wo über ihm der dicke Schornstein sich nach oben zog … –

Die Fürstin wußte, ein wie gutes Versteck der Schornstein bot …

Wollte mit Lomatz sich verbergen, bis sie Gelegenheit günstig war, diese Wilden von der ‚Sonora’ zu vertreiben …

Und mit einer Kraft, die nur die Not der Stunde ihr lieh, öffnete sie jetzt die eine Reinigungsklappe der Schlotes …

Half dem halb hilflosen Lomatz empor …

Die Rußflocken lösten sich …

Ganze Rußbäche rieselten herab …

Und Mafalda schloß die Klappe wieder …

„Geborgen!“ flüsterte sie …

Und über den beiden, die hier eng aneinandergepreßt dastanden, blinkte ein runde Stück des lichtblauen Äthers …

Die Fürstin tastete nach den Steigeisen der Schornsteinwandung …

Zog sich empor … Klomm höher und höher …

Bis dicht unter dem Rande der Schlotes ein durch einen Granatsplitter gerissenes Loch ihr Ausblick gewährte …

Die Zwerge hatten eine Laufplanke an das felsige Ufer geschoben …

Ein Teil von ihnen befand sich bereits an Land und bezeigte seine kindliche Freude über diese Errettung aus peinvollster Seenot durch ausgelassene Sprünge und schrille Schreie …

Die Fürstin achtete nicht auf dieses lächerliche Treiben …

Ihre Augen waren starr auf einen tiefen Einschnitt in der Uferwand gerichtet …

Und durch diese keilförmige Öffnung erkannte sie in der Ferne grüne Baumspitzen und das flache Dach eines Hauses …

„Die … schwarze Insel …!!“ schoß es ihr durch den Kopf … „Wieder die schwarze Insel …!! Wieder hat mich das Schicksal dem einstigen Geliebten und der verhaßten Agnes in den Weg geführt …!“

Ein hohnvolles Lächeln kräuselte ihre Lippen …

Und triumphierend rief sie Lomatz zu:

„Wir sind auf der schwarzen Insel gelandet …! – Freue dich, Graf Gaupenberg … Mafalda Sarratow wird dir die Schäferstündchen mit der blonden Madonna gründlich stören …!“

Und als sie dies halblaut hervorstieß, ahnte sie nicht, daß man sich im einsamen Hause drüben bereits … zur Hochzeit des Liebespaares rüstete …

 

144. Kapitel.

Agnes Sandens Hochzeit.

Im Speisesaal des einsamen Hauses stand Gerhard Nielsen neben dem ehrwürdigen Mormonenpriester Samuel Tillertucky und beschaute kritisch dessen Werk.

„Hm – das haben Sie nicht schlecht gemacht, bester Tillertucky,“ meinte er in ehrlicher Anerkennung. „Dieser Altar sieht malerisch und würdig aus … Und all das Baumgrün und die Blumen ringsum erfreuen selbst mein nüchternes Herz …“

Gipsy Maad war leise eingetreten …

Rief strahlend:

„Oh – wie schön und feierlich …! Wie wird Agnes sich freuen …!“

Der dicke Mormone rieb sich schmunzelnd die Hände.

„Und wenn dann das Piano den Hochzeitsmarsch aus Lohengrin spielt, Miß Maad, – wenn dann der Hochzeitszug hier einzieht und ich dort in meinem Festgewand vor dem Alter stehen werde, wenn wir als erstes Lied … – Hm, ja, – was wollen wir denn eigentlich als erstes Lied singen, Miß Maad?“

Gipsy überlegte …

Sie hatte heiße Wangen, war ganz aufgeregt … Sie nahm ja so regen Anteil an Agnes Sandens Glück … Sie war eben Weib, war jung … Der Gedanke an diese romantische Trauung ließ ihr Mädchenherz höher schlagen …

Und dann drehte sie sich nach Gerhard Nielsen um, der in seiner bekannten Gemütsruhe am Tische lehnte und soeben eine neue Zigarre anzündete.

„Mister Nielsen, wissen Sie nicht, was wir singen sollen?“ fragte sie mit leuchtenden Augen …

Nielsen lächelte …

„Ich für meine Person bin absolut unmusikalisch und kann auch nur die erste Strophe von ‚O Haupt voll Blut und Wunder’ auswendig … Und der Choral dürfte nicht recht passen für eine Hochzeit. Es wird ja überhaupt schwer werden, ein Lied zu finden, das …“

Da rief Gipsy freudig dazwischen:

„Oh – – ich weiß, ich weiß … Ich habe vorhin die Notenrollen des mechanischen Klaviers durchgesehen und darunter das Lied ‚Heimat, süße Heimat …’ entdeckt. Das kennt jeder …“

„Pardon Miß Gipsy, ich nicht …! Bedauere … Und ob Gottlieb Knorz es kennt, bezweifle ich … Auch Murat dürfte es fremd sein. Mithin kämen als Sänger nur Sie, Mela und Dalaargen in Betracht …“

„Sie sind gräßlich …!“ Gipsy war wirklich empört. „Haben Sie denn sogar keinen Sinn für eine solche feierliche Handlung?! Wie können Sie nur Murat hier erwähnen! Erstens ist er krank, und zweitens ist er doch nur ein … ein halber Mensch …“

Nielsen entgegnete ernst:

„Murat ist ein ganzer Mensch … Vorhin hat er mich gebeten, ihn hier hinabzubringen, damit er der Trauung beiwohnen können … – Und was das andere betrifft, Miß Gipsy, ich habe schon Sinn für Feierlichkeiten! Aber ich … schwebe nie im siebenten Himmel. Ich bleibe mit meinen Füßen stets hübsch auf festem Boden. Man fährt im allgemeinen gut dabei … Das sollten Sie als Detektivin wissen, Miß Gipsy …“

Rund um seinen Mund spielte jetzt ein liebes schalkhaftes Lächeln, als er noch hinzufügte:

„Selbst wenn ich einmal zum Traualtar schreiten sollte, was wohl nie geschehen wird, da kein nettes Mädel mich hundeschnäuzigen Kerl heiraten dürfte, – selbst dann würde ich … Gerhard Nielsen bleiben … Und dieser Gerhard ist ein Feind jeder Überschwänglichkeit. – Doch – jetzt will ich noch rasch vom Nordpik der Insel Ausschau halten, ob der Ozean leer ist … Wenn ich dann zurück bin, können wir ja beginnen …“

„Gräßlich!!“ rief Gipsy wieder. „Wie das klingt – beginnen!!“

„Na – meinetwegen auch, anfangen! Oder, die Hochzeitsglocken läuten …“

Und Gipsy und dem Mormonen zunickend, verließ er den Speisesaal und das Haus.

Mister Samuel Tillertucky blinzelte die junge Amerikanerin listig an …

„Würden Sie Mister Nielsen heiraten, Miß Maad?“ fragte er scherzend. „Wenn ich Sie wäre: Ja!“

Da wandte Gipsy sich rasch ab und zuckte nur die Achseln …

Sie war aber flammend rot geworden … –

Gerhard Nielsen schritt über den Hof, wo Dalaargen und Gottlieb noch emsig an der Reparatur der Sphinx arbeiteten.

„Machen Sie jetzt nur Feierabend,“ meinte der blonde Steuermann zu den beiden und zog seine Taschenuhr. „Es ist halb sechs … In einer halben Stunde findet die Trauung statt … Zu welchem Zweck Sie sich noch rasieren könnten, lieber Knorz … Ihr Stoppelbart reicht ja bereits als Bürste für Ihren Teckel aus. Und Sie, Herzog, werden Ihr Kostüm ebenfalls etwas verändern müssen … In Hemdärmeln und mit den Händen dürfte Samuel Tillertucky Sie als Trauzeugen zurückweisen, zumal er selbst sich von Mela aus schwarzer Fahnenleinwand eine Art Talar hat zurechtschustern lassen … – Auf Wiedersehen … Ich will mal einen Blick über die See werfen … Denn es wäre ja sehr störend, wenn etwa gerade jetzt das Bandengesindel mit dem Dampfer ‚Sonora’ wieder zurückkehrte …“

So schritt er denn durch die Schlucht dem Nordstrande zu und erkletterte hier die höchste Erhebung der Insel.

Der Ozean war leer …

Und – doch war vor kaum einer halben Stunde in einer der engsten Buchten der Ostküste ein wracker Dampfer mit winzigen schwarzen nackten Gesellen vertäut worden.

Und doch wurde Gerhard Nielsen jetzt von zahlreichen Augenpaaren scharf beobachtet …

Er ahnte es nicht …

Beruhigt stieg er vom Nordpik wieder zum Strande hinab und schlenderte dem einsamen Hause zu …

Blieb jedoch mit einem Male stehen …

Eine Laune von ihm war’s gewesen, daß er jetzt den weiteren Weg über das Westplateau gewählt hatte.

Und hier, wo der große Felsenhügel sich auftürmte, in dessen hohlem Innern das Loch in den Kegelkrater abwärtslief, – hier gewahrte er zu seinem Erstaunen den ehrwürdigen Fettwanst Tillertucky mit einem umfangreichen Bündel über dem Rücken …

Rasch duckte er sich hinter einen hohen Stein …

Sein Argwohn war rege geworden. So ganz traute er dem Mormonen immer noch nicht …

Tillertucky benahm sich hier denn auch recht auffällig …

Schaute sich immer wieder ängstlich um und … schlüpfte dann in den Felsenhügel hinein … –

Nielsens Verdacht wurde noch stärker. Behutsam schlich er näher …

Die letzten zehn Meter kroch er auf allen Vieren.

Jetzt hörte er Stimmen …

Und – wurde noch stutziger …

Das waren ja Frauenstimmen … Und dann ließ sich wieder Tillertuckys Baß vernehmen …

Nielsen wagte jetzt noch mehr … Kroch in den engen Eingang des hohlen Hügels hinein, bis er zwischen den Blöcken hindurch den Innenraum überblicken konnte …

Sein Gesicht veränderte sich jäh …

Mit aller Gewalt mußte er seine Heiterkeit unterdrücken, ein Lachen zurückdrängen …

Denn dort saß Samuel Tillertucky auf einem Stein wie ein türkischer Pascha im Harem … Und an jeder Seite hatte er ein weibliches Wesen … Und jede dieser Frauen überhäufte den Dicken mit Liebkosungen, aß zwischenein etwas von den Speisen, die der Mormone in dem Bündel hierher geschleppt hatte … –

Nielsen ging jetzt mit einem Male ein Licht auf …

Die Mormonen halten bekanntlich die Vielweiberei für ein göttliches Gebot. In ihrer Hauptstadt am Großen Salzsee im Staate Utah gibt es daher auch etwa viermal soviel Frauen als Männer.

Und das diese beiden äußerlich ganz ansprechenden weiblichen Geschöpfe dort neben dem ehrwürdigen Tillertucky dessen rechtmäßige Gattinnen waren, bezweifelte Nielsen keinen Augenblick mehr …

Unklar war ihm nur, weshalb der Mormone seine Frauen verheimlicht hatte … Tillertucky mußte dazu doch besondere Gründe gehabt haben. – Und diese Frage wollte Nielsen jetzt auf der Stelle klären.

Leise schlich er noch weiter vor …

Hier im Innern des Hügels herrschte eine lichte Dämmerung …

Jetzt erblickte eine der Haremsdamen den blonden Deutschen …

Kreischte auf …

Ließ die Konservenbüchse fallen …

Und deren Inhalt, Sardinen in Öl, ergoß sich über des Dicken Schenkel und Bratenrockschöße …

Tillertucky quollen vor Schreck die in Fettpolstern lagernden Äuglein aus den Höhlen …

„Master … Master … Nielsen …,“ stammelte er.

„Allerdings … So heiße ich, Mister Tillertucky … Wie heißen aber die Damen da neben Ihnen? Und weshalb haben Sie deren Anwesenheit auf der Insel bisher verschwiegen?!“

Der Fettkloß schnappte nach Luft … Traurig schaute er auf seinen eingeölten Bratenrock hinab und dann wieder flehend in des Deutschen forschendes Gesicht …

„Das … das sind zwei meiner Frauen,“ erklärte er dann bänglich … „Sie haben mich begleitet gehabt … Die anderen drei ließ ich daheim …“

„Also fünf im ganzen …! Armer Kerl!“

Diese scherzhafte Bemerkung machte dem Dicken Mut …

Hastig meinte er: „Dies hier links ist Rahel, meine erste Gattin … Dies hier rechts Hekuba, meine dritte … Auch sie waren mit auf der ‚Sonora’ gefangen … Wir flohen gemeinsam … Da ich jedoch für ihre Sicherheit fürchtete, ließ ich sie am Strande zurück und betrat in der vergangenen Nacht zunächst allein das Haus.“

„Und rasierten sich bei Musik, wie ich sah und hörte … – Immerhin, weshalb holten Sie Ihre Frauen nicht später nach dem Hause … Sie wußten doch, daß wir Sphinxleute den Damen wahrhaftig nichts anhaben würden …!“

„Oh … – Sehen Sie, Mister Nielsen, – die sogenannte Vielweiberei wird doch von den meisten Menschen als … als unpassend …“

„Ganz recht – Verstehe, Sie schämten sich, Mister Tillertucky …“

„Ja …! Zumal doch drei junge Mädchen mit zu den Sphinxleuten gehören … Und …“

„Verstehe, Mister Tillertucky …! – Wischen Sie jetzt erst einmal Ihre Hosen und Rockschöße ab … Da – in Ihrem Schoße liegen noch zwei Sardinen … Und dann lade ich auch Ihre Gattinnen freundlichst ein, im Hause Wohnung zu nehmen …“

„Sehr liebenswürdig …“

„Gern geschehen … Miß Maad wird sich freuen, daß der Hochzeitschor auf diese Weise Verstärkung erhält … – Bitte – hier haben Sie auch noch mein Taschentuch … Es ist zwar nicht ganz sauber, dafür aber schon so schadhaft, daß es als Wischtuch noch brauchbar ist …“ –

Die beiden Mormoninnen hatten jetzt alle Scheu vor Nielsen verloren und bedankten sich wortreich bei ihm für seine Nachsicht und Freundlichkeit …

Die Frauen mochten jede etwa dreißig Jahre zählen und hatten eine so dunkle Hautfarbe, daß Nielsen vermutete, sie müßten Indianerblut in den Adern haben, was bekanntlich in den Vereinigten Staaten als Vorzug gilt, während die Abstammung von Negern jeden Menschen dort geradezu herabwürdigt, – eine der vielen Unbegreiflichkeiten der Welt!

Die muntere Art Rahels und Hekubas ließ darauf schließen, daß sie sich als Gattinnen des Dicken recht glücklich fühlten.

Nielsen kam hier zum ersten Male in seinem Leben mit Mormoninnen zusammen und war erstaunt, daß eine solche Vielehe ohne jede Eifersucht und ohne jeden Haß zwischen den weiblichen Teilen dahinfloß.

Nachdem Samuel sich dann gesäubert hatte, trat man zu vieren den Rückweg nach dem einsamen Hause an, wo das Erscheinen Rahels und die Hekubas natürlich allseitiges Staunen hervorrief.

Besonders der brave Gottlieb Knorz, der bisher nur in alten Indianerschmökern etwas von den Kämpfen der Mormonen gegen Rothäute gelesen hatte, konnte sich gar nicht darüber beruhigen, daß Europäer der Vielweiberei huldigten.

Heimlich fragte er denn auch Nielsen, ob die beiden Frauen auch wirklich ‚regelrecht’ mit Tillertucky verheiratet seien oder ob … „Na – Sie verstehen, Herr Nielsen. Verhältnisse gibt’s auch in Deutschland genug!“

Worauf der Seemann meinte:

„Nichts davon, Freund Knorz …! Alles in Ehren! Tillertucky hat daheim sogar noch drei weitere Frauen.“

„Gott steh mir bei …!! Fünf Stück …!! Und wieviel Kinder?“

„Nur einundzwanzig … Bis jetzt … Er hofft es aber noch auf drei Dutzend zu bringen …“

„Allerhand Achtung …!!“ Und Gottlieb trocknete sich den Schweiß von der Stirn … Ihm als Junggesellen war ganz schwül bei dem Gedanken an fünf Frauen geworden …

Und tiefaufatmend fügte er hinzu:

„Ein wahrer Segen, daß ich nicht Mormone bin!“

„Oh – was nicht ist, kann werden, Freund Knorz … Und Samuel nimmt Sie mit Freuden in die Gemeinschaft der Heiligen der letzten Tage auf …!“

„Danke … Habe keinen Bedarf, Herr Nielsen … – – Na – bin ich nicht tadellos rasiert …?“

„Glatt wie eine Kinderkehrseite … – Aber jetzt hinein in den Speisesaal … Samuel ruft schon zum dritten Male nach uns … Und Dalaargen hat auch schon Murat hinabgeholfen … Kommen Sie, Freund Gottlieb … Ihres Herrn festliche Stunde beginnt nun.“

Kopfschüttelnd folgte der alte treue Diener ihm in den ausgeschmückten Speisesaal …

Murmelte: „Fünf Weiber – einundzwanzig Kinder …!! Unglaublich! Ob er die denn alle beim Namen kennt?!“ –

Und im Zimmer neben dem großen dreifenstrigen Raume standen Agnes und Gaupenberg eng umschlungen da und warteten auf des Mormonenpriesters Zeichen, das sie vor den Altar rufen sollte …

Mela Falz hatte mit geschickten Fingern für die Freundin aus den leichten Schleiergewändern der ursprünglichen Bewohnerinnen der schwarzen Insel ein duftiges Hochzeitskleid hergestellt, so daß Agnes’ liebliche Erscheinung mit dem weißen Blütenkränzchen auf dem goldig schimmernden Blondhaar einen rührend bräutlichen Eindruck machte …

Und neben ihr der hochgewachsene Geliebte, dessen vornehmes Aristokratengesicht leider durch die Brandwunden so sehr entstellt war und in dessen Augen trotzdem ein Schimmer tiefsten Glücks und reinster Zärtlichkeit lag …

Dann öffnete der Mormone, jetzt in der talarähnlichen Tracht durchaus einem würdigen Geistlichen gleichend, die Verbindungstür zum Speisesaal, trat an das junge Paar heran und nahm es bei den Händen, führte es in den so feierlich hergerichteten großen Raum, während das Klavier hehre Akkorde des Hochzeitsmarsches ertönen ließ …

Agnes erblaßte vor Ergriffenheit, als sie nun den Altar mit den brennenden Kerzen und den reichen Blütenschmuck an den Wänden gewahrte …

Auch Gaupenberg kämpfte gegen eine tiefe Rührung an …

Das standen sie neben dem Altar, seine getreuen Mitkämpfer: Gottlieb Knorz, Gerhard Nielsen, Gipsy Maad und Mela und der Herzog Fredy Dalaargen …

Da ruhte auch des Homgoris zottige Gestalt auf dem in eine Ecke gerückten Rohrsofa …

Da stammten auch etwas abseits Samuel Tillertuckys zwei Frauen …

Langsamen Schrittes geleitete so der Mormonenpriester das Brautpaar bis zu den Stufen des Altars – bis zu den beiden bekränzten Stühlen, auf denen Agnes und Viktor nun Platz nahmen …

Und als das Klavier verstummt war, stimmte Gipsy Maad mit ihrer angenehm weichen Stimme das Lied von der Heimat an …

… Heimat, süße Heimat …

Die beiden Mormoninnen stimmten ein … Dann auch Mela, die anderen … Selbst Gottlieb versuchte seiner alten Kehle ein paar schmelzende Töne zu entlocken …

Aus Agnes Sandens Augen perlten jetzt Tränen.

Hand in Hand mit dem Geliebten saß sie da …

Lauter wurde der Gesang …

Feierlichste Stimmung lag über der kleinen Festversammlung …

Draußen schien vom wolkenlosen Himmel die Tropensonne herab …

Ihre Strahlen fluteten in breiter Bahn durch die offenen Fenster …

Wie köstliches Gold leuchtete Agnes Sandens Blondhaar im Glanze des Tagesgestirns … –

Der Gesang verstummte nun …

Samuel Tillertucky begann zu sprechen …

Von den Schwierigkeiten, Hindernissen und Gefahren, mit denen das Brautpaar zu kämpfen gehabt, bevor es nun endlich hier mitten im freien Ozean auf einer freien Insel den ewigen Bund fürs Leben schließen konnte …

Und er sprach voller Herzlichkeit und Wärme, der dicke, geheimnisvolle Mormone …

Fand Worte, die jedem ans Herz packten …

Rühmte die Treue der Gefährten des Grafen, erwähnte, wie schmerzlich es sei, daß gerade zu dieser Stunde Gaupenbergs bester Freund Georg Hartwich sowie Ellen, Doktor Falz und Pasqual Oretto fehlten.

Seine Stimme erfüllte den lang gestreckten Raum mit markigen Tönen …

Dann die eigentliche Zeremonie der Eheschließung.

Die Fragen an das Brautpaar …

Ob es einander angehören wolle in ehelicher Liebe für alle Zeit und Ewigkeit …

„… und so frage ich denn nun Sie, Graf Gaupenberg, ob Sie Ihre Braut Agnes Sanden aus meiner Hand hinnehmen wollen als Ihr Eheweib, ob Sie ihr ein treuer Gemahl, ein hilfreicher Freund und guter Kamerad sein wollen … Wenn Sie all dies aus tiefster Seele geloben, dann antworten Sie mir mit schlichtem Ja …“

Einen Moment Stille …

Schon öffnete Viktor Gaupenberg den Mund, um dieses Gelöbnis abzulegen und damit Agnes vor Gott und den Menschen zu seinem Weibe zu machen …

Da … schrillte ein häßliches hohnvolles Lachen in diese Stille hinein …

Von einem der offenen Fenster her …

Und dort draußen im Fensterrahmen stand Mafalda Sarratow, den rechten Arm mit dem Revolver vorgestreckt …

Neben ihr Lomatz – in derselben Haltung …

Und in den beiden anderen Fenstern wie ein gräßlicher Spuk die wilden schwarzen Zwergengesichter der Daki …

Alle bewaffnet, diese kleinen Ungeheuer …

Alle mit mordgierig funkelnden Augen …

Alle jetzt gehorsame Sklaven der großen Abenteurerin Mafalda Sarratow … – –

Und – wie das gekommen war, wie Mafalda es möglich gemacht hatte, diese schwarze Brut für sich zu gewinnen …?

Einem Zufall hatte sie es eigentlich zu danken …

Dem Zufall, daß der Schornstein der ‚Sonora’ infolge der Beschießung durch Randercilds Jacht dicht über dem Deck so schwere Beschädigungen erhalten hatte, daß er urplötzlich unter dem Gewicht der im oberen Teile verborgenen Fürstin sich zur Seite neigte und immer rascher umsank …

Ein weiterer Zufall, daß der Schornstein gerade auf den Anführer der Daki, den schlauen Maupati, niederschmetterte und das Mafalda, eingehüllt in eine Wolke von Rußflocken, Maupati ergreifen und rasch in die Kapitänskajüte zerren konnte, wobei Lomatz ihr eilfertig half …

Die Unterredung mit dem auch des Englischen leidlich mächtigen Negerzwerges dauerte nur ein paar Minuten …

Mafalda siegte hier nicht durch ihre äußere Erscheinung … Nein – sie selbst glich jetzt fast einer Negerin, und es kostete nachher viel Wasser und Seife, die rußige Schwärze von Gesicht, Hals und Händen wieder zu entfernen.

Sie siegte nur durch ihre überlegene Klugheit …

Machte Maupati klar, daß er und die Seinen niemals wieder diese kleine Insel verlassen könnten, wenn ihnen nicht die Intelligenz eines Europäers hülfe, den Dampfer wieder seetüchtig zu machen …

„Verhungern müßtet ihr hier, nachdem die Lebensmittelvorräte des Schiffes aufgezehrt sind … Eines elenden Todes werdet ihr alle sterben, wenn ihr nicht mir und meinem Freunde hier gehorcht …“

Ihre Worte blieben nicht ohne Eindruck auf Maupati.

Er war klug genug, all diese Warnungen und halben Drohungen der weißen Miß als schwerwiegend anzuerkennen …

Und weiter redete Mafalda dann von den jetzigen Bewohnern der Insel – von ihren Feinden …

Erwähnte das einsame Haus, den Garten …

Stellte die Sphinxleute als grausame Mörder hin, die keinen der Zwerge schonen würden …

Bis Maupati plötzlich ihre Hand ergriff und sie zum Zeichen der Unterwerfung und des Gehorsams an seine flache Stirn drückte … –

Mafalda war Diplomatin …

„Geh, versammle deine Leute auf dem Deck,“ befahl sie … „Ich vertraue dir … Würdest du mich hintergehen, wäre es euer aller Tod … Geh …!“

Und dem Zwerge schmeichelnd fügte sie hinzu:

„Du bist klüger als die deinen … Du sprichst die Sprache der Europäer … Du wirst von den Schätzen dort auf Deck so viel erhalten, wie du davonzutragen vermagst … Und dann wirst du auch der Mächtigste deines Volkes sein, Maupati …“ –

So wurde die Fürstin Sarratow Herrin dieser wilden Schar …

So wurde Maupati ihr willenloses Werkzeug.

Durch ihn schickte sie nun Späher aus, ließ das einsame Haus und dessen Bewohner beobachten …

Und diese kleinen schwarzen gelenkigen Knirpse, von ihrer Urwaldheimat her gewöhnt an vorsichtiges Schleichen, hatten sehr bald das Haus völlig eingekreist …

Eine Stunde später erschien dann Maupati atemlos auf den Dampfer und erstattete die erste Meldung.

Mafalda hörte mit fest aufeinander gepreßten Lippen zu …

Maupati schilderte, wie er sich bis in den Garten geschlichen und einen Baum erklettert habe …

Beschrieb die Ausschmückung der Speisesaales, beschrieb den Altar …

Erwähnte, daß eben sich alle die Weißen in dem großen Raum versammelt hätten, daß ein Mann und eine Frau, diese mit weißen Blüten im hellen Haar, durch einen anderen dicken Mann im schwarzen Gewand vor den ‚Tisch’ mit den brennenden Kerzen geführt worden seien – daß Musik und Gesang zu hören gewesen und das jetzt die beste Gelegenheit sei, die Weißen zu überfallen … –

Mafalda begriff, was dort vorging …

Agnes und Viktor …!! Ein Altar …!! Hochzeit – – Trauung!!

Oh – sie würde als ungebetener Gast dort erscheinen …!

Und überstürzt erteilte sie Maupati verschiedene Befehle …

Der Zwerg hetzte davon …

Die Fürstin und Lomatz folgten ihm …

Alles glückte …

Mafaldas Horde war nun unter den Fenstern versammelt …

Mafalda erkletterte den Mauervorsprung, richtete sich auf …

Überschaute alles mit einem Blick …

Hörte des Mormonenpriesters letzte Worte und … schickte ihr grelles Hohngelächter als Antwort in den festlichen Raum hinein …

Agnes war mit leisem Schrei herumgefahren …

„Mafalda …!!“ kam’s voller Entsetzen über ihre Lippen …

Dieses Bild dort an den Fenstern – diese tierisch wilden schwarzen Gesichter der Daki, dieses höhnische triumphierende Antlitz der Fürstin und Lomatz’ frech grinsender Kopf. Alle verfärbten sich da … alle.

Nur einer behielt seine zuweilen fast unnatürliche Ruhe: Gerhard Nielsen!

Er stand Mafalda am nächsten …

Auf ihm ruhten nun ihre haßdurchtränkten Blicke.

Ihm rief sie zu:

„Ah – auch der Verräter Nielsen – – auch der …!!“

Und der blonde Seemann nickte ihr gemütlich zu, verbeugte sich leicht und meinte:

„Vielen Dank, Mafalda Sarratow …! Von Ihnen Verräter tituliert zu werden, dürfte eine Schmeichelei sein …!“

Mafalda erblaßte vor lohender Wut …

„Sie werden bescheidener werden, Herr Nielsen …!! Meine Zwerge hier sind im Besitz köstlicher Giftpfeile! Und so wahr der Azorenschatz jetzt mein ist, so wahr sollen Sie meinen Dakis als lebende Zielscheibe dienen!“

Nielsen lächelte nur dazu …

„Einen Tod kann man bekanntlich nur sterben, Mafalda Sarratow … – Was haben Sie mit den anderen vor? Für die bitte ich …! In deren Interesse warne ich Sie …! Sie haben schon so oft erfahren, Mafalda Sarratow, daß das Schicksal in diesem gigantischen Ringen um das verächtliche Gold einer Schaukel gleicht … Jetzt sind Sie wieder emporgeschwebt, Fürstin, und wir sind in der Tiefe, im … Pech! Aber es kann im Augenblick wiederum anders kommen …! Daher tun Sie nichts, was Sie nachher bereuen und … Ihr Sündenregister bis zur letzten Seite füllen könnte. Töten Sie mich – meinetwegen! Schonen Sie aber meine Freunde …!“

Und diese Worte, die so ganz ohne Pathos, dafür aber umso eindringlicher gesprochen wurden, brachten die Fürstin tatsächlich zur Besinnung. –

Nach kurzer Beratung mit Lomatz mußten die Sphinxleute einzelnen den Speisesaal verlassen, wurden draußen einzeln an den Händen gefesselt und dann sämtlich nach dem westlichen Plateau geschafft – zum hohen, hohlen Steinhügel – zum engen Felsloche, wo man sie dann wieder einzelnen an einem Tau in den dunklen Kegelkrater hinabließ …

Nur einer war nicht mit dabei, Murat, der Homgori …!

Der hatte sich, durch den Altar vor den Blicken der Angreifer geschützt, rasch vom Sofa gleiten lassen und war unter den mit dunklem Stoff behangenen Altar geschlüpft …

Kaum hatte dann die Horde der Zwerge, Mafalda und Lomatz sich mit den Gefangenen entfernt, als der Homgori trotz seines Wundfiebers eilends sich davonstahl und die östlichen Talhöhen erklomm, um irgendwo ein vorläufiges Versteck zu finden …

Sah an Deck nur ein paar Weiber der Daki …

Sein Erscheinen scheuchte die kreischenden Zwerginnen, die den Homgori für einen Riesenaffen halten mochten, in die Kapitänskajüte …

Und gleich darauf stand Murat vor den vier gefesselten Freunden, von denen Falz und Oretto bereits bei Bewußtsein waren …

 

145. Kapitel.

Der Fetisch der Zwerge.

Die Milliardärsjacht suchte die schwarze Insel …

Der neue Tag war längst heraufgezogen …

Sonne umspielte das prächtige Schiff …

Delphine umkreisten es in lustigem Spiel. Aber auch die Rückenflossen von ein paar Haifischen waren zuweilen sichtbar. Auch diese Hyänen des Meeres gaben der Jacht das Geleit.

Unter dem Sonnensegel auf dem Achterdeck saß der blinde Expräsident José Armaro. Noch immer saß er dort …

Ein Steward hatte ihm das Frühstück gebracht, hatte ihn bedienen wollen …

Armaro dankte …

„Ich muß lernen, auch ohne Augen für mich zu sorgen …“

Und tastend fühlte er nach den Tellern, nach Messer und Gabel, nach der Teekanne – nach all dem anderen.

Seine Energien war wieder aufgelebt …

Tamua hieß das Zauberwort, das alles möglich machte …

Tamua …

Das Gift der Daki, das der Häuptling Pullolaku in seinem Lendenschurz eingeknotet trug.

Und Pullolaku war Armaros Diplomatie genau so unterlegen wie der andere Zwerg der Schlauheit und Berechnung einer Mafalda Sarratow.

Der blinde gestürzte Tyrann aß bedächtig … Tastete immer wieder mit vorsichtigen Fingern auf dem Tische umher.

Der Steward stand in einiger Entfernung und beobachtete den Geblendeten, wunderte sich, wie rasch dieser sich gemerkt hatte, in welcher Richtung er greifen mußte, um dies und das zu erlangen.

Ja – erstaunlich war’s …!

Der Steward ging davon und dachte voller Mitleid: ‚Mag der Mensch viel verbrochen haben … Er ist hart bestraft, und erträgt sein Unglück jetzt mit einer Würde, die nicht jeder aufbringen würde.’

Und in derselben Sekunde spielte Armaro mit dem verruchten Gedanken eines Massenmordes …

Aber – er wollte warten damit …

Er hatte Zeit … Auch Geduld lehrten ihn sein Haß und sein Vernichtungswille. Er wußte, der ‚Star of Manhattan’ suchte jene Inseln, auf der die Sphinxleute jetzt weilen sollten …!

Geduld also … – Abwarten …

Das Tamua konnte jederzeit wie ein Blitz töten … jederzeit … –

Und oben auf der Brücke schlenderte Tom Booder auf und ab …

Spähte nach der Haupttreppe des Achterdecks hinüber …

Ob Toni Dalaargen denn noch immer schlief?! Ob sie überhaupt noch zu Bett gegangen nach dieser wilden Nacht, die die ganze Tageseinteilung verschoben hatte?!

Tom Booder war verliebt …

Er leugnete das nicht – nicht vor sich selbst …

So gründlich verliebt war er, daß er gar nicht daran dachte, sich von dem zweiten Offizier ablösen zu lassen … Und der war sicher froh, daß ihn noch niemand weckte, war überhaupt ein Faulpelz … –

Ein Steward kam nach oben, fragte Booder, ob dieser vielleicht eine Erfrischung wünsche …

„Sie sind, schätz ich, seit achtzehn Stunden auf den Beinen, Mister Booder,“ meinte der Mann …

Und der verliebte Booder erwiderte:

„Haben Sie denn für die jungen Damen schon serviert, Knoxon?“

„Das wohl, Master … Im Salon … Sind alle dort versammelt … Auch ein paar von den anderen Herrschaften …“

„So … so … – Dann wecken Sie jetzt mal den zweiten Offizier … Er soll sich beeilen …“

„Entschuldigen Sie, Mister Booder, – der sitzt im Salon bei den Damen … Ich brauche ihn nur zu rufen …“

Tom Booder fluchte … –

Als der Zweite Offizier sich dann auf der Brücke meldete, sagte Booder sehr dienstlich:

„Mister Hallifax, diese grobe Pflichtvergessenheit werde ich dem Kapitän melden. Sie hätten mich schon um zehn Uhr ablösen müssen. Jetzt ist es fast Mittagszeit …“

Und er stapfte davon – hin zum Achterdeck … – Einsam saß hier der blinde Expräsident.

Booder blieb stehen. „Wollen Sie nicht mit in den Salon kommen, Mister Armaro?“

„Danke … Mir tut die Luft hier oben gut … – Nur eine Bitte hätte ich, könnte ich vielleicht für die Zwerge auf dem Vorschiff etwas Rauchtabak erhalten … Der Häuptling bat sehr darum …“

„Ich werde Ihnen ein paar Päckchen heraufschicken, Mister Armaro …“

Booder tat es auch. So hatte Armaro denn einen Grund, wieder zum Vorschiff hinüberzutasten …

An der Reling hockte der Häuptling, kam ihm entgegen …

Armaro verteilte den Tabak. Pullolaku zog sein Holzpfeifchen aus einer der Taschen des Bastschurzes und begannen sofort zu rauchen. Nach Art vieler Negerstämme schluckte er den Rauch hinunter.

Armaro fragte:

„Sage mir, Pullolaku, weshalb du zuerst so tatest, als ob du das Spanische nur mühsam radebrechen könntest, während du in Wahrheit doch auch das englische beherrscht …?“

„Oh – sehr einfach sein, Sennor,“ flüsterte der verschmitzte Wilde zurück … „Sehr einfach, wenn Menschen glauben, man nur sprechen Spanisch, dann sie reden vielleicht auf englisch Dinge, die mir nützlich …“

„Und woher hast du diese Sprachkenntnisse?“ forschte Armaro weiter …

„Wir hatten einen Missionar gefangengenommenen, Master Armaro … Einen Amerikaner … Er war ein Jahr bei uns mit seinen beiden Frauen … Es war ein sehr dickter Mann, und es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre er geschlachtet worden. Von ihm lernte ich vielerlei … Zuletzt ließ ich ihn und seine beiden Frauen frei …“

Armaro wunderte sich. „Ein Missionar mit zwei Frauen?! Das kann wohl nicht stimmen, Pullolaku …“

„Oh – es war ein … ein Fetischmann von einem Stamm, der viele Weiber gestattet …“

„Etwa ein Mormone?“

„Ja – – ja! So hieß der Stamm, Mormonen! – Der Missionar bereiste die ganze Welt und sammelte Geld … Auf dem Blauen Nil scheiterte seine Barke in den Stromschnellen unweit unserer Wälder …“

Armaro war dieser Mormone im übrigen sehr gleichgültig … – Er wechselte das Thema …

Das Gespräch wurde jetzt noch leiser geführt …

Wieder handelte es sich um das Tamua-Gift …

Der Häuptling weigerte sich jedoch entschieden, schon jetzt Armaro einen Teil des verderblichen Stoffes zu übergeben. Den Rauchtabak hatte er bereits erhalten. Jetzt verlangte er … Rum – gebranntes Wasser …

Und in seinen kleinen tückischen Augen leuchtete dabei eine so wilde Gier auf, daß Armaro schon an dem Tonfall der Worte des Dakihäuptlings merkte, wie sehr auch diese auf niedrigster Kulturstufe stehenden Wilden dem Alkohol verfallen waren.

Der Expräsident suchte Pullolaku zu erklären, daß das gebrannte Wasser im Lande der Amerikaner streng verboten sei, fand aber bei dem alten Zwerge wenig Glauben.

Noch mehr, der Häuptling wurde sogar recht zudringlich und bewies so dem vorsichtigen Armaro, daß diese Verbündeten kaum Vertrauen verdienten.

Trotzdem versprach der Expräsident schließlich, eine Flasche Rum zu besorgen, wobei er auf das Entgegenkommen Tom Booders rechnete.

Er verließ den Zwerg nun in recht zwiespältiger Stimmung. Eine dunkle Ahnung sagte ihm, daß er die Erreichung seines unheimlichen Zieles nur unter größten Schwierigkeiten durchsetzen würde.

Langsam tappte er mit vorgestreckten Händen zum Achterdeck. Er freute sich, daß es ihn jetzt schon recht gut gelang, seinen Weg zu finden. Nicht nur der Tastsinn, sondern auch sein Ortssinn und das Gefühl für Entfernungen waren schärfer geworden.

Als er dann die Tür des Salons öffnete, drang ihm lautes Stimmengewirr entgegen.

Booder, der an der einen Ecke der langen Tafel mit Toni Dalaargen etwas abseits saß, kam ihm sofort entgegen und führte ihn an den leeren Platz an Tonis rechter Seite.

Die Prinzessin war bereits über die Tragik im Leben dieses einst so gewaltigen und auch gewalttätigen Mannes genau unterrichtet.

Auch sie empfand nur ein ehrliches Mitleid mit diesem blinden Unglücklichen, der für seine Verbrechen nun als Strafe mit ewiger Blindheit geschlagen war.

Als Booder nun auf Armaros Bitte hin, ihm doch eine Flasche Rum für die infolge der Entbehrungen so sehr erschöpften Schiffbrüchigen zu besorgen, eilfertig in den Anrichteraum der Jacht hinüberging, begann Toni Dalaargen mit ihrer weichen zarten Stimme den Expräsidenten zu trösten und ihm auch aus gottgläubigem Herzens heraus von der Allgüte des Schöpfers zu sprechen, der jedem reuigen Sünder verzeihe …

Für Armaro waren die halb kindlichen und doch in ihrer Schlichtheit ergreifenden Worte dieses reinen Geschöpfes wie Keulenschläge auf sein verhärtetes Gewissen …

Zuerst gab er sich unwillig die größte Mühe, nicht hinzuhören …

Dann aber wirkte diese für ihn so deutlich fühlbare unendliche Menschenliebe des jungen Wesens wie der Blick in eine andere Welt …

Sein Gesicht veränderte sich …

Seelenqual zuckte um den harten Mund …

Tonis Hand berührte die seine …

Überschlanke Finger stahlen sich in kindlicher Herzlichkeit in diese Hand, die so oft mit schroffer Gebärde über Leben und Tod entschieden hatte …

Diese Berührung tat ihm unendlich wohl …

Regungslos lauschte er … Die Prinzessin erzählte jetzt freimütig von ihrem und ihrer Gefährtinnen glückseligen Leben auf der einsamen, unbekannten Insel …

Wie sie alle dort von ihrer Krankheit genesen seien … Und wie ihr Vater es verstanden habe, obwohl selbst krank, sie von ihren Wahnvorstellungen zu heilen.

Armaro horchte auf …

Insel … Insel …!! Das konnte nur das Eiland sein, das die Jacht jetzt suchte …

Und in diesem Moment, wo er wieder an den Goldschatz, an die Sphinx, Mafalda und alles Übrige erinnert wurde, schwand auch sofort die weichere Regung von ihm …

Sein Haß flammte wieder auf …

Sein Gesicht wechselte den Ausdruck …

Doch neben ihm saß ein Engel in Menschengestalt, der seine Züge aufmerksam prüfte …

Halb erschrocken fragte die Prinzessin plötzlich:

„Woran denken Sie …?! Es können keine guten Gedanken sein … – Oh – Ihre Lippen sind zu grausamem Lächeln verzerrt … Hat denn das Wort Gottes und meine Schilderung von der unermeßlichen Liebe und Güte meines armen Vaters in Ihrer Seele so gar keinen Widerhall geweckt …?“

Und sie legte nun auch ihre andere Hand auf Armaros Rechte …

„Oh – glauben Sie doch meine Worte …“ fügte sie flehend hinzu. „Nicht der Haß und die Rachsucht werden Ihnen jemals den inneren Frieden bringen! Nur die Einkehr kann es tun, die Reue und der heilige Wunsch, fortan nur Gott zu leben …“

Armaro sah sich durchschaut – von diesem halben Kinde …!

Seltsames ging in ihm vor …

Er … schämte sich plötzlich …

Er spürte hier von allen Seiten ehrliches Mitgefühl mit seinem traurigen Schicksal …

Jeder kam ihm freundlich entgegen …

Und er – er bereitete Pläne vor, die nur in dem kranken Hirn eines von ohnmächtigem Haß Zerfressenen ausreifen konnten …

Diese Scham trieb ihn von seinem Platze hoch …

„Entschuldigen Sie, Prinzessin …,“ sagte er rauh … „Ich … muß allein sein …“

Aber Toni Dalaargen hielt noch seine Hand umklammert … Stand gleichfalls auf …

Leise und eindringlich flüsterte sie:

„Ich … werde Ihnen helfen, Sie Ärmster … Ich werde Ihre Pflegerin sein … Ich werde Sie zurückführen in das Land der Glückseligen des inneren Friedens …“

Da kehrte auch schon Tom Booder zurück …

„Bitte, Mister Armaro …“ meinte er herzlich. „Das stellt Ihrem Charakter ein gutes Zeugnis aus, daß Sie so selbstlos für diese Zwerge sorgen …“

Er drückte ihm die Rumflasche in den Arm …

Und – da schämte sich Armaro zum zweiten Male … Stammelte hastig ein Dankeswort und tastete sich hinaus. –

Toni und Tom Booder setzten sich wieder …

Booder schaute die Prinzessin prüfend an. „Sie sind so ernst, so nachdenklich, Prinzessin?“

„Ja – Armaros wegen … In ihm kämpft noch das Gute mit dem Schlechten … Ich werde ihn nicht aus den Augen lassen. Er braucht jemand, der ihm den rechten Weg weist …“

Tom Booder lächelte ungläubig …

„Was sollte in dieses Mannes Seele wohl noch Schlechtes wohnen?! Er ist blind … hilflos … machtlos …“

Toni Dalaargen aber erwiderte noch ernster:

„Dann … kennen Sie Armaro noch zu wenig, Mister Booder … Sein Gesicht ist der Spiegel seiner Seele. Was ich in diesem Spiegel an Bildern erblickte, macht mich besorgt …“

„Ah – Sie trauen ihm nicht?!“ Und der Erste Offizier der Milliardärsjacht sah jetzt plötzlich Armaros Fürsorge für die Daki als etwas vielleicht Verdächtiges an …

„Trauen?!“ meinte das liebliche Mädchen sanft. „Trauen?! – Nun, ich traue mir zu, Armaro von allem zurückzuhalten, was sein Haß beabsichtigen könnte. Ob er etwas plant, erstrebt, – ich weiß es. Ich werde alle Zeit in seiner Nähe sein … Er ist blind … Und er soll mit geistigen Augen die Sonne wieder schauen lernen …“

Tom Booder wurde ein wenig bedrückt, als er nun so klar die unvergleichliche Reinheit dieses Mädchenherzens empfand …

Bedrückt deshalb, weil ihm Toni in diesen Minuten, wo sie wie eine Heilige sprach, hoch über allen irdischen Wünschen zu schweben schien.

Wie sollte er wohl je diesem Weibe von Liebe reden dürfen?! Würde sie ihn nicht ob seiner Kühnheit fremd und kühl anblicken und sich für immer von ihm abwenden?!

Und absichtlich schlug er nun rasch ein anderes Thema an …

Er wollte um jeden Preis erreichen, daß wieder ein harmloses Geplauder zwischen ihnen freundliche Fäden wob wie vorhin …

Aber seine Versuche in diese Richtung mißlangen.

Toni erhob sich bald, nachdem die Unterhaltung sich eine Weile mühsam hingeschleppt hatte …

„Ich will an Deck …“ sagte sie nur, nickte ihm zu und verließ rasch den Salon.

Oben näherte sie sich langsam dem Vorschiff … Als sie den Gang unter der Brücke an Steuerbordseite passierte, als sie nun, geschützt durch die offene Tür der Kabine Tom Booders, die ein Steward gerade säuberte, das Vorderdeck überblickte, sah sie genau, wie der Häuptling der Daki aus seinem Lendenschurz ein Ledersäckchen hervorholte, sich scheu nach allen Seiten umschaute und es dann Armaro in die Hand drückte, der es rasch in der Tasche verschwinden ließ …

Toni Dalaargen machte kehrt und setzte sich in einen der Bordstühle unter das Sonnensegel …

Gleich darauf erschien Armaro, tastete sich der Haupttreppe zu und ahnte nicht, daß sein guter Engel ihn dauernd beobachtete …

„Mister Armaro …!!“

Da fuhr er herum …

Schreck malte sich in seinen Zügen …

„Sind Sie’s, Prinzessin …,“ stammelte er verlegen …

Sie stand schon vor ihm …

„Ich bin’s … – Nun – haben die Daki sich auch dankbar gezeigt für die Flasche Rum …?“

Seine Lippen zuckten nervös …

Hatte sie vielleicht etwas gesehen? Ihre Frage klang so merkwürdig …

„Diese Wilden danken auf ihre Art …“ erklärte er dann, völlig harmlos tuend. „Der Häuptling schenkte mir eine Art Talisman, einen Fetisch, wie die Neger es nennen …“

Toni sagte leise:

„Hüten Sie sich vor diesem Fetisch … Werfen Sie ihn über Bord … Denken Sie an Ihre Seele …“

Und wieder nahm sie seine Hand …

„Mister Armaro, geben Sie mir den Fetisch …“

Kampf malte sich in seinem zuckenden Gesicht …

Und doch gewann das Schlechte die Oberhand …

„Ich werde dem Häuptling nachher das Ding wieder aushändigen, Prinzessin … Ich möchte ihn nicht dadurch verletzen, daß ich den Fetisch in die See werfe … Ich würde Pullolaku nur kränken … Ihm bedeutet der Fetisch das Höchste …“

Und rasch wandte er sich um, fand die Treppe und stieg hinab …

In seiner Kabine riegelte er sich ein …

Stand eine Weile regungslos, sinnend und wieder im Kampf mit bösen Gewalten …

„Dieses Mädchen … macht mich unsicher …“ formten sich seine Gedanken zu Worten … „Sie gewinnt Macht über mich …!“ Und dann ein häßliches Auflachen …

„José Armaro, willst du etwa in ein Kloster gehen und Buße tun, weil dieses närrische Kind mit weichen Worten dich betört …?!“

Er … verbarg das Lederbeutelchen mit dem Tamua-Gift hinter einer Leiste des Wandschrankes und warf sich dann auf sein Bett …

Seine Seele war doch aufgerührt bis in die tiefsten Tiefen …

Er versuchte die Erinnerung an diese zarte eindringliche Mädchenstimme von sich zu weisen …

Da kam ihm denn der Leibarzt des Milliardärs gerade recht, der jetzt Einlaß begehrte, um den Verband über den Augen zu erneuern.

Armaro ließ ihn ein, mußte sich auf einen Stuhl dicht vor das Kabinenfenster setzen und recht stille halten, als der Doktor nun überaus vorsichtig den Verband löste, die zerstörten Augen wusch und das angetrocknete Blut entfernte …

Und mit einem Male sagte der Arzt da:

„Ich will in Ihnen keine vorzeitigen Hoffnungen wecken, Mister Armaro … Aber – möglich ist es immerhin, daß das linke Auge Ihnen erhalten bleibt. Die Verletzungen schienen links zunächst ebenso schlimm … Doch völlig ausgelaufen ist dieses Auge nicht. Bei größter Schonung kann vielleicht die Sehkraft allmählich zurückkehren.“

Die Kabinentür hatte sich ganz leise geöffnet …

Toni Dalaargen stand auf der Schwelle … Sie hatte den Arzt die Kabine betreten sehen, hatte nun die letzten Sätze mit angehört und trat näher …

Der Doktor nickte ihr freundlich zu … –

Armaro saß wie erstarrt …

Sein Gesicht glühte … Sein Herz jagte …

Hoffnung … Hoffnung …!!

Das Augenlicht zurückerhalten …!!

Und dann – – zurückerobern, was man ihm entrissen, sein Land, seine Hauptstadt, seine Macht …!!

Und da … neben ihm ganz überraschend – die weiche gütige Mädchenstimme:

„Ich werde für Sie beten, Mister Armaro … Ich habe es schon getan … Denken Sie an meine Worte vorhin im Salon … Ist es nicht, als ob Gott mein Gebet bereits erhört habe? Ein Auge wird Ihnen erhalten bleiben …!!“

Und Armaros stürmende Hoffnungen, die auf ehrgeizigen Pfaden vorwärtsgerast waren, sanken zusammen zu bescheidenen Wünschen …

Kaum vernehmbar flüsterte er:

„Ja – beten Sie für mich … Beten Sie, Prinzessin …! Vielleicht hat Gott mir Sie wirklich als guten Engel gesandt …“

„Und – der Fetisch?“ fragte sie mahnend …

„Ich gebe ihn dem Häuptling bestimmt zurück …,“ erwiderte er fest.

Dann mischte sich der Arzt ein …

Verband die Augen wieder und verlangte, daß Armaro ein paar Stunden ruhe.

Toni und der Doktor verließen die Kabine. Draußen meinte die Prinzessin ängstlich:

„Wird er wirklich wieder sehen können, der Ärmste?“

„Wenn die Entzündung in demselben Maße zurückgeht wie bisher, wird er schon Nachmittag den ersten Schimmer des Lichtes wieder spüren, Prinzessin … Man muß freilich jede Aufregung von ihm fernhalten …“

Toni Dalaargen faltete die Hände …

„Vielleicht … vielleicht kommt diese Hoffnung zu rasch …,“ sagte sie halb zu sich selbst … „Noch lebt er zu sehr in den Banden der Vergangenheit … Aber … Gott wird helfen …“

Der Arzt verstand sie nicht …

Glaubte, daß dieses rührend schöne Kind vielleicht ein wenig an ihrem alten Leiden kranke …

Verabschiedete sich und stieg an Deck, um auf Geheiß des Milliardärs die Zwerge auf ansteckende Krankheiten zu untersuchen … –

Auf dem Bett in seiner Kabine lag José Armaro.

Nicht mehr Armaro, der durch Tonis Nähe das Schlechte wieder für Minuten zurückgescheucht hatte …

Armaro lag hier – der durch die Revolution gestürzte Präsident …

Der Napoleon Südamerikas …

Der Mann mit dem ruhelosen Geist, der ungeheuren Energie, Falschheit und Brutalität …

Oh – er würde wieder das Licht der Sonne schauen …

Er würde zurückgewinnen, was er besessen …

Geld gehörte dazu …

Der … Goldschatz …!!

Er … fieberte förmlich …

Und – im Schranke dort ruhte der große Fetisch – das Gift, das in Sekunden tötete …! – –

Die Jacht ‚Star of Manhattan’ kreuzte jetzt nach Norden zu in weiten Schlägen …

Vier Uhr nachmittags war’s …

Noch immer hatte keiner der beiden Matrosen im Mastkorb Land gemeldet …

Der Atlantik war leer …

Hier in dieser Meeresgegend sichtete man nicht einmal ein Schiff …

Tom Booder lehnte neben Kapitän Durley auf der Brücke …

„Zweckloses Suchen …,“ brummte der Kapitän …

„Wir sollten mehr ostwärts kreuzen,“ schlug Booder vor. „Dort hat mal vor Jahren ein Kreuzer ein Untiefe festgestellt, wie ich mich erinnere … Vielleicht ist diese Untiefe durch ein Seebeben aus dem Wasser als Insel emporgewachsen …“

„Meinetwegen …!“

Und Durley rief dem Mann am Steuerrad einen Befehl zu …

Eine Stunde später dann vom Krähennest herab eine Stimme:

„Gerade voraus Land …! Die Bergspitzen einer Insel!“

Auch Josua Randercild war jetzt auf der Brücke …

Der kleine Milliardär mit dem verkniffenen Bocksgesicht riß das Fernglas an die Augen.

Noch war von hier aus nichts zu bemerkten … Aber fünf Minuten darauf erspähte Randercild die Bergspitzen …

Aufatmend rief er: „Durley – bei Gott, es ist die Insel …!“

Der Kapitän nickte …

„Stimmt, Mister Randercild … Und nun?!“

„… werden wir die Nacht abwarten und dann erst landen, Durley … Man kann nie wissen, was dort geschehen ist … Diese Sphinxleute haben ja ausgesuchtes Pech … – Wir kehren als um, kreuzen bis Dunkelwerden und laufen dann erst die Insel an …“

„Sehr wohl, Master …“

Und der Kapitän gab in nötigen Befehle.

Randercild aber begab sich nun zu seinen Gästen auf das Achterdeck.

Professor Pargenter hielt hier den jungen Damen gerade einen gelehrten Vortrag über Stürme auf See und am Lande …

Der Milliardär wandte sich an Toni Dalaargen, die etwas abseits neben Tom Booder im Liegestuhl saß:

„Prinzessin, abends landen wir auf Ihrer Insel,“ sagte er herzlich. „Das Eiland wurde soeben gesichtet. Wir wollen aber lieber die Dunkelheit abwarten, damit wir dort nicht etwa zu ungelegener Zeit erscheinen …“

Toni war sofort aufgestanden …

„Oh, geben Sie mir Ihr Fernglas, Mister Randercild,“ bat sie erregt. „Ich möchte nur einen einzigen Blick dort hinüberwerfen, wo ich so wunschlos glücklich gewesen bin und wo ich auch abermals in dem heiligen Frieden der Einsamkeit leben möchte …“

Tom Booder schaute sie traurig an …

Randercild reichte ihr das Glas …

Lange schaute sie hinweg über die Wogenkämme zur Linken des Horizontes, über die sich ein paar dunkle Punkte hinausreckten, die Bergspitzen!

Aber auch die entschwanden nun, da die Jacht wieder südwärts dampfte … –

Toni gab das Glas zurück …

Sagte seufzend: „Und doch – wie anders wird uns nun unsere Insel der Glückseligkeit empfangen! Mein Vater tot, mein Bruder tot … Einsam bin ich … Mir bleibt nur noch jene Felsenheimat, jener stille Garten und jenes Haus …!“

Und wieder warf Tom Booder ihr da einen mutlosen wehen Blick zu …

Er fühlte, wie schlecht es mit den Aussichten seiner Liebe stand … –

Armaro erschien von der Treppe her …

Jetzt nur noch mit einem Verband über dem rechten Auge … Vor dem linken lediglich eine schwarzseidene Augenklappe …

Und hinter ihm her kam der Schiffsarzt …

Rief feierlich:

„Mister Armaros linkes Auge ist gerettet … – Gratulieren Sie ihm, meine Herrschaften …“

Und das tat man jetzt auch allgemein …

Da war keiner, der diesem Manne, dieser gestürzten Größe, nicht mit herzlichen Worten die Hand drückte.

Und da war einer, der diese Glückwünsche mit dem höflichen glatten Lächeln des weltklugen Diplomaten hinnahm.

Selbst als Toni Dalaargen ihm zuflüsterte: „Und … der Fetisch?“ – Selbst da verneigte er sich in derselben Weise …

„Längst erledigt, Prinzessin … Ich pflege mein Versprechen zu halten …“

Aber die liebliche Mädchenblühte fühlte die Lüge als giftigen Hauch …

Wandte sich ab und trat an die Reling …

Sie wußte jetzt, Armaro war zu schnell wieder aus den Schrecknissen ewiger Dunkelheit befreit worden …!

Zu schnell …!

Menschen wie er müssen den Kelch des Leides bis zur Neige auskosten, bevor das harte Gewissen mürbe wird …

Mit anderen Schicksalsschlägen muß die Vorsehung auf eine solche verhärtete Seele eingeschlagen …!

Traurig war die kleine Prinzessin … Empfand ihre Ohnmacht und empfand noch anderes, eine ungewisse Angst vor dem, was im Hirn dieses gleißnerischen Mannes vorgehen mochte …

Lauschend hob sie jetzt den Kopf …

Hörte, daß Randercild von der Insel sprach, das Armaro allerlei fragte …

Tom Booder trat zu ihr …

„Wollen Sie denn wirklich auf der Insel bleiben, Tonerl?“ meinte er trüge und flehend … „Weshalb wollen sie Ihre Jugend begraben, Tonerl? Sind Sie nicht Weib …?! Fühlen Sie nicht, daß Sie von der Natur dazu bestimmt sind, andere zu beglücken – einen Mann, der Sie … liebt!“

Niemand achtete auf die beiden …

Toni schaute den jungen stattlichen Amerikaner scheu an …

„Oh – solche Dinge liegen mir so unendlich fern,“ entgegnete sie ganz leise … „Liebe – Liebe zwischen Mann und Weib …?! – Nein – nein, – wie etwas Unreines erscheint mir diese Liebe …! – Sprechen Sie nicht so zu mir, Mister Booder … Niemals mehr …“

Er hatte ihre auf der Reling ruhende Hand ergriffen …

Flehte wieder:

„Tonerl, morgen vielleicht schon scheiden wir für immer … Ich kann mir nicht denken, daß … daß ich Ihnen so ganz gleichgültig bin … Tonerl, ich habe Sie lieb …“

Er fühlte, daß ihre Hand heiß wurde und zitterte …

Und doch erwiderte sie, träumerisch über das Meer blickend:

„Auch ich habe Sie lieb, Tom … Wie einen Bruder … Und deshalb bitte ich Sie nochmals, bleiben Sie bei uns auf der Insel …! Werden Sie unser Beschützer … Werden Sie mein … lieber, lieber Bruder …“

Tom Booder seufzte …

„Nein …! Das kann ich nicht!“ stieß er hervor. „Das … ist unmöglich, Tonerl … Das … überstiege meine Kräfte …“

Und jäh packte ihn dann der Schmerz, daß er sie nun doch verlieren würde …

„Niemals wird ein Mann Sie so lieben wie ich … Und nie werde ich Sie vergessen – nie!“

Dann schritt er davon …

Empor zur Brücke …

Finster starrte er in die Ferne – gen Norden …

Er haßte die Insel der Glückseligkeit … Er wünschte, daß sie wieder in den Fluten versänke …!

Und grob schnauzte er einen Matrosen an, der soeben das Geländer der Brücke putzte und dabei den Gummibelag mit dem Putzwasser bespritzt hatte …

Im selben Augenblick tat ihm seine Heftigkeit leid.

Er schenkte dem Mann eine Zigarre …

„Da – rauchen Sie, Gornic …“

Der bedankte sich grinsend …

Booder war allgemein beliebt. Man nahm ihm nichts übel … –

Und gegen halb zehn, als die Sonne am Horizont nur noch feurige Röte zurückgelassen hatte, da wendete die Jacht und dampfte nach Norden…

Da rüstete man sich auch im Salon zur gemeinsamen Abendmahlzeit …

Da stand Armaro plötzlich vor dem Koch in der blitzblanken Schiffsküche und hatte die Seidenklappe über dem linken Auge emporgehoben …

Zwar stachen ihm die Strahlen der Lampen wie sengende Blitze in das kranke Auge …

Und doch – er mußte sehen, was der Koch heute den Gästen und auch der Besatzung vorzusetzen hatte …

Mußte sich mit dem Manne anfreunden … Rechtzeitig …

Er ließ die Augenklappe wieder fallen …

Ein paar Minuten später ging er wieder an Deck und in den Salon hinab … –

Das Abendessen begann …

Stewards reichten die Speisen … Blendende Helle lag über der Tafel. Rechts von Randercild saß auf dem Ehrenplatz die Prinzessinnen Dalaargen …

Man sprach wenig bei Tisch …

Man dachte nur daran, was man auf der Insel finden würde …

Und derweil näherte die Jacht sich der Südküste und bog jetzt in dieselbe Bucht ein, in die auch vor Tagen das Notfahrzeug eines Teiles der Sphinxleute eingelaufen war, die beiden durch Taue verbundenen Wracks der Wasserflugzeuge!

Langsam schlich der ‚Star of Manhattan’ hier im unbekannten Fahrwasser vorwärts …

Booder stand ganz vorn an der Spitze und beobachtete die Leute, die die Tiefe ausloteten …

Dann der runde Binnensee …

Ganz so, wie Toni ihn Booder beschrieben hatte …

Und gleißend glitt der Scheinwerfer hier über düstere Felsenmauern …

Die Maschine stoppte …

Anker rasselten in die Tiefe …

Im Salon rief Josua Randercild:

„Wir haben die Insel erreicht … Die Überraschung ist mir geglückt … Die Anker sind soeben niedergegangen …“

Alles sprang auf …

Toni eilte schon die Treppe hinan.

Hinter ihr die Gefährtinnen …

Und oben an Deck ein vielfacher Ruf aus Mädchenkehlen:

„Die Insel – – unsere Insel …!!“

Als Antwort von den Steilwänden ein rasch verhallendes Echo …

Dann … Schüsse …

Geknatter …

Kugeln pfiffen über das Deck …

Grelle Schreie getroffener Matrosen …

Schüsse …

Geknatter …

Flüche …

Und aus dem Dunkel der Uferwände ein heiserer Ton – ein heulender Laut – ansteigend zu schrillstem Triller …

Signal für die Daki-Zwerge …

Signal aus Maupatis Kehle … Das Angriffsgeschrei, wie es in den heimischen Urwäldern der schwarzen Gnomen üblich war … Aufreizend und zur Wut und Todesverachtung aufstachelnd … Töne, die man nie vergißt, wenn man sie auch nur ein einziges Mal gehört hat … –

Maupati hatte auf dem Vorderdeck die Stammesgenossen längst erkannt … Hoffte mit Mafalda auf deren Unterstützung …

Aber des kleinen Milliardärs Geistesgegenwart entschied die bedrohliche Lage …

Den Mädchen rief er zu, sich hinter der Reling zu ducken …

Den Leuten am Scheinwerfer:

„Licht aus …!!“

Und seine Matrosen versagten nicht …

Noch immer pfiffen die Kugeln über das Deck …

Schon knallten die Gewehre der Amerikaner gefährliche Antwort …

Im Sternenlicht sah man droben an den Uferwänden huschende Gestalten …

Josua Randercild war nach vorn geeilt … Eigenhändig riß er die Ölleinwand von dem modernen Geschütz …

Tom Booder erschien neben ihm …

Im Nu war eine der Gasgranaten im Rohr …

Der Verschluß klappte zu …

Randercild spielte Richtkanonier … Der Wind stand günstig, mußte das tödliche Gas über die Abgänge verteilen …

Ein Feuerstrahl schoß aus der Mündung …

Der Knall weckte in den schroffen Wänden donnernde Echos … Die Granate krepierte … Geröll polterte herab … Zwei – drei Zwerge folgten, stürzten kopfüber in die Tiefe … –

Auch Armaro war jetzt plötzlich auf dem Vorschrift … neben Pullolaku, dem alten Häuptling …

Flüsterte mit ihm …

Und gerade da von der höchsten Spitze der nordwestlichen Wände abermals Maupatis Angriffstriller …

Und – abermals umsonst …

Und Schuß auf Schuß von der Jacht her …

Von drüben nur selten noch eine Kugel …

Wieder rollten ein paar Daki, vom Gase betäubt, den Abhang hinab …

Jetzt … nichts mehr …

Stille …

Minutenlang …

Bis ein Ruf vom Ostufer des Binnensees Randercild herumfahren ließ:

„Hallo – – hallo, hier Gerhard Nielsen …!! Schickt ein Boot …!!“

 

146. Kapitel.

Der Lebensnerv der Sphinx.

Selten wohl ist eine Hochzeitsfeier in so brutaler Weise gestört worden wie die Agnes Sandens …

Und doch hatte auch diesmal den Sphinxleuten das Schicksal in der Person des braven Tiermenschen Murat einen Helfer bestimmt, der, als einziger der Gefangennahme entgangen, auf seiner Flucht das Wrack der ‚Sonora’ in der östlichen Bucht gefunden und dann auch in der Vorschiffkammer die vier Gefährten entdeckt hatte …

Als Murats Gestalt in der Tür des Verschlages sichtbar wurde, hatte Doktor Falz, der genau wie Pasqual Oretto bereits bei Bewußtsein war, ihm zugerufen:

„Murat – – du?! Trügen meine Augen …?! – – Schnell, zerschneide unsere Fesseln … Hier in meiner Hosentasche steckt mein Messer …“

Der Homgori taumelte jedoch plötzlich in einem Anfall von Schwäche gegen die Wand …

Die Anstrengungen der übereilten Flucht aus dem einsamen Hause, das Erklettern der steilen Abgänge und das ebenso mühsame Hinabsteigen in tiefe Schluchten waren für den schwerverwundeten Homgori – selbst für dessen kräftige Natur! – zuviel gewesen …

Matt lehnte er an der Bretterwand …

Fühlte, wie ihm blutiger Schaum aus der zerschossenen Lunge in den Mund quoll …

Seine stämmigen Beine zitterten, wollten den mächtigen Leib nicht mehr tragen …

Seine Sinne verwirrten sich … Hilflos stand er da – mit hängenden Armen …

Und wieder rief Dagobert Falz ihn an …

„Murat, Murat, – – beeile dich … Wir …“

Da war der Affenmensch nach vorn in die Knie gesunken. Mit ungeheurer Anstrengung schleppte er sich zu Falz hin … Wollte irgend etwas sagen …

Ein Blutstrom drang ihm aus dem Munde …

Und doch tastete er nach dem Messer des Doktors …

Schon mit halb umflorten Augen …

Öffnete die große Klinge …

Mit letzter Kraft zwei Schnitte …

Falz hatte die Hände frei …

Und Murat … sank ohnmächtig zusammen, regte sich nicht mehr.

Der Doktor hatte im Umsehen auch Pasqual Oretto, Hartwich und Ellen befreit …

Hatte Pasqual zunächst nach oben an Deck geschickt.

„Sehen Sie, wie es dort steht, Freund Oretto … Ich werde mich um Ellen und Georg bemühen … Auch um den treuen Murat …“ –

Der Hafentaucher von Lissabon fand oben das Deck leer …

Fand in der Kapitänskajüte die völlig verschüchterten Daki-Weiber …

Kümmerte sich um die kleinen Scheusale nicht weiter … Suchte nach Waffen … Mit drei Revolvern und einer ganzen Menge Patronen erschien er wieder im Vorschiffgang. Hier lagen jetzt das Ehepaar Hartwich und Murat – alle drei noch ohne Bewußtsein …

Pasqual packte des Doktors Arm … Der wackere Alte war erregt wie selten …

„Sennor Falz, – – oben an Deck liegt der Schatz!! Und nur fünf von diesen schwarzen Zwergenweibern sind an Bord … – Wir werden den Dampfer aus der Bucht hinausbringen … Die Weiber jagen wir unten in den Raum und sperren sie dort ein … – Was sollen wir Besseres tun?! Mit diesen dreien da können wir doch nicht fliehen … Vorwärts – kommen Sie mit … Ich als Seemann lotse diesen wracken Kasten schon aus der Bucht heraus … Die Zwerge haben ein Notsegel am Vordermast befestigt …“

Der Doktor erkannte, daß dieser Plan Orettos für den Augenblick die einzige Möglichkeit war, die soeben wiedergewonnene Freiheit nicht sofort wieder zu verlieren …

So folgte er denn dem Portugiesen an Deck, half ihm, die Daki-Weiber einzusperren und dann den Dampfer zur Bucht hinauszusteuern.

Freilich – endlos lange dauerte es, bevor das Wrack auch nur etwas in Fahrt kam …

Falz wunderte sich, daß Mafalda, Lomatz und die Zwerge den Schatz so ganz sorglos hier an Bord zurückgelassen hatten, auch darüber, daß die ganze Bande noch immer nicht zurückkehrte …

Er ahnte ja nicht, daß die Fürstin Sarratow über ihren wilden Rachegedanken, über der Meldung von der Feier im einsamen Hause alles andere vergessen hatte. –

Fast zwanzig Minuten brauchte die ‚Sonora’, bis sie das offene Meer erreicht hatte. Und noch immer war von Mafalda und ihren Verbündeten nichts zu bemerken.

Pasqual steuerte den Dampfer jetzt auf eine Reihe von großen Riffen zu, die hier vor der Ostküste der schwarzen Insel eine Gruppe winzigster Eilande bildeten.

Einige dieser Riffe waren immerhin so hoch, daß sie den Dampfer gegen Sicht von Land aus genügend decken mußten, wenn man nur den Vordermast kappte.

Und das tat Oretto jetzt, nachdem man das Wrack zwischen den Riffen sicher vertäut hatte.

Des Tauchers muskelstrotzende Arme führten mit einer Axt so wuchtige Hiebe gegen den Fuß des Mastbaumes, daß dieser schon nach wenigen Minuten mit Krachen und Splittern seitwärts umstürzte, – nach der offenen See zu …

So hatte Pasqual es gewollt.

Und ebenso eilig wurde dann auch noch das Geländer der ohnedies schon halb weggerissenen Kommandobrücke entfernt, da es über die Riffe allzu deutlich hinwegragte. Selbst der Flaggenstock am Heck verschwand. Nun erst war Oretto zufrieden … Meinte lachend zu Doktor Falz:

„Jetzt mag dieses Weib uns suchen …! Auch von den Uferhöhnen aus ist das Wrack hier kaum zu bemerken …! – So – nun kommt die Reihe an unsere Freunde … Tragen wir sie an Deck …“

Es geschah …

Und hier in der frischen Salzluft des Ozeans schlug denn auch Ellen Hartwich sehr bald die Augen auf …

Falz bemühte sich weiter um Murat, dessen Zustand recht bedenklich schien. – Pasqual beruhigte Ellen, die ihres Gatten wegen in größter Sorge war und nun Oretto nach Kräften bei den Wiederbelebungsversuchen unterstützte. Freilich, auch sie war noch so schwach, daß nur die Angst der Liebe ihre Mattigkeit überwand und das nur der Wille den erschöpften Körper stets von neuem anfeuerte.

Endlich zeigte sich dann auch bei Steuermann Hartwich durch laute Atemzüge und krampfähnliche Bewegungen zu Ellens unaussprechlicher Freude die allmähliche Wiederkehr der Besinnung.

Georg Hartwich hatte jedoch durch das giftige Gas am meisten gelitten, denn sein Gesicht behielt die leichenähnliche Farbe noch eine volle Stunde bei und rötete sich erst ein wenig, als Doktor Falz ihm ein Glas Wasser, das mit Rum vermischt war, einflößte.

Inzwischen war auch Murat erwacht …

Der Homgori fieberte. Man trug ihn daher in die Kapitänskajüte auf das Bett, und Doktor Falz gab ihm aus der Schiffsapotheke ein Medikament ein, wonach das bereits recht hohe Wundfieber wieder etwas nachließ.

Pasqual Oretto, der jetzt Ellen die Pflege ihres Mannes überlassen konnte, hatte mit einem Fernglas auf einem der Riffe dicht neben dem Dampfer hinter Steinen sich niedergelegt und die kaum dreihundert Meter entfernte Küste beobachtet.

Doch – weder Mafalda noch sonst ein lebendes Wesen außer den Seevögeln war an den schroffen Gestaden sichtbar geworden.

Es war jetzt halb acht Uhr abends. Georg Hartwich begann soeben mit Ellens Hilfe langsam an Deck auf und ab zu gehen, als Oretto von seinem Ausguck dem jungen Paare zurief:

„Hallo – – die Fürstin steht oben auf dem Kap an der Nordseite der Bucht … Sie sucht den Dampfer … Bisher hat sie uns nicht bemerkt … Sie vermutet das Wrack wohl weit draußen …“ –

Neben Mafalda tauchte nun auch Edgar Lomatz auf …

Die Fürstin war geradezu verstört über das unerklärliche Verschwinden des wracken Dampfers …

„Die vier Gefangenen müssen sich befreit haben!“ meinte sie in ohnmächtigem Grimm …

Daß Murat dem Überfall auf das einsame Haus entgangen war, ahnte sie nicht. Sie hatte den Homgori völlig vergessen.

Auch Lomatz’ finstere Miene verriet, wie sehr ihn diese Flucht der Gefangenen beunruhigte. Der Verlust des Schatzes war ihm gleichgültiger. Er dachte stets zunächst an seine persönliche Sicherheit. Und die sah er nun gefährdet. Irgendein Zufall konnte dem Dampfer ‚Sonora’ ein anderes Schiff in den Weg führen. Und dann würde man hierher zurückkehren und ihn und Mafalda festnehmen, würde Gaupenberg und dessen Freunde aus dem Kegelkrater wieder herausholen, und – – das Spiel war aus …!

Während Lomatz so noch über die Folgen des Entweichens der vier Sphinxleute nachgrübelte, hatte die Fürstin Sarratow sich langsam umgedreht und musterte nun auch den südlichen Horizont mit Hilfe des Fernglases.

Und – da erspähte sie tatsächlich ein Schiff, freilich nur noch als winzigen Punkt. Es entfernte sich nach Norden zu, kam sehr bald ganz außer Sicht, und diese Fahrtrichtung gab Mafaldas die Gewißheit, daß es sich nur um die ‚Sonora’ handeln konnte.

Sie hatte Lomatz durch einen Zuruf auf das Schiff aufmerksam gemacht …

Er war genau ihrer Meinungs. Es mußte der Dampfer sein!

Und seine gereizte Stimmung machte sich nun in Worten Luft, die so recht bewiesen, wie locker das Band der Kameradschaft zwischen diesen beiden Verbündeten war …

„Natürlich – du mußtest ja Hals über Kopf das Hochzeitsfest stören!“ stieß er in höhnischer Wut hervor. „Du hast Gaupenberg noch immer nicht vergessen … Wenn es darauf ankommt, deinen Haß gegen ihn und Agnes Sanden irgendwie in die Tat umsetzen zu können, dann vernachlässigst du alles andere! Ein Wahnsinn war’s, den Dampfer mit den wenigen Zwerginnen allein zu lassen …! Nun haben wir die Bescherung! Wir sind hier … gefangen …!! Wie wollen wir von hier fort?! Die Sphinx ist unbrauchbar … Die Schufte haben die Sphinxröhre aus dem Behälter am Heck herausgenommen und irgendwo versteckt …! – Eine nette Lage für uns …!! Wenn die ‚Sonora’ jetzt ein anderes Schiff herbeiholt, dann … sind wir beide geliefert – liebe Mafalda!! Man wird mit uns kurzen Prozeß machen, denn wir haben schon wahrlich übergenug auf dem Kerbholz!“

Die Fürstin Sarratow hatte noch immer das Fernglas an den Augen und starrte dorthin, wo soeben ihrer Ansicht nach der Dampfer ‚Sonora’ verschwunden war. Hätte sie geahnt, daß jenes Schiff die Milliardärsjacht ‚Star of Manhattan’ gewesen, so würde sie wohl weniger ehrlich in ihrer Antwort Lomatz gegenüber gewesen sein …

Sie ließ das Glas sinken, wandte sich langsam um …

Ein Blick traf Lomatz – nicht anderes, als ob Mafalda einen räudigen Köter anblickte …

„Feigling, zitterst du schon wieder um dein erbärmliches Leben?!“ meinte sie mit so unverhohlener Verachtung, daß dem Verbrecher vor jähem Haß gegen dieses Weib das Blut ins Gesicht schoß … „Mir machst du Vorwürfe, weil ich diese gute Gelegenheit benutzt und die Sphinxleute ohne Kampf überwältigt habe?! Warst du nicht selbst damit einverstanden?! Und jetzt, wo du …“

Edgar Lomatz’ verlebte Züge waren verzerrt …

„Ich verbitte mir diesen Ton!“ schrie er seine heimliche Feindin grob an … „Ein Bündnis mit dir ist noch jedem zum Verhängnis geworden …! Jimminez ist tot, und Armaro, dein einstiger Liebhaber, hat … durch dich das Augenlicht verloren! Wer weiß, wie ich noch einmal durch deine Schuld ende …! Wer sich mit einem Weibe einläßt, das anstatt durch kühlen Verstand nur durch eifersüchtige Regungen sich beherrschen läßt, ist ein Narr …! Abermals sehe ich das jetzt ein – leider zu spät …!!“

Und wütend schritt er den Abhang hinab und kehrte auf kürzestem Wege zum einsamen Hause zurück, wo die tierische Rotte der Daki im Garten unbekümmert auf dem Rasen hockte und sich an den im Vorratsraum gefundenen Lebensmitteln gütlich tat.

Mafalda hatte Lomatz mit Blicken nachgeschaut, die nichts Gutes verrieten.

„Da bleibt ein feiger Lump …,“ murmelte sie … „Und doch hätte ich mich beherrschen sollen …! Vorläufig sind wir ja noch aufeinander angewiesen … Und – so ganz unrecht hat er nicht …! Unsere Lage ist verzweifelt …!“

Auch ihr Gesicht verzerrte sich jetzt …

„Abermals verspielt – abermals den Schatz verloren …!! – Wenn wir nur die Sphinxröhre fänden! Man könnte dann doch wenigstens die Insel verlassen, auch ohne daß Gaupenbergs Luftboot durch die Motoren und Propeller vorwärtsbewegt wird und sich steuern läßt! Es wäre doch wie ein Freiballon – ein Beförderungsmittel! Und – – Agnes Sanden könnte man … mitnehmen – – Agnes!!“

Schon wieder flammte die ohnmächtige Eifersucht in diesem Weibe auf – trotz Lomatz’ höhnischer Vorhaltungen!

Mafalda hatte ja Viktor Gaupenberg wiedergesehen, hatte seine Verachtung gespürt, hatte gefühlt, wie ihr leidenschaftliches verderbtes Herz diesen Mann nie vergessen könnte – – nie!!

Einsam stand sie jetzt hier auf dem hohen steilen Kap am Buchtausgang, umspielt von den Strahlen der bereits sinkenden Sonne …

Ihre gertenschlanke und wieder auch so üppige Gestalt zeichnete sich scharf gegen den klaren Himmel ab …

Und unten hinter den hohen Riffen belauerten mehrere Augenpaare jede ihrer Bewegungen …

Unten dort im Versteck der ‚Sonora’ sagte Oretto zu dem Ehepaar Hartwich: „Lomatz und Mafalda haben sich gezankt … unseretwegen! Wer weiß, mit welcherlei Vorwürfen sie sich gegenseitig überhäuft haben …! Ein feines Gespann, die beiden …!!“ Und rauh auflachend: „Die Hauptsache aber, sie haben uns nicht bemerkt! Wenn nur erst die Nacht käme! Dann könnten wir hinüber zur schwarzen Insel und feststellen, was aus unseren Freunden geworden ist. Möglich auch, daß Murat uns bis dahin Auskunft zu geben vermag, der Arme tapferer Bursche …!“ –

Die Fürstin Sarratow stieg den Steilhang hinab und langte gerade bei dem einsamen Hause an, als die Daki-Zwerge auf Lomatz’ Befehl die nähere Umgebung nach der Sphinxröhre absuchten. Lomatz half selbst mit.

Urplötzlich stand Mafalda neben ihm …

Streckte ihm die Hand hin …

„Verzeih mir meine Unliebenswürdigkeit von vorhin,“ meinte sie leicht verlegen. „Meine Nerven spielen mir jetzt so manchen Streich … Es ist eine Torheit von uns beiden, nicht Frieden zu halten …“

Lomatz legte kaum die Fingerspitzen in ihre Rechte …

„Schon gut, Mafalda … Wir wissen längst, wie wir miteinander daran sind … Ein solches Zweckmäßigkeitsbündnis wie das unsere geht leicht in die Brüche.“

Dann zog er seine Hand wieder zurück, fügte hinzu:

„Ich hoffe, wir werden die Sphinxröhre finden … Gib ein wenig auf die kleinen schwarzen Ungeheuer acht, damit die Bande nicht etwa die Röhre beschädigt … Ich will jetzt den Stall hier durchsuchen – unser einstiges Gefängnis …! Du besinnst dich …! Ich war’s, Mafalda, der uns hier die Freiheit wieder verschaffte … Du solltest an derlei Kleinigkeiten denken, wenn deine Nerven … sich melden …!“

Und er betrat den Stall …

Durchstöberte jeden Winkel … Sah in dem einen Raume das Handwerkszeug des einstigen Erbauers dieses Hauses liegen, des alten Herzogs Dalaargen, der nun bereits im Atlantik nach Seemannsart ein Grab gefunden …

Und hier … fand er in einem Holzkästen unter Hobelspänen die Sphinxröhre, den Lebensnerv des Luftbootes … – die letzte der Wunderröhren, die Gaupenberg mit auf die abenteuerliche Reise genommen …

Lomatz’ Augen sprühten … Sein Mund verzog sich höhnisch …

Und – noch sorgfältiger verbarg er die kostbare Röhre …

Verließ den Stall erst nach zehn Minuten und tat so, als ob er draußen im Geröll des nahen Abgangs weiter suchte …

Die Fürstin näherte sich ihm …

Sagte ein wenig besorgt: „Ich möchte einmal nach dem Binnensee hinübergehen und die Grotten betreten. Wir haben zwar den Schacht, der den Verbindungsweg nach dem Kegelkrater in dem Nordwestplateau darstellt, verrammelt, aber man kann unseren Gefangenen gegenüber nicht vorsichtig genug sein … Willst du mich begleiten?“

Lomatz fühlte deutlich, daß Mafalda ihm nicht traute, daß sie ihn nur deshalb mit nach den Grotten nennen wollte, damit er nicht etwa inzwischen die Sphinxröhre fände und dies dann vor ihr geheim hielte. Innerlich frohlockte er jetzt voller Schadenfreude. Mafalda hätte ahnen sollen, was er im Stalle entdeckt hatte …!

Äußerlich blieb er gleichmütig, meinte nur: „Ich habe Maupatis Bande ja genügend zur Vorsicht ermahnt … Sie werden die Röhre ja nicht gleich zertrümmern. Gehen wir also … Deine Bedenken sind gerechtfertigt … Gaupenbergs Getreue haben schon das Unmöglichste möglich gemacht.“

Sie nahmen eine Laterne mit, durchschritten den Garten, erstiegen die Felsenhügel am Ufer des Binnensees und standen dann auf der breiten Plattform vor der offenen Steintür.

Lomatz zündete die Laterne an und sagte dabei: „Diese Insel ist in der Tat der reinen Fuchsbau … Hoffentlich gibt es auf dem Kegelkrater nicht noch einen dritten Ausgang …“

„Bestimmt nicht!“ erklärte die Fürstin sehr zuversichtlich. „Ich kenne den Kegelkrater ja zur Genüge.“

Sie verschwand in der Tür …

Der Lichtschein glitt über dunkles Gestein, über den mächtigen Dom mit den seltsamen Lavagebilden …

Dann die Schachtöffnung an der linken Seite, die mit einer Felsplatte verschlossen worden war, auf die man noch Steine gehäuft hatte …

„Hier dringt das giftige Gas nach oben, das auch den Gang zum Kegelkrater teilweise füllt,“ sagte die Fürstin merkwürdig gedehnt. „Und wie gefährlich dieses Gas ist, das habe ich am eigenen Leibe erfahren …“

Immer langsamer sprach sie …

In ihrer Stimme war ein geheimes Wünschen …

Lomatz schaute sie forschend an …

Und dann begriff er …

„Ah – du denkst, das aus den Erdinnern dort unten hervorquellende Gas müßte den Verbindungsgang und auch den Kegelkrater, wo wir die Gefangenen untergebracht haben, vollends anfüllen, wenn wir …“

Da fiel sie ihm ins Wort …

„Ich denke gar nicht … Ich halte es nur für richtig, diese Öffnung hier luftdicht zu verschließen … Wenn wir von oben aus der Wohngrotte ein Segel holen, wenn wir dies über den Schacht decken und dann erst die Festplatte, Steine und Sand darüberlegen, so …“

„Mafalda …!! Also doch …!! Du willst sie alle … umbringen …!!“ Lomatz war mit einem Schritt zurückgetreten. Ihm graute jezt vor dieses Weibes satanischer Tücke.

Sie zuckte die Achseln …

„Umbringen?! – Ich will ihre Flucht verhindern … – Komm, holen wir ein Stück Segelleinen …“

Er zauderte noch …

Dann aber erinnerte er sich an … die Sphinxröhre … Ihm würde es ein leichtes sein, sie in das Gehäuse einzufügen. Er war Techniker von Beruf – war es mal gewesen – früher, bevor er … zum Verbrecher wurde, bevor er auf Mafaldas Geheiß als Privatsekretär sich in die Gaupenburg eingeschmuggelt hatte, um dort den Kampf um den Milliardenschatz zu eröffnen …

Und der Gedanke an die Sphinx, die ihn allein im Notfall durch die Lüfte davontragen würde, zerstreute seine Bedenken gegen der Fürstin neuesten Mordplan …

Er schritt voran … Den steilen Felsengang empor.

Und oben in der Wohngrotte empfing sie freundliche Tageshelle, die durch die Fenster hereinflutete …

Hier hatte Gaupenberg auf jenem Bett dort als Schwerleidender gelegen … Und dort auf der Matratze hatte Murat stöhnend im Wundfieber sich umhergeworfen …

Hier fanden die beiden Abenteurer, was sie suchten, ein großes Stück Ölleinwand, nahmen es mit hinab und … verschlossen die Schachtöffnung, wie die Fürstin es ersonnen, um all die Unglücklichen dort in dem Kegelkrater zu ersticken …

Schweigend arbeiteten Mafalda und Lomatz …

Das schlechte Gewissen machte sie stumm. Als sie dann durch die Steintür wieder ins Freie traten, erstrahlte der Abendhimmel bereits in leuchtendem Rot.

Sie kehrten zum einsamen Hause zurück … Wieder schweigend …

Und jedes von ihnen malte sich in Gedanken aus, wie das giftige geruchlose Gas, dieser Atem der vulkanischen Gewalten, allmählich in dem Verbindungsgang weiter und weiter vordringen würde, da es den Gasen jetzt an einem anderen Abzug fehlte … –

Die Daki, unter Führung des hinterlistigen Maupati, suchten noch immer nach der Sphinxröhre.

Mafalda trieb sie trotz der jetzt rasch hereinbrechenden Dunkelheit zu erneutem Eifer an … Besonders Maupati machte sie klar, daß man nur mit Hilfe des Luftbootes den Dampfer wieder einholen könnte, auf dem sich doch nicht nur der Schatz, sondern auch die Daki-Weiber befänden …

Freilich, die Weiber waren den schwarzen Gnomen höchst gleichgültig. Als sie gehört hatten, daß die wracke ‚Sonora’ verschwunden sei, hatten sie dies ohne jede Erregung hingenommen. Bei ihnen waren die Weiber nichts als Sklavinnen. Von irgend einer Zuneigung konnte zwischen den Geschlechtern keine Rede sein. –

Aber die Nacht kam herbei, und alles Suchen blieb erfolglos …

Da schickte den Lomatz je einen der Daki auf die Uferhöhnen der Insel als Wachtposten – im Norden, Süden, Westen und Osten. Mafalda übernahm es, die Leute recht günstig aufzustellen. Kaum war sie mit den vier Dakis verschwunden, als Lomatz auch Maupati und die übrige Horde entfernte, indem er ihnen befahl, auf dem Nordwestplateau den im hohlen Felstrümmerhügel liegenden Eingang zum Kegelkrater noch sicherer zu verrammeln.

Die Schar zog ab.

Lomatz war allein …

Das schwindende Tageslicht genügte ihm gerade noch, die Sphinxröhre in das Gehäuse einfügen zu können. Ein Versuch, ob die Sphinx nach Einschalten des elektrischen Stromes in die Röhre wirklich stieg, fiel zur Zufriedenheit aus. Das Luftboot gehorchte dem Hebeldruck tadellos.

Lomatz hoffte, daß Mafalda kaum auf den Gedanken kommen würde, das Gehäuse am Heck jetzt noch näher anzusehen. Wie sollte sie auch?! Sie war überzeugt, daß die Sphinxröhre noch irgendwo versteckt läge. –

Es mochte zehn Uhr abends sein, als die Fürstin im einsamen Hause wieder erschien. Sie fand Lomatz im Speisesaal bei der Abendmahlzeit. Die Daki lagerten im Garten, waren ebenfalls schon von dem Plateau zurückgekehrt.

Mafalda setzte sich zu Lomatz an den Tisch. Er hatte eine der Karbidlampen angezündet und auch für die Fürstin ein Gedeck bereitgelegt.

Der Lampenschein reichte bis zum Hintergrund des großen Raumes, wo noch der Altar stand – wo der Blumenschmuck, bereits verwelkt, noch an die so jäh unterbrochene Trauung erinnerte.

Die beiden Menschen, die jetzt hier wortkarg und gedankenvoll ihre Mahlzeit einnahmen, wagten sich kaum anzublicken, wenn sie gelegentlich doch irgend eine gleichgültige Bemerkung austauschten …

Beide dachten an dasselbe …

Wie ein Zwang war’s, der in ihrer Phantasie stets von neuem grauenvolle Bilder weckte, die auf das furchtbare Schicksal der im Kegelkrater Eingeschlossenen Bezug hatten …

Bis Lomatz dann plötzlich aufsprang und Mafaldas Hand mit rohem Griff packte und schüttelte …

„Weib, – mir bleibt jeder Bissen im Halse stecken!“ schrie er heiser „Das – das darf nicht sein …!! Das ist feiger Massenmord …!! Ich bin wahrhaftig kein Schwächling … Ich habe manches getan, was ich gern ungeschehen machen möchte …! Aber dies hier … – Nein, – – wir werden den Schacht im Kraterdom wieder öffnen, damit das Gas Abzug bekommt …!“

Die Fürstin Sarratow hatte sich ein wenig scheu zusammengeduckt … Ihr Kopf neigte sich nach vorn …

Aber – heimlich spielte ein Lächeln um ihre Lippen.

Das Lächeln … der Tigerin Mafalda …

Sie flüsterte nun:

„Ja … gehen wir … Auch ich bereue schon, daß …“

Lomatz’ Hohnlachen pflückte ihr das Wort vom Munde …

„Du – – gereuen?! Du?! Hältst du mich für einen Idioten, daß ich das glauben soll?! – Nein – du hoffst, daß das Gas schon alle … erledigt hat! Ich habe dich hier beobachtet … Ich sah, wie in deinen Augen der Haß aufglomm, wenn du nach dem Altar hinschautest …! Geile Närrin, der noch immer der Graf im Kopfe steckt …! Doppelte Närrin, da du nicht den Stolz aufbringst, diesen Mann aus deinem Gedächtnis als Liebhaber zu streichen … Als … Feind denke an ihn! Nicht aber mit flackernden Sinnen!“

Und erneut auflachend nahm er die Laterne vom Stuhl und wollte das Zimmer verlassen …

Die Tür wurde aufgerissen …

Einer der Daki-Posten stand vor Lomatz.

Gestikulierte wild mit den Armen, deutete nach Süden, suchte durch allerhand Zeichen zu erklären, daß ein Schiff sich der Inseln nähere …

Das brachte auch Mafalda auf die Beine …

Der Zank mit Lomatz war ausgelöscht …

Gemeinsam liefen sie wie gehetzt zur nächsten Kuppe, von der aus sie den Ozean nach Süden zu überschauen konnten …

Das Heer der Sterne flimmerte am nächtlichen Firmament …

Und spendete genügend Licht, um tatsächlich durch das Fernglas ein Schiff zu erkennen, das dunkel und unheimlich mit gelöschten Bordlaternen der schwarzen Insel zusteuerte …

„Die Milliardärsjacht!“ rief Lomatz mit entstellter Stimme …

Und Mafalda bestätigte:

„Der ‚Star of Manhattan’ …! Die weiße Luxusjacht …!“

Und leiser fügte sie hinzu:

„Wenn wir sie nicht zurückscheuchen können, sind wir verloren, Lomatz …!“

Lomatz beobachtete die Jacht …

Meinte: „Sie will in die Südbucht einlaufen – also in den Binnensee … Wenn wir die Daki am Buchtufer verteilen und überraschen feuern, können wir die Besatzung vielleicht derart zusammenschießen, daß wir die Herren der Jacht werden, die doch jetzt aller Wahrscheinlichkeit nach den Schatz und unsere vier Gefangenen an Bord hat … – Eilen wir zum Hause zurück … Sehen wir, wie Maupati sich zu unserem Plane stellt … Ihm folgend seine Knirpse ohne Bedenken …“

 

147. Kapitel.

Maupati und Nielsen.

Maupati …!!

Dieser kleine schwarze Kerl aus den Urwäldern der Nilquellen war ein Kapitel für sich …

Ein … dunkles Kapitel. Dunkel wie Maupatis Haut war auch sein Charakter. In den Zwergencharakter hat schon die deutsche Volkssage Tücke, Boshaftigkeit und manch andere fragwürdige Eigenschaften hineingelegt …

Maupati war noch mehr als das. Er war grausam, brutal, eine heimtückische Bestie, stolz auf seine geistigen Fähigkeiten … Als Bootsmann auf der Nilbarke hatte er den Respekt vor den Europäern verloren …

Und diesem Maupati hatte der Mormonenpriester Samuel Tillertucky heimlich ein Zeichen gegeben, als die bewaffneten Daki mit Gewehren und Revolvern in den zur Kapelle umgewandelten Speisesaal hineingedroht hatten …

Der dicke Mormone war freilich im ersten Moment entsetzt gewesen, als er hier auf der entlegenen Insel im Atlantik seine grausamen Peiniger von früher wiedererkannte … Ein endloses Jahr hatte Tillertucky mit seinen beiden Frauen bei den Daki als Gefangener gelebt und geduldet …

Und jetzt – tauchten diese blutdürstigen kleinen Geschöpfe hier abermals auf …

Nur den Zeigefinger hatte der Mormone auf die Lippen gelegt und Maupati dabei scharf angesehen …

Der begriff, daß er Tillertucky nicht als alten Bekannten begrüßen solle, und … gehorchte auch – nur in dem dunklen Gefühl, daß er davon irgendwie Vorteile haben könnte …

Als ihn dann Lomatz viele Stunden später den Auftrag gab, den Zugang zum Kegelkrater auf dem Nordwestplateau noch sicherer zu verrammeln, als Maupati mit seiner Horde davonzog und Lomatz dann die Sphinxröhre unbeobachtet in das Gehäuse einfügte, da hatte der Anführer der Daki bereits den Entschluß gefaßt, sich jetzt mit dem Mormonen in Verbindung zu setzen.

Kaum war der Trupp im Innern des Felsentrümmerhügels angelangt, kaum waren die Steine von dem Felsenloche flink entfernt worden, als Maupati sich auch schon hinabbeugte und in die Finsternis dort unten hineinrief:

„Hallo, Mister Tillertucky … Hier sein Maupati … Hier sein die Daki …“

Und da – – folgte nichts …

Keine Antwort …

Nichts …

Nochmals kreischte Maupati seinen Anruf in die Tiefe …

Starrte in die Finsternis hinab …

Bückte sich noch tiefer, warf sich der Länge nach auf den Steinboden …

Horchte …

Hier im Innern des Felsenhügels war’s fast völlig dunkel. Nur tastend hatten sich die Zwerge hineingefunden, nur tastend die Felsplatten und Steine über dem Loche beiseite geräumt …

Und zum dritten Male wollte der Dakiführer seine Stimme ertönen lassen …

Da geschah etwas, das die umstehenden Zwerge in keiner Weise begriffen …

Maupati verschwand plötzlich in dem Loche … Es war, als ob eine geheimnisvolle unsichtbare Kraft ihn hinabzöge in die Tiefe …

Verzweifelt strampelte er mit beiden Beinen, schlug mit den Armen um sich …

Dann – war nichts mehr von ihm zu sehen … –

Die Daki oben, von abergläubischem Schreck befallen, verharrten lautlos – regungslos …

Minuten tiefe Stille …

Dann von unten Maupatis Stimme:

„Geht bis zur Schlucht zurück, die zum Meere führt … Dort wartet ihr … Hier sind böse Geister … Eilt, lauft – bis zur Schlucht – nicht weiter!“

Und die Horde tat’s …

Stob davon – hinweg über das Plateau …

Wie gehetzt …

Duckte sich in der Schlucht scheu in eine Vertiefung hinein, erörterte schnatternd den unheimlichen Vorfall, der … eine so einfache natürliche Lösung fand …

Die in dem Kegelkrater Eingesperrten hatten sich sehr bald gegenseitig die Fesseln abgenommen und dann beraten, wie man sich die Freiheit wieder verschaffen könnte.

Im Dunkeln beriet man … In einer Finsternis, die kaum tiefer sein konnte. Keiner sah den andern. Nur die flüsternden Stimmen verrieten, wo der Betreffende seinen Platz hatte.

Im Kreise stand man … Gaupenberg und Agnes, eng umschlungen … Dann Mela Falz und Dalaargen … dann Gerhard Nielsen und Gipsy Maad … Weiter der dicke Mormone, an jeder Seite eine seiner Frauen, Sahra und Hekuba … Und die Verbindung zum Liebespaar Viktor-Agnes stellte der treue Gottlieb Knorz her, seinen Teckel im Arm …

So standen sie …

Berieten …

Und Nielsen war’s, der dann erklärte:

„Herrschaften, wir wollen nicht die Köpfe sinken lassen … Was bisher hier erörtert wurde, ist milde gesagt Blech … Durch den Gang nach dem Schacht des Kraterdomes können wir deshalb nicht entweichen, weil Mafalda den Schacht fraglos verrammelt hat. Und diese Hindernisse dort wegzuräumen, geht der giftigen Gasausströmungen wegen nicht an … – Nein, unsere Hoffnung bleibt hier diese Öffnung über uns … Auch sie ist versperrt – gewiß … Aber es gibt schon ein Mittel, dort nach oben zu gelangen …“

„Da bin ich neugierig …,“ ließ sich Tillertucky vernehmen. „Sogar mehr als neugierig … Hier vom Boden des Kraters bis zum Loche sind’s doch gut acht Meter … Wie wollen Sie diese acht Meter ohne Leiter überbrücken, Mister Nielsen?!“

„Meine Sorge, ehrwürdiger Mister Tillertucky …! – Zunächst müssen wir abwarten, müssen einige Zeit verstreichen lassen … Erst mitten in der Nacht dürfen wir ausbrechen … Setzen wir uns also …“

Gaupenbergs Stimme da:

„Verzeihen Sie, Landsmann … Aber hier meine Agnes ist so sehr in Sorge unseres Schicksals wegen, daß es sie fraglos beruhigen würde, wenn Sie Ihren Plan näher entwickeln wollten …“

„Wie Fräulein Agnes wünscht … Wir sind hier vier gesunde Männer: Tillertucky, Dalaargen, Knorz und ich … – Gaupenberg kommt als Rekonvaleszent nicht in Frage … Und wir vier werden eine Leiter bilden … Tillertucky eignet sich vortrefflich als unterster, auf dessen Schultern sich Dalaargen aufpflanzt. Nummer drei wird Gottlieb Knorz sein, und Nummer vier ich selbst … Wenn wir nun aus den hier im Krater umherliegenden Geröll noch ein Postament von etwa anderthalb Meter Höhe auftürmen, muß ich als oberste menschliche Leitersprosse die über das Loch oben gedeckten Steine erreichen. Und meine Aufgabe wird es dann sein, diese hinderlichen Klamotten zu entfernen, wobei ich bestimmt darauf rechne, daß Mafalda dort über uns keinen Wächter postiert hat, weil sie es eben für ausgeschlossen hält, daß wir von hier zu entkommen suchen.“

Pause … Stille …

„Bravo!“ meinte Gottlieb Knorz dann …

„Glänzend!“ lobte auch Gaupenberg nun …

Und Fredy Dalaargen wieder:

„Die Sache ist durchführbar …!“

Nur Samuel Tillertucky grunzte zweifelnd:

„Gesetzt den Fall, meine Beine und Schultern tragen die Last von drei Männern … Gesetzt den Fall, diese drei sind genügend als Parterreakrobaten ausgebildet, um die menschliche Leiter nicht zum Einsturz zu bringen … Drittens gesetzt den Fall, daß Mister Nielsen mit seinen Händen oben wirklich an der Befestigung des Steindeckels arbeiten kann … Dann schweben wir aber in ernstester Gefahr, durch einen herabfallenden Felsbrocken erschlagen zu werden, was Mister Nielsen bei der hier leider herrschenden pechschwarzen Finsternis kaum verhüten könnte …“

Worauf nun wieder der unverwüstliche Nielsen sich hören ließ, – und die meisten Gesichter verzogen sich zu einem Lächeln, das den andern freilich unsichtbar blieb:

„Gesetzt den Fall, Ihre Elefantenbeine trügen uns drei wirklich nicht … Dann werden Sie dies, Mister Tillertucky, bereits merken, wenn der zweite Ihnen auf den Buckel steigt. Gesetzt den Fall, Sie haben dann noch Kraft genug, mich, den dritten, vor dem Erklimmen der menschlichen Leiter zu warnen … Dann werde ich Sie schonen, Mister Tillertucky, und dann werden wir hier vielleicht bis in alle aschgraue Ewigkeit im Dunkeln sitzen können … Gesetzt aber den Fall, Ihre Körperfülle, Mister Tillertucky, steht im harmonischen Verhältnis zu Ihrer Körperkraft, so werden wir selbst auf die Gefahr hin, daß uns ein Stein auf den Schädel fällt, was ich verhindern zu können hoffe, wahrscheinlich nach einigen Stunden den Dakizwergen, Lomatz und Mafalda die Störung der Trauung gebührend heimzahlen können … Gesetzt den Fall, Sie weigerten sich aus sogenannter persönlicher Vorsicht, Ihren werten Kadaver zu …“

„Stopp!!“ rief der Mormone da aus der Finsternis heraus. „Stopp – ich bin nicht feige, und wenn ich hier als Mann, der zu denken gewohnt, meine Einwendungen gegen …“

„Stopp!!“ unterbrach Nielsen ihn in ähnlichem Tone … „Schluß der Debatte …! Nehmen wir Platz und warten wir … Ich werde rechtzeitig daran erinnern, daß noch das Postament für seine Ehrwürden Mister Tillertucky gebaut werden muß …“

Und man setzte sich …

Man sah nichts voneinander … Man saß, wie man sich zusammenfand …

Gaupenberg und Agnes … Beide nicht mehr ganz so bedrückt und niedergeschlagen wie vorhin …

Und dann als zweites Paar Mela und Fredy Dalaargen … Diese beiden sich leise streitend, weil der Herzog noch immer vorläufig Mela nur als gute Kameradin behandeln wollte …

Und weiter Nielsen und Gipsy Maad … Zwei Menschen, die bereits die geheime Sympathie gleichgestimmter Seelen spürten und über denen hier in der Finsternis des Kegelkraters bereits Gott Armor mit angelegtem Pfeil schwebte …

Drei Meter entfernt dann drei andere: Samuel Tillertucky mit dem hier anwesenden Teil seines Harems, – Sahra zur Rechten, Hekuba zu Linden, und jede ihn liebkosend und zärtliche Worte flüsternd …

Und schließlich einsam für sich allein der brave Gottlieb Knorz … – Doch nicht allein …! Neben ihm lag der gelbe Teckel, den er dauernd streichelte und mit dem er sich – einseitig – unterhielt. Und bei dieser Unterhaltung kam Mafalda sehr schlecht weg, da Gottlieb sie mit kräftigen Ehrentiteln bedachte, die in keinem Lexikon zu finden waren. –

Ein Zufall war’s, daß Samuel Tillertucky mit seinen beiden Frauen den Felsengang am nächsten saß, der in vielfachen Windungen sich bis zu jenem Schacht der östlichen Grotten hinzog, den Mafalda und Lomatz dann luftdicht zu verschließen suchten.

Während die anderen Gefangenen hier unten sämtlich von dem Eingang des unterirdischen Verbindungsweges mehrere Meter entfernt waren, mußten gerade die drei Mormonen, falls der Fürstin Sarratow tückischer Plan glücken sollte, als erste den geruchlosen Gasen des Erdinnern zum Opfer fallen.

Samuel Tillertucky, mit dem Rücken gegen die Kraterwand gelehnt, gebot jetzt seinen beiden zärtlichen Damen flüsternd Ruhe, da er noch ein wenig Vorrat schlafen wollte …

„Ich bin müde …,“ gähnte er nochmals … „Eentschuldigt also …“

Und im Umsehen hatte er seinen Kürbisschädel in Hekubas Schoß gebettet und schlief ein … –

Inzwischen war auf der anderen Seite des Kraters Mela Falz unermüdlich bestrebt gewesen, Fredy Dalaargen klarzumachen, daß ihn doch keinerlei Schuld an dem Verlust des Schatzes träfe und daß er sie vor den Sphinxleuten geradezu bloßstelle, wenn er sie weiterhin wie eine Fremde behandele.

Dalaargen war gerührt durch diese neuen Beweise von Melas inniger Liebe, war auch bereits selbst zu der Einsicht gelangt, daß sein übertriebenes Ehrgefühl das tapfere Mädchen, das stets so warmherzig für ihn eingetreten, schwer verletzen müsse.

Hand in Hand saß er mit Mela da, beide dicht nebeneinander …

Beide das Herz voller Frühlingssehnsucht …

Und wie es dann kam, wußte Fredy Dalaargen später selbst nicht recht. Mit einem Male hatte er Melas Kopf in seinen Händen und … seine Lippen fanden den blühenden heißen Mund der Geliebten in langem Kuß …

So gab es hier dann wenigstens ein Paar, das sich ehrlich über die verschwiegene Dunkelheit freute und diese Gefangenschaft wie ein Geschenk des Himmels empfand.

Mela war selig, war ganz übermütig …

Ihr stilles Lachen, wenn sie sich den starken Armen des kecken Geliebten zu entziehen suchte, drang hinüber zu den beiden anderen jungfrischen Menschen, die da in ernstem leisen Gespräch über allerlei sprachen, wobei Gipsy Maad wiederholt Gelegenheit hatte, sich über Nielsens unglaubliche Ansichten ehrlich zu entrüsten …

So sagte er denn jetzt mit vorsichtiger gedämpfter Stimme:

„Sehen Sie, Miß Gipsy, – oder besser, sehen können Sie ja nichts – also hören Sie, Miß Gipsy. Wie schädlich die sogenannte Liebe ist, haben Sie heute wieder feststellen können! Wenn Gaupenberg und Agnes nicht hätten Hochzeit feiern wollen, wenn wir alle nicht bei der Trauung hätten mit dabei sein müssen, dann wären diese Bande von schwarzen kleinen Halunken und Mafalda und Lomatz hier auf der Insel niemals unbemerkt gelandet. Dann säßen wir jetzt nicht hier in diesem Felsloche im Finstern und …“

„Schweigen Sie …!! Wie kann man nur so unrichtig Ursache und Wirkung beurteilen …! Sie haben eben kein Herz!“

„Danke …! – Aber Ohren habe ich … Und ich höre genau, daß dort rechts von uns ein neues Unglück geschehen! Ein Brautpaar küßt sich, Dalaargen und Mela …! Hören Sie nur …!“

„Oh – Sie sind gräßlich …!“

„Danke …! – Ich höre des weiteren, daß Samuel Tillertucky sanft eingeschlummert ist und daß er im Schnarchen offenbar den Rekord hält … Bitte – er fängt gerade wieder zu orgeln an … Es klingt, als ob ein Bauchredner das Durchsägen eines Eichenastes mit stumpfer Säge imitieren will … – Tillertuckys eine Gattin führt im übrigen einen vielversprechenden Namen …“

„Inwiefern?“ fragte Gipsy …

„Nun, Hekuba hieß bekanntlich die Gattin des alten Trojanerkönigs, Priamos, und sie schenkte ihm so gegen einundzwanzig Kinder, wie im Homer nachzulesen ist.“

Gipsy sagte gar nichts. Sie war nicht prüde. Sie verstand nun das ‚vielversprechend’ zu Genüge …

Und wieder nach einer Weile meinte Nielsen:

„Überhaupt, wenn ich Gaupenberg wäre, ich würde diesen infamen Schatz versenken, wo das Meer am tiefsten ist …! – Sollen etwa noch mehr Menschen durch das verderbliche Metall und durch Matagumas Juwelen den Tod finden?! Glaubt der Graf denn, daß er seine edle Absicht, das niedergebrochene Deutschland durch das Gold aufrichten zu können, jemals verwirklichen wird?! – Ich zweifle daran …“

„Ich nicht …!“

„Ja – Sie sind ein Weib, Miß Gipsy. Ich als Mann denke nüchterner. Die Tatsache, daß dieser Milliardenschatz existiert, muß in kurzem zur Kenntnis der ganzen Welt gelangen. Gerüchte darüber brachten ja bereits englische Zeitungen. Und wenn der Schatz dann erst in aller Munde ist, wird der bisher nur gegen einzelne geführte Kampf um das Gold ganz andere Formen annehmen. Dann werden sich Abenteurer aus aller Herren Länder zusammentun und mit Machtmitteln, gegen die wir nichts ausrichten können, die Jagd nach den Milliarden beginnen. – Nette Aussichten für später, Miß Gipsy!! Falls wir den Schatz überhaupt noch je zu Gesicht bekommen …!“

Gipsy nickte nachdenklich …

Aber das sah Nielsen nicht. Und daher nahm er an, sie teile seine Meinung nicht, und fügte hinzu:

„Warten Sie nur ab, Miß Gipsy … Sie werden noch Ihr blaues Wunder erleben …! Diese Reichtümer müssen ja jeden schwachen Charakter geradezu toll machen …! Jedenfalls – ich bleibe bei den Sphinxleuten … Ich will dieses Ringen bis zu Ende mit erleben …! – Und Sie?“

„Ich auch …! Ja, ich auch …! Schon deshalb, weil ich die Pflicht habe, meinen toten Chef Worg zu rächen … – Mafalda soll dort sterben, wo wir Amerikaner unsere Mörder vom Leben zum Tode führen, auf dem elektrischen Stuhl!“

„Ich wünschte, ich hätte dieses nette Instrument jetzt hier, Miß Gipsy …“

„Einen Hinrichtungsstuhl?“

„Ja – aber ohne die ungemütliche Elektrizität … Denn der Felsboden hier ist für die Dauer doch verdammt hart, finde ich … Und deshalb will ich jetzt auch die Herrschaften ringsum stören und das Zeichen zum Beginn des Baues des Postaments für Samuel Tillertuckys Gehstelzen geben …“

Und er rief halblaut:

„Hallo – es wird Zeit! Dürfte ich bitten, daß ein jeder sich nach Kräften nunmehr beim Auftürmen eines Hügels beteiligt …“ –

Hekuba Tillertucky weckte den dicken Gemahl mit einiger Mühe. Sie fühlte sich seltsam benommen, und auch Sahra meinte verstört:

„Ich weiß nicht, liebe Hekuba, – mir ist ganz schwindelig im Kopfe …“

Die beiden Frauen kannten keine Eifersucht aufeinander und standen wie gute Freundinnen.

Der würdige Priester rieb sich nun den Schlaf aus den Augen und wollte sich erheben, taumelte aber und brummte staunend:

„Wenn ich nicht genau wüßte, daß ich seit Wochen keinen Alkohol über die Lippen gebracht habe, würde ich sagen, ich bin … betrunken …“

Diese bedenklichen Anzeichen bei den drei Mormonen waren aber auch die einzigen Folgen von Mafaldas niederträchtigem Attentat auf das Leben der Gefangenen. Die ruchlose Fürstin hatte bei diesem Plane eins nicht bedacht, daß die Gase, die durch den Gang in den Kegelkrater drangen, leichter als Luft waren, sich daher oben an der Decke gesammelt und durch das Loch trotz der darüber gedeckten Steine Abzug gefunden hatten. Nur eben die Mormonen, die hier so dicht an dem Felsengang gesessen hatten, waren ganz leicht betäubt worden – so leicht, daß Tillertucky sehr bald sich wieder völlig erholte. –

Die Arbeit hier im Dunkeln, wo man lediglich durch das Tastgefühl die Felsbrocken gleichmäßig und sicher aufschichten konnte, nahmen noch geraume Zeit in Anspruch.

Alle halfen … Und das Postament wuchs denn auch zu recht stattlicher Höhe an …

Nun sollte sofort der erste Versuch unternommen werden, ob Nielsens Idee sich auch verwirklichen ließe.

Nielsen half dem Dicken auf das Postament hinauf.

„Ich stehe …,“ meldete Tillertucky etwas erregt.

„Hoffentlich stehen Sie auch weiter,“ meinte Dalaargen und begann Tillertuckys Rücken zu erklettern.

Der Mormonenpriester bewährte sich. Der Steinsockel hielt und bot Tillertuckys nicht gerade klein geratenen Füßen einen festen Halt.

In dem Kegelkrater hörte man jetzt nur leise Zurufe, durch die man sich untereinander verständigte.

Der Herzog gelangte glücklich auf das Mormonen Schultern. Seine Schnürschuhe hatte er vorher abgelegt, damit er dem Dicken nicht weh tue. – Und nun kam Gottlieb Knorz an die Reihe. Der sehnige Alte war zunächst doch ein wenig ängstlich. Aber Dalaargen hatte sich jetzt bereits so sehr an diese immerhin etwas unsichere Stellung gewöhnt, daß Knorz, der seinen Teckel Agnes anvertraut hatte, gleichfalls ohne Unfall seinen Platz auf des Herzogs Schultern erreichte.

Nielsen rief jetzt fragend mit zurückgebogenem Kopf in die Finsternis hinein:

„Wie ist’s, Gottlieb? Werden Sie mich tragen können?“

„Nur zu …! Nur zu …! Mehr wie herabpurzeln können wir ja nicht.“

Für Gerhard Nielsen, der als Seemann ans Klettern gewöhnt war, war’s nicht weiter schwer, die menschliche Pyramide zu erklimmen …

Viel aufregender gestaltete sich dieses waghalsige Unternehmen für die Unbeteiligten, die ringsum im Finstern standen und bangen Herzens auf jedes Geräusch achteten.

Die beiden Mormoninnen beteten halblaut …

Mela und Gipsy hatten sich umschlungen … Jede fürchtete am meisten für den, der in ihrem Herzen wohnte … Denn auch Gipsy ahnte bereits, daß Gerhard Nielsen ihr mehr bedeutete als nur ein guter Kamerad …

Dann Nielsens Stimme hoch von oben:

„Es klappt …!! Leider aber haben wir das Postament nicht genau unter dem Loch errichtet … Ich muß mich weit vorbeugen, um …“

Dann brach er mitten im Satz ab …

Und nun hörten auch die übrigen droben an dem Felsenloche die schrillen Stimmen der Dakis …

Nun flüsterte auch Nielsen:

„Alles verhält sich ruhig! Sie räumen die Steine weg …“

Minuten vergingen …

Dem dicken Mormonen zitterten die Beine … Er keuchte … Aber er riß sich zusammen …

Und dann Maupatis Stimme …

Dreimal rief er …

Dann beugte er sich über die Öffnung …

Und da – packte Nielsen zu …

Packte den Gnom beim Halse, zog ihn hinein in das Loch …

Die menschliche Leiter schwankte bedenklich …

Nielsen hielt den Zwerg an sich gepreßt, raunte ihm zu:

„Schicke deine Leute weg, oder ich … ersteche dich!“

Und auf deutsch als Nachsatz: „Ich habe zwar kein Messer, aber das weiß der ja nicht …!“ – Und deutsch verstand der schwarze Knirps nicht …

Maupati, halb erwürgt, gehorchte im ersten Schreck, rief den Seinen zu, bis zur Schlucht zurückzueilen …

Die Daki entfernten sich. Nielsen hatte nun gewonnenes Spiel …

Hastig drohte er dem Zwerg:

„Ich werde den Krater hier verlassen. Du wirst nichts verraten, sonst töten wir euch alle …!“

Und ebenso hastig hob er nun Maupati empor …

Der faßte auf den Rand des Loches, schwang sich vollends hinauf …

Nielsen folgte, stieß sich kräftig mit den Füßen ab … Und unter ihm verlor Knorz das Gleichgewicht, duckte sich schnell, rutschte an Dalaargen hinab … Auch der taumelte … Und beide rissen jetzt den dicken Tillertucky um … Alle drei kollerten vom Steinpostament, ohne ernstlich Schaden zu nehmen.

Gerhard Nielsen hatte gleichfalls das Freie gewonnen, hatte hier sofort Maupati am Arm erwischt und schnell auch dessen andere Hand ergriffen …

„Du wirst gehorchen!“ drohte er wieder … „Du wirst dem weißen Weibe nicht verraten, daß ich entflohen bin …!“

Maupati war durch den unerwarteten Überfall und dessen ganze unheimliche Umstände noch so bestürzt, daß er stammelnd alles versprach …

Nochmals warnte Nielsen ihn …

„Jede Hinterlist kostet dir das Leben …! Wir werden sehr bald wieder Herren der Insel sein …! – Jetzt erzähle mir, wie ihr hierhergelangt seid …“

Und der Daki begann … von dem Schiffbruch der Brigg, mit der ein Spanier ihn und seine Stammesgenossen zu Schauzwecken hatte nach Amerika bringen wollen … Von dem Floß, das sie mühsam hergestellt hatten, von der Begegnung mit dem wracken Dampfer ‚Sonora’ … –

All das war Nielsen völlig neu …

Und schnell fragte er nun: „Fandet ihr auf dem Dampfer außer Mafalda und Lomatz noch vier Gefangene und viel Gold?“

„Ja, – aber der Dampfer ist nun verschwunden … Die weiße Miß meint, die Gefangenen sich haben befreit und mit Notsegel sind davongefahren … Nach Süden.“

„Ist das die Wahrheit?“

„Ist Wahrheit, Mister … Maupati nicht lügen …“

„Diesmal vielleicht nicht … – Nun, der Dampfer wird zurückkehren – mit Verstärkung …! Und wenn du dann verraten hast, was hier vorgegangen ist, hängen wir dich auf, schwarze Laus – Verstanden!“

„Oh – Maupati sehr gut verstehen …“

„So – dann mache dich jetzt dünne, alter Freund! Und halte dein Maul! Verdufte …!“

Maupati tastete sich aus dem Trümmerhügel hinaus.

Und – auf dem Fuße folgte ihm heimlich der Deutsche …

Folgte der Horde dann bis zum einsamen Hause … Lag im Gestrüpp des Gartens und beobachtete, merkte sehr bald, daß der Daki sein Versprechen hielt, das Mafalda und Lomatz völlig ahnungslos blieben …

Da schlich er denn um das Haus herum nach dem Stalle …

Wußte, wo er ein Tau finden würde …

Nahm es mit …

Mit zum Nordwestplateau, zum Trümmerhügel … Zum Eingang des Kegelkraters …

Rief hinab in die Finsternis:

„Achtung, – – ein Tau …!! Dalaargen mag zuerst emporklettern … Dann Knorz … Wir drei ziehen die anderen empor … – Es ist alles in bester Ordnung … Maupati hat nichts verraten …“

Von unten ein vielstimmiger Freudenschrei …

Der Mormonenpriester begann einen Psalm zu singen …

Unter diesem frommen Gesang erreichten der Herzog und Gottlieb den Rand des Loches und festen Boden …

Dann schwebte Agnes empor …

Die übrigen …

Als letzter und schwerster Samuel Tillertucky …

Und als nun die Befreiten draußen auf dem Plateau versammelt waren, als jeder jetzt Nielsens Hand drücken wollte, da meinte dieser abwehrend:

„Bitte – Anerkennung verdient hier lediglich Freund Samuel …! Wenn er nicht als Säule des Ganzen uns so sicher getragen hätte, würde ich niemals das immerhin windige Experiment mit Maupati haben vornehmen können … – Also – – Schluß mit dem Gerede! Wir haben Wichtigeres zu tun …! Noch sind wir nicht in Sicherheit … Wir müssen nach den Wohngrotten hinüber … Nur dort können wir uns verteidigen, bis wir Hilfe erhalten … Und auf Hilfe können wir bestimmt rechnen … Die ‚Sonora’ ist von unseren vier Freunden entführt worden, ist davongesegelt …“

Und kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, als vom Binnensee der dumpfe Knall von Schüssen herüberdrang …

Alle standen und lauschten …

„Ich werde nachsehen, was dort vorgeht,“ meinte Nielsen und eilte schon davon …

Gaupenberg aber führte die Seinen rasch in ein kleines Tal im Osten des Plateaus … Nur Knorz blieb als Wache hier am Felsenhügel zurück.

 

148. Kapitel.

Ein Bündnis der Treulosen.

Mafalda und Lomatz hasteten dem einsamen Hause wieder zu, nachdem sie sich überzeugt hatten, daß die Milliardärsjacht offenbar in die Südbucht hineinsteuern wollte.

Maupati kam ihnen im Garten schon entgegen …

Das helle Sternenlicht enthüllte das tückische Grinsen des Zwerges, der nun bereits wußte, daß der blonde Mister Nielsen nicht umsonst mit dem Erscheinen eines Schiffes gedroht hatte.

Maupati hoffte, sich jetzt recht schlau den Rücken zu decken, erwiderte auf Mafaldas Frage, ob er und seine Leute die Jacht überfallen und erobern wollten …:

„Daki schlechte Schützen sein … Wollen nicht kämpfen … Besser verstecken, bis Schiff wieder davongefahren …“

Mafalda spürte den Verrat …

Ein Blick ringsum zeigte ihr, daß kein anderer der Daki in der Nähe …

Und mit blitzschnellem Hieb schmetterte sie da den Kolben ihrer Repetierpistole Maupati gegen die Schläfe.

„Binde ihn, Lomatz …! Rasch! Auch einen Knebel in den Mund …! Ins Gebüsch mit ihm …!“

Der Bewußtlose wurde in die Sträucher geschleppt.

Und Mafalda war’s dann, die den übrigen Zwergen vorlog, Maupati sei bereits vorausgeeilt …

Die schwarzen Kleinen folgten ihr zum Ufer des Binnensees.

Hier verteilte die Fürstin sie an den Abhängen …

Lomatz hatte sich derweilen einen sicheren Beobachtungsplatz am Nordufer ausgesucht, wo er sowohl die Entwicklung der Dinge genau verfolgen als auch in kürzester Zeit den Hof des einsamen Hauses und die Sphinx erreichen konnte.

Er ahnte voraus, wie Mafaldas verzweifelter Plan, den er nur zum Schein unterstützt hatte, vollkommen mißlingen würde …

Er sah die Jacht langsam in den Binnensee hineinsteuern, erlebte es noch mit, wie die erste Granate die Daki bereits derart einschüchterte, daß sie zu fliehen begannen …

Da zauderte auch er nicht länger …

In wenigen Minuten war er im Garten – auf dem Hofe …

Erkletterte das Deck der Sphinx, stieg in den Turm hinab …

Zündete die bereitgehaltene Laterne an … Denn die elektrische Beleuchtung des Luftbootes war noch nicht wieder in Ordnung gebracht …

Dann ein Griff nach dem Auftriebshebel …

Und die Sphinx stieg empor …

Langsam – langsam …

Als sie etwa die Höhe des Hauptdaches erreicht hatte, kam Mafalda atemlos den Hauptweg des Gartens entlanggestürmt …

Sah die Sphinx …

Begriff alles …

Ihr Gesicht verzerrte sich noch mehr …

Abermals also war Lomatz an ihr zum Verräter geworden …

Abermals …!!

Und sie selbst?!

Sie selbst hilflos jetzt – ganz allein auf sich angewiesen …

Ganz allein …

Mit ohnmächtiger Wut – mit geballten Fäusten – zitternd vor kochendem Grimm, beobachtete sie die mit dem Westwind gen Osten davonschwebende Sphinx.

Ganz niedrig trieb das Luftboot dahin … Dicht über die höchsten Bergspitzen hinweg …

Lomatz war jetzt an Deck gekommen. Im Führerraum der Sphinx wurde er nicht gebraucht. Das Luftboot war nur ein Freiballon … Die Motoren, die Propellern versagten …

Und so erblickte Lomatz denn auch dort unten die noch immer wie versteinert der Sphinx nachstarrende Fürstin …

Einen Augenblick kam ihm die ungeheure Gemeinheit seiner Flucht klar zum Bewußtsein …

Nur einen Augenblick … – Er und Mafalda!! Doch nur heimliche Gegner von jeher – – nur!! – Und er lachte höhnisch auf …

Wandte sich um und trat an die andere Seite der Reling …

Unter ihm brandete bereits das Meer …

Unter ihm lag der Streifen See zwischen Inselstrand und Riffen …

Und plötzlich packte Lomatz den Oberrand der Reling mit beiden Händen, als müßte er sich vor einem Sturz in die Tiefe bewahren. Seine Augen quollen heraus …

Da … da lag ja die ‚Sonora’ …

Da lag der wracke Dampfer hinter den Riffen …

Ah – diese schlauen Halunken …!! Dieser Doktor Falz, dieser Oretto und Hartwich hatten den Dampfer nur bis hierher gebracht …

Und das Schiff, das Mafalda und er erspäht hatten dort fern im Süden, – das war also der ‚Star of Manhattan’ gewesen …!!

Lomatz stierte wie hypnotisiert zur ‚Sonora’ hinab.

Andere Gedanken flatterten in seinem Hirn auf …

Das Gold – – der Schatz …!! Dort unten lag es … Dort unten auf dem Dampfer – – die Milliarden …!

Und – – das Deck der ‚Sonora’ war leer … leer …

Kein lebendes Wesen zu sehen …

Nichts …

Wie – – wenn nun Falz und die anderen etwa zur Insel hinüber geschwommen wären …?!

Und – kaum gedacht, auch schon ein schneller Entschluß …

In den Führerraum hastete er hinab … Ließ die Sphinx langsam sinken …

Er wußte, daß die Beschädigungen des Bodens bereits ausgebessert war, daß das Luftboot schwimmen würde …

Und mit leisem Klatschen setzte es nun dicht vor den Riffen auf das Wasser auf …

Trieb gegen die Riffe, wurde hier eiligst vertäut.

Und Lomatz kletterte über die Klippen, schwang sich an Deck der ‚Sonora’ …

Den Revolver gilt er schußbereit …

Und hatte doch nichts zu fürchten … Nur die fünf Dakiweiber waren unten im Raume eingesperrt. Falz und die anderen hatten vor kaum zehn Minuten den Dampfer schwimmend verlassen, um drüben auf der Insel nach den Gefährten zu sehen … –

Lomatz stand an der Relingpforte neben dem mit einem Segel bedeckten goldenen Hügel …

Riß das Segel weg …

Sternenlicht ließ die güldenen Milliarden aufleuchten.

Und wieder packte da den Verbrecher der Wahnsinnsrausch der Goldgier …

Sein Gesicht wurde blaß …

Seine Glieder flogen …

Rauben das alles … – rauben!! Davonfliegen mit den Milliarden … Irgendwo landen … Verschwinden für immer … für immer – – mit den Schätzen!!

Und wie ein Irrer sprang er über die Riffe – hin zur Sphinx …

Sie stieg wieder empor …

Senkte sich wieder … Die Windrichtung begünstigte das Vorhaben …

Sie lag schwebend neben dem wracken Dampfer – in einer Höhe … Und wie ein Wahnsinniger warf Lomatz die Goldbarren hinüber – die antiken Schmucksachen …

Schleuderte sie ohne Besinnen auf das Deck der Sphinx …

Keuchte, zitterte …

Schweißbäche feuchteten sein Gesicht …

Nichts wollte er den Sphinxleuten lassen – – nichts …

Und kleiner und kleiner wurde der goldene Berg …

Drüben häuften sich die Milliarden … Die Goldziegel kollerten hierhin und dorthin … Blitzende Geschmeide flogen durch die Luft, fielen klirren nieder …

Wie ein Dämon arbeitete der Verbrecher …

Die Goldgier lieh ihm dämonische Kräfte …

Bis er dann mit grellem Lachen die beiden letzten Goldbarren an Deck des Luftbootes schleuderte …

Hinterdrein sprang … Die Taue löste … In den Turm hinabglitt … Den Hebel herumriß …

Die Sphinx schnellte empor … Schwebte … Der Wind nahm sie mit sich …

Und an der Reling Lomatz …

Hinabschauend zur ‚Sonora’ … Zur der Gestalt eines Mannes, der soeben an Bord geklettert war. Georg Hartwich …!

Der sah den Verbrecher auf der Sphinx … Ahnte das neue Verhängnis …

Und – – blindlings feuerte er da die sämtlichen sechs Schüsse seines Revolver auf den höhnisch Winkenden ab …

Zufall dann?! Oder … aas Eingreifen einer höheren Macht …?!

Jedenfalls, Lomatz fühlte plötzlich einen Schlag gegen die Brust – einen stechenden Schmerz …

Taumelte – sank schwer hintenüber … – auf das verderbliche Gold …

Ein Blutstrom entquoll seinem Munde …

Und weiter segelte die Sphinx in nunmehr zweihundert Meter Höhe …

Nichts als ein Freiballon, ein Spielball jeder Luftströmung …

Weiter glitt sie – hinein ins Ungewisse – hinein in die Dämmerung der Sternennacht … –

Hartwich aber war längst wieder zur Insel hinübergeschwommen …

Längst waren auch die Sphinxleute an Bord der Jacht vereint …

Bewaffnete Matrosen durchstreiften schon die Insel, Mafalda und die Zwerge zu suchen …

In den Salon der Jacht, wo frohe Menschen jetzt versammelt waren, platzte Georg Hartwich als Unglücksbote hinein …

„Die Sphinx – – Lomatz – – der Schatz …!“ rief er nach Luft ringend … „Die Sphinx fliegt davon! – Mister Randercild, wir müssen der Sphinx folgen – – sofort …! Wir dürfen sie nicht aus den Augen lassen … Sie schwebt in etwa zweihundert Meter Höhe …“

Totenstille …

Alle starrten Steuermann Hartwich verstört an …

Bis Gaupenberg auf Josua Randercild zutrat …

„Freund Georg hat recht! Die Jacht muß ungesäumt die Verfolgung aufnehmen …!“

„Soll geschehen …!“ erwiderte der kleine Milliardär zustimmend nickend … –

Zehn Matrosen und die meisten der Sphinxleute blieben auf der Insel zurück. Nur Hartwich und Ellen machten die Jagd auf die Sphinx mit … Gaupenberg hatte dem Freunde beim Abschied noch befohlen: „Georg, du wirst dafür sorgen, daß nötigenfalls die Sphinx herabgeschossen wird … Du weißt, eine Kugel in die Röhre am Heck, und mein Boot fällt wie eine leblose Masse herab …!“

Noch einen Händedruck tauschten die Freunde …

Die Jacht verließ den Binnensee. Draußen im offenen Ozean rasten ihre Turbinen … Draußen richteten sich zahllose Gläser gen Osten, suchten den Nachthimmel ab …

Der ‚Star of Manhattan’, ein Windhund des Meeres, fegte durch die Wogen … Schneller als der milde Nachtwind, schneller als die treibende, schwebende Sphinx …

Und dies betonte Tom Booder, erster Offizier der Jacht, wiederholt dem deutschen Kollegen Hartwich gegenüber, der unruhig nach dem Luftboot von der Brücke ausspähte …

Tom Booder war so zuversichtlich. Und auch Randercild meinte:

„Wir fangen den Ausreißer schon …! Keine Sorge!“

Aber Georg Hartwich, neben sich seine Ellen, blieb voller ungewisser Zweifel …

„Ich weiß nicht, ob ich Lomatz wirklich getroffen habe … Ist er nur leicht verwundet, ist er noch in der Lage, in den Führerraum hinabzukriechen, so kann er die Sphinx bis auf zwei-, dreitausend Meter Höhe steigen lassen … Dann entgeht sie uns … Dort oben herrschen andere Winde … Und bis dort hinauf reichen unsere Ferngläser nicht …“

Und eine Stunde verstrich …

Längst mußte die Jacht das Luftboot eingeholt haben …

Und doch – der Himmel blieb leer … Nur die Sterne glitzerten im Weltall …

Und abermals zwei Stunden später sahen nun auch Booder und Randercild ein, daß Steuermann Hartwichs Bedenken nur zu gerechtfertigt gewesen …

Man mußte die zwecklose Verfolgung aufgeben … Die Sphinx schwebte irgendwo in unerreichbaren Höhen … Sie zu suchen, wäre dasselbe, als ob man ein bestimmtes Sandkorn im Dünenmeer der Wüste finden wollte – ein bestimmtes winziges Sandkorn …

Die Jacht kehrte um. Als der Morgen graute, kam die schwarze Insel in Sicht …!

Der ‚Star of Manhattan’ hatte halbmast geflaggt, zum Zeichen, daß die Sphinx entronnen, daß der Schatz verloren – – Jetzt für immer! Denn – wie sollte jemand sich wohl erkühnen, das Luftboot suchen zu wollen?! Wo suchen?! In allen vier Himmelsrichtungen?! – Nein, Georg Hartwich wußte genau, daß der Kampf um die Millarden nun beendet war …!

Und als die Jacht dann am Steilufer des Binnensees vertäut war, als die Sphinxleute an Bord kamen, da … wagten sie nicht zu fragen … So düster waren die Gesichter des Ehepaares Hartwich …

Tom Booder berichtete kurz …

Gaupenberg starrte vor sich hin … Agnes flüsterte ihm zu:

„Mut, Viktor …! Vergiß das eine nicht, wir haben einen Freund unter uns, dem die Vorsehung seltene Gaben verliehen hat – Dagobert Falz, der Einsiedler von Sellenheim …!“

Graf Viktor achtete kaum auf der Geliebten Worte.

Zu groß war die Enttäuschung für ihn, der nun seit Monaten in diesem Ringen gegen heimtückische Feinde des Schicksals unberechenbare Launenhaftigkeit gespürt und doch nie den Mut verloren hatte …

Und jetzt, wo Agnes diesen Mut in ihm abermals wieder aufzurichten suchte, konnte er sich nicht emporschwingen zu ihrem gläubigen Vertrauen in Doktor Falz’ geheimnisvolle Fähigkeiten …

Stumm reichte er Georg Hartwich die Hand …

Dann wanderten sie alle zurück zum einsamen Hause.

Alle …

Auch José Armaro, Expräsident, dem das Licht des einen Auges nun doch erhalten geblieben …

Auch Toni Dalaargen und die anderen Mädchen, die hier ihre wahre Heimat, die Insel der Glückseligkeit, wiedergefunden hatten … – –

Der neue Tag war angebrochen.

In wunderbarer Pracht erhob sich die Sonne im Osten aus dem Meere, sandte ihre Strahlen weithin über Ozean und Länder …

Auch über die schwarze Insel … Über düsteres Gestein, ragende Felszacken und finstere Klüfte …

Über die grünen Bäume und Sträucher des einsamen Hauses, über schillernde Fensterscheiben und das flache Dach, auf dem, Gewehr bei Fuß, zwei Matrosen der im Binnensee ankernden Milliardärsjacht Wache hielten … –

Die Nacht der hundert Abenteuer war vorüber.

Wenn man all das, was die Sphinxleute, ihre Freunde und Feinde in dieser endlos erscheinenden Nacht erlebt hatten, in Einzelheiten zerlegte, kam man auf mehr denn hundert Abenteuer …

Sieben Uhr morgens jetzt …

In der Haustür erschien Gaupenberg und sein treuer Diener Gottlieb Knorz. Sie hatten die Nacht gemeinsam in einem Zimmer verbracht – den kargen ruhigen Rest dieser Nacht – wenige Stunden …

Als erste traten sie nun leise ins Freie – in den Garten …

Die tropischen Blumen hauchten ihre Duftgrüße der Sonne entgegen … Emsige Bienen umschwärmten summend süße Blütenkelche …

Alles ringsum atmete Frieden.

Nur einen trügerischen Frieden …

Denn auf dem Dache die Wachtposten – weiterer Posten rundum auf den Anhöhen … Matrosen des ‚Star of Manhattan’, die hier wie im Kriege das weiße Haus schützten gegen die geflüchteten Daki … –

Tom Booder eilte auf den Grafen und Knorz zu. Der erste Offizier der Jacht hatte sich keine Ruhe gegönnt, hatte freiwillig mit einer kleinen Schar bis jetzt die Schluchten und Schlünde der Insel nach Mafalda und den feindlichen Dakis durchsucht.

Gaupenberg schüttelte seine Hand …

„Sie sollten sich nun ebenfalls niederlegen, Mister Booder …“

„Solange dieses Satansweib noch frei ist, bleibe ich rührig,“ erklärte der Amerikaner schlicht. „Es sind außer der Fürstin noch acht Daki uns entschlüpft … Wir haben die kleinen Kerle wiederholt zu Gesicht bekommen. Aber sie waren flink wie die Affen – unheimlich flink, und diese verwünschte Insel bietet zahllose Verstecke …“

„Und die andere Zwergenhorde, die Sie an Bord haben, Mister Booder?“

„Sind zahm wie die Lämmer … Übrigens sind drei von ihnen bei dem überraschenden Feuerüberfall erschossen worden – außerdem zwei Matrosen… Fünf Tote und etliche Verwundete hat der Angriff gekostet … Von den Dakis, die wie die Narren die Jacht mit Kugeln bedachten, leben offenbar nur noch die acht, die wir immer noch nicht ergreifen konnten …“

Die drei Männer standen auf dem Hauptweg des Gartens …

Gottlieb Knorz fragte nun in verbissener Feindseligkeit:

„Und – – das Weib, Mister Booder, – die Fürstin Sarratow?!“

„Einer meiner Leute sah sich ganz flüchtig im Morgengrauen auf der Ostseite der Insel … Er rief sie an, schoß dann auf sie … – Seitdem ist sie nicht wieder bemerkt worden.“

Graf Gaupenberg meinte gleichgültig:

„Sie kann uns nicht entgehen … Sie hat keinerlei Möglichkeit, die Insel zu verlassen.“ – Seine Gedanken waren anderswo … – Bei der Sphinx, die mit Lomatz und den Milliarden an Bord irgendwo im Äther schwebte – irgendwo …

Dann ein lauter Zuruf eines der Posten von dem Dache herunter …

„Hallo – – die Zwerge …! Acht Daki …! Dort kommen sie – ohne Waffen … Der eine schwenkt einen grünen Zweig …“

Und wirklich, aus einer Schlucht der Nordhöhen des grünen Tales stiegen sie hernieder, die acht Überlebenden von Maupatis Horde …

Zwei Matrosen mit schußbereiten Gewehren hinterdrein …

Und … standen nun vor Gaupenberg – demütig tuend, – warfen sich flach zu Boden, schnatterten unverständliche Worte … Keiner der acht beherrschte eine andere Sprache als die seines Volkes.

Gaupenberg wendete sich an Booder:

„Im Grunde sind’s nur Verführte … Lassen Sie die acht am besten mit auf der Jacht bewachen, Mister Booder … Sollte Randercild über sie Strafen verhängen wollen, so ist das seine Sache … Seine Matrosen sind erschossen und verwundet worden. Ich jedenfalls werde mich hier nicht zum Richter aufwerfen … Dadurch, daß man ein paar der armseligen Kreaturen aufknüpfte, würde mir meine Sphinx doch nicht zurück gegeben werden …“

Booder nickte nur und erteilte seinen Leuten die nötigen Befehle.

Ein paar sanfte Kolbenstöße brachten die schwarzen Zwerge wieder auf die Beine …

Winselnd und schnatternd zogen sie ab …

„Jetzt also noch Mafalda …!“ sagte Booder energisch. „Jetzt kann ich das große Kesseltreiben auf die Abenteurerin besser einrichten … In zwei Stunden haben wir sie, Mister Gaupenberg …!“

Und er grüßte und ging davon …

Der Graf und Knorz wandten sich dem Hause wieder zu … – In der Tür stand José Armaro … Das rechte Auge, für immer erloschen, war noch verbunden. Das linke spähte desto lebhafter umher …

Gaupenberg und Gottlieb grüßten, wollten Armaro ausweichen und nach dem Hofe abschwenken.

Der gestürzte Tyrann von Taxata kam jedoch die drei Steinstufen herab und sprach den Grafen an.

„Verzeihen Sie, Graf Gaupenberg … Wir haben bisher keine Gelegenheit gehabt, die früher zwischen uns obwaltenden Mißverständnisse Auge in Auge durch einige ehrliche Worte vollends aus der Welt zu schaffen … Graf Gaupenberg, ich bereue, was ich Ihnen jemals angetan … Ich bitte Sie um Verzeihung …“

Und Armaro, der große Diplomat, fand den richtigen Ton, täuschte selbst Gottliebs nimmermüdes Mißtrauen.

Gaupenberg, ein viel zu vornehm denkender Charakter, als daß er annehmen konnte, dieser vom Schicksal gezeichnete Mann könnte sich bereits wieder mit weitfliegenden Plänen das Hirn erhitzen, – Viktor Gaupenberg schlug in die ihm dargereichte Hand ein und erwiderte:

„Vergeben und vergessen, Sennor Armaro … Auch aus Ihnen ist nun ein Kämpfer für die gerechte Sache geworden, ein Verbündeter, genau wie dies bei dem armen Jimminez der Fall war, der jetzt dort unter den Bäumen den ewigen Schlaf schläft …“

Armaro tat gerührt … Gab auch Gottlieb die Hand … Und ging eilends von dannen, als ob er seine innere Bewegtheit vor den beiden Deutschen verbergen wollte.

Langsamer stieg er dann die östlichen Höhen hinan, gelangte so auch auf das Kap, von dem aus Mafalda und Lomatz am vergangenen Abend nach der ‚Sonora’, dem wracken Dampfer, gesucht hatten.

Hier blieb Armaro einsam stehen …

Zu seinen Füßen fiel die Steinwand schroff ins Meer hinab …

Er verschränkte die Arme über der Brust …

Starrte ins Weite …

Ein Bild, das unwillkürlich an ein berühmtes Gemälde erinnerte: Napoleon auf St. Helena …!

Und drüben bei den Riffen sah er die ‚Sonora’ … Sah Matrosen der Milliardärsjacht als Wachen an Deck – vier Mann …

Was er nicht sah, war die Gruppe einzelner Felsblöcke hinter ihm … Und aus diesen dunklen Riesensteinen schimmerte ein heller Fleck hervor, ein blasses übernächtigtes Frauengesicht – mit tiefen Rändern um die fiebrigen Augen – mit einem Ausdruck verzweifelter Entschlossenheit um den Mund …

Mafalda …

Fürstin Mafalda Sarratow, die hierher geflüchtet war, die man bis hier auf das steile Kap gehetzt hatte, wo ein Zufall sie den Schlupfwinkel zwischen den Granitblöcke finden ließ.

Und diese Abenteurerin richtete sich ein wenig auf, spähte umher …

Inzwischen hatte Tom Booder die Wachen eingezogen. Die Anhöhen waren leer …

Mafalda setzte alles auf eine Karte … Sie mußte sich einen Verbündeten schaffen – mußte, sonst war sie verloren … sonst würden Hunger und Durst sie entweder in den Tod oder … in die Gefangenschaft treiben …

Was machte es da aus, daß Armaro und sie seit jenem Tage auf Christophoro Todfeinde waren?! – Sie kannte Armaro – kannte sich selbst … Armaro war ein Heimatloser, ein hier nur Geduldeter …! Armaro würde froh sein, wenn sie ihm eine Hand darbot, die ihm helfen würde, den Gipfel der Macht von einst wieder zu erklimmen …

Und so rief sie denn den Expräsidenten leise an …

„José, – – Vorsicht!! Verrate mich nicht …!“

Armaro, aufgeschreckt aus begehrlichen Träumen, in denen er sich wieder als Herrn der Republik Patalonia sah, – war Armaro doch im Moment Bezwinger seiner aufgepeitschten Nerven …

Drehte sich nun langsam um …

Wußte, daß Mafalda hinter ihm … und hatte in Sekunden dieses Weib in seine Pläne eingefügt …

Kam näher, lehnte sich an einen der Blöcke, konnte so die Umgebung beobachten und meinte ohne Schärfe:

„Für uns beide ein ernstes Wiedersehen, Mafalda … Treuloser als du hat wohl selten eine Frau an dem früheren Geliebten gehandelt …!“

„Wir haben, glaube ich, Wichtigeres zu tun, José, als uns hier mit Vorwürfen zu überhäufen,“ entgegnete sie in demselben kühlen Tone. „Ich gebe zu, ich war treulos! Und doch wirst du es vergessen, José, denn jetzt befiehlt uns diese Wendung der Dinge, es abermals miteinander zu versuchen …“

„Eine Wendung der Dinge, an der du Schuld bist – genau wie du mir das Augenlicht raubtest …! Wenigstens das des einen …“

„Notwehr, José …! Nur Notwehr war’s. Das weißt du am besten. Oder willst du leugnen, daß du mich in der leeren Schatzkammer Matagumas verhungern lassen wolltest, daß du mich später erschossen hättest, wenn ich nicht die goldene Aztekenaxt …“

„Genug davon!“ unterbrach er sie mit einer milden Handbewegung. „Genug davon, Mafalda … Du hast nicht ganz unrecht, wir müssen es wieder miteinander versuchen!“

Und nach vorsichtigem Umherspähen gab er ihr die Hand …

„Schlag ein …! Schließen wir eine Interessengemeinschaft … Enthalten wir uns alle Redensarten von Treue, Dankbarkeit und dergleichen Gemütsballast. Unser Bündnis wird so lange währen, bis wir … den Schatz an uns gebracht haben … Und dann werden wir voreinander wie die Teufel auf der Hut sein, damit … keiner den anderen betrügt … – Schlag ein …!“

Sie tat’s …

Sie war erfreut über diesen leichten Sieg …

Und sagte fast herzlich: „Gut – kein Gefühlsballast, José … Und doch schwöre ich dir zu, ich werde diesmal treu sein …!“

Ein Lächeln spielte um Armaros Mund …

„Diesmal …?! – Mafalda, Treue ist ein Vorzugsrecht anständiger Charaktere … Ich rechne mich nicht dazu …“

Und mit derselben zynischen Offenheit …:

„Und du doch wohl auch nicht, Mafalda! Also – lassen wir die Phrasen. Besprechen wir das Nötigste … Ich werde dich hier heimlich mit Speise und Trank versorgen … Bist du hier sicher vor den Häschern?“

„Vollkommen sicher … Hier zwischen den Blöcken befindet sich ein Loch im Boden, über dem eine Steinplatte liegt. In diesem Felsloche muß ich ausharren … Aber – finden wird mich niemand.“

„Gut … – Dann etwas anderes … Die Sphinx ist mit Lomatz und dem Milliardenschatz davongeflogen … Die Jacht hat sie drei Stunden verfolgt, ohne sie im Äther zu entdecken. Die Sphinxleute sind nun recht niedergeschlagen …“

Mafalda schlug plötzlich mit der Hand gegen das Fernglas, das ihr am Riemen über der Schulter hing.

„Ich … sah die Sphinx bei Morgengrauen, José, – hier mit Hilfe des Glases …!“

„Du …?! Du … sahst sie …?!“

„Ja … Sie trieb mit einer Luftströmung gen Westen … Also mit einer Luftströmung, die dort oben etwa in tausend Meter Höhe gerade die entgegengesetzte Richtung hatte wie hier unten der Wind … Und ich sah noch mehr … Lomatz ist nicht allein auf dem Luftboot …“

„Wie …?! Nicht allein?!“

„Nein …! Hat man Maupati, den Daki, gefangengenommenen?“

„Bisher nicht …“

„Nun – Maupati ist auf der Sphinx … Sein Kopf war’s, den mir dies vorzügliche Glas über dem Rande der Reling zeigte … Die Sphinx trieb dort im Norden an der Insel vorüber … Und – wir beide wissen nun, José, daß wir nach Westen zu suchen werden …“

„Ein weites Gebiet, Mafalda …“

„Ein Gebiet, das seine Grenzen hat … Dort im Westen liegen die Antillen … Auf einer der dünn bevölkerten Inseln wird Lomatz landen …“

„Schon möglich …“

„Und er wird dort den Schatz zunächst verbergen.“

„Schon möglich … – Aber sollen wir sämtliche Inseln etwa durchstöbern?! Wie denkst du dir das?!“

Mafalda entgegnete leicht ironisch:

„Ihr Herren der Schöpfung – Ihr sogenannten Herren der Schöpfung seid zuweilen außerordentlich gedankenträge … Wenn du berücksichtigst, daß die Sphinx lediglich als Freiballon steuerlos dahintreibt, dann wirst du auch einsehen, daß Lomatz mit dem Luftboot am Tage auf einer der Antillen niedergehen muß – eben heute … Vielleicht erreicht er die ersten der Inseln am Nachmittag. Es kann nicht ausbleiben, daß die Sphinx beobachtet wird. Jedenfalls dürfte sich auf jeder der Inseln das Gerücht von der Landung eines ‚Zeppelins’, wie die Eingeborenen sich ausdrücken werden, schnell verbreiten … Und durch nähere Nachfragen werden wir dann schon die ungefähre Örtlichkeit feststellen, wo wir … genau zu suchen haben!“

Armaro machte Mafalda jetzt eine Verbeugung …

„Meine Hochachtung! Was du da soeben entwickeltest, hat Hand und Fuß …!“

„Ich bin noch nicht fertig … Um nach den Antillen zu gelangen, brauchen wir ein Schiff …“

„Also die Jacht …!“

„Erraten …! Und deine Sache wird es sein, den ‚Star of Manhattan’ vielleicht mit Hilfe der Dakis zu … stehlen … Mache dir das kleine schwarze Gesindel zu Verbündeten … Verspricht ihnen alles … Belüge sie nach Kräften …“

„Nicht mehr nötig, Mafalda …! Der Häuptling der Dakis, der den schönen Namen Pullolaku führt, hat mit mir bereits Freundschaft geschlossen und mir sogar ein Mittel überreicht, das für gewisse Fälle außerordentlich wirksam ist … Das Zeug befindet sich in einem Lederbeutel … Bitte … hier ist er … Du siehst, daß das Säckchen eine scheinbar fettige hellgraue Kugel enthält … Tamua heißt dieser graue Teig …“

„Tamua …?! Das Dakigift?!“ Und der Fürstin Gesicht leuchtete auf in verderblicher Genugtuung …

„Stimmt – das Dakigift …! Gleich wirksam im Blute wie im Magen … In geringeren Mengen erzeugt es wohl nur todesähnliche Bewußtlosigkeit …“

„Oh – ich hab’s gespürt, José … Ich selbst …! Siehst du hier auf meinem Handrücken den kleinen Riß? Den schlitzte mir ein vergifteter Dakipfeil … Stundenlang lag ich ohne Besinnung, obwohl ich die winzige Wunde sofort ausgesaugt hatte …“

Armaro grinste …

„Nun – mit Dakipfeilen werde ich nicht operieren … Das wäre zu umständlich … Aber mit dem Tamua kann man alle die Europäer, die jetzt diese Insel besetzt halten, spielend leicht … ausschalten …“

Und nach einem scharfen Blick nach den nördlichen Höhen …:

„Verschwinde …! Man beginnt mit dem großen Kesseltreiben … Und das Wild bist du …! – Auf Wiedersehen, Mafalda … Nachmittags bringe ich dir Speise und Trank …“

Die Fürstin verschwand …

Dumpf polternd legte sich die Steinplatte über das Felsloch … –

José Armaro aber setzte sich auf einen der Blöcke und rauchte behaglich eine Zigarre …

Beobachtete die Matrosen, die von Norden und Süden in zwei Ketten zunächst diese Hälfte der Insel durchstöberten …

Und lächelte vor sich hin … –

Als dann die Kette der Matrosen sich dem Kap nährte, als Tom Booder dem Expräsidenten zurief, ob er vielleicht die Fürstin erspäht habe, erwiderte Armaro achselzuckend:

„Mit meinem einen Auge, Mister Booder?!“

Und dann kamen zwei Leute und schauten flüchtig in den Haufen von Steinkolossen hinein, zogen bald weiter …

Armaro erhob sich dann und begab sich zum Hause zurück …

Sein Plan war fertig. Noch heute sollte die Jacht ihn, Mafalda und die Daki davontragen – den Antillen entgegen – dem neuen Leben und dem Streben nach der einstigen Macht und Herrlichkeit als Tyrann von Taxata …!

 

149. Kapitel.

Samuel Tillertuckys schwache Stunde.

Nielsen, Dalaargen und Doktor Falz hatten in einem der Zimmer des Obergeschosses ihr Nachtquartier aufgeschlagen. Die Fenster hatten sie weit offen gelassen, denn Moskitos oder ähnliche fliegende Plagegeister gab es hier auf der Insel zum Glück nur in ganz wenigen Exemplaren.

Gegen sieben Uhr morgens erwachte Gerhard Nielsen, der einen sehr leisen Schlaf hatte, infolge eines Geräusches, das ihn an das Plätschern einer heiteren Quelle erinnerte.

Nun – um Wasser handelte es sich in diesem Falle freilich auch. Fredy Dalaargen stand über die Schüssel des schlichten Waschtisches gebeugt und reinigte Kopf, Hals und Oberkörper mit Eifer und Eile …!

Und Doktor Falz wieder saß auf dem Bettrand und nahm in dem umfangreichen Zinkeimer ein Fußbad.

„Allerseits guten Morgen,“ meldete Nielsen sich da und gähnte ungeniert. „So soll denn also eines neuen Tages Last und Mühle abermals für uns beginnen …! Für meinen Geschmack könnte jetzt mal eine Ruhepause in dieser Hetzjagd von Ereignissen eintreten. Seit mich der Schiffbruch meiner Brigg an die Gestade der ruhmreichen Insel Christophoro geworfen hat, bin ich noch nicht eine Minute so recht zu Atem gekommen …!“

Dalaargen handhabte jetzt ebenso eifrig Kamm und Bürste und erwiderte:

„Bitte, übertreiben Sie nicht, lieber Nielsen …! Sie haben soeben vier Stunden geschlafen …!“

Worauf Nielsen kläglich seufzte:

„Vier Stunden …!! Ein Nichts im Vergleich zu der Mühsal der letzten Tage …! Ein Tropfen Schlaf auf den heißen Stein meiner Müdigkeit …“

Er gähnte wieder …

Doktor Falz nickte ihm zu …

„Wer in so vortrefflicher Laune erwacht wie Sie, der muß ausgeruht sein …! – Hören Sie nur … Unsere Damen sind bereits im Garten … Die beschämen uns …“

Nielsen fuhr hastig in die Kleider …

„Auch Gaupenbergs und Tillertuckys Stimmen unterscheide ich … Der Mormone scheint eine Predigt zu halten …“

„Sie irren …,“ klärte Dalaargen ihn auf. „Tillertucky wünscht heute nachmittag die Trauung Viktors und seiner Braut zu beenden … Da – soeben antwortet Gaupenbergs ihm … Er ist einverstanden. Mithin wird heute nochmals Hochzeit gefeiert.“

„Und diesmal hoffentlich mit mehr Glück!“ ergänzte Nielsen ernst. „Wenn ich noch an gestern denke …!! Das war eine nette Bescherung! Da hätten Sie dabei sein sollen, Herr Doktor Falz …! Ich sage Ihnen, wir alle standen wie die Ölgötzen, als plötzlich an den Fenstern dies schwarze Gewürm erschien …! Der gute Mormonenbonze machte ein Gesicht, als ob er an einer Regia grandis röche, – was bekanntlich die nach Aas stinkende Riesenblume ist …! – Und mein eigenes Gesicht wird fraglos auch nicht geistvollen gewesen sein!“

Dalaargen lachte. „Bitte – stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel, Nielsen …! Gerade Sie waren es doch, der diesem Weibsbild Mafalda mit staunenswerter Hundeschnäuzigkeit antwortete …“

„Aus Selbsterhaltungstrieb, verehrter Herzog …! Nur aus Selbsterhaltungstrieb! Ich werde mich doch nicht niederknallen lassen …! Ich mußte unsere Friedfertigkeit und Demut beweisen …“

„So sehen Sie aus!“ lachte Dalaargen wieder …

Und dann von unten eine helle glockenreine Mädchenstimme, – die der Prinzessin Toni:

„Hallo, Fredy …! Hallo! Beeile dich, Brüderlein …! Das Frühstück wartet …! Alle sind bereits im Garten …! Nur euer Zimmer fehlt!“

Und sofort auch das etwas quäkende Organ des kleinen Milliardärs:

„Selbst die Jacht hat bereits zum Wecken geblasen! Hier Randercild!“

Als dritte nun Mela Falz …:

„Hallo, Vater …! Hallo – hier deine Mela!“

Und Doktor Falz wandte sich da dem Herzog zu und meinte scherzend:

„Dalaargen, dieser Anruf galt fraglos Ihnen …! Mela wollte nur so tun, als ob ihr der Vater mehr gelte als der Bräutigam …!“

Da fuhr Nielsen wie ein Blitz herum …

„Bräutigam?! Was höre ich?! Also haben Sie bereits in aller Stille Ihren Segen gegeben, Herr Doktor?!“

„Ich mußte ja…,“ lächelte Dagobert Falz gütig … „Ich mußte, ob ich wollte oder nicht! Mela zog mich heute nacht sofort nach der Begrüßung beiseite und stellte mir Dalaargen als ihren Verlobten vor …! Sollte ich da etwa Nein sagen?!“

„Was Sie sagen sollten, haben Sie gesagt: Ja! Und das bleibt die Hauptsache! – Ich gratuliere herzlichst – auch Ihnen, Dalaargen, obwohl ich eigentlich Ehegegner bin, besonders jetzt hier auf der schwarzen Insel, wo wir …“

Er schwieg …

Durch die offenen Fenster kam Gipsy Maads kräftige und doch weiche Stimme:

„Herr Nielsen scheint dort oben wieder Ansichten zu entwickeln, die ihm wenig Ehre machen …! – Flink, im Speisesaal ist schon der lange Tisch gedeckt …!“

Worauf Gerhard Nielsen hinabbrüllte:

„Das sollen Sie mir büßen …!! Unerhört, mich so zu beschimpfen!! Warten Sie nur, in vier Minuten bin ich unten …!!“

„Ich warte!!“ ertönte es als Antwort fröhlich herauf …

Und Doktor Falz schmunzelte …

„Wie unendlich wohl tut doch harmlose Heiterkeit! Wir Sphinxleute hatten das Lachen beinahe verlernt … Es war Zeit, daß wir mal eine Weile all das Häßliche dieses Kampfes um den Azorenschatz gründlich vergaßen und uns hier auf der Insel Nerven und Seele in friedlichem, gemütlichem Miteinanderleben erquicken und stärken können!“

„Womit ich, lieber Schwiegervater, durchaus einverstanden bin,“ erklärte Dalaargen geradezu strahlend. „Und Mela wird gewiß nichts dagegen haben, daß wir hier Ferien feiern …“

„Liebesferien!“ brummte Nielsen. „Und andere können dabei zusehen …!“

„Verloben Sie sich doch!“ rief der Herzog bereits vom Flur aus und warf dann die Tür ins Schloß. –

Unten im Garten wurde Fredy Dalaargen dann von einer fast ausgelassenen Schar umringt … Er fand kaum Zeit, seine Mela in so herzlicher Weise zu begrüßen, wie er’s gern getan hätte …

Er begriff auch nicht recht, worauf diese allgemeine Fröhlichkeit zurückzuführen war. Und als er Mela dann abseits in einen Nebenweg hinter schützende Büsche zog und hier nun ihren lieben Mund mit heißen Küssen bedeckte, da endlich gab sie ihm mit strahlenden Augen Aufschluß …

„Eigentlich ist es ja recht schlecht von uns allen, daß wir uns über den Tod eines Menschen in dieser Weise freuen… Aber die Fürstin Sarratow hat doch so unendlich viel gegen uns gesündigt, daß …“

Dalaargen unterbrach sie …

„Mafalda ist tot?“

„Ja – sie muß umgekommen sein … Man hat die ganze Insel nunmehr aufs genaueste durchsucht und nichts gefunden als … am Oststrande Mafaldas Sportmütze, die von den Wellen an Land getrieben wurde … Es ist ausgeschlossen, daß die Fürstin sich hier noch verborgen hält … Auch Gaupenberg meint, sie wird vielleicht schwimmend die an den Riffen noch vertäute ‚Sonora’ haben erreichen wollen … Und einer der Haifische muß sie in die Tiefe gezogen haben … Da außerdem auch die Dakizwerge jetzt sämtlich an Bord des ‚Star of Manhattan’ sich befinden, können wir uns unbesorgt überall bewegen …“

Und mit innigem Lächeln legte sie ihrem Verlobten jetzt nochmals die Arme um den Hals und küßte ihn in tiefer Glückseligkeit.

Inzwischen waren nun auch Doktor Falz und Nielsen im Garten erschienen und hörten gleichfalls diese neueste Kunde, die jedoch von Dagobert Falz mit überaus ernstem Schweigen hingenommen wurde. Er glaubte nicht an Mafaldas Tod. Anderseits wollte er aber auch die jetzt herrschende gehobene Stimmung nicht stören und beschränkte sich lediglich auf ein kaum merkliches Achselzucken.

Gleich darauf versammelte man sich im Speisesaal an langer Tafel zum ersten Frühstück, an der auch Randercild und Tom Booder nicht fehlten. Booder saß neben Toni Dalaargen mitten unter den lieblichen Gefährtinnen der Prinzessin. Den Ehrenplatz am Tische hatte der würdige dicke Mormone inne, und rechts von ihm hatten Gaupenberg und Agnes Platz genommen.

Die Unterhaltung war äußerst lebhaft und drehte sich in der Hauptsache um die Möglichkeit, wie man der Sphinx wieder habhaft werden könnte.

Und jetzt begann Dagobert Falz, dem gegenüber Armaro und Pasqual saßen, zu sprechen …

Er betonte, daß Lomatz doch wahrscheinlich durch eine der Kugeln Hartwichs verwundet worden sei, daß der Verbrecher mithin versuchen würde, sehr bald irgendwo zu landen …

Diese einleitenden Sätze des allverehrten Doktors waren unter lautlosem Schweigen von allen der Anwesenden hingenommen worden. Aller Augen ruhten auf diesem hageren, graubärtigen, durchgeistigten Gesicht …

„Freunde,“ fuhr Falz dann fort, „wir wollen uns vorerst der Sphinx und des Schatzes wegen keine Sorgen machen … Lomatz wird irgendwo landen … Und dieses Wo, um das sich unser Denken dreht, wird auch eine Antwort finden … eine Klärung …“

Seine Stimme war leiser geworden …

„Glaub mir, Freunde, die Stunde kommt, in der meine Gedanken wie schon so oft, beherrscht von der geheimnisvollen Macht der Gestirne, sich gleichsam von meinem Körper lösen und durch das Weltall irren wie suchende Vögel … Sie werden die Sphinx und Lomatz finden … Nur Geduld müssen wir haben … Benutzen wir daher diese Tage der Ruhe zu harmloser Erquickung von Geist und Körper … Freuen wir uns dieser stillen Gestade … Und – – seien wir trotzdem jederzeit wach, wie es für Menschen sich ziemt, die von Feinden umlauert sind … Das Gold ist’s, das diese Feinde anlocken wird …! – Doch jetzt, leben wir der Erholung! Bereiten wir uns vor auf die festliche Nachmittagsstunde, in der Graf Gaupenberg und Agnes abermals vor den Altar treten werden …! Feiern wir Sphinxleute mit unseren Freunden von der Jacht diese Hochzeit mit innigem Dankgefühl gegen die Vorsehung, die uns hier nun wieder vereint hat!“

Und er verbeugte sich leicht gegen das junge Paar und nickte seinem Liebling, der hold errötenden Agnes, herzlich zu. –

Über Armaros Gesicht war blitzschnell ein ironisches Lächeln gehuscht, als Doktor Falz so zuversichtlich von dem Wiederfinden der Sphinx gesprochen hatte …

Niemand hatte ihn beobachtet …

Nur ein einziges Augen war in mißtrauischer Regung gerade im rechten Moment auf dieses verdächtige Lächeln aufmerksam geworden …

Die Prinzessin Toni Dalaargen hatte ja bereits an Bord der Milliardärsjacht auf Armaro in all ihrer Herzensgüte versöhnend, tröstend und bessernd einzuwirken gesucht …

Sie allein ahnte, daß die Seele dieses Mannes falsch und verschlossen war, daß er Beziehungen zu dem Häuptling der Zwergenhorde angeknüpft hatte, die ohne Zweifel eine Bedrohung der Sphinxleute bedeuteten …

Und jetzt, wo dieses perfide Grinsen des Expräsidenten durch die schwarze Augenbinde entstelltes Gesicht für Sekunden verzerrt hatte, – jetzt nahm sie sich vor, dem Manne all ihre Bedenken rückhaltlos anzuvertrauen, der ihrem Herzen ebenso nahestand wie ihr Bruder Fredy … Und dieser Mann war Tom Booder, erster Offizier des ‚Star of Manhattan’! – Bereits einmal hatte sie mit Booder über Armaro gesprochen, wenn auch nur ihrerseits mit vorsichtigen Andeutungen. Nun mußten auch die letzten Rücksichten beiseite gesetzt werden … Armaro sollte keinen einzigen Schritt mehr unbeobachtet tun dürfen … –

Nach einer Stunde hob der Mormone dann die Frühstückstafel mit einem Gebet auf …

Er war jetzt bereits derart mit den Interessen der Sphinxleute verwachsen, daß er mit aufrichtiger Freundschaft an allem teilnahm, was seine neuen Gefährten betraf. Auch seine Frauen, Sahra und Hekuba, hatten wegen ihrer bescheidenen Liebenswürdigkeit sich rasch die Achtung und Zuneigung der Sphinxleute erobert und bewiesen ihre wahre Herzensgüte durch liebreichste Pflege des armen treuen Murat, den man noch in der Nacht mit schwerem Wundfieber bewußtlos von der ‚Sonora’ nach dem weißen Hause geschafft hatte.

Samuel Tillertucky besprach jetzt nach der Frühstückstafel nochmals mit Agnes und Gaupenberg die Einzelheiten der Trauung und wanderte dann, um am Strande ein Bad zu nehmen, nach der östlichen Bucht, wo er ungestört zu sein hoffte. Er fand hier unterhalb des Kaps auch eine passende Stelle und begann sich gemütlich zu entkleiden.

Mit einem Male rollte ihm da von oben her ein kleiner Stein vor die Füße und hüpfte ins Wasser.

Samuel schaute an der Steilwand mißtrauisch empor.

Er sah nichts … Nicht einmal einen Vogel, der vielleicht beim Auffliegen das Steinchen hinabgestoßen haben konnte …

Er beruhigte sich wieder. Im ersten Moment hatte er an Mafalda gedacht … Denn deren Tod schien auch ihm durchaus nicht gewiß.

Nun legte er auch die Beinkleider ab und saß in dünnen halbseidenen Unterhosen da, die infolge mancherlei Strapazen schon recht fadenscheinig waren.

Tillertucky betrachtete mit gemischten Gefühlen die rissigen Stellen und beschloß, dieses Kleidungsstück nachher nicht wieder anzuziehen, sondern es Hekuba zum Ausbessern zu übergeben. Hekuba war die geschicktere seiner beiden hier anwesenden Gattinnen.

Gerade wollte er jetzt das Hemd von dem fettgepolsterten Leibe streifen, als … ein zweiter Stein dicht an ihm vorbeisauste und klatschend ins Wasser der Bucht hineinschoß …

Da wurde es dem Dicken denn doch ungemütlich.

Ein Stein, der von solcher Höhe herabkommt, kann einem menschlichen Schädel immerhin gefährlich werden.

Und eilends raffte er seine Kleider auf und setzte sich nun ganz dicht an die Felswand heran, wo er sich besser geschützt glaubte …

Schielte nach oben …

Ob da etwa jemand mit ihm sich einen Scherz erlaubte?! Etwa einer der Matrosen der Jacht, die ohnedies nicht viel Respekt vor seiner Würde hatten?!

Und so wartete er denn mit zurückgebogenem Kopf auf ein weiteres Geschoß …

Doch – es kam keins … Natürlich nicht! Jetzt wollte der rohe Witzbold sich nicht verraten!

Tillertucky nahm sich vor, trotzdem noch eine Minute lang aufzupassen …

Er zählte deshalb bis sechzig …

Und gerade als er leise die Zahl Sechzig vor sich hinmurmelte, sah er zu seinem Erstaunen, daß über ihm aus einer vielleicht zweihandbreiten, nach oben zu sich verengenden Spalte ein neuer Stein hervorkollerte und unten ins Wasser hüpfte …

Diese Spalte lag etwa sechs Meter über dem Boden … Und Tillertucky brummte nun: „Von selbst kommt doch kein Stein ins Rollen! In der Spalte muß ein Tier stecken, denn für einen Menschen ist sie zu eng …! Vielleicht nistet dort ein Mövenpaar … Obwohl man dann etwas von dem Nest sehen müßte … Andere Tiere als Möven und sonstige Seevögel gibt es jedoch auf der schwarzen Inseln nicht … Mithin bleibt die Geschichte rätselhaft …“

Da er nun überzeugt war, daß keiner der Jachtmatrosen ihn aus Übermut heimlich mit Steinen bombardierte, erhob er sich, trat ein paar Schritt von der Felswand weg und schaute angestrengt zu der Spalte empor …

„Hm – der Riß da zieht sich offenbar nach oben zu tief ins Gestein hinauf …,“ murmelte er wieder und rückte seine Hornbrille zurecht …

Plötzlich … urplötzlich schoß da jedoch etwas anderes aus dem schmalen Loche heraus …

Etwas Blankes, Glitzerndes …

Und mit erstaunlicher Gewandtheit hatte der würdige Priester seinen breitrandigen Hut vom Kopfe gerissen und … das Etwas aufgefangen …

Es war … ein Ring …

Ein so genannter doppelter Schlangenring mit einem prächtigen Brillanten und einem Smaragd …

Jetzt pfiff Samuel Tillertucky durch die Zähne …

Den Ring erkannte er wieder …

Den Ring hatte er am Finger der Fürstin Sarratow kurz nach dem Überfall auf die Hochzeitsversammlung bemerkt …

Und – abermals stieß der Dicke einen vielsagenden Pfiff aus und schielte zur Felsspalte empor …

Und – zog sich hastig wieder an … Nur die Stiefel nahm er in die Hand …

So schlich er nun nach der Stelle hin, wo er das Vorgebirge am bequemsten erklettern konnte …

Er keuchte … Er vergoß ganze Ströme von Schweiß.

Aber der Ehrgeiz trieb ihn vorwärts … Er malte sich seinen Triumph in grellen Farben aus, wenn gerade er dieses Weib gefangen im weißen Hause einbringen würde …

Man mußte ihn dann als Helden feiern. Und Sarah und Hekuba würden dann noch zärtlicher zu ihm sein.

Oh – eine glorreiche Tat würde das werden! Alle Zeitungen würden später darüber berichten … Selbst die in seiner Heimat, in der Stadt am Großen Salzsee!

So riß er denn all seine Energie zusammen und kraxelte weiter …

Bis er oben neben dem Haufen von Felsblöcken stand …

Hier überlegte er, vergegenwärtigte sich die Richtung, in der die Spalte sich aufwärtszog, aus der die Steine und schließlich der Ring herabgekollert waren.

Es stimmte! Hier in diesem Durcheinander von Felsen steckte die Fürstin …!

Und – Samuel tat es nun den roten Indianer gleich, die jetzt als friedliche Ackerbauern den Mormonenstaat mit bevölkerten und deren Ahnen das Skalpieren so vortrefflich eingeübt hatten …

Samuel kroch auf allen Vieren weiter … Was ihm nicht ganz leicht wurde … Im Gegenteil …

Und doch langte er auf diese Weise einigermaßen lautlos zwischen den Steinblöcken an und lauschte nun.

Hörte auch etwas …

Ein Plätschern … Das Rieseln von Wasser …

Sah auch etwas …

Da gerade vor ihm lag eine Steinplatte – so groß wie eine halbe Tür …

Und aus den Öffnungen zwischen dieser Platte und dem Felsboden drangen die wässrigen Geräusche hervor …

Noch immer …!

Es klang fast, als ob jemand badete … –

Tillertucky kniete jetzt und packte zu – packte die Steinplatte, hob sie ganz langsam empor …

Höher und höher …

Erstarrte …

Seine Augen quollen aus den Höhlen …

Was waren Sarahs und Hekubas Reize im Vergleich zu jener Venus dort, die ohne jegliches Badekostüm dort unten in dem Loche bis zu den Knien nur in einer natürlichen Zisterne, einer Ansammlung von Regenwasser stand und nun den dicken Mormonen genau so entgeistert anstarrte, wie er sie mit den Blicken eines sachkundigen Haremsherrschers musterte …

Die Fürstin Sarratow, stets auf Körperpflege bedacht, nahm hier tatsächlich ein Bad … Wollte Nerven und Leib erfrischen, wollte wieder in den Vollbesitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte gelangen …

Und wurde so durch Samuel Tillertucky überrascht…

Ahnte nicht, daß Steine und Ring durch eine Ritze im Boden den Weg nach unten genommen hatten …

War zunächst vor Schreck nun erblaßt … Erkannte jedoch sehr bald die wahre Bedeutung von Tillertuckys absoluter Reglosigkeit und lächelte ihn verführerisch an.

Sagte leise: „Bitte – schließen Sie den Eingang wieder … Das Licht blendet mich …“

Samuel zitterten plötzlich die Arme …

Und der arme Samuel gehorchte … Das heißt, er stieg eiligst in die Liebesgruft hinab und ließ die Steinplatte herabgleiten …

Nun war’s fast dunkel um ihn her …

Tillertucky hätte auch jede Beleuchtung in diesem Falle als höchst störend empfunden … –

Als er nach einer Viertelstunde aus dem Felsloch wieder herauskletterte, rief Mafalda ihm nach:

„Du verständigst dich dann also mit Armaro … Ein Fünftel des Schatzes – – mein Wort darauf!“

Samuel schlicht davon, hob seine Stiefel auf und wanderte, eine geknickte Tugend, nach dem einsamen Hause zurück …

Sein Hirn war leer … Seine Seele war der Tummelplatz unglaublichster Gefühle …

‚Nun hat die Teufelin dich in den Klauen!’ dachte er immer wieder. ‚Und – was für eine Teufelin …! Venus, die Göttin der Brunst, ist noch eine Nonne gegenüber dieser Mafalda …!’

Aber je weiter er sich von dem Orte des Verhängnisses entfernte, desto mehr verdrängten die Gewissensbisse die süßen Erinnerungen an die Stunde seiner Schwachheit …

Und langsam rang er sich zu einem Entschlusse empor. Er würde trotz allem ein ehrlicher Freund der Sphinxleute bleiben und Mafalda … verraten!

Kaum gedacht, stiegen schon wieder Bedenken in ihm auf …

Wenn Mafalda dann … ihn verriet?! Wenn Sie höhnisch mitteilte, was dort in den Felsloche des Ostkaps vorgefallen?! – Dann – dann war er für alle Zeit ein Heimatloser! Dann würden seine beiden Frauen diese Treuebruch den Mormonenbrüdern melden … Und vielleicht würden Sarah und Hekuba sofort gemeinsam ihn tätlich angreifen in wilder Eifersucht …! Möglich war ja alles …!

Und Samuel seufzte – seufzte wie ein sterbendes Nashorn …

So ähnlich kam er sich jetzt vor – als Nashorn! Ein Horn hatte ihm diese Teufelin Mafalda aufgesetzt – ein Horn der Untreue …!

Tillertucky schlicht dahin wie ein zum Tode Verurteilter …

Je näher er dem Hause kam, desto zögernder wurden seine Schritte …

Unter den ersten Bäumen des Gartens blieb er stehen …

Jetzt erst fiel ihm ein, daß er ja noch immer die Stiefel in der Hand trug …

Und da – oh Pech! – da rief schon aus den Büschen Sarahs etwa scharfe Stimme:

„Lieber Sam, weshalb gehst du nur auf Socken?!“

Die Sträucher teilten sich, und heraus traten seine beiden Gemahlinnen …

Beide – Sarah und Hekuba …

Samuel lächelte blöde …

„Oh – mir … mir brannten die Füße so … Ich wollte baden – in der Bucht … Zum Glück sah ich noch zur rechten Zeit einen riesigen Haifisch.“

„Vielleicht war es der, den die Fürstin zum Opfer gefallen,“ meinte Hekuba ernst und zärtlich. „Oh Sam, welch ein Unheil hätte daraus entstehen können, wenn der Hai dicht gepackt hätte …!“

Und Hekuba schmiegte sich an ihn … Sarah ebenfalls …

Beide streichelten ihm das verlegene, verlogene Vollmondgesicht …

Beide führten ihn dann zum Hause …

Und Samuel vergaß alle guten Vorsätze … Feigheit beherrschte ihn … Die Würfel waren gefallen … Er war ein Lump geworden – durch die badende Venus! Und hatte doch selbst lediglich ein Bad nehmen wollen …!

Stumpfsinnig saß er dann allein im Speisesaal und starrte den Altar an … Hekuba und Sarah hatte er weggeschickt … Er wollte sich auf die Traurede vorbereiten …

Auf die Traurede?!

Nein – auf den schamlosen Verrat …!

Auf das größte Bubenstück, das je geplant war …!

Die Tür tat sich auf …

Armaro trat ein …

Drückte die Tür zu und … zog einen Revolver aus der Tasche …

„Sie waren auf dem Kap, Tillertucky …!“ flüsterte er drohend … „Ich sah Sie dort umherschleichen …! Wenn Sie mir jetzt nicht die Wahrheit sagen, mache ich Sie stumm für alle Zeit!“

Samuel lächelte müde …

„Bitte – schießen Sie nur …! Mir erweisen Sie einen Gefallen damit … Ich bin … ein verspielter Mann!“

Armaro musterte ihn prüfend – mit dem einen gesunden Auge – mit dem Auge des Weltkundigen.

Dann … grinste er höhnisch …

Er hatte begriffen …

„Aha, – Mafalda und Sie sind Freunde geworden!“ meinte er mit teuflischer Genugtuung. „Intime Freunde! Und nun schlägt Ihnen das Gewissen, frommer Mann! – Nun – es schlägt zu spät …! Was hat Mafalda Ihnen befohlen?“

Der Mormone trocknete den perlenden Schweiß von der Stirn …

„Ich … ich sollte mich mit Ihnen verständigen.“

„Das können Sie … Wir sind allein … Hier im Hause befinden sich jetzt nur der kranke Murat und Gottlieb Knorz, der bei ihm wacht. Die anderen sind am Nordstrande oder in den Grotten … Der Milliardär wollte sich die Grotten ansehen … – Sie, Tillertucky, werden hier im Hause die nötige Dosis Tamuagift in irgendeine Speise des Festessens der Hochzeitsfeier tun … Ich besorge das Gleiche auf der Jacht … Dann werden alle, die uns im Wege sind, in kurzem in todesähnlichen Schlaf versinken …“

Der Mormone ächzte …

Ich … ich … bringe das nicht fertig … Das … das Gift kann auch … tödlich wirken … Und … und …“

„Narr!“ brauste Armaro auf. „Ich habe das Tamua bereits ausprobiert, habe Murat, der Menschenbestie, etwas in den kühlen Trank getan … Er schläft jetzt … Gestorben ist er nicht …“

Tillertucky stöhnte …

„Trotzdem, Armaro, trotzdem … Es ist eine Schurkerei, wie sie größer nicht sein kann …“

„Und – – der Anteil an der Beute, du frommer Herr?!“ höhnte der Expräsident … „Die Milliarden, Brüderlein …?! Ist das ein Nichts?!“

„Verbrecherlohn …!! Das ist’s …!! Nichts anderes …! – Schießen Sie, Armaro …! Mir gilt das Leben jetzt …“

Der Expräsident lachte schallend …

„Narr!! Hör auf mit dem Salbadern …! In Mafaldas Armen wirst du Reue und alles vergessen …! – Du gehorchst …! Und damit sind wir vorläufig einig … – Hier – diese Dosis des Giftes genügt … Ich wickele dir den kostbaren Stoff in dies Stückchen Papier.“

Und er drückte es ihm in die Hand, wandte sich um und ging hinaus …

Samuel Tillertucky blieb als lebende Leiche zurück …

Nur langsam erholte er sich …

Und – kam zu einem Entschluß …

Erbärmlich war auch dieser neue Plan … Und doch, es mußte sein!

Auf diese Weise strafte er sich selbst! Dann mochte Geschehen, was da wollte …

 

150. Kapitel.

Die schlafende Insel.

Fünf Uhr nachmittags …

Unter Lachen und Scherzen deckten die lieblichen Mädchen im Garten unter den schattigen Bäumen die Hochzeitstafel, schmückten den Speisesaal aus und bekränzten den Altar …

Mister Josua Randercild hatte von seiner Jacht das ganze silberne Tafelgeschirr gespendet, dazu andere Dinge, die dem Hochzeitsfest auch die äußere Feierlichkeit verleihen sollten …

Auch die Männer waren nicht untätig. Unendlich vieles gab es ja noch vorzubereiten … –

Nur zwei hatten sich vorhin abgesondert, hatten jetzt erst Gelegenheit zu vertraulicher Aussprache gefunden: Toni Dalaargen und Tom Booder!

Als das zarte Tonerl dem jungen Amerikanern verstohlen einen Wink gegeben, ihr nach der Nordschlucht zu folgen, hatte sein Herz höher vor Freude geschlagen … Vielleicht hatte sie doch eingesehen, daß die Liebe mehr galt als ein einsames träumerisches Dasein hier auf der Insel …

Rasch eilte er ihr nach einigen Minuten nach …

Tony erwartete ihn am Ausgang der Schlucht dicht am Buchtufer. Sie saß auf einem großen flachen Stein, und das stille Wasser der Bucht spiegelte ihr reizendes Bild in allen Einzelheiten wider.

Tom stand nun vor ihr …

In seinen Augen war ein heißes, rührendes Flehen … Er haschte nach ihren Händen …

„Tonerl, darf ich hoffen …?!“

Sie errötete, wich seinen Blicken aus …

„Nicht doch, Freund Tom …“ sagte sie hastig. „Bestürmen Sie mich nicht abermals mit Bitten, die ich nie erfüllen kann … – Etwas sehr Ernstes muß ich Ihnen berichten. Fredy hat jetzt nur Gedanken für seine Mela …“

„Wie ich für Sie, Tonerl …“

„Still …! – Armaro plant etwas …!“

„Das deuteten Sie schon auf der Jacht an,“ meinte der arme Tom recht ernüchtert …

„Oh – er lächelte so höhnisch an der Frühstückstafel, als Doktor Falz über die Sphinx sprach …“

„Nun ja – mag sein …! Sind das Beweise für einen gefährlichen Plan?!“

„Tom, der hat doch auch mit dem Häuptling der Dakizwerge heimlich Vereinbarungen getroffen. Der alte Pullolaku gab ihm irgend etwas …“

„Ja – einen Fetisch …“

„Oh Tom, wie sehr enttäuschen Sie mich jetzt …! Ich … ich hätte mehr Verständnis für meine Sorgen bei Ihnen zu finden erwartet …“

„Und ich mehr Liebe …!“ murmelte der Amerikaner bitter … Fügte jedoch sofort hinzu:

„Sie sollen sich nicht ängstigen, Tonerl … Ich werde Armaro beobachten …“

„Das ist lieb von Ihnen, Tom …“ Sie drückte seine Hände, schaute ihn dankbar an. „ich wußte ja, daß Sie mich verstehen und mir helfen würden …“

Tom Booder kämpfte einen schweren Kampf …

Zu nahe war ihm Tonerls holdes Gesicht – zu nahe die roten Lippen …

Und er unterlag …

Riß sie an sich, die zarte Gestalt, küßte diesen taufrischen, keuschen Mund, stammelte Worte heißer Leidenschaft …

Toni hing wie willenlos in seinen Armen …

„Tom – Sie sind schlecht …!“ stöhnte sie …

Aber es klang gar nicht böse …

Dann aber entwand sie sich ihm, lief davon …

Ihre Röcke flatterten …

Und Tom … schmunzelte …

Dachte: ‚Oh – sie ist doch Weib! Oh – sie hat das erste Süße der Liebe gekostet und hat gebet vor Scheu und keuscher Hingabe …!’

Und jubelnd rief er:

„Tonerl – – Tonerl, warte auf mich …!“

Setzte sich in Trab …

Doch die Prinzessin Dalaargen flüchtete mit brennenden Lippen weiter und weiter …

Kam atemlos im Hofe des einsamen Hauses an und … starrte Armaro nach, der soeben, ein Paket in der Hand, die östlichen Anhöhen emporklomm – verschwand …

Mela Falz rief ihr da aus dem Küchenfenster zu:

„Tonerl, Ihr Bruder sucht Sie … Sie sollen mit Ihren Freundinnen noch schnell die Gesänge probieren … Gehen Sie nur in den Speisesaal … – Sie sind ja so erhitzt, Tonerl? Ist denn etwas geschehen?“

„Nein … nein,“ stammelte das Prinzeßchen und eilte errötend hinaus, vergaß Armaro – alles, fühlte nur noch Toms Lippen und die Kraft seiner Arme … –

Und eine halbe Stunde darauf erschien Samuel Tillertucky in der Küche, wo der Koch der Jacht mit drei Stewards als Gehilfen das Festmahl herrichtete.

Der Koch hatte als Eingangsgericht eine Fleischbrühe ‚gedichtet’, von der er nun dem frommen Herrn gegenüber behauptete, sie schmecke wie ein Göttertrank.

Tillertucky beugte den Kürbiskopf über den dampfenden Kessel …

„Der Duft ist gut …“ erklärte er …

Niemand achtete auf ihn …

Nach ein paar Minuten verließ er die Küche wieder.

Und auf der Jacht ‚Star of Manhattan’, neben der nun auch die wracke ‚Sonora’, die durch das Motorboot der Jacht hierher geschleppt worden war, vertäut lag, fand sich etwa zur selben Zeit Armaro in der Kombüse ein, wo der zweite Koch für die Besatzung ein Schlemmeressen vorbereitete – und eine kalte Bowle, die in keiner Weise durch einen Tropfen Wasser verdünnt war.

„Kosten Sie nur, Mister Armaro …,“ sagte der zweite Koch ganz stolz …

Armaro kostete und – tat noch etwas … In dem mächtigen Bowlengefäß schwammen sogar Ananasstücke … Und daher war das Getränk etwas trübe … Es wurde noch trüber … Doch, das Tamua war geschmacklos! Und das blieb die Hauptsache! –

Der Expräsident besuchte dann die Dakizwerge auf dem Vorschrift, verteilte Zigarren, die Randercild ihm für diesen Zweck gespendet hatte, obwohl er zunächst nicht recht damit einverstanden war, daß die schwarze Horde derart verwöhnt würde.

Armaro flüsterte mit dem alten Häuptling …

Pullolaku nickte wiederholt … Sein faltiges häßliches Gesicht ward zur Fratze … –

Und wieder eine halbe Stunde später spielte das Piano wie am Tage vorher den Hochzeitsmarsch aus Lohengrin …

Doch heute war alles so anders als gestern – so sehr viel feierlicher …

Selbst ein Teil der Matrosen war in Galauniform zur Trauung erschienen …

Laut und jubelnd klangen die Gesänge …

Samuel Tillertucky, blaß und erregt, sprach jedoch weniger eindrucksvoll als am gestrigen Nachmittag …

Nichts störte die Feier …

So wurde denn aus Agnes und Viktor ein Paar fürs Leben …

So setzte sich nun der Hochzeitszug nach dem Garten in Bewegung – zur glänzend gedeckten Tafel, über der die Bäume ihr weiches Lied rauschten …

Man nahm Platz …

Die Matrosen kehrten zur Jacht zurück … –

Zu zweiunddreißig Personen saß man am festlichen Tische … Stewards bedienten …

Und dieses Stewards sahen jetzt, wie der Koch in der Küche persönlich den Schöpflöffel, mit dem er die Bouillontassen füllte, zu Boden fallen ließ und auf den nächsten Stuhl sank – dann auf die Dielen glitt …

Der Koch hatte die Bouillon geschmeckt – nochmals.

Die Stewards trugen ihn rasch in einen Nebenraum und verschwiegen den Zwischenfall, trugen die gefüllten Tassen hinaus in den Garten …

Wahre Feststimmung herrschte an der Hochzeitstafel …

So begann das Hochzeitsessen mit dem ersten Gang – der Kraftbrühe …

Eine poetischere Feier als diese hier auf der schwarzen Insel dürfte wohl kaum je ein junges Paar erlebt haben …

Rings umkränzten die Felsenhöhen der Talwände diese grüne Oase …

Tropische Bäume und Sträucher in allen ihrer Üppigkeit sangen die zarten Lieder ihrer rauschenden Blätter zum Preise der Liebe …

Tausende tropischer Blüten umdufteten diese Tafel im Freien …

Und in der Ferne rauschte das Meer seine gewaltige Melodie … In der Luft schwebte das Heer der Seevögel und schien in graziösen Bewegungen die beiden Glücklichen zu begrüßen.

Über alledem aber am wolkenlosen Himmel das strahlende Tagesgestirn …

Sonnenblitze verirrten sich durch das Blätterdach und funkelten in dem kostbaren Silbergeschirr …

Frohe, heitere Gesichter blickten zu Agnes und Viktor hinüber …

Nur zwei Menschen an diesem festlichen Tisch trugen die Maske der Heuchelei: Armaro und der arme Samuel Tillertucky …

Der Mormone hatte eiskalte Schweißperlen auf der Stirn … Seine Augen waren hinter den Brillengläsern wie erloschen … Sein verzerrtes Lächeln ein Hohn auf die freudige Stimmung.

Zwischen seinen beiden Frauen saß er … Wagte kaum aufzusehen … Als der Steward ihm die Tasse auf den Teller stellte, kam’s wie ein dumpfes Stöhnen aus seiner Brust …

Und ihm schräg gegenüber Expräsident Armaro …

Mit einem ganz anderen Lächeln um die bärtigen Lippen …

Dem Lächeln des eleganten Weltmannes, der seine Dame – und das war eine der Freundinnen Toni Dalaargens, harmlos zu unterhalten sucht …

Dem Lächeln des Weltmannes, das so vieldeutig ist, das hier nur in einer besonderen Schattierung zuweilen schärfer hervortrat – der eines wundervollen Triumphes!

Und mit einer satanischen Freude beobachtete Armaro nun, wie die Hochzeitsgäste die verhängnisvolle Kraftbrühe schluckweise zu trinken begannen …

Sah, daß auch Tillertucky die Tasse zum Munde führte …

Mit Todesverachtung trank der Mormone …

Er wollte teilnehmen an dem allgemeinen Schicksal … So hatte er sich’s zurechtgelegt als Straße für sich selbst …

Ahnungslos tranken sie alle … alle …

Tillertucky freilich als einziger im vollen Bewußtsein der drohenden Gefahr …

Nur Expräsident José Armaro schauspielerte auch jetzt … Unterhielt sich eifrig … Ließ die Tasse unberührt …

Und belauerte mit gierigen Augen die einzelnen Gesichter …

Unsägliche Freude lohte in ihm auf, als er bemerkte, daß Gottlieb Knorz, der seine Tasse in langen Zügen mit Wohlbehagen geleert hatte, plötzlich schlaff auf seinem Stuhle zusammensank …

Pasqual Oretto, der neben dem treuen Diener des Grafen Viktor seinen Platz hatte, sprang empor und suchte den scheinbar Ohnmächtigen zu stützen …

Aber auch er begann zu taumeln, schwankte hin und her …

Alle Augen der Hochzeitsgesellschaft richteten sich auf die beiden.

Aber die Gesichter der Festgäste verwandelten sich rasch in fahle, angstvolle Fratzen …

Hier und dort glitt jemand haltlos, kraftlos von seinem Sitz …

Gurgelnde Schreie wurden laut …

Viele ahnten den ungeheuerlichen Frevel …

Waren trotzdem zu schwach, noch irgend einen Verdacht äußern zu können …

Schon zu schwach …

Auch Agnes und Gaupenberg entgingen dem Unheil nicht …

Schwer lehnte die blonde Madonna in des jungen Gatten schützenden Armen …

„Viktor … ich sterbe …“ hauchte Agnes mit schwindendem Bewußtsein …

Und Gaupenberg vernahm diese schreckvollen Worte nur noch wie aus unendlichen Fernen …

Glitt selbst zur Seite … glitt halb unter den Tisch … Sein Kopf ruhte auf Agnes’ Schoß …

So entschlief auch er …

Und die vier Stewards, die nun mit den Teebrettern nahten, um die Tassen abzuräumen, prallten zurück vor Entsetzt über dieses schier unmögliche Bild, das sich ihren erstarrenden Blicken darbot …

Ein Teil der Hochzeitsgäste auf dem grünen Rasen in den seltsamsten Stellungen …

Andere auf ihren Stühlen hängend – zusammengekrümmt, mit baumelnden Köpfen … oder nach vorn halb über die Tafel gesunken …

Und nicht einer mehr zeigte bewußte Bewegungen.

Selbst Armaro spielte Komödie, hatte sich neben seinen Stuhl fallen lassen …

Die Stewards warfen plötzlich die Servierbretter von sich und entflohen wie von Furien gejagt …

Durch den Garten – – zum Binnensee, um Hilfe herbeizuholen …

Und … langten keuchend an Deck des ‚Star of Manhattan’ an, wo auf dem Achterdeck die Besatzung gleichfalls am langen Tisch das Fest feierlich begehen sollte …

Und die vier Amerikaner … fanden hier ein ähnliches Bild …

Die Haare sträubten sich ihnen …

Da lagen die Kameraden auf den weiß gescheuerten Planken … Da lagen sie zum Teil übereinander … Da rührte sich nicht ein einziger mehr …

Der Obersteward Francis Gottow wandte sich geisterbleich an die drei anderen …

„Was … was bedeutet das?!“

Und er lallte wie ein Trunkener …

Die drei bewegten zuckend die Lippen …

Grauen lag in ihren weiten Augen …

Keinen Ton brachten sie hervor …

Keinen … Ton …

Und Francis Gottow stammelte:

„Mir … zittern … die Beine …! Verdammt – – was geht hier vor?!“

Und zaghaft näherte er sich dem Tisch …

Bückte sich über seinen Freund Robby, den zweiten Maschinisten …

„Nur … bewußtlos … Der Puls schlägt …!“

Er rief’s mit kräftiger Stimme …

Und fügte hinzu: „Verdammt, bringen wir erst mal unsere Nerven wieder in Ortung, Boys! Trinken wir … Die Bowle da ist gut … Ich habe sie vor einer halben Stunde probiert … – Saufen wir …! Sonst werden wir verrückt über alledem …!“

Die drei kamen heran …

Gottow füllte vier Gläser …

Sie tranken hastig … Gossen den Inhalt hinab …

Und Gottow nahm wieder die Schöpfkelle …

Füllte aufs neue …

Die Hände streckten sich nach den Gläsern aus …

Begannen zu zittern …

Vier blasse Gesichter stierten einander an …

„Gift …!!“ keuchte der Obersteward …

Drehte sich um sich selbst …

Schlug lang hin …

Die drei anderen sanken fast gleichzeitig haltlos zusammen … –

Und auf dem Vorderdeck hockten die Dakizwerge … Sechsundzwanzig Männer und acht Weiber waren’s noch …

Pullolaku, der alte Häuptling, rauchte bedächtig die durch Randercild gespendete Zigarre …

Dann erhob er sich, huschte zur Kommandobrücke …

War oben … Schaute zum Achterdeck hinüber …

Seine kleinen hinterlistigen Augen glühten auf wie Feuerbrände …

Dann glitt er zur Laufplanke – an Land …

Erklomm die Randhöhen …

Eilte in die grüne Oase hinab …

In den Garten, wo die Hochzeitsgesellschaft wie in unheimlichem Zauberschlaf dalag …

Ein breites Grinsen verzog der schwarzen Zwerges Wulstlippen …

Er berührte Armaros Schulter …

„He – Master Armaro …“

Der Expräsident, nicht mehr zum Heucheln genötigt, schnellte empor …

„Alle tot …“ feixte Pullolaku … „Alle tot sein, Master … Gut gelungen …“

Armaro schaute sich um …

Nickte kalt …

„Auch auf der Jacht?“ fragte er kurz …

„Auch dort, Master … Alle tot …“

„Unsinn – bewußtlos sind sie … Dein Gift wirkt nicht so arg …“ – Armaro sprach fast barsch in seiner ungeheuren Erregung, die er nur äußerlich zu meistern wußte.

„Laufe jetzt zum Ostkap,“ befahl er in demselben Tone. „Hole die Fürstin herbei … Ich werde inzwischen einmal nachschauen, ob auch im Hause die Köche erledigt sind …“

Der alte Dakihäuptling zögerte … Sein faltiges Gesicht drückte Ärger und heimlichen Wut aus …

„Master Armaro,“ meinte er tückisch, „ich nicht euer Sklave sein … Ich Häuptling von sechsundzwanzig Dakikrieger …“

Armaro erkannte seinen Fehler …

„Ich wollte dich nicht verletzen. Ich bin erregt …“ Und er reichte dem schmierigen schwarzen kleinen Kerl die Hand …

Der alte Spitzbube schien versöhnt …

„Gut – ich gehen …“ nickte er und eilte den östlichen Höhen zu.

Armaro war allein …

Mit einem Schlage befiel da selbst diesen Abenteurer größten Stils eine jähe Nervenschwäche …

Jetzt erst fühlte er, wie ungeheuer diese letzte Viertelstunde an seinen Nerven gerührt hatte …

Schnell goß er sich ein Glas Sekt in eins der Spitzgläser …

Trank … trank …

Bis er fast die halbe Flasche geleert hatte …

Da wurde er wieder Herr über seinen Körper …

Sein Gesicht bekam Farbe …

Sein eines Auge prüfte das ungewöhnliche, unheimliche Bild all dieser besinnungslosen Menschen …

Und dann … lachte er schallend auf …

Ein Lachen höllischen Triumphs …

Und lachend versetzte er dem dicken Mormonen einen Fußtritt …

„Narr …!“

Und er warf den Kopf zurück, reckte sich höher …

Holte tief Atem …

„Ich werde wieder sein, was ich war …!“ sagte er ganz laut … „Ich werde die Milliarden erringen und durch sie mein Land, meine Residenz …! Wehe denen, die es gewagt haben, mich zu vertreiben!“

Das gesunde Auge leuchtete in dem intelligenten, brutalen Gesicht …

José Armaro war jetzt gleichsam wieder auferstanden …

José Armaro war nicht mehr der niedergedrückte Blinde, wie ihn die Prinzessin Toni Dalaargen auf der Jacht kennengelernt hatte …

Dann – nahte Mafalda …

Neben ihr der Dakihäuptling …

Und die Fürstin blickte nur flüchtig über die Tafel – über die stillen Gestalten …

Streckte dem Verbündeten die Hand hin …

„Also – – gesiegt, José …! Ich gratuliere uns! – Was nun?“

„Wir werden die Besatzung durch die Daki an Land bringen lassen … Dann gehen wir mit dem ‚Star of Manhattan’ in See …“

„Ganz mein Plan, José … Wir haben keine Zeit zu verlieren …“ –

Die Daki schleppten die Matrosen vom Achterdeck auf die Felsen …

Derweil war Mafalda allein rasch zum einsamen Hause hinübergeeilt …

Fand sich auf der Jacht wieder ein, als Armaro bereits die Trossen losmachen ließ …

„Die ‚Sonora’ brennt,“ sagte er kurz und deutete auf den wracken Dampfer …

Aus den Luken und die Treppen der ‚Sonora’ herauf quoll Rauch …

Armaro bestieg das Motorboot der Jacht …

Das Boot schleppte den ‚Star of Manhattan’ zur Bucht hinaus in die offene See …

Hier ließ Armaro durch die affenartig gewandten Zwerge Segel setzten … Die Jacht kam in Fahrt … Nach einer Stunde war sie gen Westen unter dem Horizont verschwunden. Inzwischen hatte Armaro einen Teil der Daki im Maschinenraum notdürftig mit den Obliegenheiten der Heizer vertraut gemacht. Er wollte wenigstens versuchen, die Maschinen der Jacht in Gang zu bringen … –

Und auf der schwarzen Insel …?

Zwei dicke Rauchsäulen stiegen dort empor, wo das entlegene Eiland mit seinen düsterem Felsmassen die Leere des Ozeans geheimnisvoll, brandungumrauscht belebte …

Zwei mächtige Feuer wüteten auf der Insel … Die ‚Sonora’ brannte … Und es brannte auch das weiße Heim, das der alte Herzog hier für seine Lieblinge errichtet hatte …

Das einsame Haus, von Mafalda angezündet, stand in hellen Flammen …

Unten im Speisesaal hatte sie, voller Haß gegen diese Stätte, in der Agnes Sanden heute Gräfin Gaupenberg geworden, das Feuer angelegt, hatte dann ohne Erbarmen, ohne Bedenken die bewußtlose Agnes in den Flur des Hauses geschleppt …

Und doch sollte auch diese Untat nicht vollendet werden …

Nicht alle hier auf der schwarzen Insel schliefen den todesähnlichen Schlaf …

Im ersten Stock des einsamen Hauses in einem der kühleren Zimmer nach Norden zu lag Murat, der treue Homgori …

Gerade bei ihm, den das Wundfieber hinzuraffen drohte, hatte der Probegifttrunk Wunder gewirkt …

Gerade bei ihm …!

Anderthalb Stunden hatte er fest geschlafen danach. Erwachte nun … Fühlte sich seltsam erfrischt …

Und – – spürte mit seinem tierisch feinen Geruchssinn sofort die Dünste des unten im Hause wütenden Feuers … Wurde unruhig … Kroch auf allen Vieren von seinem Krankenlager zur Tür des Zimmers und weiter in den Flur …

Qualm, Hitze schlugen ihm entgegen …

Er kroch eilends der Treppe näher … Kroch die Stufen hinab …

Unten ein schwarzes Gewoge von Rauchmassen … Finsternis … Flammenzungen wie Blitze … Prasseln und Knistern …

Murat richtete sich auf …

Ein Lufthauch, der durch die offene Haustür strich und die Finsternis lichtete, ließ ihn für einen Augenblick undeutlich eine Gestalt im unteren Flur erkennen.

Der Homgori raste jetzt die Treppe abwärts …

Seine durchschossene Lunge schmerzte …

Die Wunde stach …

Blut drang ihm in den Mund …

Und doch … – Murat hatte Agnes erkannt … Seinen blonden Schützling, für den in seiner wilden Seele so unendlich viel Hingabe lebte …

Nun hatte er Agnes erreicht … Hob sie empor …

Und im selben Augenblick brach das Fenster durch eine Lücke der Verbindungswand nach dem Speisesaal hindurch …

Feuerblitze versperrten den Weg …

Murat sprang hindurch …

Durch die Haustür …

Ins Freie …

Und … fiel vornüber … schleuderte seine leichte Bürde noch zur Seite, um Agnes nicht durch die Last seines Körpers zu erdrücken …

Ein dicker Blutstrom quoll ihm aus dem Munde …

Seine mächtigen Hände krallten sich im Todeskampf in die grüne Grasnarbe des Bodens …

Dann … lag er still …

Und die schlafende Insel schlief weiter …

Weiter brannten die ‚Sonora’ und das einsame Haus …

Bis in die Nacht hinein …

Blutrot der Himmel über der Insel …

Rötlich erstrahlte der Garten …

Wie im Dornröschenschlaf ruhten hier die Hochzeitsgäste …

Krachend stürzte das lohende Haus zusammen … Funkengarben schossen empor …

Und … die schlafende Insel schlief weiter …