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Kapitel 131–140

131. Kapitel.

Das Reich König Salomonis.

Im Speisesaal des einsamen Hauses der schwarzen Inseln erzählte Gipsy Maad den Freunden ihre Erlebnisse …

Sie berichtete, wie sie von dem hageren Graubart so überraschend überwältigt worden war, wie sie dann aus tiefer Bewußtlosigkeit erst auf dem schmalen Bett eines Stübchens der Wohngrotte erwachte …

„Auf einem Tische brannte an der anderen Wand eine gelb verhängte Petroleumlampe. Neben meinem Bett saß ein Mädchen – eine von denen, die mir bereits am Buchtufer die Freuden der Insel der Glückseligkeit so verlockend geschildert hatten …

Als ich mich regte, beugte das Mädchen sich sofort über mich und sprach mir beruhigend zu … Es war zweifellos eine Deutsche …

Ich fühlte mich zunächst noch sehr matt. Sie holte mir einen erfrischenden Trank und war in jeder Weise zart und liebevoll.

Nur als ich sie auszufragen begann, erwiderte sie erst nach einer geraume Weile: „Wenn du freiwillig für immer bei uns bleiben willst, werde ich dir antworten …“

Ich überlegte. Ich sagte mir, daß in meiner Lage eine Notlüge ein Gebot der Selbsterhaltung sei.

So erklärte ich meiner Pflegerin denn, daß ich bereit sei, alle Bedingungen zu erfüllen.

Sie schaute mich erst etwas überrascht an, lief dann glückselig hinaus, und ich hörte sie draußen rufen: ‚Schwestern, sie ist bekehrt …! Unser König hat eine neue Tochter erhalten!’

Dann kamen zehn der in so leichte, duftige Gewänder gekleideten Mädchen zu mir hereingetänzelt … Sie hielten sich bei den Händen gefaßt, und vor meinem Bett drehten sie sich nun im Kreise und sangen ein merkwürdiges Lied in einer mir unbekannten Sprache.

Ich kann nur sagen, daß dieser ganze Auftritt etwas seltsam Unwirkliches, Traumhaftes und doch auch wieder … Erschreckendes an sich hatte …“

Hier fiel Worg seiner jungen Landsmännin in die Rede und meinte gespannt:

„Weshalb etwas Erschreckendes, liebe Miß Maad! – Das müssen Sie uns näher auseinandersetzen …“

Gipsy hob die Schultern …

„Mister Worg, das lag wohl mehr in meinem Gefühl … Auch ein Kind, das in der Nacht von Elfen und Geistern träumt, wird bei plötzlichem Erwachen eine Empfindung des Grauens haben. So erging es mir. – Die Mädchen verschwanden dann wieder. Nur meine Pflegerin blieb zurück. Sie nannte mir nun auch ihren Namen: Suleima! – Ich ahnte, daß es nur der Name sein könne, den sie hier führte. Als ich sie bat, mir doch ihren wirklichen zu nennen, meinte sie erstaunt, sie habe doch stets schon so geheißen. – Dies verwirrte mich, und flüchtig kam mir da der Gedanke, Suleima könnte geisteskrank sein.

Noch mehr wurde ich in dieser Vermutung bestärkt, als sie mir jetzt auch all die vorher an sie gerichteten Fragen beantwortete.

Sie erklärte, die Insel der Glückseligkeit sei durch König Salomo geschaffen, der sich nach seinem Tode als verkörperter Geist hierher zurückgezogen habe, begleitet von seinen Lieblingstöchtern Fatima, Suleima und Etmeh. Den Palast Salomonis – sie meinte das einsame Haus – habe er durch seine Geister erbauen und den Garten aus Nazareth herüberschaffen lassen …

Ich will hier nicht alles wiederholen, was Suleima mir an halb spukhaften, halb widersinnigen Dingen erzählte. – Jedenfalls bildete sie sich ein, schon stets hier auf der Insel gelebt zu haben. Von ihrer Vergangenheit wußte sie nichts mehr. Und genau dieselbe Beobachtung habe ich bei den anderen Mädchen gemacht. –

Ich wurde dann müde, und Suleima verhüllte die Lampe noch mehr.

Ich schlief ein.

Als ich wieder erwachte, jetzt völlig gekräftigt und entschlossen, um jeden Preis zu entfliehen, – als ich langsam die Augen öffnete, da … saß der hagere Graubart an Stelle Suleimas neben meinem Bett.

Ich erschrak ein wenig …

Er begann sofort in mildem Tone zu mir zu sprechen …“

„Halt,“ unterbrach Doktor Falz die Detektivin da. „Wiederholen Sie uns die Worte des Mannes recht genau, damit wir daraus vielleicht einige Schlüsse ziehen können.“

Gipsy schüttelte den Kopf. „Herr Doktor, das wird Ihnen nicht gelingen … Ich bin doch selbst Berufsdetektivin, und Mister Worg wird mir bestätigen, daß ich nicht gerade begriffsstutzig bin. Aber aus den Reden König Salomonis war nichts zu entnehmen …

Er sagte ungefähr folgendes – in englischer Sprache, die er ziemlich fließend beherrschte:

‚Suleima hat mir berichtet, daß du, meine Tochter, Amerikanerin bist. Du willst für immer bei uns bleiben. Ich hoffe, daß du dir dies reiflich überlegt hast, denn in dem Augenblick, wo deine Probezeit zu Ende ist und ich dich aufnehme in unsere Gemeinschaft, versinkt dein früheres Leben für immer für dich. Auch nicht die Spur einer Erinnerung an das Einst wird in deinem Gedächtnis je wieder rege werden.’

„Ich gebe zu,“ warf Gipsy hier sehr ernst ein, „daß der hagere Mann mir unheimlich erschien, als er mit solcher Bestimmtheit davon sprach, daß er mein Gedächtnis für die Vergangenheit töten könnte …“

„Ja – mit Recht unheimlich,“ meinte Mela Falz, die ihren Sesseln dicht neben den Gipsys gerückt hatte.

Und die Detektivin fuhr fort:

„Der Hagere sagte weiter, daß ich mich ja hüten solle, ihn etwa zu täuschen …

‚Wenn du glaubst, von hier vielleicht entfliehen zu können, nachdem ich dir die Probezeit gewährt habe, so will ich dich aufs nachdrücklichste warnen. Du wärest nicht die erste, die ich in unseren Kerkern für immer verschwinden ließ … Schon andere wagten es törichterweise, mich zu belügen, – andere, die ein Schiffbruch hier an die Gestade meines Reiches geworfen hatte. Sie haben alle ihre Unehrlichkeit schwer gebüßt, büßen Sie noch …’ so sprach er.“

„Halt!“ rief Doktor Falz abermals. „Dieser Grund in Gipsys Schilderung muß näher erörtert werden. – Haben Sie Anhaltspunkte dafür gewonnen, daß dieser rätselhafte Greis tatsächlich hier irgendwo Leute gefangen hält?“

Die junge Amerikanerin machte eine ungewisse Handbewegung …

„Anhaltspunkte – nein, das wohl nicht … Nur überzeugt bin ich, daß der Hagere nicht log und nicht umsonst drohte. – Lassen Sie mich erst mit der Wiederholung der Worte des Fremden zu Ende kommen, Herr Doktor. Dann werden Sie sich selbst ein Urteil über ihn bilden können … –

Er erhob seine Stimme zu drohender Stärke, als er über die Eingekerkerten folgendes sagte:

‚Denen, die der Zufall hierher führte, war die Wahl gegeben zwischen einem Leben in holdem Frieden und unseren Kerkern. Sie alle wußten, wie hart ich Lüge und Täuschung bestrafen würde. Wenige nur, die es ehrlich meinten …! Und deshalb, meine Tochter, seid vorsichtig hinsichtlich deines Entschlusses.’

Dann schwieg er, schien von mir eine Antwort zu erwarten.

Mich hatte nun wirklich die Angst gepackt. Und zaudernd fragte ich ihn, was mit mir geschehen würde, wenn ich mich weigerte, freiwillig auf der Insel zu bleiben …

„Dann,“ entgegnete er, „dann wirst du heimkehren dürfen zu den Deinen – nach einem Jahr. Und in diesem einen Jahr wirst du … vergessen lernen! Wenn du dann heimkehrst, wird dieses Jahr, dieses mein Reich – wird alles in deiner Erinnerung tot sein. Die wirst dich auf nichts mehr besinnen, was du hier erlebtest. In deinem Gedächtnis wird eine unausfüllbare Lücke klaffen: dieses eine Jahr! Und deshalb wirst du niemanden etwas von der Insel der Glückseligkeit verraten können, die ich gegenüber der Neugier der sterblichen Menschen stets mit größter Rücksichtslosigkeit verteidigt habe. Letzteres weißt du. Vier von deinen Gefährten habe ich erschossen. Und doch sind meine Hände rein von Blut …’ Er schwieg, blickte mich sehr ernst an.“

„Ein Verrückter!“ rief Jakob Worg jetzt. „Natürlich ein Verrückter …! Was sonst?!“

Aber Gipsy Maad sagte sinnend:

„Mister Worg, das glaube ich nicht recht …“

Und Falz meinte:

„Lieber Worg, lassen Sie Gipsy ihre Schilderung erst beenden … Nachher können wir unsere Ansichten austauschen …“

Und zu Gipsy gewandt:

„Sie erklärten dem Manne dann, daß Sie Ihr Versprechen zurücknehmen würden, also nicht freiwillig auf der Insel bleiben wollten …“

„Nein, Herr Doktor … Ich bat mir Bedenkzeit aus – drei Tage. Ich wußte ja, daß Mister Worg mich suchen würde. Ich wußte dies aus des Hageren näheren Angaben über die Erschossenen. Er erwähnte, daß zwei davon zahme Gorillas gewesen seien. Da sagte ich mir mit Recht, es könnte sich nur um unsere Homgoris handeln, und mithin müßten auch andere von unserer Gesellschaft hier gelandet sein.“

„Wie nahm der Mann denn diesen Ihren neuen Entschluß auf?“ fragte Worg, um das Tempo dieses Bericht etwas zu beschleunigen.

„Er war einverstanden … Er lobte auch meine Ehrlichkeit. Dann verabschiedete er sich. Sein ganzes Benehmen deutete auf einen feingebildeten Mann erster Gesellschaftskreise hin. – Als er gegangen, erschien Suleima wieder und half mir beim Ankleiden, führte mich in die helle Grotte mit den Fenstern und blieb dauernd bei mir. Auch noch vier andere Mädchen waren stets in meiner Nähe. Ich wurde eben streng bewacht. Inzwischen war es Tag geworden. Als ich eine Weile später an einem der Fenster stand, kam mir der Gedanke, eine Nachricht auf einem Zettel hinabzuwerfen. Ich zog mich daher für kurze Zeit in meine Schlafkammer zurück und kritzelte eiligst ein paar Worte auf eine Seite meines kleinen Notizbuches. Ich war dabei, was den Text betrat, für den Fall, daß er in fremde Hände geriet, absichtlich recht vorsichtig. Und nachher konnte ich auch wirklich in einem unbewachten Augenblick das Papier zum Fenster hinausschleudern. Es flatterte langsam nach unten …“

„Die Mädchen unterhielten sich mit Ihnen doch, Miß Maad,“ meinte Worg abermals. „Konnten Sie denn gar nichts Näheres herausbringen?“

„Nein … All diese freundlichen Geschöpfe hatten von ihrer Vergangenheit keine Ahnung mehr … Alle drangen nur mit herzlichen Bitten in mich, doch bei ihnen zu bleiben, und beschrieben mir ihr Leben in den lockendsten Farben. Trotzdem – das Gefühl des Unbehagens wurde ich in ihrer Gesellschaft nie los … Sie alle hatten so merkwürdig verträumte Augen … Sie erschienen mir in der Tat wie Geschöpfe aus einer fremden Welt. – Dann tauchte plötzlich wieder der … ‚König Salomo’ in der Wohngrotte auf, flüsterte hastig mit Suleima, worauf diese mich in mein kleines Gemach führte und mir verbot, es vorläufig zu verlassen. Ich gehorchte. Eine lange Zeit verstrich. Mit einem Male hörte ich draußen in der Grotte Männerstimmen – die meiner Befreier. Ich öffnete die Tür und – – war frei.“

Kaum hatte Gipsy jetzt durch eine gleichsam abschließende Handbewegung angedeutet, daß sie nichts mehr zu sagen wüßte, als Mela Fall ein wenig verlegen fragte:

„Haben Sie auch mit dem Mädchen gesprochen, daß, wie Ihnen schon bekannt ist, zum Kutter hinüberschwamm und von Murat an den Strand gezogen wurde? Dieses Mädchen war blond, hatte ein feines Gesichtchen und einen wundervollen Körper …“

„Ja … Ihrer Beschreibung nach kann dies nur Etmeh gewesen sein, der erklärte Liebling des Hageren.“

Mela Falz fragte tapfer weiter, obwohl sie fürchten mußte, daß alle Anwesenden nunmehr klar erkennen würden, wie es um ihre Gefühle für Fredy Dalaargen bestellt war.

„Miß Maad, noch etwas …,“ meinte sie, indem sie stark errötete. „Hörten Sie vielleicht während Ihres Zusammenseins mit den Mädchen in der Wohngrotte, daß irgendwie über den Verlust eines Perlenkreuzes gesprochen wurde?“

„Gewiß … Und gerade diese blonde Etmeh war’s, die ein solches Kreuzchen erwähnte, das sie vorgestern verloren und bisher vergeblich gesucht hätte … Sie war sehr betrübt darüber, obwohl Suleima scherzend meinte, das Tragen von Schmuck sei auf der Insel der Glückseligkeit doch wohl eigentlich verboten … Und außerdem, fügte Suleima noch hinzu, gehöre das Kreuz doch einem fremden unbekannten Mädchen … Es sei ja auf der Rückseite ein Name eingraviert, den niemand hier kenne …“

Mela Falz nickte … „Ja – den niemand aus dem Grunde kennt, weil dieser Hagere, so behaupte ich, durch irgendwelche seelische Machtmittel jede Erinnerung in diesen armen Geschöpfen getötet hat – nur deshalb! Das Kreuz ist Eigentum dieser Etmeh, davon bin ich überzeugt. Und Etmeh heißt in Wahrheit Toni Dalaargen, ist des Herzogs … Schwester!“

Tiefe Schweigen folgte diesen erregt hervorgestoßenen Worten …

Nur ein einziger lächelte gütig und verständnisvoll: Doktor Dagobert Falz!

Und er erklärte nun nach kurzer Pause:

„Meiner Tochter Rückschlüsse auf ein nahes verwandtschaftliches Verhältnis zwischen Dalaargen und diesem blonden Kinde möchte ich noch dahin erweitern, daß ich ebenso bestimmt behaupte: Der Hagere, den unser Murat leider in seiner Rachsucht aber auch wohl in berechtigter Selbstverteidigung niederschoß, ist der Vater des Herzogs! Mela hat mir vorhin all das anvertraut, was Dalaargen ihr über ein trauriges Verhängnis seines Geschlecht mitgeteilt hatte …“

Falz führte ganz kurz die notwendigsten Einzelheiten an und wandte sich zum Schluß mit der Frage an Gipsy:

„Würden Sie mir sagen können, ob diese Etmeh eine auffallend schmale Nase mit tief eingekerbten Nasenflügeln hatte? – Mela dürfte, als sie das Mädchen am Strande des Binnensees sah, auf diese Eigentümlichkeit kaum geachtet haben …“

Gipsy bejahte lebhaft. „Das feine Näschen steiß mir geradezu auf, Herr Doktor …“

„Und Dalaargens Nase ist genau so gebaut,“ rief Mela freudig. „Bedarf es wohl eines weiteren Beweises, daß es sich um Geschwister handelt?!“

Der kleine Worg meldete sich jetzt nicht minder erregt …

„Endlich lösen sich all die dunklen Fäden …! Endlich wissen wir nun, weshalb Dalaargen den Kutter entführte. Er hat hier seinen Vater gesucht und – vielleicht nur noch als Leiche wiedergefunden! Den Toten und die Mädchen will er jetzt anderswohin bringen! – Gewiß, es bleibt auch jetzt noch ein Rest von Ungeklärtem übrig. Immerhin, ich glaube jetzt ebenfalls, daß Fredy Dalaargen hierher zurückkehren wird! – Nun aber, meine Freunde, lassen Sie uns einer dringenden Pflicht genügen, suchen wir nach den Gefangenen, die doch fraglos in irgend einem geheimen Nebenraum des toten Kraters eingesperrt sind! Ich glaube nicht, daß dieser noch immer rätselhafte Greis, der hier als Geisteskranker, wie wir wohl nun bestimmt annehmen können, einer Schar von harmlosen Mädchen ein gütiger Vater war, in dieser Beziehung die Unwahrheit gesprochen hat. Die Gefangenen, die er Gipsy gegenüber erwähnte, sind vorhanden! Davon bin ich überzeugt. Es genügt nun, wenn drei von uns die Grotten nochmals …“

Ein Splittern der Fensterscheiben ließ ihn jäh verstummen …

Ellen und Mela schrien gellend auf …

Draußen vor den drei Fenstern waren ein Dutzend wilde Gestalten erschienen, hatten die Läufe ihrer Karabiner durch die zerborstenen Scheiben gestoßen …

Und fast gleichzeitig war die Tür nach dem Flur aufgeflogen …

Vier weitere braunhäutige Kerle in schmierigen Seemannsanzügen standen in der Tür – gleichfalls bewaffnet, gleichfalls auf die völlig Überraschten anschlagend …

Und einer dieser vier, ein Mann mit pockennarbiger gelbgrauer Mestizenvisage, brüllte jetzt drohend:

„Hände hoch …!! Ergebt euch!! Wir fackeln nicht lange …!!“

Und um dieser Warnung Nachdruck zu verleihen, feuerte er seinen Revolver zweimal ab – dicht über Jakob Worgs Kopf hinweg …

 

132. Kapitel.

Die neuen Herren der schwarzen Insel.

In dem Hohlraum im Inneren des Hügels von Felsblöcken auf dem Plateau an der Nordwestseite der Insel hatte sich Mafalda sofort um das verkleidete junge Weib bemüht, der Lomatz’ Kolbenhieb zum Glück nicht ernstere Verletzungen zugefügt hatte.

Dieses Mädchen mit dem dunklen Teint der Südländerinnen öffnete sehr bald die Augen und schaute sich verwirrt um.

Als sie das Gesicht Mafaldas so dicht über sich bemerkte, flüsterte sie hastig, wobei sie kraftlose Anstrengungen machte, ihre Fesseln wieder abzustreifen …

„Oh – – hüten Sie sich …!! Geben Sie mich frei …! Sie werden es sonst bitter bereuen, nicht überfallen zu haben! Geben Sie mich frei …!!“

Auch Lomatz gewahrte sie nun, schaute ihn starr an und rief noch eindringlicher:

„Mein Vater wird Sie beide nicht schonen, wenn er erst die anderen Insassen des Hauses in seiner Gewalt hat …!! Hüten Sie sich …!!“

Sie kam jetzt immer mehr zu Kräften, und in ihrem leidenschaftlichen Gesicht und in den schwarzen, feurigen Augen flammte eine so wilde Empörung, das Lomatz sich scheu mehr in den Hintergrund zurückzog.

Anders die Fürstin Sarratow …

Die hatte hoch aufgehorcht, als das junge Weib von den Insassen des Hauses sprach …

Sie ahnte, daß hier das Schicksal zu ihren Gunsten einzugreifen schien …

Fragte schnell, indem sie die Fesseln der Fremden zu lösen begann:

„Meinen Sie mit den Insassen des Hauses die Europäer, die jetzt dort weilen?“

„Wen sonst?!“ erklärte das Mädchen triumphierend. „Schon jetzt dürfte mein Vater sie sämtlich gefangengenommen haben … Oh – hüten Sie sich! Wir sind gut bewaffnet … Wir sind zu vierzehn hier …! Hüten Sie sich …!!“

Sie hatte jetzt Hände und Füße wieder frei, setzte sich aufrecht …

Mafalda lächelte kühl …

„Sie irren sich … Wir beide hier haben mit jenen Leuten nichts gemein … Es sind sogar unsere erbittertsten Gegner … Wir kamen auf der Flucht zufällig hierher … Man hatte uns im Stalle eingesperrt … – Wie heißen Sie?“

Die unnachahmliche Ruhe der Fürstin machte offensichtlich Eindruck auf das Mädchen …

Zweifelnd blickte sie Mafalda an und entgegnete etwas widerwillig:

„Ich bin Juanita Traganza, die Tochter des Kapitäns Camillo Traganza … Wir sind Mexikaner …“

„Und wie kamen Sie hier auf diese Insel, – falls es wirklich eine Insel ist?“

Juanita schüttelte den Kopf. „Wie, Sie wissen nicht einmal, wo Sie sich befinden, Sennora?“

„Nein … Wir wurden in einem Motorkutter als Gefangene hierher gebracht und erst in einem Binnengewässer an Land und in den Stall des Hauses geführt. Dort sind wir vor kaum einer Stunde entwichen. – – Hier – sehen Sie meine Handgelenke, Juanita! Sie erkennen noch deutlich die geschwollenen Stellen, wo die Stricke saßen …“

„Oh – und die Striemen sind ganz frisch …! – Sennora, Sie scheinen die Wahrheit zu sprechen …“

„Das tue ich …! Wenn wir nicht Flüchtlinge wären, hätten wir auch Sie wohl kaum so brutal behandelt, Juanita …! Es war nichts als der Selbsterhaltungstrieb.“

„Ich verstehe!“ nickte die junge Mexikanerin … „Ja – das ändert viel … Wenn Sie beide sich auf unsere Seite schlagen wollen, so sind Sie ja vor Ihren Feinden sicher …“

„Mit Freuden, Juanita,“ lachte Mafalda mit der bezaubernden Liebenswürdigkeit, die dieser Abenteurerin jederzeit zu Gebote stand. „Und Sie werden an mir und meinem Freunde dort gute Verbündete haben, die Ihnen viel nützen können. – Was wollten Sie jetzt hier, Juanita?“

Die Mexikanerin sprang schnell auf die Füße …

„Patronen sollte ich holen, außerdem noch drei Karabiner … – Ich muß mich beeilen … Helfen Sie mir bitte, Sennora … Mein Vater wird ärgerlich sein, wenn ich mich hier zu lange aufhalte. Ich fürchte ihn zwar nicht, doch wozu Zank und Streit?!“

Lomatz wollte jetzt seinen Diensteifer beweisen, öffnete rasch die Kiste mit den Waffen und erklärte, er würde alles Nötige tragen …

Juanita nahm das auch dankend an, wandte sich wieder Mafalda zu und fragt bescheiden:

„Sennora, wie darf ich Sie nennen?“

„Ich bin die Fürstin Mafalda Sarratow … Das Sennor dort heißt Edgar Lomatz … – Nun erzählen Sie mir schnell, Juanita, wie sie hier auf die Insel gelangt sind? Anscheinend doch schon vor längerer Zeit …“

„Wir … waren hier gefangen,“ stieß die junge Mexikanerin jetzt in geradezu zügelloser Wut hervor. „Sennora, unser Dreimaster strandete an der Ostseite der Insel genau vor elf Monaten … In jener Sturmnacht wurde mein Vater, dem das Vollschiff gehörte, zum Bettler … Dreizehn Mann des Schiffes, mein Vater und ich suchten im Großboot das Ufer zu erreichen. Vorsichtshalber ruderten wir jedoch um die Insel herum, damit wir unter Wind landen konnten. Wir hatten von dem Dreimaster nur diese vier Kisten mitgenommen. Die Landung glückte uns. Wir schafften die Kisten hier auf das Felsplateau in diesen Hügel, ebenso die mitgebrachten Antennenmasten …“

„Wozu bargen Sie denn gerade die, Juanita? Gab es nichts Wertvolleres auf dem Schiffe?“

Die Mexikanerin wurde etwas verlegen …

„Das … das weiß ich nicht, Prinzipessa … Danach müssen Sie schon meinen Vater fragen …“

Lomatz rief jetzt:

„So, hier habe ich sechs Karabiner, sechs Revolver und zwanzig Schachteln Patronen zusammengepackt … Wir können aufbrechen … Vielleicht kriechen die Damen zuerst hinaus … Und vielleicht hilfst du mir dann das Paket durch die Öffnung ziehen, Mafalda …“

Als die drei dann über das Plateau dem Strande zuschritten, mußte Juanita in ihrem Bericht fortfahren.

„Wir glaubten bestimmt, Sennora, daß die Insel, die übrigens auf keiner Seekarte verzeichnet ist, unbewohnt sei. Als wir landeten und in dem Hügel Schutz vor dem Unwetter suchten, war es völlig finster, und der Regen goß in Strömen herab. Nur die Blitze eines furchtbaren Gewitters beleuchteten zuweilen diese kahlen Felsen. Am Morgen durchstreifen unsere Leute die Insel und fanden so das einsame Haus und den grünen Garten drüben im Tal. Das Haus stand leer. Kein Mensch ließ sich blicken. Wir merkten jedoch, daß die Bewohner erst vor kurzem sich entfernt haben konnten. Wir durchsuchten nun die Insel, und hierbei geschah es, daß unsere Matrosen nacheinander von einem hageren Greise gefangengenommen wurden. Der tat das so geschickt, daß wir übrigen – wir waren noch unserer fünf – keine Erklärung für dieses Verschwinden fanden und törichterweise uns trennten, um einzeln nach ihnen auszuspähen. Ich blieb mit Sennor Maximiliano Guardo zusammen, einem Freunde meines Vaters … Und wir beide wurden dann ganz überraschend von dem Greise ebenfalls überfallen und von ein paar Sennoritas, die ihm halfen, gefesselt …“

Mafalda blieb jetzt unwillkürlich stehen und schaute die Mexikanerin mißtrauisch an.

Sie wußten ja bisher nichts von der Insel der Glückseligkeit, nichts von all dem Wunderbaren, das die Sphinxleute hier erlebt hatten …

„Juanita,“ fragte sie ungläubig, „was Sie da erzählen, klingt fast zu abenteuerlich …“

„Sennora, die Heilige Jungfrau ist meine Zeugin. Alles hat sich so zugetragen!“ rief die junge Mexikanerin eifrig. „Und – es kommt noch viel abenteuerlicher, Sennora … Wir waren jetzt nämlich in der Gewalt eines … Irrsinnigen, und geisteskrank waren auch die sechzehn Mädchen …“

„Irsinnig – geisteskrank?!“ Mafalda hatte doch gewiß in ihrem Leben Dinge erlebt, die jedem Durchschnittsmenschen ein zweifelndes Lächeln entlockt hätten, wenn er davon gehört haben würde … Aber dies hier war selbst einer Fürstin Sarratow zufiel …!

Juanita bat hastig, man möge den Weg fortsetzen … Und in einem Atem fügte sie zu:

„Wir lagen nun alle gefesselt in einer Höhle, die fast einem gewaltigen Dome mit mächtigen Steinsäulen glich … Der Greis fragte uns, ob wir freiwillig auf der Insel bleiben wollten – für immer … Dann würde er uns aufnehmen in sein Reich und unsere Herzen säubern von allem Schlechten, indem er die Vergangenheit in unseren Hirnen auslöschte …“

Mafalda lachte jetzt laut heraus …

Doch Juanita meinte sehr ernst:

„Sennora, auch wir haben damals den Greis ausgelacht, und mein etwas jähzorniger Vater hat ihn mit wüsten Beschimpfungen überhäuft … – Oh – er hätte vorsichtiger sein sollen! Denn nun schaffte uns der unheimliche Fremde einzeln an einem langen Tau in eine andere Höhle hinab – durch einen engen Schacht … Diese Höhle empfing am Tage etwas Licht durch einige Felsritzen der Außenwand, die die eine Seite einer Schlucht bildete. In dieser Höhle haben wir dann elf Monate gehaust … Flucht war unmöglich … Speise und Trank erhielten wir jeden Tag durch den Schacht in einem an einem Tau befestigten Korbe …“

„Ein Roman!“ murmelte Mafalda …

„Oh Prinzipessa …“ – und Juanitas schwarze Augen flammten wieder auf … „Oh Prinzipessa, – was haben wir dort unten gelitten! Diese Einsamkeit, diese Langeweile …! Was haben wir alles versuchen, um freizukommen! Heute erst entdeckten wir plötzlich, daß das Tau in dem Schacht herabhing und daß niemand uns wehrte, als wir nach oben kletterten … Wir gelangten durch eine Steintür ans Ufer des runden Sees. Hier schickte mein Vater dann zwei Leute als Späher nach dem Hause. Die kamen zurück und meldeten, daß im Speisesaal eine Anzahl Männer und drei Frauen versammelt seien und daß auf dem Hofe ein seltsames Boot läge, welches von einem Gorilla und einem sehr starken, breitschultrigen Menschen bewacht würde …“

„Die Sphinx, Murat und Jimminez,“ nickte Mafalda …

„Inzwischen hatten wir noch eine höher gelegenen Grotte mit Fenstern und zimmerartigen Verschlägen und … Waffen gefunden, Prinzipessa … Da beschloß mein Vater, sich zum Herrn der Insel zu machen und all die Leute gefangenzunehmen. Ich sollte derweil von hier Munition und drei Karabiner holen …“

Mafalda drückte jetzt Juanitas Hand …

„Und – Sie bringen uns nun mit, Juanita …! Uns beide, die wir genau den Wert des Bootes kennen, das dort auf dem Hofe liegt … Es … ist ein Luftschiff, Juanita … Ein Fahrzeug, das seinesgleichen nicht hat … Mit diesem Luftboot, der Sphinx, kann ich Sie und die Ihrigen hinbringen, wohin Sie wollen …“

Man war jetzt am Ufer der Nordbucht angelangt und hier kamen ihnen nun drei Matrosen, drei Leute Camillo Traganzas entgegengeeilt …

Sie stutzten, als sie die Tochter ihres Kapitäns in Begleitung zweier Fremder erblickten. Juanita winkte ihnen sofort beruhigend zu …

Und wenige Minuten später standen Mafalda und Lomatz im Garten des einsamen Hauses dem Kapitän Camillo Traganza gegenüber …

Juanita erklärte, wo und wie sie mit der Prinzipessa zusammengetroffen wäre.

Der kleine pockennarbige Mexikaner, der ein ausgesprochenes Gaunergesicht mit den rüden Manieren eines Trampkapitäns in wenig angenehmer Weise in sich vereinte, musterte Mafalda und Lomatz mit tückischen Augen und grinste derart widerwärtig, daß Lomatz bereits alles verloren gab.

Die Fürstin merkte, daß dieser Traganza auf besondere Art behandelt werden mußte … Sie wollte sich von vornherein mit ihm gut stellen, wollte es erst gar nicht zu peinlichen Szenen kommen lassen.

„Auf ein Wort, Sennor,“ sagte sie und winkte ihm … „Treten wir etwas beiseite … Ich möchte nur Ihnen allein erklären, weshalb die Leute, die jetzt Ihre Gefangenen sind, mir und Lomatz … nach dem Leben trachten …“

Sie spielte hier wieder das alte Spiel, diese gewissenlose Intrigantin, und sie wußte, daß sie es gewinnen würde.

Widerwillig schritt der Kapitän neben ihr den Hauptweg entlang …

„Sennor Traganza,“ begann Mafalda, „das Luftboot dort auf dem Hofe ist nicht das Wertvollste, was ich Ihnen darbieten kann …“

Er grinste sie an – unverschämt, gierig …

„Wollen Sie sich selbst anbieten – he?! – Oh, das verfängt bei mir nicht!“

Und doch fühlte sie, daß dieser brutale Patron bereits dem lockenden Flimmern ihrer Augen erlegen war …

Sie setzte plötzlich ihr hochmütigstes Gesicht auf …

„Diesen Ton verbitte ich mir, Kapitän,“ sagte sie kalt. „Sie scheinen mit Damen in Ihrem Leben nicht viel verkehrt zu haben … Sie wissen, wer ich bin …“

Er lachte schrill …

„Und wenn Sie die Königin von England wären, hier auf dieser unbekannten Insel bin ich jetzt Herr und Gebieter! Ich allein! Und ich werde es bleiben, so wahr in meinen Adern das Blut von Ahnen fließt, die etwas berühmter sind als die Ihren, Sennora …! Vielleicht haben Sie einmal von dem Volke der Inkas gehört, die einst den ganzen Norden Südamerikas beherrschten … Meine Mutter war eine Indianerin, war ein Abkömmling der Inkakönige, und mein Vater, der Herzog von Traganza, rühmte sich, ein Vetter des Königs von Spanien zu sein. Freilich – er verlor Titel und Vermögen politischer Umtriebe wegen … Doch – was tut’s. Ich, Camillo Traganza, bin und bleibe der Sohn eines Herzogs …!“

Mafalda blieb völlig ernst … Sie kannte ja den Familienstolz der Spanier, und daher erwiderte sie nur:

„Sie sind dann also erst später in Mexiko heimisch geworden, Sennor?“

Der Kapitän war in Eifer geraten. Sobald er jemandem seine Herkunft unter die Nase reiben konnte, fühlte er sich glücklich, blähte er sich vor Stolz – – mit dieser Gaunervisage …!!

„Mein Vater erwarb das mexikanische Bürgerrecht … Er hatte drei Kinder … Meine Brüder gingen in die Mapimi …“

„Was heißt das?“

Traganza blieb stehen … grinste …

„Das heißt, sie wurden Kaballeros der Landstraße.“

„Also … Straßenritter?“

„Ja … – Doch – was wollten Sie mir denn nun eigentlich noch anbieten, Prinzipessa?“

„Milliarden …“

Er glotzte ihr verblüfft in das völlig gleichmütige Gesicht …

„Ja, Milliarden …,“ wiederholte Mafalda …

Und sie jubelte innerlich … Sie merkte ja, dieser lächerliche Strolch hatte noch keine Ahnung, welche Werte der Motorkutter barg!

„Geld?“ fragte Traganza fassungslos …

„Nein, Gold und Edelsteine …“

„Und … und … Milliarden, Prinzipessa?! Sie scherzen wohl …“

„Durchaus nicht … Dieser Milliarden wegen sind die von Ihnen gefangengenommenen Europäer meine Todfeinde, denn sie wollen dasselbe wie ich – das Gold besitzen! Dieser Kampf zieht sich jetzt bereits fast fünf Monate hin … – Übrigens eine Frage, Kapitän … Haben Sie das Motorboot auf dem Binnensee ebenfalls in Ihre Gewalt bekommen?“

„Ein Motorboot befindet sich weder dort noch in einer der anderen Buchten, Prinzipessa …“

„Ich meine das Motorboot, mit dem wir hierher geschafft wurden … Es ist ein großer gedeckter Kutter.“

Camillo Traganza schüttelte den Kopf …

„Bedaure wirklich, Prinzipessa,“ meinte er. „Hier auf der Insel ist nur das Luftboot vorhanden, und das ist innen halb zerstört …“

Mafalda fühlte, daß er nicht log …

Die ungeheure Enttäuschung, daß vielleicht irgend einer der Sphinxleute den Kutter und den Schatz noch rechtzeitig in Sicherheit gebracht haben könnte, ließ sie erbleichen …

Mit jäher Bewegung umkrallte sie des Kapitäns Arm …

„Und – – und der Kutter lag auch nicht mehr am Ufer des Binnensees, als Sie die Grotte verließen?“

„Nein …“

„Nun denn, Sennor, – in diesem Kutter befanden sich die Milliarden …!“

Traganza sah, wie blaß sie geworden.

Und wenn irgend etwas geeignet war, all seine Zweifel an der Existenz dieses Schatzes zu zerstreuen, so war es Mafaldas ungeheure Erregung – dieser Farbenwechsel ihrer Gesichtshaut und dieses Vibrieren ihre Stimme …

Jetzt begann auch er Feuer zu fangen – er, der durch den Verlust seines Dreimasters alles eingebüßt hatte, was er in zwanzig Jahren erworben – wenn auch nicht immer auf ehrliche Weise …

„Prinzipessa,“ meinte er mit einem Male überaus höflich, „Sie glauben also, daß der Kutter mit dem Schatze auf und davon ist …?“

„Ja … Oder aber, die Leute haben das Gold bereits an Land geschafft …“

„Nun, das werden wir schon herausbekommen …“ – Er wurde mit einem Male Kavalier … verbeugte sich …

„Prinzipessa, wir sind dann also Verbündete?“

„Ja – und der Schatz, halb auf halb, Kapitän.“

Sie gab ihm die Hand …

„Halb auf halb,“ bestätigte er …

Und jeder der beiden dachte in diesem Augenblick dasselbe, den anderen Teil … zu betrügen! –

Sie machten kehrt …

„Natürlich schweigen wir von dem Golde,“ sagte Traganza leise …

„Selbstverständlich … – Nur mein Freund Lomatz ist eingeweiht. – Haben Sie auch alle Sphinxleute erwischt, Kapitän?“

„Alle … Das heißt, der Gorilla ist uns ausgekniffen …“

„Das ist kein Gorilla, Sennor … Es ist ein Tiermensch, halb Neger halb Affe … – Sorgen Sie dafür, daß diese Bestie von ihren Matrosen bald erschossen wird …“

„Vier Mann sind hinter ihm her …“

„Sie haben im Hause doch auch einen Kranken vorgefunden?“

„Gewiß … Und bei ihm saß eine blondes Sennorita, ein wahrer Engel an Schönheit …“

Agnes Sanden und Gaupenberg …!!

Und Mafaldas Gesicht wurde zur Fratze …

„Was taten Sie mit den beiden?“

„Genau dasselbe wie mit den übrigen, sie sind alle in den Grotten eingesperrt. Die Waffen haben wir ihnen abgenommen, und vor der Steintür und vor dem Abhang mit den Fenstern habe ich Posten aufgestellt. Die Leute können nicht entfliehen. Mögen sie dort bleiben, bis …“

„… ja, bis die Sphinx ausgebessert ist und wir dem Schatz nachjagen können, fals er eben nicht hier irgendwo versteckt ist …“ –

Lomatz sah schon von weitem, daß Mafalda gesiegt hatte …

Ihm fiel wahrhaftig ein Stein vom Herzen. Diesem Traganza traute er nichts Gutes zu.

Der Kapitän reichte nun auch Lomatz die Hand …

Juanita freute sich, daß dergestalt der Frieden gewährleistet war …

Lachend wollte sie die schöne Prinzipessa nun ins Haus ziehen … Hier im Garten stach die Nachmittagssonne denn doch noch zu sehr …

Aber – plötzlich stand sie wie angewurzelt, schaute zur Haustür empor, wo ein schlanker, fast mit weltstädtischer Eleganz gekleideter Mann vom reinsten Typ des vornehmen Mexikaners in eleganter Nachlässigkeit lehnte und die … Fürstin Sarratow wie hypnotisiert anstarrte …

Dieser Herr war Maximiliano Guardo, der Freund Traganzas …

War einer jener überall beliebten, liebenswürdigen, unterhaltenden Nichtstuer, bei denen man nie recht zu fragen wagt, woher sie die Mittel zu ihrem behaglichen Lebenswandel nehmen.

Mafalda hatte ihn längst bemerkt …

Diese eigenartige männliche Schönheit überraschte sie. Sein Gesicht mit dem dunklen Spitzbart erinnerte sie unwillkürlich an den berühmten Sänger d’Arnade in der Rolle als Don Juan …

Sie hatte auch seine bewundernden Blicke bereits mit einem kaum merklichen Lächeln beantwortet …

Ahnte nicht, daß hier in dieser Sekunde, wo Juanita jetzt so bestürzt den Freund ihres Vaters anstierte, ein Konfliktstoff geschaffen wurde, der für die sämtlichen jetzigen Bewohner der schwarzen Insel neue Verwicklungen heraufbeschwören sollte …

Dann aber gewahrte sie Juanitas halb angstvolle, halb entsetzten Blicke …

Und Mafalda war Weib …

‚Eifersucht …!’ schoß es ihr durch den Kopf …

Und als nächstes: ‚Vorsicht!’

Kühl fragte sie die junge Mexikanerin mit gedämpfter Stimme:

„Wer ist denn jener … Geck dort?!“

Juanitas Kopf fuhr herum …

„Ooh – er gefällt Ihnen nicht, Prinzipessa?“

„Gefallen?! – Liebes Kind, ich bin Witwe … Ich kenne die Männer …“

Juanitas Gesicht hellte sich wieder auf … Sie hatte die Hand der Fürstin losgelassen. Mafalda stand jetzt mit dem Rücken nach der Tür hin, wo der Mexikaner noch immer in derselben zwanglosen Haltung lehnte …

„Gehen Sie nur, Juanita,“ nickte die Abenteurerin freundlich. „Ich will mir einmal die Sphinx ansehen … Sie soll ja am Boden ein größeres Einschußloch haben …“

Und langsam schritt sie um das Haus herum. Lomatz und Camillo Traganza schlossen sich ihr an …

Der Kapitän schien die kleinen merkwürdige Szene beobachtet zu haben, denn er lachte nun lautlos in sich hinein und sagte zu Mafalda:

„Prinzipessa, meine Tochter ist eifersüchtig … Und dabei hat sie eigentlich gar kein Recht darauf, meinem Freunde Guardo zu verbieten, auch mal eine Dame wie Sie wohlgefällig anzuschauen … Nein, Maximiliano hat zu Juanita noch nie ein Wort von Liebe oder dergleichen gesprochen … Freilich – die beiden sind Jugendgespielen …“

„Und Juanita … hofft,“ lächelte Mafalda liebenswürdig unbefangen …

„Vielleicht, Prinzipessa … Sie ist ein schwieriges Kind, sehr verschlossen und eigenwillig …“

Sie waren vor der Sphinx angelangt, begannen nun die Schäden zu besichtigen …

Mafalda war im ersten Augenblick geradezu entsetzt über den Zustand des Luftbootes …

Besonders im Innern, wo die krepierte Granate recht böse Verheerungen angerichtet hatte, bot sich der Fürstin ein erschreckendes Bild dar.

Sie erkannte aber sehr bald, daß die Schäden sich würden ausbessern lassen, mußte aber doch den Gedanken aufgeben, den Kutter mit der Goldladung – falls diese sich wirklich noch an Bord befand – mit der Sphinx suchen zu können.

Während dieser Besichtigung hatte sie dann auch Gelegenheit, Lomatz heimlich zuzuflüstern:

„Wir müssen unbedingt in Erfahrung bringen, wo der Schatz sich befindet … Sieh zu, daß du von Traganza als Unterhändler zu den Gefangenen geschickt wirst … Ich möchte dich nicht direkt vorschlagen, um nicht Verdacht zu erregen …“ –

Kapitän Traganza ahnte nicht, mit welch gefährlichen Abenteurern er sich hier eingelassen hatte.

Gewiß, auch er war seinen moralischen Eigenschaften nach ein gewissenloser Draufgänger. Der Verlust seines Dreimasters, der sein gesamtes Vermögen dargestellt hatte, war mit daran schuld, daß er jetzt blindlings nur einem Ziele zustrebte, irgendwie aufs neue zu Geld zu kommen! – Die Aussicht auf die Milliarden hatte ihn in einen förmlichen Rausch versetzt. Aber er verstand sich zu beherrschen – wenigstens jetzt. Trotzdem war er mit Blindheit geschlagen. Wie konnte er einem Weibe trauen, das einen Menschen wie diesen Lomatz, den die Heimtücke und Hinterhältigkeit schon aus den Augen leuchteten, zum Genossen hatte?! –

Die Besichtigung war beendet.

Man schritt wieder zu dreien um das Haus herum. Auf dem Hofe und im Garten lungerten Traganzas Matrosen umher, Kerle wie die Seeräuber, alle mit einem gierigen Funkeln in den Augen, wenn sie die blendende Erscheinung der Fürstin musterten …

Mafalda sprach jetzt mit dem Kapitän über das Verschwinden des Motorkutters und über die Frage, ob der Schatz sich noch auf dem Fahrzeug befunden habe …

Sie wußte geschickt wie immer dem ihr geistig weit unterlegenen Traganza den Gedanken einzugeben, Lomatz als Unterhändler zu den Sphinxleuten zu schicken, wobei sie sich hütete, etwa Lomatz’ Namen direkt auszusprechen …

Traganza war vor der Haustür stehengeblieben. Juanita und der elegantem Mexikaner wandelten weiter hinten im Garten…

Gerade als der Kapitän jetzt Lomatz bat, doch einmal zu versuchen, ob er nicht von den Gefangenen etwas über den Schatz erfahren könnte, – gerade da ereignete sich rechter Hand auf den steilen Abhängen des Tages etwas so Grauenvolles, daß selbst der pockennarbige Traganza erdfahl wurde …

Plötzlich knallten dort rechts in einer Schlucht drei Schüsse …

Und ebenso plötzlich erschien jetzt Murat, der zottige Homgori, oberhalb der Schlucht und kletterte an der Steilwand mit verblüffender Gewandtheit empor …

Dann wurden dort auch die vier Matrosen, die der Kapitän zur Verfolgung des ‚Gorillas’ ausgeschickt hatte, deutlich sichtbar …

Abermals feuerten sie jetzt – fast gleichzeitig …

Seeleute sind nur selten gute Schützen …

Außerdem hatte Murat noch zur rechten Zeit sich umgeschaut …

Mit gewaltigem Satz war er zur Seite gesprungen, hatte einen schmalen Felsenaltan erreicht und sich dort niedergeworfen …

Die vier Matrosen standen etwa zwanzig Meter tiefer dicht beieinander …

Was dann geschah, dauerte nur Sekunden …

Murat mußte erkannt haben, daß der schmale Felsblock, auf dem er lag, nur locker in einer Spalte steckte.

Und dieser Block hatte eine Länge von vier und eine Breite von zwei Meter, wog fraglos gut fünfzig Zentner …

Mit einem Male brüllte der Homgori mit tiefen Kehllauten den furchtbaren Angriffsschrei seiner Affenahnen …

Und im selben Moment rasselte auch schon der Steinblock hinab, während Murat sich seitwärts auf einen anderen Vorsprung in Sicherheit brachte …

Die Matrosen stierten empor …

Sahen das Unheil nahen …

Schienen wie gelähmt …

Eine Steinlawine ging dem Felsblock voraus …

Dann folgte dieser mit wachsender Geschwindigkeit, prallte dicht vor den vier Männern auf den Rand der Schlucht auf und … rollte vorwärts …

Ein paar wahnwitzige Schreie dort oben …

Und – alles war still …

Nur Murat stand an der Steilwand jetzt aufrecht und schlug mit den enormen Fäusten triumphierend die hochgewölbte Brust …

Diese dumpfen Trommeltöne dauerten auch dann noch an, als Traganza mit lästerlichem Fluch einem in der Nähe befindlichen Matrosen den Karabiner entriß und auf dem Tiermenschen zu feuern begangen …

Ohne Erfolg …

Dann war der Homgori plötzlich in einer Felsspalte verschwunden.

Traganza warf den Karabiner wütend in den Muschelkies …

„Diese Bestie …!! Vier meiner besten Leute …!! – Vorwärts!“ befahl er dem gleichfalls verstört umherstehenden Matrosen … „Vorwärts, seht nach, ob noch einer der vier am Leben ist!“

Doch – keiner rührte sich …

Traganza bekam vor Grimm weiße Flecken auf den Wangen … Sein Gesicht war unglaublich verzerrt …

„Feiglinge!“ keuchte er … „Habt Ihr etwa vor diesem Affen Angst?! Hinauf mit euch …!“

Seine Hand fuhr nach dem Ledergürtel, wo das Revolverfutteral hing …

Da sagte einer dieser jungen Kerle, indem er eine Art Verbeugung vor Traganza machte:

„Kapitano, Ihr wißt, daß wir keine Memmen sind … Wir haben damals den Frachtdampfer geentert, obwohl …“

„Halt’s Maul, Juan …,“ schrie Traganza etwas verlegen dazwischen …

„Nun ja, Kapitano, – mit Menschen von Fleisch und Blut riskieren wir jederzeit einen ernsten Strauß … Aber das Geschöpf ist weder Affe noch Mensch … Hier auf Erden gibt’s keine solchen Ungeheuer …“

Traganza lachte ärgerlich …

„Abergläubische Narren …! Dann werde ich selbst gehen …“

Er meinte es völlig ernst.

Inzwischen waren jedoch Juanita und der schlanke Guardo herbeigekommen. Juanita rief ängstlich:

„Vater, wage nicht zuviel! Die Bestie zermalmt vielleicht auch dich!“

Guardo, dieser verkörperte Don Juan des berühmten d’Andrade, nahm jetzt Gelegenheit, sich der Fürstin und Lomatz vorzustellen …

Als er sich vor Mafalda verneigte, schaute er ihr tief in die Augen …

Und seine Augen waren genau so dunkel und leidenschaftlich wie die der Fürstin …

Nur – noch etwas anderes lag in diesen starren, großen, blitzenden Sternen. Etwas Bezwingendes, etwas Befehlendes, etwas … unheimlich Beeinflussendes …!

Dann wandte Maximiliano Guardo sich seinem Freunde zu … –

„Ich werde gehen, Camillo …“ Seine Stimme war wohllautend und doch eigentümlich verschleiert …

„Du weißt, Camillo, daß meine Augen Macht haben über jegliches Getier, über den blutgierigen Jaguar genau so wie über den Graubären … – Es ist ein merkwürdiges Geschenk, das die Natur mir da mitgegeben …“ Er sprach jetzt mehr für Mafalda … „Und ich möchte erproben, ob es mir nicht auch hier gelingt, dieses Geschöpf zu bändigen …“

Dann drehte er sich um und schritt durch den Garten davon …

Mafalda überlegte blitzschnell …

Rief dann Traganza zu:

„Ich werde den Sennor begleiten … Ich bin eine tadellose Schützin … Lassen Sie mir einen Karabiner und Patronen geben …“

Juanita, die aus Angst um Guardos Leben beide Hände auf das jagende Herz gedrückt hatte, sagte jetzt überstürzt:

„Prinzipessa, schützen Sie Guardo … Ich flehe Sie an … Er ist so tollkühn … Er hat einmal auf seinem Rancho einen Jaguar mit den Händen erwürgt …“

Mafalda nickte der hübschen Mexikanerin freundlich zu …

„Keine Sorge, Juanita … Meine Kugel geht nie fehl …!“

Dann folgte sie Guardo, nachdem sie Lomatz noch halblaut zugerufen hatte, daß er inzwischen mit den Gefangenen sich in Verbindung setzen solle …

 

133. Kapitel.

Mafaldas Gebieter.

„Eine nette Bescherung!“ sagte der unverwüstliche Gerhard Nielsen zu Viktor Gaupenberg, dem man ein Bett aus den Schlafkammern an eins der Fenster der Wohngrotte aufgestellt hatte. „Wir haben diese Strolche befreien wollen, und nun hat das Lumpengesindel uns hier eingesperrt! Eine verkehrte Welt!“

Und Nielsen verzog dabei sein frisches Gesicht in so komischer Weise, daß selbst Agnes lächeln mußte, die ebenfalls neben Gaupenbergs Lager saß.

Dem Grafen ging es bereits erheblich besser. Das Fieber war verschwunden, und mit regstem Interesse hatte er an all den Ereignissen teilgenommen, die sich in den beiden letzten Stunden abgespielt und einen so jähen Umschwung in der Lage der Sphinxleute herbeigeführt hatte.

Außer diesen drei Personen hier an dem einen Fenster befanden sich nur noch Mela und Ellen in der Nähe, und zwar in der Küche, um die allgemeine Abendmahlzeit vorzubereiten. Alle übrigen waren in die Kratergrotte hinabgegangen, um diese ganz genau zu untersuchen.

Gaupenberg erwiderte jetzt auf Nielsens Bemerkung:

„Ich beurteile unsere Gefangenschaft ebenfalls nicht allzu ernst, Herr Nielsen … Die Matrosen und der Kapitän sind doch schließlich keine Raubmörder … Wir werden uns schon mit ihnen einigen.“

„Du vergißt Mafalda,“ meinte Agnes leise. „Mafalda und Lomatz werden es leicht erreicht haben, den Kapitän als Verbündeten zu gewinnen … Und dann, Viktor, – dann … fürchte ich das Schlimmste …“

Nielsen jedoch erklärte munter:

„Fräulein Sanden, dieser Kapitän ist mild gesagt ein Rindvieh … Er glaubte sehr schlau zu handeln, als er uns dieses interessante Gefängnis anwies … In Wahrheit liegen doch die Dinge so, daß wir uns lediglich als Belagerte zu betrachten haben, denn wir können hier zwar schwer hinaus, brauchen jedoch auch niemand zu uns hereinlassen …“

„Hm – ohne Waffen?!“ warf Gaupenberg ein …

Nielsen lächelte verschmitzt …

„Was brauchen wir Waffen, Graf?! Wenn wir unten die auf die Felsplatte hinausführende Steintür verrammeln, soll mir mal einer das Kunststück vormachen, uns zu belästigen …! Der Betreffende könnte doch nur durch diese Fenster eindringen. Und dies zu verhindern, genügen ein paar lange Knüttel, Steine oder dergleichen … Wer auf die schmale Terrasse vor den Fenstern gelangen will, muß sich vom Bergrand oben an Tauen herablassen … – Ein umständliches Geschäft!“

„Sie haben nicht ganz unrecht,“ pflichtete Gaupenberg bei. „Nur weiß ich nicht recht, welchen Vorteil das für uns haben könnte …“

„Oh bitte – einen sehr großen, Herr Graf, nämlich den, daß wir in aller Ruhe die Geheimnisse dieser Grottenwelt auskundschaften können … Den Eingang der Höhle, in der die Seeleute als Gefangene gesteckt haben, kennen wir schon … Und ich wette, daß unsere Gefährten jetzt dort unten noch mehr entdecken werden … Vielleicht gar einen Weg ins Freie! Ich bin sogar überzeugt, daß es einen solchen Weg geben muß, denn der alte Herzog Dalaargen – falls er der Hagere war – wird schon noch für ein geheimes Schlupfloch aus diesem Fuchsbau gesorgt haben …“

Ellen Hartwich kam jetzt eilends von der Küche herbei …

„Herr Nielsen,“ bat sie, „Sie könnten uns ein paar Konservenbüchsen öffnen … Wir werden nicht recht fertig damit …“

„Gern …“

Er sprang auf und folgte ihr.

So war denn das Brautpaar hier allein …

So konnte Agnes mit scheuer, tiefer Zärtlichkeit sich über den Geliebten beugen …

Minutenlang hielt Gaupenberg sie umschlungen, küßte sie immer wieder …

„Mir ist so bang …,“ flüsterte Agnes … „Ich wünschte, das Gold läge irgendwo auf dem Meeresgrunde, wo niemand es mehr bergen könnte … – Viktor, ich … hasse diesen Schatz! Welch unendliches Leid hat er uns und anderen schon gebracht, wie viel Menschenleben vernichtet – geradezu gefressen wie ein gieriger Moloch …!“

Gaupenbergs Gesicht wurde ernst …

„Agnes, wie kann man etwa hassen, das für Millionen unserer Landsleute ein Glück, eine Erleichterung bedeuten wird! Kämpfen wir denn für uns um das Gold?! Nein – für die Allgemeinheit, für Deutschland! Und sollte etwa all das, was wir bisher gelitten, zwecklos gewesen sein?! Wünscht du wirklich, daß ich … diesen Kampf abbreche?“

Sie schaute ihn an – ihn, den so grausam durch die Brandwunden Entstellten …

„Ich – – bin dein, Viktor!“ sagte sie fest. „Und was du tust, werde ich gutheißen …“

Und noch leiser, noch inniger:

„Wunderst du dich, daß mein Herz sich in ungewisser Angst zusammenkrampft? Mafalda ist hier – – Mafalda!!“

Und als wollte der Zufall diese ihre Worte noch unterstreichen, draußen vor dem Fenster fiel von oben das Ende eines Taus herab, und an diesem Tau … rutschte jetzt Edgar Lomatz herunter …

Als er durch das Fenster das Bett, Gaupenberg und die jäh erblaßte Agnes erkannte, verbeugte er sich mit ironischer Höflichkeit …

Indem kehrte Gerhard Nielsen aus der Küche zurück, sah den Verbrecher dort außen auf der schmalen Terrasse und rief:

„Ah – der kommt mir gerade recht! Das ist ja Herr Edgar Lomatz unseligen Angedenkens von Christophoro her!“

Und ohne weiteres öffnete er jetzt das Fenster …

Lomatz hielt eine Repetierpistole bereit, drohte sofort:

„Bleiben Sie, wo Sie sind, Sie Verräter!! Eigentlich müßte ich Sie niederknallen!“

Nielsen lehnte sich an den Felsrand der Fensteröffnung …

„Stecken Sie Ihre Pistole nur ein, Sie Narr!“ meinte er gleichmütig. „Oder – wenn es Ihnen Spaß macht – – schießen Sie! Vergessen Sie aber nicht, daß ich in jedem Falle noch die Kraft finden werde, Ihnen an die Kehle zu fliegen und Sie die Steilwand mit hinabzureißen! – Was wollen Sie hier?“

Lomatz fühlte sich plötzlich in seiner Rolle als Unterhändler höchst unbehaglich. Er hatte sich den Empfang durch die Sphinxleute ganz anders gedacht, hatte gehofft, hier so recht selbstbewußt auftreten zu können …

Damit war’s nun nichts … Dieser Nielsen hatte ganz das Zeug dazu, seine Drohung auch wahr zu machen.

Lomatz ließ zunächst mal die erhobene Waffe sinken.

Dann erwiderte er höflicher als er’s eigentlich beabsichtigte:

„Wir wollen Ihnen einen Vorschlag unterbreiten … Ich unterhandle jedoch nur mit dem Grafen Gaupenberg oder mit Steuermann Hartwich …“

Gaupenberg hat jedes Wort gehört. Er richtete sich jetzt mit Agnes’ Hilfe etwas auf und meinte:

„Herr Nielsen hat Vollmacht von mir … – Sprechen Sie …!“

Nielsen wandte den Kopf zurück …

„Danke, Herr Graf … Also unbeschränkte Vollmacht …“ – Und zu Lomatz: „Zunächst – in wessen Auftrag sind Sie hierher gekommen?“

„Im Auftrage Kapitän Camillo Traganzas …“

„Gut. – Sie und diese Gaunerin Mafalda haben sich also mit Traganza zusammengetan?“

„Ja …“ – Lomatz schäumte innerlich bereits vor Wut …

Und aus dieser Wut heraus fügte er höhnisch hinzu:

„Jedenfalls sind wir jetzt die Herren der Insel, Herr Nielsen, und Sie … unsere Gefangenen …“

„Ein Irrtum, sehr verehrter Herr Lomatz, ein kleiner Irrtum … Wir sind die Herren dieser Grotte … Und wen wir nicht hineinlassen wollen, der kommt auch nicht hinein – nie und nimmer! – Aber nur weiter … Ihr Vorschlag?“

„Wir wollen Sie freilassen, wenn Sie uns den Schatz ausliefern,“ stieß Lomatz hervor – sehr kleinlaut, denn er sah schon voraus, daß er hier nichts ausrichten würde …

Nielsen krümmte sich jetzt auch förmlich vor Lachen.

„Mann, Sie sind übergeschnappt …!! Schatz ausliefern?! Wir – – Ihnen?! Mann, das ist ein kapitaler Witz! – Bestellen Sie dem Sennor Kapitän nur, daß wir Sphinxleute ihm ungeheuer dankbar sind, weil er uns gerade diese Grotte als Festung zugewiesen hat – als Festung – – und als Tresor, als Schatzkammer …! Sagen Sie ihm, er soll sich das Gold nur holen! Wird ihm schwer werden, schätze ich! Wir haben’s nämlich hier so gut versteckt, daß nicht mal des Teufels Großmutter es finden würde! – Haben Sie noch einen Wunsch …?“

Lomatz war grüngelb vor Haß und Grimm … War blind … sah nicht, daß Gerhard Nielsen sich ein ganz klein wenig zusammengeduckt hatte.

Zu spät merkte er den Angriff …

Nielsen hatte sich vorwärtsgeschnellt, hatte zugepackt, riß Lomatz durch das offene Fenster in die Grotte hinein, entwand ihm die Pistole … und trat zurück, meinte mit übertriebener Liebenswürdigkeit:

„Verzeihen Sie, sehr verehrter Herr Lomatz, daß ich einen kleinen taktischen Fehler Ihrerseits derart korrigiert habe … Ein Parlamentär kommt stets unbewaffnet … Sie gestatten also, daß ich Ihre Pistole behalte … – Wie ich außerdem sehe, haben Sie noch eine zweite in der Jackentasche stecken … Fräulein Sanden, wollen sie freundlichst Herrn Lomatz die Waffe aus der Tasche ziehen und auch nachsehen, ob er Patronen bei sich hat. Inzwischen will ich auf Herrn Lomatz’ Stirn zielen – nur zum Scherz …“

So wurde Edgar Lomatz auch die zweite Pistole und dreißig Patronen los …

Er bot jetzt wahrlich keinen imponierenden Anblick dar! Im Gegenteil! Da er fürchtete, daß Nielsen ihn jetzt fesseln und einfach hierbehalten würde, traten ihm vor Angst dicke Schweißperlen auf die Stirn …

Nielsen sah das …

Lachte schallend …

„Mann, Sie … schwitzen ja! Und ganz überflüssiger Weise. Ein Parlamentär darf stets ungehindert in das feindliche Lager zurückkehren, mag er auch ein noch so übler Schuft sein! – Also – verduften Sie …! Und sagen Sie dem Kapitän, daß er ein Mordsochse ist und daß ich ihn freundschaftlichst warnen lasse, doch ja nicht etwa uns hier angreifen zu wollen! Die Steintür unten ist verrammelt, und diese Fenster werden wir mit Brettern vernageln, in denen hübsche Schießscharten sich befinden werden … – Also – leben Sie so wohl als auch ganz besonders, Herr Lomatz … Es war mir eine Unehre, mit Ihnen verhandeln zu dürfen …“

Lomatz schlich davon …

Und hinter ihm her erscholl des Grafen Gaupenberg vergnügtes Lachen …

„Ich bin noch gesünder geworden, Herr Nielsen!“ rief der Graf … „Sie haben Ihre Sache geradezu prächtig gemacht!“

Lomatz kletterte an dem langen Tau empor, welches oben von vier Matrosen gehalten wurde …

Zwölf Meter hatte er zu klettern …

Er ließ sich Zeit …

Denn oben stand ja auch Kapitän Traganza …

Und – was sollte er dem nun wohl erzählen?!

Gewiß – Traganza konnte nicht beobachtet haben, wie Nielsen ihn überrumpelt hatte, denn über der Terrasse wölbte sich das Gestein weit vor …

Aber – wie sollte er den Verlust der beiden Pistolen erklären?!

Die Wahrheit eingestehen?! Sich so blamieren?! – Niemals …!

Lomatz langte jetzt oben an …

Ein Matrose packte ihn und zog ihn vollends empor.

Der pockennarbige kleine Kapitano winkte ihn beiseite …

„Nun?!“

„Eine heiße Schlacht, Sennor …“

„So?!“

„Ja … – Ich konnte die Wahrheit über den Verbleib des Schatzes nur erkaufen …“

„Erkaufen?“

„Durch meine Pistolen … – Der Schatz liegt in den Grotten versteckt, Kapitano. Nun wissen wir’s. Ist dies die Pistolen wert gewesen …“

„Hm – allerdings … – Und wie stellen die Gefangenen sich unserem Vorschlag?“

„Die haben ihn glatt abgelehnt …“

„Verdammt!“

„Und sie erklären, daß sie sich keineswegs als Gefangene betrachten. Sie wollen die Grotte verteidigen.“

„Verdammt …!!“

„Die Sache steht für uns trotzdem nicht ungünstig … Auf der Sphinx gibt es … Sprengbomben …“

„Ah – – sehr gut, Sennor Lomatz …!“

„Wir werden die Steintür unten am See einfach sprengen … Und dann angreifen …“

„Hm … angreifen …?! Ein faules Geschäft …“

„Natürlich von zwei Seiten angreifen, also auch eine Bombe auf die Terrasse schleudern – in die Fenster …“

„Glänzend, Sennor Lomatz …!“

„All das selbstredend nachts … – Kehren wir zum Hause zurück. Ich bin neugierig, was Sennor Guardo gegen den Affenmenschen ausgerichtet hat …“

Lomatz blähte sich wie ein Pfau.

Und dachte bei sich: ‚Der Nielsen hat recht, der Kapitän ist wirklich ein Mordsochse!’ –

Das bereits mattere Licht der untergehenden Sonne lag über den finsteren Felsmassen der schwarzen Insel, als Lomatz und Camillo Traganza jetzt durch den Garten dem Hause zuschritten.

Vom Hofe her klang Hämmern und Klopfen. Die Reparatur der Sphinx hatte unter der Aufsicht eines leidlich fachkundigen Mannes, eines früheren Maschinisten, begonnen.

Umsonst schauten Lomatz und der Kapitän gen Westen, wo die Steilhänge des grünen Tales schon in tiefem Schatten lagen. Auch Juanita, mit einem Fernglas bewaffnet, spähte angestrengt dorthin, wo der flache Felsblock die vier Matrosen unter sich begraben hatte.

Juanita schien besorgt. „Vater, die Prinzipessa und Milo sind noch immer nicht aus der Schlucht hervorgekommen …,“ sagte sie zu Traganza …

Lomatz, der es hörte, wandte sich weg und grinste … Er kannte Mafalda … Arme Juanita!

Und Camillo Traganza meinte achselzuckend:

„Die beiden werden eben vorsichtig sein, Juanita …! Mit der zottigen Bestie ist nicht zu spaßen …“

Und er schritt mit Lomatz weiter um das Haus herum. Sie wollten in der Sphinx nach den Bomben suchen.

Juanita war allein. Nur der Wachtposten, den der Kapitän hier vor dem Hause aufgestellt hatte, schlenderte mit dem Karabiner im Arm hin und her.

Die hübsche junge Mexikanerin starrte jetzt nachdenklich vor sich hin. Immer merkwürdiger erschien es ihr, daß die Prinzipessa und Milo noch nicht die Schlucht durchquert haben sollten. Der Menschenaffe war doch dort ganz oben in jene Spalte geklettert … Und wenn man am Rande der Schlucht stand, wo der Felsblock auf den vier Zermalmten ruhte, brauchte man doch nichts zu fürchten …

Und da … erwachte jäh die Eifersucht in ihr …

So plötzlich, daß ihr das Blut in glühender Welle in das gebräunte Gesicht schoß …

Die beiden dort allein …!! Und die Prinzipessa so verführerisch und Maximiliano ein so eleganter Mann …!!

Juanita eilte mit einem Male vorwärts …

Aber sie war schlau … Auf Umwegen näherte sie sich jener hochgelegenen Schlucht – von der Seeseite aus …

Ganz atemlos klomm sie hier über Geröll und Schutt, hütete sich sorgsam, irgendein Geräusch zu machen und langte auch in der schmalen Felsensenkung wohlbehalten an …

Die Schlucht war sehr unübersichtlich. Überall lagen Felsbrocken von den wunderlichsten Formen umher …

Juanita schlich durch diese Steinwildnis wie eine Katze auf lautlosen Sohlen …

Horchte, lauschte, spähte …

Dann – von links aus einer flachen Aushöhlung der Schluchwand ein girrendes Lachen … ein leiser Schrei …

Kein Schrei der Angst …

Ein Schrei der Liebe, der aufgepeitschten Sinne …

Und dann die flüsterte Stimme eines Mannes …

„Du – du, was gibt mir dein Mund – –: Seligkeiten! Was schenkst du mir – –: Den Himmel auf Erden!“

Juanita stand da – hinter einem Stein zusammengeduckt …

Die Röte ihres Antlitzes wich einer fahlen Blässe …

Ihre Hand zuckte nach dem roten Ledergürtel ihrer Sportjacke – nach dem kleinen Revolver …

Und abermals verstand sie einige Worte … begriff immer klarer, was sich dort abspielte …

Begriff auch, daß die wunderschöne Prinzipessa sie vorhin infam getäuscht hatte, als sie so wegwerfend über die Männer gesprochen …

Scham, Eifersucht und Rachgier wogten in Juanitas Hirn wie blutige Nebel …

Ihr Temperament drohte ihr einen bösen Streich zu spielen …

Schon hatte sie den Revolver in der Hand, als ihr ein anderer Gedanke kam …

Und lautlos wie sie herbeigeschlichen machte sie sich wieder davon … – –

Mafalda hatte den Mexikaner bereits eingeholt gehabt, bevor er noch in die Schlucht eingedrungen war.

Er hörte ihrer hastigen Schritte, das unter ihren Füßen abrutschende Geröll und wandte sich langsam um.

Ein leises Lächeln spielte um seine vollen, sinnlichen Lippen, als er nun seinen breitrandigen Strohhut lüftete und lediglich sagte:

„Die kleine Juanita freute sich wohl, als Sie mich schützen wollten, Prinzipessa?“

Seine schwarzen Augen ruhten dabei fest auf Mafaldas infolge der Anstrengung des hastigen Anstiegs stark gerötetem Gesicht …

Sie lächelte gleichfalls …

„Sie schätzen die Kleine richtig ein, Sennor Guardo … Sie sorgt sich um Sie … Es ist doch etwas Köstliches um solch eine heimliche Liebe …“

Guardo wurde ernst. „Nein, Prinzipessa, in diesem Falle ist es nichts Köstliches, sondern etwas sehr Unangenehmes. Juanita als wilde Katze ist unberechenbar …“

Sie gingen weiter… bogen bald in die Schlucht ein …

Hier blieb Guardo stehen …

Wieder schaute er die Fürstin seltsam starr an …

Mafalda hielt den Blick mit einem ironisch überlegenen Zucken um die Mundwinkel ruhig aus …

Sie spürte, daß sie hier einen Mann vor sich hatte, der unter der Maske des harmlosen Nichtstuers ein ganz anderes Charakterbild schlau verbarg.

„Lassen Sie Ihre Künste …,“ meinte sie dann achselzuckend. „Ich bin kein geeignetes Medium für die Versuche eines Hypnotiseurs … Ich besitze zu viel Energie, Sennor Guardo. Sie sehen ja, ihre Augen bleiben ohne jeden Eindruck auf mich …“

Er lachte klingend. „Ja, ich sehe, Prinzipessa …“

Und mit einem Schlage wurde er ein anderer …

Sein Blick glitt an ihrer tadellosen Gestalt hinab und langsam wieder aufwärts …

„Prinzipessa, ich glaube, wir werden gute Freunde werden,“ sagte er leise. „Nie hätte ich gehofft, nach dieser Gefangenschaft von elf Monaten hier … meinem Schicksal zu begegnen.“

Diese überraschende Redewendung verwirrte selbst Mafalda ein wenig.

„Ihr … Schicksal?“ wiederholte sie erstaunt … Und fügte mit liebenswürdigem Spott hinzu: „Wenn das ein Kompliment gewesen sein soll, Sennor Guardo, so hätten Sie das harmloser fassen sollen …“

Und sie schritt tiefer in die Schlucht hinein, ließ die Augen spähend umherschweifen und setzte sich dann auf eine bankähnliche Steinplatte.

„Ich habe einiges mit Ihnen zu besprechen, Sennor Guardo,“ meinte sie zu ihm aufblickend. „Nehmen Sie hier neben mir Platz …“

„Ich stehe lieber, Prinzipessa … – Ich weiß, was Sie … wissen möchten …“

„Da bin ich wirklich gespannt …“

„Ich pflege scharf zu beobachten … Freund Camillo war wütend, als der eine Matrose den … geenterten Frachtdampfer erwähnte …“

„Ah – Sie können in der Tat Gedanken lesen …“

„Zumeist ja … Fragen Sie …“

„Weshalb hat Kapitän Traganza dieses Seeräuberstückchen ausgeführt?“

„Weshalb fragen Sie danach?“

„Weil ich die Leute genau kennen muß, mit denen ich mich einlasse …“

„Einlassen …?! – Welcher Art ist das Geschäft, das Sie Camillo vorgeschlagen haben? – Camillo hätte Sie niemals so respektvoll behandelt, wenn Ihre Personen nicht … einen goldenen Hintergrund hätte, Prinzipessa. Camillo ist gewinnsüchtig, ist …“

„Insoweit kenne ich ihn bereits. – Ihre Kombinationsgabe ist verblüffend, Sennor … Sie haben recht. Camillo Traganza hat Aussicht auf … Milliarden …“

Guardo lächelte nur. „Aussicht, Prinzipessa …!! Ich verstehe …: Aussicht! – Sie möchten dies Geschäft lieber mit mir abschließen?“

„Ja … Traganza ist mir zu sehr Trampkapitän … zu urwüchsige … Meine Pläne verlangen feinste Arbeit.“

Sie beobachtete Guardo. Aber die Lockung der Milliarden glitt an ihm vollkommen ab …

„Prinzipessa,“ meinte er mit Nachdruck, „ich warne Sie vor mir. Ich bin kein Verbündeter, der sich … betrügen läßt. Ich pflege nie etwas halb zu tun.“

„Sehr ehrlich, Guardo … Das gefällt mir … Setzen Sie sich … und hören Sie mich an …“

Und sie erzählte in gedrängter Kürze die abenteuerliche Geschichte des Goldschatzes der Azoren, ohne sich dabei zu schonen. Sie gab all ihre raffinierten Versuche, den Schatz sich anzueignen, ohne weiteres zu und erwähnte auch ihre Leidenschaft für Viktor Gaupenberg, kam dann auf die Ereignisse auf der Insel Christophoro zu sprechen und schilderte die ungeheure Zunahme des ursprünglichen Goldbarrenschatzes durch die antiken Juwelen und Goldpretiosen der Schatzkammer des Königs Mataguma.

Maximiliano Guardo unterbrach sie mit keiner Frage. Sein Gesicht blieb unverändert. Er hatte sich mit geschickten Fingern eine Zigarette gedreht und rauchte mit stillem Behagen.

Mafalda war fast bestürzt über seine Gleichgültigkeit. Immer klarer wurde es ihr, daß dieser Mexikaner ein Mensch von ganz besonderen Charaktereigenschaften sein müsse. Sie fühlte ein leises Unbehagen, weil sie gerade ihm gegenüber so offen gewesen. Sie hatte ihre Seele entblößt, und er blieb ihr ein Buch mit vielen Siegeln.

Zögernd hatte sie zum Schluß die Vermutung ausgesprochen, daß der Schatz vielleicht von den Sphinxleuten hier auf der Insel irgendwo versteckt worden sein könnte, falls nicht eben der Motorkutter ihn entführt hatte.

Nun schwieg sie …

Wartete …

Milo Guardo drehte eine neue Zigarette …

Nach den ersten Zügen schaute er seine schöne Nachbarin durchdringend an …

„Ich warne Sie nochmals vor mir, Mafalda,“ erklärte er. „Ich würde mich nie mehr beiseite schieben lassen … Das Gold ist mir völlig gleichgültig … Und wenn ich mit Ihnen einen Pakt schließe, Mafalda …“ – seine Stimme wurde heiß und begehrend – „dann ist nur Ihre Person dabei ausschlaggebend … Mit Ihnen zusammen diese Milliarden zu dem Zweck verwenden, für den ich bereits seit Jahren insgeheim arbeite, – das würde mich reizen!“

„Und – dieser Zweck wäre?“

„Ein … neues Kaiserreich Mexiko …“

Mafalda prallte leicht zurück …

„Kaiserreich?! – Wie soll ich das verstehen?“

Er streckte ihr die Hand hin …

„Schlage ein, Mafalda …! Dann – sind wir einig!“

Sie überlegte Sekunden …

Ihr war’s, als ob sich in ihrem Inneren eine warnende Stimme erhöbe …

Und doch legte sie ihre schmale Hand in die seine …

„Es sei …!!“ rief sie schwer atmend.

Da erhob er sich …

„Mafalda, vor dir steht Maximilian Guardo, der Enkel jenes Kaisers Maximilian von Mexiko, den der Präsident Juarez in Queretaro erschießen ließ. Kaiser Maximilian ließ sich als Kaiser eine Mexikanerin zur linken Hand antrauen. Das Kind dieser Ehe war mein Vater, und dessen einziges Kind bin ich!“

Dann zog er sie empor …

In seine Arme …

Jetzt nur ein Mann, den die Reize dieses prachtvollen Weibes entflammt hatten …

Und trug sie hinüber in die Vertiefung der nördlichen Schluchtwand, wo jetzt bereits verschwiegenes Halbdunkel herrschte …

Mafalda hatte hier zum ersten Mal mit einem bedrückenden und doch auch wieder beseligenden Gefühl sich einem Manne hingeben müssen, der in allem stärker als sie war, der niemals, das ahnte sie, ihr willenloser Sklave werden würde.

Und noch nie hatte auch ein anderer Mann ihre Sinne so aufzustacheln gewußt wie dieser Mexikaner …

Er ruhte in ihren Armen, und ihre Lippen bebten den seinen stets von neuem in unersättlicher Gier entgegen …

Guardo, selbst dieser Guardo befand sich wie in einem Taumel …

Seine gestammelten Worte waren Gedichte der Leidenschaft …

Sein Hirn flammte …

Nochmals küßte er sie …

„Mafalda, du bist mein Schicksal und ich das deine … Wir gehören jetzt zusammen – für ewig … Wir werden uns ein Reich erobern und werden auf der Menschheit Höhen wandeln …“

Dann führte er sie hinaus in die bereits dämmrige Schlucht.

Mafalda schwankte … Sie hing an seinem Arm – nur Weib jetzt, nur benommen vom berauschenden Trank der Liebe …

Rötlich strahlten die Spitzen und Zacken der düsteren Berge …

Der Abend nahte … –

Guardo war wieder ein anderer, war Herr über sich selbst wie vorhin …

„Jetzt – – die zottige Bestie!“ sagte er energisch und reichte Mafalda den Karabiner … „Das Vieh muß sterben … muß …! Aber – wir müssen leben.“

Milo Guardo schlich dem Steinblock zu, der die vier Matrosen zermalmt hatte. Mafalda hielt den Karabiner bereit. Ihre Nerven kamen zur Ruhe.

Vorsichtig spähte sie umher …

Dann – – der Steinblock …

Zwei verzerrte Totengesichter … zwei paar Beine.

Das war alles …

„Diese Bestie muß unheimliche Kräfte haben,“ meinte der Mexikaner staunend. „Schauen Sie sich den Block an, Prinzipessa … Fünfzig Zentner mindesten!“

Er nannte Mafalda wieder ganz fremd mit dem klingenden Titel. Und Mafalda verstand, weshalb er es tat. Das Geheimnis dieses Bündnisses sollte bewahrt werden!

Beide ahnten nicht, daß zur selben Zeit Juanita Traganza auf einem Stein am Ufer des Binnensees hockte und finster vor sich hin in die rosige Flut starrte und in Gedanken mit dem … Tode zweier Menschen spielte …

Sie ahnten nichts …

Sie schauten empor zu jener engen Spalte, in die der Homgori Murat vorhin hineingeschlüpft war …

„Ich werde den Anstieg versuchen,“ meinte Guardo mit einer Selbstverständlichkeit, die keinen ängstlichen Widerspruch von Seiten Mafaldas duldete.

Er begann emporzuklimmen …

Seine Repetierpistole hatte er am Kolben zwischen die Zähne genommen, um jeder Zeit sich verteidigen zu können.

Sein sehniger, geschmeidiger Körper überwand die großen Schwierigkeiten dieses Anstiegs …

Dann hatte er die Spalte erreicht …

Machte halt …

Die Spalte war leer, zog sich schräg nach oben …

Die Bestie war entkommen und Guardo kehrte um …

Als Mafalda und der Mexikaner vor dem Hause unten wieder anlangten, stießen sie mit Lomatz und dem Kapitän zusammen.

Lomatz hatte eine längliche Kiste im Arm, bog den Deckel empor und enthüllte so sechs in Holzwolle gebettete runde Sprengbomben mit Aufschlagzündern …

„Wir werden die Grotte um elf Uhr ausräuchern,“ sagte er grinsend. „Um elf ist der Mond noch nicht aufgegangen … Der Schatz liegt in den Grotten … Aber sie geben ihn nicht heraus …“

Mafalda und Guardo tauschten einen heimlichen Blick …

Zehn Schritt weiter stand im Gebüsch Juanita Traganza …

Als Lomatz die Kiste ins Haus und in sein Zimmer getragen hatte, als er dann wieder in den Speisesaal hinabging, verschwand Juanita hinter derselben Tür …

Eine der gußeisernen schwarzen Kugeln trug sie dann heimlich davon …

 

134. Kapitel.

Die zottige Bestie.

Murat hatte ohne jede Schadenfreude, lediglich mit dem Triumphgefühl des Siegers dort in der Tiefe den Todesschrei seiner vier Opfer vernommen und war dann in die Spalte geschlüpft. Seinem halb tierischen Empfinden lagen alle jene komplizierten Gefühle der Vollmenschen durchaus fern. Er tötete aus Not, aus Wut, und seine Freude hinterher war ein reines Bewußtsein, wieder einmal der Stärkere gewesen zu sein.

Daß gerade nur er dem überraschenden Angriff der Matrosen auf das einsame Haus entgangen war, verdankte er ausschließlich seiner Geschicklichkeit im Klettern und der abergläubischen Furcht der Angreifer vor seinem ungewöhnlichen, abschreckenden Äußeren.

Fünf Mann hatten ihn und Jimminez, die während der Versammlung im Speisesaal die im Hofe liegende Sphinx hatten bewachen sollen, eingekreist gehabt, hatten den Riesen Jimminez niederzuschießen gedroht und dann erst auf Murat, der plötzlich mit einem Riesensatz auf das Dach des Stalles gesprungen war, gefeuert, als er bereits von dem Dache mit einem zweiten Satz eine breite Zacke des nahen Abhangs erreicht hatte.

Wie eine Gemse war er hier dann höher und höher geklommen, hatte sich kaum um die rings gegen das Gestein klatschenden Kugeln gekümmert und war nach Norden zu weiter geflüchtet.

Die vier von Kapitän Camillo Traganza ausgeschickten Verfolger hatten ihn erst wieder erspäht, als er längst beobachtet gehabt hatte, wie man seine weißen Freunde und auch ganz besonders seinen Schützling Agnes, an der er noch immer mit rührender Treue hing, durch die Steintür am Binnenseeufer in die Grotten geführt hatte.

Er wußte also, wo seine menschlichen Gefährten zu finden waren, und er, der intelligenteste all dieser Geschöpfe des inzwischen elend umgekommenen Forschers, war fest entschlossen, mit seinen Freunden sich wieder zu vereinigen.

Jetzt, nachdem er die vier Matrosen beseitigt hatte, wollte er erst einmal feststellen, ob die Grotten bewacht würden.

Wenn er sie auch nicht selbst betreten hatte, so wußte er doch aus Jimminez’ Munde alles Wichtige, daß die Grotten eigentlich nur den einen Zugang, die Steintür, hätten und daß nur noch nach der Nordküste der Insel oben in der Steilwand über einer Terrasse drei Fenster lägen.

Er war in der Spalte rasch emporgeklettert und hatte sich über den flachen Kamm der Anhöhen nach Nordwesten zu weiter bewegt.

Er hatte jetzt, wo er allein auf sich angewiesen und wo er rings von Gefahren umdroht war, urplötzlich all die instinktartigen Vorsichtsmaßregeln angewandt, wie sie seine Ahnen mütterlicherseits in den Urwäldern der afrikanischen Gabunküste im Kampfe mit dem Dasein und mit ihren natürlichen Feinden von Urzeit an erprobt hatten. Und gerade ihm kam noch ein weiteres sehr zustatten: seine menschliche Intelligenz!

So schlicht er denn nun, immer wieder stehen bleibend und lauschend, immer wieder die kleinen blitzenden Augen hin und her schweifen lassend, immer wieder auch die Luft prüfend einziehend, über ein steiniges Plateau hin …

Stutzte dann, schnupperte, kauerte sich zwischen zwei Felsblöcke…

Der vom Meere herüberstreichende Wind hatte ihm einen ganz schwachen besonderen Duft zugetragen …

Er kannte ihn … Er wußte, daß die Menschen diesen den Blumen entfernt ähnlichen Geruch künstlich herstellten und als Flüssigkeit in kleine Fläschchen taten.

Er wußte auch, daß nur Agnes Sandens erbittertste Feindin diesen Geruch benutzte … Er hatte vor Stunden noch Gelegenheit gehabt, seine Erinnerung an diesen künstlichen Duft aufzufrischen, als Mafalda und Lomatz gefangen nach dem Stalle des einsamen Hauses geführt und dort eingesperrt wurden.

Murat ahnte bisher nichts von der Flucht der beiden Feinde. Er hatte bis zum Überfall durch die Seeleute bestimmt geglaubt, daß die Fürstin und Lomatz noch im Stalle sich befänden.

Nun spürte er hier ganz schwach diesen Wohlgeruch.

So schwach, daß er zuweilen annahm, seine Nase täusche ihn …

Immer wieder schnupperte er, schaute mißtrauisch über das Plateau hin …

Da vor ihm war ein großer Hügel aus wild übereinander geworfenen Felsblöcken …

Und – von dort kam der Duft. Das hatte er nun doch herausgefunden.

Murat beäugte den Hügel, prüfte jeden einzelnen Stein …

Sollte diese Frau, die seinem Schützling Agnes Sanden schon so unendlich viel Böses angetan hatte, etwa entflohen und jetzt dort verborgen sein?!

Der zottige Goliath fletschte die Zähne …

Für ihn stellte Mafalda den Inbegriff alles Schlechten, Verwerflichen dar … Wenn seine Freunde, besonders Gottlieb Knorz über diese Frau gesprochen hatten, war es stets mit Ausdrücken der Verachtung und tiefer Feindseligkeit geschehen.

Murat kroch jetzt weiter …

Bis er den Hügel an der dem Winde abgekehrten Seite erreicht hatte …

Hier schmiegte er sich zwischen die unteren Blöcke und lauschte und windete …

Hier spürte er den Geruch weit deutlicher. Und doch nur diesen Geruch – nicht den der Nähe eines Weibes, eines Menschen.

Er war beruhigt, und untersuchte den Hügel genauer und entdeckte den schmalen Eingang zwischen den mächtigen Steinen, fand auch das Loch, durch das man in das hohle Innere gelangen konnte …

Mit einem gierigen Satz stürzte Murat sich hier auf ein Taschentuch, das vor den großen Holzkisten lag.

Mit wütendem Schnauben zerriß er es in Fetzen … ballte die Stücke zusammen und warf sie von sich. Nun wußte er, was ihm den Duft zugeführt hatte, dieses Tüchlein war’s gewesen! –

Er schaute sich neugierig um … Sein Wutanfall war schon wieder vorübergegangen …

Hob den Deckel der ein Kiste empor …

Blanke Konservenbüchsen …!!

Oh – die kannte er, die kamen ihm gerade recht, seinen stets vorhandenen Hunger zu stillen …

Mit einem scharfen Steinsplitter öffnete er eine der größten Büchsen, tauchte einmal den Zeigefinger in die lieblich duftende Flüssigkeit und leckte zur Probe …

Das waren eingemachte Früchte …

Im Nu hatte der Homgori die Büchse geleert, nahm nun eine andere …

Es war Fisch mit pikanter Tunke …

Ärgerlich schleuderte er diese Büchse von sich … Das Zeug schmeckte ihm nicht.

Als die Blechbüchse klappern gegen die Steine flog, erschrak er über seine eigene Unvorsichtigkeit …

Rasch huschte er ins Freie, um Ausschau zu halten, ob vielleicht dieses Geräusch einen Feind herbeigelockt hätte …

Nichts Verdächtiges …

Die Sonne war bereits hinter den Felskuppen verschwunden. Der Himmel erstrahlte in zartem Rot.

Murat kehrte in den Hügel zurück.

Eine Büchse Fleisch fand seinen Beifall. Schmatzend leerte er sie …

Plötzlich zuckte er hoch … Sein Kopf flog herum … Seine Riesentatze fuhr in die Tasche seiner blauen Leinenbeinkleider – nach der Pistole …

Ein dumpfer, ferner Schrei war an sein Ohr gedrungen …

Ein Schrei, der doch anscheinend nicht vom Plateau her erklungen …

Regungslos horchte der Affenmensch …

Seine dicke Oberlippe hatte sich hochgezogen … Seine Zähne lagen frei – weiße Hauer wie die eines Raubtieres …

Nochmals derselbe Schrei …

Murats kleine Ohrmuscheln bewegten sich, zuckten.

Dann glitt er vorwärts, schob den Kopf zwischen die Blöcke, lauschte von neuem …

Nichts mehr …

Aber jetzt arbeitete des Homgoris feine Nase …

Irgendwoher kam ein Geruch – nach Mensch und … nach Tabak … Ein Geruch, wie ihn alte Seeleute an sich haben, denen die kurze Tabakpfeife nie erlischt. –

Murat suchte sich zwischen den Blöcken hindurchzuzwängen …

Es gelang ihm erst, nachdem er zwei Steine mühsam entfernt hatte …

Nun kroch er vorwärts …

Da war ein zweiter, weit kleinerer Hohlraum …

Und in diesem engen Raume klaffte im Felsboden eine zackige Öffnung …

Der Homgori beugte sich über das Loch und schnupperte …

Schärfer spürte er diesen Geruch nach Mensch und Tabak … Sein Gedächtnis arbeitet … So roch der alte Pasqual Oretto, einer der weißen Freunde!

Murat legte sich lang nieder und schob den Kopf in die Öffnung, rief leise hinab:

„Hier sein Murat … – Hier sein Murat!“

Keine Antwort …

Aber der Geruch blieb …

Da kroch der kluge Affenmensch eilends rückwärts …

Durchsuchte die Kisten … Und fand die, in der das auseinandergenommene Boot lag …

Noch mehr fand er in dieser Riesenkiste … Auch zwei Laternen, zwei Flaschen mit Brennöl, dazu drei Pakete Zündhölzer in Wachstuchüberzügen als Schutz gegen Nässe!

Murat füllte den Ölbehälter der einen Laterne … Zündete sie an … Nahm noch eins der Taue mit, die zu der Bootsausrüstung gehörten, und schlüpfte wieder in den Nebenraum …

Als er hier das eine Ende des Taus an einem der Blöcke befestigt hatte, fiel ihm ein, daß er die beiden Steine, die er soeben hier beiseite gelegt, doch besser wieder einfügen müsse, bevor er in die unbekannte Tiefe hinabstieg …

Er tat’s …

Nun würde niemand ahnen, daß es hier ein Loch im Felsboden und diesen zweiten Hohlraum gäbe.

Die Laterne in der Linken haltend, kletterte der Homgori flink an dem Tau hinab …

Das Loch wurde immer breiter. Oben hatte es kaum einen Meter Durchmesser gehabt. Hier waren die Wände bereits so weit zurückgetreten, daß Murat sie bei dem unruhigen matten Laternenlicht kaum mehr erkannte.

Dann – – war das Tau zu Ende …

Murat hing frei in der Luft … Und unter ihn gähnte eine finstere Tiefe …

Um besser hinableuchten zu können, packte er die Laterne jetzt mit den Zehen seines linken Fußes und rutschte an dem Tau bis zum äußersten Ende …

Und da gewahrte er undeutlich den Boden dieser Höhle, gewahrte auch eine Gestalt, die regungslos und zusammengekrümmt auf schwarzem Geröll lag …

Murat schätzte die Entfernung …

Nicht nach Metern … Nur darauf hin, ob er es wagen könnte, hinabzuspringen …

Wäre Murat nur ein Abkömmling von Menschen gewesen, so hätte er diesen Sprung niemals wagen dürfen …

So aber, halb Mensch, halb Gorilla, nahm er den Griff der Laterne zwischen die Zähne und ließ das Tau los …

Fiel auch wie eine Katze elastisch auf Hände und Füße und glitt auf die Gestalt zu … –

Es war der Taucher Pasqual Oretto …

Murat legte den offenbar Bewußtlosen auf den Rücken … leuchtete ihm ins Gesicht …

Er wußte sich keinen Rat, wie er den nur noch ganz schwach Atmenden ins Leben zurückrufen sollte.

So kauerte er denn neben dem alten Seemann und beobachtete ihn …

Das dauerte ihm schließlich doch zu lange. In seinem Hirn tauchte der Gedanke auf, daß Pasqual doch mit den anderen zugleich in die Grotten eingesperrt worden war …

Wie kam Pasqual also hierher?!

Murat sprang empor und schritt schwerfällig und etwas watschelnd in die Dunkelheit hinein – auf gut Glück. Diese Höhle müsse doch mit den Grotten irgendeine Verbindung haben, sagte er sich ganz richtig …

Bald hatte er die Höhlenwand erreicht, ging nun nach links weiter, wollte so die Höhle umrunden …

Das Laternenlicht tanzte vor ihm her …

Die Höhle war fast kreisrund und verengte sich nach oben kegelförmig. Die Spitze dieses Kegels bildete das Loch, durch das Murat hier hineingelangt war.

Doch – zweimal war er nun schon an den glatten Wänden im Kreise an denselben Punkt zurückgekehrt, ohne irgendwo auch nur eine Spalte entdeckt zu haben.

Er begriff nicht, wie der Seemann hierhergelangt sein könnte, stand nachdenklich da und ließ nun den Laternenschein über den Innenraum, über den Steinboden gleiten, über Felsstücke, Geröll und dicke blanke Wülste, Lavaströme, die erkaltet waren …

Und so entdeckte er denn die Lösung des Rätsels … So fand er zwischen den Schuttmassen eine dreieckförmige Öffnung, die den Zugang zu einem schrägen Schacht bildete …

Vergnügt fletschte Murat die Zähne. Nun wußte er, woher Pasqual gekommen … Und nun würde er vielleicht sehr bald mit seinen weißen Freunden vereint sein – mit der blonden Miß Agnes, die er damals so tapfer vor dem wilden Baru beschützt hatte …

Nochmals eilte er zu dem bewußtlosen Pasqual hin, rüttelte ihn wiederholt, gab diese Versuche dann aber auf …

So schritt er denn den schrägen Gang hinab, der eine fast kreisrunde Röhre darstellte – dessen Wandungen vollständig aus erkalteter Lava bestanden …

Endlos schien dieser Gang … Hin und wieder hatte er sanfte Biegungen, lief dann horizontal, stieg auch zuweilen an…

Murat fühlte plötzlich, daß seine Beine ihn nicht mehr tragen wollten, daß er taumelte, daß sein Kopf ihm schwer wie Blei wurde …

Vor seinen Augen zuckten seltsame Lichter auf …

Seine Lunge arbeitete immer rascher …

Und mit einem Male befiel den Homgori ein ihm bis dahin völlig unbekanntes Angstgefühl …

Er wollte umkehren …

Sein Instinkt sagte ihm, daß da vor ihm ein unsichtbares Unheil lauere, dem auch Pasqual Oretto zum Opfer gefallen …

Er … wollte umkehren …

Als er sich umwandte, schlug er schwerfällig zu Boden …

Die Laterne klirrte – erlosch …

Im Finstern suchte Murat sich nochmals aufzuraffen …

Sank zurück…

Und vor Entsetzen über seine Schwäche stieß er mit letzter Kraft ein schrilles, langgezogenes Angstgeheul aus …

Dann … schwanden ihm die Sinne …

Und dieser Schrei war gehört worden …

War als vielfaches Echo durch den sich erweiternden Lavagang und durch einen senkrechten Schacht in die domartige Grotte gedrungen, wo die Männer der Sphinx um jene Öffnung versammelt waren, in der schon Steuermann Hartwich nachmittags beim ersten Besuch der Grotten giftige, betäubende Gase festgestellt hatte …

Alle waren sie hier versammelt, diese Getreuen …

Alle, bis auf Gaupenberg, den Kranken, und Pasqual Oretto …

Soeben war auch Gerhard Nielsen hier erschienen, hatte hastig berichtet, wie er Lomatz, den ‚Unterhändler’, abgefertigt …

Doch die Männer hatten jetzt andere Sorgen …

Pasqual, der wackere Pasqual, war vor zehn Minuten ungeachtet aller Warnungen in den Schacht an einer Leiter hinabgeklettert, hatte gemeint, er sei gegen den Tod gefeit … hatte betont, daß er dort unten vielleicht einen Weg ins Freie finden würde …

Gewiß – die Gase in dem Schacht waren offenbar nicht ständig vorhanden, sondern traten nur in längeren Pausen auf. Trotzdem war Pasquals Beginnen ein übergroßes Wagnis …

Zunächst hatte es auch geschienen, als ob alles gut ablaufen würde …

Pasquals Rufe waren durch den Schacht deutlich emporgedrungen …

Dann aber wurde das straft gespannte Tau plötzlich schlaff …

Und dann Totenstille …

Die Männer hier oben verharrten in düsterem Schweigen, nachdem Hartwich vergeblich mehrmals ganz laut Orettos Namen hinabgebrüllt hatte …

Und gerade da gesellte sich Gerhard Nielsen zu ihnen …

Niemand achtete recht auf seine Worte …

Bis Doktor Falz erklärte:

„Ich will hinab … Zieht die Leine empor … Seilt mich an … Oretto hat es verdient, daß …“

Der schrille Schrei des Homgori drang aus dem Schacht empor …

„Murat!“ rief Gottlieb Knorz sofort. „Das war Murat …!“

„Ja – Murat …,“ nickte auch Dagobert Falz … „Und – ein Schrei der Angst war’s … – Seilt mich an!“

Niemand wagte zu widersprechen.

Falz kniete am Rande des giftigen Schachtes, hatte jetzt ein Zündholz angerieben, hielt es tief hinab.

Es flackerte – erlosch …

„Jetzt ist Gas im Schacht,“ meinte der Doktor ruhig.

Und ein zweites, drittes, viertes Hölzchen wurde zur Probe angezündet. Erst das fünfte brannte weiter.

„Vorwärts – gastfrei!“ rief Falz …

Man ließ ihn rasch hinab …

Das Licht der Laterne, die er mitgenommen hatte, ward immer schwächer …

Der Doktor war unten angelangt …

Eine kleine Grotte …

Risse und Spalten im Boden …

Und aus den Rissen und Spalten ein Brodeln und Brausen …

Falz sah rechter Hand den Eingang eines schrägen breiten Schachtes …

Nichts weiter sah er hier …

Keinen Pasqual – keinen Murat …

Der Einsiedler von Sellenheim knotete rasch die Leine auf …

Lief in den schrägen Schacht hinein …

Ihm war plötzlich schwindlig geworden …

Gase entströmten wieder den Spalten und Rissen – Gase aus dem Erdinnern, wo noch die vulkanischen Gewalten schlummerten, wo flüssige Feuermassen brodelten, wo jene unheimlichen Mächte wohnten, die auch diese Insel einst vom Meeresgrunde emporgehoben hatten …

So fand der Doktor den bewußtlosen Murat …

Schleifte ihn nun hinter sich her …

Immer weiter den Lavagang hinauf …

Denn diesen mächtigen Leib zu tragen, das überstieg Dagobert Falz’ Kräfte …

Und so langte er schließlich auch in der kegelförmigen Höhle an, wo Pasqual Oretto jetzt aufrecht dasaß und gierig die frische Luft einsog.

„Pasqual!“ rief der Doktor freudig … „Also doch gerettet, Freund Pasqual!“

Der Taucher starrte auf Murats zottige, reglose Gestalt …

Und meinte dann: „Sennor Falz, wir beide sterben nicht so leicht, das wissen wir …! Leider – – leider! Wir werden noch leben, wenn die Menschen vielleicht auf Erden längst ausgestorben …“

Seltsam traurig klangen diese Worte …

Und enthielten auch eine traurige Wahrheit, die nur denen bekannt, die damals all jenes miterlebt, was sich im Inneren der Dorgas-Klippe zugetragen hatte … in dem Laboratorium des Alchimisten …!

Falz drückte des Leidensgefährten Hand …

„Pasqual, Pasqual, diese Insel ruht auf flüssigem Feuer,“ sagte er in Voraussicht kommender Dinge. „Diese Insel wird einst untergehen – im Meere wieder verschwinden …“

Dann half er dem Taucher auf die Füße. Pasqual schwankte noch, erholte sich jedoch sehr bald und kniete nun gleichfalls neben Murat nieder …

„Das Herz schlägt so schwach,“ meinte Falz besorgt. „Wahrlich, der Homgori hätte diesen Tod nicht verdient …! Versuchen wir’s mit künstlicher Atmung …“

Nach fünf Minuten hatte Murats robuste Natur die verderblichen Wirkungen des Giftes überstanden.

Er erbrach sich mehrmals …

Dann konnte er bereits ein paar Worte stammeln, deutete matt in die Höhe …

„Tau … Ein Tau …! Murat von dort kommen.“

Da erst sahen Pasqual und der Doktor die enge Öffnung oben und das darin hängende Seil …

Und der Portugiese sagte lächelnd:

„Also hatte ich doch recht. Ein Weg ins Freie …!“ –

Nachdem auch Murat sich völlig erholt und den beiden Männern kurz alles Nötige berichtet hatte, berieten Pasqual und der Doktor, wie man am besten und ungefährlichsten nun wieder durch den Lavagang zu den Freunden zurückkehren könnte.

Murat hörte still zu.

Dann aber sagte er plötzlich:

„Giftige Luft zu gefährlich … Besser, wenn Murat an Tau hier nach oben klettert und zweites Seil aus Kiste holt, damit weiße Freunde auch hinaufkönnen … Dann über Insel schleichen zur Küste, wo in Felswand oben die Fenster … Wenn Wache dort oben, Murat Wache töten … Dann durch Fenster in Grotten kommen … So am besten …“

Falz nickte. „Du hättest ein besonderes Lob für diesen Plan verdient, wenn nicht zu fürchten wäre, daß einer der Unsrigen so tollkühn ist und in den Gasschacht hinabsteigt, um uns zu suchen …“

Murat wußte auch hierfür einen Vorschlag …

Sagte mit einem Grinsen, das all seine Hauer freilegte:

„Oh – Murat laufen in Gang hinein und rufen weißen Freunden zu, daß wir durch Fenster kommen … Murats Stimme lauter als Heulen von Sturm … Werden Murat schon hören …“

„Gut – wage dich aber nicht zu weit vor,“ warnte Falz und reichte der … zottigen Bestie dankbar die Hand …

Der Homgori verschwand mit der Laterne …

Und – war kaum verschwunden, als die beiden jetzt im Dunkeln stehenden Männer von oben her aus der Kegelöffnung Stimmen vernahmen …

Mafaldas Stimme …

Hell und scharf:

„Ah – hier ist ein Loch im Gestein, Sennor Traganza …! Die Laternen her …! Und hier hängt ein Strick …! Was bedeutet das?!“

Falz zog dem Taucher rasch nach dem Eingang des Lavaschachtes hin …

Flüsterte:

„Dieses Weib taucht stets dann auf, wenn man’s am wenigsten ahnt …!“

Und wieder Mafaldas Stimme:

„Ich wette, Murat ist hier hinabgeklettert … – Her mit der Laterne!“

 

135. Kapitel.

Die Bombe.

Juanita war etwas verspätet an der gemeinsamen Abendtafel im Speisesaal des einsamen Hauses erschienen.

Kapitän Traganza hatte durch den Schiffskoch seines jetzt verloren gegangenen Dreimasters den Tisch recht festlich decken lassen. Nach den langen Monaten der Gefangenschaft in halber Finsternis wollte er seinen Leuten einmal wieder den Genuß gönnen, als Kulturmenschen eine reichhaltige Mahlzeit einzunehmen.

Alle Lampen im Speisesaal brannten. Die rauhen Seeleute fühlten sich trotzdem ein wenig unbehaglich. Alle waren jetzt hier versammelt – bis auf die vier Mann, die vor der Steintür und oben auf der Steilwand über den Fenstern der Grotten als Wachen standen. Neben dem Kapitän saßen Mafalda und Sennor Guardo. Den freien Stuhl neben Mafalda nahm jetzt Juanita ein. Sie war ein wenig blaß, beherrschte sich jedoch vollkommen und beteiligte sich zwanglos an der Unterhaltung.

Die Matrosen wußten bisher von ihres Kapitäns Plänen nur so viel, daß er die Insel als sein Eigentum in Anspruch zu nehmen gedächte und mit Hilfe der Sphinx später einen großzügigen Schmuggelverkehr nach den amerikanischen Staaten betreiben wollte. Sie waren hiermit auch ganz einverstanden, da nur derartig dunkle Geschäfte ihnen klingenden Lohn in dem Maße eintrugen, wie sie es begreiflicherweise wünschten.

Die Unterhaltung drehte sich denn auch in der Hauptsache um diese Dinge. Die toten Kameraden waren längst vergessen. Seeleute pflegen sich nie unnötig mit traurigen Gedanken zu belasten.

Juanita beobachtete Mafalda und Guardo unausgesetzt, wenn auch heimlich.

Nichts entging ihr …

Freilich – die beiden waren außerordentlich vorsichtig. Niemand konnte ahnen, daß zwischen ihnen Beziehungen intimster Art beständen …

Aber einer saß an dieser Tafel, der klüger und scharfsinniger war als all diese robusten Kerle und Juanita und Mafalda zusammengenommen: Maximiliano Guardo!

Er saß Juanita schräg gegenüber. Er konnte in der Menschenaugen lesen – bis auf den Grund der Seele … Ihm war Juanitas Blässe nicht entgangen … Auch er beobachtete – doch mehr mit dem Verstande! Er wurde unruhig, besorgt … In Juanitas Blicken glomm es zuweilen für Sekunden auf wie drohendes Wetterleuchten … Und ihr Lächeln war erzwungen, ihre Sprache überhastet und unnatürlich.

Guardo kam schließlich zu der Überzeugung, daß seine junge Landsmännin ihn und Mafalda in der Schlucht belauscht haben müsse … –

Er wollte Gewißheit haben. Er brauchte ja nur den Mann zu fragen, der vor dem Hause Wache gehalten, ob Juanita sich aus dem Garten entfernt habe …

Und er tat es, als Traganza nun die Tafel aufhob.

Es war eine sehr trockene Mahlzeit gewesen, denn außer drei Flaschen Kognak hatte man hier nichts von Spirituosen gefunden …

Guardo machte sich an den betreffenden Matrosen heran …

„Ja, Sennorita ist an den Strand gegangen, als Ihr den Riesenaffen fangen wollte,“ erwiderte der Mann ganz harmlos …

Da wußte Guardo Bescheid …

Und als Lomatz ihm im Flur zurief, der Kapitän wolle jetzt die Kisten aus dem hohlen Hügel nach dem Hause schaffen lassen, erklärte Guardo, er käme gern mit.

Inzwischen war es fast dunkel geworden.

Traganza, Mafalda, Lomatz und Guardo sowie vier Matrosen begaben sich durch die Schlucht zum Seeufer und wandten sich dann links, erreichten auch bald die steinige kleine Hochebene und näherten sich jenem Hügel, der Mafalda und Lomatz vor Stunden als Versteck gedient hatte.

Juanita war im Hause geblieben. Sie hatte ihrem Vater erklärt, sie sei zu müde, um ihn zu begleiten.

Guardo fühlte sich hierdurch noch mehr beunruhig und nahm sich vor, doppelt wachsam zu sein. Er traute Juanita recht wohl irgend eine Unüberlegtheit zu. So heißblütig wie sie war, würde sie in besinnungslosem Haß zweifellos die Fürstin und vielleicht auch ihn irgendwie verderben wollen …

Während die anderen jetzt beim Lichte der mitgebrachten Laternen in den Hügel eindrangen, erklärte Guardo, er wolle lieber draußen eine Zigarette rauchen.

Er erkletterte dann jedoch von der anderen Seite den Hügel, was bei dessen besonderer Eigenart nicht weiter schwierig war, da die Felsblöcke förmliche Stufen bildeten. Oben setzte er sich so zwischen zwei Steine, daß er den Zugang zum Plateau im Auge behalten konnte. Falls Juanita etwa jetzt bereits etwas Böses plante, würde er sie rechtzeitig zu Gesicht bekommen und jeden Anschlag verhindern können.

Er hatte denn auch erst wenige Minuten oben in seinem Versteck gesessen, als er wirklich an der dunklen Felswand drüben einen Schatten bemerkte, der rasch nach links weiterhuschte und sich so dem Hügel im Bogen näherte.

Und Guardo zögerte jetzt keine Sekunde mehr, sich mit dem tollköpfigen Mädchen zunächst in aller Freundschaft auseinanderzusetzen.

Er stieg tief gebückt an der anderen Hügelseite hinab und kroch dann in einer Vertiefung, deren Ränder von Geröllwällen eingefaßt waren, bis zur westlichen Felswand und gelangte so hinter Juanita, die jetzt im Schatten einiger größerer Steine mit weit vorgebeugtem Oberkörper lauschend dastand …

Guardo schlich noch näher heran …

Und gerade, als er sie dann leise anrufen wollte, sah er, daß sie in der herabhängenden rechten Hand einen schwärzlichen Gegenstand von Kokosnußgröße hielt.

Und an der einen Seite dieser Kugel blinkte ein metallener Knopf – eine daumenlange Erhöhung …

Guardo preßte die Zähne in die Unterlippe, um seines maßlosen Schrecks Herr zu werden …

Eine … Bombe …!!

Eine der Bomben fraglos, die Lomatz in der Sphinx gefunden …!!

Mit Mühe nur konnte selbst er jetzt seine Nerven meistern …

War denn dieses Mädchen toll, daß es hier etwa ihrer Rache auch völlig Unbeteiligte opfern wollte?! Etwa selbst den eigenen Vater?!

Und im selben Moment, wo ihm dies mit grauenvoller Eindringlichkeit durch den Kopf schoß, hatte er auch die dumpfe Vorahnung, daß … Mafalda Sarratow in ganz anderer Weise sein Schicksal werden würde, als er es bisher gedacht hatte …

Dieses Gefühl, hier jetzt zwischen zwei Frauen zu stehen, die beide kein Erbarmen kannten, die nur von ihren Leidenschaften sich treiben ließen, machte selbst Maximiliano Guardo für Minuten zur starren Bildsäule …

Starr war sein Gesicht … Starr der Blick, mit dem er Juanita musterte … Und sekundenlang flog da ein brutaler Wunsch durch sein erregtes Hirn. Wenn Juanita auf dem Wege hierher gestolpert wäre, dann … hätte die Bombe sie zerrissen, dann wäre dieses Hindernis seiner ehrgeizigen Pläne beseitigt gewesen …!

Doch – der Gedanke blieb Wunsch …

Juanita lebte …

Er brauchte nur den Arm auszustrecken, und er konnte ihre Schulter berühren …

Sie lebte – sann Furchtbares …

Die Bombe … – er mußte sie ihr entreißen … Und niemand durfte erfahren, was hier vorgefallen und was noch Schlimmeres sich hätte ereignen können …!

Vorsichtig setzte er den rechten Fuß vorwärts, bückte sich, streckte die Hände aus …

Und da – – aus dem Innern des nahen Hügels heraus Mafaldas Stimme …

Mafalda hatte die beiden nur lose und flüchtig von Murat wieder eingefügten Steine entdeckt – hatte auch den zweiten Hohlraum gefunden …

Und dieselben Worte, die unten in der Tiefe des Kegelkraters von Doktor Falz und Pasqual gehört wurden, drangen nun auch hier nach draußen …

„Ah – hier ist ein Loch im Gestein, Sennor Traganza …! Die Laterne her! Und – hier hängt ein Tau …! Was bedeutet das …?!“

Stille – –

Und nochmals Mafaldas Stimme:

„Ich wette, Murat ist hier hinabgeklettert … – Her mit der Laterne!“

Guardo wollte jetzt zupacken, wollte Juanita die Bombe entreißen …

Zu spät …

Sie glitt vorwärts …

Sie erreichte den Hügel, zwischen dessen Blöcken durch breite Lücken Laternenlicht aufblitzte …

Juanita reckte sich empor …

Und durch eine dieser Öffnungen gewahrte sie Mafalda – allein in einem engen Hohlraum – nur mit einem brennenden Zündholz in der Hand …

All ihr Haß, all ihre Eifersucht schlugen ihr da wie brandende Wogen des heißen Blutes zum Hirn …

Sie hob den Arm …

Sie schob die Hand mit der gußeisernen Kugel durch die Lücke der Steine …

Wollte die Bombe der Feindin vor die Füße schleudern …

Guardo … riß Juanita im selben Moment zurück.

Die Bombe fiel … fiel in das Loch im Felsboden.

In die Tiefe …

Explodierte dort unten mit unheimlichem Getöse …

Und Mafalda, die nichts gesehen, nichts geahnt, wurde von dem aus dem Locher hochschießenden Luftdruck zur Seite geschleudert …

Guardo aber hatte Juanita emporgehoben, hatte sie davongetragen in den schwarzen Schatten der westlichen Steilwand …

Wie leblos lag das Mädchen in seinen Armen …

Nun ließ er sie zu Boden gleiten, beugte sich zu ihr herab …

„Juanita, sind Sie wahnsinnig?!“ Er überlegte nicht, was er sprach … In diesem Augenblick war er nicht Herr seiner selbst …

„Juanita, wenn die Bombe zu Füßen der Prinzipessa geplatzt wäre, hätte die Explosion den ganzen Hügel zum Einsturz gebracht, hätten die Felsblöcke auch Ihren Vater zermalmt! Wahnwitz war’s – – Wahnwitz!“

Und er schüttelte ihre Hände vor Grimm …

Wiederholte nochmals:

„Ein Verbrechen – – ein Massenmord!“

Juanita war so verstört, daß sie nur leise wimmerte.

Das brachte Guardo zu sich …

Sie tat ihm plötzlich leid.

Seine Stimme wurde weicher, freundlicher …

„Juanita, ich werde niemandem verraten, was ich hier durch einen Zufall verhindern konnte … – Juanita, ich weiß, daß Sie mich und die Prinzipessa belauscht haben … Sie mußten zu ganz falschen Schlüssen gelangen … Die Prinzipessa ist mir nur Mittel zum Zweck … Sie kannte ein Geheimnis, daß ich ihr entreißen wollte … Und – es ist mir auch geglückt … Milliarden winkten mir – – Gold – – Gold!! Und dieses Gold bringt mich meinen Zielen näher … Sie kennen dieses Ziel, Juanita … Nur Sie und Ihr Vater, der mein einziger Freund ist, genau wie Sie … wie du … Juanita, meine einzige wahre Liebe bist … – Niemals freilich hätte ich dir diese Liebe jetzt schon gestanden, wo ich dir nichts zu bieten habe als mich selbst. Aber später, Juanita, – dann hätte ich gesprochen!“

Die junge Mexikanerin hatte sich aufrecht gesetzt …

Ihre Augen, von Tränen halb verdunkelt, starrten Guardo ungläubig an …

Ein Schluchzen rang sich aus ihrer Kehle los …

Und mit einem Male umschlang sie den Mann, den sie liebte, mit bebenden Armen …

Zog ihn zu sich hinab …

Küßte ihn – mit verzehrender Gier …

Immer wieder …

Stammelte abgerissene Worte – halb Drohungen, halb Flehen …

Und Guardo, jetzt wieder der sieghafte Mann von kühlem Zielbewußtsein, versäumte diese Gelegenheit nicht, Juanita für immer an sich zu ketten – – für immer – – bis sie eben nicht mehr gefährlich werden könnte!

Was er ihr, die willenlos, beseligt sich ihm hingab, dann zuraunte, war kühl erwogen …

Mafalda dürfe nichts erfahren – um keinen Preis! Er brauche Mafalda noch für seine Pläne … Er müsse die Milliarden für sich und Juanita erringen …

Und das von Schauern schrankenlosen Genusses fiebernde Mädchen glaubte ihm …

Ihre Liebe war blind …

Ihre Sehnsucht war erfüllt! Milo Guardo gehörte ihr – – ihr allein! Und das war ihr genug. –

Dann … floh sie wieder von dannen, die kleine Juanita … Nach einem letzte endlosen Kuß …

Verschwand nach dem Meere hin … Ein Schatten nur – wie sie gekommen, woher sie gekommen … –

Guardo ordnete das zerwühlte dunkle Haar, setzte den breitrandigen Strohhut wieder auf …

Er lächelte ein wenig …

Liebe?! – – Liebe …?!

Nein – das Wort gab’s im Lexikon seines Daseins nicht …

Weiber – – gewiß! Für Stunden! Aber – – Liebe?! Treue?! –

Dann schritt er auf den Hügel zu …

Fand seine Gefährten auf der anderen Seite um die Prinzipessa versammelt, der von Kapitän Traganza gerade das verstauchte rechte Handgelenk wieder gerichtet wurde …

Laternenschein umspielte Mafaldas totenbleiches Gesicht …

Guardo trat, als hätte ihn der Knall der Explosion aus der Ferne herbeigelockt …

Er spielte den Hilfsbereiten, Teilnahmsvollen, ließ sich erzählen …

Mafalda konnte nur berichten, daß dort in der Tiefe plötzlich ein donnernder Knall ertönt sei und daß der Luftdruck sie zur Seite geschleudert habe … –

Guardo atmete auf …

Juanitas Attentat würde nie bekannt werden …

Das war die Hauptsache. –

Kapitän Camillo Traganza zog Guardo abseits und beriet mit ihm …

„Es dürfte zu gefährlich sein, dem Gorilla dort unten zu folgen,“ meinte er verdrießlich. „Wenn wir das Loch im Felsboden mit Steinen zukeilen, kann die Bestie doch nicht mehr nach oben. – Was hältst du übrigens von der Explosion, Milo?“

„Weiß nicht … Würde aber gerade deshalb raten, die Höhle zu untersuchen. Wir brauchen unsere eigene Haut dabei ja nicht zu riskieren … Schicke ein paar Matrosen hinab …“

„Falls sie … gehorchen, Milo … Die Kerle sind so lächerlich abergläubisch … Ich möchte weit lieber selbst hinabklettern, wenn’s denn schon sein muß …“

Das sagte er nur, weil er genau wußte, daß Guardo widersprechen und sich selbst erbitten würde, den gefährlichen Abstieg zu wagen.

Aber diesmal hatte er sich verrechnet. Guardo wäre es ganz lieb gewesen, wenn sein Freund Camillo so ein wenig verunglückt wäre … Mit den Matrosen fertigzuwerden, würde ihm nicht schwerfallen … Er würde sie schon für seine Pläne gewinnen und sie fraglos ganz anders beherrschen als Traganza … –

Heimtücke, Besitzgier, Mordgedanken – der Moloch Gold hatte bereits neue Opfer in den Krallen!

Und Schritt für Schritt zog dieser Moloch Gold diese neuen Opfer dem Verhängnis entgegen …

Die Heimtücke gebar hier widerliche Gedanken …

Freunde waren zu heimlichen Feinden geworden …

Mord schlich auf lautlosen Sohlen umher …

Camillo Traganza blickte den Freund lauernd an.

„Meinst du, man müßte wirklich hinab?“ fragte er nach einer Pause peinlichen Schweigens …

Da spielte Guardo den besten Trumpf aus …

„Solche Höhlen ziehen sich oft sehr weit hin, Camillo … Kann man wissen, ob man nicht von hier aus die Grotten erreichen könnte?!“

„Ah – vielleicht …“

„Die Insel scheint ja förmlich unterminiert zu sein.“

„Ja, dann …“

„Und Gefahr ist doch kaum dabei, wenn Lomatz und ich oben an der Öffnung mit schußbereiten Karabinern aufpassen… Außerdem – nimm doch ein paar Matrosen mit … – Mir ist das Gold herzlich gleichgültig … Sonst würde ich …“

Mafalda rief da:

„Kapitän – auf ein Wort …“

Ihr dauerte diese Unterredung zu lange. Sie fürchtete, Traganza und Guardo könnten da irgend etwas über ihren Kopf hinweg beschließen …

Sie saß auf einem glatten Stein neben dem Eingang des Hügels. Lomatz stand bei ihr. Auch ihm mißfiel gründlich, daß die beiden Mexikaner dort abseits miteinander flüsterten.

Traganza und Guardo kehrten zu Mafalda zurück.

„Sie wünschen, Prinzipessa?“ fragte der Kapitän liebenswürdig.

„Was soll jetzt geschehen?“ meinte Mafalda etwas gereizt. „Man müßte Murat doch unbedingt unschädlich machen und besonders auch nachforschen, was dort unten explodiert sei.“

Guardo erwiderte an Stelle seines Freundes: „Selbstverständlich wird etwas geschehen … Und zwar sofort … – Wie geht es Ihrem Handgelenke, Prinzipessa? Oh, es ist recht böse geschwollen … Würde es nicht ratsam sein, wenn Sie nach dem Hause sich begäben und die Hand kühlten?“

„Nein … Nur kein Aufhebens wegen einer solchen Kleinigkeit …!“ Und sie sprang empor … „Besichtigen wir nochmals die Öffnung … Vielleicht lassen wir zuerst einmal eine Laterne hinab …“

Guardo verbeugte sich ironisch …

„Es sind Männer hier, Prinzipessa … Zarte Frauen sollten Derartiges anderen überlassen …“ – Das war wieder derselbe selbstherrliche Ton, den Mafalda bereits an Guardo kannte …

Sie schwieg … Diesem Manne gegenüber hatte sie ein unerklärliches Gefühl von Machtlosigkeit.

Traganza hatte schon eine der Laternen ergriffen und betrat den hohlen Hügel. Die anderen folgten …

Eng gedrängt stand man dann um die Öffnung im Felsboden herum.

Das Tau hing noch hinab. Als Guardo es aber jetzt emporzog, war es nur noch vier Meter lang und unten vollständig zerfetzt.

Einer der Matrosen holte aus der Bootskiste ein neues Seil.

Langsam glitt nun die größte Laterne hinab …

Neugierig, gespannt blickten all die Augenpaare in die Tiefe …

Da war die kegelförmige Höhle … Da war gerade unter der Öffnung das Gestein des Bodens zu einem kleinen Krater weggesprengt …

Das Tau mit der Laterne pendelte hin und her …

Aber – nirgends war ein menschliches Leben zu bemerken …

Nur dort an der einen Seite war eine dunkleren Stelle, der Eingang einen schrägen Ganges! –

Traganza erklärte jetzt, daß er mit zwei von seinen Leuten hinabklettern würde. Und sofort meldeten sich auch freiwillig die Brüder Estampa, Kerle mit einem starken Schuß Indianerblut in den Adern, wie ihre Gesichtsfarbe verriet.

Der eine der beiden turnte dann als erster hinab. Ihm folgte der Kapitän, zuletzt der andere Estampa.

Oben lagen Lomatz und Guardo halb über der Öffnung, jeder einen Karabiner bereithaltend …

Mafalda stand hinter Guardo, beobachtete gleichfalls, ob Murat vielleicht aus dem Eingang des Schachtes überraschend auftauchen würde …

Die drei dort unten näherten sich jetzt vorsichtig dem Schachte, Camillo Traganza mit halb erhobenem Revolver, die Brüder Estampa jeder mit einer Laterne.

Nichts geschah …

Der Kapitän rief nach oben:

„Milo, du wirst wirklich recht haben … Dieser Gang läuft abwärts – vielleicht bis zu den Grotten.“

Und Guardo rief zurück:

„Überzeugt euch davon … Ihr können ja umkehren, wenn Ihr etwas Verdächtiges bemerkt …“

Wenn in Traganzas Seele nicht die Goldgier so übermächtig gewesen wäre, hätte er vielleicht doch gezögert …

So aber hoffte er, vielleicht irgendwie herausbringen zu können, wo der Schatz von den Sphinxleuten versteckt worden war …

Kühn betrat er den Lavagang … Und noch kühner eilte jetzt der eine der Brüder ihm voraus …

Die drei legten nun denselben Weg zurück, den vor etwa einer Stunde drei andere gegangen: Doktor Falz, Pasqual und Murat!

Diese drei jedoch hatten genau gewußt, welch unsichtbare tödliche Gefahr dieser endlose Felsenschacht an seinem anderen Ende barg …

Camillo Traganza und die Matrosen liefen ahnungslos in ihr Verderben …

Genau wie Murat spürten sie erst allmählich die Wirkung der betäubenden Gase …

Genauso begannen sie plötzlich zu taumeln …

Die Beine versagten ihnen den Dienst … Atemnot setzte ein …

Und einer nach dem andern sank schwerfällig um, versuchte sich mit letzter Kraft aufzuraffen …

Umsonst … umsonst …

Die beiden Laternen brannten weiter, beleuchteten die starren Gestalten der in tiefer Bewußtlosigkeit am Rande des Grabes wie an Spinnwebfädchen Hängenden.

Für eine kurze Spanne Zeit noch … Dann mußte das Gas sie vollends erstickt haben …

Der Moloch Gold hielt sie in den Krallen …

Preßte ihnen die Kehlen zu …

Der unersättliche Moloch Gold, der Fluch der Menschheit, die schillernde Pest …

Die beiden Laternen brannten …

Die Lebensflämmchen der drei Männer zuckten nur noch wie klägliche, herabgebrannte Lichtstümpfchen …

 

136. Kapitel.

Juanitas wahre Liebe.

Und die anderen drei – die hatten sich dank Doktor Falz’ Geistesgegenwart und Klugheit gerettet …

Nachdem der Doktor und Pasqual Oretto durch Mafaldas von oben herabschallende Stimme in den Lavagang hinabgescheucht worden waren, nachdem sie in wilder Hast den Homgori eingeholt und ihm bedeutet hatten, daß man die Freunde oben im Kraterdom durch Zurufe nicht mehr verständigen dürfe, da die Feinde bereits in nächster Nähe, – nachdem man bis dorthin gelangt war, wo Murat vorhin umgesunken, wo also die Luft bereits mit den geruchlosen Gasen geschwängert war, – nachdem man von dieser Stelle wieder ein Stück zurückgewichen, hatte Doktor Falz seinen Begleitern mit wenigen Worten erklärt, wie man einzig und allein mit Aussicht auf Rettung bis zu dem senkrechten Schacht vordringen könne, der in den Kraterdom emporführte.

Des Doktors Idee war einfach und praktisch. Man solle von hier mit angehaltenem Atem vorwärtseilen. Einer von ihnen würde dann bestimmt noch die Kraft haben, das in dem senkrechten Schacht herabhängende Seil sich um die Brust zu schlingen. Und dieser sollte dann die beiden anderen womöglich packen und mit emporziehen lassen. –

Die Ausführung gelang auch …

Murat war derjenige, der am längsten ohne Atem zu holen ausgehalten hatte, während Falz und Pasqual die letzten zehn Schritt nur noch bedenklich taumelnd zurücklegten …

Murat war’s, dessen Riesenkräfte hier siegten …

Sein gellender Schrei verständigte die oben in bangster Sorge Harrenden …

Alle faßten zu …

Alle mühten sich, die schwere Last der drei Körper emporzuziehen …

Jimminez, Hartwich, Gottlieb, Worg und der allzeit lustige Gerhard Nielsen schafften’s auch in kürzester Zeit …

Jetzt tauchte Murats flacher, behaarter Schädel auf …

In jedem Arm hielt er einen halb Bewußtlosen an sich gepreßt: Falz und Pasqual Oretto!

Ein vielstimmiges Freudengeschrei empfing die Geretteten …

Murat wurde belobt … Man drückte dankbar seine mächtige Pfote … Man staunte, als er stolz erzählte, wie er die vier Matrosen unter dem Felsblock zermalmt habe …

Man war ein wenig erschrocken, als er erwähnte, daß Mafalda ihm auf den Fersen sei …

Dann hatten Doktor Falz und Pasqual sich soweit erholt, daß sie Murat Angaben ergänzen konnten. Der Doktor betonte, daß kein Uneingeweihter den Lavagang lebend passieren könnte, daß auf diesem Wege niemand die Grotten erreichen würde.

Jetzt berücksichtigte man auch Gerhard Nielsens Bericht über Lomatz’ Besuch als Unterhändler. Jetzt eilten Jimminez, Worg und Gottlieb zu der Steintür hinab, um diese zu verrammeln. Indessen wollten die anderen oben die Fenster der Wohngrotte zur Verteidigung vorbereiten.

So lag denn mit einem Male die Öffnung des Gasschachtes wieder mit dem sie umgebenden Geröllmassen still und verlassen da …

Nein – doch nicht ganz verlassen …

Ein Lichtschein blitzte auf …

Gerhard Nielsen kehrte mit der Laterne und dem Seil heimlich zurück.

Niemandem hatte er von seinem Vorhaben etwas gesagt. Man hätte ihm sonst nicht erlaubt, lediglich aus Abenteuerlust sich in eine zwecklose Gefahr zu begeben.

Hastig knotete Nielsen das Seil an eine Felszacke.

Hastig rieb er ein paar Zündhölzer an, wartete, bis der Schacht gasleer …

Glitt am Seil abwärts … Lief rechts in den Lavagang hinein – mit angehaltenem Atem, die Laterne weit vorgestreckt …

Lief in wilder Hast …

Bis … er in raschem Sprung über ein paar am Boden liegende Männer hinwegsetzen mußte, um nicht zu stolpern …

Und – sah plötzlich noch eine Gestalt – – ein Mädchen … bewußtlos zusammengesunken …

Erkannte sie …

Das war die Tochter des Kapitäns, das war die glutäugige junge Mexikanerin, die ihm schon aufgefallen war, als er und seine neuen Freunde gefangen in die Grotten abgeführt worden waren …

Aber – er war vorsichtig …

Er wußte, daß an dieser Stelle noch das Unheil lauerte …

Stürmte weiter …

Blieb stehen, schöpfte Atem …

Und – eilte zurück …

Trug das Mädchen davon – bis dorthin, wo die Luft im Lavagang gasfrei …

Nochmals …

Nochmals …

Und jetzt lagen da vor ihm die vier Opfer des tückischen Ganges … Jetzt beugte er sich über Juanita, nahm ihre Hand, prüfte den Puls …

Kniete neben der Mexikanerin, bettete ihren Kopf auf seine rasch zusammengerollte Jacke …

Leuchtete ihr ins Gesicht …

Ah – ihre Augenlider zuckten … Das Leben meldete sich wieder …

Ein verträumter, halb abwesender Blick traf des deutschen Seemanns männliches offenes Antlitz …

„Milo … Milo …,“ flüsterte die Erwachende zärtlich …

Nielsen mußte lächeln …

Die Mexikanerin verwechselte ihn fraglos mit ihrem Geliebten …

„Milo … ich war tot,“ hauchte Juanita wieder … „Milo … es war … entsetzlich … Dieses plötzliche Gefühl der Schwäche … und das Bewußtsein, den Vater nicht retten zu können … Machtlos zu sein …“

Sie erholte sich überraschend schnell.

Nielsens Gesicht lag noch im Schatten …

Dann fiel Juanita aber doch das hartnäckige Schweigen des Mannes auf, der neben ihr kniete …

Mit leisem Schrei stützte sie die Hände auf den Felsboden und richtete sich halb auf …

„Wer … wer sind Sie, Sennor?“ fragte sie beschämt und verwirrt …

„Einer … Ihrer Feinde,“ meinte Nielsen mit gutmütigem Spott. „Einer von denen, Sennorita, die Ihr Vater dort in den Grotten einsperren ließ …“

Juanita sank mit einem leisen Seufzer der Schwäche wieder zurück …

Jetzt hatte sie das Gesicht ihres Retters gesehen … Jetzt erinnerte sie sich dunkel, daß ihr dieses Gesicht schon aufgefallen war, als man die Gefangenen unter scharfer Bewachung in die Grotten gebracht hatte …

Aber ein anderer Gedanke verdrängte dieses Interesse an der Person des blonden Deutschen …

„Wo … ist mein Vater, Sennor?“ rief sie matt und angstvoll …

„Hier dicht neben Ihnen – noch ohne Bewußtsein, aber jedenfalls gerettet wie Sie, – auch die beiden anderen Männer …“

„Oh – ich danke Ihnen …“

„Keine Ursache … – Soll ich Sie aufrecht setzen und an die Wand lehnen, Sennorita?“

„Ich … ich werde es selbst versuchen …“

Doch – es gelang ihr nicht …

Sie mußte es dulden, daß seine Arme sie umfingen, daß er sie emporzog …

Für Sekunden ruhte sie so an seiner Brust …

Und seltsam, in diesen Sekunden hingen ihre Blicke fest an seinem Gesicht, begegneten seinen Augen …

Zwei Augenpaare versenkten sich ineinander …

Die Laterne beschien von der Seite diese beiden Menschen, die der blinde Zufall hier zusammengeführt hatte.

Wirklich der blinde Zufall?! Oder – doch eine höhere Macht, die dort oben über den Sternen thronend die Geschicke der Menschen nach unwandelbaren Gesetzen leitet …?!

Und – war’s ein Zufall, daß gerade in dieser Sekunde, wo Juanita an Gerhard Nielsens Brust sich zu schmiegen schien, hinter der nächsten Biegung des Ganges zwei andere Gestalten auftauchten, die jetzt überrascht stehen blieben und mit besonderen Empfindungen dieses seltsame Bild musterten …?!

Mafalda und Guardo waren’s …

Und Guardo, der vorhin allerlei Ausflüchte gebraucht hatte, weil er seinem Freunde Camillo Traganza und den beiden Matrosen, die für Juanitas sorgende Angst zu lange ausblieben, nicht hätte folgen wollen, – Guardo empfand eine gewisse Enttäuschung, als er Juanita hier lebend wiedersah …

Mafalda aber, die Gerhard Nielsen sofort wiedererkannt hatte und die gerade ihn wegen der Vorgänge auf Christophoro jetzt nicht minder haßte als ihre schlimmste Feindin Agnes Sanden, – Mafalda fühlte eine grenzenlose Genugtuung darüber, daß Nielsen ihr jetzt in die Hand gegeben … Sie war’s, die nun mit halb angelegtem Karabiner vortrat …

Die Laterne hatte sie an einer Schnur um die Brust befestigt …

Ließ den grellen Lichtschein durch eine Drehung des Oberkörpers über das Paar dort hingleiten und rief mit höhnischem Auflachen …:

„Willkommen, Herr Nielsen …! Willkommen! Ich habe mich bereits nach Ihnen außerordentlich gesehnt – wie begreiflich!“

Nielsen richtete sich auf, kniete aber noch …

„Rühren Sie sich nicht!“ drohte Mafalda … „Ihre Stellung ist die richtige für einen Verräter wie Sie! Denken Sie an unsere Fahrt durch die brennenden Wogen – an vieles andere, was Menschen sonst zu Vertrauten und zu treuen Freunden macht! – Was taten Sie?! Sie … verrieten Lomatz und mich, Sie waren ein Betrüger vom ersten Augenblick an, wo wir uns gegenüberstanden …!“

Ihre Stimme war noch schriller geworden …

Guardo ahnte, was kommen würde …

Guardo sah, daß die Prinzipessa den Karabiner in die Schulter einzog und zielte …

Da … packte er zu …

Riß den Lauf nach oben …

Der Schuß ging gegen die Decke des Ganges … Die Kugel zerspritzte an der glasharten Lava …

Juanita war emporgesprungen, hatte sich jetzt schützend vor Nielsen mit vorgestreckten Armen gestellt.

Ihre Stimme war vielleicht noch schriller als die Mafaldas …

„Prinzipessa, was tun Sie?! Dieser Mann ist mein Retter …! Auch meinen Vater hat er hierher getragen – auch die beiden Matrosen …! – Prinzipessa, ich werde es nie dulden, daß …“

Sie schwieg …

Sie sah, daß Guardo jetzt förmlich mit der Fürstin rang, daß er ihr den Karabiner entwinden wollte …

„Was wollten Sie tun!!“ rief er mit kalter Verachtung. „Wozu reißt Ihre Leidenschaft Sie nur hin …?! Dies hier wäre ein feiger Mord gewesen …! Her mit der Waffe!“

Und mit brutalem Stoß schleuderte er Mafalda ein Stück in den Gang zurück, folgte ihr, flüsterte befehlend:

„Du wirst dich herrschen …!! Willst du alles verderben?! Dieser Nielsen kann uns mehr nützen als du denkst!“

Und ganz laut dann:

„Kehren Sie um, Prinzipessa …! Schicken Sie Lomatz und die beiden anderen Matrosen her … Wir müssen Camillo und seine gleichfalls bewußtlosen Begleiter ins Freie schaffen …“

Mafalda duckte sich scheu zusammen …

Sie fühlte abermals, in diesem Manne hatte sie ihren Meister gefunden – zum ersten Male! Guardo beherrschte sie, – gerade sie, die bisher mit den Vertretern des stärkeren Geschlechts wie mit Sklaven gespielt hatte …!

Und wortlos ging sie davon – zurück in die Kegelhöhle – abermals eine Besiegte. –

Inzwischen hätte Gerhard Nielsen die beste Gelegenheit zur Flucht gehabt …

Und doch blieb er …

Er wußte selbst nicht, was es war, das in hier zurückhielt …

Vielleicht Abenteuerlust, vielleicht das dunkle Empfinden, daß er seinen Freunden hier irgendwie nützen könnte …

Vielleicht … etwas anderes, das bereits in seinem Unterbewußtsein sich regte – als stärkster Trieb … –

Er hatte sich vollends erhoben, hatte nun Juanitas erregtes Gesicht dicht vor sich …

„Fliehen Sie!“ raunte sie zitternd … „Fliehen Sie …! Die Prinzipessa wird …“

„Ja – die Prinzipessa nennt man auch ‚Tigerin Mafalda’, wie Georg Hartwich mir erzählte …“ unterbrach er sie gleichmütig. „Haben Sie keine Angst um mich, Sennorita … Ich wehre mich schon meiner Haut.“

„Man wird Sie gefangennehmen …“

„Vielleicht auch nicht …“

„Man wird …“

Da war Guardo schon dicht neben ihnen …

Juanita verstummte …

Und etwas Seltsames begab sich …

Dieselbe Juanita, die vor etwa einer Stunde liebeglühend in Maximiliano Guardos Armen gelegen, die dann auf dem Wege zum einsamen Hause aus neuerwachter wilder Eifersucht umgekehrt war, – die gerade da den hohen Hügel wieder betreten hatte, als Mafalda laut erklärt hatte, sie glaube nicht mehr an Kapitän Traganzas Rückkehr aus dem unbekannten Schacht, – diese selbe Juanita, die vergeblich den Freund ihres Vaters angefleht hatte, etwas zur Rettung der drei in den Lavagang Eingedrungenen zu unternehmen, und die schließlich ganz allein dieses Wagnis unternommen … dieses Mädchen hatte jetzt plötzlich das Gefühl, als wäre Guardo ihr ein völlig Fremder, als wäre es nur ein wüster Traum gewesen, daß sie sich ihm besinnungslos hingegeben…

Und mit fremden Augen schaute sie ihren Geliebten an – gleichsam erwacht aus einem Fiebertaumel, der ihr Blick und Sinne getrübt …

Nur an eins dachte sie in diesem Moment, an seine Ausflüchte, seine billigen Redensarten, mit denen er jede rettende Tat für den Freund abgelehnt hatte …!

Nur daran …!

Komödiantenhaft, unwahrhaftig erschien er ihr plötzlich …

Ihr prüfender, klarer Blick enthüllte ihr mit einem Schlage seine kalte, selbstsüchtige Seele …

Ihr Glaube an ihn war in Sekunden dahingeschmolzen … Nur eins stand riesengroß als Anklage gegen ihn in ihrem Geiste:

Er hatte sie allein den Weg der Gefahr gehen lassen! Er … war bei Mafalda geblieben!

So schaute sie ihn jetzt an …

Fremd, kühl, kritisch …

Nicht mehr das kleine törichte Mädchen, das lediglich dem Rausche der Sinne entgegendrängte …

Nein – ein erwachsenes Weib – geweckt durch die Hand des Todes, die schon ihre Kehle umkrallt hatte.

Und Guardo empfand diese Veränderung Juanitas deutlich mit, las aus ihren Augen das Richtige …

Unbehagen beschlich ihn …

So frisch lebte noch in seiner Erinnerung all das, was ihm bewiesen, wie gefährlich diese kleine Katze war … – zu frisch die Erinnerung an die Sprengbomben, die nur durch sein Eingreifen dort in der Kegelhöhle anstatt zu Mafaldas Füßen explodiert war …

Das Unbehagen verstärkte sich …

Denn Juanita schwieg …

Nur ihre Augen sprachen …

Und ihm selbst hatten diese Augen das Wort in den gleißnerischen Mund zurückgedrängt …

So standen sie sich hier gegenüber …

Mann und Weib, vereint nach den Satzungen des Blutes zu ewiger Gemeinschaft …

Und – – hier wieder getrennt, zu Fremden, zu Feinden geworden …

Auch das spürte Guardo … –

Und der dritte hier, Gerhard Nielsen, – stiller, kluger Beobachter, wußte aus alledem nur Weniges zu entnehmen …

Sagte schließlich, weil diese Szene ihn langweilte:

„Ich schulde Ihnen Dank, Sennor … Die Kugel der Tigerin Mafalda hätte auf diese kurze Entfernung wohl kaum ihr Ziel verfehlt … – So, und nun fassen Sie mit an, Sennor … Tragen wir die bewußtlosen Männer aus diesem höllischen Gang hinaus …“

Guardo ward wieder Herr der Situation …

Verneigte sich höflich …

„Der eine der Männer ist mein Freund, Sennor … Wir sind quitt … Sie retteten ihn, ich rettete Sie … – Gut – nehmen wir Camillo Traganza als ersten.“

Doch Juanita drängte Guardo beiseite …

„Ich bin seine Tochter …!“

Und sie winkte Nielsen …

Sie beide trugen Kapitän von dannen …

Guardo blieb stehen … blieb allein …

Sein Gesicht zuckte … Seine Augen glühten auf …

„Katze!!“ flüsterte er drohend … „Katze – ich beschneide dir die Krallen schon noch!“

Und bückte sich, hob einen der beiden Brüder Estampa empor und folgte Juanita und Nielsen.

In der kegelförmigen Höhle sah Nielsen dann auch den Verbrecher Lomatz wieder.

Der war soeben an dem Tau hinabgeklettert, hatte von Mafalda gehört, daß der blonde Seemann die vier gerettet habe …

Nielsen würdigte Lomatz keines Blickes. Er tat, als wären Mafalda und dieser Lump gar nicht vorhanden … Er mühte sich im Verein mit Juanita um den Kapitän, dessen pockennarbiges, unschönes Gesicht immer noch eine abstoßende Färbung von Gelbgrau hatte.

Dann kam auch schon Guardo mit dem einen Matrosen …

Nachdem er ihn auf den Boden gelegt hatte, gab er der Prinzipessa und Lomatz einen verstohlenen Wink. Die drei verschwanden wieder im Lavaschacht.

Gleichzeitig turnten aber nun auch die beiden Matrosen von oben herab, die noch in dem hohen Hügel abwartend neben der Öffnung im Felsboden gekniet hatten.

Juanita wandte sich sofort an die beiden, deutete auf die Gestalten ihres Vaters und des einen Estampa:

„Sie wären verloren gewesen wie ich, wenn nicht hier der Sennor Nielsen uns gerettet hätte …! Vergeßt das nicht! Vergeßt nicht, daß Ihr jetzt mir als des Kapitäns Tochter zu gehorchen habt!“

Die beiden jungen Mexikaner, Kerle we aus einem Piratenroman, nickten nur …

Dann ließ Juanita den einen wieder nach oben klettern, ließ ihren Vater emporziehen, kletterte selbst empor, und Nielsen folgte sofort.

Eine finstere Entschlossenheit lag über ihrem ganzen Sichgeben.

Kaum war nun auch Gerhard Nielsen neben ihr in diesem engen Raume des hohlen Hügels, als sie mit raschen Griffen den bewußtlosen Estampa hinaufbefördern half…

Und wieder glitt das Tau abwärts …

Als letzter kam nun der zweite Matrose empor … –

Maximiliano Guardo hatte mit Mafalda und Lomatz schon nach der ersten Biegung des Lavaganges halt gemacht …

„Prinzipessa,“ sagte er dem Weibe, das er sich heute als Verbündete und Sklavin erobert, „Sie werden inzwischen selbst eingesehen haben, daß Ihr Verhalten vorhin höchst unklug war …“

Mafalda schaute mißmutig vor sich hin …

Schwieg …

Guardos Lippen zuckten in überlegenem Spott …

„Im höchsten Grade unklug, Prinzipessa!“ wiederholte er mit scheinbarer Nachsicht. „Denn – wollten Sie etwa persönlich erproben, weshalb der Kapitän und die beiden Matrosen, dann auch Juanita hier in diesem Schacht ohnmächtig geworden?!“

„Natürlich durch Gase …!“ meinte Mafalda kurz. „Wodurch sonst?!“

„Ganz recht! Gase! – Aber – Wie hat dieser Nielsen die Gase, diesen gasgefüllten Teil des Ganges passieren können, und – woher kam er? – Wollen Sie mir diese Fragen beantworten, Prinzipessa …“

Jetzt blieb Mafaldas stumm …

„Sehen Sie, Prinzipessa, dazu mußte dieser Nielsen von ihrer Kugel verschont werden. Das soll er uns erklären! Nur er kann es, nur er könnte uns vielleicht in die Grotten führen, die jetzt ja – das bezweifle ich nicht – von den Sphinxleuten zur Festung umgewandelt sind …“

Lomatz lachte tückisch auf …

„Sie vergessen die Bomben, Sennor Guardo …!!“

„Oh nein – ich denke schon an die Bomben! Ich denke sogar sehr an diese gußeisernen Bälle … Nur – von ihrer Wirkung verspreche ich mir nicht allzuviel … Wir haben nur fünf … und …“

„Bitte – sechs!“ verbesserte Lomatz.

„Nein – fünf, Sennor Lomatz … Ich weiß das wirklich besser …“

Und – als er diese Sätze mit besonderer Betonung aus sprach, da … begriff Mafalda plötzlich …

„Juanita …!!“ rief sie entsetzt …

„Ja – Juanita schleuderte die einen nach Ihnen, Prinzipessa … Und wenn dieser eiserne Ball erst unten in der Höhle explodierte, so lag das nur daran, daß diese meine Hand die tolle Juanita zurückriß …“

Mafaldas bleich gewordenes Gesicht hob sich im Laternenschein von der dunklen Lavamasse wie ein weißer Fleck ab …

Selbst für ihre Nerven war die Vorstellung, daß sie jetzt vielleicht zerfetzt und zerrissen oben zwischen den Felsblöcken gelegen hätte, wenn Guardo nicht das Schlimmste verhütet haben würde, unerträglich …

Und in diesem Augenblick empfand sie für Maximiliano Guardo tiefe, wahre Dankbarkeit …

Trat impulsiv auf ihn zu …

Vergaß vollständig Lomatz’ Gegenwart …

Und mit einem nervösen Aufschluchzen, das so recht bewies, wie sehr sie bis ins Innerste erschüttert war, legte sie Guardo die Arme um den Hals und schmiegte sich an ihn …

Lomatz hatte sich diskret umgedreht. Er feixte diabolisch. Er kannte Mafaldas übliche Art des Männerfangs …

Also – wieder ein Neuer …!

Wieder einer, der diese Dirnenlippen küßte und vielleicht nicht ahnte, daß hinter diesen Lippen … Giftzähne einer Schlange lauerten …

Vielleicht nicht ahnte …!! Oder – ob dieser Guardo wirklich solch ein Narr wie all die ungezählten andern sein mochte?! Eigentlich machte dieser Mexikaner den Eindruck eines Vollmenschen, einer brutalen Kraftnatur, die nur durch außerordentliche Intelligenz schlau gebändigt wurde … –

Und Guardo selbst?!

Nichts kam ihm ungelegener als diese hingebungsvolle Dankbarkeit Mafaldas …

Nichts paßte weniger in seine Pläne als eine Mitwisserschaft dieses Lomatz, den er längst als Schurken schlimmster Sorte erkannt hatte …

Lomatz wußte nun, was zwischen ihm und Mafalda sich abgespielt hatte …

Zu ändern war daran nichts mehr. Mithin hieß es auch hier Diplomat sein, auch hier allen Weiterungen vorbeugen und Lomatz zum Schein mit aufnehmen in das geheime Bündnis gegen die Sphinxleute und gegen Camillo Traganza nebst Tochter …

Möglichst zart drängte er Mafalda von sich …

Rief dann Lomatz lachend an …

„Sennor, Sie sind nun Mitwisser eines Herzensgeheimnisses, – sollen auch noch Mitwisser des … Restes werden! Aber – – dieser Rest heißt … Schweigen!“

Und mit kurzen Worten weihte er den Mann, den er gründlich verachtete, weil er selbst ein Verbrecher anderer Art war, in das Wichtigste ein: in seinen … Kaisertraum, in seine großzügigen Pläne, – er, der Enkel des in Queretaro erschossenen Kaisers Maximilian!

Lomatz war im ersten Augenblick sprachlos …

Wahnwitz dünkte ihm dies alles …

Kaiserreich Mexiko?! Guardo Kaiser eines Staatswesens, das in den letzten Jahrzehnten als Republik zu ungeahnter Größe gelangt war?!

Wahnwitz – – Wahnwitz!!

Und doch – wenn er diesem Guardo ins Gesicht, in die Augen schaute, da war in der Tat etwas in diesen Zügen, das kein Unmöglich zu kennen schien … –

Guardo reichte Lomatz die Hand:

„Also wir drei, Sennor! Der Schatz wird geteilt! Jeder ein Drittel! – Und jetzt holen wir den bewußtlosen Matrosen …“

Lomatz faßte mit an …

Mafalda schritt mit den beiden Laternen voraus …

Man betrat die kegelförmige Höhle …

Sie war leer …

Die drei stutzten …

Mafalda leuchtete nach oben …

„Ah – das Tau ist nicht mehr da!“ rief sie seltsam gepreßt …

Und Guardo fügte hinzu:

„Die Öffnung oben ist bedeckt … Steinplatten liegen über dem Loche … – Wir sind … Gefangen!“

Seine Stimme war trotz allem kühl und lediglich wie verwundert …

„Juanita!!“

Und in diesem halben Wutschrei der Fürstin bebten Angst und Haß …

Drei Menschen – ein Bewußtloser …

Und ringsum die starren, glatten, nach oben sich verengenden, lavaüberzogenen Wände …

Und nur ein Weg für diese Menschen in die Freiheit, der Weg durch den Schacht, in dem der unsichtbare Tod lauerte …!!

 

137. Kapitel.

Schiff ahoi!!

Inzwischen hatten die Sphinxleute bereits die Steintür, die auf die Festplatte am Binnenseeufer mündete, derart verbarrikadiert, daß hier niemand eindringen konnte und daß ein einzelner Mann an dieser Stelle als Wache genügen mußte.

Sehr zustatten kam es ihnen, daß Murat gleichfalls im Besitz einer Repetierpistole gewesen und daß man nunmehr drei Schußwaffen zur Verfügung hatte.

Auch das Errichten der Schutzwände vor den Fenstern oben in der Wohngrotte machte gute Fortschritte.

Plötzlich überbrachte Murat dann den hier oben Beschäftigten die Meldung, daß Gerhard Nielsen verschwunden sei und daß über dem sogenannten Gasschacht die schon vorhin benutzte Leine wieder festgeknotet sei und nach unten hinabhänge.

Einen Augenblick fürchtete Hartwich irgendeine Verräterei von seiten Nielsens. Ebenso schnell wies er diesen Verdacht wieder von sich und eilte mit dem Homgori abwärts durch den langen Gang, um festzustellen, ob Nielsen etwa wirklich aus irgendwelchen Gründen allein das Wagnis unternommen habe und in den Schacht hinabgeklettert sei.

An der Schachtmündung fand er Pasqual, Jimminez und den Detektiv Worg in eifrigstem Meinungsaustausch vor.

Jimminez hatte bereits wiederholt hinabgerufen, ohne eine Antwort zu erhalten. Alles deutete darauf hin, daß Nielsen tatsächlich die zwecklose Tollkühnheit begangen hatte – zwecklos insofern, als von diesem Schachte aus doch niemals ein Angriff zu befürchten war.

Georg Hartwich meinte jetzt, man dürfe unmöglich jemandem zumuten, etwa Nielsen zu folgen und ihn zu suchen …

„Die Leine kann nicht entfernt werden,“ fügte er recht ärgerlich hinzu. „Einer von uns muß auf jeden Fall hier Wache halten. – Murat könnte das übernehmen …“

Der Homgori blieb also, neben sich eine Laterne, an der Schachtmündung. Pasqual Oretto wieder sollte an der verrammelten Steintür vorläufig aufpassen. Wenn sich dort etwas ereignete, fand er noch immer Zeit, Murat mit einer Meldung in die Wohngrotte hinabzuschicken. Eine Waffe brauchte er ebensowenig wie der Homgori. Die drei Pistolen konnten also für die Verteidigung der Fenster, der am meisten gefährdeten Stelle, verwandt werden.

Als Hartwich mit Jimminez und Worg in die Wohngrotte zurückkehrte, wo fünf Laternen genügend Licht spendeten, hatten Doktor Falz und Gottlieb hier soeben eine neue Lage Bretter über die Schutzwände der Fenster genagelt, hatten auch genügend Schießscharten angebracht und waren nun dabei, von den im Hintergrunde der Grotte befindlichen Verschlägen weitere Bretter loszuwuchten.

Gaupenberg auf seinem bequemen Bett, neben dem Agnes als liebevolle Pflegerin saß, schaute den Freunden zu und tauschte hin und wieder ein paar Worte mit der Geliebten aus.

Mela und Ellen Hartwich wirtschafteten noch in der Küche umher, aus der bereits angenehme Düfte ein leckeres Mahl verhießen. Gipsy Maad aber hatte die vorhandenen Tische aneinandergerückt und so eine lange Tafel hergestellt, die sie nun etwas freundlich anzuschauend deckte.

Es war jetzt zehn Uhr abends …

Hartwich betrat die Küche, nachdem er mit Gaupenberg und Falz ganz kurz und mit recht unwilligen Worten über Nielsens eigenmächtiges Wagnis gesprochen hatte.

Ellen kam ihm entgegen … Rasch drückte sie einen langen Kuß auf seine bärtigen Lippen und meinte schalkhaft:

„Brummbär, – welch ein Gesicht! Begrüßt man so sein Frauchen?!“

„Verzeih, Liebling … Aber Nielsen hat sich da vielleicht aus reiner Abenteuerlust zu einer Torheit hinreißen lassen …“

Er berichtete den Sachverhalt.

Auch Mela Falz hörte gespannt zu, rief dann eifrig:

„Es ist ganz ausgeschlossen, daß Nielsen ein Verräter sein könnte – genau so wenig wie Fredy Dalaargen … Der Herzog wird mit dem Kutter und dem Schatz bestimmt zurückkehren… Und auch Nielsen wird, falls er nicht durch die Gase umgekommen ist, sich wieder einfinden …“

„Warten wir ab …!“ sagte Steuermann Hartwich ernst. „Gerade was Dalaargen angeht, kann man leicht zweifelhaft werden … Sie müssen mir diese Ehrlichkeit nicht übelnehmen, Fräulein Mela … Doch gerade Dalaargens Person und seine Beziehungen zu den ursprünglichen geheimnisvollen Bewohnern dieser Insel sind noch derart in Dunkel gehüllt, daß …“

Mela war bis in die Stirn errötet … Ihre Augen blitzten den Steuermann drohend an …

„Oh – schmähen Sie niemand, der sich nicht verteidigen kann,“ fiel sie ihm heftig ins Wort … „Er wird sich verteidigen … Und man wird ihn dann jeden Verdacht abbitten müssen …“

Hartwich reichte ihr die Hand …

„Nicht böse sein, Fräulein Mela … Wir Männer lassen uns in unserem Urteil nicht von Gefühlen beeinflussen wie die Frauen … „warten wir ab …“ – Und in munterem Tone dann: „So, meine Damen, jetzt wird es aber wirklich Zeit zum Abendessen … Beeilen Sie sich …! Sonst passiert es uns noch, daß unsere Mahlzeit durch den Angriff der Matrosen gestört wird. Im übrigen, mögen Sie kommen! Wir sind gerüstet!“

Und seiner Ellen zunickend, ging er wieder in die Grotte hinaus und half den Freunden, für das dritte Fenster eine bewegliche Schutzwand herzustellen … –

Zehn Minuten später saßen die Sphinxleute bei Tisch. Auch Gaupenbergs Bett war nahe an die Tafel herangerückt worden …

Ein seltsames, abenteuerliches Bild – diese Höhle mit dunklen Felswänden, diese Menschen dort – eine bunte Gesellschaft, – alles überstrahlt vom milden Laternenlicht …

Ernste Gesichter, ernst die gedämpften Gespräche, – und doch hin und wieder Blicke bräutlicher sehnender Liebe zwischen zwei glücklichen Paaren: Gaupenbergs-Agnes, Hartwich-Ellen …

Andere Blicke auch aus den tiefen klaren Augen des Einsiedlers von Sellenheim, des Mannes, der mehr von all den übernatürlichen Dingen zwischen Himmel und Erde wußte als je einem Sterblichen beschieden …

Doktor Falz blickte träumerisch die Tafel entlang, an deren einer Schmalseite er saß …

Sein Kind, seine Mela, machte ihm Sorgen … Das heitere Lachen von einst war dahin … Sie hatte ja wieder lächeln gelernt, diese Vielgeprüfte, war wieder aufgeblüht zu neuer Jugendlichkeit im Kreise dieser frohgesinnten Kämpfer um den Azorenschatz … Bis jene Stunde kam, als der Herzog Dalaargen sie als erste aus dem treibenden Wrack des Doppeldeckers an Bord der Milliardärsjacht gebracht hatte, bis – – die Liebe kam und mit ihr all das Leid – – um Fredy Dalaargen …

Doktor Falz sah es seinem Kinder an, daß ihre Gedanken in der Ferne weilten, daß hinter ihrer reinen Stirn stets neue Fragen aufzuckten wie schmerzliche Wunden. Wo war Dalaargen?! Wer war dieser Mann, der als Sträfling aus dem Bagno entflohen war?!

Un der Doktor nickte schmerzlich vor sich hin …

Neben ihm saß Gottlieb Knorz, hatte seinen treuen Teckel auf dem Schoße und teilte mit ihm jeden Happen.

Und zur anderen Seite hatte er den quecksilbrigen kleinen Jakob Worg, den großen Detektiv …

Worg schwatzte in einem fort, erzählte Abenteuer aus seinem Leben, ärgerte sich, daß niemand recht hinhörte …

Als ob wohl all diese Männer und Frauen hier nicht weit mehr durchgemacht hatten wie Jakob, der Kleine …! Nein, für die Sphinxleute mußte man schon stärkere Sensationen bereithalten, wenn man sie fesseln wollte! –

Gipsy Maad unten am Tische war sehr rasch mit ihrer Mahlzeit fertig geworden. Sie erbot sich nun, Murat und Pasqual Oretto das Essen nach unten in den Kraterdom zu bringen.

Rasch packte sie alles Nötige in eine große Schüssel, da sie keinen anderen Behälter zur Verfügung hatte.

Nahm die Lampe aus der Küche und schritt in den langen Felsengang hinab …

Als Murat sie kommen sah und ahnte, was sie ihm da Leckeres servieren würde, fletschte er vergnügt die mächtigen Hauer …

„Oh Miß Gipsy, bei Murat großer Hunger,“ knurrte er dankbar.

„Ist inzwischen etwas geschehen, Murat?“

„Nichts …“

Gipsy stellte ihm die beiden gefüllten Teller auf einen flachen Stein …

Schon wollte sie weiter zu dem alten Pasqual, dem Wächter an der Steintür, eilen, als Murats scharfes Ohr aus dem Gasschacht Geräusche auffing …

„Da – – horchen, Miß!“ rief er leise und beugte sich über den dunklen Schlund …

Gipsy sah, daß die lose herabhängende Leine sich plötzlich straffte …

Und dann eine Stimme von unten – Nielsen Stimme:

„Rasch – zieht mich empor … Mir schwinden die Sinne …“

Murat packte zu …

Für seine enormen Armmuskeln war es ein Kinderspiel, den blonden Deutschen emporzuhissen …

Nielsens Kopf kam zum Vorschein …

Murats Linke umkrallte des Seemannes Arm … Noch ein Schwung, und Nielsen lag neben dem Felsloche …

Er japste nach Luft – und lächelte …

„Da bin ich!“ meinte er mühsam. „Dieses verdammte Gas hatte mich bereits halb betäubt – aber halb eben nur!“

Gipsy starrte ihn kopfschüttelnd an.

„Weshalb haben Sie sich denn dort hinabgewagt, Mister Nielsen?“ fragte sie vorwurfsvoll …

„Weil ich das dunkle Empfinden hatte, es könnte für uns von Vorteil sein, was dann auch stimmte,“ erwiderte er schon bedeutend kräftiger.

Er setzte sich aufrecht …

„Die Dinge haben sich zum Besseren gewendet, Miß Maad,“ erklärte er weiter. „Doch – das will ich allen gleichzeitig erzählen … Hier braucht niemand mehr zu wachen … Ein Angriff ist nicht zu befürchten … Kapitän Traganza ist aus einem Saulus ein Paulus geworden …“

Er erhob sich mit Murats Hilfe …

Gipsy rief Pasqual Oretto herbei, und die vier stiegen rasch nach oben in die Wohnhöhle, wo Nielsens Erscheinen einen wahren Sturm von Fragen entfesselte.

Lachend wehrte er ab …

„Ich rede ja schon … Nur Geduld! Die Sache läßt sich mit ein paar Worten erledigen. Ich habe dem Kapitän sowie seiner Tochter Juanita und zwei Matrosen namens Estampa, Brüdern, das Leben gerettet. Sie waren bewußtlos im Lavagang umgesunken. Juanita hat dann Lomatz, den Sennor Guardo, Mafalda und den einen Estampa in der Kegelhöhle eingesperrt, hat ihrem Vater gründlich ins Gewissen geredet, und ich habe dem pockennarbigen alten Kapitän dann auf mein Wort versichert, daß hier bei uns … nichts zu holen ist, daß ein sogenannter Herzog mit dem mit den Schätzen beladenen Kutter auf und davon sei und – – da hat Traganza eben eingesehen, daß sein Intimus Guardo eine oberfaule Nummer und daß er richtiger täte, mit uns Frieden zu schließen … – So liegen die Dinge, Freunde …“

„Und Mafalda nebst Anhang?“ fragte Steuermann Hartwich zweifelnd …

„Sitzen im Loch – das heißt, werden im Hause als Gefangene bewacht … – Traganza und Juanita werden sich sofort hier durch eins der Fenster einfinden … Ich hätte ebenfalls diesen Weg gewählt, wenn ich nicht gefürchtet hätte, man würde im Dunkeln auf mich schießen, ehe ich noch meine Visitenkarte vorzeigen konnte. Räumen wir also die Bretterwand dort fort … Traganza wünscht von Ihnen, Graf Gaupenberg, ebenfalls die ehrenwörtliche Bestätigung, daß der Schatz von Dalaargen entführt ist. – Ich habe ihm natürlich verschwiegen, daß der Herr Herzog hierher zurückkehren will. Die Hauptsache, der Schatz ist nicht hier und wir wissen auch nicht, wo er sich jetzt befindet!“

Mela Falz drängte sich nun plötzlich vor …

Sie war bleich … Sie schaute Gerhard Nielsen jetzt genauso drohend an wie vorhin Hartwich …

„Dann haben Sie also Dalaargen als Dieb hingestellt!“ rief sie empört …

„Nun – so halb und halb …“ nickte die Nielsen etwas verlegen …

Melas Augen füllten sich mit zornigen Tränen …

„Oh – niemals werde ich dulden, daß Dalaargen in dieser Weise …“

Da hatte Doktor Falz ihre Hand ergriffen, unterbrach die Erregte …

„Kind, beruhige dich …! Magst du persönlich auch zu Dalaargen in einem Verhältnis stehen, das dir für ihn einzutreten gebietet, seine Persönlichkeit bleibt für uns alle hingegen in gewissem Grade ungeklärt! – Und in diesem Falle, wo wir Blutvergießen vermeiden können, begehen wir nichts Unrechtes, wenn wir Traganza die Tatsache bestätigen, daß Dalaargen wider unseren Willen und heimlich mit dem Kutter auf und davon gefahren ist! – Mehr verlangt der Kapitän nicht zu wissen, und mehr werden wir ihm nicht sagen … Gib dich damit zufrieden, Mela … Dein Vater verlangt es …!“

Mela Falz wandte sich um und ging langsam in eine der Schlafkammern im Hintergrunde der Grotte …

Dieser Zwischenfall hatte die erste Freude der Sphinxleute über den Friedensschluß mit Camillo Traganza stark gedämpft.

Ernste Blicke waren der davonschreitenden Mela gefolgt, und leise fragte Hartwich nun:

„Wie soll es werden, wenn Dalaargen überraschend zurückkehrt?! – Denn das eine ist wohl klar, dieser Traganza wird sofort wieder gegen uns Front machen, sobald er Aussicht hat, uns doch … berauben zu können …“

Gaupenberg erwiderte sofort:

„Wir werden eben Wachen ausstellen, die uns den Kutter bei Tag und bei Nacht rechtzeitig melden … Und dann muß man Dalaargen eben einen Wink geben, den Schatz zu verschweigen …“

Auch Doktor Falz hielt dies für den einfachsten Ausweg.

Jimminez und Nielsen entfernten jetzt die bewegliche Holzwand des dritten Fensters und traten auf die Terrasse hinaus …

Der Mond war soeben über dem Meere emporgestiegen …

Majestätisch rollten die Wogen, silbern flimmern im Glanze des Nachtgestirns, gegen den steinigen Strand.

Hier von der schmalen Terrasse aus bot sich Gerhard Nielsen ein so wunderbares Bild tiefsten Friedens, daß er unwillkürlich zu Alfonso Jimminez sagte:

„Wie wundervoll ist diese Nacht …! Wie herrlich der Sternenhimmel, wie köstlich diese gewaltige, ewige Musik des rauschenden Ozeans …!“

Der frühere Geheimagent lächelte unmerklich über diese Schwärmerei des Deutschen. Er kannte keine derartigen Empfindungen. Für ihn war die Natur mit ihren wechselnden Schönheiten und ihren Geschöpfen lediglich Mittel zum Zweck …

Und so erwiderte er denn, indem er nach oben zum Rande der Steilwand emporschaute:

„Ja, gerade hell genug ist’s, daß ich erkennen kann, daß unsere beiden Wächter verschwunden sind.“

Auch Nielsen drehte sich jetzt um und bog den Kopf rückwärts …

Im selben Moment erschienen noch Hartwich und Doktor Falz hier draußen …

„Niemand zu sehen,“ meinte Steuermann Hartwich etwas verwundert …

„Selbst Kapitän Traganza nicht … Und das ist merkwürdig,“ fügte Jimminez hinzu. „Er muß doch die Wachen abgerufen haben, und dann müßten wenigstens er und die Sennorita …“

Ein lauter Ausruf Hartwichs unterbrach ihn …

„Ein Schiff – – ein Dampfer!! Dort weit gen Nordwest … Ich hole ein Fernglas …“

Sofort war er wieder zurück …

Stellte das Glas ein …

„Der Dampfer fährt davon … Seltsam ist das! Das Schiff muß doch die Insel unbedingt bemerkt haben …“

Nielsen bat um das Glas …

Schaute gleichfalls hindurch …

„Ein Frachtdampfer ist’s mit nur einem Schornstein,“ erklärte er … „Bestimmt ein Frachtdampfer …!“

„Sollte Traganza mit seiner Bande sich auf den Dampfer begeben haben?!“ warf Doktor Falz sinnend ein …

Jimminez rief:

„Ich werde es schon feststellen … – Herr Hartwich, gestatten Sie mir, daß ich einmal hier an dem Tau emporklettere und mich auf der Insel umschaue.“

„Tun Sie es,“ erwiderte Hartwich hastig. „Offen gestanden, dieser Dampfer dort behagt mir nicht – gar nicht behagt er mir!“

Jimminez hatte das Seil, das die beiden Wachen offenbar vor ihrem Abzüge hinabgeworfen, schon umklammert …

„Vorsicht!“ warnte Doktor Falz … „Vielleicht haben die Kerle hier ein Bubenstück geplant, vielleicht das Tau halb durchgeschnitten …“

Der kräftige Jimminez lachte nur … „Dann falle ich höchstens wieder auf die Terrasse zurück …“

Doch – nichts geschah … Das Seil hielt. Jimminez stand oben …

„Bis später!“ rief er noch und verschwand.

Inzwischen war der Dampfer ebenfalls in der milchigen Dämmerung der Mondnacht untergetaucht.

Hartwich betrat die Wohngrotte, berichtete Gaupenberg das Beobachtete.

Detektiv Worg hörte gespannt mit zu.

„Am wahrscheinlichsten ist,“ erklärte er jetzt, „daß der Dampfer zufällig hier eine der Buchten angelaufen hat und daß Kapitän Traganza mit seinen Leuten ihn gekapert hat … Zuzutrauen ist’s dem Mexikaner schon!“

„Lieber Mister Worg, zufällig verirrt sich kein Frachtdampfer hierher … Nein, das Erscheinen diese Schiffes kann vielleicht …“

Auch Mela und die übrigen umstanden Gaupenbergs Bett, und Mela rief nun in hellen Tönen höchster Angst:

„Mein Gott, wenn Dalaargen etwa diesen Dampfer gemietet hätte …! Wenn … der Schatz sich auf den Dampfer befunden hätte …!!“

Hartwich nickte ihr zu …

„Genau dasselbe habe ich sagen wollen, Fräulein Mela …! Jedenfalls ist dies die einleuchtendste Erklärung für das Auftauchen des Schiffes. Aber auch Worg wird recht haben. Traganza hat sich des Dampfers bemächtigt!“

Totenstille folgte …

Alle, die diese Worte vernommen, waren sich der ungeheuren Tragweite der Vermutungen bewußt.

Wenn der Schatz tatsächlich auf dem Schiffe sich befunden hatte, dann – dann würde man die Diebe vielleicht nie mehr erreichen, dann würde man ihnen nie mehr den Raub abjagen können!

Und in dieses bange Schweigen hinein aus Agnes Sandens holdem Munde ein neuer Ausruf:

„Dann … dann hat Traganza sich auch mit Mafalda, Guardo und Lomatz wieder ausgesöhnt …!“

Alle schauten die blonde Agnes an …

Gaupenberg, der ihre Hand in der seinen hielt, sagte jetzt eindringlich:

„Wir müssen Gewißheit haben! Sobald Jimminez zurückgekehrt ist, muß nötigenfalls die Insel genau durchsucht werden … Es genügt, wenn Agnes, Gottlieb, Ellen und Gipsy hier bei mir in der Wohngrotte bleiben und wenn man uns eine der Pistolen zurückläßt …“ –

Jimminez stellte sich denn auch sehr bald wieder ein, meldete, daß er das Haus leer gefunden, daß die Sphinx noch auf dem Hofe liege und daß er mit aller Sicherheit annehme, daß Traganza und die anderen auf dem Dampfer davongefahren seien.

Unverzüglich wurde nun unten die Steintür wieder freigelegt. In den Grotten verblieben nur die Personen, die Gaupenberg vorher benannt hatte – mit Ausnahme Ellens, die ihren Gatten durchaus begleiten wollte.

Die Steintür ward dann wieder von Gipsy und Mela verrammelt, da man nichts versäumen wollte, irgend eine Hinterlist Traganzas wirksamen zu durchkreuzen. Deshalb wurde auch oben in der Wohngrotte das Fenster wieder durch die Bretterwand versperrt. –

Der Trupp, der sich jetzt durch die dunklen Schluchten dem grünen Tale und dem Hause näherte, bestand aus Hartwich, Ellen, Doktor Falz, Pasqual, Jimminez, Worg, Nielsen und Murat.

Nielsen und Jimminez schritten zehn Meter voraus. Und uns ihnen bildete wieder Murat die Spitze, so daß man vor einem plötzlichen Überfall gut geschützt war.

All diese Vorsichtsmaßregeln erwiesen sich als überflüssig.

Dunkel und still lagen nun der Garten und das einsame Haus vor den Sphinxleuten …

Freundlich blinkte das Mondlicht auf den Fensterscheiben …

Man rückte noch näher heran. Murat, Jimminez und Nielsen begaben sich nun in das Haus hinein und durchsuchten sämtliche Räume.

Man fand nichts …

„Zur Nordbucht!“ befahl Hartwich …

Eine gewisse nervöse Erregung beherrschte alle … Nur der Homgori war den Sorgen seiner Gefährten gegenüber durchaus gleichgültig. Gold und Goldeswert galten ihm weniger als eine Staude reifer Bananen. Denn das war Murats Lieblingsgericht.

Selbst Doktor Falz, der mit Pasqual Oretto den Schluß des Zuges bildete, befand sich in einer merkwürdigen Stimmung.

„Freund Pasqual,“ meinte er vertraulich, „wenn mich nicht alles täuscht, so stehen wir heute vor einer entscheidenden Wendung im Kampfe um den Azorenschatz … Meine Ahnungen trügen nie …!“

„Und – was wird geschehen, Herr Doktor?“ fragte Oretto düster, denn auch auf ihm lastete es wie ein rätselhafter Druck.

„Ich weiß es nicht, Freund Pasqual … Ich fürchte nur, daß all unsere Vermutungen hinsichtlich des Auftauchens dieses Dampfers irre sind …“

Man schritt jetzt bereits am Buchtufer dahin …

Der scharfe Nachtwind stieß hier wie in einen Trichter hinein … Oben in den Klüften der senkrechten Uferwände heulte und sang die Windsbraut …

Dann verkroch der Mond sich hinter einer einzelnen Wolke …

So wurde es mit einem Schlage fast völlig finster.

Ein gellender Schrei zerriß plötzlich die Luft …

„Das – war Murats!“ stieß Doktor Falz hervor.

Gestalten tauchten auf …

Wuchsen aus dem Boden …

Verdoppelten sich …

Zwei – drei schnell verhallende Schüsse …

– – Die Finsternis hüllte das Drama in undurchdringliche Schleier …

 

138. Kapitel.

Wie der Herzog zurückkehrte …

„Jetzt sind sie bereits drei Stunden fort…,“ sagte Agnes leise zu Gaupenberg, der soeben aus erquickendem Schlummer erwacht war.

Eine einzige Laterne brannte neben dem Bett auf der langen Tafel, wo noch Teller und anderes Geschirr umherstanden.

Gaupenberg schaute die Geliebte beunruhigte an …

„Drei Stunden …?“ wiederholte er … „Und niemand von den Freunden überbrachte inzwischen eine Meldung?“

„Niemand, Viktor … Nur …“

Sie zögerte …

Gaupenberg stützte sich schnell auf den einen Arm.

„Agnes, was verheimlichst du mir? Sprich …! Ist etwas geschehen …“

Ihre heiße Hand drückte die seine …

„Du sollst dich nicht aufregen, Viktor … – Ja, es … muß etwas geschehen sein … Vor zwei Stunden waren draußen auf der Terrasse drei Männer … Ich hörte sie sprechen, nahm schnell die Pistole, verdunkelte die Laterne und eilte an eine der Schießscharten.“

„Und – du erkanntest sie? Waren’s Matrosen Traganzas?“

„Matrosen waren’s … Ob sie zu den Leuten des Kapitäns gehörten, weiß ich nicht … Als sie die Fenster versperrt fanden, kletterten sie wieder an dem Tau empor … – Und auch Mela war vorhin hier und berichtete, daß Leute sich an der Steintür zu schaffen gemacht hätten … Dann wieder kam der treue Gottlieb und erzählten, daß abermals draußen an die Steintür gepocht worden sei … Von den Unsrigen war es niemand …“

Indem tauchte Gottlieb aus dem Felsengange auf …

Hinter ihm her wackelte der alte gelbe Teckel …

Gottlieb hielt eine Laterne in der Linken … Sein Gesicht war düster und unheilverkündend ernst …

„Herr Graf,“ sagte er leise und blieb am Fußende des Bettes stehen, „unsere Freunde müssen diesen Schurken in die Hände gefallen sein … Da draußen schleichen Fremde umher … Und hier auf der Terrasse …“

„Ich weiß …,“ nickte Gaupenberg erregt. „Du glaubst also, daß Kapitän Traganza …“

Gottlieb hatte eine warnende Handbewegung gemacht …

Dann … pochte es noch lauter gegen das eine Fenster …

Jemand rief …

„Murat …!!“ flüsterte Agnes …

„Licht aus!“ gebot Gaupenberg … „Verdunkelt die Laternen …! – Das war niemals Murat … Murats Stimme wäre deutlicher zu hören gewesen …“

Gottlieb schlich zum nächsten Fenster und blickte durch eine der Schießscharten hinaus …

„Niemand … Die Terrasse ist leer …,“ erklärte er gedämpft …

Agnes huschte neben ihn …

„Vielleicht habe ich besser Augen,“ hauchte sie …

Aber auch sie konnte draußen nichts bemerken …

Der Mond stand jetzt ganz hoch …

„Wahrscheinlich eine neue Schurkerei,“ flüsterte Knorz ingrimmig … „Einen offenen Angriff wagen sie nicht … Da schicken sie denn einen her, der Murats Namen rufen muß …! Als ob wir auf solche Finten hineinfallen würden!!“

Agnes kehrte zu Gaupenberg zurück, tastete sich in der Dunkelheit vorwärts und setzte sich auf den Rand seines Bettes …

„Wirklich niemand …?“ fragte der Graf voller Unruhe …

„Niemand, Viktor …“

Ihre Hände fanden sich …

„Wenn Mafalda hinter alledem steckt, Viktor, dann … dann … sind wir verloren … Sie finde schon Mittel und Wege, uns zu vernichten …“

Auch Gottlieb tappte jetzt heran, nahm seine Mütze von der einen Laterne und meinte:

„Zurzeit ist die Terrasse leer … Wir müssen …“

Und … verstummte …

Ein seltsamer Ton war von der Terrasse hereingedrungen …

„Was … war das?“ rief Agnes verstört … „Es klang wie … wie …“

„… ja – wie das tiefe Stöhnen eines Menschen,“ ergänzte Gottlieb hastig …

Und überlegte, brummte ärgerlich: „Vielleicht nur eine neue Teufelslist dieser Banditen …! Wer kann’s wissen …!“

„Oder – es ist doch Murat, und er ist verwundet, Gottlieb …“

„Nein, Fräulein Agnes … Murat würde nicht stöhnen … Der würde rufen …“

Und rasch deckte er wieder die Mütze über die Laterne und glitt zum Fenster …

Da – abermals diese Stöhnen …

Und dann – ein Schrei – ein einzelnes Wort in den Kehllauten des Homgori:

„Murat – – Murat!“

„Er ist’s!“ rief Gaupenberg …

Und Knorz vom Fenster:

„Jetzt sehe ich ihn … Er liegt auf der Terrasse … Hebt den Arm …“

Und schon schob er die bewegliche Holzwand vom Fenster weg, öffnete es …

Auf allen Vieren kam der zottiger Homgori hereingekrochen …

Taumelnd …

Sank dann kraftlos zur Seite … –

Gottlieb schloß das Fenster, rückte die Holzwand wieder vor und kniete neben Murat nieder …

„Bitte die Laterne, Fräulein Agnes …“

Sie brachte sie ihm …

Aus Murats linker Brust sickerte Blut …

Und Blut klebte überall auf der behaarten Brust …

Murat war ohnmächtig geworden … –

Schnell holte Gottlieb aus einem der Betten der Verschläge eine Seegrasmatratze.

Murat auf die Matratze zu heben war unmöglich. Dazu reichten Gottliebs und Agnes’ Kräfte nicht. So rollten sie ihn denn hinauf, damit er nicht auf dem harten Fels läge.

Knorz untersuchen die Wunde …

„Kugelschuß – zum Rücken wieder hinaus … Die linke Lunge muß durchbohrt sein …“

Gaupenberg hatte sich aufrecht gesetzt …

„Gottlieb, dann nur die Ein- und Ausschußöffnung waschen und verbinden … Essig werdet Ihr ja in der Küche finden … Die Natur muß sich selbst helfen. Murat ist zäh …“

So wurde denn der Homgori aufs sorgfältigste verbunden. Agnes half. Und – wie gern half sie! Gerade Murat, dieser letzte der Affenmenschen Doktor Gouldens, hatte sie ja so tapfer beschützt, war ihr Freund … Sie sah in ihm nicht das Halbtier, sondern nur ein menschliches Wesen mit wilden Instinkten, aber treuem, dankbarem Herzen … –

Nun lag Murat, den Kopf auf weichen Kissen, immer noch in tiefster Ohnmacht da …

Gipsy Maad war inzwischen aus dem Kraterdom hier in die Wohngrotte gekommen und hatte gemeldet, daß sich vor der Steintür nichts mehr rege.

Die arme Gipsy war genau so übermüdet und übernächtigt wie Agnes und Mela, die jetzt allein die Steintür bewachte.

Gaupenberg erkannte, daß die Mädchen sich nach diesen Aufregungen der letzten Stunden kaum mehr aufrecht halten konnten …

Er besprach sich mit Gottlieb. – Knorz, der Unverwüstliche, fühlte sich noch völlig frisch …

So mußten Agnes und Gipsy Maad sich jetzt in einer der Kammern niederlegen. Gottlieb eilte in den Kraterdom hinab und schickte auch Mela nach oben. Der Graf wollte vom Bett aus die Fenster bewachen, während Knorz sich unten vor die verrammelte Steintür setzte und mit Behagen eine der Zigarren des Unbekannten rauchte, der hier auf der schwarzen Insel mit den sechzehn jungen Geschöpfen ein rätselhaftes Dasein geführt und den Murat dann halb in Notwehr erschossen hatte …

An all dies dachte der treue Alte, während er, seinen Teckel neben sich, die Rauchwölkchen sinnend von sich blies …

Ja – – der Unbekannte …!

Worg hatte gemeint, es sei Dalaargens Vater gewesen …

Und Dalaargen hatte die Leiche und die sechzehn Mädchen ja auch auf dem Kutter mit sich genommen …

Und – – den Schatz dazu … –

Knorz streichelte seinen Teckel, den halbblinden Kognak …

Sprach mit ihm nach alter Gewohnheit …

„Was wird nun wohl hier aus uns werden, Kognak? Und – was ist aus unseren Freunden geworden? Murat haben die Halunken angeschossen … Und – die anderen?!“

Er seufzte …

Hier in dem kurzen Felsengang, der von dem Kraterdom zur Steintür führte, war es so unheimlich still …

Gottlieb hatte die Pistole, die er hierher mitgenommen, auf eines jener säulenähnlichen Lavagebilde gelegt, die zum Teil bis zur Kraterdecke emporreichten und diesem Wohnraum wirklich eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Dome gaben.

Die Säule hier vor ihm war die einzige in dem Verbindungsgang nach der Steintür und kaum anderthalb Meter hoch. Knorz brauchte nur die Hand auszustrecken, und er hatte die Waffe bereit …

Die Zigarre war nun aufgeraucht.

Gottlieb verwahrte den erloschenen Stummel sorgfältig, damit er ihn später zu Pfeifentabak zerkleinern konnte.

Seine Gedanken waren noch bei den Gefährten.

Besonders um Hartwich und Ellen und um Falz und Pasqual sorgte er sich am meisten, weil sie seinem alten Herzen genau so nahe standen wie der Graf und Agnes …

Dann ließ ihn ein ganz leises Geräusch aufhorchen …

Er hob den Kopf, blickte umher, griff nach der Laterne und leuchtete den Gang ab …

Er war sich nicht ganz klar darüber, woher das Geräusch gekommen sein mochte. Es hatte fast wie das Klirren von Metall geklungen …

Als er hier nichts Verdächtiges mehr vernahm, wollte er einmal in den Kraterdom hineinschauen …

Beabsichtigte jetzt auch die Pistole mitzunehmen …

Starrte auf die raue breite Spitze der Säule …

„Donnerwetter …!“ entfuhr es ihm …

Gottlieb stierte noch immer auf den leeren Fleck …

„Habe ich Sie denn etwa in Gedanken anderswohin gelegt?!“ brummte er …

Und der Laternenschein glitt über den Platz hin, wo er gesessen hatte …

Nichts …! Nur der Teckel lag zusammengerollt da und schlief …

„Donnerwetter!! – „Was bedeutet das …?!“ – Der Alte war jetzt mit einem Schlage hell wach …

‚Sollte jemand sich so dicht an mich herangeschlichen haben?!’ überlegte er … ‚Ausgeschlossen! Das kann nicht sein … Ich habe Ohren wie ein Luchs …!’

Dann – ein jäher Einfall …

Und der breite Strahl der Laterne schoß nach oben zur Decke des Ganges …

Drei Meter bis dorthin …

Und dort im schwarzen Gestein ein Loch – eine der vielen Spalten, die den schwarzen Fels durchzogen …

‚Also deshalb das Klirren …!’ dachte Gottlieb ingrimmig … ‚Da hat mir jemand die Pistole weggeangelt –’

Er schaute noch immer empor …

Und – mit einem Male schwebte seitwärts aus der Spalte etwas herab. Die Pistole! – Die an einem Draht am Abzugsbügel hängende Pistole …

Gleichzeitig dort oben noch ein hellerer Fleck – ein Gesicht …

„Herrn Nielsen – – Sie?!“ rief Knorz freudig überrascht … „Wie kommen Sie denn dort hinauf? Wo sind die anderen? Was ist eigentlich passiert …?“

Gerhardt Nielsens Gesicht verschwand wieder …

Dann erschienen seine Füße, seine Beine, sein Körper …

Er sprang herab …

Gottlieb, die Pistole in der herabhängenden Hand, fragte abermals:

„Herrn Nielsen – wo sind die anderen? Und – wie sehen Sie aus?!“

„Wie einer, Herr Knorz, der mit einer Toten im Arm anderthalb Stunden geschwommen ist, an einen Rettungsring festgeklammert, der dann hier wieder an Land stieg …“

Nielsens Stimme klang wie gebrochen … Von seinem sonstigen kecken Übermut war nichts mehr zu spüren. Er schien geradezu um Jahre gealtert zu sein …

Gottlieb wiederholte ungläubig:

„Geschwommen – mit einer Toten im Arm …? – Und – – und die anderen?“

„Gefangen – entführt … Tot zum Teil …“

„Mein Gott … – Tot?! Wer?!“

„Das weiß ich nicht …“

Nielsen sank erschöpft auf den Stein, der vorhin Knorz als Sitz gedient hatte …

Und flüsterte heiser:

„Lassen Sie mich erst etwas ausruhen … Ich bin mehr tot als lebendig …“

Gottlieb fieberte vor Ungeduld …

Aber er sah auch, daß Nielsen mit geschlossenen Augen und grauweiß im Gesicht schwankend dasaß, als sollte er jeden Moment ohnmächtig werden …

„Warten Sie … Ich hole Ihnen etwas zu trinken,“ rief Knorz … „Oben in der Küche ist noch kalter, starker Tee …“

„Danke … Es geht schon vorüber … Ich habe zu allem anderen noch um die Mädchen und um Sie und den Grafen eine ungeheure Angst ausgestanden … Ich fürchtete, sie alle hier seien ermordet worden … Deshalb angelte ich ja auch nur nach Ihrer Pistole, Gottlieb … Sie selbst sah ich nicht … Ich glaubte, einer dieser Schurken sei in der Nähe, dem gehöre die Waffe … Sie saßen zu weit seitwärts – eben außerhalb meines Gesichtsfeldes …“

„Sind denn diese … diese Mörder noch auf der Insel, Herr Nielsen?“

„Ich weiß es nicht … Ein Teil vielleicht …“

Knorz wollte nun in seine Fragen mehr System hineinbringen, denn bisher waren ihm die Vorgänge noch vollständig dunkel.

Auch Nielsen hatte eine ähnliche Absicht, mehr im Zusammenhang alles zu erzählen, da er sich jetzt wieder frischer fühlte.

„Nehmen Sie hier neben mir Platz, Herr Knorz,“ begann er. „Dann brauche ich meine Stimme nicht allzusehr anzustrengen …“

„Sagen Sie nur ruhig weiter Gottlieb zu mir, Herr Nielsen,“ meinte der Alte. „Gottlieb klingt für meinen Geschmack schöner als Knorz … Und wenn Sie nun wieder leidlich auf dem Damm sind, so erzählen Sie mir alles hübsch nacheinander … – Übrigens habe auch ich für Sie eine Neuigkeit. Murat liegt oben in der Wohngrotte mit Lungenschuß … Er kam über die Terrasse herein … Der arme Kerl ist böse angeschrammt und bewußtlos …“

„Er wird’s überstehen, Gottlieb … Andere sind für alle Zeit hinüber … Von Jakob Worg weiß ich’s genau … – Doch ich verfalle schon wieder in den alten Fehler, Ihnen Bruchstücke aufzutischen … Doch ich will nicht viel Worte machen. Das Gesindel hatte uns an der Nordbucht einen Hinterhalt gelegt. Ganz plötzlich fielen sie über uns her …“

„Wer?! Traganza?“

„Bewahre …! Mindestens dreißig Kerle waren’s – alle von dem Dampfer, den wir auf hoher See bemerkten …“

„Aha – also doch!“

„Einzelheiten von dem Kampf an der Bucht kann ich Ihnen nicht schildern … Es ging alles so blitzschnell … Nur Worg sah ich fallen … Er bekam einen Beilhieb über den Kopf …“

„Verzeihung, Herr Nielsen, welcher Nation gehörten diese Angreifer wohl an?“

„Ich hielt sie für Mexikaner … Beschwören kann ich’s aber nicht. Die Dinge spielten sich eben im Galopptempo ab … Ein Kerl gab mir mit einem dicken Knüttel eins über den Schädel, drei andere rangen mich nieder, und ehe ich recht ahnte, was geschah, hatte man mir schon die Hände auf den Rücken gebunden, eine Decke über den Kopf geworfen und mich in ein Boot gezerrt … Das Boot stieß ab, landete am Fallreep eines Schiffes, man schleifte mich an Deck und knotete mich an der Reling fest … Ich hörte Kommandos, – hörte die Maschine des Dampfers arbeiten und kam nun so langsam wieder zu mir … Nachdem der Dampfer vielleicht eine Viertelstunde unterwegs war, flüsterte mir Juanita, die Tochter Camillo Traganzas, hastig zu, daß sie soeben aus ihrer Kabine habe entweichen können … Sie zerschnitt meine Stricke, riß mir die Decke vom Kopf und half mir auf die Reling … Wir sprangen hinab in die See … Juanita hatte einen Schwimmgürtel in der Hand … Man feuerte auf uns … Juanita wurde getroffen … Auch ich tat so, als ob ich verwundet sei … Der Dampfer fuhr weiter … Und mit der toten Juanita im Arm schwamm ich um mein Leben! Stundenlang … Erreichte hier unsere Insel … Verbarg Juanitas Leiche und schlich hier nach den Grotten, sah keine lebende Seele … Fand zufällig oben auf der Steilwand über der Steintür eine enge Spalte, kroch hindurch – – und sah in der Tiefe Laternenlicht, sah Ihre Pistole auf der Lavasäule … und wollte mich in den Besitz der Waffe setzen, schlich zum einsamen Hause, holte aus dem Stall ein langes Stück Draht und – – alles weitere wissen Sie bereits …“

Gottlieb hatte Nielsens Hand ergriffen …

„Und – von den anderen sahen Sie niemand an Bord des Dampfers?“ fragte er angstvoll …

„Nein – niemand … Nur … Mafalda Sarratow …!!“

„Ah – auch gefangen?!“

„Nein – – frei – und oben auf der Kommandobrücke neben mehreren Männern …“

„Und Juanita hat Ihnen gar nichts mehr mitteilen können?“

Gerd Nielsens Lippen umspielte da ein unendlich trauriges Lächeln …

„Nichts, was Sie interessieren dürfte, lieber Gottlieb … Gewiß, sie hatte noch Zeit, mir im Wasser etwas zuzuflüstern, bevor sie den Kopfschuß erhielt … Und dieses Wenige, ihr letztes Geständnis, geht nur mich und Juanita etwas an … Zuweilen wird aus Dankbarkeit rasch … Liebe …“

Gottlieb verstand …

Stumm drückte er des jungen Landsmannes Hand …

Eine Weile nun Schweigen …

Dann fragte Knorz:

„Wie denken Sie nun über diese Vorfälle, Herr Nielsen? Wie kam der Dampfer hierher?“

„Das bleibt mir ein Rätsel … Sicher ist aber, daß Mafalda, Guardo und Lomatz von der Besatzung dieses Schiffes befreit worden sind, daß der Dampfer zum Schein in See ging, um uns aus den Grotten herauszulocken, daß er sich dann der Insel von Südwest etwa wieder genährt hat und daß man uns den Hinterhalt legte …“

„Die Kerle wollten dann auch hier in die Grotten eindringen, Herr Nielsen … Das ist bereits Stunden her … Nachher ging dann der Dampfer nach dem Überfall sofort in See?“

„Das kann ich mit Bestimmtheit nicht sagen … Ich war halb betäubt, als ich an der Reling hing … Erst allmählich wurde mein Kopf wieder klarer …“

„Und Sie meinen, die Leute dieses Dampfers haben Traganza und die Seinen ebenfalls gefangengenommenen?“

Nielsen schüttelte den Kopf …

„Nein, lieber Gottlieb … Im Stall des einsamen Hauses liegen zehn Tote …“

„Mein Himmel – – entsetzlich! – Und an der Bucht, wo der Überfall stattfand?“

„Dort war ich nicht … Ich fürchte jedoch, wir werden auch da Trauriges entdecken …“

Gottlieb sprang auf …

„Herr Nielsen, nehmen Sie die Laterne mit … Gehen Sie in die Wohngrotte nach oben … Besprechen Sie alles mit unserem Grafen … – Halt, noch eine Frage … Liegt denn die Sphinx noch auf dem Hofe?“

„Ja …“

„Und Sie haben hier kein lebendes Wesen mehr gesehen?“

„Niemand … Trotzdem traue ich dem Frieden nicht … Es können sich Leute von der Dampferbesatzung versteckt halten, um auch die Insassen der Grotten hier, die letzten Insassen noch, abzufangen … Ich kann mir nicht denken, daß Mafalda dieser Insel für immer den Rücken gekehrt und somit gleichsam auf den Schatz verzichtet hat …“

Gottlieb nickte sinnend …

„Ja, ja – – der Schatz …! – Man wird daraus wirklich nicht klug … – Aber gehen Sie jetzt, Herr Nielsen … Ich wache hier schon im Dunkeln …“

Nielsen nahm die Laterne und schritt eilends davon …

Knorz blieb in dieser Finsternis zurück. Er saß wieder auf seinem alten Platz, streichelte seinen Teckel und murmelte:

„Alter Freund, alter Kognak, – was werden wir am Buchtufer finden?! Vielleicht unseren Georg und Ellen – – tot – tot …!!“

Er schämte sich nicht darüber, daß ihm jetzt ein paar dicke Tränen über die runzligen Wangen liefen.

Brummte nur: „Hol’s der Henker, meine Nerven streiken …!! Ich heule wie ein Weibsbild … Das hat Gottlieb Knorz selten erlebt an sich …“ –

Und oben in der Wohngrotte saß Nielsen nun an Gaupenbergs Bett …

Erzählte leise …

Die beiden Männer berieten dann …

„Den Morgen müssen wir abwarten,“ sagte Nielsen … „Bei Tageslicht sieht jedes Ding günstiger aus …“

Dann trat Nielsen an das Lager Murats heran …

„Ah – er ist ja wach …“ rief er erstaunt. „Nun, Murat, wie geht’s … Halt, nicht sprechen, Murat! Du bist verwundet … Liege ganz ruhig …!“

Lautlos hatte sich jetzt Gipsy Maad aus dem Hintergrund der Grotte genähert …

Sie, die einen so leisen Schlaf besaß, war über dem gedämpften Gespräch der Männer erwacht und hatte sich hastig erhoben. Sie ahnte, daß etwas Neues sich ereignet haben müsse. Und nun erblickte sie Nielsen, also einen der vermißten Gefährten, lief auf ihn zu und streckte ihm die Hand hin …

„Gott sei Dank, Mister Nielsen … Wieder hat sich einer von uns eingefunden!“

Der kameradschaftliche Ton, der unter den Sphinxleuten herrschte, und die engen freundschaftlichen Bande, durch die all diese Kämpfer und Verteidiger des Azorenschatzes miteinander so innig verbunden waren, zeigten sich auch hier wieder in ihrer angenehmsten Form …

Nielsen drückte Gipsys Hand und erwiderte ernst:

„Ja – einer von uns! Nur einer, Miß Maad … Einer, der – wofür Sie Verständnis haben werden! – ein Mädchen nur als Leiche bergen konnte: Juanita!“

Gipsy schaute ihn ein wenig verständnislos an …

Und Nielsen drückte nochmals ihre Hand …

„Sie … liebte mich, die kleine Juanita … Ich hatte sie aus dem Lavagang gerettet … Und sie … verschaffte mir die Freiheit, fand dabei den Tod …“

Murat regte sich, hob den einen Arm … schien etwas sagen zu wollen …

Aber Nielsen verwies ihn freundlich zur Ruhe …

„Still liegen, Murat …!!“

Der Homgori achtete nicht darauf.

„Juanitas Vater auch tot sein …,“ stieß er hervor.

Da wurde Nielsen böse …

„Wirst du wohl gehorchen, Murat! Schweige …!! Es geht um deine Gesundheit …!!“

Und er zog Gipsy mit sich zu des Grafen Lager. Hier hörte die Detektivin nun auch von dem Tode ihres Chefs, des kleinen schneidigen Jakob Worg … Hier wurde nochmals alles mit Gipsy erörtert, die ja durch ihren Beruf und ihre überragende Intelligenz sehr wohl im Stande war, den Männern auch ihrerseits einen Rat zu geben, wie man sich am ungefährlichsten davon überzeugen könne, ob die Insel noch besetzt sei.

Auch Gipsy meinte, man solle den Morgen abwarten und dann versuchen, von der Terrasse aus nach oben auf die Steilwand zu gelangen, von wo man immerhin einen Teil der Insel überschauen konnte …

„Murat ist ja an dem Tau von oben herabgeklettert,“ fügte sie hinzu … „Also muß es noch vorhanden sein … – Jetzt werde ich Gottlieb eine Laterne bringen, damit er nicht länger im Dunkeln zu sitzen braucht …“

Sie eilte davon, frisch und leichtfüßig wie immer, unverwüstlich in ihrer Art, jedenfalls ein seltenes Geschöpf und doch kein Mannweib …

Nielsen blickte ihr nach …

Meinte dann zu Gaupenberg: „Schneid hat sie, die Gipsy …! Ein lieber Kerl im übrigen …“

„Das stimmt … Und für uns eine große Hilfe,“ nickte Viktor Gaupenberg. „Jetzt werden Sie sich aber niederlegen, Freund Nielsen … Sie müssen unbedingt ein paar Stunden schlafen … Der kommende Morgen dürfte an unsere Kräfte böse Anforderungen stellen.“

Nielsen sah das selbst ein und zog sich in eine der Kammern zurück. –

Gipsy Maad stand unten in dem kurzen Felsengang vor Gottlieb Knorz …

„Sie müssen mir hinaufhelfen!“ wiederholte sie energisch … „Ihre Einwendungen sind bedeutungslos, Gottlieb …! Sie müssen!“

„Na – auf Ihre Verantwortung!“ brummte Gottlieb halb ärgerlich und erhob sich. „So – klettern Sie mir nur auf die Schultern … Dann werden Sie sich in die Spalte hineinschwingen können …“

So gelangte die Detektivin auf demselben Wege ins Freie, auf dem Gerhard Nielsen vorhin die Grotte betreten hatte.

Vorsichtig und langsam schob die junge Amerikanerin den Kopf über den Rand der Spalte hinaus …

Geröll lag in wildem Durcheinander hier oben auf der Spitze der Felswand, die nach Westen zu senkrecht zum Binnensee abfiel.

Gipsy kroch dann vollends ins Freie …

Der Mond war bereits untergegangen. Nur das Sternenlicht beschien mit mattem Licht die dunklen Felsmassen der schwarzen Insel …

Die Detektivin lag jetzt am Rande der Felswand zwischen zwei Steinen …

Dort in der Tiefe der runde, glitzernde Binnensee.

Dort rechts die Spitzen der Bäume des Gartens rund um das einsame Haus …

Und tiefste Stille überall …

Nur an der Nordküste der Insel rauschte die Brandung, und säuselnd strich hin und wieder ein Windstoß über die zackigen Hügel und steinigen Hochflächen …

Gipsy beobachtete …

Immer wieder prüften ihre Augen jede Einzelheit des nächtlichen Bildes …

Nirgens etwas Verdächtiges …

Nirgends …

Da schob sich die Detektivin rückwärts, bog nach links ab und huschte in ein schmales Tal hinunter …

Stand wieder still und horchte, spähte …

Dann abermals weiter – bis zum Ufer des Binnensees …

Im Schatten der Felswände glitt sie weiter …

Bis urplötzlich hinter einem Steinblock ein Mann sich aufrichtete … – ihr den Weg vertrat …

Ein Blick in sein Gesicht – – und Gipsy schrie auf …

„Sie … Sie …?! Woher …“

Der Herzog von Dalaargen ergänzte schon:

„Woher ich komme, Miß Maad?! … Vom … Begräbnis meines Vaters, meines armen Vaters …! – Und – wie ich komme – als ein Wortbrüchiger! Ich wollte den Schatz mit zurückbringen … Ich – – habe ihn mir rauben lassen …“

Seine Stimme war hohl, verzweifelt … Um seine Stirn hatte er ein Taschentuch geknotet …

Und dieses Tuch war schwarz von Blut …

 

139. Kapitel.

„Verdammt – die Milliardärsjacht!“

In derselben Nacht – viele Stunden vorher …

Da hatte Camillo Traganza, durch Juanitas Mitteilung von der Hinterlist seines Freundes Guardo überzeugt, Mafalda, Lomatz und den Enkel des unglücklichen Kaisers Maximilian von Mexiko – eine Verwandtschaft übrigens, an die Traganza bisher nur aus Anstandsgefühl zu glauben vorgegeben hatte! – da hatte er diese drei in einem Zimmer des einsamen Hauses durch seine Matrosen bewachen lassen …

Und diese drei Matrosen, leichtgläubig und hoffnungsfroh wie die meisten Mexikaner, waren unschwer von Guardo durch lockende Versprechungen gewonnen worden …

Hatten so getan, als merkten sie nicht, daß die drei gegenseitig ihre Stricke aufknoteten und dann an den zusammengebundenen Stricken zum Fenster hinauskletterten …

Hatten im Flur vor der betreffenden Tür scheinbar pflichtgetreu gewacht …

Und – waren doch betrogene Verräter … –

Guardo eilte mit seinen Verbündeten unbemerkt zurück zum Felsplateau, zum hohlen Hügel …

Hatte hier in kurzem die beiden Antennenmasten aufgerichtet …

Verstand übergenug davon, dieser ehrgeizige Abenteurer, der mit den allermodernsten Mitteln der Technik seine Pläne stets schon gefördert hatte …

Die Bronzedrahtantenne, an den kleinen Sender angeschlossen, schickte ihren Wortspruch ins Weite.

Guardo rechnete damit, daß der Kapitän seines Dampfers auch jetzt noch dort kreuzen würde, wo vor Monaten in aller Stille die Ladung des Dreimasters Traganzas auf hoher See übernommen werden sollte.

Guardos Leute waren genau instruiert. Der Kapitän des Dampfers wußte, daß bei derartigen Unternehmungen sich Schwierigkeiten einstellen könnten, daß er blindlings gehorchen müsse.

So hatte er denn, als er umsonst vierzehn Tage lang an dem vereinbarten Punkte gekreuzt hatte, den nächsten Hafen angelaufen und Proviant und Wasser ergänzt …

Kreuzte nun abermals dort …

Und blieb bei diesem Tun, obwohl er sich selbst sagte, der Dreimaster müsse verloren gegangen sein …

In dieser Nacht nun fing der Funkentelegraphist des Frachtdampfers ‚Sonora’, Kapitän Esterra, gegen ein Viertel zwölf eine Depesche auf, die an Esterra gerichtet war.

Der Dampfer hatte gerade fünfzig Seemeilen nordwestlich der schwarzen Insel sich befunden, als das Telegramm klar und verständlich von dem Funker abgehört und niedergeschrieben wurde. Es war in den vereinbarten Morsechiffren gegeben worden und lautete:

‚Unverzüglich Kurs Südost mit voller Maschinenkraft … Auslug halten nach unbekannter Felseninsel. Vorsichtig Boot mit Bewaffneten senden. Guardo.’

Ein Zufall also, daß der Dampfer ‚Sonora’ bis zur Insel nur vierzig Seemeilen zurückzulegen hatte.

Und ein zweiter Zufall, daß Traganza die Flucht der drei Gefangenen erst bemerkte, als … es zu spät war …

Guardos Leute gaben keinen Pardon …

Von dem blutigen Kampf am einsamen Hause hörten die Insassen der Grotten nichts …

Nur Juanita wurde geschont …

Und wieder eine halbe Stunde später der Überfall an der Nordbucht …

Neuer Triumph für Mafalda, für Tigerin Mafalda, ein Teil der Verhaßten war in ihrer Gewalt! – Aber ein Teil nur!

An Toten blieben zurück: Jakob Worg und Alfonso Jimminez. Als Gefangene wurden auf die ‚Sonora’ gebracht: Das Ehepaar Hartwich, Pasqual Oretto, Doktor Falz, Gerhard Nielsen und Juanita Traganza!

Mafaldas Plan war’s, die Insel abermals zu verlassen, allerdings in der nächsten Nacht zurückzukehren und die letzten der Sphinx, die sich dann auf der Insel sicherfühlen würden, ohne Mühe gleichfalls abzufangen …

So war der Dampfer denn nach Süden davongefahren …

Ein Zwischenfall! Nielsen und Juanita sprangen in die See! Gerade Nielsen, den Mafalda an die Reling hatte fesseln lassen – als einzigen! Ihn, der sie auf Christophoro so schlau getäuscht hatte, wollte sie einen zehnfachen Tod sterben lassen …

Und – – ließ dann auf die beiden Flüchtlinge feuern …

Glaubte beide tot …

Die ‚Sonora’ dampfte weiter … –

Und das Schicksal, unberechenbar wie stets, führte der ‚Sonora’ den Motorkutter in den Weg …

Jetzt wußte Mafalda, daß der Schatz nicht mehr auf der Insel, daß der Schatz gestohlen war – mit einem Motorkutter! –

Zehn Minuten darauf betrat die Fürstin die Vorschiffkammer, in der man die Gefangenen untergebracht hatte …

Die beiden Wachen vor der Tür nahm sie zu ihrem Schutz mit hinein …

Die enge Kammer enthielt keinerlei Möbelstücke, war nur ein elender Verschlag.

Auf den harten Dielen saßen hier im Dunkeln die vier Menschen, denen Mafalda jetzt hohnlachend in jeder Hand einen blinkenden Goldbarren hinhielt …

Vom Schiffsgang her fiel genug Licht in die Kammer.

„Da – – der Azorenschatz!“ rief die Fürstin … „Soeben haben wir den Motorkutter erwischt … Ein einzelner Mann war darauf … Und – – der Schatz! Der Mann hat im Atlantik sein Grab gefunden … Der Schatz ruht jetzt hier auf der ‚Sonora’ – und der Motorkutter auf dem Grunde des Ozeans!“

Was in den Herzen der vier Menschen vorging, die hier nun die Gewißheit erhielten, daß die heißt umkämpften Schätze jetzt unwiederbringlich verloren waren für die, denen allein ein Recht auf diese ungeheuren Reichtümer zustand, – diese Empfindungen brachte Doktor Dagobert Falz zum Ausdruck, indem er sich langsam erhob und den Arm wie beschwörend gegen Mafalda ausstreckend sagte:

„Wir sind besiegt …! Wieder einmal hat das Prinzip des Bösen über das Gute triumphiert! Aber – – glauben Sie ja nicht, Mafalda Sarratow, daß Sie je von diesem Golde etwas für sich verwenden werden …!“

Seine Stimme wurde leiser …

„Mafalda Sarratow, denken Sie an jene Minute, als ich Ihnen im Laderaum des auf der Dorgasklippe hängenden Vollschiffes gegenübertrat, als ich Sie warnte …! Heute warne ich Sie nochmals …!“

Jetzt schwoll seine Stimme an …

„Dieses Schiff und dieses Gold wird niemals Land erreichen …! Dieses Schiff ist verflucht für alle Zeit! – Kennen Sie die Sage vom Fliegenden Holländer, Mafalda Sarratow?! So wahr ich …“

Der Fürstin grelles Gelächter übertönte seine weiteren Worte …

Rasch wandte sie sich um, drängte die Matrosen hinaus …

Die Tür schlug zu hinter ihr … Riegel … wurden vorgeschoben.

Mafalda musterte die Gesichter der Wachen …

Lachte wieder …

„Der alte Narr da drinnen ist verrückt …! Kümmert euch nicht um den Unsinn, den er da schwatzte …“

Und sie ging mit den Goldbarren davon …

Die Matrosen blickten ihr unsicher nach. Sie waren abergläubisch wie alle Seeleute, noch abergläubischer als Mexikaner ansonsten …

Der eine meinte:

„Der Alte da drinnen hat den bösen Blick … Sahst du seine Augen, Kamerad?“

„Fürchtest du dich?“ fragte der andere ebenso leise …

„Vor Menschen nicht … Nur vor solchen Augen … Hörtest du auch, wie der Alte drohte?! Er hat unser Schiff verflucht …“

„Schweig lieber …! Was ändern wir an alledem?! Nichts – gar nicht! Unser Patron Guardo würde uns auslachen …“

Und sie schlenderten im Schiffsgang auf und ab … Mit ernsten Gesichtern, ganz so, als ob sie doch immer nur an Doktor Dagobert Falz’ Augen dachten …

Die ‚Sonora’ war ein neuer, völlig aus Eisen gebauter Frachtdampfer mit starken Maschinen. Nur zum Schein war er Eigentum des Kapitän Esterra, eines Mannes, dessen Vergangenheit eine einzige fortlaufende Reihe von Gesetzwidrigkeiten bildete. Schon als Schiffsjunge hatte er auf einem Schmugglerschoner gedient, der im Golf von Mexiko jahrelang allen Nachstellungen trotzte. Als Matrose tat er auf einer ebensolchen spanischen Brigg Dienst, die verschiedentlich von Zollkuttern beschossen wurde … Und jetzt war derselbe Esterra mit vierzig Jahren Kapitän eines der besten Frachtdampfer der mexikanischen Handelsmarine, hatte das Pascherhandwerk völlig an den Nagel gehängt und befaßte sich insgeheim mit anderen Dingen – der hohen Politik!

Die ‚Sonora’ hatte an der Ostküste Mexikos in den letzten zwei Jahren verschiedene Waffenladungen glücklich gelandet. Und auch jetzt hatte sie von Camillo Traganzas Dreimaster eine solche Ladung übernehmen sollen. Das war nun vorbeigeglückt. Der Dreimaster hatte an den Gestaden der schwarzen Insel ein ewiges Grab gefunden. Untreue, Verrat und Goldgier hatten seine gesamte Besatzung dahingerafft.

Aber anderes trug nur die ‚Sonora’ davon – etwas, das mehr wert war als tausend Gewehre nebst Munition, den Azorenschatz und die uralten Kleinodien des letzt Aztekenkönigs Mataguma, der sein degeneriertes Volk dort in der Riesenhöhle von Christophoro durch die Fluten des Ozeans bis auf eine einzige Frau ertränkt hatte – bis auf Mantaxa, die kurze Zeit Edgar Lomatz’ Geliebte gewesen …

Und diesen ungeheuren Reichtum, diesen so spielend leicht errungenen Raub feierte jetzt in der großen Kajüte Kapitän Esterras an festlicher Tafel der große Abenteurer Maximiliano Guardo …

Feierte diesen Reichtum mit heiterer, triumphierender Rede, in der Rechten den schäumenden Sektkelch …

Man brauchte sich hier auf der ‚Sonora’ nichts abgehen lassen … Hier war alles vorhanden, was Gaumen und Zunge sich wünschten …

Hier herrschte in der Schiffsküche Guardos Leibkoch, ein feister Chinese …

Zu sieben saß man an der Tafel …

Obenan Mafalda als einzige … Dame …

Dann Guardo, Lomatz, Esterra und die beiden Offiziere der ‚Sonora’ sowie der Maschinist, alles Mexikaner, alle mit einem Schuß Indianerblut in den Adern, alles stattliche, sonngebräunte Gestalten mit kühnen Augen, alle Guardo blind ergeben …

Und Guardo brachte jetzt ein Hoch aus auf die Milliarden, auf diese goldene Brücke zum Kaiserthrone Mexikos, wie er sich ausdrückte …

Wie er so dastand mit seinem schönen, männlichen Gesicht, wir klug und leicht er die richtigen Worte fand, wie er den Freunden nun zutrank und sich vor Mafalda verneigte, – da hatte er etwas so Imponierendes in seinem ganzen Sichgeben, daß jeder fühlte: der Mann wußte, was er wollte, der Mann war wie geschaffen für die politische Rolle, ein leicht zu begeisterndes, unruhiges Volk wie die Mexikaner zu entflammen und mit sich zu reißen …

Stehend leerten die Sieben die perlenden Kelche …

Der Steward, auch ein Chinese, füllte flink wieder die Gläser …

Dann rief Esterra:

„Das zweite Hoch unserem Patron, dem zukünftigen Herrn von ganz Mittelamerika, dem glücklichen …“

Der Rest dieser Lobeshymne blieb ungesprochen …

Die Kajütentür war aufgeflogen …

„Ein Dampfer …!“ meldete der Mann der Deckwache …

Esterra fluchte …

„Scher dich zum Teufel mit deinem Dampfer …! Was geht uns der fremde Kahn an!“

„Kapitän, er signalisiert, daß wir stoppen sollen … Es ist auch kein Dampfer … Es ist eine große Privatjacht … Sie führt die amerikanische Flagge …“

Esterra schaute Guardo an …

„Was bedeutet das, Patron?“ fragte er etwas besorgt. „Sollen wir gehorchen? Die Jacht hat uns zwar nicht zu befehlen, aber im internationalen Schiffsverkehr pflegt man ein solches Signal schon aus Anstand zu berücksichtigen …“

„Gehen wir an Deck,“ meinte Guardo … „Mafalda, Lomatz, – Ihr bleibt hier in der Kajüte … Es ist besser, man sieht euch nicht … Man kann nie wissen …“

Gleich darauf waren Mafalda und Lomatz allein …

Die Fürstin trat an eins der runden Fenster, blickte hinaus …

Morgenrot färbte den Ozean …

Im Osten schob sich gerade der Sonnenball über den Horizont …

Mafalda starrte hinüber zu der kaum noch zweihundert Meter entfernten weißen Jacht …

„Lomatz – – hierher!!“ sagte sie dann gepreßt.

Lomatz erhob sich faul … Sein Gesicht war blaurot vom überreich genossenen Wein …

„Schneller!!“ Mafalda stampfte mit dem Fuße auf … „Du kennst die Jacht des Milliardärs besser als ich … Schau hin …!“

Lomatz wurde nüchtern …

Ein greulicher Fluch …

„Der ‚Star of Manhattan’ …! Welcher Satan führt uns gerade diese Jacht in den Weg?!“

Lomatz hatte allen Grund, erschrocken zu sein. Seine Flucht vom ‚Star of Manhattan’ lag erst wenige Tage zurück. Wenn er dem Milliardär Josua Randercild, der alle seine Schandtaten kannte, in die Hände fiel, dann war er geliefert …

Auch Mafaldas Gesicht war etwas bleich geworden … Eine düstere Ahnung stieg in ihr auf von dunklen Zusammenhängen zwischen dem versenkten Motorkutter und dem Auftauchen der Jacht …

„Ich werde Guardo warnen,“ sagte sie hastig … „Her mit einer Ölkappe und einem Rock … So wird mich niemand von drüben so leicht als Weib erkennen …“ –

Auf der Brücke der ‚Sonora’ stand Guardo mit einem Fernglas vor den Augen und musterte die elegante Jacht. Die ‚Sonora’ hatte noch nicht gestoppt. Beide Schiffe liefen mit gleicher Geschwindigkeit und mit zweihundert Meter Abstand nebeneinander her …

Nochmals stiegen die Signalwimpel auf der Jacht hoch …

„Verdammt – sie haben ein Geschütz!“ sagte Guardo zu Kapitän Esterra. „Die Geschichte behagt mir nicht … Da ist irgend etwas im Anzug … – Was tun wir?“

Der Kapitän hatte sich halb umgedreht und schaute nach Osten, wo die Sonne soeben in dunklen Wolkenfetzen wieder verschwand …

„Wir müssen stoppen … Mit diesen Amerikanern ist nicht zu spaßen,“ meinte er nun. „Wir machen uns nur verdächtig, wenn wir ihnen davonzulaufen versuchen. Außerdem haben wir in einer halben Stunde eine gehörige Mütze Wind, vielleicht einen Gewittersturm …“

„Gut – lassen Sie stoppen!“ nickte Guardo …

Esterra ergriff den Hebel des Maschinentelegraphen, stellte ihn herum …

Die ‚Sonora’ lief langsamer, und die Jacht kam näher …

So nahe, daß dort von der Brücke aus jemand dem Frachtdampfer durch den Schalltrichter zurief:

„Schicken Sie ein Boot herüber … Der Kapitän soll persönlich kommen.“

Das klang durchaus nicht harmlos. Das war ein Befehl …

Und Esterra brüllte, ebenso durch den Trichter, zurück:

„Hier Frachtdampfer ‚Sonora’, Kapitän und Besitzer Esterra, Heimathafen Tatpico, mit Stückgut nach Caracas …“

Nun hätte es die Höflichkeit erfordert, daß die Jacht in ähnlicher Weise antwortete …

Nichts davon …

Nur:

„Schicken Sie ein Boot mit dem Kapitän – sofort!“

„Verdammt!“ brummte Esterra. „Diese Yankees lassen sich nicht an der Nase herumführen …“

Und gleichzeitig tauchte nun Mafalda im Ölrock neben den Männern auf …

„Es ist die Milliardärsjacht ‚Star of Manhattan’,“ sagte sie überhastet. „Und der Motorkutter, den wir ausgeplündert haben, gehörte zur Jacht … Damals vor Christophoro hat Randercild dem Grafen den Kutter zur Verfügung gestellt …“

Guardo biß sich in die Unterlippe. Sein Gesicht war grau geworden …

Er ahnte Ähnliches, was auch schon Mafalda geahnt hatte …

Kapitän Esterra flüsterte der Fürstin ärgerlich zu:

„Drehen Sie sich um …! Man erkennt Sie sonst als Frau … Auf der Jacht hat alles Ferngläser an den Augen … Und der Teufel mag wissen, wo dort all die Weiber herkommen! Auf dem Achterdeck steht ja das reine Töchterpensionat …!“

Guardo meinte finster:

„Es hilft nichts …! Ein Boot zu Wasser, Esterra! Die Yankees halten sich an ihrem Geschütz bereit … – Fahren Sie hinüber und seien Sie Diplomat … Halten Sie die Leute hin … Die Wolkenwand schiebt sich immer höher … In einer Viertelstunde gießt es.“ –

Aber auch auf dem ‚Star of Manhattan’ war das heraufziehende Unwetter bemerkt worden. Der kleine Josua Randercild sagte zu seinem Kapitän Durley: „Die Schurken hoffen uns entschlüpfen zu können …! Lassen Sie die Scheinwerfer besetzten, Durley … So wahr ich Josua heiße, was im allgemeinen ein friedlicher biblischer Name ist, die Kerle da werden uns Rede und Antwort stehen, oder ich schieß ihnen den Dampfer zum Sieb!“

„Sie schwingen schon ein Boot aus, Mister Randercild,“ beruhigte Durley den Milliardär. „Sie haben fraglos längst gesehen, daß unser Bullenbeißer da vorn feuerbereit ist …“

Dann rief er dem ersten Offizier zu: „Hallo, Booder, – je zwei Leute an die Scheinwerfer …!“

„Alles klar – verstanden!“ bestätigte der lange Amerikanern und rieb sich vergnügt die Hände … Er freute sich auf den Tanz mit diesen mexikanischen Piraten. Als Yankee war er den Brüdern ohnedies nicht grün …

Gleich darauf hatte Durley einen neuen Befehl für ihn …

„Bitten Sie die Damen, sich in den Salon hinabzubegeben, Booder … Wir wollen klar Schiff zum Gefecht machen, obwohl das Boot bereits unterwegs ist …“

Nichts kam Mister Booder gelegener als dieser Auftrag …

Es waren da ein paar verteufelt hübsche Frauenzimmer unter den neuen Passagieren …

Besonders aber des Herzogs Schwester Toni hatte es dem langen Mariner sofort angetan …

Dieses Tonerl war ja in der Tat ein ganz reizendes Geschöpf … Und wenn man davon absah, daß die jungen Damen so manche Eigentümlichkeiten hatten, alles in allem – – eine köstliche Bereicherung der Jacht! – freilich, das Tonerl sollte äußerst zart behandelt werden, damit sie den Verlust des Vaters und den raschen Abschied von dem vergötterten Bruder rascher vergäße … Von einem Flirt mit Tonerl konnte also leider keine Rede sein …

Der lange Booder stelzte auf die Scharen der jungen Mädchen zu, die der trockene Professor Pargenter unter seine Obhut genommen hatte …

Booder grüßte und brachte sein Sprüchlein vor …

Pargenter wollte allerlei wissen: Wozu – weshalb – und so weiter.

Booder bedauerte … „Das erfahren die Herrschaften später …“

Und so zog die reizende Schar denn die Achtertreppe hinab und Mister Pargenter wie eine Pensionsmama hinterdrein.

Indessen war das Fallreep der Jacht hinabgelassen worden, und das Boot des Frachtdampfers schoß nun heran, wurde von Mister Booder kühl begrüßt und … von vier Matrosen des Amerikaners mit Bootshaken festgehalten.

Kapitän Esterra stieg aus, stellte sich Booder vor, der dabei sein einfältigstes Gesicht machte.

Weiß Gott – Esterra war höchst ungemütlich zu Mute. Er ließ sich aber nichts anmerken, sondern fragte patzig:

„He – was wünschen Sie eigentlich, Master …? Ist Ihre Maschine in Unordnung?“

„Unsere Turbinen sind intakt und schaffen achtzehn Knoten,“ erwiderte der Yankee hundeschnäuzig. „Kommen Sie nur auf die Brücke … Dort wird das Verhör stattfinden …!“

„Verhör?!“ brauste Esterra auf. „Sind Sie hier ein Kriegsschiff?! Bin ich ein Pirat?! Was soll das heißen?!“

„Kommen Sie nur … Und ich rate Ihnen, spielen Sie dieses Theater ja nicht vor Mister Josua Randercild … Den Namen kennen Sie ja wohl …“

Esterra ließ seine unruhigen Blicke über das Deck schweifen …

Teufel noch eins – die Jacht hatte mindestens achtzehn Mann Besatzung – und was für Leute! Alle bewaffnet, und überall an der Reling lehnten Karabiner …!

Ihm wurde siedend heiß …

Und verlangend schielte er nach der ‚Sonora’ hinüber … Wenn er nur nicht solch Dummkopf gewesen wäre und sich auf diese Mission eingelassen hätte …!!

Dann war er oben auf der Brücke … grüßte den Milliardär, den der nun zum ersten Male sah und der ihm äußerlich kaum imponierte …

Sein Gruß wurde übersehen …

Josua Randercild hatte die Fäuste in die Außentaschen seines blauseidenen Bordjacketts vergraben. Seine grauen Augen stachen dem Mexikaner bedrohlich ins Gesicht …

Aber noch bewahrte Esterra Haltung …

„Master Randercild, nicht wahr?“ meinte er kühl. „Was wünschen Sie eigentlich? Ich bin jetzt acht Jahre Kapitän, aber noch nie ist mein Schiff in dieser Art angehalten worden …!“

Der kleine Milliardär mit dem fatalen Bocksgesicht lächelte mit einem Male und zeigte die blitzenden Goldplomben in seinen Zähnen …

„Einmal kommt jeder Lump an den Galgen …,“ veränderte er das bekannte Sprichwort vom Kruge, der so langen zum Wasser geht, bis er bricht. – Und lauter:

„Weshalb haben Sie den Kutter gerammt?!“

Esterra wurde aschfahl …

„Antwort!“ brüllte Randercild jetzt … „Lügen Sie nicht, Sie Schurke …! Der Kutter schwamm trotz der eingedrückten Steuerbordseite auf seinen Luftkästen halb unter Wasser weiter …“

Der Mexikaner schnappte nach Luft …

„Mister Randercild, … der … der Kutter fuhr ohne Laternen … Mich trifft keine Schuld …“

Der kleine Milliardär meckerte höhnisch …

„So … so, – – ohne Laternen!! Was Sie sagen!! Ohne Laternen …!! Merkwürdig nur, daß wir die Laternen sahen …!“

Und fügte wieder in anderem Tone hinzu – ganz geschäftsmäßig:

„Der Mann auf dem Kutter ist nämlich von Ihnen gerettet worden – selbstverständlich …!“

„Leider … leider nein …!“ Und Esterra troff der Schweiß von der Stirn … „Der Mann muß durch den Ramstoß verwundet worden sein … Er … er sackte weg … wie Blei …“ – Esterra wußte kaum mehr recht, was er sprach …

„Wie Blei …!“ wiederholte Randercild ironisch … „Schade – schade …!! Um den Mann ist’s schade … Der war ein sehr guter Freund von mir …“ Seine Stimme vibrierte jetzt. Der Schmerz über Dalaargens Tod war größer als sein stiller Grimm gegen diese Schurken …

Schweigen …

Randercild schaute mit trüben Augen in die Ferne.

Sein Kapitän Durley wagte aufmunternd zu hüsteln.

Da nahm Josua Randercild sich zusammen … Armer Fredy Dalaargen …!! Nun – er sollte gerächt werden …!

Und wandte sich dem Mexikaner zu – eisigen Tones:

„Auf dem Kutter befanden sich Gold und Kleinodien … Sie haben dies alles … gestohlen, an Bord Ihres Dampfers gebracht. Wir durchsuchten das Kutterwrack … Es war leer. – Kehren Sie auf Ihr Schiff zurück. In einer Viertelstunde ist das Geraubte hier auf meiner Jacht, oder – – ich mache aus Ihrem Dampfer einen großen Sarg …! – Verschwinden Sie!“

Esterra atmete erleichtert auf …

Ein rascher Blick nach Osten hatte ihm gezeigt, daß sich dort ein schweres Unwetter unheimlich schnell zusammenballte …

Er grüßte höflich …

„Master Randercild, wir haben das Gold und die Pretiosen lediglich geborgen … Wir …“

„Verschwinden Sie …!!“

Da zog Esterra es denn doch vor, nochmals zu grüßen und sich schleunigst zu drücken …

Sein Boot stieß vom Fallreep der Jacht ab … War in kurzem drüben bei der ‚Sonora’ …

Und hier nun erstattete der Mexikaner fliegenden Atems Bericht …

„Patron,“ sagte er zu Maximiliano Guardo, „es bleibt uns nichts anderes übrig als zu gehorchen …!“

Mafalda und Guardo lachten gleichzeitig schrill auf.

„Scheinbar gehorchen!!“ rief Lomatz als dritter. „Scheinbar …!! In zehn Minuten haben wir ein Gewitter und eine Sintflut, daß kein Mensch die Hand vor Augen sieht!“

„Bravo!“ Guardo klopfte Lomatz auf die Schulter … „Heraus also mit den Goldbarren an Deck, damit die dummen Yankees unseren guten Willen erkennen! Sie glotzen ja unausgesetzt mit ihren Gläsern herüber, als wollten sie uns behexen!“

Er lachte wieder …

Und auch Esterra schmunzelte jetzt …

So begann denn die Arbeit auf dem Dampfer mit allem Nachdruck.

Alle Mann mußten helfen … Selbst die beiden Wachen vor der Kammertür der vier Gefangenen wurden heraufgerufen. Mafalda übernahm deren Posten.

So machte es denn in der Tat den Eindruck, als könnte die Besatzung des Dampfers gar nicht schnell genug den Raub wieder loswerden.

Das große Rettungsboot der ‚Sonora“ wurde ebenfalls ausgeschwungen, nachdem an der Relingpforte sich die Goldbarren bereits zum hohen Berge angehäuft hatten … –

An Bord des ‚Star of Manhattan’ aber meinte Kapitän Durley zu dem Milliardär:

„Entschuldigen Sie, Mister Randercild, – das hätten wir anders machen sollen … Die Kerle betrügen uns … Schicken wir eins unserer Boote hinüber …“

Randercild wehrte ab …

„Nein, Durley … Gerade, daß die Schufte persönlich den Raub wieder abliefern müssen, ist mir die beste Genugtuung … Und wenn der Schatz dann hier an Deck liegt, werden wir uns den feinen Kapitän und die anderen Herrschaften, die uns so andauernd nur ihre Achterseite zeigen, als Gäste einladen und ihnen ein paar nette Handschellen präsentieren … Hängen sollen die Schufte – – hängen!!“

Kapitän Durley schaute besorgt nach Osten …

Die pechschwarze Wolkenwand dort schob sich immer höher …

Zuweilen lief ein fahler Schein über sie hin. Wetterleuchten!

Und der Wind war völlig eingeschlafen … Drückende Schwüle lastete über dem unheimlich bleigrauen Meere … Mit trägen Flügelschlägen schwebten ein paar große Albatrosse um die beiden Schiffe und stießen ihre schrillen, hungrigen Schreie in die mit Elektrizität übersättigte Luft … –

Randercild, die Fäuste noch immer in den Taschen des Bordjacketts, stelzte auf der Brücke auf und ab …

Und wieder mahnte Durley da:

„Master Randercild, die Geschichte gefällt mir nicht.“

Der Milliardär brummte: „Auch mir wahrhaftig nicht! Der arme Dalaargen! Hängen müssen die Lumpen! – Wer nur die beiden dort drüben sein mögen, die ihre Visage nicht sehen lassen …!!“

Durley hob das Fernglas an die Augen …

Er ärgerte sich über den Starrsinn seine Chefs. Aber – so war der Kleine nun mal! Immer eigensinnig – auch beim Geldverdienen … Opferte Millionen, nur um seinen Willen durchzusetzen … Allerdings – letzten Endes fielen ihm dann doch die fettesten Früchte in den Schoß! –

Auf der kaum zweihundert Meter entfernten ‚Sonora’ schaffte man jetzt mittels des Kranes die Goldbarren in das große Boot …

Das heißt, man tat so, als ob man die Förderkörbe füllte und dann unten im Boot ausschüttete …

Man tat so …

Ein paar Eisenballaststücke lagen in jedem Korbe …

Nichts weiter …

Guardo und Esterra grinsten …

Waren diese Yankees nur dämlich …!! Keine Ahnung hatten die von der Gerissenheit der Mexikaner! –

Und weiter und weiter kroch das schwarze Wolkenungeheuer am Himmel empor … Öffnete zuweilen seinen Rachen und spie seine grellen Zickzacklinien aus.

Randercild kaute nervös die Unterlippe, beobachtete die fernen Blitze …

Mit einem Male sah er ein, daß Durley doch recht hatte. Man mußte den Schuften etwas Beine machen! Das Unwetter war bereits zu nahe …

„Durley!“

„Master Randercild …“

„Unsere Pinasse hinüber …!“

„Sehr wohl …!“

Und des Kapitäns Trillerpfeife schrillte …

In die an der Reling der Jacht stehenden strammen Matrosen kam Leben …

Exakt wie auf einem Kriegsschiff wurden die Kommandos ausgeführt …

Die Bootskräne drehten sich … Die Taue surrten in den Rollen, und die Pinasse klatschte auf das Wasser … –

Auf der ‚Sonora’ grinste Guardo noch stärker …

„Zu spät, verehrte Yankees!!“

Und Esterra höhnte:

„Ihr werdet euch wundern, Ihr Onkel-Sam-Brüder …!!“

Von Osten her flog jetzt über die träge rollende See ein dunklerer Strich hin – wie ein Luftstoß aus einem ungeheuren Gebläse …

Das Wasser kräuselte sich … Schaumfetzen flogen empor …

Blitzartig nährte sich die bedrohliche Erscheinung den beiden Schiffen …

Esterra brüllte seinen Leuten zu:

„Achtung …!! Der Orkan …“

Und dann schon aus der Ferne ein helles Singen, das in Sekunden zu dumpfen Orgeltönen sich vertiefte.

Gleichzeitig fuhr ein Blitz in den Fordermast des ‚Star of Manhattan’ …

Eine Feuergarbe lohte auf …

Der Mast brannte …

Und wieder nur Stunden später hatte der erste Sturmstoß die beiden Schiffe getroffen …

Das Konzert des Orkans umtoste die taumelnden Fahrzeuge …

Und abermals nur Sekunden später brachen aus dem finsteren Gewölbe die Regenfluten hervor …

Guardo lachte schallend …

Von der Jacht war nichts mehr zu sehen …

Die ‚Sonora’ jagte mit Volldampf davon – hinein in die dicken Fäden der Regenschleier …

Schleppte das große Rettungsboot neben sich her.

Floh in die Finsternis hinein …

Guardo lachte …

Esterra lachte … Die wilden Gesellen, Guardos blindergebene Leute, lachten nicht minder …

Oh – die dummen Yankees!! Wie fein hatte man diese Narren angeführt!!

Und dann – mit einem Schlage hörte der Regen auf …

Mit einem Schlage schossen zwei grelle Lichtbahnen suchend über den tosenden Ozean hin …

Klebten an der fliehenden ‚Sonora’ …

Und – mit starkem Getöse krepierte eine Granate dicht unter der Kommandobrücke …

Eine zweite an Deck …

Guardo stierte auf seine Leute, die soeben das Großboot hatten emporziehen wollen …

Was war das …?!

Sie … taumelten, sanken um, wanden sich wie in Krämpfen …

Und auch er selbst jetzt …

Ihm … wurde … so … schwindelig …

Er griff mit den Händen in die Luft …

Stürzte nach vorn …

Und über ihn fiel schwer und leblos Kapitän Esterra …

Abermals ungeheure Regenmassen …

Die Kraft der Scheinwerfer versagte gegenüber diesem Wolkenbruch …

Die ‚Sonora’ jagte weiter – im Zickzack – steuerlos – ein großer Sarg … Jagte wie ein blindes Wild durch Regen, Finsternis, Sturm und haushohe Wogen …

Schwere Brecher schlugen die Reling weg …

Spülten die Toten in das nasse Grab …

Rissen vorn den Kombüsenaufbau zur Seite …

Leckten bis zur Brücke empor …

Ein verfluchtes Fahrzeug … –

Josua Randercild hatte seine Drohung wahrgemacht. Zwei Giftgasgranaten hatten das Leben auf der ‚Sonora’ ausgelöscht …

Und im Vorschiff, in der elenden Kammer, wo Dagobert Falz den Dampfer für alle Zeit verflucht hatte?

Sollten auch diese vier Gefangenen dem verderblichen Gase erlegen sein?

Weiter – weiter jagte die ‚Sonora’ – solange noch der Dampfdruck in den Kesseln die Schrauben zu schnellen Bewegungen trieb …

Weiter – weiter, – – ins Ungewisse hinein … Mit dem Golde an Bord, den Milliardenschätzen …

 

140. Kapitel.

Der Mormonenpriester.

Als Gipsy Maad am Ufer des Binnensees der schwarzen Insel so überraschend mit Fredy Dalaargen zusammengetroffen war, als der Herzog ihr in seiner verzweifelten Stimmung mit wenigen Worten mitgeteilt hatte, daß er nur als Schiffbrüchiger hier gelandet sei und das die Goldbarren und die Reichtümer König Matagumas ihm geraubt worden seien, da hatte die Detektivin den völlig Erschöpften voll herzlicher Teilnahme langsam die steile Flucht emporgeführt, um ihm den Weg durch die schmale Felsspalte in die Kratergrotte hinab zu zeigen …

Gipsys Zuruf wurde dann von unten sofort beantwortet.

Gottlieb meldete sich …

„Hallo – was gibt’s denn, Miß Maad?“

„Der Herzog ist zurückgekehrt … Er ist sehr schwach … Holen Sie Nielsen, Gottlieb …“

Knorz war von seiner harten Steinbank emporgeschprungen …

Sein Teckel knurrte …

Der brave Alte war über diese Nachricht so verblüfft, daß er mit offenem Munde zu dem dunklen Felsenschlund emporstarrte …

Nochmals rief Gipsy da …

„Gottlieb, haben Sie verstanden?“

Nun kam Leben in den Alten …

„Und ob …!! Und ob …!! Gut – ich laufe … Ich hole Herrn Nielsen …“

Er ergriff die Laterne, nahm den Teckel in den linken Arm und hastete den Gang zur Wohngrotte empor …

Also der Herzog war wieder erschienen …! Wie freute sich der gutmütige Knorz da, Melanies wegen! Mela hatte Fredy Dalaargen ja stets verteidigt …! Und wenn sie je an ihm gezweifelt hatte, so waren es bei ihr doch nur eifersüchtige Regungen gewesen – nur …!

Die Schritte des alten und doch noch so frischen Mannes halten laut in dem Felsengange wider …

Höher und höher klomm er, bis er nach Überwindung der letzten Krümmung dort vor sich in der Wohngrotte ein mattes Licht schimmern sah, eine halb verhüllte Laterne, die auf dem langen Tische stand, der noch das Geschirr und die Speisen der jäh unterbrochenen Abendmahlzeit trug.

Unwillkürlich blieb Gottlieb einen Augenblick stehen und überschaute mit inniger Rührung das so seltsam abenteuerlich und phantastisch anmutende Bild der halbdunklen Grotte …

Da stand des Grafen Gaupenberg Bett … Graf Viktor, die Hälfte des durch den brennenden Ozean versengten Gesichts durch einen Verband verhüllt, schien zu schlummern …

Neben dem Bett auf einem der Rohrsessel Agnes Sanden – vor Erschöpfung eingenickt, den Kopf tief auf die Brust gesunken … Der Lichtschein der Laterne umspielte ihr prachtvolles, kurzgeschnittenes Blondhaar. Und der Schlaf hatte ihre Wangen mit zarter Röte überhaucht, hatte ein verträumtes Lächeln um den schönen Mund gezaubert – ein Lächeln hingebungsvoller Liebe, das einzig und allein dem Verlobten galt, mit dem sie nun endlich wieder vereint – für immer, wie sie in gläubigem Vertrauen auf eine gütige Vorsehung hoffen mochte …

Und vier Schritt zur Seite ein anderes Schmerzenslager, das des tapferen, treuen Homgori Murat, der jetzt mit schwerem Lungenschuß im Wundfieber unruhig atmete und sich zuweilen stöhnend hin und her warf. –

Melanie Falz aber und Gerhard Nielsen hatten sich jedes in eins der durch Bretterwände im Hintergrunde der Grotte abgeteilten Zimmer zurückgezogen, um auch ihrerseits für den kommenden Tag neue Kräfte zu sammeln.

Gottlieb schlich auf Zehenspitzen weiter, damit Agnes, sein Liebling und Schützling, nicht erwachte …

Doch so leise er auch sein wollte, ein unter seiner Stiefelsohle knirschendes Steinchen ließ Agnes Sanden erschrocken emporfahren.

Wirr blickte sie umher, erkannte den brachen Knorz, der ihr beruhigend zuwinkte, und erhob sich lautlos, trat zu ihm …

Gottliebs Gesicht strahlte …

„Denken Sie nur, Fräulein Agnes …,“ flüsterte er freudig … „Der Herzog ist zurückgekehrt … Gipsy Maad traf mit ihm draußen am Binnensee zusammen … Er ist jedoch völlig ermattet … Nielsen soll helfen, ihn durch die Spalte in den Kraterdom zu schaffen.“

Agnes’ erster Gedanke galt jetzt Mela … Jeder der Sphinxleute wußte ja, daß Melanie den Herzog liebte. Und gerade Agnes hatte für Melas Herzensnöte so unendlich viel nachsichtiges Verständnis. Gewiß – um Dalaargens Person rankten sich wie Dornenzweige Geheimnisse dunkelster Art … Dalaargens Flucht mit dem Motorkutter, auf dem sich nicht nur der Schatz, sondern auch die rätselhaften Bewohnerinnen dieser Insel befunden hatten, war in vielem unbegreiflich. Aber all dies Düstere würde sich nun fraglos klären, und dann würde die Wohngrotte hier in der Steilwand der Nordküste ein zweites glückliches Paar beherbergen … –

„Ich werde Mela wecken, lieber Gottlieb,“ flüsterte Agnes freudig erregt als Antwort. „Mela wird es sich nicht nehmen lassen, Nielsen und Sie hinab in den Kraterdom zu begleiten …“

Und sie huschte davon – hinein in eine der Kammern, dessen Tür nur angelehnt war …

Gottlieb schaute ihr gerührt nach …

„Ein goldenes Herz hat sie …!“ murmelte er zärtlich … „Gott gebe, daß all diese Prüfungen für sie nun bald beendet sein mögen …!“

Und auch er ging in einen der Verschläge hinein, in dem er durch die Türspalte Licht schimmern sah.

Auch hier brannte eine Schiffslaterne …

Hier lag der blonde Gerhard Nielsen lang ausgestreckt und angekleidet auf dem Bett … Schnarchte leise und tief – so recht wie einer, der nach unsäglichen Anstrengungen halbtot auf sein Lager gesunken ist …

Ein scharf ausgeprägter Zug wehen Schmerzes ließ Nielsens männliches, sonst so kühl abgeklärtes Gesicht völlig verändert erscheinen …

Gottlieb wartete ein paar Sekunden, bis er sich über den Schläfer beugte …

Wartete und … lauschte dem undeutlichen Gestammel, das der Träumende über die Lippen brachte.

„Juanita … arme Juanita …“

Und dann nochmals …

„Armes Mädchen …!“

Gottlieb wußte, was den Träumenden so ganz in Bann hielt. Juanitas Tod in den Wogen nach dem kühnen Sprung von der Dampferreling ins Meer …!

Und jetzt ruhten der jungen Mexikanerin sterbliche Reste dort an der Nordwestküste der Insel im vorläufigen Versteck … –

Gottlieb rüttelte den Schlafenden sanft …

Nielsen erwachte …

Seine blaugrauen klaren Augen starrten den Alten noch halb traumbefangen an …

Langsam richtete er sich auf …

„Greifen die Schufte an?“ fragte er leise und doch schon mit jener klaren, wohllautenden Stimme, die so vortrefflich zu diesem Manne mit den eisernen Nerven paßte – falls Gerhard Nielsen überhaupt Nerven hatte …

Knorz berichtete kurz …

Fügte hinzu: „Meine alten Knochen sind für solche Arbeit doch schon zu steif, Herr Nielsen …“

Der Steuermann Nielsen erhob sich zu seiner stattlichen Länge, reckte sich, gähnte …

„Dann also vorwärts, lieber Alter … Holen wir Seine Hoheit … Mag er dann vor dem Gerichtshof der Sphinxleute sich verantworten. Klarheit muß sein … Zwischen uns darf es keine Heimlichkeiten geben.“ –

Und nebenan in Melas Schlafzimmer hielten sich die Freundinnen eng umschlungen …

Agnes streichelte zärtlich Agnes rotblondes Haar …

Und Melanie Falz flüsterte:

„Er ist zurückgekehrt …! Er ist zurückgekehrt …! Oh – ich wußte es … Mein Herz sagte mir’s …“

In ihre dunklen Augensterne kam ein Leuchten sehnsüchtiger Freude …

„Agnes, Agnes … Er ist da …! Ich werde ihn wiedersehen …! Agnes – ich liebe ihn …, ich habe nie geahnt, daß man so innig lieben können – – und so leicht zweifeln kann …!“ –

Dann schritten die drei hastig den Felsengang abwärts …

Gottlieb voran – mit der Laterne …

Halb neben ihm Mela, erregt und mit brennenden Wangen …

Hinter ihnen Nielsen und der emsig die krummen Beine werfende Teckel …

So nahten sie sich dem Kraterdom mit den erstarrten Lavazacken, den seltsamen Säulen und dem dunklen Schlunde, in dessen Tiefen der vulkanischen Boden in regelmäßigen Zwischenräumen die giftigen Dünste der im Erdinnern brodelnden Feuermassen mit singendem leisen Pfeifen ausstieß …

Achtlos eilten jetzt die drei und der halbblinde Hund an diesem gefährlichen Felsenloche vorüber, das noch vor Stunden den Mittelpunkt so vieler nervenerschütternder Zwischenfälle gebildet hatte …

Eilten in den kurzen Gang hinein, der zu der steinernen Tür führte …

Machten halt …

Nielsen rief nach oben:

„Hallo – – Dalaargen …!! Miß Maad!! – Ich komme …!“

Und schon schwang er sich auf Gottliebs Schultern.

Doch – von oben keine Antwort …

Nochmals rief der blondbärtige Mann …

Wieder nichts …

Gottlieb meinte da bedrückt:

„Ob ihnen etwas zugestoßen sein mag?!“

Und Mela raunte angstvoll …

„Wenn die Insel von den Leuten Guardos noch besetzt ist, sind Gipsy und der Herzog vielleicht gar gefangen genommen worden …“

Endlich – endlich da durch die Felsspalte herab die helle Stimme der Detektivin:

„Wir sind noch hier …! Hallo – wir sind noch hier …! Aber der Herzog möchte zunächst Mela allein sprechen – hier oben – ohne Zeugen …“

Melanie Falz meldete sich …

„Ich komme …! Ich komme …!“

Nielsen und Gottlieb halfen ihr …

Sie klomm empor …

Ihr Herz hämmerte vor Sehnsucht und Glück …

Fredy verlangte nach ihr …!! Ohne Zeugen!! Fredy würde ihr beichten, würde ihr erklären, weshalb er einst den Sträflingsanzug getragen, weshalb er damals in Wien verhaftet worden und ebenfalls entflohen …!

In seine Arme würde er sie nehmen – seine Lippen würde sie spüren … Wie an jenem Abend auf der Milliardärsjacht …

Und hastiger noch kletterte sie empor, sah nun den Sternenhimmel über sich und zwei Gestalten am Rande der Felskluft: ihn – ihn und Gipsy!

Und Dalaargen bückte sich, reichte ihr beide Hände, zog sie vollends nach oben …

Melas Augen tasteten in dem geliebten Gesicht …

Sie sah die blutgetränkte Stirnbinde …

Schrie leise auf …:

„Du bist verwundet …?!“

Und – fühlte plötzlich, wie eiskalt seine Hände waren, wie leblos sie die ihren umspannten …

Und sah noch mehr, ein verzweifeltes, verstörtes Männerantlitz …!

Empfand nichts von Wiedersehensfreude, von glücklichem Schimmer in seinen scheuen, traurigen Augen …

„Komm!“ sagte Dalaargen dann gepreßt und gab ihre Hände frei …

Wie betäubt folgte sie ihm …

Schweigend schritten sie nordwärts über das kahle Felsplateau …

Der Seewind fuhr in harten Stößen darüber hinweg … Melas Röcke flatterten und knallten wie das zerfetzte Segel eines wracken Schiffes …

So gingen sie … Stumm, bedrückt …

Zwei, die in den jungen Herzen Liebe pochen hörten und zwischen denen der Fluch des Goldes Mauern aufgetürmt hatte … –

Dann stand der Herzog still …

Ein paar Felsblöcke luden hier zu friedlicher Rast ein …

Felsblöcke wehrten den Wind ab.

„Setzen wir uns, Mela …,“ sagte Dalaargen tonlos …

Und da konnte das Weib, das ihn liebte, nicht länger die Qual dieser unbegreiflichen Kälte ertragen.

„Fredy, – – weshalb tust du so fremd?“ rief sie mit vibrierender Stimme …

Ihre Hände haschten nach seiner Rechten …

„Fredy, ich habe mich durchgekämpft durch all diese Zweifel … Ich vertraue dir, ich glaube an dich – – ohne jede …“

Er unterbrach sie …

„Mela, vor dir steht … ein Ehrloser!“

Und so dumpf und schmerzerfüllt kamen diese Worte über seine Lippen, daß Melanie mit wehem Jammerlaut auf den harten Steinsitzt sank …

Ein Ehrloser – – ein Ehrloser …!! Also doch ein Verbrecher, wie Lomatz ihr höhnend ins Gesicht gerufen …

Da – sprach der Herzog von Dalaargen weiter …

Hatte sich neben das Mädchen gesetzt, dem er Freiheit, Leben und kurzes Glück verdankte …

„Mela, ein Ehrloser …! Einer, der mit dem Motorkutter die Leiche seines Vaters, die Schwester und die anderen armen Geschöpfe von hier entführte – und die Milliardenschätze! Einer, der den Sphinxleuten schriftlich versprochen hatte, diese Schätze wieder zurückzubringen …“

Melanie hatte den Kopf wieder gehoben. In ihren Augen glänzten Tränen …

„Ich … habe dieses Versprechen nicht halten können,“ fuhr Dalaargen ebenso verzweifelt fort. „Ich gebe zu, ich handelte in der Übereilung – ich war nicht recht Herr meiner Sinne, als ich hier … meinen Vater als Leiche vor mir sah, den ich all die Jahre gesucht hatte … Und dann noch Toni, meine arme Schwester … Auch sie einst eine Kranke – – geisteskrank … Sie beschwor mich auf Knien, die Geheimnisse der Insel der Glückseligkeit, des Reiches König Salomonis für alle Zeit in undurchdringliche Schleier zu hüllen … Die Gelegenheit war günstig … Wir bestiegen den Kutter … Und fuhren davon … Und – – die Nacht kam … Da haben wir die Leiche meines unglücklichen, gütigen Vaters nach Seemannsart den Wogen übergeben … und – – begegneten dem ‚Star of Manhattan’.“

„Der Milliardärsjacht …!“ Und Mela griff nach Fredys Händen … „Dem Schiffer also, wo wir uns fanden …! – Niemals bis zu ein Ehrloser … Ich …“

Aber Dalaargen erhob sich jäh …

Melas Hände fielen schwer herab.

„Höre weiter … – Ich erkannte die Jacht … Ich wußte, daß Josua Randercild als mein Freund nichts fragen würde, daß er, dem diese Insel unbekannt, nicht forschen würde, wo ich all diese jungen weiblichen Wesen an Bord des Kutters genommen … – So hat denn der ‚Star of Manhattan’ meine Schwester Toni und die übrigen Mädchen als sicherer Aufenthalt mit sich davongetragen … So habe ich den Kutter wieder nordwärts gelenkt – ganz allein … Bis ein Dampfer vor mir auftauchte … Bis heimtückische Schüsse den Kutter lähmten und eine Kugel mich halb bewußtlos über Bord taumeln ließ … Einen Rettungsring packte ich noch, nahm ihn mit in die schäumenden Wogen … Trieb dann stundenlang auf Wellenbergen, in Wellentälern … Schwamm wie ein Verzweifelter nordwärts, damit ich die schwarze Insel wieder erreichte und dem Grafen Gaupenbergs melden könnte, daß die Fürstin Sarratow und ihre Verbündeten jetzt die Milliardenschätze besäßen, die ich, ein vom Schicksal Gezeichneter, von hier leichtfertig den Zufällen des Ozeans entgegengeführt und … die ich dann … verloren hatte …! – Begreifst du, Mela, wie es jetzt in meinem Inneren aussieht, wie ich, der ich weiß, was alles Ihr Sphinxleute dieses Goldes wegen gelitten, mich … wortbrüchig, ehrlos fühlen muß, bis … es mir gelungen, eine vorschnelle Tat, einen übereilten Entschluß wieder dadurch wettzumachen, daß ich … den Azorenschatz zurückerobere!“

Er schwieg – atemlos … hingerissen von dem großen Gedanken, vor sich selbst einst wieder gerechtfertigt dazustehen …

Melanie Falz sprang auf …

Das Millionenheer der blinkenden Gestirne tauchte ihr liebes Gesicht in mattes Licht …

Ihre Augen strahlten in tiefer Glückseligkeit …

„Fredy, – und deshalb nennst du dich ehrlos?!“ rief sie fast jubelnd. „Deshalb, weil ein tückischer Zufall dir die Feinde in den Weg leitete?! Niemand wird dir einen Vorwurf …“

Sie hatte ihn umschlungen …

Und er – war mit heftiger Gebärde wieder freigeworden von diesen zärtlichen Armen, die seinen unerschütterlichen Entschluß nur zu leicht hätten umstoßen können …

Schwer kann es ihn an, unendlich schwer, in dieser Sekunde fest zu bleiben …

Rauh und fremd klang seine Stimme, als er nun erklärte:

„Mela, wie du über diese Dinge urteilst, darf mich als Mann nicht beeinflussen … – Mela, in der Stunde, wo ich dem Grafen Gaupenberg die Milliardenschätze zurückgeben kann, will ich deinen Vater bitten, daß er unserem Herzensbunde seinen Segen erteilt. Bis dahin aber sollst du mir nichts sein als eine gute Kameradin … mein guter Stern, – – nichts weiter!“

So stark und entschlossen sprach er diese letzten Sätze, daß Melanie wie mutlos den Kopf sinken ließ …

Und leise erklärte:

„Mein Vater … mein Vater ist ebenso wie Hartwich und Pasqual Oretto von den Banditen Guardos entführt worden … von jenem Dampfer, dem du begegnet bist … Und Jimminez und Mister Worg sind tot …“

Dalaargen nahm jetzt doch ihre Hand …

„Mela, wir werden sie befreien … Wir werden die Sphinx wieder ausbessern und …“

Ihr Schluchzen zwang ihn zum Schweigen …

„Fredy, wenn du mich lieb hast …“ – und sie drängte sich dich an ihn heran –, „dann wirst du nicht aus törichtem Ehrgefühl verlangen, daß wir beide …!“

Er schüttelte heftig den Kopf …

„Törichtes Ehrgefühl …?! – Mädchen, in deiner Brust schlägt ein anderes Herz als das von Männern, die … eine schwere Schuld auf sich geladen haben …! Mela, die Milliardenschätze sind durch meine Leichtfertigkeit abermals verlorengegangen! Daran ist nicht zu deuteln. – Verlange nichts Unmögliches von mir …! Wie soll ich wohl dem Grafen Gaupenberg vor die Augen treten, wenn ich hier … deine Lippen geküßt hätte in seligem Getändel!! Nein – als Mann will ich mich anschuldigen, mich verteidigen – – als ganzer Mann! – Komm, Mela … Gehen wir …!“

Und wieder schritten sie nebeneinander her …

Kameraden jetzt …

Hand in Hand …

Denn Melanie Falz war nun das Verständnis aufgegangen für Fredy Dalaargens innerste Beweggründe seines ernsten Entschlusses …

Und – Fredy Dalaargen hatte nichts verloren in ihren Augen … Nein – das, was sie für ihn empfand, war in diesen Minuten folgenschwerer Aussprache nur noch tiefer und inniger geworden. – –

Nachdem Mela durch die Felsspalte zum Plateau emporgeklettert war, hatte Nielsen zu Gottlieb Knorz gesagt:

„Mein lieber Gottlieb, ich fürchte, daß Dalaargen und Melanie Dinge erörtern werden, die für uns alle neue Verwicklungen bringen dürften. – Wissen Sie denn, ob der Herzog mit dem Kutter gelandet ist?“

Knorz blickte den Landsmann erstaunt an …

„Ich hoffe doch, Herr Nielsen …!“

„Hoffen?! – Hat Gipsy Ihnen nichts Näheres zugerufen?“

„Nein …“

„Dann muß ich Gewißheit haben … Helfen Sie mir … So … hoppla – da bin ich schon in dem vertrackten Felsloch … Auf Wiedersehen …“

Und er kletterte höher …

Fand oben auf dem Plateau Gipsy an einen Steinblock lehnend – schlank, rank in ihrem Sportkostüm, so recht ein Weib des Jahrhunderts, frei von all dem süßlichen Beiwerk jener Zeiten, als die Frau noch keinen Teil hatte an Männertaten …

Nielsen pflanzte sich vor Gipsy auf, nickte ihr zu.

„Schöne Tropennacht …“ – Seine Stimme war weich wie selten … „Vor zwei Stunden schwamm ich mit der toten Juanita im Arm der Insel zu … Vor drei Stunden steckte ich unten in dem Felsengang – im Kegelkrater … Wir haben uns über Langeweile nicht zu beklagen …“

Gipsy musterte sein Gesicht …

„Aus Ihnen ist schwer klug zu werden, Mister Nielsen.“

„Durchaus nicht … Ich lebe nur in der Gegenwart. Das muß man tun. Die Seele in uns geht sonst allzu rasch in Scherben …“

„Man soll also jedes Leid von sich weisen?!“

„Nein … Nur die Erinnerung an alles Trübe … Was hilft es mir und uns, wenn ich jetzt all die Gedanken wieder aufleben ließe, die mich bestürmten, als ich Juanita hier an die Küste trug?! – Die Gegenwart verlangt Vergessen …! – Hat Dalaargen den Schatz mit zurückgebracht?“

„Nein … Der Kutter wurde von Guardos Dampfer aus beschossen … Der Herzog rettete nur das nackte Leben.“

Gerhard Nielsen schaute nach links über das Plateau hinweg, wo die Gestalten Melas und Dalaargens nur ganz verschwommen zu erkennen waren …

„Diese Mafalda hat Pech …,“ sagte er dann.

„Pech?!“ Und Gipsy Maad zuckte die Achseln … „Weshalb Pech?!“

„Weil sie nun wieder die Rolle des gejagten Wildes spielen muß … Sie wird die Milliarden hergeben müssen …“

„Und – wie wollen Sie den Dampfer finden?!“

„Hm – Juanita sprach da allerlei über eine Bucht an der Nordostküste Mexikos, wo für diesen Abenteurer Maximiliano Guardo heimlich schon des öfteren Waffen gelandet wurden … Die Bucht soll inmitten eines sandigen unbewohnten Küstenstriches liegen … Ich denke, Guardo wird das Gold dort landen … – – Ah – die beiden kommen auf uns zu … Hand in Hand …!“

Und er ging ihnen entgegen …

„Willkommen, Herzog!“ rief er Dalaargen kameradschaftlichen zu … „Ich beglückwünsche Sie herzlichst zu Ihrem Zusammentreffen mit Mafalda … Lassen Sie sich keine grauen Haare wachsen, weil die Fürstin den Nibelungenhort – wollte sagen den Azorenschatz für einige Zeit nun spazieren fährt …“

Dalaargen hatte Melas Hand freigegeben und legte zaudernd seine Rechte in Nielsens schmale, sehnige Hand.

„Sie … beglückwünschen mich?“ fragte er verwirrt und auch ein wenig verlegen. „Ich betrachte die Dinge weit ernster und …“

„… fraglos ganz falsch, lieber Herzog … Ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen, machen Sie sich bittere Vorwürfe …“

„Allerdings …“

„Überflüssig …! Von meinem Standpunkt aus. Denn ich kann beim besten Willen nicht einsehen, daß der Azorenschatz uns hier etwas genützt hätte … Wir haben, denke ich, andere Sorgen. Zunächst die, daß die Sphinx wieder repariert wird. Dann die Befreiung unserer vier Gefährten, und erst ganz zum Schluß den elenden Mammon …“

Dalaargen war bereits an Gerhard Nielsens eigenartige Ansichten und Ausdrücke so gewöhnt, daß er nur mit einem müden Lächeln entgegnete:

„Sie stehen stets über allen Dingen … Sie betrachten alles von der Höhe ihres unübertrefflichen Nervensystems aus … Sie sind beneidenswert …“

„Vielleicht … – Jetzt aber werde ich Ihnen behilflich sein, durch die Felsspalte dort abwärts zu klettern … Gaupenberg erwartet Sie …“

Dalaargen nickte trübe. „Ja – und als ein Wortbrüchiger trete ich vor ihn hin …! Ich wollte den Schatz und den Kutter zurückbringen, und – – ich landete hier lediglich mit einem Rettungsring um die Brust …“

„Immerhin – Sie landeten …!! Oder besser, gerade weil Sie so landeten, sind Sie gerechtfertigt … – Vorwärts also … Ich klettere voran … Ich stütze Sie … Und unten hilft dann noch Gottlieb Knorz.“

Während die beiden Männer nun in der Spalte untertauchten, sagte Gipsy Maad innigen Tones zu Mela:

„Hat Ihnen das Wiedersehen mit Dalaargen nur Tränen gebracht, arme Melanie …?! In Ihren Augen schimmert es feucht …“

Mela blickte vor sich hin …

„Dalaargen leidet an … an übertriebenem Ehrgefühl … Und doch – ich begreife nicht … Er glaubt sich schuldig … Er möchte erst …“

Ein leiser Zuruf Gipsys ließ sie schweigen …

„Hörten Sie?!“ fragte die Detektivin flüsternd …

Sie drehte den Kopf lauschend zur Seite …

Nielsen und Dalaargen waren bereits verschwunden.

„Nein … Ich hörte nichts,“ flüsterte Mela ebenso leise zurück …

Und Gipsy meinte sinnend: „Sollte ich mich so getäuscht haben?! Es war mir, als hörte ich … Musik …“

„Musik?! – Unmöglich …“

Und da strich ein scharfer Windstoß über das Plateau hin …

Der Wind kam aus der Richtung des Talkessels, des Gartens um das einsame Haus, in dem einst der alte Herzog Dalaargen mit den zierlichen Mädchen ein friedfertiges, traumhaft-glückseliges Dasein geführt hatte …

„Wirklich!“ rief auch Mela jetzt. „Wirklich – nun trug auch mir der Wind ein paar Töne zu … Es ist das Piano im Speisesaal des einsamen Hauses …“

Gipsy horchte noch eine Weile …

„Ja, Sie haben recht, liebe Melanie … Und soeben unterschied ich auch ein paar Takte … Man spielt dort eins der berühmtesten Werke Ihres großen Landsmannes Wagner, die Gralserzählung aus Lohengrin …!“

Mela lauschte ebenfalls angestrengt …

„Bei Gott …! Lohengrin …!! Und – wer spielt dort – – wer?“

Ihre etwas ängstlichen Augen forschten in Gipsys frischem Gesicht …

Auch die Detektivin fühlte sich beunruhigt durch diese seltsame Musik, die geisterhaft wie aus endloser Ferne herüberkam, zuweilen schwand und dann wieder auflebte, je nachdem der Wind die Schallwellen schwächer und kräftiger mit sich führte …

„Wer spielt?!“ wiederholte Gipsy grüblerisch … „Wer spielt dort, wo jetzt kein Lebender weilen dürfte?!“ Und lebhafter: „Ich werde hinüberschleichen zum weißen Hause … Dalaargens Auftauchen hat mich ja ohnedies von meiner ursprünglichen Absicht abgebracht … Ich wollte nachsehen, ob wir noch Feinde zu fürchten hätten …“

„Halt – ich begleite Sie, Gipsy,“ sagte Mela Falz energisch …

Doch die Detektivin lehnte ebenso höflich wie bestimmt ab …

„Nein … Für Sie wäre ein solches Unternehmen nichts … Für Sie ziemt es, jetzt ein wenig Dalaargens Gemütsstimmung aufzubessern … Ich werde Nielsen zurufen, daß er wieder nach oben kommen möge … Oder – klettern Sie hinab, liebe Melanie, und teilen Sie ihm mit, was wir gehört haben …“

Mela gab nach …

Und wenige Minuten später stand Nielsen vor Gipsy Maad …

Nachdem auch er den verschwommenen Tönen gelauscht hatte, meinte er:

„Ein Pianist …! Sehen wir uns den Künstler an, Miß Maad …“

Bevor sie aber das Plateau verließen und durch die Schlucht zum Ufer des Binnensees hinabstiegen, deutete Nielsen noch nach Osten …

„Da – es wird Tag … Der neue Tag beginnt mit Wagnermusik … Wie wird er enden?! Vielleicht … mit dem Hochzeitsmarsch aus Lohengrin …“

Gipsy wiegte langsam das zierliche Köpfchen hin und her …

„Hochzeitsmarsch?! Wie kommen Sie gerade darauf, Mister Nielsen?! Aus Ihnen wird man nie klug …“

Und doch hatte dieses köstliche Wort Hochzeitsmarsch ihr unwillkürlich stärkere Röte in die Wangen getrieben …

Sie war ja auch nur Weib, die intelligente, energische Gipsy … Und sie war jung und lebenshungrig …

Nielsen lächelte sie an … Der Schalk spielte um seine Mundwinkel …

„Weshalb nicht von Hochzeit reden?! Haben wir nicht ein perfektes Brautpaar unter uns und ebenso ein angehendes?! Und – sind Sie nicht ebenfalls noch da, Miß Maad …?!“

„Oh – – solche Scherze in unserer Lage …!!“ – Sie tat empört …

Er nahm ihre Hand, zog das liebliche Persönchen mit sich …

„Miß Gipsy, das Leben den Lebenden …! Und wer angesichts des Richtblockes als Delinquent zum Henker sagt: ‚Der Tag fängt ja gut für mich an!’ – der ist ein Kerl!! – Kommen Sie …“

Und so stiegen sie die Schlucht abwärts – im ersten Morgengrauen …

Umschritten den Binnensee und schlichen den Zaubergarten der düsteren Insel zu … Näherten sich dem stillen Hause …

Machten halt … Lugten durch die Büsche …

Die drei Fenster des Speisesaales standen offen …

In dem großen Zimmer war’s noch völlig dunkel.

Das Klavierspiel hatte aufgehört …

Nun begann es wieder …

Und – wieder war’s die Gralserzählung aus Lohengrin, deren hehre Töne jetzt die beiden Lauscher mit Schauern besonderer Andacht erfüllten …

Nielsen flüsterte:

„Geisterspuk …!!“

Und die Detektivin raunte:

„Es wird immer heller … Sehr bald werden wir sehen können, wer da spielt …“

Sie warteten …

Und auch heute zog der neue Tag mit überraschender Schnelle herauf … Sein Kampf mit der Nacht war kurz …

Gerade als im Speisesaal die letzten Töne in vollen Akkorden verklangen, konnten Gipsy und Nielsen durch das eine der offenen Fenster das Piano vor der Wand deutlich erkennen …

Doch – an dem Instrument saß niemand … Der Klaviersessel war leer …

Gipsy umklammerte Nielsens Arm …

„Mein Gott – – wirklich ein Spuk!“ stieß sie hastig hervor … „Begreifen Sie das, Mister Nielsen?!“

„Gewiß, Miß Maad … Es ist ein mechanisches Klavier. Und der, der den Mechanismus in Tätigkeit gesetzt hat, raucht eine gute Zigarre. Ich rieche sie bis hierher …“

Diese trockene Erklärung wirkte geradezu erlösend.

Gipsy mußte lächeln, ob sie wollte oder nicht … Gegenüber Nielsens hundeschnäuziger Art konnten keine Gespenster bestehen …

„Immerhin …,“ fügte er hinzu … „Immerhin – ein Feind von uns kann es nicht sein … Der würde sich schwer hüten, seine Anwesenheit auf so melodiöse Art zu verraten … – Ich denke, wir machen dem Betreffenden unsere Aufwartung … Vielleicht ist’s auch ein weiblicher Fremder … Wer kann wissen …“

„Oho – – die Zigarre, Mister Nielsen!“

„Bitte sehr, Miß Gipsy, ich kenne eine deutsche Generalswitwe, die nur pechrabenschwarze Giftnudeln, Zigarren genannt, verqualmt – pro Tag acht Stück, – – Tatsache! – Also – – schleichen wir zum Eingang, der ja höchst einladend sperrangelweit offen ist …“

Leise eilten sie im Bogen der Steintreppe zu …

In den Flur …

Bis zur Tür des Speisesaales …

Und da – begann abermals das Konzert – wieder die Gralserzählung aus Lohengrin …

Nielsen flüsterte: „Das Klavier scheint mir auf das eine Stück geeicht zu sein … Der Pianist ist genügsam …“

Und er legte die Hand auf den Drücker, riß die Tür weit auf …

Sah halb rechts auf dem Rohrsofa einen unglaublich dicken Herrn sitzen, der soeben sein feistes Gesicht eingeseift hatte, um sich … zu rasieren. Vor ihm stand ein großer Spiegel, der gegen ein paar Bücher gelehnt war und daneben zwei Likörflaschen, ein Glas und eine Zigarrenkiste …

Der Herr glotzte Nielsen und Gipsy sprachlos aus wässrigen Augen an …

Erhob sich nun, trat hinter dem Tische hervor und versuchte eine Verbeugung …

Sagte dazu in tadellosem Englisch:

„Zu meiner unendlichen Freude sehe ich, daß ich nicht ganz allein auf diesem verwünschten Eiland bin … Gestatten Sie: Samuel Tillertucky, Priester der heiligen Mormonenkirche …“

Und wieder wollte er sich verneigen, was ihm jedoch seiner Korpulenz wegen vorbeigelang …

Dieser Samuel Tillertucky wirkte mit seinem von Seifenschaum schneeweißen Gesicht, der ungeheuren Glatze und der unmöglichen Figur so überwältigend komisch, daß Gipsy, zumal bei alledem das Klavier unverdrossen weiterspielte, sich nicht länger beherrschen konnte und in schallendes Lachen ausbrach …

Nielsen wieder erwiderte die angedeutete Verbeugung des frommen Herrn genau so höflich und sagte:

„Es ist mir eine Ehre, Mister Tillertucky … Erlauben Sie, daß ich vorstelle. – Hier Miß Gipsy Maad, eine junge Amerikanerin, von Beruf Detektivin … Leider benimmt sich die Dame in diesem Augenblick höchst unziemlich, was allerdings zu entschuldigen ist … Ihr Aussehen, Mister Tillertucky, ist in der Tat etwas eigenartig …“

Der Mormonenpriester meinte darauf salbungsvoll:

„In kurzem werde ich mit der zweiten fertig sein … Dann wird Miß Maad erst den richtigen Eindruck von mir gewinnen …“

„Entschuldigen Sie, der zweiten Flasche Likör?“ fragte Nielsen scheinheilig.

„Nein – der zweiten Rasur … Ich habe beim ersten Male den Bart nur teilweise entfernen können.“

„Ach so …! – Dann gestatten Sie, mein Name ist Gerhard Nielsen, Deutscher, Steuermann …“

„Sehr erfreut … – Wenn die Herrschaften nicht Anstoß daran nehmen, ich möchte mich schnell fertig rasieren … Sonst trocknet der Schaum ein …“

Und er setzte sich wieder, griff nach dem Rasiermesser, legte den Kopf schief und begann die letzten Bartstoppeln zu entfernen.

Gipsy hatte sich derweil wieder auf den schuldigen Respekt dem frommen Manne gegenüber besonnen und wollte schon ein paar liebenswürdig entschuldigende Worte an ihn richten, als Tillertucky, der nun die eine Hälfte seines Kürbisgesichtes von dem weißen Überzug befreit hatte, ihr heiter zunickte und meinte:

„Wenn Sie Detektivin sind, Miß Maad, so können Sie sofort meine Angelegenheiten in Ordnung bringen … Das ist gerade etwas Sie, schlägt in Ihr Fach.“

Nielsen aber hatte sich einen Stuhl an den Tisch gerückt und einen zweiten für Gipsy bereitgestellt …

Sagte: „Setzen wir uns … Mister Tillertucky sieht nun wie ein Gentleman linksseitig aus und wird als Gentleman die Frage nicht verargen, wie er denn hier auf die Insel gelangt ist …“

Der Mormone lächelte … Wurde jedoch sofort wieder ernst, da er sich infolge dieses Lächelns eine kleine Schnittwunde beigebracht hatte …

„Einen Augenblick …,“ erwiderte er … „Auf der Oberlippe bin ich besonders empfindlich … – So – – fertig …“ – Stand auf und tauchte ein Tuch in eine Schüssel mit Wasser, säuberte sich und erklärte:

„Ich bin vor genau vier Stunden von dem Dampfer ‚Sonora’ entflohen, der hier kurze Zeit in einer Bucht ankerte. Ich war Gefangener auf der ‚Sonora’ – durch eine Verkettung merkwürdiger Umstände … – Ich verbarg mich in den Schluchten am Ufer, sah den Dampfer davonfahren und wagte mich schließlich in dieses Haus hinein … Leider hatte ich weder eine Kerze, noch eine Laterne, noch sonst eine Beleuchtungsmittel zur Verfügung – nur Zündhölzer … Im Dunkeln rasiert man sich stets sehr ungenügend …“

Nielsen unterdrückte ein Lächeln …

„Und Sie glauben, daß die ‚Sonora’ hier niemand mehr zurückgelassen hat, Mister Tillertucky?“

„Nein – bestimmt nicht … Dieses Mördergesindel ist davongefahren, nachdem es hier ein furchtbares Blutbad angerichtet hatte …“

Und bei den letzten Worten füllte er das Likörglas und trank es mit einer sogenannten Verbeugung vor Gipsy in einem Zuge aus …

Fügte hinzu: „Miß Maad, Sie werden also diese Schurken verfolgen und ihnen wieder abnehmen, was sie mir geraubt haben, die gesamten Kollektengelder zweier Jahre, im ganzen viertausendeinhundertachtundsiebzig Dollar …“

Offenbar hielt er diese Summe für einen unerhörten Reichtum, denn er wiederholte nochmals:

„Denken Sie, viertausendeinhundertachtundsiebzig Dollar … Und dieses Geld befindet sich auf dem Dampfer ‚Sonora’ …“

Worauf Nielsen meinte:

„Mister Tillertucky, Sie sollen das Geld zurückerhalten – bestimmt! Denn auch uns haben diese Banditen bestohlen …“

„So?! Viel?!“

„Wie man’s nimmt … Etwa zwei Milliarden Dollar …“

Da lachte der fromme Mann, daß ihm der Bauch in recht beängstigender Weise wackelte …

Krähte dazu: „Zwei … zwei Milliarden Dollar!! Sie sind ein Witzbold, Mister Nielsen …!!“

„Nein – Steuermann …! – Im übrigen hat es mit den Milliarden seine Richtigkeit …“

Samuel Tillertucky wieherte vor Vergnügen …

Und kreischte Gipsy zu:

„Haben Sie schon mal zwei Milliarden auf einem Haufen zusammengesehen, Miß Maad …?! – Ich noch nicht …!“

„Bitte – – Sandkörner!“ ergänzte Nielsen da …

Und Mister Tillertucky lief zum Klavier, drehte die Kurbel und ließ die Gralserzählung aufs neue ertönen … –

So machten Gipsy und Nielsen hier die Bekanntschaft eines Mannes, der unter seiner Fettschicht und seiner teils unfreiwilligen Komik mehr Geheimnisse verbarg, als auch nur einer der Sphinxleute es sich im entferntesten träumen ließ …