Expräsident Armaro und seine vier Soldaten stierten noch immer zu der breiten zackigen Öffnung empor, durch die sie vor einer halben Stunde das kleine Beiboot der Sphinx hier auf den Spiegel des unterirdischen Sees hinabgelassen hatten …
Das Tau, an dem sie nun wieder an die Oberwelt hatten zurückkehren wollen, war verschwunden …!
Manuel Pasco, der riesige Neger, der trotz seines wilden Gesichts doch ein Mensch mit weichem Herzen war, konnte ein schadenfrohes Grinsen nicht unterdrücken, als er jetzt Armaros verstörte Miene bemerkte …
„Gefangen …!“ rief der Expräsident mit einem greulichen Fluch. „Nur die beiden Frauenzimmer haben uns das angetan – nur sie!“
Und Pasco sagte achselzuckend:
„Gefangen wie die Sennorita Mafalda, Exzellenz, die wir da unten in der leeren Schatzkammer einegesperrt haben …!“
Armaro warf dem Neger einen wütenden Blick zu.
„Schweig’ …! Überlege dir lieber, wie wir aus dieser verwünschten Höhle herauskommen!“
Pasco grinste weiter …
„Exzellenz werden schon Rat wissen … Exzellenz haben uns vier mit in diese Falle gelockt …“
Armaro, gestern noch allmächtiger Tyrann der Republik Patalonia, heute ein heimatloser Flüchtling, ein gehetztes Wild, erbleichte vor Grimm …
Und – war doch klug genug, diese Frechheit des elenden Niggers wortlos hinzunehmen …
Hob nur den Armen, deutete zurück nach den fernen Palästen …
Die beiden Ruderer tauchten die Riemen wieder ein …
Das kleine Boot schoß vorwärts, landete an derselben Anlegebrücke unterhalb der Uferstraße. –
Don José Armaro bewies hier abermals, daß er ein Mann von besonderen Geistesgaben war …
Nachdem er die Anlegebrücke betreten und die vier Schwarzen zu sich gewinkt hatte, erklärte er kurz:
„Wir müssen ein großes Floß bauen und darauf ein Gerüst errichten, das bis zu dem Felsloche hinaufreicht. Anders können wir nicht an die Oberwelt. – Eilt euch! Dort hinter den Palästen zieht sich die Aztekenstadt hin … Dort werdet ihr Balken und Werkzeuge finden …!“
Manuel Pascos herausforderndes Benehmen gegenüber Seiner Exzellenz hatte auch die drei anderen Soldaten den Rest von Respekt vor dem bisher so allgemein gefürchteten Präsidenten verlieren lassen.
Diese Arbeit, die ihnen Armaro hier auftrug, war durchaus nicht nach ihrem Geschmack. Wie alle Neger, so waren auch diese träge und bequem. Als Soldaten, als Kavalleristen, hatten sie stets leichten Dienst gehabt. Und gerade als Soldaten fühlten sie jetzt diesem Manne gegenüber, der sie bisher kaum eines Blickes gewürdigt, jene schadenfrohe Genugtuung, die der ungebildete Farbige schon aus dumpfem Haß gegen jeden Höhergestellten stets dann offen kundtun wird, wenn er diesen von allen bisherigen Machtmitteln entblößt vor sich sieht.
Und so war’s hier mit José Armaro …
Gerade der Umstand, daß er Mauel Pascos Unverschämtheiten schweigend geduldet hatte, sollte ihm verhängnisvoll werden. Dieses Schweigen hatte den Schwarzen gezeigt, wie wenig sie noch von dieser gestürzten Größe zu fürchten hätten …
Sie standen da und schauten abwartend auf Manuel Pasco. Mochte der Seiner Exzellenz nur sagen, wie sie dachten … –
Der riesige Neger hatte sich nachlässig an das Geländer der Brücke gelehnt und die Hand wie zufällig auf die an seinem Lederkoppel hängende Revolvertasche gelegt …
Armaro bebte innerlich vor Wut …
„Geht!“ sagte er nochmals … „Es liegt mit in eurem Interesse, daß wir recht bald Sphinx wieder besteigen und davonfahren …“
„Hm – und die Belohnung, Exzellenz?“ meinte Pasco lauernd. „Wo ist nun das Gold, das Ihr uns verspracht?!“
Manuel Pasco hatte in dieser verflossenen Nacht manches zugelernt. Er war in gewissem Grade Diplomat geworden, wog Vor- und Nachteile des Gehorsams gegenüber den Befehlen Armaros schlau gegeneinander ab und war so zu der Überzeugung gelangt, daß es hier kaum noch etwa zu gewinnen, aber das Leben vielleicht zu verlieren gäbe. Außerdem betrachtete er Armaro auch als mitschuldig an dem Unglück der blonden schönen Sennorita, die aus Entsetzen vor ihm, dem durch Mafalda bestochenen Entführer, die Sprache verloren hatte … Und dies, das fühlte Pasco schon jetzt, würde er sein Lebtag nicht vergessen – diese stammelnden röchelnden Laute, die über die gelähmte Zunge des blonden Weibes anklagend und beschwörend sein Ohr erreicht hatten … –
„Also, wie steht’s mit dem Golde, Exzellenz?“ fragte er nochmals, als Armaro nicht sofort antwortete …
Der Expräsident von Patalonia hatte die Zähne tief in die Unterlippe gegraben. Um seine kühne, leicht gebogene Nase zogen sich zum Munde weiße Flecke hinab – Zeichen einer Erregung, die kaum noch gesteigert werden konnte. Seine Augen färbten sich dunkler … Seine Hand zuckte nach der Beinkleidtasche, wo die Repetierpistole steckte. Und doch sank diese Hand herab, hob sich wieder zu scheinbar gleichgültiger Geste …
„Ihr vier werdet eure Belohnung erhalten,“ sagte er mit merkwürdig heiserer Stimme. „Beeilt euch jetzt aber … Sonst werden die beiden Frauenzimmer mit der Sphinx noch auf und davon fliegen …“
Manuel Pasco lachte …
„Ja, das werden sie wohl … Und dann können wir die Insel nicht verlassen, Exzellenz … Dann werden Freunde der blonden Sennorita kommen und … uns alle gefangen nehmen …“
Er lachte wieder kurz auf …
„Ich bin nicht dumm, Don Armaro!!“
Und als er jetzt die Anrede Exzellenz wegließ, da grinsten auch die drei anderen Neger, daß ihre Panthergebisse nur so leuchteten …
Armaro krümmte sich vor unsinniger zweckloser Wut förmlich zusammen …
In diesem Augenblick erst kam ihm mit niederschmetternder Klarheit zum Bewußtsein, was er verloren hatte, die tief sein Sturz war – herab von der Höhe fast uneingeschränkten Despotentums zum … Spielball der plumpen Goldgier dieser vier … Banditen!
Und in diesem Augenblick ward auch im geheimsten Winkel seiner großzügigen Intrigantenseele anderes beschlossen. Die vier sollten sterben! – Sofort!
Dieser Gedanke, seine überlegene Intelligenz hier gegen die freche brutale Kraft dieser schwarzen Burschen ausspielen zu können, also wiederum sich zum Herrn über Leben und Tod aufzuschwingen wie ehedem, das gab ihm seine Haltung, sein Selbstbewußtsein wieder!
„Eigentlich hast du recht, Pasco,“ sagte er zu dem Neger. „Es ist schon möglich, daß die beiden Weiber längst mit der Sphinx unterwegs sind … Es hätte also mit dem Bau des Floßes keine so große Eile … Vor achtundvierzig Stunden haben wir nichts zu fürchten. – – Außerdem, ich habe mir’s überlegt, wir werden die Fürstin Sarratow wieder freilassen …! Mag sie eine Verräterin sein, ich verzeihe ihr! Kommt, steigen wir wieder in die Gewölbe hinab …! Suchen wir auch nochmals nach dem Golde! Ungeheure Schätze waren dort vorhanden, Gold in dicken Barren, gediegenes Gold – – Milliarden! So – nun wißt ihr die Wahrheit. Nun helft mir, daß wir das Gold finden …!“
Armaro hatte richtig spekuliert …
Seine Worte fraßen sich in die Herzen dieser armen schwarzen Teufel wie glühende Träume ein – Träume eines märchenhaften Daseins voller Nichtstun und Üppigkeit …
„Exzellenz, – – ist das alles wahr?“ rief Manuel Pasco, und die Augen quollen ihm aus den Höhlen …
„Bei der Heiligen Jungfrau, es ist wahr!“ erklärte Armaro feierlich. „Ich kann euch Millionen schenken – Millionen! Ich kann euch so reich machen, daß kein Wunsch euch unerfüllbar bleibt! Nur – treu müßt ihr sein, gehorchen!“
Und er schritt hochaufgerichtet die Anlegebrücke entlang, über die Uferstraße, dann die breite Freitreppe des Königspalastes empor …
Schweigend folgten ihm die vier …
Und schweigend ging’s hinab in die Gewölbe der Königsburg des toten Mataguma …
Bis vor die schwere Metalltür, deren Riegel Mafalda Sarratow hier für immer festgehalten hätten, wenn nicht Armaro zur Umkehr gezwungen worden wäre …
Und hieran dachte José Armaro, als er nun diese Riegel zurückschob …
Manuel Pasco hielt eine der Laternen, zog die schwere Tür auf … Leuchtete in den Vorraum hinein …
Nichts … leer …
Armaro rief laut Mafaldas Namen … Rief nochmals …
Keine Antwort …
Da trat er ein, winkte Pasco …
„Begleite mich …“
Sie eilten durch die Türöffnung in die eigentliche Schatzkammer …
Standen staunend, – betroffen …
Mafalda war verschwunden …
Diese kahlen Wände boten nirgends ein Versteck …
Pasco fluchte …
„Exzellenz, wo blieb die schwarzhaarige Sennorita?!“
Armaro nahm ihm die Laterne ab …
„Es muß hier einen Ausgang geben, Pasco …“
Seine Stimme war noch heiserer als vorhin …
Er begann die Wände abzuleuchten, diese Granitquadern, die mit gräulichen Bildwerken geschmückt waren.
„Rufe die anderen!“ befahl er. „Helft suchen …! Jetzt bedeutet dieses Weib für uns eine Gefahr, jetzt, wo sie frei ist …!“
Pasco lief zum Eingang …
Fünf tasteten nun die Wände, den Boden ab …
Fünf fuhren zusammen, als mit dröhnendem Knall die Falltür zugeworfen wurde.
Mit ein paar Sätzen war Pasqual an der Tür …
Von außen ein grelles Lachen …
Mafalda …!!
Und dann Stille …
Armaro stand keuchend neben dem Neger …
Sie rüttelten an der Tür … Die Schwarzen drückten mit den muskulösen Schultern …
Lächerliches Beginnen …!!
Armaro rief:
„Mafalda hat den Ausgang gefunden! Auch wir finden ihn!“
Sie … suchten …
Fünf tasteten die Wände, den Boden abermals ab …
Stundenlang …
Mit wachsender Angst …
Die Laternen brannten dunkler. Das Karbid war verbraucht …
Die eine erlosch …
Die andere …
Nur die dritte flackerte noch puffend…
Die vier Neger hatten den an der Wand lehnenden Armaro im Halbkreis umringt …
Ihre Goldgier war verflogen …
„Don Armaro,“ brüllte der Riese Pasco, „Ihr habt uns hier im noch schlimmeres Verderben gelockt … Wir werden verhungern, verdursten …“
Armaro hielt die noch flackernde Laterne … Sein Gesicht lag im Schatten … Einen verächtliches Lächeln umspielte seinen Mund …
„Don Armaro!“ brüllte Pasco, fast erstickt vor Wut und Angst, „ich erwürge euch mit diesen meinen Händen, wenn ihr uns nicht …“
Da – erlosch das gelbliche puffende Flämmchen …
Und – da hatte Armaro auch bereits den einen der Schwarzen beiseite geschleudert …
Er heulte auf vor Schmerz … Armaros Faust hatte ihn unter das Kinn getroffen …
Gellende Schreie …
Pasco hatte Zündhölzer in der Tasche … Ein zweiter der Neger ebenfalls …
Schwacher Lichtschein …
„Nehmt die Revolver!“ kreischte Pasco … „Schießt ihn nieder …“
Und – – das sollten Manuel Pascos letzte Worte in diesem Leben sein …
Der blecherne harte Knall der Repetierpistole wiederholte sich …
Die brennenden Zündhölzer waren den Betrogenen zum Verhängnis geworden. Armaro, ein tadelloser Schütze, knallte sie kaltblütig nieder …
Der dumpfe Krach des letzten zu Boden schlagenden Leibes war kaum in der wieder so unheimlichen Dunkelheit verklungen, als ein anderes Geräusch hörbar wurde, ein metallisches Klirren und Kratzen …
Gleich wurde es wieder still …
Und Stille in der Schatzkammer … Grabesstille …
Vier Tote mit Kopfschüssen, auf den kalten Bodenplatten liegend …
Das Grab der vier Neger. Gerade dort lagen sie, wo vordem die Goldbarren aufgehäuft gewesen – neue Opfer des verderblichen Edelmetalls … –
Armaros brutale Intelligenz hatten gesiegt.
Armaro hatte den Ausgang gefunden, hatte in der Mitte der einen Steinquader die ausgemeißelte, bewegliche Verzierung entdeckt, hatte … geschwiegen, gewartet, bist das Karbid kein Gas mehr hergab und die Laternen erloschen …
Durch den zurückschnellenden quadratischen Stein schlüpfte er in den schmalen Gang, drückte die Felsplatte wieder in die Öffnung.
Sein kleines Taschenfeuerzeug genügte ihm hier … Über Treppen und Leitern gelangte er vor einen zweiten beweglichen Stein – hier einen rauhen, rohen Felsblock, der in eisernen Angeln hing.
Armaro hatte bisher nicht von dem senkrechten Schacht gewußt, in dem die Zickzacktreppe nach oben ins Freie führte … Nichts von diesem Schacht im Felsgefüge am Nordufer des unterirdischen Sees …
Und nun stand er in diesem breiten, dunklen Schlunde … Nur ganz oben schimmerte matter Lichtschein: Tageshelle …
Diesen selben Weg also war Mafalda gegangen, war dann zum Königspalast Matagumas zurückgekehrt und hatte die eherne Tür der Schatzkammer versperrt.
Wo – war sie jetzt?!
Vorsichtig mußte man sein …! Mafalda war heimtückischer als eine Legion giftiger Nattern!
Armaro ergänzte die Patronen im Laderahmen seiner Pistole. Nun hatte er wieder sieben Schuß zur Verfügung … Und – er würde schießen …! Würde nicht eine Sekunde zaudern …!
Doch – wo war Mafalda?!
Armaro schlich aufwärts, Stufe um Stufe …
Und je höher er kam, desto angestrengter lauschte er.
Da oben wütete ein Orkan … Man hörte bis hierher das Heulen der Windstöße, das Toben der Brandung …
Nun hatte er den versteckten Ausgang mitten im Dornendickicht erreicht …
Sand, Steine – ganze Wolken – flogen über das Eiland hin …
Trübe Dämmerung lagerte auf der öden Insel, der grollenden See … Schwarzes Gewölk zog am Himmel dahin … Blitze zuckten auf … Ungeheure Wasserberge rollten von Osten gegen die Insel an … Zerstoben an den Klippen und Riffen …
Armaro lugte über das Dickicht …
Wo war Mafalda …?
Armaro kroch weiter – den schmalen Pfad zwischen den Stacheln entlang …
Wo war Mafalda?
Seine Hand hielt die Pistole umkrampft …
Auch Mafalda sollte sterben … Sie hatte es tausendfach verdient …
Weiter schlich er …
Da war das Wrack des U-Bootes, das einst die Goldbarren aus Kamerun nach Deutschland hatte bringen sollen …
Hinter dem Wrack richtete Armaro sich auf … Hier war er gegen den Orkan geschützt. Hier konnte er wieder Atem schöpfen, den Sand aus den Augen reiben …
Wo war Mafalda …?!
Und dann – er duckte sich schnell wieder – dann hatte er sie erspäht …
Dort am Ufer drüben … – Das war sie … Dort stand sie … Ihre Röcke peitschte der Sturm … Ihre Haare hatte der Orkan gelöst … Und – ihre Hände hatte sie ausgestreckt – – seltsam – ausgestreckt … Nach etwas, das vor ihr sich türmte zum niederen Hügel …
Armaro prallte zurück …
Stierte abermals hin …
Blendwerk der Hölle?! Was bedeutete das?! Der Hügel glitzerte, funkelte, sprühte … Gold leuchtete dort … Edelsteine blitzten auf …
Ein Stöhnen kam aus Armaros keuchender Brust …
Ein Stöhnen unendlichen Jubels. Das Gold – – das Gold – – der Azorenschatz!!
Und hastig kroch er wieder vorwärts – im Bogen hinter Mafalda, die hier durch einen Zufall den durch den Orkan freigelegten Goldhügel Edgar Lomatz’entdeckt hatte …
Diesen Hügel, der nicht nur aus Goldbarren, sondern auch aus all den Kostbarkeiten der Schatzkammer Matagumas gebildet wurde, der noch vor einer Stunde scheinbar nur ein Steinhügel gewesen, den dann eine der wandernden Wassersäulen der äußeren wertlosen Schicht entkleidet hatte …
Und hinter Mafalda erhob sich der Expräsident …
Reckte den rechten Arm vor …
Dann – rief er sie an …
Brüllte, um die grauenvolle Musik des Sturmes zu übertönen …
„Mafalda …!!“
Ah – noch nicht laut genug …!
Sie regte sich nicht … Nein – jetzt bückte sie sich, wühlte mit den Händen in den blitzenden Kleinodien der Azteken …
„Mafalda …!!“
Sie wandte den Kopf …
Lächelte …
„Verräterin – – stirb …!!“
Er drückte ab …
Der feine Flugsand, der in den Mechanismus der Pistole eingedrungen war, behinderte den Schlagbolzen.
Der Schuß versagte …
Und da … hatte die Fürstin Sarratow auch schon eins der goldenen Schlachtbeile aus dem Hügel gerissen, hatte es Armaro mitten ins Gesicht geschleudert.
Eins jener Aztekenbeile, die mit sichelförmiger Schneide und fünfzackiger Spitze versehen sind, die einst zu Zeiten des Cortez ländergieriger Spanier lüsternes Blut in Strömen vergossen …
Fünfzackige Spitze …
Und wahnsinniger Schmerz fuhr Armaro ins Hirn.
Feucht lief sie ihm über die Wangen …
Ohnmächtig taumelte er rückwärts … Aus blutigen Augenhöhlen rann der Sehkraft kostbares Naß in den stiebenden Sand …
Und als wollte eine höhere Macht diese furchtbare Szene als grelle Warnung für die wie erstarrt dastehende Fürstin in gleißendstem Lichte zeigen, – – brach plötzlich die Sonne durch das jagende Gewölk …
Nur Sekunden …
Verbarg sich wieder … –
Mafalda zitterte …
Auch ihre harte, verderbte Seele erbebte bei diesem Anblick des Mannes, der da, des Augenlichtes für immer beraubt, regungslos im Sande ruhte …
Mafalda wandte sich ab …
Über ihre Lippen kam ein sinnloses Gestammel …
„Das – habe ich nicht gewollt … Das … nicht!!“
Abermals flog des Tagesgestirns leuchtender Schein über das Eiland … Mehr und mehr zerteilte sich das Gewölk …
Die Fürstin Sarratow schaute sich um …
Scheu …
Und schritt näher zu dem blinden Bewußtlosen, der einst ihr Geliebter gewesen …
Einen Moment durchzuckte sie der Gedanke, dieses jämmerliche Leben dort vollends durch eine Kugel auszulöschen …
Sie erschauerte …
Und lief zum Wasser hinab, tauchte ihr Taschentuch in die heranrollenden Wogen …
Blieb gebückt … Stierte geradeaus – in die Brandung … Auf die zackigen Klippen …
Ein Boot hing dort …
Ein großes Rettungsboot …
Leer …
Und die nächste Welle hob es herab vom felsigen Riff, trug’s näher dem Strande zu …
Mafalda watete ins Wasser … Mafalda schwamm …
Und bekam das Tau zu packen, das da vorn über dem Bootsrande hing.
So barg sie dieses Geschenk des Orkans, zerrte es dichter an Land, befestigte das Tau an einem Felsblock und watete wieder hinüber …
Ein Blick in das Boot hinein …
Nicht leer …
Ein Mann, langausgestreckt – bleich – triefend von Wasser …
Ein Schiffsoffizier der blauen Jacke nach, ein blondbärtiger Seemann … –
Mafalda wandte sich zurück …
Ihr Antlitz entfärbte sich …
Dort … saß José Armaro aufrecht im Sande …
Betastete mit den Fingern die leeren Augenhöhlen.
Und seine Schmerzensschreie mischten sich in den Lärm der kreischenden Seevögel, die jetzt nach dem raschen Abflauen des Unwetters zu ihren Nistplätzen zurückgekehrt waren …
Etwa um dieselbe Zeit, als die Milliardärsjacht ‚Star of Manhattan’ die Suche nach den beiden anderen Doppeldeckern aufgegeben und Kurs auf die Insel Christophoro genommen hatte, trieb neunzig Meilen östlich der Kleinen Antillen auf den Wogen des Atlantik ein seltsames Fahrzeug – besser zwei durch Taue und Stricke fest miteinander verbundene Wracks zweier … Doppeldecker …
Die Tragflächen, im Orkan geknickt, waren von den Insassen entfernt worden.
Die Gondeln der Flugzeuge, durch die Schwimmkörper über Wasser gehalten, bewegten sich infolge der Zugkraft der surrenden Propeller langsam als Ganzes vorwärts.
Das war das Fahrzeug, das hier auf den Wogen schaukelte und einer im Abendrot der untergehenden Sonne doppelt düster erscheinenden kleinen Felseninsel zustrebte …
Und auf der einen Gondel stand neben Steuermann Georg Hartwich der Hafentaucher von Lissabon, der biedere alte Pasqual Oretto …
Pasqual nahm soeben das Fernglas von den Augen.
„Sennor Hartwich,“ sagte er sehr bestimmt, „ich bleibe dabei, die Insel dort muß neueren Datums sein! Wir haben schon festgestellt, daß sie auf keiner Seekarte verzeichnet ist. Und ich kenne mich doch auf dem Atlantik aus! Hier hat es nie eine Insel gegeben. Hier zwischen den Kleinen Antillen und den Kapverdischen Inseln ist freies Meer. Und jetzt – jetzt sehen wir da mit einem Male ein Felseneiland, das ich auf die halbe Größe von Helgoland schätze, – eine dunkle, unbekannte Insel!“
„Also … eine Geburt des Meeres, ein Produkt vulkanischer Gewalt,“ nickte Steuermann Hartwich. „Im übrigen ist das alles vorläufig sehr gleichgültig. Die Hauptsache, wir finden dort einen Unterschlupf mit unserem traurigen Ding von Propellerdampfer, den jede grobe See uns in den Grund bohren würde …“
Aus der Luke der Gondel tauchte jetzt Ellen Hartwich auf …
„Georg, wie steht’s?“ rief sie ängstlicher Stimme. „Handelt es sich um eine Luftspiegelung oder um eine wirkliche Insel?“
„Sei unbesorgt, Liebling,“ erwiderte Georg und half seiner jungen Gattin vollends nach oben. „Unbesorgt – es ist eine Insel! Freilich, sehr einladend sieht sie nicht aus …“
Von der anderen Gondel da Doktor Falz’ tiefe Stimme:
„Nun, was sagen unsere Seeleute zu dem Eiland dort drüben?“
„Sicher ganz kürzlich erst durch ein Seebeben aus den Tiefen des Meeres emporgehoben, Herr Doktor,“ erklärte Pasqual Oretto. „Weder Hartwich noch ich haben je von der Existenz dieser Insel etwas gehört …“
Inzwischen war das seltsame Fahrzeug der Schiffbrüchigen bis auf hundert Meter an die dunkle Steilküste herangekommen …
„Da – eine Bucht!“ rief Ellen Hartwich. „Dort nach Westen zu – eine breite Einfahrt!“
„Sehr angenehm für uns!“ meinte der Steuermann. „Du hast beinah schon Seemannsaugen, Liebling …!“
„Als Frau einer Wasserratte – kein Wunder!“ – Und Ellen lachte den Gatten glückselig an …
Pasqual und Doktor Falz kletterten rasch wieder in die Gondeln hinab, um den Flugzeugführern Bescheid zu geben, jene Bucht anzusteuern.
Ellen und Georg hatten sich umschlungen, standen regungslos …
„Wirklich gerettet – wie durch ein Wunder!“ flüsterte Ellen träumerisch. „Und dabei war uns der grause Tod so dicht auf den Fersen …“
Hartwich seufzte …
„Was mag aus Gaupenberg geworden sein? Wenn ich nur erst Gewißheit über das Schicksal des dritten Doppeldeckers hätte …!“
„Doktor Falz ist so zuversichtlich, Georg … Und Mela befindet sich doch auf dem dritten Flugzeug. Der Doktor spricht mit solcher Bestimmtheit auch von der Rettung unserer Freunde …“
Hartwich verfolgte jetzt aufmerksam die Einfahrt in die breite Bucht …
„Alles nur schwarzer Fels … Trostlos!“ sagte er leise …
Die Ufer der Bucht traten näher zusammen. Man fuhr wie in einem Kanal dahin …
„Fraglos vulkanischen Ursprungs,“ sagte der Steuermann wieder. „Dort jene glatten Stellen an den Abhängen sind erstarrte Lavaströme. Und dort – ein See, ein Binnensee, Ellen …! Fürwahr, einen besseren Ankerplatz konnten wir kaum finden …“
Gleich darauf hatte man eine der wenigen flachen Uferstellen erreicht. Die Propeller schwiegen, und mit kurzem Bogen legte sich das Doppelfahrzeug an den Felsenrand des Ufers, wurde hier sorgsam vertäut und durch ein Brett, das als Laufplanke diente, mit dem Lande verbunden.
Es war mittlerweile dunkel geworden. Als die Insassen der beiden Flugzeugwracks sich jetzt auf dem schmalen Felsstreifen zwischen See und hochragender Steilwand um Steuermann Hartwich versammelt hatten, erklärte dieser mit gedämpfter Stimme:
„Freunde und Schicksalsgenossen, der Orkan hat uns hier auf eine Insel verschlagen, die niemand von uns kennt und die auch meiner Überzeugung nach überhaupt noch unbekannt ist. Sie liegt in jenem Teile des Atlantik östlich der Kleinen Antillen, der von keiner einzigen Schiffsroute durchschnitten wird und der auch etwa zum Fischfang niemals aufgesucht wird. Es ist deshalb sehr gut möglich, daß eine hier neu entstandene Insel vulkanischen Ursprungs viele Jahre unentdeckt bleibt. Und so wird es sich wohl auch mit diesem Felseneiland hier verhalten. Aber gerade weil die neuesten Seekarten diese Inseln nicht vermerken, müssen wir doppelt vorsichtig sein, da es nicht ausgeschlossen ist, daß Personen von zweifelhaftem Charakter das Eiland hier in aller Stille zu ihrem Schlupfwinkel erkoren haben und jeden Besucher nur als Störenfried betrachten würden …“
Hier wurde Georg von Jakob Worg, dem berühmten Neuyorker Detektiv, etwas ironisch unterbrochen …
„Hören Sie mal, bester Hartwich, Sie sind doch sonst ein sehr nüchtern und praktisch denkender Mann … Wie kommen denn gerade Sie auf diese Vermutungen, hier könnten Piraten, Banditen oder dergleichen fragwürdige Gentlemen sich eingenistet haben?! Diese Vermutung erinnert doch allzusehr an Abenteuergeschichten von vor zwei Jahrhunderten!“
Und auch Pasqual Oretto lachte vor sich hin und meinte:
„Zugegeben, daß die Insel etwas unheimlich wirkt mit ihren schwarzen Felsmassen …! Aber – – Schlupfwinkel von Verbrechern?! Nein, dazu ist sie doch zu abgelegen!“
Selbst Ellen, Georgs tapferes junges Weib, die mit ihm in der Aztekenhöhle dem Flammentode so nahe gewesen, schaute den Gatten verwundert an und meinte:
„Georg, wie in aller Welt kommst du auf diesen beunruhigenden Gedanken, daß wir hier …“
Steuermann Hartwich winkte … Es war eine sehr ernste, energische Handbewegungen …
Ellen schwieg …
Die anderen drängten näher heran. Alle merkten, daß Hartwich irgend etwas Verdächtiges beobachtet haben müsse.
Ein wenig lauter erklärte er:
„Freunde, als wir uns hier dieser Uferstelle näherten, als ich bereits das Tau in der Hand hielt, um als erster an Land zu springen und unser Fahrzeug zu befestigen, da … gewahrte ich drüben am Rande des Steilufers …“ – sein Arm deutete auf drei Felsnadeln, die sich deutlich von dem noch immer leicht geröteten Abendhimmel abhoben – „eine Gestalt … Ob Mann, ob Weib, kann ich nicht sagen, weil die Gestalt einen langen hellen Mantel trug und blitzschnell wieder verschwand. Jedenfalls, wir sind nicht allein auf der Insel! Und wenn dieser Mensch dort nichts zu verheimlichen hätte, dann würde er sich wohl bereits wieder gezeigt haben. Aber im Gegenteil, er sah uns und … machte sich schleunigst unsichtbar.“
Einer der beiden Flugzeugführer rief nun, in dem er auf sein ledernes Revolverfutteral klopfte:
„Sennor Hartwich, suchen wir doch …!“
Der Steuermann beachtete diese Aufforderung nicht weiter, obwohl sie genau so geklungen hatte, als ob der Patalonianer an Hartwichs Mut ein wenig zweifelte.
Er wandte sich an Doktor Falz, den ältesten der Schiffbrüchigen …
„Wären Sie damit einverstanden, daß ich unseren Murat und die beiden anderen Homgoris zunächst einmal die Insel durchsuchen lasse, Herr Doktor?“
Der zottige riesige Murat, der mit seinen Artgenossen sich bescheiden abseits gehalten hatte, trat sofort vor …
In den tiefen Kehllauten, mit denen er das Englische sprach, sagte er sichtlich erfreut:
„Murat wird gehen … Wir klettern besser als Ihr, wir haben feinere Nasen, bessere Augen … Wir haben noch die Pistolen, die uns auf der Insel Christophoro anvertraut wurden …“
Und auch Doktor Falz erklärte:
„Ja, lieber Hartwich, Ihr Gedanke ist gut … Niemand eignet sich besser zu Kundschaftern als unsere drei Homgoris. Im übrigen möchte ich gleich bemerken, daß wir alle uns dahin einigen wollen, Steuermann Hartwich als unseren Führer zu betrachten, daß wir ihm also gehorchen! In unserer Lage, Freunde, kann das Wort von ‚viele Köpfe, viele Sinne’ nur verhängnisvoll werden.“
„Bravo!“ rief der kleine sehnige Worg. „Bravo! Nur keine Zersplitterung der Kräfte – ganz recht!“
Hartwich dankte den Gefährten für diesen Beweis von Vertrauen und besprach dann mit Murat alles Nötige …
„Trennt euch nicht!“ warnte er. „Solltet ihr irgendwie überfallen werden, so gebt Alarmschüsse ab.“
Der intelligente Tiermensch fletschte nach Art seiner Gorillavorfahren die mächtigen Zähne …
„Wir werden vorsichtig sein,“ versprach er.
Aber Tomaso, jener gelbbraune Flugzeugführer, der soeben schon die vorlaute Bemerkung gemacht hatte, sagte jetzt in etwas gehässigem Tone:
„Mein Kamerad Sancho und ich werden gleichfalls die Insel durchschreifen … Wir kennen uns aus mit derlei Dingen … Diese drei … Affen sind doch wahrlich kaum imstande, nachher eine vernünftige Meldung zu erstatten, wenn sie wirklich etwas entdecken sollten …“
Es gab nun gerade für den klugen, treuen Murat keine ärgere Beleidigung, als wenn ihm jemand seine Herkunft mütterlicherseits in so spöttischer Weise vorwarf. Gewiß – seine Mutter war ein Gorillaweibchen gewesen und sein Vater ein Neger, er selbst das unglückliche Ergebnis der verwerflichen Zuchtversuche Doktor Percy Gouldens. Und doch fühlte er sich weit mehr als Mensch denn als Affe, und mit Recht! Dies hatte er ja bereits bei so und so vielen Gelegenheiten bewiesen.
Kaum hatte Tomaso, selbst nur ein Mischling, den letzten Satz beendet, kaum hatte Hartwich ihm mit einem gleichgültigen ‚Tun Sie, was Sie wollen!’ geantwortet, als Murat mit einem einzigen Satz dich vor dem ängstlich zurückprallenden Patalonianer sich aufpflanzte und ihn bei den Hüften packte …
Die ungeheuren Kräfte des riesigen Tiermenschen spielten mit Tomaso Fangball …
Ein gellender Angstschrei …
Tomaso flog in hohem Bogen ins Wasser, verschwand, kam prustend wieder nach oben und schwamm fluchend an Land, wo Hartwich ihn jetzt mit einer scharfen Zurechtweisung empfing …
„Ich verbiete Ihnen, Murat nochmals irgendwie zu nahe zu treten …! Schämen Sie sich! Sie und Ihr Kamerad Sancho hätten alle Ursache, Frieden zu halten! Sie beide sind es wahrlich nicht gewesen, die uns aus dem Orkan retteten …!“
Tomaso lachte schrill …
„Sennor, Sie tun hier, als ob Sie uns etwas zu befehlen hätten …! Wir, Sancho und ich, sind Patalonianer und Soldaten! Wir …“
Da mengte sich Doktor Falz ein …
Seine hohe, ehrfurchtgebietende Gestalt überragte den kleinen Tomaso um mehr als Haupteslänge …
„Sie … werden gehorchen!“ sagte er drohend. „Sie bleiben hier! Die Sache ist erledigt!“
Tomaso hatte sich scheu zusammengeduckt. Dagobert Falz hatte ja stets in seinem Auftreten etwas so Bezwingendes, daß auch der freche Patalonianer diese seltsame Überlegenheit nur zu deutlich verspürte. Er murmelte ein paar unverständliche Worte, winkte seinem Freunde Sancho und setzte sich abseits auf einen Stein. –
Die unangenehme Szene sollte nun später Folgen haben, die kein einziger der hier auf dem schmalen Uferstreifen voraussehen konnte.
Nachdem dann Murat und die beiden anderen Homgoris in einem steilen Felsenkamin verschwunden waren, in dem sie kletternd die Höhe der Steilwand zu erreichen hofften, begaben sich die übrigen Schiffbrüchigen mit Ausnahme Tomasos und Sanchos in die Kabine des einen Flugzeugwracks, um hier seit vielen Stunden wieder die erste Mahlzeit einzunehmen.
Beim Schein einer Laterne saßen Ellen, Hartwich, Doktor Falz, Pasqual und Detektiv Worg um den winzigen Tisch herum und sprachen während der bescheidenen Mahlzeit leise und ernst über die Ereignisse dieses Unglückstages.
Man hatte Jakob Worg bereits in alles eingeweiht, und der Detektiv hatte feierlich strengstes Stillschweigen über den Goldschatz, die Sphinx und die übrigen Geheimnisse, die mit dem Milliardenschatz zusammenhingen, gelobt.
Bange Sorge erfüllte die Herzen all dieser Getreuen um Gaupenbergs Geschick, nicht minder um das der von Mafalda entführten Agnes. Nur Doktor Falz zeigte auch jetzt eine Zuversicht, der er nach einer Weile auch in seiner versonnenen Art Ausdruck gab.
„Freunde,“ sagte er leise, „schon einmal habe ich euch heute erklärt, daß die, die wir lieben, dem Taifun nicht zum Opfer gefallen sind und daß auch unser Liebling Agnes mit uns wieder vereint werden wird. Gerade in dem Moment, wo unsere beiden Doppeldecker fast gleichzeitig in den haushohen Wogen zu verschwinden drohten, gerade da war’s, daß meinen Augen sich wieder wie eine überirdische Fata Morgana ein Bild darbot, dessen Einzelheiten ich nicht voll zu erfassen vermochte. Jedenfalls, ich sah Agnes neben Gaupenberg knien, sah uns im Halbkreis hinter ihnen stehen … Sah auch fremde Gesichter unter uns … Der Raum, in dem wir uns befanden, glich einer Kapelle … – Freunde, sorgt euch also nicht weiter um die, denen die magische Macht des Goldes dornige Pfade vorgezeichnet hat – wie uns allen!“
Und mit einem Blick auf Ellen und Hartwich fügte er hinzu:
„Die Liebe besiegt den Tod! Die Liebe hat euch beide geschützt. Die Liebe ist stärker als der verderbliche Odem, den die goldenen Milliarden aushauchen!“
Dann lehnte er sich in seinen Korbsessel zurück und deckte die Hand über die Augen …
Schweigen herrschte in der engen Kabine …
Von draußen her der verschlafene heisere Schrei einer Möwe …
Und dann … von fern her der schwache Knall mehrerer Schüsse …
Hartwich sprang auf …
„Murat warnt uns!“ rief er atemlos … „Bleibt alle hier … Ich will an Land …“
Er stieg eilends die leichte Eisenleiter hinan …
Ellen folgte ihm …
Niemals hätte sie den Geliebten unter diesen Umständen allein gelassen.
Als Georg Hartwich die Laufplanke betrat, sah er Ellen dicht hinter sich …
Er nickte ihr nur zu …
Inzwischen hatte das Millionenheer der Sterne das nächtliche Firmament in eine glitzernde Glocke verwandelt. Die Dunkelheit war gewichen. Mildes Dämmerlicht breitete sich über die steilen Gestade des kleinen Binnensees aus.
Hartwich suchte mit den Augen die beiden Patalonianer …
„Ah – die Burschen haben also doch ihren Willen durchgesetzt!“ sagte er ingrimmig zu seinem jungen Weibe. „Sie sind verschwunden … Welche Torheit …!!“
Dann lauschte er sekundenlang …
Nur Möwenschreie …
Kein Schuß mehr …
„Warten wir, Ellen …!“
Und Hartwich nahm die Repetierpistole aus der Tasche, spannte sie und flüsterte wieder:
„Ich werde doch recht behalten, Ellen …! Diese Insel beherbergt Leute, die alles andere als harmlos sind. Komm, treten wir dichter an die Felswand heran … Ein Stein von oben würde uns zermalmen.“
So standen sie nun mit dem Rücken gegen das schwarze Gestein, Schulter an Schulter, – zwei Menschen, die schon anderes erlebt hatten als diese ungeklärte Lage hier …! Zwei Menschen, zusammengeschweißt durch gierige Flammen, durch gemeinsame Stunden höchster Todesnot.
Vor ihnen spiegelte sich in dem ruhigen Wasser des Sees in schillernden Pünktchen das ausgestirnte Firmament wider, – vor ihnen war am niederen Felsgestade das Doppelfahrzeug befestigt, das sie glücklich hier an die unbekannte Küste gebracht hatte.
Und in der Kabinenluke der vorderen Gondel tauchte nun der graue Kopf des Doktors auf …
„Was gibt’s?“ rief Dagobert Falz mit gedämpfter Stimme.
„Nichts zu hören …“
„Worg möchte ebenfalls an Land, lieber Hartwich.“
„Es ist besser, er hilft nötigenfalls unser Fahrzeug steuern … Ich werde für alle Fälle die Taue losbinden, damit wir rasch von Land abstoßen können …“
So trat er denn aus dem Schatten der Felswand hervor …
Und – wurde von Ellen wieder zurückgerissen …
Ein mächtiger Felsblock war mit überlautem Getöse dicht neben der Laufplanke aufgeschlagen und zerplatzt.
Ein weiterer folgte schon … Schlug ins Wasser, streifte hier eine Gondel …
„Kappt die Taue!“ rief Hartwich da … „Kappt die Taue!! Weg von Land … Rasch – – rasch!“
Und er nahm Ellen in die Arme, wollte mit langen Sätzen über die Planke …
Taumelte zurück …
„Ein neues Steingeschoß hatte die Planke zersplittert.
Hartwich kehrte um …
Falz hatte bereits die beiden Trossen gelöst … Worg den einen Motor angeworfen …
„Weg von Land – ohne uns!“ befahl Steuermann Hartwich abermals …
Das seltsame Fahrzeug kam in Gang, drehte, glitt davon …
Und hinter ihm neue Steinbomben … Bomben, von denen eine genügt hätte, das Gondeldeck zu durchschlagen … –
Ellen hatte Georgs Arm umklammert …
„Und wir, Georg?!“ rief sie leise …
„Wir hier – sind an diesem Platze vorläufig sicher …“
„Wenn nicht durch den Felskamin die … die Feinde herabklettern, Georg …“
„Das werden wir verhindern … Vorsicht, Ellen … Schritt für Schritt nach links …“
Und so erreichten sie die Stelle, wo in der Steilwand der meterbreite Riß klaffte und sich schräg nach oben zu fortsetzte …
Hartwich beugte den Kopf zurück und lauschte …
Ihm war’s, als vernähme er schwache Geräusche.
Dann auch schon eine tiefe Stimme, tiefe, gedämpfte Kehllaute:
„Murat, Murat kommt …“
Und wie ein Schatten schwang sich der Homgori von Zacke zu Zacke, sprang elastisch zu Boden …
„Was ist geschehen, Murat?“ raunte der Steuermann hastig …
„Nicht alles wissen, Mister Hartwich,“ stieß der Tiermensch keuchend hervor … „Badu und Tigra sind tot – erschossen …“
„Um Gott!“ stöhnte Ellen auf. „Tot – deine Brüder tot?!“
„Erschossen …!“ Murats Augen funkelten grünlich … Sein Gebiß leuchtete. „Ich habe Pistole verloren … Ich entfloh …“
„Berichte genauer, Murat, – alles …“
„Mister Hartwich, nicht viel zu erzählen da … Wir drei kamen nach oben, schlichen durch Felsen hierhin, dorthin … Mit einem Male da ein Garten, Bäume, viel Grün und ein weißes Haus …“
„Garten – – Haus?! – Murat – und dann?“
„Dann kamen von anderen Seite Tomaso und Sancho … Und aus weißes Haus kam ein alter Mann, sprach mit Tomaso … Und Tomaso wollte alten Mann an Kehle packen … Da schoß der Fremde, Mister Hartwich … Und Sancho und Tomaso waren tot … Badu und Tigra liefen vorwärts, wollten zu Hilfe … Mann schoß wieder, traf … Ich weggelaufen, hier zu melden, das große Gefahr … Stolperte, verlor Pistole … Jetzt hier sein …“
„Du sahst also nur einen einzigen Menschen dort … im Garten?“
„Im Garten nur langer fremder Mann … In Haus viele Menschen, Mister Hartwich … Viele Fenster hell, viele Menschen …“
„Männer also?“
„Nicht wissen … Liefen hin und her … Aber Menschen sein …“
Hartwich fragte und fragte. Murat konnte jedoch beim besten Willen nichts weiter angeben.
„Entsetzlich – vier Tote!“ flüsterte Ellen und schmiegte sich an den Geliebten. „Georg, wenn wir nur irgendwie ungefährdet unter Fahrzeug dort erreichen könnten …! Wir müssen fort von hier … Ich ahne, daß unser hier noch Furchtbares wartet …“
Sie zitterte plötzlich, Hartwich spürte, wie sie bebte.
„Ellen – was hast du?!“ meinte er besorgt. „Ellen, es liegt doch gar kein Grund vor, daß du in dieser Weise …“
Da erst sah er, daß ihre Augen starr aufwärts gerichtet waren … Dorthin, wo die andere Uferwand jenseits des Binnensees in zackiger Linie vom Nachthimmel klar sich abhob …
Und dort, gerade an einer ebenen Stelle zwischen zwei spitzen Felskegeln, erblickte nun auch er eine Anzahl heller Gestalten …
Gestalten in weißen, wallenden Gewändern …
Im Kreise sich drehend, sich an der Hand haltend, mit wehenden gelösten Haaren …
Wie … Elften, die zu nächtlicher Stunde einen spukhaften Reigen tanzen …
Spukhaft auch dieses Bild dort …
Und doch vorhanden, so deutlich zu erkennen, keine hundert Meter entfernt …
Zwölf Gestalten … Hier auf der einsamen, unbekannten schwarzen Insel!! –
Und wie die drei hier im Schutze der Steilwand noch staunend hinüberschauten, wie nun auch der Homgori mit röchelndem Baß, den er zu vorsichtigem Flüstern dämpfte, in seiner primitiven Art hervorstieß: „Oh – nur weiße Ladys …!!“ – da kam mit dem von Osten her wehenden Winde ein feiner, leiser Gesang über das Wasser – zarte Frauenstimmen …
Noch gespenstischer wirkte so die rätselhafte Nachtszene – noch unbegreiflicher…
Wuchs zu schreckhaftem Eindruck, als jetzt hinter dem einen Felskegel eine andere Gestalt hervorstürmte, als gellende Schreie den Gesang ablösten und die weißen Elfen droben fluchtartig verschwanden, verfolgt von dem zuletzt Erschienenen, der mit wütenden Armbewegungen hinter ihnen her lief und … gleichfalls verschwand …
Nichts mehr von dem seltsamen Spuk …
Leer der Felsrand …
Und Ellen stöhnte, noch immer bebend:
„Georg, laß uns fliehen …!“
Steuermann Hartwich drückte ihre Hand …
„Fliehen – niemals! Nein, Ellen, jetzt vielleicht können wir hier in dem Kamin emporsteigen … Denn der, dessen Kugeln die vier niederstreckten, dürfte kaum mehr hier über uns lauern …! – Ellen, du bist hier in Sicherheit … Murat und ich werden diesem Manne einen Besuch abstatten …“
„Ich – komme mit!“ – Ellens Stimme duldete keine Absage. „Ich gehöre zu dir, Georg … Ich habe meinen Revolver in der Tasche der Sportrockes …“
Hartwich zögerte …
Und da mit einem Male vom Ufer her Detektiv Worgs klares Organ:
„Hallo – hier bin ich!“
Er entstieg dem Wasser, war mit drei Sätzen neben Hartwich …
Und – kein Steinhagel prasselte mehr von oben herab …
„Sahen Sie, Hartwich?!“ fragte Worg keuchend …
„Alles sahen wir … Wollen Sie uns begleiten? Vier von uns sind tot – erschossen … Jetzt soll die schwarze Insel ihre Geheimnisse hergeben!“
So begannen sie den Anstieg in dem Felskamin … Murat half Ellen … Murat vervielfachte sich …
Ungehindert langten sie oben an …
Schlichen weiter …
Hinab in ein flaches Tal … Bäume rauschten hier, Büsche dufteten in tropischer Pracht …
Und mitten in diesem grünen Garten der schwarzen Insel leuchteten die Fenster eines langgestreckten Hauses mit flachem Dach …
Die Fenster waren offen … Zarte durchsichtige Vorhänge zeigten in einem großen Zimmer tanzende Paare …
Ein Klavier sandte seine vollen Töne in die Nacht hinaus …
Jakob Worg entfuhr ein Fluch …
„Verdammt – bin ich noch bei Sinnen?! Träume ich?!“
Und kaum hatte er’s leise hervorgestoßen, als mit einem Schlage sämtliche erleuchtete Fenster dunkel wurden und die Musik verstummte …
Murats Kehllaute unterbrachen die bange Stille:
„Dort … liegen die Toten …“
Sein behaarter Arm deutete zur Seite … auf ein rundes Rasenstück … Auf einen hellen, mit Muschelkies bestreuten Weg …
Diesen Weg kam eine hohe, hagere Gestalt entlang.
Wieder röchelte Murat, jetzt zähnefletschend:
„Der Mann, der geschossen hat …“
Hartwich und Worg hoben die entsicherten Pistolen.
Und … warteten, was der Unbekannte unternehmen würde …
Sie selbst standen gut gedeckt zwischen den Büschen.
Das Geheimnis der schwarzen Insel … begann erst …
Die Milliardärjacht ‚Star of Manhattan’ durchpflügte in ruhiger Fahrt die im Abenddunkel leicht phosphoreszierenden Wogen des Atlantik.
Sicher und stolz stemmte sie ihren scharfen Bug den heranrollenden Wogen entgegen, glitt wie spielend in die Wellentäler hinab und erklomm ebenso spielend den nächsten Wasserberg. –
Es war etwa um dieselbe Zeit, als auf der schwarzen Insel das Steinbombardement dem Fahrzeug der Schiffbrüchigen beinah zum Verhängnis geworden …
Da standen Mela Falz und der Herzog von Dalaargen ganz vorn auf der äußersten Spitze des ‚Star of Manhattan’ und schauten hinab in den sprühenden, leuchtenden Gischt.
Hand in Hand standen sie …
Zwei Liebende, zwei Glückliche …
Ganz allein waren sie hier. Ihre Körper verschwammen bei dem ungewissen Licht der Tropennacht in eins …
„Wenn man bedenkt, daß dieses Meeresleuchten durch mikroskopisch kleine Tierchen, die zu Milliarden das Wasser beleben, hervorgerufen wird, dann möchte man vor dem Wunderwerk der Schöpfung andächtig die Hände falten …“
Mela sprach’s … Ganz leise, wirklich wie in Andacht versunken …
Dalaargens schmales feines Gesicht näherte sich noch mehr dem des jungen Weibes …
„Liebling, kleine Dichterin …!“
Und lachend bot sie ihm die Lippen – mit einem klingenden Lachen, das aus übervollem Herzen kam.
Der Herzog legte den Arm um ihre Schultern …
„Mela,“ sagte er plötzlich merkwürdig ernst … „Mela, wenn nun plötzlich irgend etwas sich ereignen sollte, wodurch ich scheinbar bloßgestellt würde, wem würdest du glauben?“
Sie schaute ihn an …
„Welche Frage …! Doch nur einem einzigen: Dir – – dir!“
Er seufzte …
„Vielleicht wird diese Prüfung für dich sehr hart werden, Liebling …“
Sie fröstelte mit einem Male – trotz der Glut der Tropennacht …
„Fredy, du erschreckst mich …“ Ihre Stimme war voll unbestimmter Bangnis … „Wie kommst du nur auf solche Gedanken?! Wer sollte wohl gegen dich …“
„Edgar Lomatz …!“ unterbrach er sie … „Edgar Lomatz …! Du kennst ihn … Und – er kennt mich.“
„Ah … Dich?! – Woher?“
„Von einem tollen Reporterstückchen, Liebling … Ich ließ mich zur Zwangsarbeit verurteilen, um das Leben in einer Strafkolonie an Ort und Stelle zu studieren … Außerdem hatte ich eine Wette abgeschlossen, daß ich entfliehen würde …“
Er verzog das Gesicht …
„Ja, ja, Liebling, dein Schatz ist ein toller Patron … – Siehst du, nun machst du schon ein ganz traurig’ G’sichtel … Das sollst du nicht …“
Mela fragte bang:
„Und – und Lomatz war ebenfalls Sträfling?“
„Ja … leider … Er hat mich wiedererkannt …“
„Du fürchtest, er könnte … dich hier anschwärzen – etwa bei Mister Randercild?“
„Er wird es tun, Mela … Wenn die Sache auch an sich bedeutungslos ist, peinlich bleibt es für mich stets, mich verteidigen zu müssen …“
„Allerdings, Fredy …“
„Zumal Lomatz ein durchtriebener Bursche ist und alles aufbieten wird, Randercild gegen mich einzunehmen …“
„Ja – haßt Lomatz dich denn?“
„Wen man fürchtet, den haßt man … Ich war’s, der dafür sorgte, daß er mit seiner braunen Gefährtin Kabinenhaft bekam. Ich war’s, der ihn zwang, einen Beutel fraglos gestohlener Edelsteine mir auszuhändigen. Obwohl ich ihm den Lederbeutel vorhin zurückgegeben habe, hat er mir Kampf bis aufs Messer angedroht … Eine sehr unangenehme Geschichte, das alles …“
Mela wollte die Sache ins Scherzhafte ziehen …
„Du, ein Herzog, – und Lomatz, ein Lump!! Randercild wird ihn gar nicht anhören!“
„Vielleicht doch … Peinliche Augenblicke wird es stets für mich gegen. Ich möchte dem aus dem Wege gehen …“
„Und – wie das?“
„Lomatz … will fliehen. Ich soll ihm dabei helfen.“
„Oh – einem Mörder, einem Verbrecher!!“
„So, also Mörder ist er auch …! Und trotz allem, ich werde ihn laufen lassen, mein Liebling …“
„Du … scherzt, Fredy?!“
„Durchaus nicht … – Ich habe keine Lust, seinetwegen hier den tollsten meiner Streiche preiszugeben. Randercild würde auf die Freundschaft eines früheren Sträflings verzichten … Denn Sträfling bleibt Sträfling, ob schuldig oder unschuldig!“
Das letzte stieß er in so bitterem Tone hervor, daß Mela unwillkürlich seine Hände an ihre unruhig atmende Brust preßte und scheu flüsterte:
„Fredy, sage mir die Wahrheit …! Fredy, ich fühle einen Druck auf meiner Seele, als müßte ich vergehen unter diesen Zweifeln … Fredy, – du wurdest mit Recht verurteilt!“
„Nein!“ Seine Stimme war hart …
Und ein kurzes Auflachen folgte …
„Siehst du, sogar du zweifelst schon an mir – sogar du …!“
Sie blickte ihn fest an … Ihre Gesichter waren dicht beieinander …
„Ich glaube dir …“ Und dann küßte sie ihn …
Sagte wieder: „Ja – mag Lomatz fliehen … Ich sehe ein, es ist besser so!“ – Und nach kurzer Pause: „Wie willst du ihm aber zur Flucht verhelfen, Fredy?“
„Wir beide werden es tun, mein Liebling … In einer Stunde erreichen wir Christophoro … Da – die Positionslaternen werden schon gelöscht … auch alle andere Lichter verdunkelt. Unbemerkt soll sich die Jacht der Insel nähern, wo wir Gaupenbergs Verlobte vermuten und … die Sphinx …“
„Und … Mafalda und den Expräsidenten Armaro, der einst mein Adoptivvater war …“
„Ein Boot wird dann ausgesetzt werden … Der Graf hat uns die einzige Stelle an der Ostküste der Insel näher bezeichnet, wo man landen und Menschen ungefährdet …“
Er schwieg, sein Kopf war herumgeflogen …
Vor ihnen stand Edgar Lomatz …
Das milde Stenenlicht beschien sein freches, höhnisches Gesicht …
„Nun, hat der alte Matrose Jack Evens sich die Sache überlegt?!“ fragte er lauernd. „Ich … hoffe, Herr Herzog …!!“
Er hatte Melanie Falz noch nicht erkannt. Er wußte noch nicht, wer die aus dem wracken Flugzeug geretteten Personen waren. Dalaargen hatte dafür gesorgt, daß ihm dies verheimlicht wurde.
Jetzt aber beugte Lomatz sich plötzlich vor …
Sein Grinsen erstarb …
„Hölle und Teufel …!! Des Doktors Tochter,“ – Und zurückweichend: „Hat sich denn alles gegen mich verschworen?! Wo …“
Der Herzog flüsterte ärgerlich:
„Schreien Sie doch noch lauter, Sie Narr …!! Wollen Sie denn um jeden Preis ins Eisen gelegt werden?! Das kostet mich ein Wort, und …“
Lomatz’ schrilles Lachen platzte dazwischen …
„Immer gemütlich, Herr Herzog … Es kostet Sie ein Wort, und … Sie liegen in Eisen – – Sie!! Nämlich ein verkehrtes Wort …! – Doch – das Gezänk ist mir zuwider … Wie steht’s mit unserer Abmachung?“
Mela Falz stand wie versteinert da …
Die unerhört freche Sprache dieses Elenden ließ all die bangen Zweifel von neuem erwachen …
Ihr Blick glitt über Dalaargens Gesicht hin … Würde Fredy diese unverschämte Drohung schweigend dulden?!
Der Herzog hatte die Lippen zu schmaler Kerbe zusammengekniffen … Seine Augenlider bedeckten die Pupillen fast vollständig … Seine Stimme war unnatürlich rauh, als er nun Lomatz antwortete:
„Ihre schlechten Scherze sollten Sie besser für sich behalten …! – Wir sind uns einig … – Verschwinden Sie! Ich gebe Ihnen rechtzeitig einen Wink …“
Lomatz grinste tückisch …
„Aber – keine Hinterlist, Herr Herzog … Sonst … lebt der alte Matrose Jack Evens wieder auf! Ich … werde mir den Rücken zu decken wissen!“
Dann schlich er davon …
Mela Falz schaute ihm verstörten nach … Was – was hieß das? Evens lebt wieder auf?! Wer war dieser Evens? Hatte etwa Fredy diesen Mann …
Gewaltsam verscheuchte sie diese Gedanken …
Gewaltsam zwang sie sich zu einem leeren Lächeln, als Dalaargen jetzt ihre Hand ergriff und flüsterte:
„Vergiß diese Szene …! Liebling, streiche sie auf deinem Gedächtnis …! Nichts soll unser Glück trüben … Ich … liebe dich ja!“
Und eine so tiefe, wahre Zärtlichkeit zitterte in seiner Stimme, daß Melanie Falz jetzt aufschluchzend ihn umschlang …
„Fredy, Fredy, … Mir … ist … so … bang …! Fredy, wenn …“
Vom Mittelschiff her Josua Randercilds kreischendes Organ:
„Dalaargen – – Dalaargen …!! Wo stecken Sie nur?!“
Der Herzog löste sich sanft aus Melas Armen …
„Bleib’ stehen, Liebling … Randercild soll dich nicht bemerken … Ich komme nachher sofort in deine Kabine …“
Er eilte davon …
„Hallo, Randercild, – hier bin ich … Was gibt’s?“
Der kleine Milliardär zog ihn mit sich fort …
„Christophoro ist in Sicht … Der Mann im Ausguck hat soeben gemeldet, daß auf der Nordseite der Insel ein grelles Licht zu sehen ist, offenbar eine größere Laterne … Graf Gaupenberg ist auf der Brücke … Er will mit uns beraten …“ –
Mela lehnte an der Reling …
Allein war sie jetzt … Dalaargens körperliche Nähe wirkte nicht mehr … Nur diese Nähe, dieses geheimnisvolle Fluidum, das wie ein elektrischer Strom zwischen zwei Liebenden fließt und den Geist gleichsam umnebelt, – nur dieser betörende Einfluß hatte dem jungen Weibe die verzehrende Angst genommen …
Nun aber erwachte all das mit verdoppelter Stärke, was bisher wie ein graues Gespenst in einem Winkel lauernd sich zusammengeduckt hatte …
Zweifel, ganze Wogen von Gedanken …
Und diese Wogen stürzten über die Ärmste her, erstickten sie fast …
Unreine Wogen … Nicht schillernd und leuchtend wie die Wellen des freien, unendlichen Ozeans da unten …
Schwarz wie das Verhängnis …
Heraufbeschworen durch einen Verbrecher: Edgar Lomatz!
Und Melanie Falz stöhnte auf wie ein verwundetes Tier …
Was – was war Fredy Dalaargen?! Wer war’s?! Was wußte sie von ihm?! Wenig – fast nichts! In Taxata war er als Amerikaner aufgetreten, als Reporter … Damals – damals! Und jetzt – – ein Herzog, der … Sträfling gewesen! Würde ein Herzog lediglich aus Abenteuerlust sich einsperren lassen und dann fliehen?! Und – was hatte es mit diesem Jack Evans auf sich?! Dieser Evans schien ermordet worden zu sein – – von wem?! Weshalb hatte Lomatz gerade diesen Namen erwähnt, diesen Mann?!
Und abermals stöhnte Mela Falz unter der Wucht all dieser Gedanken verzweifelt auf …
Fredy Dalaargen – – Herzog?! – Vielleicht ein Hochstapler, ein Verbrecher, sogar ein … Mörder …!
Nein – nein, das kann nicht sein! schrie ihre gepeinigte Seele im gleichen Atemzug. Nein – Fredy belügt mich nicht …! Ich kenne doch die Menschen, die Männer … Ich habe so unendlich viel Trauriges schon erlebt, habe mir eine Menschenkenntnis errungen, die mich Fredy gegenüber nicht im Stich läßt …! Ich tue ihm unrecht, bitter unrecht … Er mag wirklich Geheimnisse vor mir haben … Er wird sie mir offenbaren, genau so wie er mir bereits die Tragödie seiner Familie anvertraut hat … –
So rang Mela sich langsam wieder aus der erstickenden Finsternis des Zweifels zum Lichte gläubiger Zuversicht empor …
Ihr ward leichter ums Herz …
Und ihre Augen suchten nun in heißer reuiger Sehnsucht dort oben auf der dunklen Kommandobrücke die Gestalt des Geliebten …
Bis plötzlich vor ihr aus dem Schatten der Reling eine zusammengeduckte Gestalt sich hochreckte …
Das – – Verhängnis: Lomatz!
„Ein merkwürdiges Wiedersehen hier an Bord der Milliardärsjacht,“ flüsterte er höhnisch. „Wo war’s doch, als ich zum letzten Mal den Vorzug hatte, Ihnen gegenüberzustehen, Fräulein Falz? War’s nicht auf San Miguel nach dem Brande des Observatoriums? Ich denke, ja …“
Melanie empfand diese mit so widerlichem Hohn aneinandergefügten Worte wie schmerzhafte Peitschenhiebe.
Sie ahnte, Lomatz hatte sie und Fredy belauscht, hatte Zärtlichkeiten beobachtet, die ihm über ihr Verhältnis zu Dalaargen die Augen geöffnet hatten …
„Lassen Sie mich allein!“ sagte sie verächtlich und wandte ihm den Rücken.
Ein teuflisches Kichern übertönte das Rauschen der Wellen … „Sträflingsbräutchen!“ raunte Lomatz ihr zu … „Nur nicht so stolz, Fräulein Mela Falz …! Nur nicht so tun, als ob Sie nicht wüßten, daß dieser famose Herzog in Wahrheit ganz anders heißt … In der Sträflingskolonie hatte er die Nummer 827 … Und ich Nummer 823 … In der Baracke standen unsere Pritschen nicht allzu weit voneinander entfernt … – Weshalb ich Ihnen das alles sage?! Nicht wahr – das möchten Sie wissen …! Aus – – Haß, glühendem Haß!! Alle hasse ich, die zu Gaupenbergs Sphinx gehören … Und Sie doppelt und dreifach, weil Sie Doktor Falz’ Tochter sind, der ja an dem bisherherigen Fehlschlagen meiner Pläne die Hauptschuld trägt!“
Mela hatte sich jetzt mit einem Ruck umgedreht …
„Was hatte Dalaargen verbrochen?“ stieß sie hervor …
Sie wollte Gewißheit haben … Sie fühlte, daß ihre seelische Widerstandskraft gegen all die kaum zerstreuten Zweifel erlahmen würde, wenn sie nicht Klarheit erhielt …
„Ah – also doch neugierig!“ grinste Lomatz. „Nun – Dalaargen ist wegen … Giftmordes abgeurteilt worden … Den Ehemann seiner Geliebten, einer Gräfin Torrasita, hat er ins Jenseits spediert … Das ist alles … Nicht viel – – ein kleiner Giftmord … – Eine Bagatelle!!“
Mela war totenbleich geworden …
„Sie … lügen …!“ stammelte sie halb von Sinnen … „Gehen Sie … Gehen Sie – – Sie sind …“
Weiter kam sie nicht …
Hinter der nahen Ankerwinde hatte sich eine Gestalt hochgereckt …: Alfonso Jimminez!
Hatte mit zwei Schritten Lomatz erreicht …
„Lump, deine Stunde hat geschlagen …! Du wirst kein Gift fernerhin verspritzen, jämmerliche Kreatur …!“
Und Jimminez packte zu …
Ein Griff … ein Schwung …
Ein Körper flog in die dunkle See … Ein Schrei verhallte, ward übertönt von dem Gekreisch der Möven, die von der nahen Insel her der Jacht beutelüstern entgegenflogen … –
Mela stierte den Riesen entsetzt an …
Der Geheimagent sagte gleichmütig:
„Sie werden schweigen, Fräulein Falz … Lomatz mußte verschwinden …“
Und dann schritt er davon, überließ Mela einem neuen Ansturm grauer Gespenster …
Wie betäubt stand sie noch minutenlang …
Wankte dann dem Achterdeck zu, tastete sich die Treppe hinab.
In ihrer Kabine warf sie sich auf das schmale Bett.
Und ihr Schluchzen und Weinen erstickten die tränenfeuchten Kissen … –
Edgar Lomatz war sehr bald wieder aus den schäumenden Wogen aufgetaucht. Als guter Schwimmer entledigte er sich zunächst der Kleider und Schuhe.
Ihm war dieser plötzliche Angriff seines einstigen Freundes Jimminez in gewisser Weise recht gelegen gekommen. Er hatte ohnedies die Absicht gehabt, auf eine Befreiung durch Dalaargen zu verzichten, da er sehr wohl in der Ferne die niederen Umrisse von Christophoro bemerkt hatte.
Er sah jetzt, daß die Jacht beigedreht hatte. Er hoffte, eher die Insel zu erreichen als eines der Boote, die ja noch nicht einmal ausgesetzt worden waren.
In gleichmäßigen Stößen schwamm er weiter.
Und zehn Minuten später hatte er auch wirklich jene einzelne große Klippe erklettert, die etwas außerhalb des Riffkranzes von Christophoro und somit auch außerhalb der Brandung lag.
Von der Klippe sprang er in das Binnenwasser und kam auch glücklich ans Ufer …
Erschöpft warf er sich hier zwischen die Felsblöcke …
Also – wieder auf Christophoro!!
Freilich – seine Rückkehr hierher hatte er sich anders vorgestellt …!
Dann dachte er an das Nächstliegende. Er mußte sich verbergen! Wenn die Jacht ein Boot hierher schickte, wenn man vermutete, er könnte lebend die Insel erreicht haben, dann …
Und da – jagte ihn ein jammervolle Schrei von seinem harten Lager auf …
Mißtrauisch blickte er nach dem hohen, zerklüfteten Felsenhügel hinüber …
Dort gewahrte er denn auch undeutlich einen Mann, der auf einem Steine hockte und zuweilen die Arme ausstreckte – etwas rief …
Einen … Namen …
Mafalda … Mafalda, verstand Lomatz …
Mafalda …!!
Und so, wie der Unbekannte dort diesen Namen in die Nacht hinausschrie, klang’s wie ein trostloses Flehen … –
Lomatz schob sich auf allen Vieren vorwärts …
Er kannte José Armaro, den Expräsidenten von Patalonia, bisher nicht … Nie hatte er ihn gesehen … Nur übergenug von ihm gehört und – – gegen ihn intrigiert – – damals auf der Gaupenburg, als Jimminez die Konstruktionspläne der Sphinx für Armaro stehlen sollte …
Er kannte diesen Menschen nicht, hinter den er sich lautlos geschlichen, der immer wieder den Namen der Fürstin kläglich in den Lärm der Brandung hinausschrie …
Er begriff das Verhalten dieses Mannes nicht …
Bis ihm aus den Schmerzenslauten und anderem zur Gewißheit wurde: Der Fremde war … blind!!
Nicht etwa eine Regung des Mitleids ließ Lomatz jetzt neben den Unbekannten treten …
Nein – er wollte erfahren, weshalb der Blinde gerade diesen Namen immer wieder verzweifelt und heiser hinauskreischte …
Lomatz sah das Gesicht …
Fuhr zurück …
Der Mond war soeben über dem Horizont hochgestiegen …
Der Mond beschien das grauenvoll verschwollene Antlitz, die Blutkrusten, die zerstörten Augen …
Selbst ein Lomatz wechselte die Farbe …
Selbst ihm zitterten die Nerven, als er nochmals dieses blutige, vernichtete Gesicht scheu betrachtete …
Dann raffte er sich auf …
„Wer sind Sie?“ fragte er laut und legte dem Fremden leicht die Hand auf die Schulter …
Armaro, der durch Mafalda Geblendete, schnellte empor …
„Eine Stimme – ein Mensch, der meine Pein lindern wird!“ brüllte er im Übermaß unendlicher Erleichterung … „Wenn Sie ein Herz in der Brust haben, holen Sie mir Wasser, kühlen Sie meine Augenhöhlen … Feuer versengt mein Hirn … Ein verruchtes Weib warf mir eine Streitaxt ins Gesicht, führte mich dann an diesen Platz … Seit endlosen Stunden harre ich hier auf Hilfe …“
„Und – wer war das Weib?“ fragte Lomatz hastig.
„Die Fürstin Sarratow …“
„Sie ist noch hier?“
„Ja – an der Nordseite der Insel … Ich wollte dorthin … Ich bin ja blind … Ich stolperte, fiel … Ich …“
„Was tut sie da?“ rief Lomatz jetzt in heller Angst um … den Goldhügel, um sein Geheimnis …
Und Armaro kreischte:
„Gold hat sie gefunden … Edelsteine … Einen ganzen Berg … – Erbarmen Sie sich … Holen Sie Wasser … Sie ahnen nicht, was ich leide …“
Keine Antwort …
Die Brandung rauschte …
Lomatz war lautlos davongeschlichen, ließ José Armaro hier an jener Stelle zurück, wo vor Tagen Gaupenberg und Hartwich auf des Präsidenten Befehl standrechtlich hatten erschossen werden sollen …
Zartes Abendrot färbte den Himmel …
In tausend Meter Höhe schwebte die Sphinx – führerlos …
Auf ihrer Unterseite klaffte ein zackiges Loch. Hier war die Granate des fremden Kreuzers eingeschlagen, hatte ihren Weg durch den Maschinenraum genommen und war dann krepiert.
Das kleine Luftboot sah im Inneren wie ein Wrack aus. Überall hatten die Sprengschüsse des Geschosses die schwersten Verwüstungen angerichtet.
Ein Wunder war’s, daß die Zuleitungen zur Sphinxröhre am Heck und die elektrischen Batterien unversehrt geblieben.
Im Turm lagen, halb bedeckt durch die aus den Angeln geflogene Tür, Agnes Sanden und Gipsy Maad, die Detektivin …
Beide bewußtlos – seit Stunden …
Beide kaum zu erkennen unter der Schicht geronnenen Blutes, das ihre Gesichter mit einer entstellenden Kruste überzogen hatte.
Seit Stunden …
Und nun regte sich Agnes als erste … Ihr blondes, kurz geschnittenes Haar, damals in Lissabon nach der Flucht aus dem Bordell hatte sie ihre prachtvolle Haarfülle geopfert, um als die Hilfe Pasqual Orettos auftreten zu können – dieses köstliche blonde Haar war gleichfalls durchtränkt von rotem Lebenssaft …
Agnes öffnete mit einem tiefen Seufzer die Augen …
Starrte empor … musste sich erst besinnen, wo sie sich befand.
Ihre Erinnerungen an die letzten Stunden waren noch wirr und zusammenhanglos …
Schwerfällig suchte sie sich aufzurichten. Da erst bemerkte sie die doppelte Last, die auf ihr ruhte, die ohnmächtige Gipsy und die Gangtür!
Der Anblick der treuen Gipsy weckte nun ihre Lebensgeister vollends …
Gipsy sah wie eine Tote aus …
Agnes machte sich frei, schob die Tür mühsam zur Seite und legte die junge Amerikanerin behutsam mit dem Kopf auf das herabgefallene Polster eines umgestürzten Sessels.
Taumelnd erhob sie sich … Ihre Willenskraft war stärker als der neue Schwächeanfall …
Auch ihr Gedächtnis lebte auf …
Die letzten Augenblicke, bevor sie durch den Anprall der Tür niedergeschmettert wurde, traten wieder mit unheimlicher Lebendigkeit vor ihre Seele …
Da war ein schlankes Kriegsschiff gewesen – da hatte Gipsy fliehen, die Sphinx jäh emporsteigen lassen wollen … Dann die Granate … und der ungeheure Knall … die aus den Angeln gerissene Tür …
So war’s gewesen … Und Gipsy mußte noch im Umsinken den Auftriebhebel herumgelegt haben … Sonst könnte die Sphinx jetzt nicht in dieser Höhe schweben. Der Sehspiegel dort unter dem noch halb herausgeschraubtent Sehrohr zeigte Agnes das Meer tief, tief da unten – das rosig schimmernde Meer … und den Kreuzer, den Feind …
Agnes erschrak …
Ah – das Kriegsschiff war der mit dem Winde treibenden Sphinx also gefolgt, hatte seine Absichten noch nicht aufgegeben … Und konnte Gaupenbergs Luftboot doch nichts mehr anhaben, hatte die Beschießung aus irgendwelchen Gründen eingestellt. –
Agnes wollte jetzt zunächst Gipsy Maad wieder ins Bewußtsein zurückrufen, deren Brust sich in schwachen Atemzügen kaum merklich hob und senkte.
Es gelang ihr auch, die Ohnmächtige in eine der Kabinen des Achterschiffs zu tragen. Sie legte sie auf das Bett und bahnte sich durch die Trümmer der Zwischenwände mühsam einen Weg nach der kleinen Küche, um Wasser zu holen.
Nachdem sie Gipsy behutsam die Stirnwunde gewaschen und ihr auch das Gesicht gesäubert hatte, kam nun endlich die junge Amerikanerin wieder zu sich.
Aber Gipsys weit widerstandsfähiger Körper überwand die Folgen der Betäubung viel schneller als Agnes.
Gegenseitig versorgten die beiden jungen Mädchen sich ihre Verletzungen. Und die Detektivin verlangte dann sehr energisch, daß Agnes sich vorläufig ausruhe, damit sie nachher wieder völlig frisch sei …
„Vergessen Sie nicht, daß eine von uns stets wachen muß, blonde Gefährtin,“ erklärte sie in ihrer herzlichen und doch so bestimmten Art. „Wir wissen nicht, was alles uns noch bevorsteht … Die Motoren der Sphinx sind zerstört. Wir treiben steuerlos in den Lüften, ein Spielball der Winde … Wir können es nicht einmal mehr wagen, uns auf die Meeresoberfläche hinabzusenken … Unser Luftboot ist nicht schwimmfähig infolge des Granatloches auf der Unterseite …“
Agnes gehorchte.
Gipsy Maad tat noch mehr, suchte aus der Schiffsapotheke ein Röhrchen Tabletten heraus und ließ auch Agnes von dem Medikament nehmen.
„Ich hoffe, daß wir so dem Wundfieber entgehen,“ meinte sie etwas besorgt. „Versuchen Sie jetzt zu schlafen … Ich werde versuchen, die Sphinx inzwischen wieder manövrierfähig zu machen, werde die Antennenmasten herauskurbeln und an ihnen ein paar Segel zu befestigen versuchen. Mir als Wassersportlerin dürfte das nicht weiter schwer werden. Der Wind treibt dann unser Fahrzeug rascher vorwärts, und diese schnellere Bewegung zwingt es, dem Druck des Steuers nachzugeben … – Auf Wiedersehen, Agnes … Ich wecke Sie schon, wenn Sie mich ablösen sollen …“
Nochmals drückte Agnes zärtlich und dankbar die Hand der energischen jungen Amerikanerin.
Sprechen konnte sie nicht … Aber ihre Augen verrieten ihre innigen Empfindungen.
Gipsy strich ihr zart über das Blondhaar hin …
„Also – brav sein und schlafen, ganz brav sein …! Und nicht immer an das traurige Unheil denken, das Sie betroffen hat, liebes Blondchen …! Glauben Sie mir, derartige Schrecklähmungen der Sprache werden ebenso plötzlich wieder behoben. Eines Tages werden auch Sie wieder Ihre Stimme meistern können, Agnes, und dann … wird auch Ihr Verlobter längst wieder mit Ihnen vereint sein …“
Sie verließ die Kabine … –
Oben an Deck spähte sie über die Reling hinweg in die Tiefe …
In wundervollen Farben strahlte der westliche Horizont …
Die Sonne war soeben versunken. Das Abendrot färbte den unermeßlichen Ozean … Und inmitten dieses Farbenrausches schwamm dort unten noch immer der Kreuzer, für Gipsy nur durch das Fernrohr zu erkennen …
Die Detektivin lachte böse auf …
„Du scheinst deine feindlichen Absichten noch immer nicht aufgegeben zu haben …! Nun – die längste Zeit hast du uns verfolgt …!!“
Und ohne jede Rücksicht auf ihre schmerzende Stirn begann sie jetzt zunächst die Segel an Deck zu schaffen, die Gaupenberg bei der Ausrüstung der Sphinx nicht vergessen hatte, da auch er sehr wohl mit der Möglichkeit gerechnet, daß die Motoren einmal versagen könnten.
Auch Tauwerk und alles andere schleppte die Detektivin an Deck.
Erst bei Eintritt der Dunkelheit hatte sie ihr Werk vollendet. Die Antennenmasten trugen Segel, und der frische Abendwind füllte die großen Leinenflächen und trieb die Sphinx mit zunehmender Geschwindigkeit gen Norden …
In dem Führerraum im Turme stand Gipsy Maad.
Ihr pikantes Gesichtchen leuchtete zufrieden auf, als die Sphinx jetzt tatsächlich dem Steuer gehorchte.
Noch waren die Sterne am Firmament nicht erschienen. Und gerade diese Übergangszeit vom Abenddunkel zum Dämmerlicht der Tropennacht benutzte Gipsy, dem Kreuzer zu entkommen.
Die Sphinx stieg bis zweitausend Meter, änderte dann den Kurs und flog nach Nordwest weiter.
Nach einer halben Stunde wagte die Detektivin es dann, nach dem Feinde Umschau zu halten. Die Sphinx senkte sich, ging bis auf dreihundert Meter hinab.
Im Sehspiegel konnte Gipsy nun den Ozean weithin überschauen. Der Kreuzer war verschwunden, hatte fraglos seinen Weg nach Norden fortgesetzt, ohne bemerkt zu haben, daß das Luftboot jetzt nicht mehr lediglich mit dem Winde dahinschwebte, sondern nach Nordwest abgebogen war.
Als Gipsy jetzt nochmals das durch das Sehrohr auf den Spiegel geworfene Bild des wogenden, im Sternenschein flimmernden Meeres ganz genau betrachtete, entdeckte sie am Rande des Bildes ein dunkles Etwas, das nur eine Insel sein konnte.
Sie suchte in dem Stapel von Seekarten, legte eine heraus, beugte sich suchend über den hier dargestellten mittleren Teil des Atlantik, wo sie den Standort des Luftschiffes vermutete – und schüttelte den Kopf …
Eine Insel?! Unmöglich! Hier auf der Karte war keine einzelne Insel an der Stelle, wo nach Gipsys Schätzung sich die Sphinx befinden mußte, eingezeichnet!
Die Detektivin wußte nicht, was sie von diesem einsamen Eiland halten sollte. Ihr ging es nicht anders als den Insassen der zu einem Fahrzeug vereinigten beiden wracken Doppeldecker, die etwa um dieselbe Zeit sich … der schwarzen Insel genähert hatten … –
Gipsy beobachtete den Sehspiegel weiter …
Immer näher kam die Sphinx dem Eiland …
Zog jetzt darüber hinweg …
Die junge Amerikanerin war überzeugt, daß es sich hier nur um ein bisher unbekanntes Eiland handeln könne. Sie sah ja, daß weithin kein zweites zu erblicken war, daß es also unmöglich eine der Kleinen Antillen sein könnte, die vielleicht in Betracht gekommen wären.
Und als sie nun in raschem Entschluß die Sphinx bis auf dreißig Meter hinabgehen ließ, als sie, bereits über der Nordwestspitze der Insel schwebend, das Luftboot am Eingang einer langen Bucht auf einer breiten Felsterrasse glücklich landete, da hatte sie lediglich die Absicht, diese doch fraglos unbewohnte, unbekannte Insel flüchtig zu besichtigen und dann wieder aufzusteigen.
Es lockte sie eben, vielleicht als erste hier den Boden einer doch fraglos durch vulkanische Gewalt neugeschaffenen Insel zu betreten. Sie glaubte in keiner Weise, daß ihr hier irgend eine Gefahr drohen könnte. Und so sanft hatte sie die Sphinx niedergehen lassen, daß sie bestimmt hoffte, Agnes würde durch den leichten Stoß nicht erwacht sein.
Sie stellte den Auftriebshebel völlig nach links. Nun lag das Metallboot wie eine tote Masse im Geröll der Abflachung der Buchtwand. Die Sphinxröhre war ausgeschaltet, und die Erdanziehung machte Gaupenbergs Wunderfahrzeug zu einem reglosen Gehäuse.
Gipsy eilte an Deck …
Schaute sich um …
Die Sterne beleuchtet nichts als schwarze, düstere Felsen und die stillen Wasser der Bucht.
Rasch kletterte die Detektivin an der Außenleiter hinab …
Immerhin – sie wollte vorsichtig sein, nahm die kleine Repetierpistole zu Hand …
Und … stutzte – – horchte …
Waren das nicht Schüsse gewesen, deren Knall ihr der Nachtwind von fern zugetragen hatte?!
Sie lauschte angestrengt …
Nichts mehr … Alles still …
Sollte sie sich wirklich getäuscht haben?!
Sie schüttelte energisch den Kopf …
„Es waren Schüsse!“ murmelte sie … „Nun – ich bin gewarnt … Die Insel scheint doch nicht ganz geheuer!“
Sie hatte sich nur zehn Schritt von der Sphinx entfernt …
Sie schaute nochmals mißtrauisch in die Runde …
Und – – war mit drei Sätzen wieder an der Leiter.
Turnte empor …
Duckte sich hinter den noch unversehrten Teil der Reling …
Zwei helle Gestalten hatte sie dort zwischen den Felsen bemerkt …
Wartete nun, beobachtete …
Staunte …
Traute ihren Augen nicht …
Zwei schlanke Frauen in dünnen wallenden Gewändern eilten auf die Sphinx zu …
Ihre gelösten Haare flatterten hinter ihnen her.
Um die Stirn trugen sie einen breiten, goldig schimmernden Reifen, in dem rote Steine blitzten und funkelten … –
Die Detektivin war so sprachlos über dieses unvermutete Auftauchen zweier so phantastisch gekleideter Europäerinnen, daß sie erst wie aus einem Traume erwachte, als die beiden zur Reling emporriefen:
„Kommen Sie mit uns …! Kommen Sie …! Sie sind auf der Insel der Glückseligkeit gelandet! Himmlische Freuden erwarten Sie …! Preisen Sie sich glücklich, daß Inez und ich die Landung Ihres Luftschiffes bemerkt haben …! Kommen Sie …! Zögern Sie nicht!“
Gipsy Maad war als Detektivin eine etwas romantisch veranlagte Natur. Der abenteuerliche Reiz des Detektivberufes hatte sie seinerzeit veranlaßt, in Jakob Worgs berühmtes Institut als Elevin einzutreten. Anderseits war sie jedoch auch ein sehr kühler, klarer Kopf.
Hier aber glaubte sie jetzt wiederum das Opfer einer Sinnestäuschung zu sein, fürchtete, daß vielleicht plötzlich das Wundfieber in ihren Adern glühte und in ihrem Hirn Spukgestalten hervorrufe.
Denn – die Worte dieser Frau dort unten waren ja genau so rätselhafte wie diese beiden phantastischen Gestalten selbst! Insel der Glückseligkeit?! Himmlische Freuden?! Was bedeutete das alles?!
Da rief die Unbekannte abermals:
„Was zögern Sie?! Begleiten Sie uns zum Palaste Salomonis …! König Salomo, Beherrscher aller Geister, wird Sie freudig willkommen heißen …!“
Gipsy hatte sich nun doch so weit gefaßt, daß sie das Tatsächliche dieser Begegnung mit den beiden fremden Mädchen erkannte.
Sie richtete sich hinter der Reling auf.
„Wer sind Sie?“ fragte sie gleichfalls in englischer Sprache. „Und – wo befinde ich mich hier? Wie nennt man diese Insel mit ihrem richtigen Namen?“
Das andere Mädchen, der das prächtige blauschwarze Haar bis zu den Hüften herabhing, erwiderte mit einem merkwürdigen Lachen:
„Wer wir sind?! – Sie würden es ja doch nicht glauben, Fremde! Nun – ich bin Inez, die Blume der Nacht … Nachtschwarz ist mein Haar … – Und meine Freundin hier, deren blonde Flechten an das reife Korn erinnern, ist Marion, die Kornähre … – Die Insel aber, nun – sie hat nur einen Namen: Insel der Glückseligkeit! – Kommen Sie jetzt … Wir müssen zurück zum Palast … Fürchten Sie nichts … Wir wohnen hier zu fünfzehn auf der Insel, alles verzauberte Blumen … Nur unser Herr und Gebieter leistete uns hier Gesellschaft …“
Ein seltsamer Verdacht stieg da plötzlich in Gipsy Maad auf. Sie wußte, daß irgend eine der Antilleninseln als Verbannungsort für Aussatzkranke eingerichtet worden war …
Sollte sie etwa auf dieser Insel der Aussätzigen sich befinden?! Wollten etwa diese Mädchen sie, die Gesunde, mit tückischer List der Gefahr einer Ansteckung der entsetzlichen Krankheit absichtlich preisgeben?!
Schon wollte sie in den Turm hinabeilen und die Sphinx wieder aufsteigen lassen, als die schwarzhaarige Inez mit demselben merkwürdigen Lachen zu ihrer Gefährtin sagte:
„Gehen wir, Marion … Diese Närrin da oben ahnt ja nicht, was sie verliert …! Gehen wir!“
Und sie nahmen sich bei der Hand und liefen leichtfüßig davon – verschwanden wieder zwischen den Felsen, woher sie gekommen … –
Gipsy flüsterte, noch ganz verwirrt von dem soeben Erlebten:
„Nein – diese Insel kann nicht zu den Kleinen Antillen gehören, kann also auch nicht die Insel der Aussätzigen sein …!“
Und etwas ärgerlich über sich selbst, über ihre wahrscheinlich doch überflüssige Angst vor diesen Mädchen wollte sie jetzt abermals die Sphinx verlassen und den beiden hellen Gestalten folgen.
Sie bückte sich, erreichte die erste Leitersprosse, kletterte hinab, sprang in das Geröll und drehte sich um …
Fuhr mit leisem Schrei zurück …
Vor ihr stand ein hagerer Greis in einem langen dunklen Mantel …
Das grauweiße üppige Haupthaar trug er frei zurückgestrichen. Es reichte ihm bis auf die Schultern hinab. In dem bärtigen, gebräunten Gesicht glühten ein paar starre übergroße Augen.
Regungslos schaute er Gipsy Maad an … So durchdringend, daß ihr ein Frösteln über den Leib lief …
„Komm, meine Tochter!“ sagte er dann freundlich und doch gebieterisch. „Komm, ich will dich in meinen Palast führen, in die Gefilde der Seligen …!“
Und er streckte die Hand aus, ergriff Gipsys Handgelenk und zog sie mit sich fort.
Die Detektivin sträubte sich …
Ihre rechte Hand war frei …
Trotz eines eigentümlichen Angstgefühls rief sie schrill und drohend:
„Lassen Sie mich …! Ich bin nicht unbewaffnet …!“
Der Hagere starrte sie an …
„Ah – auch eine von denen, die den Frieden dieser Insel mit Gewalt stören wollen!“ meinte er verächtlich.
Und dann – schlug er Gipsy die Waffe aus der Hand, umkrallte ihren Hals …
Sein dämonisch verzerrtes Gesicht war ganz nahe
Gipsy … wurde vor Entsetzen ohnmächtig, sank dem Hageren bewußtlos in die Arme …
Und auf einer anderen, uns längst bekannten Insel nahm ebenfalls das große Drama des Goldschatzes der Azoren seinen Fortgang …
Hier auf dem brandungumrauschten Christophoro war’s noch heller Tag … Hier hatte die Fürstin Sarratow soeben das große Rettungsboot glücklich geborgen, hatte in diesem modernen, doppelwandigen Kutter, dessen Außenplanken vielfach eingedrückt waren, den jungen blondbärtigen Schiffsoffizier entdeckt, der regungslos auf dem Boden des Kutters halb im eingedrungenen Wasser ruhte.
Mafalda schaute nochmals zu dem unglücklichen geblendeten Armaro hinüber, der wimmernd und stöhnend im Sande saß …
Einen Augenblick regte sich wieder das Mitleid in ihrem verderbten Herzen …
Nur einen Augenblick …
Denn dort, kaum sechs Meter weiter, funkelte und gleißte der ungeheure Schatz, dieser Hügel von Gold und Juwelen, den die Strurmstöße des Orkans freigelegt hatten …
Ein Schatz, wie er vielleicht an einer Stelle noch nie aufgehäuft gewesen … Nicht nur die Goldbarren, die einst im U-Boot nach Deutschland hatten geschafft werden sollen …! Nein – auch der Inhalt der Gewölbe des Königspalastes des unterirdischen Aztekenreiches …! Mehr als Milliarden, – unschätzbar, unermeßliche Reichtümer …!
Und diese Pyramide von schier unfaßbaren Werten ließ in Mafaldas Seele das schwache Flämmchen einer weicheren Regung sofort wieder erlöschen.
Im Nu stand der Plan, den Schatz nun endlich für sich allein zu erringen, in allen Einzelheiten fest. Eine Abenteurerin wie die Fürstin Sarratow wußte ihre Situation auszunutzen.
Armaro?! Was ging Armaro sie noch an – eine gestürzte Größe, Expräsident, ein treuloser Schurke! Hatte er nicht ohne jedes Erbarmen sie dort in der Schatzkammer dem Hungertode preisgeben wollen?! War’s nicht lediglich ein Zufall gewesen, daß sie den geheimen Ausgang gefunden, und hatte nicht Armaro sie hinterher hier am Strande heimtückisch niederschießen wollen?! War’s nicht Notwehr gewesen, daß sie die goldene Steinaxt ergriffen und diese ihm ins Gesicht geschleudert hatte, als seine Waffe versagte?!
So beruhigte sie ihr Gewissen – diesen kärglichen Rest von Gewissen …
Dann schritt sie auf den Unglücklichen zu …
Er hörte ihr Nahen, rief flehend:
„Mafalda, hab Erbarmen … Mafalda, um mich her ist Nacht … Bin ich blind, wirklich blind …?!“
Und diese letzten Worte kreischte er in solcher Ekstase von Verzweiflung, daß die Fürstin erbleichte …
Sie mußte sich mit aller Gewalt dazu zwingen, ganz nahe an ihn heranzutreten … Sie mußte, halb verstört durch den Anblick dieses entstellten, blutigen Gesichts, nach Worten suchen, um ihren Zweck zu erreichen …
„Ich werde dich in den Schatten des Felsenhügels führen, José,“ sagte sie mit seltsam rauher Stimme. „Komm, gib mir deine Hand … Ich werde deine Augen kühlen … Sie sind nur stark entzündet …“
„Ist … das wahr?!“ rief er stockend. „Die Augen … sind … nicht … ausgelaufen, Mafalda?!“
„Nein, José … Komm jetzt. Die grelle Sonne schadet dir …“
Sie half ihm auf die Füße …
Was war aus diesem Manne geworden, der noch vor kurzem sich Herr über Leben und Tod dünkte?!
Taumelnd tastete er sich mit unsicheren Füßen hinter Mafalda her, ein Blinder, ein vom Schicksal Gezeichneter …!
Wie ein Kind wimmerte er … Wie ein Kinn lallte er törichte Worte einer Reue, die hier zu spät kam …
Mafalda fand sich immer mehr zu sich selbst zurück.
Ihr Herz wurde hart … Ihre Gedanken waren bei dem blonden Seemann dort in dem großen Rettungsboot … Wenn er am Leben blieb, wenn er aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte – nun gut, dann sollte er ihr helfen, die Schätze zu bergen, dann würde sie ihn für ihre Zwecke ausnutzen wie schon so viele andere vor ihm … Dann würde sie ihn später beiseite schieben – so oder so … Wie alle die, denen die lohenden Sinne den Verstand verdunkelt, die blind gewesen und nicht geahnt hatten, daß einer Mafalda Sarratows Zärtlichkeiten stets das Gift der Treulosigkeit in sich trugen. – Und – starb dieser Seemann, dann würde sie auch allein Christophoro verlassen können. Sie traute es sich sehr wohl zu, den Kutter zunächst nach der mittleren der drei Robigas-Inseln hinüberbringen zu können. Dort auf Mala Gura würde sie schon für sich und die Schätze ein vorläufiges Versteck finden. Dort würde sie abwarten bis Gaupenberg die Suche nach dem Azorengold eingestellt hätte …
Ihre schweifenden Gedanken zeigten ihr eine lockende Zukunft … Im Besitz dieser Reichtümer konnte sie dann auch das vollenden, was in ihrer Seele niemals erlöschen würde: Ihren Haß gegen Agnes Sanden, die ihr jetzt abermals entschlüpft war!
Nun – neben ihr schritt der blinde Armaro …
Wimmernd, klagend …
Schritt neben ihr als lebendige Warnung, die sie hätte begreifen sollen! Auch Armaro war jählings von den Höhen seines verbrecherischen Machtdünkels abgestürzt in die tiefsten Tiefen menschlichen Elends!
Aber die Fürstin Sarratow verstand diese Warnung nicht … War verblendet genug, auch weiterhin um den Goldschatz der Azoren zu kämpfen, der doch bisher allen – allen verhängnisvoll geworden, die kein Recht auf ihn hatten … –
Der Felsenhügel an der Südostküste war erreicht.
Mafalda führte Armaro zu einem flachen Stein …
„Setz’ dich, José … Ich werde nun Wasser holen.“
„Verlaß mich nicht!“ schrie er auf. „Mafalda, verlaß mich nicht …“
Er hörte flüchtige Schritte …
Die Fürstin hatte die Hände gegen die Ohren gepreßt … Sie wollte taub sein … Sie lief eilends von dannen, zurück zur anderen Seite der Insel …
Und der unglückliche Armaro wartete … Stunden … endlose Stunden … Brüllte immer wieder Mafaldas Namen …
Und als die Nacht sich herabgesenkt hatte, da … fand Edgar Lomatz den geblendeten Mann … Auch er … hatte kein Erbarmen nicht ihm. Auch ihn lockte das Gold … – Nur das Gold … –
Mafalda sah schon von weitem, daß der blonde Schiffsoffizier jetzt aufrecht im Boote saß …
Also war er doch erwacht, doch dem Leben wiedergegeben worden … Nun, sie würde an ihm ein willfähriges Werkzeug finden! Welcher Mann hätte ihren Reizen wohl widerstanden – keiner, keiner!
Sie mäßigte ihre Eile, ging langsamer auf das Boot zu …
Der blonde Fremde strich sich das nasse Haar aus der Stirn und schaute die Fürstin aus blauen Augen prüfend an. Es waren jene blauen, leuchtenden Augen, wie man sie so oft unter den Bewohnern der friesischen Inseln findet. – Seltsam – etwas Schalkhaftes, Vergnügtes war in dem Blick, der die Fürstin taxierend überflog …
Und ehe Mafalda den jungen Seemann noch ansprechen konnte, rief er ihr schon zu:
„Verzeihen Sie, meine Gnädige, daß ich so unhöflich bin und hier in dieser Sitzbadewanne. Platz behalte …“
‚Ah – ein Deutscher!’ dachte Mafalda. ‚Desto besser! Die sind am leichtesten zu umgarnen, diese Kinder des braven dummen Michel!’
Der Fremde hatte schon hinzugefügt: „Ich fühle mich doch noch etwas schwach, meine Gnädige … Kein Wunder! Der Tod ist verdammt dicht an mir vorübergegondelt … Unser schöner Frachtdampfer ‚Amsterdam’ liegt samt der ganzen Besatzung auf dem Grunde des Atlantik. Ich allein bin mit dem blauen Auge weggekommen. Im übrigen heiße ich Gerhard Nielsen und bin bis vor einigen Stunden erster Steuermann der ‚Amsterdam’ gewesen.“
Mafalda behagte der leichte, ein wenig spöttisch überlegene Ton dieses Herrn Nielsen nicht ganz. Sie hatte erwartet, daß er ihrer äußeren Erscheinung etwas mehr Aufmerksamkeit schenken würde. Sie vermißte an ihm völlig jene diskreten Huldigungen, mit denen ihr bisher alle Männer ohne Ausnahme gegenübergetreten waren.
Er hatte sich jetzt doch im Boote aufgerichtet und schaute an seinen triefenden Kleidern hinab …
„Nun – sehr salonfähig sehe ich nicht gerade aus, meine Gnädige …,“ sagte er mit einem übermütigen Lächeln. „Schadet nichts! Die Hauptsache, der Inhalt der Kleider ist heil – die verehrten eigenen Knochen!“
Und behutsam stieg er ins Wasser und watete an Land, pflanzte sich vor Mafalda in seiner respektablen Länge auf, klappte die Hacken zusammen und verneigte sich …
„Also Nielsen heiße ich, meine Gnädige … Der Name klingt dänisch. Ich bin jedoch Deutscher – mit Leib und Seele …“
Und endlich kam auch Mafalda zu Wort.
Sie streckte Nielsen die Hand hin …
„Wir sind Leidensgefährten … Auch ich bin hier gestrandet …“
Er drückte ihre Hand …
„Anscheinend aber trockener als ich, meine Gnädige,“ sagte er immer in demselben etwas burschikosen Tone. „Wenigstens sehen Sie durchaus nicht nach einem nassen Bade aus …“
Er gab ihre Hand frei …
Überraschung verrieten die blauen Augen … Er hatte den Goldhügel bemerkt …
„Was ist denn das dort?!“ fragte er staunend. „Das sieht ja wie ein Piratenschatz aus …!“ Und ohne weiteres ging er die wenigen Schritte, stand still, blickte zu den funkelnden Reichtümern hinab und schüttelte den Kopf …
„Unglaublich! Gold, Edelsteine!! ‘ne ganze Menge – allerhand Achtung! – Wem gehört denn dieses nette Häuflein?“
Seine klaren Augen ruhten auf Mafaldas Gesicht …
„Mir!“ erwiderte sie kurz …
Dieser Gerhard Nielsen mißfiel ihr immer mehr …
„So, – Ihnen, meine Gnädige … – Verzeihen Sie – mit wem habe ich die Ehre?“
„Fürstin Sarratow …,“ erklärte Mafalda ebenso kurz.
Auch der Titel imponierte ihm nicht im geringsten … Er verbeugte sich nur, meinte mit einem merkwürdigen Lächeln:
„Eine peinliche Lage für Sie, Fürstin … Diese Insel ist nichts für eine Dame der Gesellschaft. Christophoro heißt dieser Sand- und Steinhaufen … Angesichts der Insel ging die ‚Amsterdam’ unter … – Und Ihr Schiff, Fürstin?“
„War eine Segeljacht …“
„Sie haben hier also wirklich ebenfalls Schiffbruch erlitten? Ihre Garderobe widerspricht dem eigentlich. Haben Sie denn hier trockenen Fußes landen können?“
„Ja – vor dem Sturm, Herr Nielsen. Der Taifun hat dann meine Jacht entführt. Ich sah sie sinken …“
„Und Sie sind ganz allein auf der Insel?“
„Ja …“
Er schaute sie wieder an …
„Und – das metallene Zeug, dieser Berg Gold?“
„Ein Piratenschatz, wie Sie ganz richtig errieten … Ich wollte ihn mit meiner Jacht abholen …“
„Eine recht lohnende Arbeit,“ nickte er schmunzelnd. „Wie wußten Sie denn, Fürstin, daß hier eine solche Unmenge Mammon aufgestapelt ist?“
„Ein reines Verhör, Herr Nielsen!“ Das sollte scherzhaft klingen. Aber Mafaldas Stimme machte die Komödie zu einem dilettantenhaften Täuschungsversuch.
„Durchaus nicht, Fürstin. Wenn zwei Menschen wie wir hier auf einem entlegenen Eiland aufeinander angewiesen sind, dann soll zwischen ihnen auch volle Ehrlichkeit herrschen. Entschuldigen Sie, ihre Geschichte klingt nicht recht glaubwürdig!“
Sie grub die Zähne in die Unterlippe …
So wie dieser Mann hier war ihr noch keiner begegnet – vielleicht nur der stämmige Georg Hartwich, auch einer von der … Waterkant, auch so ein ehrlicher täppischer Bär …!!
Und doch – was sollte sie tun?! Dieser Gerhard Nielsen mußte für ihre Pläne gewonnen werden – mußte! Sie konnte ihn nicht entbehren. Sie erkannte nur zu gut, daß sie sich vorhin überschätzt hatte, als sie annahm, sie würde den großen Kutter ganz allein nach Mala Gura steuern können. Die See ging noch immer sehr hoch. Und der Kutter war beschädigt, war viel zu lang, um von einer einzelnen Person beherrscht werden zu können … –
Sie erwiderte seinen Blick jetzt ebenso ehrlich … Das heißt, sie versuchte es …
Sagte rasch: „Herr Nielsen, mit diesem Schatze hier hängt ein Geheimnis zusammen, über das ich nicht sprechen darf. Ich will Ihnen nur anvertrauen, daß auch andere Leute von dem Vorhandensein dieses Goldes und der Juwelen hier auf Christophoro erfahren haben, und das ich sogar mit deren baldigem Eintreffen hier rechne. Ich bitte Sie daher, mir zu helfen, das Gold und die Juwelen in den Kutter zu laden und vorläufig nach der Nachbarinsel Mala Gura hinüberzusegeln. Die Sonne sinkt bereits. In zwei Stunden wird es dunkel. Helfen Sie mir … Beeilen wir uns …“
Nielsen nickte. „Gewiß, ich helfe Ihnen … Hätten Sie mich aber weiter zu täuschen versucht, so würde ich untätig geblieben sein. Daß Sie Ihr Geheimnis für sich behalten wollen, begreife ich. Jeder Mensch hat Geheimnisse. Auch ich. Freilich handelt es sich bei mir nicht um Milliarden …“
Er lächelte wieder und zeigte unter dem blonden Schnurrbart seine tadellosen weißen Zähne.
Was er … dachte, verschwieg er …
Diese angebliche Fürstin mußten ihn für einen blinden Dummkopf einschätzen. Welchem Manne, der ein paar Augen im Schädel hatte, konnten hier wohl die frischen Spuren von Männerstiefeln entgehen?! Und – dort unter der dickblättrigen Kaktee lag eine Repetierpistole … Dort wieder Blutstropfen auf den Halmen des Strandgrases …!!
Jedenfalls, Gerhard Nielsen wußte Bescheid! Und richtete sich danach. – ‚Wie du mir, so ich dir …!’ beschwichtigte er sein Gewissen. ‚Im übrigen kannst du mir noch so verliebte Augen machen, schöne Fürstin, ich bin gefeit!’ –
Und laut zu Mafalda:
„Ich werde mir zunächst mal den Kutter genau ansehen, Fürstin. Inzwischen können Sie ja bereits beginnen, das Zeug da“ – und er deutete auf den goldenen Hügel – „ganz dicht ans Ufer zu schaffen …“
Mafalda war noch immer nicht mit sich einig, ob der blonde Hühne diese Gleichgültigkeit gegenüber solch unermeßlichen Reichtümern nur heuchelte.
Um ihn auf die Probe zu stellen, sagte sie herzlich:
„Es ist wohl selbstverständlich, Herr Nielsen, daß Ihnen ein Teil dieses Schatzes gehört. Ihre Dienste sollen nicht unbelohnt bleiben.“
Nielsens frisches, heiteres Gesicht war plötzlich eisig ablehnend und hochmütig geworden …
„Ich arbeite hier nicht gegen Bezahlung,“ meinte er. „Dieser gleißende Kram da hat für mich genauso viel Wert und Reiz wie ein Haufen fauler Möveneier. Ich bitte Sie, das Verhältnis zwischen uns nicht zu verschieben. Was ich tue, tue ich als … Gentleman.“
Und langsam schritt er zum Ufer hinab und watete dem Kutter zu.
Nachdem er das große Boot leergeschöpft hatte, prüfte er, ob es leckte. Aber nur die Außenwandung war beschädigt, allerdings sehr stark. Auch ein Ausflicken dieser Stellen verzichtete er, obwohl in den luftdichten Kästen am Bug sich auch Handwerkszeug befand.
Während er dann den vom Sturm geknickten und von den Wogen fortgestülpten Mast durch den Stamm eines schlanken Bäumchens ersetzte, während er wiederholt sich ein Stück entfernte, um andere notwendige Teile der Takelage aus Holz herzustellen, hielt er stets mißtrauisch nach jenem Manne Ausschau, dessen Spuren er rund um den Goldhügel so vielfach bemerkt hatte.
Inzwischen war es ihm auch gelungen, die im Sande liegende Repetierpistole heimlich zu sich zu stecken. Das Bewußtsein, jetzt eine Waffe zu Verfügung zu haben, gab ihm ein Gefühl erhöhter Sicherheit.
Mafalda hatte sich bei ihm sehr höflich entschuldigt.
Sie habe sich nur im Ausdruck vergriffen. Er möge ihr diese Entgleisung nicht weiter nachtragen. – Mit einem Scherzwort war er darüber hinweggegangen. Die Fürstin erkannte immer mehr, daß dieser Nielsen über Umgangsformen und eine gewisse nachlässige Selbstverständlichkeit verfügte, wie man diese sich nur durch steten Verkehr in ersten Gesellschaftskreisen aneignet. Sie begann zu ahnen, daß Gerhard Nielsen aus sehr guter Familie stammen müsse und den Seemannsberuf wohl lediglich aus Neigung ergriffen habe. –
Nielsen hatte in anderthalb Stunden den Kutter segelfertig. Die Reservesegel des großen Rettungsbootes hatten vorn in einem der luftdichten Kästen gelegen. Er war mit seinem Werke zufrieden.
„Wir könnten es getrost wagen, selbst nach den Azoren zu steuern, Fürstin,“ erklärte er, als die Sonne gerade in den Fluten untertauchte. „Nur Trinkwasser und Proviant fehlt uns. Das beides ließe sich vielleicht auf Mala Gura beschaffen.“
„Beginnen wir also mit der Verfrachtung des Goldes,“ meinte Mafalda ein wenig hastig. „Wir müssen uns beeilen … Ich fürchte, daß meine Konkurrenz uns sonst hier noch überrascht.“
Nielsen verbeugte sich. „Ihr Wunsch ist mir Befehl, Fürstin … Benutzen wir meine Jacke als Rucksack … Indessen können Sie ja so viel Goldbarren ins Boot schaffen, als sie zu tragen vermögen – in ihren zarten Händen!“
Es war die erste Schmeichelei seinerseits. Mafalda quittierte darüber mit einem vielverheißenden Lächeln.
Während sie nun den Kutter beluden, fragte Nielsen, ob die Fürstin auch genau die Stelle wüßte, wo man ungefährdet durch die Brandung käme. –
Mafalda beschrieb ihm die große Klippe an der Nordseite …
„Dort können wir ganz bequem die Riffkränze passieren, Herr Nielsen … Ich bin nicht zum ersten Male auf Christophoro …“
Er verstaute eine neue Schicht Goldbarren auf dem Boden des Kutters …
„Vorhin erkannte ich da mehr nach der Mitte des Eilandes hin ein Wrack,“ sagte er und nahm Mafalda vier neue Barren ab.
„Das Wrack eines U-Bootes, Herr Nielsen …“
„Ah – nicht möglich! Das muß ich mir ansehen …“
Mafalda erschrak …
Wenn Nielsen den blinden Armaro bemerkte, war alles verloren … Bisher hatte er sich nie so weit entfernt, daß sie mit dieser Gefahr hatte rechnen müssen …
„Später, Herr Nielsen …,“ meinte sie bittend. „Es wird immer dunkler … Und jede Minute, die wir hier jetzt unnütz vergeuden, kann uns den Feind über den Hals bringen …“
„Was schon stimmen mag, Fürstin,“ erwiderte er nur …
Und dachte: ‚Sie will mich nicht dorthin lassen … Vielleicht hat sie den Mann erschossen, dessen Spuren ich sah … Vielleicht hat sie die Leiche dort verscharrt.’
Und er nahm sich vor, kurz vor der Abfahrt die Fürstin Sarratow zu zwingen, ihm endlich die volle Wahrheit einzugestehen. –
Eine Stunde darauf war der Riesenschatz im Kutter sorgsam untergebracht. Das Boot lag jetzt sehr tief, hatte nur noch vierzig Zentimeter Freibord.
„Hm – eine kitzlige Geschichte wird die Überfahrt nach Mala Gura doch wohl werden,“ meinte Nielsen und betrachtete kritisch die goldene Ladung. „Ich hätte nie geglaubt, daß der Goldhügel derartige Mengen von Barren enthielt …“
Es war jetzt völlig finster geworden. Die Übergangszeit von Dunkelheit zur sternenhellen Tropennacht hatte noch nicht begonnen …
Nielsen und Mafalda standen dicht am Ufer auf einem Felsblock …
„Tüchtige Kerle müssen diese Piraten gewesen sein,“ fügte der Deutsche hinzu. „Sie haben wohl noch einen von den Herrschaften hier auf der Insel lebend angetroffen, Fürstin? Ich muß dies annehmen … Die Spuren im Sande sagten mir, daß hier ein Mann … den Tod gefunden – – heute, Fürstin …!“
Er sprach mit erhobener Stimme …
„Lügen haben kurze Beine, Fürstin … Bitte – was ist hier vorgegangen?!“
Er war in seinem Wesen wieder vollkommen verwandelt – genau wie vorhin, als er so hochmütig jeden Anteil an dem Golde abgelehnt hatte.
Mafalda wechselte die Farbe …
Ein Glück, daß es bereits so dunkel war … Nielsen konnte ihr flüchtiges Erbleichen kaum bemerkt haben.
Sie standen mit den Gesichtern nach dem Wasser zu …
Sie hatten beide nicht gesehen, daß schon vor einigen Minuten sich ein Mann durch das Gestrüpp ganz nahe an den Felsblock herangeschoben hatte.
Lomatz war’s …
Edgar Lomatz, den der grimme Jimminez kurzer Hand über die Regeln der Milliardärsjacht ‚Star of Manhattan’ in die See geworfen hatte …
Jedes Wort hatte Lomatz von diesem bedrohlichen Zwiegespräch der beiden vernommenen …
Hatte sich hinter ihnen aufgerichtet …
Hatte im Augenblick begriffen, daß dieser Fremde, der hier mit Mafalda den Schatz entführen wollte, soeben nur Armaro gemeint haben könnte …
Und – war im Moment auch Herr der Situation.
Wollte sich Mafalda aufs neue verpflichten … –
Ehe die Fürstin, jetzt in Wahrheit tödlich verlegen und umsonst nach einer neuen Lüge suchend, noch von Nielsen zu einer bündigen Antwort aufgefordert werden konnte, ertönte hinter ihnen eine ruhige Stimme:
„Sie irren, Landsmann … Die Fürstin hat niemand erschossen … Nur ich könnte hier in Betracht kommen – und wie Sie sehen, lebe ich!“
Nielsen hatte sich gemächlich umgedreht …
Mafalda war herumgeschnellt …
Sie stierte Lomatz wie eine Erscheinung an …
Der gewiegte Verbrecher sprach schon weiter:
„Die Fürstin und ich hatten uns ein wenig entzweit, Herr Nielsen … Ich hatte mich drüben am Ostufer schlafen gelegt und bin soeben erst erwacht und schleunigst hierher geeilt … – Mein Name ist Lomatz, Doktor Edgar Lomatz, Privatgelehrer …“
Und Mafalda die Hand reichend:
„Vertragen wir uns wieder, Fürstin … Ich war schuld an dem Zwist. Verzeihen Sie mir …“
Mit festem Druck umspannte sie die Hand dieses Menschen, mit dem das Geschick sie stets von neuem auf Gedeih und Verderb zusammenbrachte …
„Vergeben und vergessen!“ lachte sie fröhlich. „Jetzt aber – in dem Kutter …!“
„War die höchste Zeit ist!“ sagte Lomatz ernst. „Ich bemerke drüben im See ein Schiff mit abgeblendeten Lichtern …“ –
Der Kutter glitt im stillen Binnenwasser dahin. Nielsen steuerte. Mafalda und Lomatz saßen neben ihm.
Bald war die große Klippe erreicht. Und zwischen ihr und den nächsten Riffen fand das große, schwerbeladene Boot den Weg in das offene Meer …
Wendete sofort, flog nach Westen weiter …
Mafalda starrte in die Dunkelheit hinaus …
Verschwommen nur erkannte sie die Umrisse eines Dampfers, einer Jacht …
Ihr Herz begann zu jagen …
Und ihre Angst war berechtigt.
Mit einem Male schoß ein greller weißer Schein über die Wogenkämme …
Ein Lichtkegel, der sehr bald auf dem Kutter haften blieb …
„Verloren!“ raunte Mafalda Lomatz ins Ohr …
Und ihre zitternden Finger umkrampften seinen Arm.
Ein zweiter Scheinwerfer wurde auf der Jacht eingeschaltet …
Ein zweiter Lichtkegel tauchte den Kutter in Tageshelle …
„Wenn der Dampfer dort Ihr Gegner ist, Fürstin,“ sagte Nielsen da wieder halb spöttisch, „so haben Sie die Partie verloren … Für uns gibt es kaum ein Entrinnen …“
„Kaum?! Kaum?! Also doch vielleicht eine Möglichkeit?“ rief Mafalda halb verzweifelt, halb hoffend.
„Eine Möglichkeit gäbe es,“ erklärte Nielsen gemächlich …
„Und die wäre?! – So reden Sie doch!“
Gerhard Nielsen hob den Arm …
„Schauen Sie mal dorthin …“
Und er zeigte nach Süden …
Der Kutter befand sich bereits jenseits der Westspitze der Insel …
Lomatz hatte bessere Augen als Mafalda …
Er brüllte etwas …
Und gleichzeitig drückte Gerhard Nielsen den Kutter herum – – nach Süden …
Mela Falz’ trostloses Schluchzen erfüllte die kleine dunkle Kabine mit wehen Lauten …
Mela weinte um ihr verlorenes Glück …
All die Zweifel, die sie so mühsam wieder von sich abgewehrt hatte, – all diese Zweifel an Fredy Dalaargens makelloser Vergangenheit hatten nun wieder als graue Gespenster von ihr Besitz ergriffen …
Ein Giftmörder …!! Einer, der den Gatten seiner Geliebten beiseite geschafft hatte …!!
So hatte Lomatz ihr Dalaargens Vergehen geschildert …
Und – unmöglich war’s ja, daß er diese Einzelheiten lediglich erfunden haben sollte …!
Dalaargen also ein flüchtiger Sträfling …!!
Sträfling Nummer 827 …!!
Und – ihn hatte sie geküßt – ihm hatte sie ihr reines Herz geschenkt – ihn … liebte sie vielleicht noch! –
Mela glaubte, der Kopf müßte ihr springen unter dem Ansturm all dieser Gedanken …
Melas Seele blutete … Ihr Leben erschien ihr fernerhin zwecklos … –
Sie überhörte das leise Klopfen …
Überhörte das zaghafte Öffnen der Tür …
Auch im Schiffsgang war es dunkel. Alle Lichter an Bord der Jacht waren gelöscht.
Dalaargen stand in der Tür …
Lauschte …
Erschrak …
Ahnte, was vorgefallen, wie Lomatz sich gerächt hatte …
Tastend trat er ein, schloß leise die Tür …
Tastete sich weiter …
„Mela …!!“
Weich, flehend war seine Stimme.
Melanie Falz richtete sich auf …
Fühlte seine Hände …
Fühlte, daß Fredy Dalaargen vor ihrem Bett in die Knie gesunken …
„Mela, weshalb weinst du?“
Er hatte ihre Hände in den seinen …
Um sie her war Dunkelheit …
Und in dieser Finsternis fand Mela den Mut, ihm all ihre Qual zu offenbaren …
„Sag’ mir die Wahrheit … Du ließest dich nicht absichtlich verurteilen, um das Sträflingsleben kennen zu lernen … Du wurdest mit Recht verurteilt … Lomatz kann nicht gelogen haben … Du hattest eine Geliebte … Und du hast …“
Sie zögerte …
Das Furchtbare wollte ihr nicht über die Lippen …
„Den … Grafen Torrasita vergiftet …,“ ergänzte der Herzog leise … „Und – du glaubst das, Mela?! Du findest in deinem Herzen nichts, was solchen Verdächtigungen Widerstand leisten könnte?!“
Sie schwieg …
Zitterte … Ihre Hände bebten in Dalaargens kühlen Fingern …
Da gab er ihre Hand frei. Und in dieser Dunkelheit, die nichts vom anderen erkennen ließ, war’s genau so, als ob durch das Aufhören dieser körperlichen Berührung mit einem Male eine unsichtbare Mauer sich zwischen ihnen erhöbe.
Mela hörte, daß Dalaargen sich aufrichtete …
Seine Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen.
„Melanie, die Gräfin ist nie meine Geliebte gewesen … Sie war’s, die ihren brutalen Gatten, einen Trunkenbold, aus Verzweiflung vergiftete … Daß ich dann die Schuld auf mich nahm, daß ich diesen Giftmord als ein Versehen meinerseits hinstellte, geschah aus Achtung vor dieser unglücklichen Frau, deren Dasein bisher eine Kette unerhörter Leiden gewesen. – Dies ist die Wahrheit, Mela … Ich schwöre dir’s beim Andenken meiner Mutter …“
Stille … Dunkelheit …
Mela Falz fühlte sich unglücklicher denn zuvor …
Fühlte, daß Fredy Dalaargen ihr diese Zweifel nie vergessen würde …
Und suchte sich zu rechtfertigen, wählte dazu den schlechtesten Weg …
„Fredy, – du darfst mit mir nicht allzu streng ins Gericht gehen … Fredy, bedenke, daß du schon des alten Matrosen Jack Evans wegen Ausflüchte gebrauchtes …“
„Es hat nie einen Jack Evans gegeben,“ kam Dalaargens Stimme abermals aus der Dunkelheit. „Aber es gibt ein Weib, die die ganze Schwäche ihres Geschlechts in der Seele trägt, die einem Lügner mehr Glauben schenkt als dem Manne, den sie zu lieben vorgibt … – Ich will nicht bitter werden, Mela … Du hattest Grund, an mir zu zweifeln. Aber du hättest dich durchkämpfen müssen zu der Überzeugung, daß ich es nie gewagt hätte, dich in meine Arme zu nehmen, wenn … mein Gewissen so schwer belastet gewesen wäre. – Damit du auch das erfährst, es ist belastet! Auch dir habe ich in manchem nicht die volle Wahrheit gesagt … Nicht aus Feigheit! Ich – – habe eine Pflicht zu erfüllen …! Und diese Pflicht drängt mich vom Pfade, vom schmalen Pfade, den die Redlichen wandern … – Leb’ wohl, Mela … Was zwischen uns gewesen, mag aus unserer Erinnerung gestrichen werden …“
Seine Stimme schwankte leicht …
Zu spät sprang Mela von ihrem Lager empor …
Die Tür klappte …
Sie war allein … Stand mitten in der Kabine …
Und abermals liefen ihr schwere Tränen über die Wangen …
Und mit einem Male wurde es draußen vor den runden Kabinenfenstern blendend hell …
So hell, daß auch hier dieser kleine Raum in schwaches Dämmerlicht getaucht wurde …
Mela trat halb unbewußt an eins der runden Fenster …
Ein Scheinwerfer der Jacht leuchtete das Meer ab … Die Brandung – die Riffe von Christophoro …
Blieb haften auf einem Segelboot, das dort drüben dahinglitt …
Ein zweiter Scheinwerfer blitzte auf …
Mela beugte den Kopf vor …
Sie glaubte dort in dem Kutter Mafalda zu erkennen …
Dann wendete die Jacht plötzlich … Und das Bild verschwand …
Dunkel ward’s wieder in der Kabine … Dunkel war’s in des Mädchens Seele … Der ganze Jammer über das, was sich hier soeben abgespielt hatte, packte sie mit solcher Gewalt, daß sie mit einem wimmernden Aufschluchzen sich wieder auf ihr Bett warf … –
Der Herzog war auf die Brücke geeilt.
Josua Randercild, der Milliardär, empfing ihn mit Vorwürfen …
„Wo stecken Sie nur?! Sie hätten beinahe viel versäumt …! – Da, sehen Sie, das Boot flüchtet vor uns … Graf Gaupenbergs sagte mir soeben, daß er zwei der Insassen erkannt habe … Raten Sie mal, wer der eine ist, mein lieber Herzog?“
Dalaargen wandte sich an Gaupenbergs, der neben Gottlieb Knorz am Geländer lehnte.
„Wer ist’s, Graf Gaupenberg? Zum Rätselraten bin ich nicht aufgelegt …“
„Edgar Lomatz …! Und die Fürstin Sarratow, eine Abenteurerin schlimmster Sorte …“
„Lomatz? Lomatz …? Der ist doch …“
„… offenbar über Bord gesprungen und an Land geschwommen, hat dort Verbündete gefunden …“
„Was wir sehr bald aufklären werden!“ warf der kleine Randercild drohend ein. „Noch fünf Minuten, und wir haben Lomatz und die beiden anderen hier an Bord …“
Gaupenbergs flüsterte jetzt dem treuen Gottlieb zu:
„Ich wette, dort auf den Kutter findet sich der Azorenschatz …“
Gottlieb Knorz ließ das Fernglas nicht von den Augen … Er hatte andere Sorgen … Er schaute zur Insel hinüber, suchte die Sphinx, dachte nur an Agnes, seinen Liebling …
Und auch Gaupenbergs meinte nun noch leiser:
„Auf der Insel ist nichts von der Sphinx zu sehen … – Gottlieb, Gottlieb, wenn ich nur erst Gewißheit hätte, was aus Agnes geworden, ob nicht etwa der Taifun das Luftboot entführt hat …“
Neben ihm brüllte Randercild:
„Verdammt, – man soll nicht fluchen …! Aber – – dort rückt eine Nebelwand heran … Der Kutter hat den Kurs geändert … Er wird uns entkommen … – Kapitän Durley – volle Geschwindigkeit …!! Wir …“
Er schwieg … Stampfte mit dem Fuße auf …
Und Dalaargen sagte achselzuckend: „Sie sind bereits in der Nebelbank verschwunden!“
Kapitän Durley meinte gelassen:
„Mister Randercild, das ist kein Nebel … Hier sind Nebel so selten wie zehn Grad Wärme … Das ist Rauch, Qualm … Riechen Sie nur … Man spürt den Petroleumdunst bis hierhin … Da brennt ein Petroleumdampfer …“
Und als wollte der Zufall des Kapitäns Worte bestätigen, ein stärkerer Windstoß trieb die ungeheuren Qualmmassen für einen Moment auseinander und zeigte in der Ferne ein von Flammen umflohtes Schiff …
Gleich schlossen sich die Rauchvorhänge wieder, und Kapitän Durley ließ die Jacht als vorsichtiger Mann in diesem unbekannten Fahrwasser langsam wenden und wieder gen Osten laufen, bis man die Nordostspitze von Christophoro abermals vor sich hatte. Eine Verfolgung des Kutters wäre hier zwecklos und gefährlich gewesen. –
Gaupenbergs flüsterte seinem braven alten Diener von neuem zu:
„Sie hatten den Azorenschatz an Bord! Und Mafalda wird triumphieren. Doch – wenn wir nur erst wüßten, wo wir Agnes suchen sollen …!“ –
Die Jacht stoppte …
Ein Boot wurde ausgeschwungen. Gaupenberg, Gottlieb, Dalaargen, der Milliardär und Jimminez fuhren zu der großen Klippe hinüber. Sie führten Taue, Strickleitern und alles andere mit sich, um nötigenfalls durch das Loch in der Felsdecke in die Aztekenhöhle hinabsteigen zu können.
Kaum hatte das Boot nach glücklicher Durchquerung der Brandung den Strand erreicht, als Gaupenberg mit weitem Satz festen Boden gewann. Gottlieb folgte ihm auf dem Fuße. Herr und Diener, längst vertraute Gefährten geworden und jetzt von gemeinsamer Sorge um Agnes vorwärtsgetrieben, stürmten dem Felsenhügel zu, um an dessen Spitze Ausschau zu halten…
Und stutzten … Gewahrten da im Halbdunkel einen Mann, der zusammengesunken auf einem Steine hockte.
Gottlieb, der eine Karbidlaterne in der Hand trug, schob die Blende der Vorderscheibe beiseite …
Der Graf hielt für alle Fälle seine Pistole bereit …
Als der gelbweiße Lichtschein den Fremden traf, entschlüpfte Gaupenbergs und Gottlieb unwillkürlich ein Ausruf tiefsten Entsetzens …
Armaro, der Expräsident war’s, der dort mit leeren, von Blutkrusten umgebenen Augenhöhlen, ein abschreckendes Bild, seinem Jammer durch dumpfes Stöhnen Ausdruck verlieh …
Der Graf trat näher …
Armaros Kopf hob sich müde … Er hörte die Schritte … Von dem Lichtschein der Laterne sah er nichts …
„Lomatz, sind Sie’s?“ rief er in so jammervoll verzweifelten Lauten, daß Gaupenbergs und Gottlieb Knorz alles vergaßen, was dieser Geblendete ihnen einst angetan hatte …
„Nicht Lomatz, sondern Graf Gaupenberg,“ erklärte dieser nun mitleidig und tröstend. „Fürchten Sie nichts, Don Armaro … Wir haben einen Arzt zur Hand, der sich Ihrer annehmen wird. Nur eines verlange ich! Wo ist meine Braut, Fräulein Sanden? Wo ist die Sphinx?“
Inzwischen hatten sich auch die übrigen Insassen des soeben gelandeten Bootes hier eingefunden …
Und nicht einer war unter ihnen, der nicht bei dem Anblick des unglücklichen Expräsidenten tiefes Mitleid empfunden hätte …
Armaro merkte an den Geräuschen, daß ein Kreis von Männern ihn umgab …
„Sie sind nicht allein, Graf Gaupenberg,“ rief er heiser … „Haben Sie Erbarmen … Ich vergehe vor Schmerzen … Wo ist der Arzt? Nur einen Arzt holen … Einen Arzt! Haben Sie Erbarmen!“
Diese nächtliche Szene hier wirkte erschütternd …
Randercild flüsterte Jimminez zu: „Signalisieren Sie mit der Laterne der Jacht, daß ein zweites Boot Armaro abhold … Man sollte den Motorkutter schicken … Doktor Merrimac soll Medikamente mitbringen, Morphium …“
„Der Arzt wird sofort Stelle sein,“ ließ sich nun der kleine Milliardär vernehmen. „Beantworten Sie jedoch zunächst des Grafen Fragen, Don Armaro …“
„Alles will ich eingestehen – alles,“ rief der Unglückliche mit ausgestreckten Händen. „Ich bin blind … blind …!! Jetzt weiß ich’s! Lomatz hat mich belogen … Blind – blind!!“
Und er schrie’s hinaus in den Lärm der Brandung, in den ewigen Gesang des unendlichen Meeres – schrie’s mit den Tönen, daß es die Männer rundum kalt überlief …
„Agnes Sanden ist zusammen mit einer gewissen Gipsy Maad mit der Sphinx entflohen … Mafalda und Lomatz müssen noch hier auf der Insel sein … Der Schatz liegt am Westufer, – – ein Hügel von Gold und Edelsteinen … – Verfluchtes – dreimal verfluchtes Gold …!! Dort traf mich die zackige Streitaxt, raubte mir das Augenlicht …! Fluch über das Gold!!“
Er sprang empor …
Die Erregung riß ihn hoch …
Und – wohltätige Ohnmacht ließ ihn jetzt taumelnd im Gaupenbergs Arme sinken …
In die Arme des Mannes, mit dem er hier an dieser Stelle eine verwerfliche Komödie aufgeführt hatte, als er ihn und Steuermann Hartwich zum Schein standrechtlich erschießen ließ … –
Gaupenbergs bettete den Bewußtlosen auf eine nahe sandige Stelle. Dalaargen zog seine Jacke aus und rollte sie zum Kopfkissen zusammen.
Josua Randercild war bleich …
„Entsetzlich!“ flüsterte er Gottlieb Knorz zu. „Dieser Verbrecher ist furchtbar bestraft worden …“
Gottlieb nickte …
„Mister Randercild, ich bin kein Kirchgänger … Ich trage meinen Gott und meine Frömmigkeit in meiner Brust … Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher.“ – Er sprach’s in so feierlichem Tone, daß der Milliardär ihn ganz scheu anblickte.
Wenig später traf der Arzt ein. Der noch immer ohnmächtige Armaro wurde in den Kutter getragen.
Gaupenberg hatte Gottlieb heimlich einen Wink gegeben.
„Wir wollen sehen, ob der Schacht noch gangbar ist, mein treuer Alter … Nach dem Schatz brauchen wir nicht mehr zu suchen. Den hat das entflohene Boot an Bord. Ich will nur einen Blick in die Riesenhöhle werfen …“
Dalaargen hatte inzwischen die große Öffnung unweit des Felsenhügels entdeckt und rief jetzt Gaupenberg zu:
„Grad, ich muß dort hinab … Ich muß mir diese Wundergrotte unbedingt genau ansehen …!“
Er kniete am Rande der Öffnung, deutete mit der rechten Hand schräg hinab …
„Die Paläste am Ufer des unterirdischen Sees sind zu erkennen … – He, Josua, – hierher …!“
Gaupenberg mußte seine Absicht, mit Gottlieb allein in den Schacht einzudringen, unter diesen Umständen aufgeben.
„Ich weiß einen bequemeren Weg,“ meinte er zu Dalaargen … „Kommen Sie nur mit, meine Herren!“
So drangen sie denn drüben in das Dornendickicht ein, fanden den Schacht und die Steintreppe noch unversehrt und stiegen hinab.
Randercild war so aufgeregt, daß er in einem fort dem Herzog auseinandersetzte, wie vorteilhaft es vielleicht wäre, die ganze Insel Christophoro der Republik Patalonia abzukaufen.
Noch begeisterter wurde er, als man nun unten am Ufer des unterirdischen Gewässers stand und die gelblich strahlenden Höhlenwände die enorme Ausdehnung dieser Grotte deutlich zeigten.
„Das Zinkboot der Sphinx!“ rief Gottlieb plötzlich. „Dort liegt es … unversehrt! Rudern wir hinüber! Auch ich möchte die Paläste nochmals aus nächster Nähe betrachten … – Herr Graf, Jimminez und ich gehen doch wohl besser zu Fuß hier am Ufer entlang … Die drei Herren haben dann im Boote Platz …“
Randercild hielt Dalaargens Ärmel fest …
„Herzog, ich kaufe die Insel … Patalonia braucht Geld … Ich zahle, was die Herrschaften verlangen … In dieser Höhle muß es wertvolle Mineralien geben … Ich werde meine Ingenieure herschicken …“
„Krämerseele!“ meinte Dalaargen halb im Scherz. „Was sagen Sie dazu, Graf Gaupenberg?!“
Er kletterte bereits ins Boot …
„Wenn ich Josua Randercild wäre, schlösse ich den Handel ab …,“ nickte er ganz ernst. „Über die wahre Ausdehnung der Höhle weiß man noch nichts Bestimmtes …“ –
Das Boot stieß ab. Gottlieb und Jimminez aber wanderten am Ufer dahin.
Der riesige Jimminez zeigte sich auch hier jetzt als treuer, hilfsbereiter Verbündeter, wie er ja überhaupt sich in seinem innersten Wesen gründlich geändert hatte.
Wo der steinige Weg dem kleinen Gottlieb Knorz, der ja freilich für seine Jahre noch außerordentlich rüstig war, Schwierigkeiten bereitete, da nahm ihn der Riese einfach auf die Schultern, so sehr Gottlieb sich auf zunächst stäubte.
Die beiden sprachen eine ganze Weile über José Armaros trauriges Schicksal, wobei Jimminez wiederholte meinte:
„Ich bin noch zur rechten Zeit umgekehrt …! Die Gegner der Sphinx wandeln alle den Pfad des Verhängnisses!“
Sie trafen dann ziemlich gleichzeitig mit dem Boote bei den Landungsbrücken unterhalb der Paläste ein.
Kein Wunder, daß Josua Randercilds Begeisterung für dieses einstige unterirdische Aztekenreich angesichts der wunderbaren phantastischen Prachtbauten ins ungemessene stieg …
Auch jetzt stand sein Mundwerk nicht still …
„Märchenhaft – Märchenhaft …!!“ rief er. „Nur schade, daß man diese Höhle nicht mit allem Drum und Dran nach Neuyork schaffen kann …! Dann könnte man pro Person einen Dollar Eintrittsgeld erheben … Ein glattes Geschäft. Fünf Millionen brächte das in vier Jahren ein! Die Unkosten wären gering …“
Dalaargen verzog das Gesicht. „Randercild als Schaubudenbesitzer …!! Die Welt würde Kopf stehen!!“
Man war jetzt oben auf der Terrasse des Königspalastes angelangt.
Gaupenberg hatte längst die in der Schlammkruste deutlich abgezeichneten Fußspuren bemerkt.
„Nun will ich Ihnen auch die Schatzkammer König Matagumas vorführen,“ sagte er zu dem Herzog, während der Milliardär sich von Gottlieb die Stelle zeigen ließ, wo damals die Scheiterhaufen für Ellen und Georg Hartwich aufgebaut gewesen waren und wo dann der Kampf mit den Azteken stattgefunden hatte.
Dalaargen rief Josua Randercild zu:
„Vorwärts – hinab in die Gewölbe, Josua …! Wenn auch die Schätze gestohlen sind, wenigstens sehen wir noch den Ort, wo sie einst lagerten.“
Man begab sich die verschlammten Treppen hinab.
„Fünfzig Scheuerfrauen wären hier nötig,“ brummte Randercild. „Eine Schande, dieser Schmutz …!! Ein Jammer, daß die Überschwemmung hier alles unter Wasser gesetzt hatte …!“
Gaupenberg schob die mächtigen Riegel der Metalltür des Vorraumes der Schatzkammer zur Seite.
Man trat ein …
Laternenlicht überstrahlte die Wände …
Da – von der eigentlichen Schatzkammer her dumpfes Stöhnen …
Die Männer griffen unwillkürlich zu den Waffen.
Jimminez nahm Gottlieb schnell die Laterne ab, war mit langen Schritten im Eingang des zweiten Gewölbes …
Die anderen drängten sich neben ihn …
Drei Gestalten dort … Drei Tote … Drei Neger in der Uniform der Leibkavallerieregimenter Armaros …
Noch ein vierter …
Er lehnte an der Wand … Über seine Stirn zog sich die blutige Furche eines Streifschusses … –
Manuel Pasco, Agnes’ Beschützer, starrte matt in das Licht der Laternen … Aus seiner durchschossenen Lunge kam röchelnd der Atem … Sein Gesicht war erdfahl … Der Tod hatte bereits seine Krallen nach ihm ausgestreckt.
Die Männer umstanden ihn jetzt.
Gaupenberg beugte sich zu dem Sterbenden hinab.
„Waren Sie mit auf der Sphinx?“ fragte er den Schwarzen …
Das Augen ruhten auf Gaupenbergs Gesicht. Er ahnte, daß dies hier der Verlobte der blonden Sennorita war, die er auf Mafaldas Geheiß zu seiner Geliebten hatte machen sollen …
„Ich … war … auf … der Sphinx …,“ lallte er kaum verständlich … „Ich … habe die … Sennorita Agnes … nicht … angerührt … Die Fürstin … ist … schuld, daß … die blonde Sennorita … vor … Schreck … stumm geworden … Ich … bin … kein …“
Mit seiner Kraft war’s zu Ende …
Das flackernde Lebensflämmchen erlosch für immer.
Gaupenberg war bei diesen Angaben des Negers unnatürlich bleich geworden. Als er sich jetzt wieder aufrichtete, trat Gottlieb rasch neben ihn. Es sah wirklich so aus, als ob der Graf ohnmächtig werden würde.
Keiner der Zeugen dieser jedes Herz zusammenkrampfenden Szene wagte ein Wort des Trostes zu äußern. Jeder fühlte, daß Worte hier nur den Mann verletzt hätten, dem soeben vor Schmerz und Schreck das Blut in den Adern gestockt hatte …
Alle verhielten sich regungslos …
Gaupenbergs Gesicht bekam wieder Farbe. Sein Blick glitt über Manuel Pascos Gestalt hin, als wollte er feststellen, ob der Neger wirklich nicht mehr imstande sei, nähere Angaben zu machen.
Dann wandte er sich an Randercild …. Seine Stimme klang hart und brüchig …
„Mister Randercild, würden Sie mir einen Gefallen tun, würden Sie mir Ihren Motorkutter zur Verfügung stellen? Ich will meine Braut, will die Sphinx suchen … Aber ich will auch in allem freie Hand haben. Ich weiß, Sie würden Ihre Jacht bereitwilligst zu demselben Zwecke mir anbieten. Trotzdem, ich hätte dann doch gewisse Rücksichten zu nehmen, ich wäre nicht unbeschränkt Herr meiner Entschlüsse. Der Kutter ist seetüchtig, hat ein geschlossenes Deck. Man kann sich ihm schon anvertrauen.“
„Das ist das Beste und Modernste, was es an großen Rettungsbooten heute gibt, Herr Graf,“ bestätigte der Milliardär eifrig. „Der Kutter gehört Ihnen, so lange Sie ihn brauchen. Ich werde Ihnen Proviant, Trinkwasser und alles andere mitgeben. Wenn Sie noch das kleine Zinkboot der Sphinx mitnehmen – für alle Fälle! – dann haben Sie ein schnelles und sicheres Fahrzeug. Der Kutter läuft achtzehn Knoten, eine ganz respektable Geschwindigkeit. Dennoch bitte ich Sie, doch besser meiner Jacht sich bedienen zu wollen … Ich betone, daß Sie keinerlei Rücksicht zu nehmen haben – auf nichts …“
Gaupenberg reichte ihm die Hand. „Ich danke Ihnen, Mister Randercild … Die Suche nach der Sphinx kann wochenlang dauern. Der Motorkutter genügt mir. – Wenn es Ihnen recht ist, kehren wir sofort auf die Jacht zurück. Ich habe Eile …“ –
Die Leichen der Neger blieben in dem Gewölbe liegen. Als man dann auf dem ‚Star of Manhattan’ anlangte, meldete Kapitän Durley dem Milliardär, daß die junge Aztekin Mantaxa aus der Kammer, die sie mit Lomatz bewohnt hatte, verschwunden sei …
„Einer der Matrosen, Mister Randercild, die mit dem Kutter auf der Insel waren, behauptet, er habe eine Gestalt aus dem Kutter schlüpfen sehen, als dieser dort am Ufer vertäut lag, und als der blinde Armaro an Bord gebracht wurde … Es wird also wohl die Aztekin gewesen sein. Sie muß sich in den Kutter eingeschlichen haben.“
Dalaargen meinte darauf, daß das braune Mädchen wahrscheinlich Sehnsucht nach ihrer unterirdischen Heimat gehabt habe. „Die Ärmste steht jetzt ganz allein da …,“ fügte er hinzu. „Sie werden sie sicher in der Höhle vorfinden, lieber Josua … Nehmen Sie sich ihrer an. Ich selbst begleite den Grafen Gaupenberg, wenn dieser nichts dagegen hat …“
„Durchaus nicht,“ erklärte der Graf höflich …
Josua Randercild jedoch war geradezu beleidigt über diesen Entschluß seines hohen Gastes …
„Lieber Herzog, Sie wollen mich wirklich verlassen?! Das – das hätte ich nicht erwartet …! Sie wollten doch mit meiner Jacht …“
Dalaargen unterbrach ihn. „Verzeihen Sie, Randercild … Wir wollen in Freundschaft scheiden und als gute Freunde uns wiedersehen. Ich besuche sie in Neuyork, sobald Graf Gaupenberg seine Braut und die Sphinx wiedergefunden hat …“
Randercild seufzte kläglich …
„Sie waren mir ein so angenehmer Gesellschafter, Herzog … Ich gebe Sie ungern frei … Nun, was hilft’s?! – Sie kommen aber bestimmt nach Neuyork?“
„Wenn ich dann noch lebe – ja!“ – Und er drückte des Milliardärs Hand und flüsterte ihm hastig zu: „Nichts von meinen Absichten, Josua …! Schweigen Sie! Nichts von dem, was ich Ihnen über meinen Vater andeutete.“
Eine halbe Stunde darauf stieß der große gedeckte Kutter von der Jacht ab. An Bord waren Mela, Dalaargen, Gaupenberg und Gottlieb mit seinem Teckel Kognak.
Auf dem Heck des Kutters aber ruhte das Zinkboot der Sphinx.
Inzwischen hatten sich die Qualmwolken des mit dem Südwind nach Norden treibenden brennenden Petroleumdampfers nur noch verdichtet. Zuweilen wurde das lohende Schiff selbst deutlich sichtbar, da es jetzt bereits über die Nordspitze von Christophoro auf den schäumenden Wogen hinausgetaumelt war – ein Spiel der Wellen, ein Riesenfanal, über dem der Nachthimmel weithin gerötet war.
Vor dem flachen Heckaufbau am Steuer des Kutters standen Mela, Gaupenberg und Gottlieb. Der Herzog bediente den Motor. Gottlieb Knorz steuerte …
„Freunde,“ sagte Gaupenberg zu Melanie Falz und seinem treuen Diener, „wir werden nicht nur die Sphinx, sondern auch jenes große Segelboot suchen, mit dem Mafalda, Lomatz und ein dritter samt dem Schatze entflohen sind. Ich nehme bestimmt an, daß dieses Boot nur die Qualmmassen eiligst durchquert hat. Kein Mensch kann in diesem Petroleumdünsten längere Zeit atmen. Das Boot wird dann im Schutze der Rauchschleier nach Norden geflüchtet sein. Und nordwärts dürfte auch die Sphinx von dem Taifun entführt worden sein … – Gottlieb, überlaß jetzt mir das Steuer. Wir werden südlich um den brennenden Dampfer einen Bogen machen … Im Westen vermute ich das Segelboot … Es kann keinen allzu großen Vorsprung haben. –
Sie aber, Fräulein Mela, sorgen jetzt bitte für eine kräftige Mahlzeit … Diese Nacht wird uns vielleicht noch bis zum hellen Morgen wach sehen …“
Melanie eilte sofort in die winzige Kajüte hinab. Nichts kam ihr gelegener als dieser halbe Befehl Gaupenbergs. Grenzte doch die noch winzigere Schiffsküche an den Raum, wo der Benzinmotor arbeitete. Und – dort weilte Fredy Dalaargen … Dort würde sie ihn jetzt um Verzeihung bitten, würde um ihre Liebe kämpfen, würde ihm beweisen, daß jedes liebende Weib solchen Verdächtigungen schon aus Eifersucht zu leicht Glauben geschenkt hätte … – Er würde auch verzeihen … Er würde sie nicht von sich stoßen … Sie kannte ihn … Er war weich und gütig … Und – – er liebte sie ja …!
In der kleinen Kajüte brannte Licht. Dem Eingang gegenüber lag die zweite schmälere Tür. Die führte in die Kombüse. Als Mela sie jetzt öffnete, prallte sie erschrocken zurück. Der Lampenschein der Kajüte fiel auf des Riesen Alfonso Jimminez dunkles Gesicht …
Jimminez legte warnend den Finger auf die Lippen … Deutete nach dem Maschinenraum hin, wo der Motor mit gleichmäßigem Geräusch arbeitete …
Dann flüsterte er:
„Fräulein Mela, ich wollte den Grafen nicht bitten, mich mitzunehmen … Ich bin als blinder Passagier auf den Kutter gekommen … Fräulein Mela – – Ihretwegen, nur Ihretwegen! Sie sollen nicht ungewarnt bleiben … Ich meine es gut mit Ihnen … Ich verdächtige niemanden grundlos … Hüten Sie sich vor dem Herzog … Wir alle müssen uns vor ihm hüten … Er ist nicht der, wofür er sich ausgibt … Ich – – auch ich habe ihn jetzt wiedererkannt …“
Melas Herz drohte stille zu stehen …
Beide Hände hatte sie gegen die Brust gepreßt. Etwas unendlich Rührendes und Hilfloses lag in ihrer ganzen Haltung, in ihrem Gesichtsausdruck …
„Woher … kennen Sie ihn?“ stieß sie angstvoll hervor …
„Aus Wien … aus dem heiteren, lustigen Wien, Fräulein Melanie …“
Er zögerte. Er wollte sie gern schonen. Er wußte ja, daß sie diesen angeblichen Herzog liebte …
Melanie winkte ihm, zog ihn jetzt in die Kajüte, drückte die Tür zu …
Sie behielt seine Hand zwischen ihren heißen Fingern.
„Jimminez, sagen Sie mir die Wahrheit … Was … wissen Sie über den Herzog?“
In des Riesen Gesicht arbeitete es …
„Oh – ich … ich möchte Ihnen nicht wehtun, Fräulein Melanie …“ erwiderte er ganz leise … „Und doch … Sie müssen alles erfahren … Ich war in Wien einmal vor Jahren … in Untersuchungshaft … Meine Vergangenheit ist ja leider überreich an häßlichen Flecken … Ich saß einen halben Tag mit einem anderen Untersuchungsgefangenen in einer Zeile … Der Mann war wegen … Mädchenhandels verhaftet worden …“
Mela erbleichte … Ihre Hände wurden kalt …
„Und – das war … Dalaargen?“ flüsterte sie tonlos …
Jimminez nickte traurig …
„Ja … – Er trug damals Vollbart, sah ganz anders aus … Und doch weiß ich jetzt mit aller Bestimmtheit, daß jener Häftling unser Herzog ein und dieselbe Person sein müssen …“
„Wo … woher wissen Sie das?“
„Fräulein Melanie, unsereiner hat besondere Augen im Kopf … Unsereiner hat ein Gedächtnis für Kleinigkeiten, das nie trügt … Ich …“
Im selben Moment wurde die Treppentür aufgestoßen …
Gaupenberg trat hastig ein …
Beim Anblick des ehemaligen Geheimagenten glitt ein flüchtiges Lächeln über seine Züge …
„Ich ahnte, daß Sie mit an Bord seien, Jimminez,“ sagte er überstürzt. „An Deck, Fräulein Mela und auch Sie, Alfonso Jimminez, – an Deck! Das flüchtige Segelboot ist in Sicht … Es muß dort irgend etwas vorgefallen sein … Die Segel sind eingezogen … Das Boot treibt steuerlos … Die Wogen werfen es hin und her … Wenn wir nicht bald längseits sind, sackt es weg – und mit ihm das Azorengold …!“
Er hastete schon wieder die Treppe empor …
Mela und Jimminez hinterdrein …
Und doch – was bedeutete für Mela in ihrer jetzigen Situation das Segelboot – der Goldschatz?! Nichts – nichts! Ihr Hirn war wie leer … Ihr Herz war tot …
Sie ahnte, daß Jimminez ihr nicht alles gesagt, was er über Dalaargen wußte …
Mädchenhändler – – Mädchenhändler!! Also doch ein Verbrecher …!! Denn – wie wollte Darlaagen sich wohl in diesem Falle herauszureden suchen, wie konnte er diese Tatsache, daß er auch ein zweites Mal mit den Gerichten zu tun gehabt, erklären?!
Als Doktor Falz rotblonde schlanke Tochter jetzt einen teilnahmslosen Blick über das Meer gleiten ließ, wurde sie doch unwillkürlich durch das seltsame Bild gefesselt, das der brennende Dampfer, die ungeheuren, aus ihm hervorschießenden Flammenzungen und die in rote Glut getauchten Wogen darboten …
Links von dem Motorkutter trieb das lohende Schiff, etwa zweihundert Meter entfernt, spie förmliche Blitze, schwarze Qualmwolken aus, taumelte hin und her …
Und geradeaus wieder schwamm, grell beleuchtet, das Segelboot …
Vorwärts schoß der Kutter …
Kam näher und näher heran …
Noch achtzig – fünfzig Meter …
Und dann – von links ein Knall, als wollte das Firmament in Stücke gehen …
Der Dampfer war explodiert … Die eingebauten Tanks auseinandergerissen …
In förmlichen Fontänen flog das brennende Öl in die Lüfte … Verteilte sich auf dem Wasser … Brannte weiter … Kroch auf den Kutter zu – gleich feurigen, huschenden Schlangen …
Überholte ihn, kreiste ihn ein …
Schon war der Kutter Bord an Bord mit dem Segelboot … Drei bewußtlose Menschen darin – – und das Gold, der Azorenschatz, der Schatz König Matagumas …
Flammen tanzten ringsum … Das Gold leuchtete … Edelsteine sprühten …
Verderbliche Dünste schnürten den Insassen des Kutters die Kehle zu … Ihre Augen tränten …
Flammengürtel … Qualm … Rauch …
Näher und näher …
Die Gestalten an Deck des Kutters nur noch wie Nebelgebilde …
Und weiter raste der Kutter …
Am Steuer stand Gaupenberg …
Allein jetzt …
Er hatte die anderen in die Kajüte geschickt …
Hatte die Zähne zusammengebissen …
Durch – – durch – – hinaus aus diesem lohenden Verderben …
Und im Schlepptau hinterdrein das Boot mit den drei Menschen, den goldenen Schätzen …
Gaupenberg fühlte die sengende Glut …
Flammen leckten zu ihm empor …
Durch – – durch …! Er mußte aushalten – – mußte …!!
Er spürte die nahende Ohnmacht, spürte das Gift der Petroleumdünsten in seinen Lungen, in seinem Blute.
Kraftlos begann er, die Hände noch am Steuer, hin und her zu schwanken … Verlor mit einem Male das Gleichgewicht und fiel über die niedere Reling in die lohenden Wogen … Versank …
Die schwarze Insel …
Einsam – eine düstere Anhäufung von Felsmassen.
Und im weiten, tiefen Tale, umgeben von den natürlichen Mauern der zerklüfteten Anhöhen, ein grüner Garten, ein helles Gebäude …
Eine Oase, beschienen von den Millionen von Himmelslämpchen …
Ganz leise rauschten die Bäume, die Büsche …
Und im Schatten der Büsche drei Menschen und ein zottiger Homgori …
Keinen Blick wendend von dem mageren Manne, der da soeben den mit Muschelkies bestreuten Weg entlangkam …
Eine hohe, stattliche Erscheinung, gehüllt in ein langes, mantelartiges Gewand …
Blieb plötzlich stehen, der Mann …
Vom Hause her war ein Ruf erklungen … Ein einzelnes Wort …
Der Hagere drehte den Kopf …
Und war mit einem Male vom Weg verschwunden, in die Büsche geschlüpft …
Der Homgori sprang vorwärts …
Steuermann Hartwich hinterdrein … Und Ellen und Detektiv Worg stürmten gleichfalls den Weg entlang, wollten den Flüchtling überholen, ihn vom Hause abschneiden …
Sahen schon die hagere Gestalt die drei Stufen der Treppe zum Eingang emporhasten …
Die Tür schlug knallend zu …
Murats behaarte Faust hätte den Mann beinahe erwischt … Murat stand vor der Tür, warf sich mit der Schulter dagegen … Nochmals, nochmals … –
Hartwich rief ihn zurück …
Der Homgori zauderte …
Aus den erleuchteten Fenstern fiel heller Schein auf den Vorplatz …
Jäh erlosch überall das Licht …
Wie vorhin …
Tod und leblos lag das langgestreckte Gebäude da.
Unheimlich – voller Rätsel … –
Murat schlich zu den dreien hinter die nächsten Büsche …
„Was tun wir?“ fragte Hartwich zaudernd …
Ellen hielt seinen Arm fest umklammert …
„Ich … fürchte mich,“ flüsterte sie. „Georg, laß uns umkehren … Ich fühle, hier lauert das Verderben.“
Steuermann Hartwich lauschte – lauschte nach rückwärts …
Stimmen wurden laut …
Man vernahm Doktor Falz’ tiefes Organ:
„Hallo – wo seid ihr? – Hallo – meldet euch!“
Gleich darauf standen Falz und Pasqual Oretto neben den Freunden.
Hartwich berichtete alles Nötige …
„Ein Zuruf aus dem Hause warnte den Mann,“ sagte er nun ingrimmig. „Der Kerl entkam uns … – Was tun wir, Herr Doktor?“
Der greise Einsiedler von Sellenheim wendete sich an Pasqual …
„Freund Oretto, wir beide werden mit diesen Leuten hier schon fertig werden … Uns beide meidet der Tod …“
Er sprach es mit seltsamen Ernst. Er wußte, daß sein Leben hier nicht enden würde, daß er … verflucht war, über die Erde zu wandeln bis an der Welt Untergang … genau wie Pasqual Oretto …
Der stämmige Taucher mit dem verwitterten Seemannsgesicht war schon um die Büsche herumgeschritten, stand vor den drei Stufen der Türtreppe …
Seine Augen musterten die Front des zweistöckigen Hauses, die Fenster …
Alles dunkel …
Dort rechts drei offene Fenster …
Die Vorhänge wehten im Nachtwind, flatterten, quollen wie prall gefüllte Segel aus den Fenstern heraus, wichen wieder zurück.
Doktor Falz trat neben Pasqual, meinte:
„Ich wundere mich … Man schießt nicht auf uns.“
Der Taucher erwiderte:
„Vielleicht sind sie geflohen, Herr Doktor …“
Und überlegte, fügte hinzu:
„Ich werde um das Gebäude herumgehen … Warten Sie hier …“
Er entfernte sich mit dem schweren wiegenden Schritt des alten Seemannes …
Verschwand um die Ecke …
Fand hier hinter dem Hause einen niederen Stall, ein paar Gemüsebeete … Eine zweite Tür …
Und – die stand weit offen …
Drei Stufen führten zu ihr empor … –
Pasqual Oretto stellte die mitgebrachte Laterne auf die Treppe und holte sein Feuerzeug hervor …
Das Gas der Karbidlaternen puffte auf.
Der Taucher leuchtete in den Flur hinein …
Er wußte jetzt, die Bewohner des Hauses waren geflohen!
Und durchschritt den Treppenflur – dann beide Stockwerke – öffnete alle Zimmertüren, staunte … staunte … –
Doktor Falz, bereits stark beunruhigt durch Pasquals langes Ausbleiben, erschrak leicht, als der Taucher ihn aus einem der offenen Fenster anrief …
„Hallo – alles leer …! – Herr Doktor, hier haben auch unsere Freunde nicht zu fürchten … Hier hat offenbar nur ein einziger Mann mit einer Menge von Sennoritas gehaust. – Ich werde jetzt die Vordertür aufschließen …“
Er ließ so die Freunde ein …
Ellen hielt sich dicht neben Hartwich …
In dem breiten Flur Tür an Tür … Und die meisten Zimmer waren merkwürdig gleichmäßig ausgestattete – fast wie Hotelzimmer …
„Die Möbel – alles stammt hier von einem Ozeandampfer aus den Passagierkabinen,“ erklärte Pasqual beiläufig.
Nochmals wurde das Haus durchsucht …
Inzwischen mußte Murat an der Vordertür Wache halten. Den Hintereingang hatte Doktor Falz verschlossen …
Pasqual zählte die Zimmer …
„Oben zwölf, unten acht und ein Speisesaal,“ meinte er kopfschüttelnd. „Und in den meisten Zimmern Frauenkleider, Frauentand … Im Speisesaal sogar ein Piano.“
Doktor Falz schlug vor, man solle für den Rest der Nacht drei der oberen Zimmer, die unbewohnt zu sein schienen, belegen und den Morgen abwarten …
„Bei Tageslicht sieht man mehr als bei Laternenschein,“ fügte er hinzu …
Wie er sagte, so geschah’s.
Mit einem Male merkte Hartwich, daß Murat verschwunden war …
„Lassen Sie ihn doch,“ beruhigte Jakob Worg den Steuermann. „Murat wird draußen umherschweifen …“
Die Gefährten hatten die Verbringungstüren der drei Räume geöffnet, die nach dem Flur hin jedoch versperrt.
Ellen Hartwich hatte sich auf eins der Betten legen müssen, um auszuruhen. Die Männer standen im Nebenzimmer am Fenster, schauten in den Garten hinab …
Pasqual fragte den Detektiv leise:
„Was halten Sie von diesem Gebäude und seinen Bewohnern, Sennor Worg? Sie sind doch ein Mann, dessen Beruf es ist, Geheimnisse aufzuklären.“
Der kleine sehnige Amerikaner wiegte den Kopf hin und her …
Erwiderte: „Wollte ich aussprechen, was ich denke, so würden Sie alle mich auslachen …“
„Dazu dürfte unsere Lage zu ernst sein,“ meinte Hartwich. „Reden Sie also …!“
„Nun – vielleicht ist dies hier sozusagen der Lagerspeicher einer … Mädchenhändlerbande …“
„Oh – nicht schlecht!“ nickte Doktor Falz …
Hartwich hatte wieder in den Garten hinab geblickt. Er war Murats wegen in Sorge …
Und gerade da tauchte der zottige Tiermensch aus dem Baumschatten auf …
Der Steuermann öffnete schnell das Fenster …
„Murat … Murat … – Wo …“
„Agnes – – Miß Agnes – – die Sphinx!!“ kreischte Murat dazwischen … „Schnell kommen … Sphinx liegt dort drüben an Bruch, und Miß Agnes schlief in Kabine … Murat hat zu Miß Agnes gesprochen …“
Hartwich war wie erstarrt …
Auch die anderen hatten Murats klaren Bericht mit angehört …
Falz rief:
„Zur Sphinx!! Hartwich, holen Sie Ihre Gattin … Schnell … Verlassen wir dieses Haus …!“
Die Männer waren wie verwandelt …
Die Sphinx – – Agnes!! Das elektrisierte sie! –
Draußen wartete Murat …
Eilte nun voran …
Durch eine Schlucht …
Und vor ihnen nun die lange Bucht … Linker Hand auf schwarzer Felsterrasse ein helles, spindelförmiges Etwas: die Sphinx!!
An Deck stand Agnes Sanden …
Winkte … winkte …
Murat war als erster die Leiter empor, half Ellen Hartwich … Weinend sank Agnes der Freundin in die Arme …
Dann fanden die Männer sich ein. Jeder wollte Agnes begrüßen … Und doch hielt sie noch immer Ellen umklammert … Unverständliche Laute kamen aus ihrer Kehle …
Endlich begriff Doktor Falz die traurige Wahrheit: Agnes hatte die Sprache verloren – war stumm!
Sanft nahm er da ihre Hände … Sanft redete er auf die Unglückliche ein …
Auch die anderen erfaßten nun das Geschehene … Verharrten in bedrücktem Schweigen …
Unter Doktor Falz’ gütigem Zuspruch beruhigte das blonde Mädchen sich. Ellen und der Doktor führten sie dann in die Kabine zurück, blieben bei ihr. –
Als Steuermann Hartwich jetzt die Zerstörungen im Inneren des Luftbootes besichtigte, als er feststellte, daß man mindestens acht Tage brauchen würde, um die Beschädigungen auszubessern, faßte er den Entschluß, die Sphinx nach dem Wohnhause im Tale zu bringen, wo man die notwendigen Arbeiten am bequemsten erledigen konnte.
Die Überführung des Luftbootes gestaltete sich weit einfacher, als Worg und Pasqual zuerst angenommen hatten. Am Bug der Sphinx wurden zwei Taue befestigt, die als Zugleinen dienen sollten. Murat, der Detektiv und der Taucher zogen dann das Luftboot, nachdem es bis fünf Meter über dem Boden aufgestiegen war, spielend leicht bis zum Wohnhause hin, wo es zwischen dem Stall und dem Gebäude landete.
Murat wurde dann nach der anderen Seite der Insel zum Binnensee hinübergeschickt, um nach dem Fahrzeug der Schiffbrüchigen Ausschau zu halten.
Was Hartwich befürchtet hatte, traf zu. Die beiden Gondeln der wracken Doppeldecker waren verschwunden!
Wenn dieser Verlust auch nicht allzu empfindlich war, so harre man dadurch doch vieles eingebüßt, was sehr gut zur Reparatur der Sphinx hätte verwendet werden können, besonders die Propeller und die Blechplatten der Gondeln.
Hartwich war überzeugt, daß die geheimnisvollen Bewohner der Insel die beiden Gondeln der Doppeldecker auf ihrer Flucht nur deshalb mitgenommen hatten, um jede Verfolgung zu vereiteln. Worg gab ihm darin völlig recht. –
Inzwischen hatte Agnes in der Kabine das Wichtigste ihrer Erlebnisse für die Freunde niedergeschrieben und auf dieselbe Weise auch nach Gaupenberg gefragt.
Als Doktor Falz ihr antworten mußte, daß man über das Schicksal des dritten Flugzeuges völlig im ungewissen sei, weinte sie wieder eine Weile still vor sich hin.
Dann bat sie schriftlich, doch sofort nach der treuen Gipsy Maad zu suchen. – Falz verließ die Sphinx und besprach sich mit Hartwich. Abermals mußte der kluge Murat jetzt die Insel durchstreifen, wenn man auch nicht viel Hoffnung hatte, daß er Gipsy finden würde. Besonders Jakob Worg schärfte dem Homgori noch ein, doch ja recht sorgfältig sich überall umzusehen. Miß Maad war ja nicht nur seine Angestellte, sondern er stand ihr auch persönlich näher. Er kannte ihre Eltern, und er wollte nichts unversucht lassen, Gipsys Verschwinden völlig aufzuklären, wenn er auch bereits so gut wie bestimmt annahm, daß seine junge Landsmännin von den Inselbewohnern gewaltsam verschleppt worden war.
Kaum war Murat nach der Bucht hin im Halbdunkel der Tropennacht untergetaucht, als die Männer nochmals das Haus aufs Genaueste durchstöberten. Dann erst durften Ellen und Agnes in die Zimmer im Oberstock übersiedeln.
Für den Rest der Nacht hielten Pasqual und Hartwich Wache, während die anderen sich niedergelegt hatten.
Es ereignete sich nichts von Bedeutung. Nur einmal hatte es dem Steuermann so geschienen, als ob er in den Felsenklüften nördlich des Hauses eine Gestalt wahrnähme, die jedoch sofort wieder unsichtbar wurde. Ob es ein Tier oder ein Mensch gewesen, konnte er nicht erkennen. Möglich, daß Murat dort umhergeklettert war. Bei diesem Gedanken beruhigte Hartwich sich.
Unermüdlich hatten Pasqual und er das Haus umkreist, jeder nach verschiedener Richtung hin. Als der Morgen graute, fand sich auch der Homgori ein und meldete, daß er nichts von Miß Maad entdeckt habe, betonte im übrigen, die Insel sei mit Ausnahme dieses Tales eine öde Steinwildnis ohne jeden Baumwuchs.
Hartwich fragte, ob Murat nicht vielleicht die Stelle gefunden habe, wo das von den geheimnisvollen Bewohnern doch notwendig zur Flucht benutzte Fahrzeug seinen Liegeplatz gehabt habe …
„Sie müssen ein Schiff, sei es ein großes Boot oder gar einen Schoner oder dergleichen, zur Verfügung gehabt haben … Auf unseren beiden Flugzeuggondeln können sie nicht das Weite gesucht haben, da diese die siebzehn Menschen niemals tragen würden, und so viel Leute sind’s bestimmt gewesen, eben wahrscheinlich ein einzelner Mann und sechzehn Frauen …“
Murat erwiderte, er habe nirgends etwas von einer Anlegebrücke oder dergleichen bemerkt …
„Murats Augen sehr gut!“ fügte er hinzu. „Alles sehen … Hier dies gefunden zwischen Steinen an große Bucht …“
Er öffnete seine linke behaarte Riesenpranke …
Ein goldenes, mit kleinen Perlen besetztes Kreuz an dünnem Kettchen war’s …
Georg Hartwich nahm das Schmuckstück, drehte es um …
Auf der Rückseite war eingraviert:
Toni Dalaargen
1911
Steuermann Hartwich war der Name Dalaargen völlig unbekannt …
„Ich werde das Perlenkreuz an mich nehmen,“ meinte Hartwich gleichgültig. „Es gehört natürlich einem der Mädchen, die hier gehaust haben.“
Dann befahl er Murat, aus dem Stalle einen Spaten zu holen und die vier im Garten liegenden Toten zu begraben.
Worg und Pasqual erschienen jetzt im Hofe, um die Freunde abzulösen.
„Doktor Falz wird auch sofort fertig angezogen sein,“ meinte der Detektiv. „Dann müssen Sie beide der wohlverdienten Ruhe pflegen. Wir werden hier schon nach dem Rechten sehen …“ –
Für das Ehepaar Hartwich war oben einer der drei Räume bestimmt worden. Als der Steuermann nun dieses Zimmer leise betrat, um Ellen nicht im Schlafe zu stören, fand er ihr Bett leer.
Ihm fiel auch auf, daß die Tür nach dem Flur hin nicht mehr verschlossen war. Ein wenig besorgt pochte er zunächst gegen Agnes’ Zimmertür, die nebenan lag …
Zu seiner Freude öffnete Ellen ihm, schlüpfte heraus und meinte ein wenig verlegen:
„Ich habe mich hier allein gefürchtet, Georg … Und für Agnes war es auch besser, daß sie Gesellschaft hatte … Die Ärmste hat noch kein Auge zugetan, weniger aus Kummer über den Verlust der Sprache als vielmehr Gaupenbergs wegen …“
Dann schlang sie ihrem Georg die Arme um den Hals und küßte ihn, lächelte schelmisch und flüsterte:
„Jetzt werde ich keine Angst mehr haben, Liebster … Du bist ja bei mir … – Wie … gefalle ich dir übrigens in diesem hellseidenen Schlafanzug? Dort im Schranke fand ich ihn – noch unbenutzt … Und Wäsche ist dort aufgestapelt – eine Unmenge! Dieses Zimmer scheint Vorratsraum gewesen zu sein …“
Georg Hartwich war in sein junges Frauchen viel zu verliebt, um ihr nicht gehorsam einige faustdicke Schmeicheleien zu sagen …
Eine halbe Stunde später schlief er tief und fest in dem bequemen breiten Bett …
Ellens Kopf ruhte an seiner Schulter….
Draußen war bereits die Sonne aufgegangen … –
Als Hartwich dann gegen elf Uhr vormittags mit Ellen den Speisesaal im Erdgeschoß betrat, fanden sie hier an der gedeckten Frühstückstafel Doktor Falz und Agnes vor.
Agnes war jetzt weit besserer Stimmung, wenn sie auch recht übernächtigt aussah. Ihr väterlicher Freund Dagobert Falz hatte seinen Einfluß nicht umsonst geltend gemacht.
Das Ehepaar Hartwich nahm Platz.
Falz erzählte, daß Jakob Worg das Arbeitszimmer des unbekannten Mannes, der hier mit den ebenso unbekannten Mädchen gewohnt hatte, bereits gründlich durchsucht habe …
„Leider ist von Papieren, die über diese geheimnisvollen Menschen Aufschluß geben könnten, nicht das Geringste vorhanden, lieber Hartwich … Lediglich mexikanische Zeitungen sind in Unmenge vorhanden, außerdem eine umfangreiche Bibliothek, Romane in allen Sprachen, wissenschaftliche Werke und Noten – ganze Stöße …“
Hartwich ließ sich die Teetasse von neuem füllen … Fragte gespannt: „Bleibt Worg bei seiner Annahme, daß diese Insel hier ein Depot von Mädchenhändlern gewesen ist?!“
„Worg weiß nicht recht, was für eine Theorie er hierüber aufstellen soll … Jedenfalls aber stammt die ganze Hauseinrichtung aus einem Ozeandampfer, der nach Worgs Ansicht hier gestrandet ist. Worg behauptet auch, daß dies Gebäude und der Stall von einem einzigen Menschen hergestellt worden sind …“
Der Steuermann schüttelte den Kopf. „Das dürfte wohl unmöglich sein, Herr Doktor … Ein einzelner Mensch würde ja jahrelang daran gearbeitet haben …“
„Worauf die Inschrift über dem Haupteingang hindeutet, lieber Hartwich … Dort ist nämlich eine flache Festplatte eingefügt, und die eingemeißelte Inschrift lautet:
1904 – 1909
König Salomo
Etwas merkwürdig, dieses … ‚König Salomo’ … Immerhin, die Jahreszahlen beweisen wohl, daß der Hausbau 1904 begonnen und 1909 vollendet wurde …“
„Alles nur dunkle Geheimnisse,“ warf Ellen da seufzend ein. „Ich werde mich hier stets ängstigen, Herr Doktor …“
„Dazu ist kein Grund vorhanden,“ mein Falz in seiner gütigen Art. „Wir sind allein auf der Insel. Pasqual und Murat haben das Eiland nochmals durchsucht. Wir können uns sogar glücklich preisen, daß wir dieses behagliche Heim gefunden haben. Wie alle bedürfen der Ruhe …“ –
Nach dem Frühstück durchschritten Ellen, Agnes und Hartwich die gesamten Räume. Sechzehn Zimmer waren von weiblichen Personen bewohnt gewesen. Die Schränke in diesen Zimmern enthielten zumeist nur Wäsche und hemdartige lose Gewänder. Auffallend war, daß verschiedene dieser unbekannten Mädchen eine große Vorliebe für Puppen und anderes Spielzeug gehabt hatten.
Die Küchenräume im Erdgeschoß blitzten vor Sauberkeit. In der Speisekammer und in dem kleinen Keller unter der Küche waren ganze Stapel von Konserven aller Art aufgehäuft. Die Küchengeräte bewiesen, daß sie von einem Dampfer herrührten – genau wie die Möbelstücke. Worgs Vermutung war also wohl richtig.
Nach diesem Rundgang traten die drei in den Garten hinaus.
Pasqual erwartete sie schon.
„Wir wollen jetzt unsere vier Toten der Erde übergeben,“ erklärte er. „Die Gräber sind fertig. Die Leichen sind auch bereits mit einer dünnen Schicht Erde bedeckt …“
Hartwich riet den beiden Freundinnen, dieser ernsten Feier besser fernzubleiben.
„Es würde Agnes nur aufregen,“ flüsterte er Ellen zu …
Und Ellen und Agnes schritten daher der Bucht zu, während Georg und Pasqual in den Garten bis zu jener hohen Palme gingen, wo die übrigen Gefährten schon versammelt waren.
Doktor Falz sprach ein paar Worte an den vier Gräbern – ernste Worte mit einem Hinweis auf alle die, denen das Azorengold bereits das Leben gekostet, Worte auch des Dankes für die beiden Homgoris, die hier so jäh ihr Ende gefunden und die bis zum letzten Atemzuge sich treu und anhänglich gezeigt.
Ein kurzes Gebet noch, und Murat und Pasqual schaufelten die Erde in die Gräber und formten vier flache Hügel.
So war denn auch diese traurige Pflicht getan.
Hartwich, Worg und Pasqual begaben sich zur Sphinx, um zunächst die Trümmer aus dem Inneren des Bootes herauszuschaffen. Falz und Murat wollten Ellen und Agnes folgen und gemeinsam dann den höchsten Punkt der Insel erklimmen, um von dort die Form des Eilandes, die Buchten und Landzungen genau überschauen zu können. Man hoffte noch immer, daß Gipsy Maad vielleicht doch noch auf der Insel sei und sich nur aus ihrem Versteck nicht hervorwage.
Doktor Falz holte aus dem Hause ein Fernglas. Dann schritt er mit dem Homgori davon.
Die Hitze des wolkenlosen Tages hatte jetzt hier auf der tropischen Felseninsel derart zugenommen, daß die schwarzen Gesteinsmassen zu glühen schienen und die Luft über dem Boden wie über einer Esse deutlich flimmerte.
Doktor Falz sprach mit dem Homgori über das goldene Perlenkreuzchen, fragte, wo Murat es gefunden habe und wollte sich nachher von ihm die Stelle zeigen lassen.
Sie hatten die Schlucht, die den Eingang zu der Nordbucht bildete, beinahe passiert, als Ellen und Agnes ihnen in höchster Eile entgegen gelaufen kamen …
Falz und Murat griffen unwillkürlich zu ihren Pistolen …
Sie geklauten, die beiden Frauen würden von irgend jemand verfolgt.
Ellen rief schon von weitem:
„Hier – wir haben einen Zettel von Gipsy Maad gefunden, Herr Doktor …“
Atemlos langten sie bei Falz und Murat an …
Atemlos stieß Ellen hervor: „Wir waren nach rechts am Strande entlanggegangen … Die Felsküste ist dort flach … Erst hundert Meter nach dem Inneren zu steigen die Wände senkrecht an … Und dort lag der Zettel …“
Falz nahm das Stück Papier … Es war eine Seite aus einem kleinen Notizbuch. In sehr kritzliger Schrift hatte Gipsy Maad folgendes geschrieben:
Agnes, sollten Sie diesen Zettel finden, bevor man auch Sie gefangengenommen hat, dann steigen Sie sofort mit der Sphinx auf. Fliehen Sie! Kümmern Sie sich nicht weiter um mich, denn diese Unglücklichen hier würden Sie nie mehr freigeben. – Heimlich und eiligst – – Gipsy.
„Nicht wahr, Herr Doktor, – es ist doch sehr merkwürdig, daß die Detektivin hier von ‚Unglücklichen’ spricht,“ meinte Ellen, als Falz den Zettel überflogen hatte. „Von Unglücklichen, wo der hagere graubärtige Unbekannte doch kaltblütig die beiden Flugzeugführer und Murats Artgenossen niedergeschossen hat …!“
„Allerdings … Auch ich werde diesen Widerspruch kaum aufklären können. Überhaupt, der Zettel ist noch in anderer Beziehung sonderbar … Die junge Amerikanerin muß ihn doch geschrieben haben, bevor die Unbekannten mit ihr die Insel verließen … Wie mag sie nur noch Zeit und Gelegenheit gehabt haben, für Agnes diese Nachricht dort niederzulegen?! – War der Zettel mit einem Stein beschwert?“
„Nein. Er lag zwischen Steingeröll. Fiel uns schon von weitem auf …“
„Dann wollen wir doch einmal dorthin gehen,“ sagte Dagobert Falz nachdenklich. „Vielleicht entdecken wir irgendwelche Spuren oder sonst etwas Wichtiges …“
Agnes hatte bisher still zugehört.
Jetzt legte sie ihre Hand leicht auf Doktor Falz’ Arm, bewegte krampfhaft die Lippen und schien ihm etwas mitteilen zu wollen, wobei sie wiederholt mit der linken Hand nach dem offenen Meere deutete …
„Ich werde Ihnen einen Bleistift geben,“ sagte Falz liebevoll. „Hier, Agnes … Hier haben Sie auch den Zettel … Schreiben Sie …“
Agnes Sanden hob rasch einen flachen glatten Stein vom Boden auf und benutzten ihn als Schreibunterlage …
Gab dem Doktor dann das Stück Papier …
Da stand:
‚Ich sah etwas Weißes aus der Luft herabflattern, als wir uns der Stelle näherten, wo wir dann Gipsys Nachricht fanden. Ich glaube, es war der Zettel, der uns auf diese Weise zugeworfen wurde.’
Als Doktor Falz diese Sätze gelesen hatte, schaute er Agnes zweifelnd an …
Aber sie nickte ihm eifrig zu und deutete durch Handbewegungen an, wie ‚das weiße Etwas’ langsam herabgeschwebt sei …
Falz wiegte den grauen Kopf hin und her …
„Entweder weilt Gipsy Maad noch auf der Insel,“ meinte er sinnend, „oder sie hatte den Zettel oben auf der Steilwand niedergelegt und der Wind hat ihn dann hinabgeweht. – Am besten ist, wird tragen Jakob Worg den Fall vor. Für solche Dinge ist er der rechte Mann … – Gehen wir … Die Sache muß gründlich aufgeklärt werden …“
Eiligst kehrten die vier nach dem Tale zurück …
Als sie sich dem Hause näherten, erblickten sie zu ihrer grenzenlosen Überraschung auf dem breiten Hauptwege des Gartens einen seltsamen Zug …
Voran schritten Pasqual und … Gottlieb Knorz, die eine aus Baumzweigen hergestellte Bahre trugen …
Auf dieser Bahre lag ein Mann mit zur Hälfte verbundenem Gesicht …
Und dahinter kamen, an den Händen gefesselt, Mafalda, Edgar Lomatz und ein fremder Europäer, bewacht von dem grimmen Riesen Jimminez …
Zur Seite schritten Detektiv Worg, Steuermann Hartwich, Mela Falz und ein schlanker, vornehmen aussehender Fremder … –
Agnes starrte entgeistert auf die Bahre … Nur auf die Bahre …
Dann stürmte sie plötzlich vorwärts, machte dicht vor dem offenbar schwer Verletzten halt, breitete die Arme aus und … stürzte mit dem verzweifelten Aufschrei „Viktor – – Viktor!!“ bewußtlos zu Boden …
Sie hatte ihren Verlobten wiedererkannt … Und der Schreck bei seinem Anblick hatte der Ärmsten … die Sprache wiedergegeben …
Kehren wir nochmals zurück zu dem Segelkutter, der den Goldschatz der Azoren und die drei Insassen von den Gestaden der Insel Christophoro hinein in die Qualmwolken des brennenden Petroleumdampfers trug …
Gerhard Nielsen hatte sofort gemerkt, daß es hier nur eine Möglichkeit gäbe, den Scheinwerfern der Jacht zu entkommen …
Daß diese Möglichkeit die ernstesten Gefahren in sich barg, verhehlte er sich keinen Augenblick.
Der Geruchssinn sagte ihm, daß die nebelartigen Dunstmassen dort drüben der Rauch brennenden Petroleums seien …
Mithin konnte man in den Dünsten dort nur zu leicht ersticken, sobald man auch nur wenige Minuten diese verpestete Luft atmen mußte.
Er lenkte daher auch das große Segelboot derart, daß es lediglich den vordersten Teil der mit dem Winde treibenden Rauchwolken zu durchqueren hatte …
Rief jetzt Mafalda und Lomatz zu:
„Den Atem anhalten …!!“
Und im selben Moment schoß der Kutter auch schon in die gelbgrauen stinkende Nebel hinein …
Doch – Nielsen hatte sich nur zu sehr verrechnet, was die Breite der ziehenden Rauchmenge anbetraf …
Sie wollte kein Ende nehmen …
Mafaldas gellender Angstschrei, Lomatz’ ebenso wildes Stöhnen und der eigene Zustand halber Bewußtlosigkeit bewiesen ihm, daß ihrer aller Leben ernstlich bedroht sei …
Längst hatte er die giftigen Schwaden in die nach Luft ringenden Lungen eingesogen …
Längst kämpfte er selbst gegen die nahende Ohnmacht mit äußerster Energie an …
Hatte auch bereits das Steuer herumgerissen, um den Kutter wieder aus dem Qualm herauszubringen – selbst auf die Gefahr hin, daß man der Jacht in die Hände fiele …
Denn – sein Leben hier opfern für … zwei Verbrecher …!! Nein, das wollte Gerhard Nielsen nicht! Das war ihm dieses Abenteuer doch nicht wert!
Immer mehr verwirrten sich seine Gedanken …
Undeutlich sah er erst Mafalda, dann Lomatz von der Steuerbank nach vorn ins Boot taumeln …
Mit einem Male war’s dann auch mit ihm zu Ende …
Kraftlos fiel er zur Seite, rollte schwerfällig halb unter die nächste Bruderbank …
Und gleich darauf … schoß der Kutter ins Freie – in frische Luft hinein … –
Gerhard Nielsen kam als erster wieder zu sich …
Blendende Helle stach ihm in die tränenden, schmerzenden Augen …
Feuer ringsum …
Das Meer brannte …
Nielsen richtete sich mit einem Ruck höher auf …
Ein Blick … und er sah, daß das Boot von einem Motorkutter durch diesen flammenden Ozean in rasender Fahrt geschleppt wurde …
Er sah noch mehr …
Da war am Steuer des Kutters ein hochgewachsener Mann, dem die Giftdünste auch bereits jede Kraft genommen, der haltlos schwankte, der … plötzlich seitwärts in die lohenden Wogen glitt …
Gerhard Nielsen sprang empor …
Wo er die ungeheure Energie hernahm, den neuen Ohnmachtsanfall zu unterdrücken, einen Bootshaken zu ergreifen und den soeben wieder Auftauchenden geschickt mit dem Haken festzuhalten, – er wußte es selbst nicht …
Er handelte nicht wie ein denkender Mensch – nein, wie eine Maschine, die unbeeinflust war von den giftigen Gasen, der betäubenden Hitze und den überall emporleckenden Flammenzungen …
Er riß den Mann an Bord …
Erstickte die Flämmchen der angebrannten Kleider.
Und – – verlor nun selbst zum zweiten Male das Bewußtsein … –
Der Kutter mit dem Segelboot im Schlepptau jagte weiter …
Minuten noch, und er hatte die brennenden, schwimmenden Petroleummengen hinter sich …
Jiminez war jetzt am Steuer des Kutters erschienen. Neben ihm der Herzog …
„Gaupenbergs ist gerettet!“ rief Dalaargen jubelnd … „Dort – dort im Boote liegt er … Ich werde es näher heranziehen, Jimminez … Wir müssen die Ohnmächtigen an Bord nehmen …“
„Den Grafen und – – drei Verbrecher!“ meinte der Riese finster. „Weiß Gott, die drei hätten es verdient, daß …“
Dalaargen hatte das Tau schon gepackt … Knotete es kürzer … schritt dann nach vorn, bis das Segelboot dicht neben dem Kutter dahinschoß.
Und hinter den beiden nach Norden strebenden Fahrzeugen brannte der Ozean …
Spie Qualm in die Höhe … –
Der Herzog kletterte in das große Segelboot und holte als ersten den Grafen … Sah jetzt den mit Goldbarren und Juwelen bedeckten Boden – sah Milliarden hier aufgehäuft …
Rasch trug er Gaupenberg in die kleine Kajüte …
„Nehmen Sie sich seiner an, Mela,“ rief er dem rotblonden Mädchen zu …
Und holte Mafalda Sarratow …
Hielt sie in den Armen, die berüchtigte Abenteurerin … Und begriff jetzt, daß sie die Männer zu Sklaven machte, daß dieses Weib gefährlicher war als ein Dutzend andere ihres Schlages. Denn sie war schön – sie besaß jene dämonischen Reize, die stets siegen, wenn sie nur ihre Macht voll entfalten können … –
So brachte er auch Lomatz und Gerhard Nielsen in die Kajüte, half Mela nun, zunächst Gaupenbergs Lebensgeister wieder anzufachen … –
Sein Gesicht, seine Hände, sein Hals waren mit Brandwunden bedeckt … Er litt unsäglich … Stöhnte nur leise … Ließ sich von Dalaargen verbinden und – – ward abermals bewußtlos.
Auch Mafalda zeigte jetzt durch stoßweise Atemzüge, daß sie das Schlimmste überstanden hatte.
Als sie die Augen öffnete, als sie im hellen Lampenlicht der Kajüte Mela Falz erkannte, preßte sie vor jähem Schreck die Zähne in die Unterlippe …
‚Verspielt – abermals verspielt!!’ schoß es ihr durch das schmerzende Hirn … ‚Abermals um die Beute betrogen – wieder in der Gewalt der Feinde!’
Und eine so unsagbare Wut packte sie da, daß sie den ihr bisher völlig fremden Dalaargen, der sich soeben über sie gebeugt hatte, mit den Fäusten vor die Brust stieß …
„Das Kätzchen kann kratzen …!“ meinte der Herzog nur … „Man muß ihm also die Krallen beschneiden!“
Und eingedenk alles dessen, was er bereits über diese gewissenlose Verbrecherin erfahren, nahm er eine dünne Hanfschnur aus einem der Seitenschränke und wandte sich Mafalda wieder zu …
„Lassen Sie sich gutwillig fesseln!“ befahl er streng.
Gerade da tauchte Gottlieb Knorz in der schmalen Tür, die nach der Kombüse führte, mit seinem Teckel im Arm als unerbittlichster Feind Mafaldas plötzlich auf. Er hatte bisher den Motor bedient … Jetzt aber wollte er sich ablösen lassen, wollte die Pflege seines geliebten Herrn selbst übernehmen.
Schlimmeres als der Anblick des knochigen, sehnigen Alten mit dem verwegenen Wilderergesicht, das so gar nicht zu einem gräflichen Diener paßte, konnte Mafalda kaum begegnen …
Und scheu sich zusammenduckend, streckte sie jetzt die Hände vor und ließ sich die Hanfschnur um die Gelenke legen.
„Gut so!“ rief Knorz da. „Gut so, Hoheit …! Nur sich nicht etwa durch das Lärfchen da blenden lassen! Das Weib hat mehr auf dem Gewissen, als ein ganzes Zuchthaus zusammengenommen!“
Dalaargen vergaß hier, daß er eine Vertreterin des anderen Geschlechts, des angeblich schwächeren, vor sich hatte …
Er ging nicht gerade sanft mit Mafaldas Handgelenken um … Und als sie nun leise und verächtlich rief: „Sie tun mir weh – Sie sind ein brutaler Mensch!!“ da erwiderte er nur:
„Denken Sie an Manuel Pasco, den Neger, der in Ihrem Auftrag Agnes Sanden … zur Dirne machen sollte …!“
Und die Fürstin verfärbte sich unter dieser harten Anklage … Nun erkannte sie, was ihr bevorstand, wenn ihr nicht irgendwie die Flucht glückte … –
Auch Lomatz war jetzt erwacht. Mit ihm machte man noch weniger Umstände. Gottlieb fesselte ihn, knurrte dabei in einem Tone, der geradezu unheilverkündend war: „Diesmal werde ich dich bewachen, du Schurke …! Diesmal entrinnst du deiner Strafe nicht!“
Edgar Lomatz war viel zu matt, als daß er sich hätte zur Wehr setzen können. Gottlieb knotete ihm die Handgelenke so sicher zusammen, daß jeder Befreiungsversuch aussichtslos sein mußte.
Nun lag nur noch Gerhard Nielsen ohne Besinnung da. Um ihn bemühte sich Alfonso Jimminez, der jetzt Melanie Falz das Steuer überlassen hatte …
„Der hier scheint von der verpestete Luft am allermeisten geschluckt zu haben,“ sagte der Riese zu Gottlieb Knorz. „Der Puls ist kaum zu spüren …“
„Dann bringen wir ihn am besten an Deck in die frische Luft,“ erklärte der Alte. „Wenn es auch fraglos ein Lump wie Mafalda und Lomatz ist, wir können ihn doch nicht krepieren lassen. Das ist nun mal Menschenpflicht …“
„Ein Lump?!“ meinte Jimminez. „Bezweifle ich! Er war’s, der unseren Grafen aus der brennenden See wieder auffischte … Das wollen wir nicht vergessen!“
„Stimmt …! Dann packen Sie mit zu, Jimminez! Nach oben mit ihm … Oder besser – der Herzog mag mir helfen. Übernehmen Sie jetzt den Motor … Ich will bei meinem Herrn bleiben …“
Dalaargen half dem Alten, den ihnen dem Namen nach noch unbekannten blonden Mann an Deck zu tragen.
Knorz eilte wieder in die Kajüte hinab …
So waren denn nun hier am Heck des Motorkutters Mela mit dem Herzog und dem Bewußtlosen allein …
Der Motorkutter hielt noch immer nördlichen Kurs. Längst waren jetzt die Gestade der Insel Christophoro unter dem Horizont verschwunden, und auch von dem Brande des Petroleums, von den flammenden Wogen, war nur noch ein schwacher rötlicher Schein zu bemerken.
Melanie Falz, die Hände an den Speichen des Steuerrades, beobachtete still den schlanken Herzog, der neben dem blonden bewußtlosen Fremden kniete …
Mela war es vorhin in der Kajüte nicht entgangen, daß Dalaargen sie in mit dem förmlichen, kalten ‚Sie’ angeredet hatte …
Ein seltsamer Zwiespalt bedrückte ihr gequältes Herz. Wenn es ihr einerseits nach den neuen Eröffnungen des Geheimagenten Jimminez, die den Herzog noch stärker denn bisher als recht zweifelhafte Persönlichkeit erscheinen ließen, nur angenehm sein konnte, daß Dalaargen die Beziehungen zu ihr als gelöst betrachtete, so war doch anderseits ihre Liebe zu diesem Manne zu tief und zu stark, um ihn so plötzlich gleichsam aus ihrem Gedächtnis zu streichen – ihn und die großen Stunden seligsten Rausches, die sie ihm verdankte …
Und wie sie jetzt nun hier an Deck Zeugin wurde, mit welcher Sorgfalt er den Fremden betreute und unablässig die beatmenden brusthebenden Armbewegungen des Leblosen fortsetzte, wie sie auch so in aller Ruhe kritisch seine von der Hecklaterne bestrahlten Gesichtszüge prüfen konnte, da sagte sie sich immer wieder, daß das vornehme, schmale Antlitz und diese aufdrucksvollen Augen niemals einem gemeinen Verbrecher gehören könnten …
Die zwiespältigen Empfindungen in ihrem Herzen steigerten sich zur namenlosen Qual … Dieser Kampf zwischen Liebe und immer wieder aufsteigenden Zweifeln trieb ihr die Tränen in die Augen …
Wie durch einen Schleier sah sie jetzt, daß der blonde Seemann sich regte, daß Dalaargen, neben ihm kniend, zu ihm sprach …
Sie glaubte auch zu erkennen, daß der Herzog mit einer Bewegung der Überraschung die Hand des Fremden ergriff, sich dann nach ihr umschaute und dem Manne noch leiser etwas zuflüsterte …
Als Dalaargen sich nun erhob und in die Kajüte hinabeilen wollte, um für den soeben Erwachten ein Gläschen Kognak zu holen, rief Mela ihn bittend an.
„Fredy …!!“
Er wandte den Kopf, stand schon auf der Treppe …
„Sie wünschen, Fräulein Falz?“
Das klang nicht etwa kühl und ablehnend. Nein – nur freundschaftlich – höflich …!! Ohne jeden Ton von Vertrautsein aber …
Mela war’s, als ob Dalaargen sie soeben für immer von sich gestoßen habe …
Wie konnte er, wenn er noch etwas für sie empfand, auf diesen flehenden leisen Ruf hin so kalt antworten?!
Und in rasch aufsteigendem Ärger, sich ihm gegenüber etwas vergeben zu haben, erwiderte sie nur:
„Bitte lösen Sie mich recht bald hier am Steuer ab … Ich fühle mich dieser Aufgabe doch nicht gewachsen …“
„Einen Augenblick nur noch,“ nickte er eben so kameradschaftlich freundlich. „Der Mensch da soll durch Kognak schneller auf die Beine gebracht werden. Gerhard Nielsen will er heißen … Ich glaube nicht daran … Mafaldas Verbündete sind sämtlich Schwindler …“
Bereits fünf Minuten später stand Fredy Dalaargen am Steuer. Die Gefangenen waren im Vorschiff eingesperrt worden. Der Herzog hatte Gerhard Nielsen persönlich gefesselt. Daß diese Fesseln recht locker saßen, merkte niemand.
Gottlieb Knorz und Jimminez aber schafften nun nach kurzer Rücksprache mit Dalaargen den Goldschatz und die Juwelen aus dem Segelboot in die Kajüte des Motorkutters. Man war übereingekommen, den Schatz zunächst auf einer einsamen Insel, die der Herzog zu kennen behauptete, aufs neue zu verbergen und dann erst die Suche nach den Gefährten, die mit den beiden Flugzeugen verschollen waren, sowie nach Agnes, Gipsy Maad und der Sphinx wieder aufzunehmen.
Über dies anzulaufende Insel hatte Dalaargen nur allgemeine Andeutungen gemacht. Er hatte behauptet, sie sei noch völlig unbekannt und läge südöstlich der Kleinen Antillen im Atlantik. Er selbst habe nur durch einen Zufall von ihrer Existenz erfahren.
Während Mela nun also am Krankenlager des von heftigem Fieber ergriffenen Grafen Gaupenberg saß, brachten Knorz und Jimminez in großen wollenen Decken, die sie als Rucksäcke benutzten, die Ladung des Bootes in die Kajüte und verstauten sie hier.
Fast drei Stunden währte diese Arbeit. Inzwischen hatte Dalaargen dem alten Gottlieb das Steuer übergeben, da diese Umladung der Goldbarren den wackeren Knorz auf die Dauer doch zu sehr anstrengte.
Als der neue Tag heraufzog, wurde das leere Segelboot, da es die Schnelligkeit des Kutters allzusehr herabsetzte und bei seinen vielfachen Beschädigungen kaum mehr seetüchtig war, den Wogen überlassen. Taumelnd tanzte es über die Wellen hin – steuerlos, ohne Besatzung. Sehr bald war es dann verschwunden. Der Kutter aber durchschnitt nun mit einer Geschwindigkeit von achtzehn Knoten die klaren Wogenberge des Ozeans und eilte unaufhaltsam weiter nach Norden. –
Die Sonne schob sich langsam über den östlichen Horizont hinweg …
Dalaargen saß auf dem Dache des niederen Kajütenaufbaus und schaute sinnend über das endlose Meer hinweg, beobachtete den runden, rosigen Ball des Tagesgestirns und … dachte an das, was ihm die nächsten Tage bringen würden, dachte an die unbekannte Insel und an den Fluch, der auf seiner Familie lastete …
Sein Gesicht war düster und gramerfüllt, war das Antlitz eines Menschen, der in seinem Leben unendlich Trauriges durchgemacht und … der unendlich Vieles vor der Welt zu verbergen hat …
Und jetzt noch in seinem Herzen die ungewisse Angst, ob es ihm auch gelingen würde, die Insel zu finden …
Und – wenn er sie fand, – was würde dort dann geschehen?! –
Gottlieb Knorz rief ihn vom Steuer aus an …
„Hoheit, Sie selbst waren also noch nie auf jenem Felseneiland?“
Dalaargen nahm sich zusammen, setzte gleichsam wieder seine gewöhnliche Maske auf …
„Nein, lieber Knorz … Wir werden auch um die Mittagszeit sehr stark Ausguck halten müssen … Die genaue Lage der Insel kenne ich nicht. Ich weiß nur, daß man sie dort suchen muß, wo die Schiffsrouten nach den Kleinen Antillen und Mexiko einen nie befahrenen Streifen des Atlantischen Ozeans begrenzen …“
„Nun – ein schlimmes Ding, auf die Weise ein Inselchen zu finden,“ meinte Knorz kopfschütteln. „Vielleicht kreuzen wir ganz umsonst tagelang und …“
„Ausgeschlossen, lieber Knorz …! Die Insel muß bereits aus großer Entfernung zu erkennen sein … Die Ufer sind dunkel, sehr steil und buchtenreich …“
„Ob denn wirklich noch niemand das Vorhandensein der Insel der Öffentlichkeit preisgegeben hat, Hoheit?“
„Bestimmt nicht … Ich bin leider, was meinen Gewährsmann hinsichtlich der Existenz des Eilandes betrifft, zum Schweigen verpflichtet … Dieser Gewährsmann haust dort auf der Insel …“
„Ah – und dort sollen wir dann den Schatz verbergen?!“
„Der Mann, mein lieber Knorz, hat für die Schätze dieser Welt kein Interesse mehr… Vielleicht ist er sogar reicher als das ganze Azorengold und König Matagumas Juwelen und Kleinodien wert sind …“
„Hm – das … das klingt alles so geheimnisvoll, Hoheit,“ meinte Knorz nachdenklich …
Und wie er dies so bedächtig vor sich hinsprach, regte sich mit einem Male ein unbestimmtes Mißtrauen in ihm …
Wie – wenn dieser Herzog, den man da auf der Milliardärsjacht kennengelernt hatte, auch nur ein Abenteurer wäre und jetzt den Kutter mit der Milliardenladung nur deshalb nach jener Insel dirigierte, damit er sich dort mit Hilfe von guten Freunden des Goldes bemächtigen könnte?!
Und dieser Gedanke ließ den treuen Gottlieb fernerhin nicht mehr los …
Trotzdem war der alte Knorz schlau genug, diese Regung des Argwohns sorgsam zu verbergen.
Ganz harmlos setzte er die Unterhaltung mit Dalaargen fort.
Gegen sieben Uhr morgens übernahm der Herzog dann wieder das Steuer. Gottlieb erklärte, er würde nun ein paar Stunden zu schlafen versuchen und ging leise in die Kajüte hinab.
Hier lag auf dem linken Wandsofa der stark fiebernde Gaupenberg. Auf dem anderen war Mela vor Erschöpfung nach all den Aufregungen der verflossenen Nacht eingeschlummert.
Jimminez saß an Gaupenbergs Krankenlager und erneuerte unausgesetzt die kalten Kompressen, mit denen man das Fieber zu dämpfen suchte.
„Ich möchte Sie etwas fragen, Jimminez,“ flüsterte er zögernd. „Sie müssen aber ganz ehrlich sein … – Wie gefällt Ihnen der Herzog? Was halten Sie von ihm? Sie sind doch weit genug in der Welt herumgekommen, besitzen Menschenkenntnis …“
Und Jimminez antwortete offen:
„Jetzt, wo Sie mich direkt danach fragen, Herr Knorz, will ich mit dem, was ich weiß, nicht länger …“
„Ah – was wissen Sie?!“
Jimminez erzählte, betonte dabei, daß sein Personengedächtnis ihn in diesem Falle bestimmt nicht täusche …
Viel mehr, als er Mela mitgeteilt hatte, konnte er auch Gottlieb über seinen Zellengenossen nicht sagen … „Später hörte ich, daß jener Mann aus dem Gefängnis ausgebrochen sei. Meiner Überzeugung nach ist’s der Herzog.“
Gottlieb saß mit einem Gesicht da, das ebenso verstört wie ungläubig war …
„Also … Mädchenhändler!“ stieß er nun hervor. „Alles andere hätte ich erwartet – das nicht …! Diese Menschenschacherer sind die elendsten Kreaturen, die …“
„Gestatten Sie noch eine Bemerkung,“ fiel ihm Jimminez ins Wort. „Ich muß diesen Verdacht gegen den Herzog noch erweitern …“
Und er berichtete, was sich in Lomatz’ Kabine auf der Milliardärsjacht zwischen Dalaargen und Lomatz abgespielt hatte …
Dann schloß er jedoch: „Und trotz allem, Herr Knorz, bleibe ich dabei, daß dieser Dalaargen kein schlechter Mensch ist … Mag er in seiner Vergangenheit manches getan haben, was gesetzwidrig war – genaues wissen wir nicht! – ein Lump ist’s auf keinen Fall. Auch darin täuscht mich meine Menschenkenntnis wohl kaum …“
Gottlieb blickte recht finster vor sich hin …
Dann flüsterte er eindringlich: „Und wenn er uns jetzt nur nach seiner phantastischen Insel lockt, um den Schatz dort an sich zu bringen?! Wenn er dort Helfershelfer hat, die uns kaltblütig beseitigen?!“
Der riesige Jimminez lächelte …
„Herr Knorz, wir werden schon die Augen offen halten …! Sobald wir uns der Insel nähern, trage ich meinen Revolver entsichert in der Innentasche … Und wenn ich nur das geringste Verdächtige merke, so soll dieser Mann keine Gelegenheit mehr finden, uns zu schaden. Seien Sie aber ganz ruhig, Herr Knorz … Dalaargen ist kein Lump …! Dabei bleibe ich, – bis Tatsachen oder Ereignisse nicht eines Besseren belehren …“ –
Und abermals vier Stunden später hatte Fredy Dalaargen mit Hilfe eines Fernglases weit östlich am Horizont einen dunklen Fleck erspäht.
Er rief Jimminez zu, den Kurs des Kutters zu ändern …
Deutlicher und deutlicher wurden die düsteren Felsgestade der kleinen Insel …
Gottlieb Knorz, der neben Jimminez am Steuer lehnte, flüsterte hastig:
„Jetzt kommt die Entscheidung … Auch meine Pistole steckte entsichert in der rechten Jackentasche … Sobald Dalaargen auch nur ein einziges Signal irgendwie nach der Insel hin gibt, packen wir zu …“
„Sie regen sich umsonst auf …“
„Oho – schaun Sie nur, wie angespannt er mit dem Glas die Steilufer absucht …!!“
„Warten Sie ab …!“
Da drehte der Herzog sich um, meinte mit seltsam heiserer Stimme:
„Eine Bucht gerade voraus, Jimminez … Steuern Sie sie an …“
Und abermals nahm er das Glas an die Augen …
Bis Gottlieb hinter ihn trat und meinte:
„Vielleicht geben Sie mir jetzt einmal das Fernglas, Hoheit …“
Fast unhöflich klang’s …
Dalaargen blickte den Alten prüfend an … Merkte das Mißtrauen …
Ein bitterer Zug grub sich um seinen Mund …
„Bitte …!“ Und erreichte Gottlieb das Fernglas und setzte sich auf das Dach des Kajütenaufbaus. –
Der Kutter lief in die Bucht ein.
Es war dieselbe, die vor noch nicht achtundzwanzig Stunden ein anderes Fahrzeug auf ihren stillen Wassern getragen hatte …
Dieselbe, die sich sehr bald zu einem runden Becken erweiterte …
Und als der Kutter nun in diesen Binnensee einbog, wo die Insassen der beiden zu einem Fahrzeug vertäuten Flugzeuggondeln durch einen Hagel von Feldsstücken begrüßt worden waren, da … brüllte Gottlieb Knorz plötzlich mit überschnappender Stimme:
„Bei Gott, – dort steht Steuermann Hartwich!! Er ist’s – – er ist’s …!“
Und noch lauter:
„Hallo – – hallo, – – hier Gottlieb Knorz!!“
Hartwich, der soeben am Ufer des Binnensees nochmals nach den beiden verschwundenen Flugzeuggondeln Ausschau gehalten hatte, rannte den Abhang wieder hinan und winkte mit der Mütze nach dem hellen Hause hinüber …
Dann lief er Gottlieb entgegen …
Der Kutter war gelandet …
Als erster war Knorz auf festem Boden. Sogar seinen Teckel vergaß er diesmal …
„Herr Georg … Herr Georg …!!“ stammelte der Alte im Übermaß der Wiedersehensfreude …
Sie drückten sich die Hände … Immer wieder …
„Herr Georg, Graf Viktor … schwere Brandwunden … in der Kajüte …“
Und Steuermann Hartwich war mit zwei Sätzen an Bord, beachtete die anderen kaum …
Auch Pasqual Oretto und Detektiv Worg kamen jetzt herbeigelaufen …
Fragen, Antworten schwirrten hin und her …
Mela Falz fragte nach dem Ergehen ihres Vaters.
„Gut!“ erklärte Pasqual heiter. „Er ist mit Ellen und Agnes am Nordstrand. – Wir sind jetzt alle wieder beisammen … Was wollen wir mehr?! Wir haben, den Schatz … Und auf das Traurige wird sich wieder zum Besseren wenden …“
Dalaargen hatte Worg beiseite genommen.
„Wir kannten uns bisher nicht, Mister Worg,“ meinte er liebenswürdig. „Wir beide gehören nicht mit zu den Sphinxleuten … Man kümmert sich nicht viel um uns. Die alten Gefährten sind sich genug. Erzählen Sie sie mir also schnell, was Sie hier erlebt haben …“
Jakob Worg tat’s …
Und wunderte sich, daß dieser schlanke Aristokrat die Farbe wechselte, als er die vier Erschossenen und das Steinbombardement erwähnte.
Überhaupt – dieser Herzog hatte ein ganz merkwürdiges Interesse an allerlei Einzelheiten, suchte dieses Interesse zwar zu verbergen und war doch so aufgeregt, daß Worg schließlich irgendwelche dunklen Zusammenhänge zwischen Dalaargen und den geheimnisvollen Bewohnern der schwarzen Insel vermutete.
Der gewiegte Detektiv war ein viel zu schlauer Fuchs, um sein Benehmen dem Herzog gegenüber zu ändern. Er beantwortete alle Fragen aufs genaueste und verschwieg nur eins, das goldene Perlenkreuz, das Murat im Geröll gefunden hatte! –
Inzwischen waren Gottlieb, Pasqual und Jimminez schon in das Tal hinabgeeilt, um aus Baumzweigen rasch eine Tragbahre für Gaupenberg herzustellen.
Der Graf lag in halber Bewußtlustlosigkeit in der Kajüte, hatte Steuermann Hartwich kaum wiedererkannt und wurde nun vorsichtig auf die Bahre gebettet.
Auch die drei Gefangenen holte man jetzt aus dem Vorschiff des Kutters heraus.
Mafalda, bleich und verstört, begegnete nur feindseligen Blicken.
Lomatz wagte überhaupt nicht aufzuschauen. Nur Gerhard Nielsen musterte die ihm noch fremden Personen mit kühler Neugier, tauschte heimlich einen langen Blick mit Dalaargen aus und gab sich im übrigen ganz so, als ob ihn all dies nichts weiter anginge.
Der Zug setzte sich in Bewegung.
Als man gerade den Hauptweg des Gartens entlangschritt, erschienen von der Schlucht her Ellen, Agnes, Doktor Falz und Murat, die soeben den Zettel der Detektivin Gipsy Maad am Nordstrande entdeckt hatten.
Was dann geschah, erschütterte alle die, denen Agnes Sanden lieb und wert war, aufs tiefste …
Agnes sank neben Gaupenbergs Bahre in die Knie.
Agnes … hatte plötzlich die Sprache wiedergefunden.
Ihr jammernder, klagender Ruf trieb selbst den Männern das Blut aus den Wangen …
Viktor Gaupenberg aber lächelte die Geliebte glücklich an …
„Agnes … ich … werde … wieder … gesund … werden,“ flüsterte er mit äußerster Anstrengung …
Und da löste sich des blonden Weibes wilde Angst und Verzweiflung in einem wohltuenden Strom von Tränen auf.
Ellen Hartwich hob sie sanft empor …
„Agnes, wir müssen dem Kranken jede Aufregung fernhalten,“ warnte sie liebevoll … –
Eine Viertelstunde später war Gaupenberg in Agnes’ Zimmer untergebracht. Und sie selbst saß nun an seinem Lager, hielt seine Hand und lauschte seinen ruhigen, gleichmäßigen Atemzügen …
Der Graf war eingeschlummert … Der Schlaf der Genesung hatte sich mildtätig auf seine Lider herabgesenkt. –
Die drei Gefangenen aber hatte man getrennt in drei Verschläge des massiven Stalles eingeschlossen. Dort konnten sie unmöglich entfliehen, da die Türen aus einem sehr harten Holz bestanden und feste Riegel besaßen.
Detektiv Worg versammelte jetzt nach Rücksprache mit Gottlieb sämtliche Gefährten bis auf Gaupenberg, Agnes und Dalaargen im Speisesaal des Hauses.
„Wir müssen uns über etwas ganz Bestimmtes schlüssig werden, Freunde,“ begann er seine Ansprache. „Der Herzog ist vorhin allein durch die Schlucht zum Nordstrande gegangen. Er sagte mir, er wolle ein Bad in der See nehmen. Und – um die Person des Herzogs handelt es sich hier. Gottlieb Knorz hat mich um Rat gebeten, und mir allerlei Verdachtsgründe gegen Dalaargen mitgeteilt. Auch ich habe bereits Gelegenheit gehabt, diesen … fragwürdigen Herrn gleich nach der Landung des Kutters näher kennenzulernen …“
Mela Falz, die neben ihrem Vater auf einen der Rohrsofas saß, fühlte, wie ihr alles Blut vor jähem Schreck zum Herzen strömte. Sie ahnte, was jetzt kommen würde … Und in diesem Augenblick, wo sie den Mann bedroht sah, dem ihre Liebe noch immer gehörte, war sie fest entschlossen, nichts gegen ihn auszusagen, mochte Geschehen was da wolle …
Mit ängstlich gespanntem Gesicht saß sie da, erfüllt von einer Unruhe, die ihre Wangen dunkler und dunkler färbte. Atemlos lauschte sie den Worten des Detektivs, der nun all das hier vortrug, was gegen Dalaargen so eindeutig sprach …
Insbesondere wies Worg darauf hin, daß Dalaargen sich Gottlieb gegenüber so geäußert habe, als ob ihm die schwarze Insel persönlich unbekannt sei …
„Dies kann nicht stimmen,“ meinte der Detektiv mit Nachdruck. „Wir haben hier ein Schmuckstück, ein Perlenkreuz gefunden, auf dessen Rückseite der Name Toni Dalaargen und die Zahl 1911 eingraviert ist. Ich behaupte, daß diese Toni Dalaargen sich hier auf der Insel aufgehalten hat und daß sie eine ganz nahe Verwandte des … angeblichen Herzogs ist …“
Er wandte sich jetzt an Mela Falz …
„Miß Melanie,“ sagte er noch ernster, „in unserer Lage müssen alle Rücksichten schwinden. Gottlieb Knorz hat mir erzählt, daß Dalaargen sich für Sie zu interessieren scheint und daß er Ihnen wahrscheinlich über seine Person nähere Angaben gemacht hat …“
Doktor Falz blickte sein Kind prüfend von der Seite an …
Mela … war erblaßt …
Jakob Worg sprach weiter:
„Hat er also vielleicht erwähnt, daß er eine Schwester besitzt oder daß er verheiratet ist?“
Mela zitterte …
„Nein … nein,“ hauchte sie verlegen und halb von Sinnen …
„Aber er hat Ihnen anvertraut, daß er einst … Sträfling gewesen und entflohen ist?“ forschte der Detektiv unerbittlich weiter …
Mela richtete sich auf …
„Nein, davon weiß ich nichts,“ erklärte sie überlaut …
Ihr Vater legte da mit einem unendlich gütigen Lächeln seine Hand auf ihre im Schoße verschlungenen Finger …
„Kind, nicht lügen!“ warnte er … „Nicht lügen …! Wie es auch in deinem Innern aussehen mag. Hier handelt es sich um unser aller Sicherheit! Wir nehmen bisher nur an, daß lediglich eine männliche Person hier gehaust hat. Wir wissen nichts Bestimmtes. Die vier Toten, die wir vormittags begraben haben, beweisen zur Genüge, daß diese unbekannten Bewohner der schwarzen Insel Gewalttaten nicht scheuten. – Kind, die Wahrheit …!“
Mela hatte sich erhoben …
Ihr bleiches Gesicht zuckte vor Erregung …
„Mögt Ihr hier beschließen, was Ihr wollt!“ rief sie … „Dalaargen ist niemals ein Verbrecher …! Jetzt fühle ich’s mit aller Klarheit …! Mein Herz sagt es mir! Und – ich werde …“
Tränen erstickten ihre Stimme …
Schluchzend eilte sie hinaus, warf die Tür hinter sich zu, hastete in den Garten und blieb schwer atmend hinter den dichten Büschen stehen …
Preßte die Hände auf das jagende Herz, flüsterte angstvoll:
„Mein Gott, was soll ich tun …?! Sie werden ihn … einsperren wie Mafalda und die beiden anderen …! Und er – er wird viel zu stolz sein, sich zu verteidigen …! – Was tue ich nur?! Es wäre doch Verrat gegenüber den Freunden, wenn … wenn ich Ihn … etwa warnte …! Und doch – ich … muß … ich muß! Und auf den Knien will ich ihn bitten, daß er endlich alles restlos erklärt, was gegen ihn spricht!“
Wie gehetzt lief sie auf Umwegen der Schlucht zu …
Gelangte an die Bucht, eilte am rechten Ufer entlang zum Nordstrande …
Sie kannte den Weg noch nicht … Nur Ellen Hartwich hatte ihr beschrieben, wo sie den Zettel Gipsy Maads gefunden …
Jetzt bog sie um eine schroffe Steilwand …
Das weite Meer lag vor ihr …
Und dort recht, wo der Strand flach und felsig ein Plateau bildete, das von steilen Hängen begrenzt wurde, stand Fredy Dalaargen, das Gesicht den Felswänden zugekehrt …
Sie näherte sich ihm …
Er hörte das Knirschen der Steinchen unter ihren Füßen – drehte sich um …
Noch zehn Schritt, und sie war bei ihm …
„Rette dich, Fredy,“ rief sie mit bebender Stimme und streckte flehend die Arme aus … „Man hält Gericht über dich … Verteidige dich, Fredy …!“
Und vor ihm niedersinkend, ihn umschlingend:
„Ich habe dich lieb … Ich … glaube jetzt an dich!“
Sie schaute zu ihm auf …
Seine Hand strich zart über ihr rotblondes Haar …
Ein trauriges Lächeln umspielte seinen Mund …
„Mela, glaube weiter an mich, was auch kommen mag … – Jetzt aber … laß mich bitte allein …!“
Er zog sie zu sich empor …
Küßte sie …
Und in ihrem Herzen bebte aufs neue eine unbeschreibliche Angst …
„Geh!!“ bat er nochmals. „Geh – und … schau dich nicht um! Versprich es mir!“
Sie nickte nur …
Mit müden Schritten wankte sie davon …
Aufklärung, Ruhe, Herzensfrieden hatte sie hier zu finden gehofft – – bei ihm!!
Und jetzt – jetzt war alles noch dunkler und trostloser als zuvor …
Während so im Speisesaal des einsamen Hauses die Person Fredy Dalaargens vorsichtige und doch strenge Richter fand, während so Melanie Falz zu dem Geliebte geeilt war, saß der riesige Murat auf dem Kajütenaufbau des Motorkutters und bewachte die goldenen Schätze, die da unten sorgfältig verstaut lagen.
Neben dem Homgori, dem man jetzt ein paar blaue weite Beinkleider aus einem der Schränke des Hauses gestiftet hatte, lag griffbereit eine geladene und entsicherte Mauserpistole …
Murat kaute gedankenvoll an einem steinharten Schiffszwieback.
Er dachte an seine beiden toten Artgenossen und an deren Mörder, den hageren graubärtigen Mann in dem langen Gewand.
Murats Gedanken waren so lebendig, daß sie sich in seinem dunklen wilden Gesicht und in seinen Bewegungen deutlich widerspiegelten.
Wiederholt fletschte er die Zähne, ballte die Fäuste und schlug mit den Fäusten gegen den mächtigen Brustkasten …
Seinem primitiven Gefühlsleben entsprach es durchaus, daß er seine erschossenen Freunde rächen wollte …
Er malte es sich recht genau mit jeder Einzelheit aus, wie er den hageren Graubart, falls sich die Gelegenheit dazu bieten sollte, anspringen und ihn erwürgen würde.
Dann fiel ihm jedoch ein, daß die Bewohner des Hauses die Insel verlassen hätten und daß er seine Rache mithin auf unbestimmte Zeit verschieben müsse.
Lebhafter kaute er an dem steinharten Zwieback und streichelte stolz seine neuen blauen Leinenhosen …
Grinste dabei vergnügt und wehrte mit den Füßen, die er genau so geschickt wie Hände gebrauchen konnte, ein paar zudringliche Stechfliegen ab.
Seine kleinen Augen, die unter dicken Stirnwülsten tief im Schädel lagen, wanderten indessen unaufhörlich in die Runde …
Zehn Meter vor ihm erhob sich die schräge zerklüftete Uferwand des Binnensees. Nach rechts hin lagen die zerrissenen, zackigen Gipfel dreier Berge, nach links flachte sich das Ufer ab und ließ die grünen Baumspitzen des Gartens um das einsame Haus erkennen …
Nun hatte Murat den Zwieback völlig verzehrt. Heiß brannte ihm die Sonne auf den behaarten Rücken. Er grunzte ärgerlich, denn selbst ihm war diese Wärme zuviel.
Um den Sonnenstrahlen zu entgehen, rutschte er von dem Kajütentür auf die Deckplanken. Denn so würde der Aufbau ihm Schatten spenden.
Und wie er so seinen Platz wechselte, drehte er den Kopf und warf einen Blick über die stille Fläche des Binnensees …
Ein Zucken lief da über seine Gesichtszüge hin …
Und doch war er schlau genug, durch keine hastige Bewegung zu verraten, daß er den einzelnen Schwimmer dort mitten auf dem Gewässer, der sich halb unter einer Schicht graugrünen Seetangs verborgen hatte, bemerkt hätte.
Er duckte sich vollends hinter dem Deckaufbau zusammen … Sein linker Arm angelte aufwärts nach der Pistole …
Er fand sie, nahm sie in die rechte Hand …
Dann kroch er eng an die Deckplanken geschmiegt zur anderen Reling …
Die war hier am Heck kaum vierzig Zentimeter hoch. Und doch konnte Murat sich dahinter völlig verbergen, weil er Beine und Leib im Treppenniedergang beließ. So lugte er durch eine der runden Öffnungen der Reling, die dem Abfluß des Spritzwassers dienten …
Der Schwimmer hielt auf den Kutter zu. Von seinem Kopf und dem Gesicht war wenig zu sehen, lediglich die Augen blitzten manchmal auf, wenn das grelle Sonnenlicht sich in ihnen spiegelte …
Der Betreffende schwamm außerordentlich vorsichtig – mit den Armen ganz tief im Wasser. – Wer nicht genauer hinschaute, mußte wohl annehmen, nur eine Masse treibenden Seetangs vor sich zu haben.
Murat wartete geduldig …
Er wollte, sobald der Schwimmer dicht heran war, ihn mit einem Satz ins Genick springen. Dann konnte er ihn im Wasser überwältigen und ans Ufer ziehen. –
Den Homgori packte jetzt bereits die Erregung des bevorstehenden Kampfes …
Sein Gesicht verzerrte sich … Die hauerähnlichen Seitenzähne, diese Überbleibsel seiner Affenherkunft, blinkten unter der hochgereckten Oberlipp …
Näher und näher kam die Tanginsel …
Murat spannte die kraftstrotzenden Muskeln zum Sprunge …
Noch fünf Meter …
Nach drei …
Da … sprang der Affenmensch …
Sprang dicht hinter dem umhüllten Kopf in das Wasser, drehte sich blitzschnell um …
Seine Hände griffen zu …
Ein gellender Angstschrei aus weiblicher Kehle ertönte …
Ein anderer Ruf vom Ufer her …
Dort war soeben Mela Falz erschienen …
„Murat – – Murat, – – nicht töten!“
Und der Homgori brüllte zurück:
„Oh Miß – hier dies eine Frau sein …“
Er war mit schnellen Stößen an Land, zog die graugrünen Pflanzen und … ein völlig nacktes Mädchen aus dem Wasser … ein junges, blondes, liebliches Wesen mit einem so formvollendeten Körper, daß Mela Falz jetzt geradezu andächtig diese zierlichen, schlanken Glieder und dieses feine, leicht geträumte Antlitz musterte.
Murat hatte die vor Schreck schon im Wasser bewußtlos Gewordene auf den feuchten Tangteppich gelegt.
Und auch der Homgori schien dunkel das Heilige, Reine dieser wunderbaren Schönheit zu empfinden, denn er sagte jetzt bedauernd in tiefen Kehllauten:
„Oh – die Miß hat sich zu sehr erschrocken vor Murat … Wenn Murat gewußt hätte, daß der Schwimmer eine Miß, dann …“
Er schwieg …
Mela hatte sich rasch über die Ohnmächtige gebeugt.
„Hole eine Decke aus dem Kutter,“ befahl sie dem Homgori …
Dann tastete sie nach der Hand des holden Kindes.
Und im gleichen Moment schlug das Mädchen auch schon die Augen auf …
Der fragende, ängstliche Blick wundervoller graublauer Sterne ruhte auf Melas Gesicht …
„Fürchten Sie nichts …“ sagte Melanie freundlich.
Und unwillkürlich hatte sie sich ihrer Muttersprache, des Deutschen, bedient …
„Wo … ist … das … Untier?“ flüsterte die liebliche Wassernixe erschauernd. „Oh – schützen Sie mich vor diesem … Gorilla … Ich … Ich …“
Mela unterbrach sie hastig …
„Wie – sind Sie ebenfalls eine Deutsche? Sie sprechen meine …“
„Schützen Sie mich …!!“ kreischte da die Unbekannte in gellenden Tönen und deutete auf Murat, der soeben mit der Decke in der Hand aus der Kutterkajüte wieder aufgetaucht war …
Mela rief sofort:
„Komm nicht näher heran, Murat … Wirf mir die Decke zu …“
Sie hatte sich dabei halb umgewandt …
Und dies benutzte das blonde Mädchen zu einem raschen Fluchtversuch …
Sie flog empor … lief am Ufer entlang, erklomm einen halb im Wasser liegenden Felsblock …
Hier stand sie einen Augenblick still, die Arme hoch emporgereckt …
Und sprang in die See – den Kopf voran – graziös und elegant – – verschwand so in den Fluten.
Kam erst zehn Meter nach Süden zu wieder zum Vorschein … schwamm mit raschen Stößen davon …
Doch Murat hatte bereits mit seinen enormen Kräften das kleine Zinkboot vom Heck ins Wasser geworfen, war hineingestiegen, hatte eins der Ruder ergriffen und eilte so dem Flüchtling nach …
Die blonde Nixe nahm die Richtung auf den Ausgang des Binnensees …
Sie hatte vielleicht fünfzehn Meter Vorsprung – viel zu wenig, um dem wie ein Pfeil dahinschießenden Zinkboot entgehen zu können …
Mela war indessen an Deck des Kutters geeilt und beobachtete vom Kajütendach aus diese aufregende Jagd.
Als sie sah, daß Murat dem Flüchtling bereits ziemlich nahegekommen, rief sie mit voller Lungenkraft ihm nach:
„Murat, rühre das Mädchen nicht an … Zwinge sie nur, wieder hierher zu schwimmen …“
Die blonde Nixe war nur noch etwa fünf Meter von einem flachen Felsen an der linken Seite des Buchtausganges entfernt, als der Homgori das Zinkboot im Bogen um sie herumlenken wollte, um ihr so den Weg zu versperren …
Da jedoch ereignete sich etwas so Verblüffendes, daß Murat im ersten Schreck das Ruder aus den Händen glitt …
Hinter jener Festplatte am Ufer, auf die das Mädchen zustrebte, erhob sich die glatte Steilwand turmhoch und völlig senkrecht …
Ein Teil dieser Wand bewegte sich plötzlich, und aus dunkler breiter Öffnung trat der hagere Grauhaarige hervor, hob wie befehlend gegen Murat den rechten Arm und … feuerte plötzlich …
Der Knall dieses Schusses hallte hier in dem Felsenkessel in vielfachen Echos wider …
Und die Echos waren noch nicht verstummt, als der Homgori, in diesem Moment nichts als ein von wilder Rachsucht entflammtes Tier, seine Pistole aus der Beinkleidtasche riß und … gleichfalls schoß …
Zu spät kam der flehende Angstschrei der blonden Schwimmerin …
Als sie sich jetzt auf die Festplatte schwang, taumelte der Hagere bereits hintenüber, schlug schwer auf das Gestein und lag still …
Mit einem Jammerlaut tiefsten Schmerzes warf das schlanke Nixchen sich über ihn …
Gleichzeitig auch erschienen aus der finsteren Öffnung des Uferberges wie Spukgestalten drei andere weibliche Wesen in losen, flatternden Gewändern, hoben den Hageren empor und trugen ihn in das Innere des Berges …
Weinend, mit verzweifelten Handbewegungen folgte ihnen das blonde Kind …
Die mächtige Felsentür schloß sich wieder …
Die Steilwand lag da, als ob sie keinerlei Geheimnisse berge.
Nur ein paar Tropfen Blut auf der Uferplatte bewiesen, daß hier in Sekunden ein erschütterndes Drama sich abgespielt hatte. –
Mela Falz starrte noch immer dorthin, wo Murat jetzt schleichend an der Felswand entlangglitt und das Gestein betastete, um die verborgene Tür zu suchen.
Es kostete Melanie dann all ihre Energie, den unheimlichen Bann abzuschütteln, der nach diesen furchtbaren Szenen auf ihrer Seele lastete …
Sie rief Murat zu, mit dem Boot nach dem Kutter zurückzukehren.
Der Homgori gehorchte widerwillig. Er ahnte, daß Melanie ihn mit Vorwürfen überhäufen würde. Er fühlte sich schuldig, da er in der Übereilung etwas getan, was lediglich seinen tierischen Instinkten entsprochen hatte.
Melanie empfing ihn denn auch mit wenig freundlichen Worten …
„Schäme dich, Murat …! Schäme dich! Wie konntest du nur diesen Greis töten, der doch lediglich die Schwimmerin schützen wollte …!“
„Miß Mela, das war der … Mörder,“ erklärte Murat kleinlaut. „Das war er, durch dessen Kugeln …“
„Schweig …! Deine Rachgier hat dich verführt.“
„Er schoß auf Murat …“
„Bleib hier und bewache weiter den Kutter … Ich hole die anderen …“
Sie eilte das Ufer empor und verschwand …
Der Homgori hockte sich wie ein geprügelter Hund auf das Kajütdach und stierte unausgesetzt dorthin, wo der Hagere aus dem Abhang des Berges so überraschend hervorgetreten war. – –
Inzwischen hatte die Besprechung im Speisesaal des einsamen Hauses dazu geführt, daß auf Worgs Vorschlag der Fremde verhört werden sollte, den man zugleich mit Mafalda und Lomatz gefangen genommen.
Jimminez holte ihn. Als er den Verschlag im Stalle öffnete, wo der Mann eingesperrt war, trat dieser ihm … ohne Fesseln entgegen und meinte mit einem halb belustigten, halb ironischen Lächeln:
„Der Herzog hatte mir die Schlingen um die Handgelenke so locker geschlungen, daß ich die Hanfschnüre abstreifen konnte …“
Jimminez, der zur Sicherheit schon vorher seinen Revolver bereitgehalten hatte, befahl Gerhard Nielsen ziemlich barschen Tones, ihm voraus in das Haus zu gehen …
„Wie Sie wünschen …“ nickte der blonde Seemann. „Ihren Revolver stecken Sie nur ein … Erstens imponiert mir solch ein Ding nicht, und zweitens bin ich kein Verbrecher …“
„Lassen Sie die Redensarten,“ fuhr der frühere Geheimagent ihn grob an. „Wer mit der Fürstin Sarratow und einem Edgar Lomatz gemeinsame Sache macht, kann nur ein Lump sein …“
„Vielleicht auch nicht,“ lächelte Nielsen seelenruhig. „Doch – gehen wir!“
Als sie den Speisesaal betraten, schritt Nielsen sofort auf Georg Hartwich zu, verbeugte sich und sagte höflich und bestimmt:
„Ich habe gemerkt, daß Sie hier eine führende Rolle spielen … Gestatten Sie, mein Name ist Gerhard Nielsen aus Bremen, erster Steuermann des im Taifun vorgestern untergegangenen Frachtdampfers ‚Amsterdam’, zugleich einziger Sohn und Erbe des Reeders Peter Nielsen in Bremen.“
Bei diesen Worten verneigte er sich auch vor den anderen …
Der Detektiv wollte jetzt, da er diese Angaben für plumpen Schwindel hielt, mit einer geharnischten Redewendung dazwischenfahren …
Nielsen sprach schon weiter:
„Ich bin als Schiffbrüchiger mit dem großen Rettungsboot der ‚Amsterdam’ nach Christophoro verschlagen worden und habe dort erst die Fürstin Sarratow und später auch Lomatz kennengelernt. Die Fürstin erklärte mir, die Schätze seien ihr Eigentum. Ich half ihr, obwohl ich ihr nicht recht traute. Sie hatte mir weiter erklärt, daß die Jacht, die nachher erschien, es gleichfalls auf das Gold und die Juwelen abgesehen habe. Wie gesagt – die Geschichte kam mir reichlich zweifelhaft vor … Ich machte die Flucht nur mit, um im geeigneten Moment zu Gunsten der berechtigten Partei eingreifen zu können …“
„Schwindel!!“ krähte da Detektiv Worg empört …
Nielsen schaute ihn durchdringend an …
„Herr, hüten Sie Ihre Zunge! Ich lasse mich nicht beleidigen … – Hier sind meine Papiere …“
Und er holte aus seiner inneren Jackentasche eine mit Gummihüllen wasserdicht eingebundene Brieftasche hervor und reichte sie Hartwich …
Seine angeborene Liebenswürdigkeit und heitere Gemütsart kam schon wieder zum Durchbruch …
Ein Lächeln lag um seinen Mund, als er nun nochmals zu Worgs sagte:
„Gerhard Nielsen hat es wirklich nicht nötig, einen Schatz zu stehlen … Mein Vater ist der drittgrößte Steuerzahler in Deutschland und ich bin … sein einziges Kind, zurzeit Steuermann aus reiner Neigung für den Seemannsberuf.“
Doch Worg ließ sich nicht so leicht bekehren …
„Kennen Sie den Herzog schon längere Zeit?“ platzte er heraus.
„Seit der verflossenen Nacht …“
Da mischte Gottlieb Knorz sich ein …
„Herr Nielsen war’s, das möchte ich nochmals betonen, der unseren Grafen aus der brennenden See zog …“
Und Gerhard Nielsen nickte gleichmütig …
„Etwas Selbstverständliches … – Haben Sie die Papiere durchgesehen?“ wandte er sich an Hartwich.
Der streckte ihm jetzt die Hand hin …
„Allerdings … Hier dieses Gruppenbild, diese Amateuraufnahme, gibt den Ausschlag … Ich kenne Ihren Herrn Vater, Herr Nielsen – persönlich sogar. Ich bin selbst Seemann … – Entschuldigen Sie unser Verhalten Ihnen gegenüber … Mein Name ist Georg Hartwich … Dort Herr Doktor Falz, Herr Gottlieb Knorz, Sennor Pasqual Oretto, Sennora Alfonso Jimminez und Mister Jakob Worg, Detektiv …“
Nielsen trat an jeden heran, drückte jedem die Hand.
„Von Übelnehmen kann hier keine Rede sein,“ meinte er … „Ich möchte auch gleich bemerken, daß ich mich dem Herzog an Deck des Kutters zu erkennen gegeben habe und daß ich ihm vorschlug, mich weiter als Übeltäter zu behandeln, damit ich stets auf dem Laufenden bliebe, was Mafalda und Lomatz etwa planten. Ich glaubte, man würde uns drei in einem Raum einsperren. Da wir nun getrennt untergebracht wurden und da mir außerdem diese Rolle als Verbrechergenosse keinen Spaß mehr machte, hatte ich meine Fesseln bereits abgestreift …“
Man umringte Nielsen jetzt …
Seine so überaus gewinnende Liebenswürdigkeit, die lustigen Art und die Zwanglosigkeit seines Auftretens hatten ihm im Sturm alle Herzen gewonnen …
Jeder wollte ihm jetzt etwas Freundliches sagen, jeder suchte gutzumachen, was man ihm durch diesen häßlichen Verdacht angetan. Aber lachend wehrte er ab …
„Stürzten Sie sich nicht in Unkosten, meine Herren! Ist ja schon alles erledigt …! Wenn ich eine Bitte äußern dürfte, so wäre es die, den Grafen Gaupenberg zu sehen, ihm einen Krankenbesuch abzustatten …“
Gottlieb meinte rasch:
„Das ist leider nicht möglich, Herr Nielsen … Der Graf schläft – Gott sei Dank. Und bei ihm sitzt seine Braut, unser Fräulein Agnes …“
„Also die beste Medizin, die es für einen Verlobten geben kann,“ lächelte Nielsen …
Aber – dieses heitere Lächeln schwand jählings …
Die Tür nach dem Flur war aufgerissen worden …
Mela erschien …
Mit glühenden Wangen, flackernden Augen … Rief nach Atem ringend:
„Die … Bewohner dieses Hauses sind noch … auf der Insel … Murat hat … den hageren Fremden … niedergeschossen …“
Sie taumelte …
Der rasche Lauf bei dieser Hitze hatte sie völlig erschöpft.
Jimminez schob ihr einen Rohrsessel hin … Sie sank hinein … Gottlieb reichte ihr ein Glas Wasser vom Frühstückstisch …
Und dann erzählte sie …
Nichts von ihrem Zusammentreffen mit Dalaargen.
Nein – nur von Ereignissen am Binnensee sprach sie, von der nackten Schwimmerin, von der Felswand, die sich plötzlich geöffnet hatte …
Totenstille herrschte …
Jeder las ihr die Worte vom Munde ab …
Und als sie geendet hatte, rief Jakob Worg:
„Sagte ich’s nicht, daß Gipsys Zettel für Agnes erst herabflatterte, als Ellen und Agnes vor einer Stunde am Nordstrande waren! Sagte ich’s nicht, daß die Bewohner der schwarzen Insel gar nicht entflohen sind und unsere beiden Flugzeuggondeln nur versenkt haben, um den Anschein einer vollzogenen Flucht zu erwecken! Nun haben wir den Beweis, sie sind noch hier!“
Und Hartwichs Stimme:
„Zum Binnensee …! Zum Binnensee!! Aber Pasqual und Jimminez mögen hier bleiben und das Haus und die Sphinx bewachen! – Ellen, du bleibst wohl bei Agnes …“
Die übrigen eilten durch den Garten davon …
Hartwich und Nielsen waren ein Stück voraus …
Und – – oben am Uferrand stutzte Georg Hartwich.
Packte verstört Nielsens Arm …
„Der Kutter …!! Der Kutter …!!“
Sein Schrei war schrill, verzweifelt …
Und – mit Recht …!
Denn dort glitt soeben der schlanke Motorkutter dem Ausgang des Binnensees zu …
Das Geräusch des Motors hallte an den Felswänden wider …
Und am Steuer standen … Fredy Dalaargen und die blonde Nixe …
Des Herzogs Hände hielten die Speichen des Steuerrades …
Ihn selbst aber … hielt die blonde Nixe zärtlich umschlungen … Ein loses dünnes Schleiergewand trug sie jetzt … Hatte den Kopf an Dalaargens Schulter gelehnt …
Hinter Hartwich ein anderer Schrei …
Aus Melas Mund …
„Verräter – –!!“
Aber – – der Kutter war schon um die Biegung der Bucht drüben verschwunden …
Und – – unten am Ufer wälzte sich eine zottige Gestalt hin und her, der an Händen und Beinen eng gefesselte Murat!
Dumpfe Laute unbändiger Wut kamen aus seiner Kehle …
Knorz eilte hinab und befreite ihn …
Murat berichtete, daß der Herzog plötzlich bei ihm auf dem Kutter erschienen wäre und ihn dann durch einen Hieb mit dem Bootshaken heimtückisch betäubt und gefesselt habe.
Mehr konnte er nicht angeben. –
Da eine Verfolgung des Kutters mangels irgend eines Fahrzeuges unmöglich war, schickte Hartwich Murat und Nielsen auf die höchste Bergkuppe der Insel, damit sie feststellten, welchen Kurs der Kutter nähme.
Er selbst, Doktor Falz, Mela, Worg und Gottlieb begaben sich nach der Festplatte, deren steile Rückwand die geheime Tür ins Innere des Berges enthielt.
Und an dieser schwarzen Felswand fanden sie zweierlei:
Erstens – folgende mit Kreide geschriebene Worte:
Fürchten Sie nicht für das Gold! Ich bin kein Dieb! In einer Woche kehre ich mit dem Kutter und dem Golde zu rück. –
Dalaargen.
Und das zweite. Die Geheimtür stand handbreit offen – diese mächtige, in drei eisernen Angeln drehbare Felsscheibe, die den Zugang zu den letzten Geheimnissen der schwarzen Insel bildete, wie Jakob Worg jetzt triumphierend rief.
Er irrte sich …
Auch jetzt gab die schwarze Insel nicht alles her, was sie verbarg …
Hartwich und Worg packten den zackigen Rand der Tür und zogen sie noch weiter auf, so daß das Sonnenlicht in breiter Bahn in den Felsengang hineinfiel.
„Laternen – brennende Laternen – vier Stück!“ rief Mela, die mit einem gewissen Gefühl von Scheu in das ferne Dunkel des Ganges hineinspähte.
Vier brennende große Schiffslaternen standen da nebeneinander auf einer Abplattung der linken Gesteinswand.
„Halt – Vorsicht!“ meinte Worg sehr ernst, als Gottlieb jetzt ohne weiteres vorwärtseilen wollte. „Man kann nie wissen, ob die jetzt mit Dalaargens Hilfe endgültig entflohenen Bewohner dieser verteufelten Insel nicht irgendwelche Anstalten getroffen haben, jedem Eindringling hier das Lebenslicht auszublasen …“
Mela war empört über diese Bemerkung des Detektivs.
„Mister Worg,“ meinte sie feindselig, „eine derartige Mordeinrichtung hätte Dalaargen nie geduldet, der fraglos diese Menschen sehr genau kennt …!“
Worg lächelte ein wenig …
„Glauben Sie wirklich, daß der Herzog sein schriftliches Versprechen halten wird?! Nein – freiwillig bringt er uns das Gold nie zurück. Er wird sich hüten. Und ich nehme ihm’s nicht mal übel. Wem Milliarden auf diese Weise in den Schoß fallen, muß ein Engel sein, wenn er sie zurückgibt.“
Aber Doktor Falz trat jetzt in seiner würdevollen Art für Dalaargen ein …
„Lieber Worg, da kann ich Ihnen nicht beipflichten … Ich persönlich denke anders über den Herzog. Von Mädchenhändlern kann wohl keine Rede mehr sein. Unzweifelhaft hat hier eine nahe Verwandte Dalaargens gehaust … Das goldene Perlenkreuz sagt wohl genug.“
Der Detektiv zuckte die Achseln …
„Die Zukunft wird alles klären, Herr Doktor. Jedenfalls werde ich jetzt vorangehen und als erster meine gesunden Knochen riskieren, denn ich suche ja meine Angestellte Gipsy Maad, die doch hoffentlich hier zurückgelassen wurde …“
Und er schritt bedächtig in den Felsengang hinein, eine der Laternen in der Hand.
Hartwich und Knorz folgten ihm auf dem Fuße. Und Arm in Arm schlossen sich Doktor Falz und Mela an, wobei der Doktor seinem Kinde zärtlich zugeflüsterte hatte:
„Dalaargen ist ein Ehrenmann … Sei ganz ohne Sorge, meine Mela …“
Und sie drückte dankbar seinen Arm, meinte halb schluchzend:
„Vater, ich … will nie mehr an ihm zweifeln … Ich ahne, das blonde Mädchen ist seine Schwester …!“
Falz ergriff die vierte Laterne …
So drang man nun tiefer in das Innere des Berges ein.
Sehr bald öffnete sich der Gang zu einer hohen, wunderbaren Höhle …
Die Wände waren hier fast überall mit dunkel glänzender Lava von glasartiger Beschaffenheit bedeckt. Von der Decke hingen seltsame Lavagebilde herab, riesige Zapfen, erstarrte Tropfen. Einzelne Säulen reichten bis zum Boden.
Der Laternenschein glänzte in spielenden Reflexen auf diesen schillernden Flächen, und jeder Ton hallte in diesen natürlichen Bogengängen des eigenartigen Domes doppelt und dreifach wider …
„Es ist das Innere eines erloschenen Kraters,“ sagte Doktor Falz, in dem er sich über eine von Lavazacken umgebene meterbreite Öffnung im Boden beugte … „Da – hören Sie nur, meine Freunde …! Aus diesem Loche dringt verschwommener Lärm empor … Dort unten in unfaßbaren Tiefen arbeiten noch die feurigen Geister vulkanischer Gewalten …“
„Vorsicht!“ warnte Hartwich hastig und richtete sich wieder auf … „Ich hatte mich zu tief hinabgebeugt … Aus dieser Öffnung steigen Gase aus … Gehen wir besser weiter …“
Worg entdeckte in diesem unübersichtlichen Labyrinth einen neuen Gang, der sich zunächst senkte und dann mit scharfer Krümmung nach Norden wieder anstieg.
Auf dem Felsboden dieses Ganges war deutlich eine gewisse Glätte zu erkennen, eine Abgeschliffenheit der Unebenheiten infolge häufiger und jahrelanger Benutzung als Weg.
Und dieser sanft ansteigende Teil des Ganges führte zu einer Höhlenwohnung, wie selbst Hartwich und der vielgereiste Worg sie noch nie zu sehen bekommen hatten.
Noch eine kurze Biegung, und dann standen die Freunde überrascht, staunend vor der Überfülle von Tageslicht, die ihnen hier entgegenströmte …
Durch vier breite, unregelmäßige verglaste Fenster, die sich in der Außenwand dieser neuen Grotte befanden …
Diese Außenwand aber war dieselbe, von der Agnes vor Stunden das weiße Etwas von der Höhe hatte herabfallen sehen – jenen Zettel Gipsy Maads!
„Unglaublich!“ rief der kleine Detektiv …
Und blickte nach rechts, erkannte dort eine weißgestrichene Holzwand mit vielen Türen …
Erkannte noch anderes …
Linker Hand war in einer Ausbuchtung der Grotte eine Werkstatt eingerichtet … Maschinen blinkten mit sauberen Hebeln … Eine große Holzbank fehlte nicht … Ein starker Tisch trug allerhand Schlosserwerkzeuge.
„Unglaublich!“ meinte nun auch Gottlieb und eilte an eins der Fenster, blickte hinaus – blickte nach unten, wo die Brandung schäumte, wo der Nordstrand der schwarzen Insel sich dehnte …
Dann ließ ein halblauter Schrei aus Melas Mund ihn herumfahren …
Eine der Türen der Holzwand hatte sich geöffnet …
Und in der Öffnung stand Gipsy Maad …
„Gipsy!!“ brüllte der Detektiv. „Hallo – Gipsy ist gefunden!“
Die junge Amerikanerin war mit raschen Schritten vor Worg …
„Bin … ich wirklich frei?!“ stieß sie hervor … „Oh mein Gott, – – frei – – frei …!!“
Die Gefangenschaft mußte ihren scharfen Nerven böse mitgespielt haben …
Schluchzend ließ sie sich von Worg stützen, schaute verstört umher …
„Beruhigen Sie sich doch …!“ meinte Mela herzlich, indem sie die Detektivin zart umschlang. „Beruhigen Sie sich doch … Sie sind jetzt in Sicherheit …“
„Es … war … furchtbar …!“ stammelte Gipsy noch ganz benommen … „Diese Stunden dort in dem dunklen Gemach, wo man mich eingesperrt hatte, werde ich nie vergessen …“
„Hat man Sie denn schlecht behandelt, armes Kind?“ fragte Doktor Falz mitleidig …
„Nein, nein …! Das nicht … Nur – nur … diese Mädchen hier und dieser hagere Greis, den sie stets König Salomo nannten, … So eigentümlich …“
Knorz hatte jetzt weit rechts von den Fenstern einen Raum entdeckt, der mit allerlei Möbeln ganz behaglich ausgestattet war.
Er winkte Mela, und die führte die junge Amerikanerin nun zu einem der Sitzgelegenheiten …
Matt sank Gipsy in den Rohrsessel und starrte vor sich hin …
Die anderen standen alle um sie herum. Worg, ihr Chef, streichelte ihre Hand …
„Arme Gipsy, was hat man hier nur aus Ihnen gemacht …! Sie, die doch wahrlich keine Angst kennen, sind ja völlig umgewandelt …“
Gipsy atmete ein paarmal in langen Zügen und versuchte dann zu lächeln …
„Es … es war alles so … so unheimlich …,“ erklärte sie dann mit festerer Stimme … „Ich weiß nicht, ob diese Mädchen und dieser Greis … irrsinnig waren, geisteskrank … Ich weiß es wirklich nicht …“
Gottlieb Knorz, der inzwischen eine der Türen geöffnet und den Raum dahinter betreten hatte, kam jetzt eilig mit einer Flasche Wein und einem Glase herbei …
„Ich hatte Glück,“ rief er schmunzelnd. „Ich war da in die Küche geraten … Hier – Rotwein, deutscher Rotwein! Trinken Sie nur, Miß Maad … Der Wein duftet tatenlos … – Und am besten ist, wir lassen die Wiedergefundene jetzt erst einmal in Ruhe … Fräulein Mela mag bei ihr bleiben … Wir anderen untersuchen mal hier diese Wohnhöhle …“
„Bravo, Gottlieb …!“ Und Hartwich schlug ihm derb auf die Schulter. „Überhaupt – sein wir ein wenig vergnügter! Diese trüben Gesichter haben doch keinerlei Berechtigung! Miß Maad ist da, – was wollen wir noch mehr?!“
Dieser Ton munterte auch die anderen auf …
Die Männer besichtigten die Stuben, nein, die Stübchen hinter der Holzwand … Acht solcher Zimmerchen waren vorhanden, dazu noch eine Küche und eine Vorratskammer. – Auch hier stammten alle Möbel von einem Dampfer. Auch hier schien die Hand eines einzelnen alles geschaffen zu haben …
Und doch, nichts Schriftliches in diesen Räumen, keine Papiere, keine Aufzeichnungen! Genauso wenig wie in dem einsamen Hause! –
Hartwich und Gottlieb öffneten jetzt eins der Fenster und … traten auf die schmale, vor den Fenstern sich hinziehende Felsterrasse hinaus.
„Nun begreife ich auch,“ meinte der Steuermann, „weshalb man weder von unten vom Strande noch von oben vom Rande der Steilwand die Fenster wahrnehmen kann. Die Terrasse hier verdeckt sie nach unten hin, und dort über ihnen wölbt sich das Gestein in dicker Masse wie ein Dach nach vorn … – Fürwahr – ein glänzendes Versteck!“
Gottlieb schaute hinab zum Inselufer …
„Zwanzig Meter mindestens,“ sagte er bedächtig. „Eine ganz anständige Höhe und eine luftige Behausung … Natürlich hat Gipsy durch eins der Fenster den Zettel hinausgeworfen …“
Auch Doktor Falz und Worg gesellten sich jetzt zu ihnen …
„Wie schön ist dieses Felsenheim,“ meinte der Doktor träumerisch. „Ich kann es durchaus verstehen, daß ein Mensch, der von den sogenannten Segnungen der Kultur nichts mehr wissen mag, hier seinen Frieden findet …“
Dann kehrten sie in die Wohngrotte zurück. Da Gipsy sich nun genügend erholt hatte, trat man den Rückweg durch den endlos langen Gang und den Kraterdom an, erreichte nach zehn Minuten die Felsterrasse draußen am Binnensee und begab sich nach dem Hause zurück.
Im Garten stieß man auf Gerhard Nielsen und Murat, die ebenfalls soeben von dem Berggipfel herabgekommen waren. Nielsen berichtete, daß der Motorkutter in ununterbrochener schneller Fahrt nach Süden verschwunden sei.
Alle betraten jetzt das Haus und den Speisesaal … Und nach abermaliger kurzer Beratung bat Hartwich die junge Detektivin, in aller Kürze ihre Erlebnisse hier auf der schwarzen Insel zu schildern.
Man setzte sich um den großen Tisch herum. Mela holte noch rasch Ellen und Pasqual herbei. Jimminez und Murat genügten nun ja, die Sphinx und das Haus zu bewachen, zumal man kaum noch etwas zu befürchten brauchte. – –
Die Holzverschläge in dem aus Steinquadern erbauten Stalle, in dem Mafalda Sarratow und Edgar Lomatz mit gefesselten Händen vorläufig untergebracht worden waren, erhielten nur durch ein winziges, dazu noch verstaubtes Fensterchen geringes Licht von draußen her.
Lomatz saß auf einer leeren Liste, deren bunte Bemalung darauf hindeutete, daß es sich um eine Matrosenkiste handelte, wie sie früher überall von den Seeleuten zu Aufbewahrung ihrer geringen Habseligkeiten gebraucht wurden.
Die Gedanken, die dem Verbrecher hier in der Stille seiner Zelle beschäftigten, waren trübe genug. Niedergeschlagen in tiefer Mutlosigkeit hatte er eine volle Stunde stumpfsinnig vor sich hingebrütet. Er wußte nun, daß alle die Sphinxleute, seine Feinde, hier auf dieser Insel versammelt waren, und er nahm es für gewiß an, daß man ihn hier auch richten würde – vielleicht aufknüpfen, erschießen … Auf Erbarmen hatte er nicht zu rechnen.
Erst als er dann hörte, daß man Gerhard Nielsen aus dem Nebenverschlag herausholte und davonführte, regte sich plötzlich wieder der Selbsterhaltungstrieb bei ihm.
Seine Handfesseln, geteerte Hanfschnüre, konnte er nicht abstreifen. Er hatte es bereits erfolglos auf dem Kutter versucht und lediglich die Haut blutig geschunden.
Nein – ohne ein passendes Werkzeug würde er diese verdammten Schnüre nie loswerden! Doch – woher ein Messer oder dergleichen nehmen?! Man hatte ihm ja die Taschen gründlich geleert …!
Jetzt, wo der heiße Wunsch, der wohlverdienten Strafe auch diesmal zu entgehen, all seine Lebensgeister wieder angefacht hatte, – jetzt war er mit einem Schlage wieder der geriebene, schlaue, listenreiche Abenteurer, dessen regem Hirn in der Stunde der höchsten Gefahr noch stets ein glücklicher Gedanke entsprungen war.
Er erhob sich, schaute sich in dem engen Verschlag genauer um …
Dort im Winkel an der dicken Außenmauer unterhalb des kleinen Fensters erkannte er noch mehr Schiffskisten …
Sollten sie wirklich alle leer sein?!
Und diese stumme Frage trieb ihn zu raschem Handeln …
Er kniete vor der bunten Kiste nieder, die ihm als Sitz gedient hatte …
Der Deckel war nicht verschlossen …
Er klappte ihn ohne Mühe und ohne Geräusch mit den gefesselten Händen empor …
Leer …!!
Und war doch nicht enttäuscht …
Schlich in den Winkel dort, packte die oberste Kiste des Stapels, lüftete sie …
Ah – die konnte nicht leer sein! Die war zu schwer …!
Um bequemer hineinschauen zu können, trug er die Sitzkiste bis an den Stapel und stieg hinauf.
Seine gierigen Hände wühlten jetzt in dem Inhalt, in Kleiderstücken, Wäsche, Schachteln und Büchern … Kein Messer …! Kein Dolch! Nichts dergleichen.
Und dann ein neuer Gedanke. Jeder Matrose besitzt Nähzeug, also auch eine Schere …! Und in einer der Schachteln würde vielleicht das Ersehnte liegen …!
Ein Glück war’s, daß man ihm die Hände nicht auf dem Rücken gefesselt hatte …! Aus Rücksicht oder Mildherzigkeit hatte man das freilich nicht unterlassen. Nein, auf dem Kutter war eben im Vorschiff so wenig Raum gewesen, daß er lang ausgestreckt hatte liegen müssen. Und deshalb verzichtete man darauf, ihm die Handgelenke hinten zusammenzuschnüren …
Eine neue Schachtel durchsucht er … Ein … Fingerhut … eine Rolle Garn … Ganz unten … eine handlange Schere!!
Triumph – – eine Schere …!!
Lomatz schoß das Blut vor heller Freude in das bleiche Gesicht …
Er klemmte die Schere geöffnet zwischen Deckel und Unterteil der Sitzkiste …
Und dann zwängte er die Spitze der einen Schneide zwischen die Windungen der geteerten Schnur …
Drei Minuten Arbeit …
Er hatte die Hände frei. Rieb und knetete sie, brachte das Blut wieder in Umlauf …
Frei … Frei …!!
Seine Arme reckten sich empor …
Und kaltblütig und besonnen durchsuchte er auch die anderen Matrosenkisten …
Sein Gesicht glühte …
In seiner Hand blinkte … ein schwerer amerikanischer Coltrevolver … In seiner Jackentasche verschwand ein malaiischer Kris mit leicht gebogener Klinge und Perlmuttergriff …
Dann wandte er sich der Tür zu …
Befühlte das Holz, drückte sie nach außen …
Kein Schloß … Riegel waren vorgeschoben … Und das Holz eisenhart, unmöglich die Flucht nach dieser Seite hin …
Lomatz verzweifelte nicht.
Er untersuchte jetzt die linke Bretterwand. Das war die Verbindungswand nach dem jetzt leeren Verschlag, in dem Gerhard Nielsen untergebracht gewesen war …
Wieder eine Enttäuschung. Dicke Planken, die fraglos aus einem Schiffe herrührten! Und jede einzelne mit langen Schiffsnägeln befestigt.
Nein – auch der Weg war versperrt.
Lomatz wurde doch ein wenig nervös … Die Zeit verstrich … Jeden Augenblick konnte man ihm Essen bringen, ihn holen – der gleichen, – ihn jedenfalls stören!
Er … schaute nach oben …
In diesem Halbdunkel war von der Decke des Verschlages nichts zu erkennen.
Er kletterte auf die Kisten …
Und … – Welch freudiger Schreck! Seine emporgereckten Hände fuhren durch eine breite Spalte der Bretter ins Leere, – – und die Bretter waren nur lose über die Deckenbalken gelegt, ließen sich hochkippen … –
So gelangte Edgar Lomatz nach oben in den niederen Dachboden …
Und konnte durch das in der Mauer befindliche Luftloch den Hof überschauen, sah Pasqual Oretto und Jimminez das Haus und die Sphinx als Wächter umkreisen, beobachtete eine Weile, kroch dann weiter …
War mit einem kühnen Sprung unten in Mafaldas Verschlag …
Die Fürstin Sarratow war erschrocken hochgefahren, als mit einem Male ein Mann durch die Decke dich vor ihr landete. Sie hatte in einer Ecke auf einem halb zertrümmerten kleinen Bretternachen gesessen, hatte auch bereits verzweifelte Anstrengungen gemacht, ihre Fesseln abzustreifen.
Lomatz verständigte sie mit wenigen geflüsterten Worten, durchschnitt ihrer Bande mit dem malaiischen Kris und stellte sich gegen die Mauer, damit Mafalda an ihm emporklimmen und die Bretter oben erreichen konnte.
Nachher zog sie ihn zu sich empor.
In der Mitte des Bodenraumes fanden sie einen viereckigen Ausschnitt, in dem eine Leiter lehnte. Hinab in die andere Stallhälfte. Die Tür nach draußen stand weit offen. Da diese Tür am weitesten vom Wohnhause entfernt lag und da dicht davor das Felsgeröll des nahen Abgangs einen hohen Wall bildete, konnten Lomatz und Mafalda ohne besondere Gefahr bis hinter diesen Wall kriechen und dann nach links zu sich jener Schlucht nähern, die als Zugang zu der Nordbucht vom Hause aus nicht mehr übersehen werden konnte.
Atemlos und noch immer in höchster Angst vor Pasqual und Jimminez, liefen die beiden Flüchtlinge jetzt die Schlucht entlang, bogen dann nach links ab und eilten am Westufer der Bucht weiter, bis die Steilwände ihnen in Gestalt eines schmalen tiefen Kanons einen Durchschlupf gewährten.
Hier in diesem tiefen Hohlwege wagten sie ein paar Minuten auszuruhen.
Lomatz lief der Schweiß in Strömen über das Gesicht. Auch der Fürstin Sarratow hohe Stirn war mit schillernden Perlen bedeckt. Auch sie atmete keuchend und rang in der Siedehitze dieser engen Felswände, die nicht einmal nachts wieder abkühlten, stoßweise nach Luft …
„Wo befinden wir uns eigentlich?“ fragte sie dann ihren Gefährten, der sich immer wieder scheu und ängstlich umblickte.
„Ich weiß es nicht, Mafalda,“ erklärte Lomatz mit einer müden, gleichgültigen Handbewegung. „Ich glaube auf einer Insel … Vielleicht auch irgendwo auf dem Festlande … – Weiter jetzt … Wir müssen möglichst rasch aus der Nähe dieser Schufte verschwinden. War das eine Überraschung, als ich hier die ganze Gesellschaft beieinander sah – Hartwich, Falz, Pasqual – all die anderen und … unseren Jimminez! Der Lump ist wahrhaftig zum Feinde übergegangen!“
Mafaldas Gesicht verzerrte sich auf eine geradezu abschreckende Weise …
All der unendliche Haß, den sie gegen Agnes Sanden hegte, bebte in ihrer Stimme mit, als sie nun schrill und tückisch hervorstieß:
„Und … dann die Wiedersehensszene zwischen Gaupenberg und der blonden Madonna! Rührend war das! Wie in einem Schmierenschauspiel …!“
Lomatz schaute sie kopfschüttelnd an …
„Hast du noch immer nicht vergessen, Mafalda?!“ Etwas spöttisch klang’s …
„Ich … vergesse nie, nie …! Dieses Mädchen hat mir den Mann geraubt, der mein sein sollte …! Der mein war …! – Gehen wir …!“
Lomatz schritt voran …
Der Kanon endete am Nordstrande.
„Verdammt,“ meinte Lomatz, als das im Nachmittagssonnenschein gleißende Meer abermals vor ihnen lag, „wir müssen weg von der Küste! Eine ganz verwünschte Landschaft ist’s … Unheimlich düster …“
„Dann dort in jene Schlucht hinein,“ schlug Mafalda vor … „Es wäre überhaupt gut, wenn wir mal von einem erhöhten Punkt Ausschau halten könnten …“
Die Schlucht zog sich steil bergan.
Auch hier eine Siedehitze, die den Atem beschwerte, die Lippen, Mund und Hals dörrte.
Dann eine kleine, steinige Hochebene, bestreut mit mächtigen Blöcken …
Und hier hatten die beiden den Nordteil der Insel vor sich. Hier anerkannten sie, daß sie sich entweder auf einer Halbinsel oder einem Eiland befanden.
Kaum hatten sie hierüber ein paar hastige Bemerkungen ausgetauscht, als Mafalda ihren Begleiter plötzlich zwischen ein paar hohe Felsstücke riß …
Taumelnd flog Lomatz in das Versteck, schlug sich das Knie blutig, fauchte Mafalda ärgerlich an …
„Was gibt’s denn, zum Teufel?!“
Die Fürstin hatte sich verfärbte …
„Murat … Drüben auf einer Bergkuppe …,“ rief sie leise … „Und neben ihm … Nielsen, Gerhard Nielsen mit einem Fernglas …“
„Ah – Nielsen?! Unmöglich …!! Der …“
„… ja, der ist ebenfalls zu den Sphinxleuten übergegangen …! Dem habe ich niemals getraut … Der machte sich stets so halb über mich lustig, als wir auf Christophoro den Schatz in das Segelboot verluden … Dieser Nielsen war … aus anderem Holze geschnitzt wie wir, Edgar Lomatz …!“
„Schuft, Lump …!! Betrogen hat er uns!“ Dann aber kam bei ihm doch wieder die Angst zum Durchbruch …
„Eine verfluchte Geschichte, Mafalda!! Wir stecken hier in einer Falle. Zurück können wir nicht … Rechts das Meer … Geradeaus dieser Nielsen und die scheußliche Affenbestie, und links turmhohe Wände …! – Was nun?!“
Die Fürstin starrte zu Boden …
Schwieg …
Lomatz wurde aufmerksam …
„So rede doch …! – Weshalb …“
Sie deutete auf den Boden zwischen den beiden Felsblöcken …
„Bitte …! Was siehst du?“
„Hm – es scheint ja, als ob hier Leute wiederholt hin und her gegangen sind … Das feine Geröll ist zertreten … Und dort …“
Auch er schwieg …
Mafalda war tiefer in den Hohlraum zwischen den beiden Riesensteinen eingedrungen, die nur gleichsam die Ausläufer eines größeren Hügels wirr übereinandergetürmter Blöcke bildeten …
Als die Fürstin die Stelle erreicht hatte, wo dieser Hügel begann, rief sie fast jubelnd:
„Lomatz – – gerettet …! Ein besseres Versteck konnten wir nicht finden …!“
Und sie schob sich jetzt durch eine meterbreite Öffnung in den Hügel hinein, richtete sich auf, konnte dort bequem aufrecht stehen und bemerkte zu ihrer Überraschung in diesem Hohlraum zwischen den Steinblöcken mehrere Kisten, außerdem sechs eiserne Röhren von etwa vier Meter Länge und vielleicht zehn Zentimeter Stärke …
Durch die Lücken zwischen den einzelnen Steinen drang übergenug Licht herein. Der Raum war recht ausgedehnt, und in der Mitte lehnte eine schmale eiserne Leiter mit dem oberen Ende an einen der Felsblöcke, die hier die Decke bildeten.
Lomatz war der Fürstin rasch gefolgt …
Bückte sich nun, betastete die Eisenröhren.
„Ein nettes Versteck!“ meinte er dann enttäuscht. „Weißt du, was die Röhren bedeuten, Mafalda?! Es sind … ausziehbare Antennenmasten aus ganz dünnem Zinkblech, schwarz gestrichen … Wahrscheinlich dürften die Kisten die zugehörigen Apparate enthalten … Dies ist also eine geheime Funkstation …! Und wir tun gut, dieses Felsloch schleunigst wieder zu verlassen …“
„Weshalb?! Glaubst du denn, daß die Leute, die diese Sachen hier verborgen haben, unseren Feinden helfen werden, uns hier aufzustöbern?! Sie werden sich hüten! – Wir bleiben …!“
Lomatz überlegte.
Was Mafalda da soeben erklärt hatte, war nicht von der Hand zu weisen. Sie hatte ganz recht, vorläufig konnte man sich hier sicher fühlen!
„Gut, sehen wir nach, was in den Kisten verstaut ist,“ flüsterte er. „Hilf mir … Setzen wir die oberste auf den Boden …“
Der Deckel hatte Eisengelenke. Als Lomatz ihn hochschlug, kam ein Zinkeinsatz zum Vorschein
„Wird schon stimmen – Apparate!“ meinte er …
Er hob den Zinkdeckel nun heraus, der mit Gummirändern luftdicht abgedichtet war …
„Hallo – wirklich ein Sende- und ein Empfangsapparat …! Und dazu noch Batterien, Akkumulatoren – und dort die aufgewickelte Antenne mit den Eierketten …“
„Sogar ein Fünfröhrenempfänger,“ nickte Mafalda sachkundig. „Auch vier Bücher dort in der Ecke …“
Sie nahm das eine heraus …
„Aha – Fachliteratur über Funkentelegraphie … Ein deutsches Werk … Und hier eine Zusammenstellung der Radiostationen der ganzen Welt nebst den Rufzeichen und Wellenlängen … – Dann Nummer drei: eine Anleitung über Morsetelegraphie … Nummer vier – – sieh da, mit Schreibmaschine geschrieben …! Die Sprache kenne ich nicht, Lomatz … Du vielleicht?!“
Lomatz überflog das Titelblatt …
„Ich auch nicht …! Halt, das ist überhaupt keine lebende Sprache … Das ist Chiffreschrift … Da, schau her, Mafalda. Hier in diesem Wort folgen vier Konsonanten aufeinander …“
„Untersuchen wir die drei anderen Kisten,“ mahnte die Fürstin … „Ich hoffe stark, daß deren Inhalt uns wichtiger sein wird …“
Und sie hatte richtig vermutet.
Die eine enthielt Lebensmittel aller Art in Konservenform, dazu einen Spirituskocher für Hartspiritus und allerlei Geschirr. – Die zweite dagegen Waffen: zehn Karabiner, fünfzehn Repetierpistolen, fünfzig Handgranaten, fünf Maschinenpistolen und Munition. – Die letzte wieder – und das war das verblüffendste – hatte das zusammenschraubare Aluminiumgerippe eines großen Leinwandbootes zum Inhalt, außerdem auch den dazu gehörigen Bootsüberzug aus starkem gummierten Stoff sowie eine englische Gebrauchsanweisung für den Zusammenbau. Jeder der Bootsteile war genau nummeriert. Nach der Beschreibung hatte das zusammengebaute Boot eine Länge von sechs Meter. –
Lomatz lachte jetzt vergnügt in sich hinein …
„Was wollen wir noch mehr, Mafalda?! Hier halten wir es wochenlang aus! Inzwischen wird den Herrschaften von der Sphinx dann wohl die Lust vergangen sein, noch länger nach uns zu suchen!“
Die Fürstin winkte …
„Denken wir zunächst an das Nötigste, Freund Lomatz …! Ich habe Hunger!“
Gleich darauf saßen sie auf der großen Bootskiste nebeneinander und taten einer Büchse Fleisch und einer zweiten, die mit Dauergebäck gefüllt war, alle Ehre an.
Flüsternd besprachen sie dabei die letzten Ereignisse.
Lomatz betonte, daß sie in keiner Weise zu fürchten brauchten, daß man etwa ihren Spuren folgen könnte …
„Der harte Felsboden nimmt keine Fährten an, Mafalda … Wir würden uns außerdem hier niemals gutwillig ergeben, falls wir entdeckt werden sollten. Wir haben Waffen in Hülle und Fülle …“
Die Fürstin erwiderte jedoch:
„Vergiß … Murat nicht! Der Homgori ist am gefährlichsten mit seinen weit feineren Sinnen …“
Lomatz hörte zu essen auf …
„Verdammt – – Murat …!! Das stimmt!“
Seine Stimme verriet, wie besorgt er plötzlich war.
Mit gerunzelter Stirn schaute er vor sich hin …
„Wir müßten den Eingang draußen verrammeln,“ meinte er dann. „Das kann doch nicht schwer werden … Hier liegen genug Steine umher … Und von draußen könnten wir …“
Mafalda hatte ihm mit hastiger Bewegung die Hand auf den Mund gedrückt …
Die saßen beide wie erstarrt da … Sie hörten draußen zwischen den beiden Felsblöcken flüchtige Schritte …
Stierten auf die Öffnung, durch die sie vorhin hier eingedrungen waren …
Ein Kopf erschien jetzt dort …
Eine helle Reisemütze …
Ein Oberkörper folgte …
Da hatte sich Lomatz schon vorwärtsgeschnellt …
Der Kolben seines schweren Revolvers aus der Matrosenkiste schmetterte dem Fremden auf den Schädel.
Mit einem Ächzen sank der vornüber …
Mafalda packte mit zu …
Sie zerrten den Mann vollends hinein …
Und als nun das durch eins der Löcher fallende Tageslicht das bartlose zarte Gesicht des Bewußtlosen traf, rief die Fürstin halb entsetzt:
„Lomatz, – – nur ein Weib im Männeranzug …! Ein Mädchen – blutjung!“
„Und Gott sei Dank niemand von der Sphinx!“ brummte Lomatz. „Dieses Frauenzimmer hier wird schon wieder zu sich kommen … Fesseln wir sie …! Vorsicht ist besser als Nachsicht!“