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Kapitel 111–120

111. Kapitel.

Der goldene Berg.

Das milde, gelbfahle Licht der Riesenhöhle, in der einst die Überreste des Aztekenvolkes ein neues Reich gegründet hatten, das nun durch den Einbruch des Meeres wieder zerstört worden war, – dieses geheimnisvolle, den Felswänden und der Felsendecke entströmende Licht zeigte Edgar Lomatz das verzerrte Gesicht Mantaxas, der jungen Aztekin, die jetzt nach dem erfolglosen Dolchstoß, der an des Verbrechers Taschenuhr unschädlich abgeglitten, wie erstarrt mit hängenden Armen dastand …

Lomatz, selbst noch halb von Sinnen vor jähem Schreck über den unerwarteten Angriff, packte rasch zu, entwand ihr den Dolch und schob ihn in die Tasche …

„Sieh da, du kannst auch kratzen, mein Kätzchen,“ höhnte er, und das Blut schoß ihm wieder in das fahl gewordene Gesicht … „Wie dann, wenn ich nun Gleiches mit Gleichem vergelten wollte, Mantaxa …?! Ist das dein Dank für …“

Die kupferbraune schlanke Gestalt wich zurück …

„Du … willst … das Gold rauben,“ rief sie leise … „König Matagumas Schätze willst du stehlen.“ – Sie rief’s, als ob sie ihm eine Erklärung geben wollte für ihre Undankbarkeit …

Lomatz lächelte jetzt. Er brauchte dieses Mädchen, er war ja allein hier in der Riesenhöhle …

„Mantaxa, was nützen deinem toten Könige diese Schätze?! Du bist die letzte Überlebende deines Volkes … Nur du könntest Anspruch darauf erheben …“ – Er sprach mit heuchlerischer Freundlichkeit … „Glaubst du denn, ich würde nicht auch ohne dich das Gold wegschaffen können? Was hindert mich, dich für immer stumm zu machen …?! – Nein, Mantaxa, – denke besser über mich als in dem Augenblick, wo soeben nur ein Zufall mich vor der blanken Waffe bewahrte. Nochmals, laß uns gute Freunde sein! Was weißt du von der Welt und von ihren Freuden, von den Riesenstädten ferner Länder, von all dem Glanz und Luxus, von all den Zerstreuungen und Vergnügungen …?! Ich, Mantaxa, ich will dir diese Welt zu Füßen legen … durch die Macht des Goldes!“

Und weiter sprach er …

Sprach wie ein Dichter, goß Sehnsucht nach all dem Ungeschauten in das Herz dieses primitiven jungen Weibes hinein, bis ihre Augen zu leuchten begannen …

Ihre Hand nahm er …

Andere Worte fand er, weich wie das Klingen von Liebesliedern …

Alles konnte dieser Mann – alles …

Nur eins nicht, seine feige Verbrecherseele zu brutaler Kühnheit aufstacheln! In solchen Momenten versagte er. Nur Hinterlist, Heuchelei, Lüge, glatte doppelzüngige Reden waren seine Waffen …

Mantaxa, das Kind des wilden Mexiko, heißblütig, leicht zu betören, einsam und verlassen, soeben einer Katastrophe entgangen, die Hunderte ertränkt hatte, – Mantaxa überlief es wie ein Zittern unter den frechen Zärtlichkeiten dieses weißen Mannes …

Sie ward sein …

Ward sein in dieser unheimlichen, geheimnisvollen Stille der schweigenden Unterwelt …

Ihr Blut jagte durch die Adern …

Ihre dunklen Augen schwammen in wilder Lust …

Und Stunden später, als die immer mehr sich verlierenden Fluten bereits die fernen Zinnen der Marmorpaläste der Aztekenstadt freigegeben hatten, als die Wasser immer schneller sanken – sich verlierend in unbekannten Tiefen, ruderte Lomatz das primitive Floß aus dieser Seitenhöhle wieder in das Hauptgewölbe hinein, fand höhere Stellen des Bodens bereits trocken, sah überall gleich Inseln die Hügelkuppen der Höhlenlandschaft erscheinen …

Unendlicher Jubel glühte in seinem verderbten Herzen …

Er – er würde Herr dieser ungeheuren Schätze sein – – er allein! Er würde sie bergen – verstecken, würde als ein zweiter Graf von Monte Christo zurückkehren in kultivierte Länder …!!

Zu seinen Füßen hockte Mantaxa …

Schaute zu ihm auf, ein verträumtes Lächeln auf dem dunklen Gesicht …

Weiter glitt das Floß …

Deutlich spürte Lomatz, daß eine scharfe Strömungen aus dieser Seitengrotte herauslief …

Immer schneller bewegte sich das Floß. Er brauchte nur noch zu steuern.

Dann bog das schwerfällige Fahrzeug in die Haupthöhle ein …

Wie ein Zauberbild, wie eine Fata Morgana drüben die acht Paläste, jetzt schon frei bis zu den hohen Treppen …

Und ohne Schwierigkeiten landete er nun auf der breiten Terrasse des Königspalastes, den Mantaxa ihm durch eifriges Winken gezeigt.

Rauschend und gurgelnd flossen die Fluten des Ozeans an den Marmorwänden entlang – dorthin, wo die leere Stadt der toten Azteken sich in das Tal der Höhle einschmiegte. Dort also irgendwo hatte das Wasser sich einen Ausweg gesucht in noch größere Tiefen, während die Einbruchstelle sich wieder verstopft zu haben schien.

Noch eine Stunde, – dann hatte die Höhle ihr früheres Aussehen wieder angenommen …

Ruhig lag der langgestreckte See da, die Uferstraße, die Anlegebrücke mit den angeketteten altertümlichen Nachen …

Nicht eine einzige Leiche störte hier mit widrigem Anblick die goldhungrigen Augen des hageren Mannes, der dort auf der Terrasse nun sich abmühte, eine der noch nassen Fackeln, die Mantaxa herbeigeholt, in Brand zu setzen.

Lomatz’ Laterne war inzwischen erloschen. Und wenn er in die Gewölbe hinab wollte, brauchte er Licht …

Endlich fing die Harzfackel Feuer. Knisternd und fauchend strahlte sie auf. Schwarzer Qualm zog in Wolken davon …

Mantaxa schritt voran …

Eine leichte Schlammschicht bedeckte den kostbaren Fliesenboden der Säle … Schlüpfrig war dieser Gang zu den Schätzen hinab, schlüpfrig und gefährlich …

Zweimal glitt Lomatz auf den steilen Treppen aus, die in die Tiefe führten …

Und unwillkürlich schoß es ihm da durch den Kopf: ‚Sollte das eine Vorbedeutung haben?! Eine üble Vorbedeutung?!’

Er wies diese lächerlichen Gedanken wieder von sich …

Seine Gier nach den Schätzen war größer als seine abergläubischen Ahnungen …

Dann unten die weiten Hallen … Kupfertüren, überreich verziert … Auf allen das Bildnis des Aztekengottes Vitzliputzli in grotesker Häßlichkeit.

Und nun die eine Tür …

Mantaxa drehte sich um …

Lächelnd nickte sie Lomatz zu …

Schob die schweren Riegel zurück, mehr Zierrat hier als Schutz …

Die Tür ging auf …

Ein Vorraum …

Götzenbilder …

Eine zweite Tür …

Und jetzt glitt der rötliche Glanz der Fackel über unermeßliche Reichtümer hin …

Ein goldenes Leuchten erfüllte das Gewölbe …

Haufen von Goldbarren …

Haufen von uralten Tempelgeräten, Schalen, Krügen, Becken, Waffen …

Edelsteine gleißten, sprühten Blitze …

Zwei Thronsessel aus gediegenem Golde standen in der einen Ecke …

– Lomatz war leichenblaß geworden …

Der Schweiß drang ihm aus allen Poren … Ein Schwindel packte ihn … Schwer lehnte er sich auf Mantaxa …

Das Mädchen lächelte wieder …

Sie war glücklich, weil sie dem Geliebten diese Herrlichkeiten zeigen und … schenken konnte …

Keuchend stieß Lomatz den Atem aus … Keuchend rang er nach Luft …

Dann stürmte er vorwärts – mit ausgebreiteten Armen … Warf sich mitten in den einen Haufen von Goldbarren hinein, wühlt die Hände in die kühlen Metallstücke ein … Hielt gleichsam den Azorenschatz umklammert …

„Mein – – mein!!“

Und der Schrei tönte wieder von den Marmorwänden.

Das Gold schien mitzutönen …

Wie – – ein höhnisches Kichern … –

Mantaxas Lächeln schwand …

Ein Zug von Verachtung kräuselte ihre Lippen …

Und wieder dachte sie da an die Überlieferungen ihres Volkes …

An Cortez, den Eroberer, – an das Blutbad – – des Goldes wegen!

Ein dumpfer Haß stieg sekundenlang wieder in ihr auf …

Ihre Blicke glitten zu den blinkenden Thronsesseln, auf deren Sitzen je eine kostbare Steinaxt lag – als Zeichen der Königswürde, das Zepter eines kriegerischen Volkes …

Doch – zu frisch lebte noch in ihrem Blute die Erinnerung an den Sinnenrausch der Liebesstunden …

Ihr träumerisches Lächeln kehrte wieder …

Ward zum munteren Lachen … Weckte Lomatz …

Beschämt erhob er sich …

Und als nun der erste Rausch vorüber, ward er wieder, was er stets gewesen: klug, berechnend, jeden Vorteil nutzend … –

Mantaxa mußte nach oben eilen, mußte Tücher herbeischaffen, aus denen sich bequem zu tragende Säcke knoten ließen …

So begann der Transport des Goldes in einem der Nachen …

So wurde das Schifflein hinübergerudert zu jenem Schacht an der Nordseite des Sees, wo die Steintreppe in das Dickicht der Insel Christophoro hineinführte …

Am Westufer der Insel suchte Lomatz beim bleichen Glanz der Sterne eine Stelle aus, wo das Gold, Ladung auf Ladung, hochgeschichtet wurde …

Zwanzigmal fuhr der Nachen hin und her …

Vierzigmal schleppten Mantaxa und Lomatz Zentnerlasten … –

Als der Morgen graute, war die Schatzkammer ausgeräumt.

Die zweite Arbeit begann …

Der goldene Berg hier am Westufer der Insel mitten im Dornengestrüpp ward mit Steinen belegt … Schicht auf Schicht häufte sich. Der goldene Berg erhielt eine steinerne Kappe, sah nun aus, als hätte eine Laune der Natur hier das Felsgeröll hochgetürmt …

Lasten von Sand wurden noch zwischen die Steine geschüttelt …

Dornenbüsche eingepflanzt …

Als der Sonne erste Strahlen den ‚goldenen Berg’ trafen, hätte niemand mehr vermuten können, daß hier Milliarden an Werten lagerten.

Selbst die Fußspuren hatte Lomatz ausgetilgt … –

Dann schleppten er und das Mädchen einen der Nachen die Steintreppe empor, brachten ihn an den Strand, ruderten bis zum Riffgürtel und überwanden mit Hilfe der großen Klippe, die auch Knorz und Ellen die Flucht ermöglicht, die wütende Brandung.

In seinen Taschen trug Lomatz nichts als dreißig aus den goldenen Geräten herausgebrochene Edelsteinen mit fort …

Nichts als …?! – – Edelsteine von Taubeneigröße waren’s! Jeder für sich ein Vermögen wert …!

Und so fuhren sie bei windstillem Wetter nordwärts – nach der mittleren der Robigas-Inseln, nach Mala Gura …

Beide erschöpft, zum Umsinken müde … Und doch vorwärtsstrebend in der Gewißheit, daß in kurzem an den Gestaden, die sie soeben verlassen, andere landen würden, um … die Schätze zu holen.

An der Nordküste von Mala Gura steuerten sie in die enge Bucht ein, wo das Steinhäuschen dicht an hoher Felswand sich erhob, in dem Melanie Falz viele Monate als Verbannte gelebt hatte.

Hier verbargen sie den Nachen. Hier sanken sie todmüde in der Hütte auf das armselige Lager von Seetang …

Schliefen ein … Schliefen bis zum Abend …

Hunger, Durst trieb sie empor. Möveneier waren ihre Speise. Die Quelle in der Mitte des Eilandes bot ihnen kühlen Trank …

Zehn Uhr abends war’s, als Lomatz dann im Westen ganz fern die Lichter eines Dampfers durch die Dunkelheit schimmern sah …

Er zündete auf sandiger Düne ein Feuer an …

Mantaxa trug immer neues trockenes Strauchwerk herbei …

Haushoch schlugen die Flammen empor … –

Drüben auf See zog die Jacht des Neuyorker Milliardärs Randercild stolz gen Osten, ein schwimmender Luxusbau, Eigentum des berüchtigsten Kriegsgewinnlers der Vereinigten Staaten, dem das Blut der hingemordeten Millionen schmierige Banknoten im Übermaß eingebracht hatte ….

Im Speisesaal des ‚Star of Manhattan’ saß Josua Randercild mit seinen Gästen an blinkender Tafel.

Die Bordkapelle spielte gerade einen Walzer …

Die Stewards servierten gebratene Hühnchen a la Louis des Vierzehnten … – mit Madeiratunke, mit Tomaten gefüllt …

Neben dem kleinen spindeldürren Randercild, der wie ein Schneiderlein aus einem witzigen Märchen aussah, sagte der Herzog von Dalaargen, den die Revolution in Österreich zum Bettler gemacht, in mäßigem Englisch:

„Die Hühnchen habe ich nur ein einziges Mal ebenso gut gegessen, lieber Josua, und das war bei der Hochzeit des letzten österreichischen Kaisers …“

Randercild grinste geschmeichelt … –

Der Kapitän des ‚Star of Manhattan’ war hinter des Milliardärs Stuhl getreten …

„Mister Randercild, wir sind in Sicht der Robigas-Eilande … Soeben ist auf der mittleren Insel ein Notsignal von der Deckwache gemeldet worden, ein großes Feuer …“

Josua Randercild hatte bisher nicht die allergeringste Ahnung von der Existenz dieser Inseln gehabt. Wie sollte er auch?! Er war noch vor acht Jahren Schaubudenbesitzer gewesen. Erst der Weltkrieg mit seinen unbegrenzten Verdienstmöglichkeiten für spekulative Köpfe hatte seine wahren Fähigkeiten in diesem Meer von Blut an die Oberfläche gespült. Seine Schaubude hatte er verkauft und für das Geld ein leerstehendes Fabrikgebäude in einem Vorort Neuyorks erworben. Sein Kompagnon wurde ein Holländer, der die nötigen Maschinen anschaffte. Man fabrizierte allerlei Dinge, verdiente, erweiterte, spezialisierte sich, und – – Josua Randercild schob, als die Karre tadellos in Fahrt war, seinen holländischen Freund durch geeignete Maßnahmen völlig beiseite. Im Jahre 1917 besaß er bereits acht Kupfergruben, war börsenfähig, ließ eigene Dampfer laufen … 1919 aber war die erste Milliarde zusammengescharrt. Heute gehörte Josua zu den obersten Dreihundert von Neuyork. Pecunia non olet – Geld stinkt nicht …! –

Dieser Randercild schaute seinen Kapitän mißmutig an …

„Notsignal?“ meinte er sehr gedehnt. „Nun ja … Und – –?!“

Da mischte Seine Hoheit der Herzog sich ein …

„Lieber Josua, diese Eilande sind unbewohnt, und es kann sich um Schiffbrüchige handeln …“

„Ah so!“ nickte Randercild. „Allright – steuern Sie drauf zu, Käpten … Mir soll’s recht sein …“

Links neben Josua saß der Universitätsprofessor John Pargenter … Der meinte, man müßte doch eigentlich an Deck gehen … Schiffbrüchige, – das verspräche ein Abenteuer …

Josua zog die Nase kraus. „Wenn es Sie interessiert – bitte …“

Und zu seinem Ärger erhob sich nun auch der Herzog, sagte nur:

„Die Robigas-Eilande sind Eigentum der Republik Patalonia … Und da Sie, lieber Josua, doch mit Seiner Exzellenz dem Präsidenten Armaro von Patalonia ein größeres Geschäft abschließen wollen, könnten Sie hier gleich ein Stück der famosen Republik zu sehen bekommen …“

Doch auch das machte auf Josua keinen Eindruck.

Pargenter und der schlanke Herzog, beide in tadellosem Abenddreß, stiegen an Deck.

Inzwischen hatte der ‚Star of Manhattan’ schon den Kurs geändert. Das prächtige Schiff – ganz neue Turbinen, Ölförderung und Schlingerkojen – setzte ein Boot aus.

„Ich komme mit,“ rief Fredy Dalaargen dem ersten Offizier zu …

Mit bloßen Kopf saß er dann am Heck des Bootes und sah die dunklen Konturen von Mala Gura immer deutlicher aus dem milchigen Nebel der Tropennacht herauswachsen.

Das Riesenfeuer brannte noch immer. Der Herzog ließ sich von dem ersten Offizier das Fernglas geben …

„Tatsächlich, zwei Menschen …“

„Fraglos Schiffbrüchige, Hoheit …,“ erklärte der Seemann nochmals.

Dann legte das Boot an der Spitze einer Landzunge an … –

Lomatz hätte sich Mantaxas, der jungen Aztekin, nur zu gern entledigt. Wäre die Jacht von ihm früher bemerkt worden, so würde das braune Mädchen niemals die Wunder der Kulturwelt zu sehen bekommen haben. So aber fürchtete Lomatz, daß man ihn und Mantaxa von Bord aus mit Gläsern bereits erspäht haben könnte. Mantaxa war gerettet.

Nochmals schärfte Lomatz ihr nun ein, was sie über sich und ihren weißen Gefährten den Leuten, die dort im Boot nahten, anzugeben hätte …

Dann eilten sie der Landzunge zu und saßen gleich darauf neben dem Herzog und dem ersten Offizier in dem bereits zur Jacht zurückkehrenden flinken Fahrzeug.

Als Fredy Dalaargen durch sein scharfes Monokel, das er mit der Sicherheit unendlich langer Übung trug, das von einem Stoppelbart umrahmte Gesicht des Schiffbrüchigen genauer musterte und nun auch dessen Stimme hörte, lief es wie ein merkwürdiges Zucken über sein schmales, frisches Antlitz hin …

Seltsam, auch Lomatz unterbrach jetzt seine phantasievolle Erzählung und stierte den Herzog wie versteinert an …

„Verzeihung …“ sagte er im Tone sprachlosester Überraschung, „… sollte mich hier wirklich …“

Da hatte Seine Hoheit sich schon an den ersten Offizier gewandt:

„Sagen Sie dem Manne, er möchte sich kürzer fassen, Mister Broder …“ – Ein so eisiger Hochmut lag in diesen Worten, daß Lomatz seine Unschicklichkeit erkannte und wie verlegen sein Märchen rasch beendete, zumal der Schiffsoffizier nicht verabsäumt hatte, Fredy Dalaargen mit einem ‚ganz recht, Hoheit’ zuzustimmen, was die allzu große Weitläufigkeit der Schilderung der Schiffbrüchigen anbetraf.

Das Boot legte am Fallreep an …

Lomatz und Mantaxa wurden oben an Deck von neugierigen Matrosen umringt. Professor Pargenter forschte Lomatz aus. Der Herzog war in den Speisesaal hinabgegangen.

„Nun?“ fragte man ihn hier gespannt von verschiedenen Seiten …

„Ein Schwindler und eine Indianerin,“ meinte Dalaargen und setzte sich neben Josua Randercild. „Ein sehr unsympathischer blonder Mensch, dem ich kein Wort von dem glaube, was er von seinen Abenteuern erzählte.“ – Er machte eine wegwerfende Handbewegung … „Der Mann will von einem Schoner stammen, der von San Miguel nach Caracas wollte und hier im Orkan unterging. Die Indianerin sei sein Weib …“

Der Herzog winkte einem Steward …

„Servieren Sie mir den Fischgang nach,“ befahl er.

Damit schien der Zwischenfall für ihn abgetan. –

Der erste Offizier hatte Lomatz und Mantaxa eine Kabine im Vorschiff angewiesen und ihnen auch Speise und Trank bringen lassen. Die Kammer war von den neugierigen Matrosen noch immer wie belagert. Lomatz mußte sein Märchen stets von neuem wiederholen, konnte aber auch gleichzeitig ganz unauffällig die Leute über die Jacht und ihr Fahrtziel ausforschen, ebenso über die Gäste des Milliardärs …

Als er hörte, daß der ‚Star of Manhattan’ nach Taxata unterwegs sei, konnte er sein heftiges Erschrecken kaum bemänteln …

Ganz anders berührte es ihn, als die Matrosen die Leutseligkeit und die fidele Art des Herzogs Fredy Dalaargen nicht genug rühmen konnten …

Der Herzog sei seit zwei Monaten dem Namen nach Privatsekretär Mister Randercilds … In Palermo habe der Milliardär Seine Hoheit kennen gelernt, wo der Herzog aus Not so eine Art Fremdenführer gewesen … –

Lomatz war sich seiner Sache hinsichtlich dieses Dalaargen noch nicht ganz sicher. Nun – er würde der Wahrheit schon auf den Grund gehen.

Anders verhielt es sich mit Taxata …

Mittags mußte die Jacht dort eintreffen. Und Lomatz ahnte, daß gerade in Taxata jetzt sich einige Insassen der Sphinx verkleidet aufhalten würden …

Jedenfalls, er mußte an Bord der Jacht bleiben, durfte sich niemandem zeigen! Besonders vor Alfonso Jimminez hatte er die größte Angst … –

Nachdem die Kabine sich endlich geleert hatte und Lomatz mit Mantaxa allein war, überlegte er sich die Dinge nochmals mit aller Gründlichkeit. – Nein – auch hier an Bord war er nicht sicher … Die Matrosen der Jacht würden ohne Zweifel in Taxata von der Errettung zweier Schiffbrüchiger jedem, der es hören wollte, ein langes und breites erzählen … Und zu leicht konnte so die Geschichte des Notsignals auf Mala Gura zur Kenntnis derer gelangen, die ihn für tot hielten …

Also – – fliehen, sobald die Jacht am Hafenkai festgemacht hatte … Fliehen – mit Mantaxa …! Sie war ihm freilich nur eine Last … Sie mußte überall auffallen … Ihr Gesichtsschnitt unterschied sich so merklich von dem der südamerikanischen Indianer, daß jeder Landeskundige in ihr sofort eine Fremde vermuten würde … – Eine Last wirft man von sich … Und dazu war Lomatz auch fest entschlossen. Mantaxa war die einzige, die außer ihm den goldenen Berg kannte … Verunglückte sie, so brauchte er nichts mehr zu fürchten … –

Die Aztekin schlief bereits den Schlaf tiefster Erschöpfung. Lomatz saß noch immer an dem winzigen Kabinentisch, rauchte und grübelte … Seine Gedanken umspielten jetzt die Person des Herzogs von Dalaargen. Sollte es wirklich eine so täuschende Ähnlichkeit geben können?! Lag denn seine letzte Begegnung mit dem Manne, der diesem angeblich so leutseligen und heiteren und fraglos doch so unendlich hochmütigen Aristokraten derart täuschend glich, so sehr lange zurück?! – Nein – nur sechs Jahre waren’s … Höchstens sechs Jahre … Und er, Edgar Lomatz, hatte doch ein so unfehlbares Personengedächtnis …!

Freilich – was ging ihn denn dieser Herzog an …! Er hatte jetzt andere Sorgen … Er war … Krösus … war mehr als das! Kein noch so vornehm klingender Name, keine Ehren und Würden imponierten ihm mehr! Er … er allein war Besitzer von vielen, vielen Milliarden, – – er allein wußte von der Existenz des goldenen Berges!

Ein namenloses Gefühl des Triumphs schwellte da seine Brust …

Erst in dieser Sekunde, wo er nun hoffen durfte, sehr bald frei zu sein – auch von Mantaxa, genoß er den Rausch des Reichtums noch ungezügelter und doch bewußter als damals in den Gewölben Matagumas …

Seine Augen wurden größer … Seine Blicke öffneten gleichsam die Wände der Kabine und ließen ihn glanzvollste Zukunftsbilder schauen …

Und da – er hatte vergessen, die Kabinentüren zu verriegeln – da … tat sich diese Tür auf …

Schloß sich auch schon wieder …

Ein Fremder stand vor Lomatz – ein buckliger, alter Matrose mit grauem Bart, der von Tabaksaft um den Mund herum gelblich gefärbt war …

Eine schmierige Hand hob sich zum Munde, machte die warnende Bewegung des Schweigens …

Der Alte schien nach draußen in den Gang hinauszulauschen … Minutenlang … Dann nickte er zufrieden …

In röchelndem Baß sagte er leise:

„’n Abend, Lomatz … Wie geht’s?“

Der Verbrecher war verwirrt, bestürzt, obwohl er diesen Jan Maat noch nie gesehen. Ein dumpfes Unbehagen beschlich ihn … Es war ihm, als falle er langsam von sonniger goldener Höhe einen Abhang hinab, der so glatt und schlüpfrig war, daß es kein Halten mehr gab …

„Wer … sind Sie?“ fragte er flüsternd.

Der Alte zog einen Schemel dicht vor Lomatz hin …

„He, kennen Sie mich wirklich nicht mehr, Freund Lomatz?“ – Sein Deutsch hatte einen leicht fremdländischen Anklang. „Denken Sie mal an Don Porfirio Estremaldo, den Portugiesen …! Da haben wir beide doch im letzten Jahre des großen gegenseitigen Abschlachtens manches Mal bei Porfirio genächtigt …, – Sie als … Spion, ich als Schmuggler …“

Jetzt besann Lomatz sich tatsächlich …

„Wie war doch Ihr Name, Kamerad?“ fragte er zutraulicher.

„Jack Evans … Der alte Jack …“

„Ja – richtig – der alte Jack,“ nickte Lomatz. „Wie kommt Ihr denn hier auf diese feudale Jacht, alter Jack?“

„Hm – bin hier nur Kombüsenkehrer – Scheuerfrau – – ein verdammtes Leben! – Habe Euch gleich oben auf Deck vorhin erkannt, Lomatz … Freute mich, einen von früher hier zu treffen … Braucht aber keiner zu wissen, daß wir gut Freund … Der eine Steward erzählte, daß man über Euch im Speisesaal nicht gerade günstig geredet hat, Lomatz … Wollte Euch warnen …“

„Nicht günstig?“

„Nein … Wir haben da einen Herrn an Bord, auf dessen Urteil der verdammte Geldsack Randercild sehr viel gibt … sehr viel …“

„Ah – wohl der Herzog?“

„Ja … Ist ja sonst ein netter Herr … Nur – nur zu klug in vielem … Der hat bei Tisch erklärt, Ihr seid ein Schwindler, seiner Meinung nach … Und …“

Lomatz hatte dem Alten schnell ein Zeichen gegeben, auf Mantaxas Bett gedeutet …

Sie verhielten sich eine Weile mäuschenstill. Dann, als sie die tiefen Atemzüge der fest Schlafenden so gleichsam kontrolliert hatten, flüsterte Lomatz:

„Jack, was diesen Herzog angeht, – er war doch mit im Boot, das uns holte … Ich sah ihn … aus nächster Nähe … Und da … fiel mir etwas auf …“

Der Alte grinste und zeigte seine schwarzen Zahnstummel …

„Aha!! – Kamerad – ahne schon was!! Ne – der Vers stimmt nicht, Lomatz! Hab’ das auch im ersten Moment geglaubt, als der Herzog in Palermo an Bord kam… Ihr denkt an den patenten Kerl, der ebenfalls so oft bei Estremaldo in der Bergspelunke erschien …! Niemand kannte seinen Namen … Hielt sich immer abseits, der Bursche, hatte aber Geld wie Heu … Nein, er ist’s nicht … Nur ’ne Ähnlichkeit. Der andere, besinnt Euch nur, hatte ein ziemlich auffallendes Muttermal an der linken Schläfe … Und der Herzog hat an derselben Stelle nicht mal ’ne Narbe … Das Mal könnte ja wegoperiert sein … Nein, nein, – genau wie Ihr war ich da auf falscher Fährte. – Also, nochmals, seid vorsichtig, Kamerad! Würde an Eurer Stelle in Taxata schleunigst von Bord verschwinden … Will Euch gerne helfen dabei … Ihr braucht nur hier den Gang draußen die dritte Tür rechts zu öffnen … Vor dem Raum führt eine Seitenluke nach außen …“

Lomatz drückte seine Hand …

„Ich danke Euch, Jack … Ich komme schon weg – keine Sorge …“

Und in einer Aufwallung von Großmannssucht faßte er in die Hosentasche und gab dem Buckligen den kleinsten der Edelsteine, die er von den Schätzen Matagumas vorläufig mit sich genommen …

„Da – wenn Ihr das Ding verkauft, alter Jack, seid Ihr … Rentner! – keinen Dank … – Mag’s Euch gut gehen …!“

Jack erhob sich, horchte lange an der Tür und schlich dann wieder hinaus.

Der Gang war leer … Kaum hatte Lomatz die Kabinentür wieder geschlossen, als Jack in eine leere Kammer am Ende des Ganges schlüpfte …

Fünf Minuten darauf trat aus derselben Tür die schlanke, vornehme Gestalt des Herzogs Fredy Dalaargen, in einen langen dünnen Gummimantel gehüllt, lautlos hervor, schlich zur Treppe, begab sich an Deck und von da in seine Luxuskabine im Achterschiff.

Hier untersuchte Seine Hoheit den Edelstein, den Lomatz dem alten Jack geschenkt, mit einer Lupe, pfiff leise durch die Zähne und lächelte sehr merkwürdig …

 

112. Kapitel.

Die Festvorstellung im Staatstheater.

Die rötlichen Strahlen der Abendsonne fielen durch das Blätterdach der Urwaldriesen, auf deren mannsdicken Ästen die Sphinx oberhalb der Sumpfinsel ruhte.

Ein poetischeres Bild als das so völlig in Grün eingebettete Luftboot hoch über dem Erdboden konnte man sich kaum denken …

Poetischer noch dadurch, weil an Deck der Sphinx drei holde frohe Frauengestalten in glückseligster Stimmung erwartungsvoll hin und her eilten, ungeduldig das Eintreffen der Hazienderos erwartend, die sie nach Taxata führen sollten, damit sie dort an dem Sturze José Armaros im Nationaltheater teilnehmen könnten.

Die Gewißheit, daß Viktor Gaupenberg und Georg Hartwich noch lebten und nichts mehr zu fürchten hätten, war für alle Insassen der Sphinx zum Freudenfest geworden. Selbst die beiden Homgoris, deren Intelligenz durchaus genügte, um diese frohen Zusammenhänge zu begreifen, nahmen an dieser allgemeinen Munterkeit teil.

Gegen acht Uhr fanden sich dann auch drei Hazienderos in einem Boote ein und begaben sich zunächst nach dem alten Inkatempel, wo der junge, von Mafalda Sarratow zum Verrat verführte Giacomo ihnen erklärte, die Fürstin verhalte sich in dem Kellerraum völlig ruhig.

Die Hazienderos verabschiedeten sich wieder von Giacomo und holten nun die drei Frauen und Doktor Falz von der Sphinx zu ihrem Boote. Auf dem Luftschiff blieben nur Gottlieb, Pasqual Oretto und die beiden Homgoris zurück.

Das Ruderboot wurde mit Hilfe von Stoßstangen schnell durch die Sumpfstraßen des Urwaldes gelenkt. Um neun Uhr landete es an derselben Stelle, wo man vormittags die Fürstin unter grünen Zweigen verborgen in einem anderen Nachen hatte verschwinden lassen.

Hier wartete jetzt ein großes Auto auf der nahen Landstraße. Der mit Leinenverdeck versehene Kraftwagen setzte sich sofort in Bewegung, nachdem die drei Frauen, Doktor Falz und die Hazienderos darin Platz genommen hatten.

Bei rasch zunehmender Dunkelheit erreichte man die Hauptstadt Taxata einige Minuten vor halb zehn. Das Auto hielt in der Nähe des Staatstheaters in einer dunklen Gasse.

Ein Mann trat aus einer Gartenpforte rasch an den Kraftwagen heran.

„Estevan!“ flüsterte er …

Und „Estevan!“ klang’s aus dem Auto zurück. –

Es war dies das geheime Losungswort der Verschworenen.

Ein zweiter Mann erschien, reichte den drei Frauen lange seidene Mäntel mit Kapuzen, wie sie hier von den Damen abends getragen wurden.

Dann schritten die Insassen des Autos rasch dem Theater zu …

Als sie es durch den Bühneneingang betraten, war es genau fünf Minuten vor halb zehn …

Das riesige erleuchtete Zifferblatt der Turmuhr der Kathedrale leuchtete wie ein Zyklopenauge durch die Nacht. –

Inzwischen hatten sich in der Umgebung Taxatas allerlei Vorfälle abgespielt, die, sorgfältig vorbereitet, in ihren Einzelheiten wie am Schnürchen klappten.

Noch kein Putsch in Patalonia war ja auch so sorgfältig geplant und mit solcher Vorsicht inszeniert worden wie dieser.

Gerade der Umstand, daß Präsident Armaro lediglich eine Militärrevolte befürchtet und diese durch die Gefangennahme der achtundzwanzig Offiziere rechtzeitig im Keime erstickt zu haben glaubte, gab dem Unternehmen der Hazienderos die volle Sicherheit des Gelingens.

Den Auftakt des geplanten Putsches bildete die Zerstörung sämtlicher nach Taxata führenden Telephon- und Telegraphenleitungen. Punkt halb neun war die Hauptstadt von jeder Verbindung nach dem Hinterlande abgeschnitten. Im Telegraphenamt in Taxata glaubte man an einen technischen Ausfall der Anlage. Niemand kam auf den Gedanken der wahren Ursache.

Fünf Minuten nach halb neun wurden durch mehrere Trupps der Verschwörer die vier alten Außenforts, in denen die Strafkompagnien lagen, ohne Lärm und Widerstand besetzt. Die Strafkompagnien, längst schon für den Putsch gewonnen, wurden bewaffnet, auf Lastautos verladen und so nach Taxata in Marsch gesetzt.

Um neun Uhr waren sämtliche Ausgänge der Stadt unauffällig gesperrt und die Zitadelle umzingelt worden. Auch unter der Besatzung der Zitadelle befanden sich Freunde der Verschwörer, und so stieß man auch hier man auf keinen Widerstand. Die achtundzwanzig Offiziere wurden befreit, ebenso eine Anzahl Zivilisten, und die Offiziere begaben sich sofort in die Stadt und in die Kasernen der Leibregimenter, wo sie, von eingeweihten Kameraden erwartet, die Tore besetzten und niemanden mehr hinausließen. –

Hartwich und Gaupenberg waren aus der großen Grotte unweit des Forts Benvenuto zusammen mit den Führern des Putsches gegen halb neun in drei Autos nach der Stadt gefahren. Als sie die Sperrlinie passierten, war es ein Viertel zehn Uhr.

Die Straßen Taxatas verrieten in keiner Weise, daß sich in kurzem ein politisches Unwetter von größter Bedeutung hier entladen würde.

In den Kneipen und Cafés feierte man eben so wie im Nationaltheater den Jahrestag der Niederwerfung der damaligen Revolution. Wenn auch der größere Teil der Bevölkerung Armaro als Tyrannen haßte, so war man hier doch viel zu vergnügungssüchtig und zu leichtlebig, um eine Gelegenheit zu tollstem Austoben vorübergehen zu lassen …

Musikkapellen, Orchestrions und Stimmen von Sängern und Sängerinnen kreischten ihre Weisen durch die offenen Fenster in die laue Abendluft hinaus.

Auf der Platza, dem Bummelplatz der Hauptstadt, schoben sich auf den breiten Bürgersteigen Ströme von Menschen aneinander vorbei.

Drüben vor dem Staatstheater spielten abwechselnd zwei Militärkapellen …

Der milde Glanz des tropischen Sternenhimmels und die elektrischen Bogenlampen beleuchteten das harmlose Bild dieses leichtfertigen Mulattenvölkchens, das hier gedankenlos ein sogenanntes Nationalfest mit beging, das doch nur für Armaros allernächste Anhängerschaft Grund zum Jubel geboten hätte.

Niemandem konnte es daher auffallen, daß in den Menschenmassen immer mehr Gestalten auftauchten, die man hier seltener zu sehen bekam: Viehhirten von den großen Hazienden, alle wie stets bewaffnet, kleine Ranchobesitzer, Grubenarbeiter und anderes Volk aus dem Innern des Landes …

Die oberen Zehntausend von Taxata aber waren im Staatstheater, einem prachtvollen, wenn auch innen allzu farbenprächtig gehaltenen Steingebäude, versammelt …

In der Mittelloge des ersten Ranges saßen Armaro, die Minister und die Generäle. Die in Taxata ansässigen Ausländer waren nur spärlich vertreten.

Man gab ein Schauspiel, das ein heimischer Dichter eigens für diesen Tag geschrieben hatte, – eine Verherrlichung Armaros, widerlich in ihrer Aufdringlichkeit und ihrem hohlen Pathos. –

Der zweite Akt war vorüber. Nach einer kurzen Pause begann der dritte …

Der Zuschauerraum wurde dunkel. Der Vorhang ging hoch …

Es war jetzt genau drei Minuten vor halb zehn.

Da öffnete sich die Tür der Präsidentenloge und ein Offizier in der Uniform des ersten Leibregiments drängte sich rücksichtslos bis nach vorn, überreichte Armaro einen Brief und flüsterte ihm in seltsamer Atemlosigkeit ins Ohr:

„Sofort lesen …! Von der Fürstin Sarratow … Kein Aufsehen …“

Im Zuschauerraum merkte man nichts.

Armaro trat rasch in den neben der Loge gelegenen kleinen Empfangsraum …

Er war stark beunruhigt, der allmächtige Armaro … Jimminez’ freche verwegene Flucht hatte in ihm ein Gefühl der Unsicherheit hervorgerufen, die durch andere Gedanken noch gesteigert wurde.

Er riß jetzt den Umschlag auf …

Ein Zettel …

Bleistiftzeilen … Mafaldas Schrift …

José, es ist etwas gegen dich im Gange. Das Theater ist umstellt. Ellen Barrouph und die Sphinxleute sind im Theater … Flieh über das Theaterdach … Ich erwarte dich oben in der Galerie. Zögere keine Sekunde. Aber – unauffällig! –

Mafalda

Armaro wechselte die Farbe …

Seine starken buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen …

Er zweifelte keinen Moment an dem dringenden Ernst dieser Warnung.

Durch die schmale Tür trat er in die Loge zurück, von da in den Logengang …

Und gerade als er die linke Treppe zu den höheren Rängen scheinbar gelassen emporstieg, kamen von unten her mehrere Hazienderos herauf und schlenderten vor der Präsidentenloge auf und ab. Ihre Zahl wuchs schnell. Im Nu waren es an die hundert kräftige Gestalten, meist reinblütige Spanier oder Portugiesen, deren Ahnen schon hier in Patalonia ansässig gewesen.

Armaro erreichte die eiserne Tür in der linken obersten Galerie gerade im dem Augenblick, als im Zuschauerraum mitten im Spiel der Riesenkronleuchter wieder aufflammte und auf der Bühne ebenso urplötzlich einige dreißig bewaffnete Hazienderos auftauchten, von denen einer, Juan Astarro, die Tochter des amerikanischen Gesandten am Arm bis an die Rampe führte.

Gleichzeitig war die Tür der Loge des Präsidenten aufgerissen worden, und den dort versammelten Würdenträgern streckten sich eine Anzahl Revolver und moderner Pistolen entgegen …

Von der Bühne her nun aber auch Juan Astarros überlaute Stimme:

„Mitbürger! Wir geben euch bekannt, daß es mit der Herrschaft des Verbrechers Armaro in unserem Vaterlande hiermit ein Ende hat …! – Hier steht Miß Ellen Barrouph, die Verschwundene! Armaro hatte sie entführen lassen. Die Vereinigten Staaten würden ihn …“

Und da – von der Logentür her eine noch schrillere Stimme – die des alten Haziendero Vacuro:

„Armaro ist entflohen …!! Er ist nicht hier …!“

Ein unbeschreiblicher Tumult folgte.

Die Anhänger Armaros – und sie waren hier im Theater bei weitem in der Überzahl, erhoben einen Lärm, der nur die Bezeichnung eines infernalischen Konzerts verdiente …

Auf Schlüsseln wurde gellend gepfiffen – mit den Stuhlsitzen und Füßen gesrampft und getrampelt, gejohlt …

Bis Juan Astarro den Arm Ellen Barrouphs freigab und … drei, vier Schüsse in die Luft feuerte …

Totenstille da …

Ellen wurde von einem anderen Haziendero rasch hinter die Kulissen geführt …

Und hier, wo Agnes, Mela Falz und der Doktor bisher gestanden, hier hielt nun Victor Gaupenberg sein blondes Lieb fest umschlungen …

Hier … breitete jetzt auch Georg Hartwich sehnsüchtig die Arme aus …

Ellen flog an seine Brust …

Lippe auf Lippe, Leib an Leib genossen sie diese köstlichen Sekunden des Wiedersehens …

Was kümmerte die beiden Liebespaare die Revolution …!

Sie hatten sich wieder … Sie vergaßen alles ringsum – alles …

Aber Doktor Falz dachte ernster und verständiger über diese Lage, die keine zu unterschätzenden Gefahren barg.

Er war’s, der die Liebenden daran erinnerte, daß man gut täte, sich schleunigst in die amerikanische Gesandtschaft zu begeben, bevor noch die Volksmenge draußen auf der Platza Kenntnis von den Vorgängen hier erhalten hätte.

Gaupenberg machte sich denn auf sanft aus Agnes’ Armen frei und geleitete sie, nachdem auch Ellen und Georg die Notwendigkeit eines schnellen Verlassens des Theaters eingesehen und so in die Gegenwart sich zurückgefunden hatten, rasch hinter Falz und Melanie drein zum Bühnenausgang, der auf eine weniger belebte Straße mündete.

Ein Mietauto brachte die sechs wieder Vereinten in rascher Fahrt bis zum villenähnlichen Gebäude der amerikanischen Gesandtschaft …

Und wenige Minuten darauf lag Ellen vor dem Bett ihrer noch immer kranken Mutter auf den Knien, während mehr im Hintergrunde John Barrouph mit seinem Schwiegersohne Georg Hand in Hand dastanden und gegen die tiefe Rührung ankämpfen, die übermächtig bei dieser Wiedersehensszene zwischen Mutter und Kind ihnen die Tränen in die Augen trieb … –

Inzwischen hatte Armaro, der von Mafalda vor der eisernen Tür der linken Galerie erwartet worden war, durch diese den so genannten Schnürboden der Bühne und von hier aus das flache Dach erreicht, von dem man mit Hilfe der Feuerleitern an der Außenwand in den Hofraum hinabgelangen konnte.

Dieser, von Gebäuden völlig umgeben, war leer.

Im Nu hatten Mafalda und Armaro hier dann die Tür des Nebengebäudes geöffnet, in dem die Dekorationen und die Requisiten aufbewahrt wurden. Diese Tür war verschlossen gewesen. Der Schlüssel hatte jedoch von außen im Schloß gesteckt, da die Dekorationen auf der Bühne gleicht nach der Vorstellung hierher hatten zurückgeschafft werden sollen.

Mafalda zog den atemlosen Präsidenten die Treppen empor – wieder bis auf das Dach …

Wieder konnten sie von hier ihre Flucht mit Hilfe der Feuerleitern fortsetzen. Die Rückseite des Gebäudes stieß an den Garten des Kriegsministeriums. Neben diesem wieder lag der Landungsplatz des einzigen Fliegerbataillons, das die patalonianischer Armee besaß. –

Die Fürstin Sarratow handelte nach wohl überlegtem Plan.

Die Kaserne des Fliegerbataillons schloß den Platz nach dem Hafen zu ab. Zwei Fluchtmöglichkeiten gab es von hier: entweder an Bord der Jacht ‚Medusa’ oder mit einem Flugzeug ins Innere des Landes, wo Armaro besonders in der Garnisonsstadt Bokita treue Anhänger besaß.

Armaro entschied sich für die Fortsetzung der Flucht mit Hilfe eines Militärdoppeldeckers.

In einer Mannschaftsbaracke sah er durch das Fenster ein paar Leute Karten spielen. Er holte sie heraus. Sie waren ohne jede Kenntnis dessen, was in der Stadt vorging. In vier Minuten hatten sie einen Doppeldecker flugbereit. Ein Mechaniker und ein Ersatzpilot mußten mit.

Gerade, als auf der Platza die ersten Schüsse fielen, die das Volk in die Häuser scheuchen sollten, stieg das Flugzeug empor …

Und – als es noch steil emporstieg, kam der Fürstin mit einem Male ein besserer Gedanke …

Sie hatte vorhin auf der Platza beobachtet, wie die meisten Insassen der Sphinx das Theater betraten.

Sie … wollte die Sphinx jetzt für sich und Armaro erobern, denn dort konnten nur noch Gottlieb Knorz, Pasqual und die beiden Homgoris an Bord sein …

Neben dem noch völlig gebrochenen Armaro in der Gondelkabine des großen Doppeldeckers sitzend, teilte sie ihm nun ihre Absicht mit.

Der Präsident fand sich langsam wieder in die Gegenwart. Er war durch die Ereignisse nur zu sehr überrascht worden. Diese dumpfe Niedergeschlagenheit konnte jedoch bei einem Manne von seiner eisernen Selbstsucht nur vorübergehend die unermüdliche Energie und den klaren weiten Blick dieses großen Verbrechers lähmen.

Er fand seinen Willen zurück …

Sein trübes Auge gewann wieder Feuer … Die Züge des scharf markierten Gesichts belebten sich …

Bisher waren zwischen ihm und Mafalda nur wenige Worte gewechselt worden.

Die Erwähnung der Sphinx, dieses Wunders moderner Technik, feuerte alle Lebensgeister José Armaros in ungeahnter Weise an …

Er richtete sich in dem Korbsessel straff auf. Das elektrische Licht der kleinen Deckenlampe ließ die Falten auf seiner Stirn und die Muskelwülste um den brutalen Mund noch schärfer hervortreten …

Er reichte der Fürstin die Hand.

„Ich danke dir,“ sagte er einfach. Seine Stimme war klar und tief. „Ich werde dir diese Hilfe nie vergessen, Mafalda …“

Die Fürstin drückte seine Finger zusammen. „Laß es gut sein, José … – Wie ist’s mit der Sphinx?“

„Wir holen sie …! Haben wir sie, werde ich in wenigen Tagen wieder in Taxata einziehen.“

„Dann gib dem Monteur den Befehl, nordwärts zu steuern … Ich finde die Sphinx auch jetzt nachts. Der Wassergürtel um die Sumpfinsel verrät deren Lage.“

Armaro ging nach vorn, kehrte dann zu Mafalda zurück …

„Erledigt! – Berichte mir deine Erlebnisse … Ich will in alles eingeweiht sein.“

Sie erzählte.

Der Doppeldecker war tiefer gegangen. Vorn unterhielten sich die beiden Monteure flüsternd. Jetzt ahnten sie, weshalb Seine Exzellenz so verstört gewesen: Revolution! –

In der Kabine sagte Mafalda mit dramatischer Lebendigkeit:

„Ich hatte also meinen Revolver herausgerissen – feuerte erst auf den Affenmenschen, dann auf Jimminez, – schoß vorbei … Der Homgori war mir wieder an der Kehle … Aber die Schüsse hatten eine sechs Mann starke Kavalleriepatrouille herbeigelockt, eine der Patrouillen, die nach mir suchen sollten … Jimminez und die zottige Bestie mußten fliehen, nahmen mein Pferd, jagten davon … Ich selbst sprang auf eins der Kavalleriepferde … Als ich die Vorstadt von Taxata erreichte, brach es tot unter mir zusammen … – Alles andere weißt du …“

„Also von Juan Astarro geht dieser Putsch aus?“

„Ja, – so erklärte Giacomo, der Künstler …“ Sie lächelte spöttisch. „Und Juan Astarro hat auf der Insel Bona Vista dieses ganze Jahr zusammen mit anderen Flüchtlingen Munition und Waffen gestapelt …“

„Er wird hängen,“ meinte Armaro eisig.

„Ich fürchte, du stellst dir das dort wohl zu einfach vor, lieber José. Juan Astarro ist ein Mann wie du, nur um etwa dreißig Jahre jünger und mit einer fleckenlosen Vergangenheit …“

Armaro schaute sie durchdringend an …

„Kein Staatsmann kann sein Gewissen rein erhalten, Mafalda …“

„Das mag sein … Nur – nehmen wir diese Angelegenheit Ellen Barrouph einmal unter die Lupe … Glaubst du, daß jetzt, wo Ellen wieder aufgetaucht ist, die Regierung in Washington je dulden wird, daß du nochmals hier … Despot wirst …?!“

Armaro preßte die Lippen zusammen. Die Falten auf der Stirn wurden noch tiefer …

„Ich möchte dir nur klarmachen,“ fuhr die Fürstin eindringlich fort, „daß ein Kampf zur Niederwerfung des Putsches zwecklos ist. Oder – um es ganz deutlich auszusprechen, deine Rolle hier in Patalonia ist für immer ausgespielt!“

Armaros Kopf sank etwas tiefer …

Seine Hände öffneten und schlossen sich … Wie ein Krampf durchzog die niederschmetternde Erkenntnis der nackten Tatsachen seinen Leib. Und diese Tatsachen waren: Patalonia war für ihn verloren!

Er hob den prachtvollen Cäsarenkopf wieder. Seine Augen erschienen ein wenig trüb …

„Du hast recht, Mafalda. Ellen Barrouph hat mich für immer gestürzt! Ich sehe das ein und – als erbärmlicher Bettler muß ich nun dieses Land verlassen, dem ich immerhin eine Scheinkultur verliehen habe …“

Sein Blick wurde träumerisch. Das Bewußtsein, ein toter Mann, ein Bettler, ein Geächteter, Landesflüchtiger fortan sein zu müssen, packte ihn mit solcher Gewalt, daß er plötzlich die Lider schloß und die Hände vor das Gesicht preßte …

Die Fürstin ihm gegenüber hatte ein geringschätziges Fältchen um den üppigen Mund …

Armaro wurde alt – war alt. Es stimmte. Seine Glanzzeit als Mann war vorüber …

Und kalt und fast brutal sagte sie:

„Du enttäuscht mich mehr, als ich gefürchtet hatte … – José – mag alles hier für dich verloren sein, wärest du noch wie einst, würdest du an deine … Rache denken!“

Die Hände glitten ihm vom Gesicht …

„Rache?!“ Er zuckte die Achseln …

„Bittet, Ellen Barrouph ist im Hause ihrer Eltern – ganz bestimmt ist sie dort!“

„Ah – und …“

„… und wenn wir die Sphinx haben, José, dann …“

Sie flüsterte weiter … ganz leise …

Das Surren des Propellers war die Begleitmusik …

Ellen Barrouph war ihr genauso gleichgültig wie José Armaro …

Aber – ihre eigene Rache wollte sie haben …! Sie ahnte, daß in der amerikanischen Botschaft jetzt auch Agnes und Gaupenberg als Gäste weilten …

Und – die beiden sollten ihre Rache zu fühlen bekommen …! Mit Hilfe … der Sphinx … noch in dieser Nacht …

 

113. Kapitel.

Die Strafe eines Verräters.

Unblutiger als dieser Putsch des Haziendero Juan Astarro gegen den Despoten Armaro ist noch nie eine Revolution in Südamerika verlaufen.

Lediglich im Hafenviertel, wo das Gesindel der Stadt seine Schlupfwinkel hatte, kam es zu kurzen Schießereien.

Die in der Loge des Präsidenten versammelt gewesenen Minister und Würdenträger waren sofort auf Kraftfahrzeugen nach der Zitadelle gebracht worden. Sie hatten sich geweigert, Juan Astarro als Nachfolger auf dem Präsidentenstuhl anzuerkennen – mit einer Ausnahme. Der dicke Admiral Torresco ging zu den Verschwörern über! Und aus Klugheit nahm Juan Astarro dieses jämmerlichen Menschen Anerbieten mit ein paar kühlen Worten an, um so auch problemlos die im Hafen ankernde Flotte für den neuen Herrn des Landes zu gewinnen. Es gelang komplett, zumal er darauf hinwies, daß die Hafenforts ebenfalls schon von Astarros Anhängern besetzt seien, und daß die schweren Geschütze dort die Kreuzer und das eine veraltete Schlachtschiff im Augenblick in Grund schießen könnten.

Die noch in der Stadt notwendigen Verhaftungen waren sehr bald erfolgt. Und um Mitternacht konnte Astarro sich mit Recht als Sieger betrachten. Die Truppen waren sämtlich zu ihm übergegangen. –

Daß man in der auf der höchsten Terrasse der Stadt gelegenen amerikanischen Gesandtschaft die Entwicklung der Dinge mit größter Spannung verfolgte, war bei den unangenehmen Beziehungen der Gäste John Barrouphs zu Armaro leicht begreiflich.

Kurz nach zwölf Uhr nachts schickte der neue Präsident an Barrouph einen Offizier als Boten und ließ bestellen, daß die Lage völlig geklärt sei. Armaro habe das Spiel mit seiner Flucht endgültig verloren.

Auf einem der breiten Balkons der Gesandtschaftsvilla standen die beiden Liebespaare – Arm in Arm …

Vier glückliche Menschen schauten über die im Mondlicht wie ein Zaubergemälde daliegende Stadt hinweg – bis hin zum endlosen Ozean …

Gaupenberg sagte nach einer Weile:

„Und nun, meine Lieben, nun, da wir uns wiedergefunden, wollen wir im Rausche unserer Herzenseligkeit eins nicht vergessen – die Pflicht!“

Jeder der vier wußte, was Gaupenberg hiermit ausdrücken wollte, woran er mahnte …!

„Der Goldschatz der Azoren,“ meinte Steuermann Hartwich feierlich. „Ja – das ist unsere Pflicht! Ihn zu bergen, unseren Schwur zu erfüllen: Das Gold dem Vaterlande!“

Sie schwiegen wieder …

Ein kühler Luftzug wehte von der See herüber …

Da fröstelten sie, als ob der Fittich irgendeines dunklen Verhängnisses über sie hinweggerauscht wäre …

Und – – ahnten nicht, daß das Gold bereits von anderen Händen aus den Gewölben König Matagumas weggeschafft war, ahnte nichts von dem goldenen Berge, nichts von der Jacht ‚Star auf Manhattan’, die von den Robigas-Eilanden her sich Taxata nährte.

John Barrouph trat zu den beiden Liebespaare hinaus …

„Es wird Zeit, zur Ruhe zu gehen, meine Freunde … Die Gastzimmer sind bereit … Die drei Herren Gaupenberg, Falz und Georg logierten nebeneinander, die beiden Damen Agnes und Mela im kleinen Salon und Ellen in ihrem Zimmer – wie früher …“

„Pa, – Georg und ich haben doch noch mancherlei zu besprechen,“ meinte sie in holder Verlegenheit. „Georg könnte doch auch auf dem Diwan in meinem Zimmer schlafen … Wir … wir sind doch … verheiratet …, Pa …“

„Nicht vor dem Gesetz, Kind … Die Trauung, die der Pater Mario Lopez im Tempel der unterirdischen Aztekenstadt vollzogen hat, vereinte euch vor Gott – nicht vor dem Gesetz …“

Doch Ellen gab nicht nach …

„Das Gesetz läßt sich nachholen, Pa …, Komm, Georg, – ich zeige dir mein Mädchenzimmer … Gute Nacht … gute Nacht …“

Und rasch hatte sie ihren Georg mit sich genommen – rasch verschwanden sie …

John Barrouph lächelte nur … –

Bald lag auch der Frieden der Nacht über der Gesandtschaftsvilla …

Nur zwei Fenster im Hochparterre waren noch erleuchtet. Dort wohnte der angebliche Gesandtschaftsrat Roger Shelling, in Wahrheit ja der Chef des Detektivinstituts Worg & Co., Neuyork, – Jakob Worg!

Dort hatte er jetzt seine nun ebenfalls aus dem Gefängnis entlassenen Mitarbeiter um sich versammelt.

Zwanglos und gemütlich saßen hier Jakob Worgs acht Leute um den großen Tisch herum.

Da waren auch die drei Detektive, die damals mit dem Motorbootes ‚Victrix’ der Jacht ‚Medusa’ nach Christophoro gefolgt waren … Da war die bildhübsche Detektivin Gipsy Maad, die mit dem Kammerdiener Armaros angebändelt gehabt hatte …

„Kinder,“ sagte Worg in seiner jovialen Art, „die Geschichte hier ist nun zu Ende … Wenn wir auch nicht gerade behaupten können, Miß Ellen Barrouph oder besser Frau Ellen Hartwich wiedergefunden und befreit zu haben, so können wir doch immerhin recht zufrieden sein. Unseren Teil zu diesem glücklichen Ausgang trugen wir bei! Das hat auch Mister Barrouph betont und danach sein Extrahonorar bemessen, wovon ihr wie immer das eurige erhaltet! Morgen Abend geht’s nun heim nach Neuyork. Bis dahin könnt Ihr euch noch so ein wenig in der Stadt umtun und herumhorchen, ob Ihr nichts über Armaros Gegenpläne erfahren könnt. Festgestellt ist bereits, daß er mit der Sarratow in einem Militärdoppeldecker entfloh. Vorhin hat mich der neue Präsident Juan Astarro telephonisch angerufen und mich gebeten, Armaros Verfolgung aufzunehmen. Ich lehnte ab. Wir wollen uns in die hiesigen politischen Kämpfe nicht einmischen. Nur zum Zwecke der Sicherung derer, die wir bisher schützten, möchte ich versuchen, des Expräsidenten nächste Absichten zu erkunden. Ihr habt noch fast zwei Tage Zeit. Benutzt Sie bitte nicht zum Ausruhen. Ein Mann wie José Armaro und ein Weib wie diese Fürstin sind stets bereit, aus niedrigstem Rachegelüst Verderben zu säen, selbst wenn sie dadurch die verlorene Position nicht wieder erringen können.“

Die Detektive nickten. Und Gipsy Maad meinte sehr ernst: „Der Mensch bekäme es fertig und suchte durch eine Fliegerbombe diese Villa, in der er seine Hauptgegnerin Ellen vermutet, in Trümmer zu legen …“

Worg lächelte. „An Ähnliches hat der neue Präsident schon gedacht, Miß Maad … Überall an den Stadtgrenzen sind Flugabwehrgeschütze postiert. Auch Astarro befürchtet einen Bombenangriff auf dem Palast …“

Seine Leute verabschiedeten sich nun. Worg ließ sie zur Seitentüre hinaus und blieb noch eine Weile auf dem Treppenpodest stehen. Sein Blick glitt wie immer prüfend umher. Die helle Mondnacht, die die Baumkronen des Parkes der Gesandtschaft mit Silberglanz überstrahlte, beruhigte ihn. Ein Angriff mit einem Flugzeug war bei solch klarem Wetter ausgeschlossen.

Worg kehrte in seine Zimmer zurück und legte sich bald darauf zu Bett. –

In dem kleinen Salon oben im ersten Stock, wo für Agnes Sanden und Melanie Falz zwei Betten hergerichtet worden waren, lugte der neugierige Mond durch eine Spalte der Vorhänge mit glänzenden Augen herein und umspielte leuchtend das prächtige rotblonde Haar der einstigen Adoptivtochter Armaros, die auf dem Bettrand der Freundin saß und deren Hände zärtlich drückte.

Agnes lächelte glücklich …

„Gleich morgen will Viktor zum deutschen Konsul gehen und alles mit ihm unserer Eheschließung wegen verabreden,“ sagte sie leise und etwas verschämt. „Viktor hofft, daß der Konsul ausnahmsweise schon morgen Nachmittag die gesetzliche Zeremonie vornehmen wird …“

Mela beugte sich über sie und küßte sie innig …

„Du Glückliche …! Beneiden könnte man dich …!“

Agnes’ Lächeln wurde mit einem Male fast schmerzlich …

„Mela, Mela,“ meinte sie wie in unbestimmter Angst, „ich kann an dieses Glück immer noch nicht glauben … – Horch, fielen da nicht unten in der Stadt wieder ein paar Schüsse …?“

Sie starrte auf das eine Fenster, dessen Flügel weit offen standen. Die Vorhänge bewegten sich leicht im Luftzug, und die Ringe, an denen sie befestigt, klirrten ganz fein …

„Ja – man scheint im Hafenviertel doch noch Schüsse zu wechseln,“ nickte Melanie. „Was will das auch bedeuten, Agnes?! Gar nichts! Astarro ist Herr der Stadt …“

„Nur … Mafalda ist entflohen …,“ flüsterte Agnes noch scheuer. „Oh – was alles hat Mafalda mir schon angetan …! Ihr Haß ist grenzenlos …“

Sie richtete sich plötzlich auf, umschlang Mela und hauchte zitternd:

„Mir ist … so bang … Ich fürchte mich …“

„Närrchen! Wovor denn?! Wovor?! – Soll ich das Fenster schließen?“

Agnes antwortete nicht. Ihre großen strahlenden Augen, in denen eine Welt von Reinheit und keuschen Empfindens lag, waren fest auf die sanft hin und her schwebenden Vorhänge gerichtet …

„Ich … fürchte mich,“ hauchte sie wieder wie geistesabwesend … „Wie mit eisigen Fäusten preßt es mein Herz zusammen … Mela, Mela, wir sind hier so allein in diesem Eckzimmer des großen Hauses …“

Sie schrie leise auf …

„Da … ein Schatten … auf den Vorhängen …“

„Närrchen, der Schatten einer draußen vorübergleitenden Riesenfledermaus …! – Versuche jetzt zu schlafen, Agnes … Da – die kleine Stutzuhr schlägt eins … – Gute Nacht …“

Wieder küßte sie die Freundin und drückte sie sanft in die Kissen zurück, huschte zu ihrem eigenen Bett an der anderen Wand und schlüpfte unter die leichte Seidendecke.

Agnes lag mit offenen Augen da …

Hitze- und Kältewellen flossen über ihren Leib hin. Das unerklärliche Angstgefühl wuchs zu besinnungslosem Entsetzen. Umsonst machte Agnes sich immer wieder klar, daß ihr hier doch keinerlei Gefahr drohe …

Das Entsetzen blieb …

Sie drehte den Kopf … Ihre Augen hingen an den mondhellen Vorhängen …

Wenn Mela doch nur das Fenster geschlossen hätte …! Dieses Klirren der Ringe oben auf der Messingstange, diese unbestimmten aus der Stadt heraufdringenden Geräusche spannten ihre Nerven bis zum Reißen …

Mela aber schlief schon, atmete tief und ruhig …

Beneidenswerte Mela …!

Da – schon wieder glitt von draußen ein Schatten über die Vorhänge …

Wirklich nur eine Fledermaus – wirklich nur …?

Agnes bebte … Sie fühlte ihre Stirn feucht werden.

An Schlaf war nicht zu denken, wenn sie das Fenster nicht schloß …

Doch – sie fand dazu nicht den Mut … Sie wagte es nicht, bis ans Fenster zu gehen … Ihr war, als lauere dort irgendein Verhängnis …

Blaß – mit weiten Augen – zitternd, – so starrte sie unausgesetzt auf die Vorhänge …

Bis eine Minute höchster Anspannung ihrer Willenskraft doch zur Tat wurde. – Agnes erhob sich … Lautlos eilte sie durch das Zimmer … Ellen hatte ihr einen ihrer seidenen Schlafanzüge geliehen … Kühl und weich schmiegte sich die Seide um die heißen Mädchenglieder …

Agnes schlug die Vorhänge zurück, um die Fensterflügel zudrücken zu können …

Unten in der Tiefe sah sie die Stadt, den Hafen …

Und – sah noch etwas anderes …

Stand gelähmt …

Blitzschnell war da über dem Rande des Fensterblechs ein Männerkopf aufgetaucht … Ein Mulatte …

Blitzschnell hatten seine Knie den Fenstervorsprung erreicht …

Zwei muskulöse Hände umkrallten Agnes’ Hals … –

Aus der Tiefe des Zimmers erklangen Melanies ruhige volle Atemzüge … – –

* * *

Als Mafalda Revolverschüsse auf der Landstraße ihr Ziel verfehlt hatten, als Murat der Fürstin wieder an die Kehle gefahren war und ihr die Waffe entwunden hatte, erblickte Alfonso Jimminez gerade noch zur rechten Zeit die Kavalleriepatrouille, die jetzt auf die Schüsse hin aus einem nahen Wäldchen herbeigesprengt kam.

Jimminez packte rasch die Zügel des Pferdes, das Mafalda von dem Ranchobesitzer geliehen … Ein Zuruf warnte den Homgori … Der Geheimagent schwang sich in den Sattel, und neben ihm her trabte nun Murat mit gewaltigen Sprüngen, unbekümmert um die Kugeln, die von der Patrouille den Flüchtenden nachgeschickt wurden.

Die Abenddämmerung begünstigte ihr Einkommen. Als sie merkten, daß sie nicht mehr verfolgt würden, ließ Jimminez den erschöpften Gaul laufen. Zu Fuß setzten sie den Weg bis zum Rande der sumpfigen Urwälder fort. Hier ruhten sie zunächst einmal aus.

Murat hockte neben Jimminez auf dem entwurzelten Stamm eines Baumes und meinte nun in den tiefen Kehltönen, die ihm und seinen Artgenossen eigen:

„Mister Jimminez, es wird schwer werden, jetzt bei Nacht durch die Urwälder zu kommen. Wir müssten die Stelle suchen, wo wir vormittags die Wälder verließen. Dann finde ich mich leichter zurecht.“

Der Geheimagent hatte sich eine Zigarette angezündet. „Können wir ja tun, Murat,“ erwiderte er zerstreut. „Jedenfalls müssen wir uns beeilen, damit wir unseren Freunden auf der Sphinx melden können, was ich in Taxata erfahren habe.“

Von den Vorgängen auf der Sumpfinsel wußte Jimminez noch nichts. Ebensowenig von der drohenden Revolution. Wie sollte er auch?! Er war seit morgens unterwegs gewesen, er hatte in opferwilliger Weise für die Befreiung derer gesorgt, die einst seine erbitterten Feinde gewesen.

Und doch war er mit dem Ergebnis dieses Tages nicht zufrieden. Daß Mafalda ihm vorhin wieder entschlüpft war, erfüllte ihn mit Groll gegen sich selbst. Er hätte bei dem Überfall auf dieses Weib vorsichtiger sein müssen. Er hätte unbedingt dafür sorgen müssen, daß sie niemandem mehr schaden könnte. Weshalb auch war er Murat gleichsam in den Arm gefallen, als der sie erdrosseln wollte?! Murat hatte sich nur von seinen wilden Instinkten leiten lassen. Und das war in diesem Falle das Richtige gewesen. Er selbst aber hatte in seinem unendlichen Haß gegen Mafalda diesen Tod für sie zu gelinde erachtet … Und nun – war sie frei, nun war die gute Gelegenheit, diese Bestie für immer auszuschalten, endgültig versäumt. –

„Brechen wir wieder auf, Murat,“ wandte er sich an den Homgori. „Es wird immer finsterer.“

Der riesige zottige Affenmensch meinte gleichgültig: „Wir können auch im Dunkeln sehen, wir Halbgeschöpfe … Ich finde die Insel schon … In zwei Stunden sind wir dort.“

Murat behielt recht. Zwei Stunden waren noch nicht vorüber, als Jimminez und Murat auf ein paar durch Lianenranken miteinander verbundene Baumstämme über den Wasserstreifen ruderten, der die Sumpfinsel in breitem Gürtel umgab.

Sie landeten und begaben sich nach den Urwaldriesen hin, in deren mächtigen Ästen die Sphinx ruhte. Jimminez fand die Stahltrosse, die die Verbindung zum Erdboden bildete, jedoch eingezogen. So rief er denn die Wache an Deck der Sphinx mit überlauter Stimme an …

„Hallo – hier Jimminez …!“

Aus dem grünen Blätterdach dann Pasquals Antwort.

„Hallo – eine Strickleiter kommt!“

Schon glitt sie herab. Der Geheimagent und Murat kletterten nach oben.

Durch die Baumkronenlücke fiel das bleiche Licht der Sterne auf einige Stellen des Decks. Jimminez sah nur vier Gestalten vor sich: Knorz, Pasqual und die beiden Homgoris.

„Wo ist Doktor Falz, wo sind die Damen?“ fragte er etwas erstaunt.

Gottlieb gab ihm Bescheid, berichtete alles. Daß eine Anzahl Hazienderos die gefesselte Mafalda nach der Insel gebracht und im Keller des alten Inka-Tempels einegesperrt hätten, wo sie noch von einem jungen Menschen namens Giacomo Rasardo bewacht würde, – daß man mit den Verschwörern Freundschaft geschlossen und daß Doktor Falz und die Damen nun in Taxata weilten, um den Putsch gegen Armaro zu unterstützen.

Jimminez hatte den alten Gottlieb mit keinem Wort unterbrochen. Er war sprachlos über all diesen Neuigkeiten …

Dann aber lachte er grimmig auf …

„Bester Knorz, was Mafalda betrifft, so befinden Sie sich in einem bösen Irrtum … Mafalda ist niemals mehr in dem Tempel! Niemals!“

Und nun erzählte er, wie Murat und er selbst auf der Landstraße die dahinjagende Reiterin aufgehalten hatten, – – und das war Mafalda gewesen! –

Gottlieb rief jetzt:

„Freund Pasqual, begreifst du das?! Wir waren doch noch vor einer Stunde unten im Inka-Tempel und brachten dem Giacomo Abendessen … Und da hat der junge verträumte Bursche uns erklärt, die Fürstin verhalte sich völlig ruhig und habe vor kurzem da unten noch vergnügt gepfiffen …“

Jimminez ahnte sofort den Zusammenhang …

„Gepfiffen?! – Aha – – der Kerl hat also mit Mafalda gemeinsame Sache gemacht, hat sie entschlüpften lassen! Kann mir denken, wie sie ihn für sich gewonnen hat – durch ihre verfluchte Larve – durch … ‚Liebe’, durch … ihren dreimal verfluchten Leib!“

Mit geballten Fäusten stieß er das hervor …

Lachte schrill …

„Und ich – – ich hatte Sie schon …! Eine Kugel hätte genügt! – Hinab zum Inka-Tempel! Nehmt Laternen mit. Aber – keinen Lärm! Sonst verschwindet der Bursche!“ –

Der arme betrogene Giacomo hatte sich mit Hilfe der Decken, die Knorz ihm aus den Vorräten der Sphinx gespendet, in einer Ecke der Tempelhalle ein weiches Lager hergerichtet. Zum Schutz gegen die hier besonders zahlreichen Mosquitos brannte neben dem Lager ein qualmendes kleines Feuer.

Giacomo fühlte sich mehr tot als lebendig. Die Angst, daß man Mafaldas Flucht vorzeitig entdecken und ihm der Beihilfe beschuldigen könnte, ferner auch die immer stärker werdenden Gewissensqualen über seinen Verrat an den Mitverschwörern ließen ihm keine Ruhe.

Sein einsames Lager hier in der düsteren Tempelhalle ward ihm zum Folterbett.

Reuevolle Gedanken wurden von den süßen Erinnerungen an die ach so kurze Liebesstunde mit dem berückenden Weibe wieder verdrängt …

Doch je mehr diese Erinnerungen unter dem Ansturm anderer Vorstellungen, die ihm die Folgen seines Verrates in blutigsten Farben zeigten, allmählich verblaßten, desto qualvoller wurden Reue, Selbstvorwürfe und ein … geheimer Haß gegen die Frau, deren zügellose Hingabe ihn zum blinden Narren hatte werden lassen …

Den Kopf in die Rechte gestützt, mit trüben Blicken in das qualmende Feuer stierend, – so lag Giacomo regungslos da … Und um ihn her war der Chor der Rachegeister, die ihm höhnend in den Ohren kreischten: ‚Verräter, – – einer Dirne wegen!’

Ja – Dirne …!!

Nur Dirne! – Was war denn die Fürstin anderes?! Welche Frau ohne Dirnennatur hätte wohl die frechen Lockungen ihres Leibes so schamlos bis zum äußersten getrieben?!

Giacomo stöhnte auf …

Die Reue preßte ihm Tränen in die Augen …

Wie durch Schleier nur noch sah er das glimmende Feuer, dessen matter Schein jetzt eins jener Ungetüme die Treppenstufen emporgelockt hatte, die in den Sümpfen von Saltiporto von jeher heimisch …

Eine Anakonda war’s …

Eine jener südamerikanischen Riesenschlangen, die im Sumpfwasser tauchen und schwimmen, die bis zu zwölf, auch vierzehn Meter lang werden …

Lautlos schob sich das grünbraune Untier vorwärts – um das Feuer herum – bis zu einer Stelle, wo die Reste von Giacomos Abendessen nahe seinen Füßen standen …

Die Anakonda richtete sich jetzt auf dem zusammengeringelten Unterteil ihres Leibes auf und ließ den Kopf wie ein Pendel hin und her schweben – drei Meter über dem Boden …

Ihre schillernden Augen hatten den dicht vor ihr ruhenden Menschen entdeckt …

Wie unschlüssig hielt sie jetzt den flachen Kopf mit den hornigen Kiefern stille … –

Man weiß, daß die Anakonda imstande ist, durch den Schlag ihres vorschnellenden Kopfes einen Hirsch in vollem Laufe zur Seite zu schleudern, daß ein Stoß dieses Kopfes ein Wildschwein betäubt und einen der großen Maku-Affen mit gebrochenen Rippen von den Bäumen fallen läßt.

Ein geringer Bewegung Giacomos – er wischte sich die Tränen aus den Augen – reizte das Untier zum Angriff …

Der Kopf und der Oberleib schossen blitzschnell vorwärts …

Die hornige Spitze des Maules traf den Ahnungslosen seitwärts gegen die linke Schläfe …

Bewußtlos sank er zurück …

Kam erst – und dies auch nur für einen letzten Moment – zu sich, als die Anakonda ihm bereits völlig umringelt hatte und ihre ungeheuren Muskeln den Leib des Todgeweihten zerdrückten …

Ein einziger Schrei entrang sich Giacomos Lippen …

Dann war’s vorüber.

Diesen Schrei hörten die drei Männer und die Homgoris, die soeben die Sphinx mit Hilfe der Strickleiter verlassen hatten, um Giacomo zur Rede zu stellen.

Als der Todesruf des Jünglings ihre Ohren erreichte, machte Jimminez, der ein paar Schritte voraus war, plötzlich halt und wandte sich um …

„Was war das?“ fragte Gottlieb entsetzt …

Jimminez erwiderte:

„Ja, man könnte bei diesem gräßlichen Schrei wirklich daran irre werden, ob er aus der Kehle eines Menschen gekommen … – Doch es ist so! Das war der Todesruf eines, den eine Anakonda zerquetscht. Ich bin Patalonianer. Ich habe es dreimal miterlebt, daß Mulatten bei der Jagd auf Seevögel von Riesenschlangen überfallen wurden … – Wir werden dem jungen Burschen keine Vorwürfe mehr zu machen brauchen. Er ist bereits gerichtet …“

Sie eilten weiter …

Und als sie den Tempel erreichten, glitt gerade das grünbraune Untier, die völlig entstellte Leiche Giacomos in einer Windung des Schwanzes mit sich schleifend, die Steintreppe hinab.

Vor dem grellen Licht der Laternen stutzte die Schlange jedoch …

Da – – feuerte Jimminez …

Zielte so sicher auf den Kopf des Ungeheuers, daß die Anakonda nach dem dritten Schuß im Todeskampf wild hin und her fuhr …

Bis Murat mit Gottliebs langem Jagdmesser ihren Leib mit drei raschen Schnitten vierteilte.

Der Todeskampf des Reptils dauerte noch fast fünf Minuten.

Und während dieser Zeit waren nicht lediglich die zur Sphinx gehörenden Personen hier aus sicherer Entfernung Zuschauer dieses in seiner Art einzigen Verendens der Anakonda gewesen.

Nein – vor etwa einer halben Stunde war nämlich einige hundert Meter östlich der Sumpfinsel der Doppeldecker des flüchtigen Armaro auf einer Lichtung niedergegangen. An Bord befanden sich jetzt außer dem Piloten und dem Monteur, Armaro und Mafalda noch vier Mann einer Patrouille, die der Expräsident an der Grenze des Urwaldes aus der Höhe bemerkt und dann nach kurzer Landung an Bord genommen hatte.

Die vier Neger, Kavalleristen des Leibregiments, ahnten natürlich auch nicht im entferntesten, daß es mit der Macht und Herrlichkeit Seine Exzellenz endgültig vorüber war. Nein, sie glaubten noch immer den allgewaltigen Tyrannen vor sich zu haben und gehorchten ohne weiteres, ließen ihre Gäule laufen und stiegen mit dem Flugzeug auf.

Ein Baumfloß brachte dann Mafalda, Armaro und die vier Schwarzen kurz vor dem Eintreffen Jimminez’ auf die Sumpfinsel.

Mafalda lag in den Büschen, als der Geheimagent die Sphinx anrief. Und – was dann folgte, war geradezu wie ein Wink des Schicksals für die schlaue Abenteurerin …

Sie beobachtete, wie die sämtlichen Insassen der Sphinx an der Strickleiter abwärts kletterten … Sie folgte ihnen … wurde Zeugin des Todeskampfes der Anakonda … Erblickte Giacomos langgestreckte, unförmige Leiche …

Und eilte zurück zu Armaros und der Soldaten Versteck …

Enterte nun als erste an der Strickleiter nach oben.

Das Deck war leer …

Leer der Turm …

Ein leiser Pfiff rief Armaro und die Neger herauf.

„Unser!“ zischte Mafalda in wilder Freude dem Expräsidenten ins Ohr. „Unser ist die Sphinx …! Merkst du, José, daß das Glück uns wieder zulächelt!“

Sie eilte in den Turm hinab. Die Kavalleristen mußten die Stahltrossen lösen, die Strickleiter einziehen …

Mafalda stand vor den Schaltbrettern. Sie wußte damit Bescheid. Sie ließ die Sphinx ganz langsam steigen … Und nur ein geringes Rauschen der an den Wänden des Luftbootes entlangstreifenden Äste verriet, was sich hier abspielte. Und dieses Rauschen drang nicht bis nach unten, nicht bis zu den Ohren derer, die jetzt den Steinblock über der Kelleröffnung zur Seite schoben, die Leiter hinabließen und abwärtskletterten.

Als letzter betrat Gottlieb Knorz das Gewölbe, seinen alten Teckel Kognak wie immer liebevoll im Arm haltend.

Jimminez hatte schon das Loch gefunden, durch das Mafalda entschlüpft war …

„Es stimmt schon, was ich behauptete. Giacomo hat hier geholfen!“ sagte er grollend. „Nun – der junge Bursche ist hart genug bestraft worden …! Gott sei seiner Seele gnädig!“

Dieser letzte Satz kennzeichnete am besten Jimminez’ völlig veränderte Gemütsart … –

Man kehrte nun nach oben zurück. Die drei Homgoris hatten in kurzem in dem lockeren torfigen Boden ein großes Loch gescharrt. Dort hinein wurde die in Decken gehüllte Leiche Giacomos versenkt und mit einer dünnen Erdschicht bedeckt. Hätte man sie offen legen lassen, wäre in dieser feuchtwarmen Luft die Verwesung in wenigen Stunden eingetreten.

Still und ernst wanderten die drei Männer und die Homgoris wieder nach der kleinen Lichtung zurück, wo sie nun an der Strickleiter empor zur Sphinx steigen wollten.

Jimminez blieb stehen …

Leuchtete umher …

„Teufel, – wo ist die Strickleiter geblieben …?“

Bestürzte Gesichter …

„Murat – vorwärts! Zeigt eure Kletterkunst!“ rief Jimminez gepreßt. „Nach oben! Seht, was dort geschehen …“

Die drei Affenmenschen waren wie echte Gorillas mit erstaunlicher Gewandtheit bereits auf den unteren Astauswüchsen …

Verschwanden …

Unten aber harrten die drei Männer in bangem Schweigen …

Dann Murats tiefe Kehllaute:

„Die Sphinx ist nicht mehr da … Die Stahltaue hängen lose herab…“

Jimminez’ wilder Fluch galt Mafalda … Er hatte sich gebückt … Er hatte den Boden ringsum abgeleuchtet, hatte so die zierlichen Eindrücke von Damenstiefeln gefunden. Ganz frische Spuren!

„Das Satansweib war hier! Die Pest verschlinge sie!“ …

Auch der Portugiese Pasqual Oretto murmelte eine Verwünschung …

Und nur Gottlieb Knorz meinte bekümmert:

„Wir waren leichtsinnig! Wir hätten niemals alle gleichzeitig Sphinx verlassen dürfen! – Wie soll ich jetzt wohl meinem Herrn und Doktor Falz vor die Augen treten, wo wir wie die Kinder gehandelt haben!“

Die Homgoris kamen aus den Baumkronen wieder herab. Sie brachten die drei Stahltrossen mit. Das war alles, was noch an die Sphinx erinnerte.

„Nach Taxata!“ meinte Jimminez heiser vor Erregung. „Und so war ich Alfonso Jimminez heiße und jetzt ein treuer Helfer des Grafen Gaupenberg bin, ich werde die Sphinx zurückerobern! Ich kenne dieses Satansweib! Ich kenne ihre geheimsten Gedanken!“

Ein Baumfloß trug die kleine Schar über den Wassergürtel in den dunkeln Urwald, wo lediglich eine Unzahl der großen Coluco-Leuchtkäfer die Finsternis mit dem grüngelben Schein ihrer Leuchtorgane wie mit langsam dahinziehenden Raketen erhellten …

 

114. Kapitel.

Gipsy Maad, die Detektivin.

Armaro befand sich zum ersten Male an Bord der Sphinx, deren Besitz er seit langem mit allen Mitteln erstrebt hatte.

Dieser Wunsch, Gaupenbergs geniale Erfindung für sich zu erringen, hatte ja zu jenen Verwicklungen geführt, die den Kampf um das Azorengold auf der Gaupenburg eingeleitet hatten. Damals waren Jimminez, Lomatz und Mafalda noch Verbündete gewesen. Damals hatten der Fürstin gewissenlose Intrigen Agnes von dem Verlobten getrennt …

Was alles war seit jenen Tagen geschehen! Geradezu Ungeheuerliches an sich überstürzenden Ereignissen war gefolgt. Der Kampf um das Gold schien alle Dämonen der Tiefe geweckt zu haben … Tod und Verderben, Liebe, Haß, Niedertracht, Mord – – alles hatte das Gold heraufbeschworen!

Und jetzt flog die stolze Sphinx gen Süden – hoch am Nachthimmel – so hoch, daß das Geräusch ihrer Propeller nicht bis hinab zur Erde gelangte.

In einer der Kabinen hatte Armaro die vier schwarzen Kavalleristen, Kerle wie die Riesen, auf seine Art in die Lage der Dinge eingeweiht, hatte so getan, als ob der Putsch in wenigen Tagen niedergeschlagen sein würde.

Sie glaubten ihm ohne weiteres, diese vier Schwarzen. Ihnen erschien es ja undenkbar, daß ein Mann von solcher Machtfülle wie Seine Exzellenz plötzlich nichts mehr bedeuten sollte. Sie versprachen Gehorsam … Grinsend hörten sie, daß Seine Exzellenz sie zu Offizieren befördern würde. –

Die Sphinx senkte sich. Die Propeller schwiegen. Eine Viertelmeile östlich der Stadt lag ein alter Friedhof, der nicht mehr benutzt wurde. Hier zwischen hohen Bäumen und verwahrlosten Gräbern landete das Luftboot.

Mafalda schickte die Neger an die Mauer des Kirchhofs, damit sie nach allen Seiten ausspähten, ob jemand in der Nähe und das Luftschiff etwa bemerkt worden sei.

Sie selbst legte Männerkleider an. Unter Gottliebs Sachen fand sie, was ihr leicht paßte. Eine Mütze zog sie tief ins Genick, damit ihr Haar verdeckt würde. –

Es war jetzt Mitternacht. Armaro und die Fürstin standen im Dunkeln oben an Deck und besprachen das Nötigste.

Dann erschienen die vier Soldaten, meldeten, daß alles sicher sei.

Einen der vier wählte Mafalda aus. Den nahm sie mit sich. Auch er mußte Zivilkleider anlegen. Seine Uniform wäre nur hinderlich gewesen.

Dann brachen die beiden auf.

Armaro drückte noch der Fürstin Hand …

„Viel Glück!“ –

Mafalda und der Schwarze schritten querfeldein der Stadt zu.

Die Fürstin verstand’s, mit Leuten wie diesem Riesen von Nigger umzugehen …

Er begriff sehr bald, um was es sich handelte …

„Wir müssen zu erfahren suchen, wo im Hause des amerikanischen Gesandten die Damen untergebracht sind,“ flüsterte die Fürstin wieder. „Zunächst ist die Hauptsache, daß wir ungesehen in den Park gelangen …“

Der Neger versicherte, er würde Mafalda auf allerhand Schleichwegen ans Ziel bringen. – Er hatte nicht zu viel versprochen. Um halb eins waren die beiden über die Parkmauer geklettert und hatten hier in einer Laube eine der farbigen Dienstboten des Gesandten mit einem Liebhaber überrascht. Dieser war schleunigst geflohen. Die Mulattin aber hatte Mafalda noch zur rechten Zeit bemerkt. Es war ihr nicht weiter schwer, das ängstliche Mädchen durch Drohungen soweit einzuschüchtern, daß es genau angab, wo die Gäste Mister Barrouphs untergebracht waren.

Während die Fürstin dann das Mädchen in der Laube bewachte, war der riesige Neger bis zur Villa vorwärts geschlichen. Die beiden Eckfenster, hinter denen Agnes Sanden und Melanie Falz wohnten, hatte er bald gefunden. Kletterte dann an dem Blitzableiter bis zum Sims der ersten Etage empor und balancierte auf dem breiten Mauervorsprung bis zu den betreffenden Fenstern, von denen das eine offenstand.

Mafalda hatte dem Schwarzen das Aussehen Agnes Sandens genau beschrieben und besonders auf ihr kurzgeschnittenes blondes Haar hingewiesen.

Wie der Neger nun zusammengeduckt hinter dem offenen Fenster hockte, zwischen den weißen Raubtierzähnen ein Dolchmesser und um den Leib eine acht Meter langen Leine geschlungen, – während er noch zauderte, ob er das Wagnis wirklich unternehmen und in das Zimmer einsteigen sollte, erschien Agnes am Fenster, um es zu schließen, schlug die Vorhänge zurück und war dann beim Anblick des schwarzen Gesichts, der weißen Augäpfel und der blinkenden Waffe, die den Mund des Negers unheimlich verzerrte, von einer solchen Schrecklähmung befallen worden, daß sie ohne jeden Versuch zur Flucht und ohne jeden Laut von dem brutal zupackenden Riesen halb erdrosselt wurde.

Hilflos lag sie nun halb über dem Fensterkopf. Der Neger band ihr die Leine um die Hüften und ließ sie zur Erde hinab, sprang dann geschickt hinterdrein, landete auf dem weichen Rasen und hob die Bewußtlose wieder empor …

All das hatte sich in wenigen Minuten abgespielt.

Bevor der Schwarze seine Beute der Fürstin zeigte, betrat er einen Pavillon, legte Agnes hier nieder und eilte zur Laube, wo ein paar Worte den beiden zur Verständigung genügten. Das Mulattenmädchen wurde gefesselt, geknebelt und an die Bank gebunden.

Mit der immer noch ohnmächtigen Agnes im Arm trat der Neger, dicht gefolgt von Mafalda, den Rückweg zur Sphinx an.

Hier auf dem alten unbenutzten Friedhof hatte sich anscheinend inzwischen nichts ereignet, was für Armaro und die Fürstin hätte nachteilig sein können.

Anscheinend …!

Gewiß – José Armaro wußte zwar, daß die abergläubische farbige Bevölkerung den alten Kirchhof ängstlich mied. Trotzdem hatte er, nachdem Mafalda und der Riese verschwunden waren, den drei anderen Schwarzen befohlen, draußen die verfallenen Mauern dauernd zu umkreisen. Die Leute gehorchten gern und nahmen es auch mit diesem ihrem Wachdienst sehr ernst. Und dennoch entging ihrer Aufmerksamkeit eine schlanke, jünglingshafte Gestalt, die von der Stadt her unter schlauer Ausnutzung jedes Geländevorteils sich näherpirschte und schließlich in einem günstigen Augenblick auch durch eine Mauerlücke in das Dunkel der Friedhofsbäume huschte.

Diese Gestalt trug einen leichten Sportanzug mit sehr weiten Kniehosen, dazu eine sandfarbene Reisemütze, dunkle Strümpfe und sandalenartige Schuhe.

Die zierliche Figur sowie die Wölbung der Sportjacke über der Brust wiesen unzweifelhaft auf eine Frau hin.

Diese Frau war Gipsy Maad, eine bildhübsche schlaue Detektivin Mister Worgs.

Gipsy hatte eingedenk der letzten Anordnungen ihres Chefs einen Hügel unweit der Villa Barrouph als Beobachtungsplatz erwählt und dort ganz allein mit ihrem guten Fernglas sowohl den lichten Nachthimmel als auch die Villa dauernd beobachtet. – Gipsy Maad gehörte zu jenen jungen Amerikanerinnen, die, obwohl aus vermögendem Hause stammend, sich aus reiner Neigung einem Beruf zuwenden, der ihnen volle Befriedigung gewährt, nebenbei auch einem gewissen Hang zum Romantischen, der jeder Weibesseele mitgegeben, gerecht wird. Seit zwei Jahren war sie jetzt für die Firma Worg & Co. tätig. Ihr Chef hielt sehr viel von ihr. Sie war nicht nur sportgeübt, abgehärtet und intelligent, sondern besaß auch alle die Eigenschaften, die einem wahren Detektiv angeboren sein müssen. –

Kurz nach Mitternacht hatte Gipsy dort nach Osten zu, wo in den hügeligen Feldern der alte Friedhof wie eine schwarze Insel durch das Glas zu erkennen war, in der Luft einen dunklen Punkt wahrgenommen, der sich rasch vergrößerte und ebenso rasch in senkrechtem Abstieg in jener schwarzen Insel verschwand.

Gipsy dachte sofort an den Doppeldecker, mit dem Armaro entflohen war.

Allerdings, ein Flugzeug konnte nur im Gleitflug in schräger Linie niedergehen! Und das Luftfahrzeug, das Gipsy drüben bemerkt, war senkrecht wie eine reife Frucht in den Bäumen untergetaucht.

An die Sphinx dachte die Detektivin nicht. Sie wußte ja, die Sphinx lag in den Urwäldern von Saltiporto!

Jedenfalls, sie machte sich nun auf den Weg nach dem alten Friedhof, den sie längst kannte. Und sie gelangte in dessen Nähe, als Mafalda und der Neger gerade der Stadt zuwanderten.

Gipsy schenkte diesen beiden Personen keine Beachtung. Ihr erschien es wichtiger, festzustellen, was auf dem Friedhof selbst vorging.

Nun hatte sie das Schlimmste hinter sich. Sie war den drei Wachen entschlüpft und konnte den Kirchhof betreten.

Sie ließ sich Zeit. Und sehr bald stand sie keine fünf Schritt von dem Luftboot entfernt hinter einem Baume.

Sie wußte sofort, daß es nur die Sphinx sein konnte, und ebenso schnell sagte sie sich auch, daß das Luftboot nicht mit seinen rechtmäßigen Insassen hier gelandet sei. Doch die Wahrheit ahnte sie nicht.

Sie blieb stehen und beobachtete.

Oben auf Deck ging ein einzelner Mann umher – sehr unruhig – rauchte Zigaretten.

Der durch die Baumkronen fallende Mondschein traf plötzlich sein Gesicht. Eine goldstrotzende Uniform erblickte sie – und das scharfe kühne Gesicht Armaros! –

Gipsy Maad reimte sich jetzt alles zusammen – alles … Armaro hatte die Sphinx überfallen! – Was aber wollte er hier so dicht bei Taxata, wo seine Gegner nur darauf lauerten, ihn standrechtlich erschießen zu können?!

Sie überlegte lange und gründlich.

Ihr Chef hatte betont, man solle sich nicht um die politischen Dinge kümmern, nur die Villa Barrouph schützen.

Gipsy beschloß also abzuwarten.

Fast eine Stunde verstrich …

Dann Stimmen von Westen her …

Ein Zuruf, der dem Expräsidenten galt:

„José, wir haben die eine!“

Mafalda näherte sich der Sphinx. Hinter ihr her kam der riesige Neger mit Agnes im Arm … Ihm folgten die drei anderen Schwarzen.

Armaro war rasch an der Außenleiter der Sphinx hinabgestiegen.

Gipsy Maad aber mußte ihren Platz wechseln, um diese Menschen da besser belauschen zu können.

So hörte sie denn Armaro etwas enttäuscht sagen:

„Oh – nur die blonde Agnes! Ellen Barrouph sollte es sein!“

„Immerhin etwas, José …!“ Und dann zu Agnes, die nun bei Besinnung und der man die Hände vor der Brust gefesselt hatte:

„Kennen Sie mich, Agnes Sanden?!“ hohnlachend rief sie es …

„Kennen Sie Mafalda Sarratow?! Ahnen Sie nun, was Ihnen bevorsteht?!“ –

Die Detektivin überlegte abermals – jetzt blitzschnell …

Helfen konnte sie hier nicht … Und Hilfe herbeiholen? – Nein, dann war die Sphinx längst auf und davon …

Es gab nur ein Mittel, dieser Ärmsten da beizustehen. Sie mußte sich in die Sphinx einschleichen!

Und – sie tat’s …

Während Mafalda noch an der Backbordwand des Luftbootes ihrem glühenden Haß in zügellosen Drohungen Ausdruck gab, erkletterte Gipsy Maad an der Steuerbordseite einen hohen Leichenstein und konnte so gerade noch den Rand der Reling erfassen.

Sie kroch bis zur Turmluke – huschte die Leiter hinab …

Ihre kleine Taschenlampe wies ihr den Weg bis in eine der Heckkammern, wo die leeren Benzinkannen aufgestapelt lagen. Im tiefsten Winkel hinter diesen Kanistern fand sie ein Versteck.

Kaum vier Minuten später merkte sie an dem leichten Schwanken des Luftbootes, daß es sich vom Boden erhoben hatte …

Dann auch schon das Geräusch von Motoren – das dumpfe Surren der Propeller …

Gipsy Maat dachte: ‚Wo und wie wird diese Fahrt enden?!’ –

Die Sphinx aber flog gen Westen – der Insel Christophoro entgegen.

Mafalda und Armaro wollten dort den Goldschatz der Azoren aus den Gewölben des unterirdischen Palastes bergen, – stehlen!

Doch das Gold lag längst anderswo …

Nur zwei kannten den Ort: Lomatz und Mantaxa, die Aztekin! Und die beiden befanden sich an Bord der Milliardärsjacht ‚Star of Manhattan’. – –

Der riesige Schwarze hatte Agnes Sanden auf Mafaldas Geheiß in eine der kleinen Kabinen der Sphinx getragen.

Auch jetzt gab Agnes keinen Laut von sich.

Gewiß, sie hätte wohl, als ihr das Bewußtsein wieder zurückgekehrt war, um Hilfe gerufen – trotz des sie bedrohenden Dolchmessers des Negers. Sie wußte ja, daß diese Waffe sie nur einschüchtern sollte … Niemals hätte Mafalda, die sie längst in dem Männeranzug erkannt, sich mit einer so billigen Rache, einem Dolchstoß, begnügt. Nein – niemals …!

Aber der eiserne Griff des Schwarzen um ihre Kehle schien ihre Stimmbänder gelähmt zu haben. Sie – – wollte um Hilfe rufen! Und – nur ein röchelndes Lallen kam ihr über die Lippen – – nicht weiter.

Wiederholt versuchte sie’s … Dachte an Viktor – an das, was ihr bevorstand, wenn Mafalda Sarratow sie aus Taxata verschleppte …

Und doch, ihre Stimme versagte nach wie vor! Immer nur diese röchelnden Töne – nichts anderes! Töne, wie sie jene Unglücklichen ausstoßen, die … stumm geboren sind oder sonst wie die Sprache verloren haben … –

Nun war Agnes allein in der engen Kabine … Ungefesselt … Saß auf einem der leichten Schiffsstühle … Unfähig noch, ihre Gedanken zu sammeln … Nur erfüllt von einer Verzweiflung, für deren Größe es keine Bezeichnung gab …

Über ihr brannte die elektrische Deckenlampe … Ihr schmales Antlitz war totenbleich … Um ihre Augen lagen dunkle Ringe … Die feingeschwungenen Lippen zitterten zuweilen wie im Krampf, und in den großen reinen Augen war ein Ausdruck unseligen Entsetzens – genau so, wie vor einer halben Stunde, als das grauenvolle Gericht des Schwarzen am Fenster vor ihr aufgetaucht war …

Und ihre Gedanken flatterten hierhin – dorthin, – ohne Ziel, ohne Zweck …

Nur ein einziger Gedanke kehrte immer wieder, wuchs an zu einer jede Hoffnung vernichtenden Gewißheit:

‚Ich bin verloren …! Mafalda hat die Sphinx im Besitz, und mit der Sphinx kann sie mich dorthin entführen, wo niemand mich findet!’

Und diese alles erstickende Gewißheit ließ Agnes vom Stuhl gleiten – in die Knie … mit gefalteten Händen …

Ließ ihre Seele Trost suchen in inbrünstigem Gebet.

Ihre Lippen bewegten sich, wollten halblaute Worte formen …

Bis das blonde Weib dann jäh emporsprang … Mit halbirrer Gebärde ihre Kehle betastete … Und nochmals versuchte, dieses röchelnde Lallen zu bestimmten Worten zu prägen …

Neues Entsetzen packte sie …

Sie begann die Wahrheit zu ahnen … Der Schreck dort am offenen Fenster beim Anblick des Schwarzen hatte … ihr die Sprache geraubt …

Sie war … stumm … stumm …!!

Noch ein halb kreischender, unnatürlicher Ton … Etwa wie ein Schrei, der schon in der Kehle wieder erstirbt …

Dann – brach sie bewußtlos zusammen … – –

Im Führerstand der Sphinx sagte Mafalda zu José Armaro:

„Du vergißt, daß du mir allein die Sphinx zu verdanken hast … Willst du meiner Rache etwa deshalb in den Arm fallen, weil dir diese blonde nüchterne Deutsche schon in jener Nacht auf Christophoro in die Augen stach?! Reizt sie deine … Sinnenlust?!“

Armaro wandte sich ärgerlich ab.

„Tu’, was du willst …!!“

„Oh – das täte ich auch ohne deine Einwilligung, José … – Wir wollen überhaupt die Beziehungen zwischen uns klären …“

„Laß das …! Ich weiß, daß ich vorläufig … ein Nichts bin! Vorläufig!“

Mafalda lächelte ironisch …

„Hast du den Gedanken, wieder Präsident der Republik zu werden, noch nicht aufgegeben?! – Vorläufig?! Vorläufig ein … Nichts?! – Mein lieber José, du kannst froh sein, wenn du irgendwo in der Fremde als reicher Mann deine Tage beschließen darfst …“

Und nach diesem neuen schmerzhaften Hieb für den einstigen allmächtigen Tyrannen verließ sie den Führerstand und ging in die Kabine, die sie den vier Negern als Wohnraum angewiesen hatte.

„Manuel …!“ Sie winkte … Und der riesige Schwarze, Manuel Pasco mit Namen, trat zu ihr in den Schiffsgang hinaus.

„Ich schenke dir das blonde Mädchen,“ sagte sie mit gleichgültig klingender Stimme. „Du wirst mit ihr zusammen ihre Kabine bewohnen. – Du – – verstehst mich?“

Der Riese grinste frech …

„Sennorita, ich verstehe …“

„Dann – geh zu ihr … Armaro wünscht dir viel Glück …“

Manuel Pasco richtete sich stramm auf …

„Ohne das Einverständnis Seine Exzellenz hätte ich … das Geschenk auch nicht angenommen, Sennorita,“ erklärte er sehr bestimmt.

Mafalda lachte auf …

„Armaro ist nicht mehr Exzellenz,“ flüsterte sie. „Armaro ist … nichts mehr – nichts! Die Revolution ist vollständig geglückt, und niemals darf Armaro sich wieder in Taxata sehen lassen. Er war’s, der die Tochter des amerikanischen Gesandten entführte. Er war’s, der seine Adoptivtochter Isabella nach der Insel Mala Gura verbannte und in Taxata einen leeren Sarg beisetzen ließ … Amerika würde es als Großmacht nie mehr dulden, daß Armaro als Präsident zurückkehrte. – Manuel, halte zu mir – nur zu mir, und du wirst es nicht bereuen. Ich werde dich so reich machen, daß du fernerhin als großer Herr leben kannst … – Nun geh – – zu deiner Geliebten!“

Der Neger stand regungslos …

Er war nur ein einfacher, ungebildeter Mensch, der lediglich seinen primitiven Instinkten folgte. Aber diese Heimtücke der Fürstin, die hier ihren früheren Geliebten Armaro in dieser Weise verriet und herabsetzte, ging selbst eine Manuel Pasco gegen seine gewiß nicht allzu strengen Ansichten von Treue und Ehrlichkeit.

Sein Blick glitt über Mafalda hin, hing nun an dem leidenschaftlichen Gesicht der Abenteurerin …

Etwas wie Verachtung und Widerspruch lag in diesem Blick …

Doch – beides schwand ebenso schnell wieder. Manuels plumpe Schlauheit warnte ihn selbst vor einer Preisgabe seiner wahren Empfindungen …

Er grinste wieder …

„Geld ist eine schöne Sache, Sennorita …,“ meinte er leise … „Ich werde an euch denken … Ich … bin treu …“

Und nach dieser letzten doppelsinnigen Äußerung schritt er davon und betrat Agnes’ Kabine … –

Mafalda aber ging zu den drei anderen Leuten hinein …

Auch hier warb sie sich auf dieselbe niederträchtige Weise eine Gefolgschaft, auf die sie sich verlassen zu können glaubte. Auch hier versprach sie ungeahnte Reichtümer, verlangte aber auch, daß die drei sich dem gestürzten Despoten gegenüber nichts merken ließen … „Schweigt und bedenkt, daß Armaro ein Geächteter ist, daß ihr selbst Geächtete sein werdet, wenn ihr seine Befehle befolgt. Nur ich kann euch eine Zukunft schaffen, wie ihr sie euch nie träumen ließet.“

Hier fanden ihre Worte geeigneteren Boden. Diese drei unterlagen den lockenden Verheißungen. In die Hand gelobten sie Mafalda Treue und Gehorsam.

Zufrieden kehrte die Fürstin in den Führerstand zurück, wo Armaro derweil die Sphinx nach dem Kompaß gen Osten gesteuert hatte … der Goldinsel entgegen …

 

115. Kapitel.

Der Meck-Meck mit den Hörnern.

Als der neue Morgen über der Hauptstadt Taxata heraufzog, war von den Ereignissen der verflossenen Nacht in den Straßen kaum noch etwas zu spüren. Lediglich die zahlreichen Patrouillen und die an den Ecken der Straßen aufgestellten Maschinengewehre sowie überall angeklebte riesige Proklamationen des neuen Präsidenten Juan Astarro deuteten auf den erfolgreichen Putsch hin.

In wunderbarer Klarheit stieg die Sonne aus dem Meere empor und beleuchtete das eigenartige Bild der breiten Terrassen der Hafenstadt, beleuchtete auch die weiße Villa der amerikanischen Gesandtschaft und lugte durch die Vorhänge in Ellen Barrouphs Mädchenzimmer hinein …

Die Tochter des Botschafters ruhte in Hartwichs Armen …

Sie war soeben erwacht …

Blinzelnd schaute sie in die schmalen Sonnenstreifen hinein, in denen Millionen von Staubteilchen wirbelten.

Dann wandte sie den Kopf und blickte mit zärtlicher Andacht in das blondbärtige Gesicht des Geliebten.

Georg schlief noch … atmete tief …

Ellen horchte plötzlich auf …

Draußen im Flur war mit einem Male ein lebhaftes Hin und Her von Schritten … Stimmengeräusch schwoll an, erstarb …

Dann pochte jemand gegen die Tür …

Gaupenberg rief:

„Georg – Georg, – Agnes ist verschwunden …“ –

Steuermann Hartwich fuhr empor …

Wieder des Grafen Stimme:

„Georg, – Agnes ist verschwunden … Vor fünf Minuten hat Mela es bemerkt …“

„Ich komme …!“

Hartwich kleidete sich nur notdürftig an. Ellen warf einen Morgenrock über …

Das ganze Haus war jetzt lebendig … Auch Jakob Worg, Chef des bekannten Detektivinstituts, hatte sich im großen Salon eingefunden …

Man ging in das andere Zimmer hinüber, wo Mela und Agnes untergebracht gewesen.

Worg nahm die Untersuchung in die Hand. Sehr bald hatte er auf dem Sims vor dem Fenster allerlei Spuren entdeckt, ebenso unter dem Fenster im Garten.

Dann wieder hatte einer der Diener in der Laube des Parkes die gefesselte und geknebelte junge Mulattin gefunden.

Das Mädchen war halbtot, konnte aber doch Aufschluß geben. Ein Nigger und eine als Mann verkleidete Sennorita mit schwarzen Augen hätten sie gefesselt.

Wie man noch die Mulattin im Salon ausfragte, trafen drei neue Unglücksboten ein: Pasqual, Gottlieb und Jimminez! – Die Homgoris waren unten im Garten geblieben.

Gaupenberg saß wie betäubt in einem Sessel, hinter ihm stand der treue Gottlieb Knorz, wie immer seinen Teckel im Arm …

Die anderen bildeten um den Sessel einen Kreis.

Worg hatte soeben erklärt, daß nur die Fürstin hier wieder am Werk gewesen sein könne … Die Spuren unter dem Fenster und die Aussage der Mulattin bestätigten dies …

Die allgemeine Verstörtheit legte sich erst, als Viktor Gaupenberg, sich selbst wiederfindend, die Diener und die Mulattin hinausschickte. – Es waren jetzt hier im Salon anwesend: die Insassen der Sphinx mit Ausnahme Agnes Sandens, Ellen, ihr Vater und Jakob Worg.

Gaupenberg begann:

„Im Vertrauen auf Ihre Verschwiegenheit …“ – und er machte dem Gesandten und dem Detektiv eine leichte Verbeugung – „möchte ich hier ein Geheimnis preisgeben, das mit diesen unglückseligen Geschehnissen in engster Verbindung steht …“

Er erwähnte den Milliardenschatz, berichtete, wie Armaro und Mafalda ihm und Hartwich mit Hilfe der Sennora Rosario in dem Erbbegräbnis der Rosarios die Angabe über das jetzige Versteck der Goldbarren entlockt hatten. Er war wie alle übrigen Eingeweihten des Glaubens, daß das Gold noch in der Schatzkammer König Matagumas lagere …

„… Armaro und die Fürstin sind jetzt bestimmt unterwegs nach Christophoro … Agnes befindet sich ebenso bestimmt an Bord meines Luftbootes. Es geht hier nicht allein um Agnes, meine Verlobte … Der Raub des Goldes muß verhindert werden …“

Detektiv Worg trat vor …

„Herr Graf, der neue Präsident Astarro wird mir bereitwilligst Militärflugzeuge zur Verfügung stellen, ohne daß ich ihm Ziel und Zweck der Fahrt zu nennen brauche. Drei Doppeldecker würden genügen.“

Gaupenberg reichte ihm die Hand …

„Ich habe an dasselbe gedacht, Herr Worg … Eilen Sie … Wir müssen in kürzester Zeit aufsteigen.“

Worg entfernte sich.

Die Zurückbleibenden atmeten erleichtert auf. Das Bewußtsein, daß nun etwas zur Rettung Agnes’ geschehen würde, belebte jeden. –

Jakob Worg stand eine Viertelstunde später vor dem neuen Präsidenten.

Der kraftvollen Erscheinung Juan Astarros merkte man die durchwachte Nacht nicht an.

Im Palast des Expräsidenten ging schon alles wieder seinen gewohnten Gang. Ein Adjutant im Vorzimmer hatte Worg angemeldet und dann eintreten lassen.

Der Detektiv war erstaunt, als Astarro ihm wortlos eine Depesche hinreichte …

Dem Formular nach war es ein von der Funkstation Taxata aufgenommenes Radiotelegramm …

Sollte die Sphinx verfolgt werden, so stirbt Agnes Sanden. –

Mafalda

an den amerikanischen Gesandten
John Barrouph, Taxata,
für den Grafen Viktor Gaupenberg

Worgs Stirn krauste sich …

‚Bestie!’ dachte er …

„Die Depesche wurde mir vor drei Minuten überbracht, Mister Worg,“ erklärte Astarro nun. „Ich habe auch den Funkverkehr vorläufig sperren lassen … Wollen Sie das Telegramm dem Grafen bitte aushändigen. Der Inhalt ist mir nicht ganz klar …“

„Mir leider nur zu gut, Exzellenz,“ meinte Worg in verbissener Wut. „Armaro und die Fürstin haben die Sphinx gestohlen und des Grafen Braut entführt …“ – Er berichtete Einzelheiten …

Astarro fragte dann:

„Sie ahnen also nicht, wohin die Sphinx sich gewandt haben mag?“

„Diese Depesche kam jedenfalls von Bord des Luftbootes. Das hat eine Sende- und Empfangsanlage … Das Ziel, Exzellenz, kenne ich, darf es aber nicht nennen.“

„Ah – und der Grund?“

„Eine rein persönliche Angelegenheit des Grafen …“

„Sie irren, Mister Worg … Hier kann von einer rein persönlichen Angelegenheit nicht mehr die Rede sein. Armaro wird wegen mehrfachen Mordes, Unterschlagung von Staatsgeldern, Verleitung zum Meineid und wegen anderer Verbrechen gesucht. Ich – – verlange zu wissen, wohin er entflohen ist.“

Worg überlegte …

„Würden Exzellenz dann mir Armaros Verfolgung übertragen?“ fragte er vorsichtig.

„Nur dann, wenn Sie die Interessen der Republik Patalonianer rücksichtslos vertreten, das heißt – – Armaro entweder lebendig oder tot hierher zurückbringen.“

„Gut, Exzellenz … – Sie wissen, wer ich bin … Hier meine Hand. Lebendig oder tot! – Schreiben Sie mir bitte eine Vollmacht, die Ihre Behörden und Militärstellen verpflichtet, meinen Anordnungen nachzukommen …“

„Sofort … Ich habe vollstes Vertrauen zu Ihnen.“ – Er fragte nichts weiter … Gaupenbergs Angelegenheiten waren ihm gleichgültig. Nur Armaro mußte er haben … –

Worg kehrte mit der Vollmacht und der Depesche in die Villa Barrouph zurück.

Hier wurde ein neuer Kriegsrat abgehalten. Das drohende Telegramm Mafaldas bewies, daß sie sehr wohl damit rechnete, man würde sie und Armaro auf der Insel Christophoro vermuten und dort festzunehmen suchten.

Worg betonte nun, daß von einem offenen Überfall durch Flugzeuge nicht mehr die Rede sein könnte …

„Wenn wir mittags gegen eins Taxata verlassen, sind wir mit den drei Doppeldeckern etwa nachts zwölf Uhr in der Nähe der Inseln,“ führte er in seiner bedächtigen Art vor den anderen aus. „Es fragt sich nun, ob Mafalda und Armaro bis dahin bereits das Gold in die Sphinx gebracht haben können.“

„Unmöglich!“ meldete sich da Doktor Falz. „Deshalb unmöglich, weil die Riesenhöhle unter Wasser steht und nur ein Taucher in die Schatzkammer hinabgelangen könnte.“

Worg nickte zufrieden. „Dann bleibt es dabei, wir verlassen Taxata um ein Uhr mittags. Ich werde alles Nötige vorbereiten. Wir werden dann nachts unbemerkt auf Christophoro zu landen versuchen. Die Flugzeuge dürfen in keinem Fall bemerkt werden. Wir werden ein kleines Motorboot mitnehmen …“

Gaupenberg und Hartwich waren einverstanden. Der Graf ließ niemand ahnen, wie schwer die Angst und die Sorge um Agnes auf ihm lasteten. Nur nach dem Frühstück, als er mit Doktor Falz im Parke auf und ab schritt, eröffnete er dem älteren Freunde sein gequältes Herz.

Dagobert Falz blieb neben einem blühenden Dagliastrauche stehen …

Er, den stets ein solch eigenartiger Hauch des Geheimnisvollen umgab, – er, der tiefer in die rätselhafte Werkstatt der vernichtenden und neuschaffenden Natur mit all ihren Begleiterscheinungen eingedrungen war als jeder andere Mensch, – er, der die uralte Kunst der Alchemie wieder hatte aufleben lassen und dabei Dinge erfahren, die für den Durchschnittsgeist unbegreiflich blieben, – dieser hagere graubärtige Mann mit dem so seltsam vergeistigten, frischen und doch wieder auch greisenhaften Gesicht deutete auf eine der kolossalen Blüten der Daglia und sagte:

„Einer Lilie gleicht diese Blüte … Nur dreimal größer ist sie … Ein Unikum ihrer Art, die nur hier in Patalonia und im benachbarten Venezuela vorkommt … Kennen Sie die Eigenart der Daglia?“

„Nein …“ – Gaupenberg war bitter enttäuscht, weil der Doktor nur diese ausweichenden Reden für seine sorgenvollen, heimlichen Bitten um ein tröstendes Wort übrig hatte.

„Schauen Sie sich die Blüte genauer an und denken Sie an Christophoro und die Sphinx…,“ erklärte Falz eindringlicher.

Der Graf begann zu ahnen, daß ein verborgener Sinn in des Doktors Worten läge.

Er bückte sich über die eine Riesenblüte, und ein geradezu widerlicher Aasgeruch ließ ihn zurückfahren.

„Das Gold duftet,“ sagte Falz mit besonderer Betonung. „Ertragen Sie es nur, Gaupenberg … Es gibt dort wirklich etwas zu sehen …“

Gaupenberg beugte sich abermals hinab.

Und er sah nun, wie zwei große grünschillernde Aasfliegen, angelockt durch den Gestank der Daglia, in die Blüte hineinkrochen. Und hinter ihnen her kam eine kleine blaue Libelle.

Kaum hatten die Fliegen jedoch die zarten Härchen erreicht, mit denen der innere Kelch der Blüte am Rande bedeckt war, als automatisch ein deckelartiger Verschluß dieses Kelches zuklappte – sogar mit einem hörbaren Geräusch …

Die Libelle jedoch, gewarnt durch diesen sanften Knall des Blütendeckels, flog graziös davon …

„Eine Pflanze der Gattung Nepentes, lieber Graf,“ meinte Falz nun mit warmer Herzlichkeit. „Also eine fleischfressende Pflanze … – Verstehen Sie, wie diese Daglia Sie trösten soll …?“

Gaupenberg nickte …

„Sie glauben, Mafalda und Armaro werden in der Aztekenhöhle ums Leben kommen …“

„Nein – nicht beide … Warten Sie nur … Der Deckel der Fliegenfalle bewegt sich wieder …“

Und Gaupenberg schaute hin …

Eine der beiden Aasfliegen hatte sich doch noch durch die borstenartigen Haare durchgedrängt. Und dieser Reiz auf die Nerven der Pflanze ließ den Deckel hochschnellen. Das Insekt entkam.

Das andere lag unten im Kelche in der zersetzenden klebrigen Masse, die jede Fliege in kurzem auflöst und der Pflanze als Nahrungssaft zuführt.

„Armaro wird dort enden,“ sagte Falz leise. „Mafalda entweicht. Aber vorher entkommt die zarte Libelle …“

Und er streckte Gaupenberg beide Hände hin, fügte hinzu:

„Zuweilen ist es furchtbar, an Visionen zu leiden, von denen man weiß, daß sie in Erfüllung gehen. Zuweilen kann man anderen aber auch Trost spenden.“

Dann schritt er hastig davon und überließ Gaupenberg einem Ansturm froher Hoffnungen.

Als der Graf nachher in der Villa mit Hartwich und Ellen zusammentraf, leuchteten seine Augen, und seine Haltung und seine Bewegungen waren die eines Mannes, von dem jede Sorge um das Liebste, was er auf Erden besitzt, genommen ist. – –

Vier Stunden später, kurz vor zwölf Uhr mittags, kam die Milliardärsjacht ‚Star auf Manhattan’ langsam in den weiten Hafen gedampft.

Auf der Brücke standen neben dem Kapitän der kleine spindeldürren Josua Randercild und Seine Hoheit der Herzog Fredy Dalaargen, beide mit Ferngläsern an den Augen …

„Ein bildhübsches Städtchen,“ meinte Randercild. „Hätte mir die Hauptstadt dieser Banditenrepublik nicht so schön vorgestellt …“

Der Herzog ließ das Glas sinken und drückte sein Monokel ein …

„Dort kommt schon ein Kutter der Hafenpolizei, lieber Josua …,“ sagte er gleichmütig. „Übrigens, ehe ich’s vergesse, ich möchte für den Schiffbrüchigen ein gutes Wort einlegen … Wenn er auch fraglos ein Schwindler ist, – wir wollen ihn nicht der hiesigen Polizei übergeben. Mag er nachher mit seiner kupferroten Geliebten an Land gehen und verduften …“

„Mir auch recht, Herzog,“ brummte der Milliardär. „Wir hätten ja doch nur Scherereien mit ihm.“ –

Das Fallreep der Jacht sank herab. Der Polizeikutter legte an, und zwei Mulatten in Uniform kamen auf die Brücke. Der eine war merkwürdigerweise ein höherer Marineoffizier.

Dieser trat auf die beiden Herren zu, stellte sich vor …

„Fregattenkapitän Mandrio … – Ich bitte, die Jacht hier im Außenhafen stoppen zu lassen …“

„Nanu?!“ platzte Randercild heraus. „Weshalb denn? Exzellenz Armaro erwartet mich.“

Der Mulatte lächelte ein wenig …

„Mister Randercild, die Präsidentschaft der Republik ist gestern nacht in andere Hände übergegangen …“

„Ah, – Revolution?!“

„Etwas Ähnliches – ganz unblutig. Exzellenz Juan Astarro ist jetzt Staatschef.“

„Wer ist denn das?“

„Ein Ehrenmann, Mister Randercild, einer, der mit Ihnen kaum Geschäfte machen wird … Ihre Korrespondenz mit dem Betrüger Armaro ist gefunden worden. Exzellenz legt Ihnen nahe, das Land nicht zu betreten.“

Randercilds hageres Bocksgesicht verfärbte sich …

Der Herzog tat, als ginge ihn das alles nichts an. Mit unendlich gelangweiltem hochmütigen Blick musterte er den farbigen Marineoffizier von oben bis unten … etwa, als habe er eine Rarität aus einer Schaubude vor sich.

„Der Teufel hole Ihre ganze Republik!“ kollerte der Milliardär jetzt und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen … „Ich werde den Hafen sofort wieder verlassen … Bestellen Sie das gefälligst Ihrem Präsidenten, gleichzeitig auch, daß ich kein Betrüger bin sondern lediglich ein großzügiger Geschäftsmann. Ich werde durch unsere Gesandtschaft hier in Ihrem Piratennest die Angelegenheit untersuchen lassen.“

Er redete sich – im Gegensatz zu jedem anderen Menschen – nicht etwa immer mehr in eine besinnungslose Wut hinein. Im Gegenteil, Josua Randercild hatte längst gelernt, sich zu beherrschen. Sein Ton wurde ironischer … Seine kleine Gestalt wuchs … Er hatte doch etwas an sich, das den überlegenen Geist verriet …

Und plötzlich begann er spanisch zu sprechen – ziemlich fließend:

„Sennor Mandrio, entschuldigen Sie, daß ich Sie etwas grob anfuhr … Ich habe mir die Sache überlegt …“

Seine grauen kalten Augen starrten den farbigen Offizier fest an …

„Ja – anders überlegt … Ich werde an Land kommen … Und ich möchte den sehen, der es hier wagt, einen Bürger der Vereinigten Staaten zu belästigen …“

Dieses ironisch-höfliche Selbstbewußtsein verwirrte den Offizier …

„Ich habe meinen Auftrag ausgerichtet, Sennor Randercild,“ erklärte er hastig. „Sie gestatten, daß ich mich verabschiede …“ – Er hatte Lebensart, dieser Mulatte … Grüßte, wandte sich um und schritt davon …

Randercild blinzelte den Herzog an …

Dann folgte er dem Offizier …

„Es ist mir eine Ehre, Sie bis zum Fallreep zu begleiten …,“ sagte er. „Nicht wahr, Sie bestellen also dem neuen Präsidenten, was ich soeben erklärt habe, daß ich an Land komme! Und ich hoffe, daß ich nicht nötig haben werde, dem Geschwaderchef unserer Südatlantikflotte zu telegraphieren, daß hier unsere Geschütze ein Wörtchen mitreden müssen!“

Der Mulatte verbeugte sich nur und fuhr mit dem Kutter davon.

Randercild kehrte auf die Brücke zurück …

„Kapitän,“ befahl er, „Sie legen dort drüben neben dem alten Eisen an …!“ Und er zeigte auf die Kreuzer der Republik. „Auf meine Verantwortung! Wollen doch mal sehen, ob diese Kerle hier es wagen, sich an mir zu reiben!“

Der Herzog lehnte am Geländer der Brücke …

„Lieber Josua, Sie haben mir heute imponiert,“ meinte er ehrlich. „Sie haben mir ja schon häufiger imponiert … Sie sind doch ein ganzer Kerl …“

Der kleine Milliardär zuckte die Achseln …

„Ein Mann ohne Rückgrat verdient nicht Milliarden, Herzog … Man nennt nicht drüben scherzen ‚Schneider MeckMeck’ … Aber – man fügt stets hinzu: ‚Meck-Meck mit Hörnern’! – Und das sagt genug …“

Der schlanke Herzog blies langsam den Rauch seiner Zigarette in die Luft …

„Wie lange wollen Sie unter diesen Umständen hier in Taxata bleiben?“ fragte er wie beiläufig.

„Eine Stunde … Ich werde mein Auto ausschiffen lassen, und dann werden wir beide dem neuen Präsidenten einen offiziellen Besuch abstatten … Das bin ich Amerika schuldig!“

„Hm – und dann?“

„Dann? – Ja – eigentlich wollte ich ja hier acht Tage bleiben … Sie wissen … Armaro sollte uns die Kupfergruben zeigen …“

„Mithin hätten Sie Zeit, mir einen Gefallen zu tun, Randercild?“

„Gewiß, Herzog … Zeit genug …“

„Dann werde ich Sie beim Wort nehmen … – Ganz unter uns, ich möchte mir die Insel genauer ansehen, von der wir die beiden Schiffbrüchigen abholten … Mala Gura heißt das Eiland ja wohl … Und – stellen Sie jetzt eine Wache vor die Kammertür dieses Lomatz … Der Schwindler sollte doch an Bord bleiben … Ich möchte ihm auf Mala Gura beweisen, daß er gelogen hat …“

Der Milliardär schüttelte den Kopf. „Sie sind ein merkwürdiger Mensch, lieber Herzog … Sie ändern Ihre Ansichten im Handumdrehen … Vorhin wollten Sie Lomatz entschlüpfen lassen und jetzt …“

„Oh – –“ – Und Seine Hoheit lächelte geheimnisvoll – „ich passe nur meine Entschlüsse den Umständen an… Wären wir hier in Taxata längerer Zeit Gäste Armaros gewesen, so hätte ich eben diesen Lomatz, sobald er an Land gegangen wäre, durch meinen Dienern Baptiste verfolgen und beobachten lassen. Das ist nun unmöglich. Mithin muß Lomatz seine Kammer schon noch weiter bewohnen …“

Randercild schüttelte wieder den Kopf …

„Ein Phantast sind Sie, Herzog … Ein Mann mit romantischen Neigungen …“

„Gott, das Leben ist im allgemeinen so entsetzlich langweilig, daß ich froh bin, wenn ich mal etwas finde, was mich interessiert …“ Und sein leicht gebräuntes vornehmes Gesicht verzog sich wiederum zu einem seltsamen Lächeln …

 

116. Kapitel.

Der Sieg der Reinheit.

Der Geheimagent Alfonso Jimminez, jetzt ein treuer Anhänger des Grafen Gaupenberg, kam gerade am Palast des Präsidenten vorüber, als das große Luxusauto des Milliardärs vor der Freitreppe vorfuhr …

Josua Randercild hatte diesen Besuch aufs sorgfältigste inszeniert. Dem Auto fuhren zwei seiner Diener auf Motorrädern in Galalivree voran. Neben dem Chauffeur saß ein dritter Diener, der eine amerikanische Flagge größten Formats hoch emporhielt. Hinter dem Auto wieder folgten zwölf Matrosen der Jacht auf Fahrrädern.

Randercild und der Herzog waren im Frack. Seine Hoheit hatte Ordensschmuck angelegt, darunter auch das Goldene Vlies, den höchsten Orden der vergangenen österreichischen Herrlichkeit.

Und als die beiden Herren nun gerade das Auto verließen, fiel Randercilds Blick auf Jimminez, dessen kraftstrotzende Gestalt wohl geeignet war, die Augen auf sich zu lenken.

Der Milliardär stutzte …

Jimminez hatte ihn wiederholt in geheimer Mission als Beauftragter Armaros besucht. Und Randercild besaß ein vorzügliches Personengedächtnis.

Als der Agent ihn nun grüßte, winkte er ihn heran, reichte ihm die Hand …

„Wie geht’s, Sennor Jimminez … – Armaro gestürzt? Was tun Sie denn jetzt?“

„Ich – bleibe ehrlich, Sennor Randercild …“

„Brav so!“ lachte der kleine Herr. „Hat mich gefreut, Sie wiederzusehen …“ Er faßte an den spiegelblanken Zylinder und schritt dann neben dem Herzog die Treppe empor.

Jimminez wandte sich an den Chauffeur und begann mit ihm eine Unterhaltung. Er hatte vorhin eine große Jacht in den Hafen einlaufen sehen und wollte nun feststellen, ob es der ‚Star of Manhattan’ des bekannten Milliardärs gewesen.

Der Chauffeur und der Diener mit der Flagge ließen sich bereitwilligst mit Jimminez in ein Gespräch ein, da sie ja annehmen mußten, daß er ein guter Bekannter ihres Herrn sei.

Die Unterhaltung wäre von Jimminez wohl sehr bald abgebrochen worden, wenn nicht der Chauffeur so beiläufig die beiden Schiffbrüchigen alles einziges besonderes Erlebnis der Reise erwähnt hätte.

Kein Wunder, daß Jimminez aufhorchte, als der Name der Insel Mala Gura genannt wurde …

Unauffällig fragte er nach Einzelheiten …

So erfuhr er denn, daß der Schiffbrüchige sich Edgar Lomatz nenne und eine Indianerin bei sich gehabt habe.

Erfuhr auch, daß Mister Randercild diesen Lomatz jetzt bewachen lasse …

Nichts an Jimminez verriet, was in seinem Innern bei diesen unerwarteten Nachrichten vorging.

Lomatz lebte also …!

Lomatz hatte seinen Tod nur vorgetäuscht! Und die junge Indianerin konnte nur eine Aztekin sein …! –

Er verabschiedete sich jetzt von dem Chauffeur und dem Diener und schlenderte weiter, nahm aber an der nächsten Ecke ein Auto und ließ sich zur Villa Barrouph fahren.

Hier rüsteten die Insassen der Sphinx bereits zum Aufbruch. Um ein Uhr wollte man mit den Doppeldeckern aufsteigen …

Jimminez nahm Gaupenberg und Hartwich beiseite. In fliegender Hast teilte er ihnen die größten Neuigkeiten mit …

„Herr Graf,“ schlug er dann vor, „ich werde Sie unter diesen Umständen besser nicht begleiten, sondern Randercild bitten, mich auf seiner Jacht mitzunehmen … Irgendeinen Grund für diese Bitte ersinne ich schon noch. Es ist doch sehr merkwürdig, daß Randercild Lomatz gleichsam gefangen hält. Sollte der Milliardär etwas von dem Schatze ahnen? Sollte Lomatz geplaudert haben? – Wir müssen jedenfalls doch zu erfahren suchen, woran wir sind …“

„Allerdings …“ Und Gaupenberg drückte Jimminez warm die Hand. „Versuchen Sie Ihr Heil … Sie haben ganz recht, Lomatz’ Anwesenheit auf der Jacht beunruhig nicht genau so wie das Auftauchen der jungen Aztekin …“ –

Inzwischen hatte Präsident Juan Astarro die beiden Herren tatsächlich empfangen. Er hatte vorher die Meldung des Fregattenkapitäns Mandrio entgegengenommen und als guter Diplomat sich gesagt, daß er den Bogen nicht zu straff spannen dürfe. Er kannte die Amerikaner. Drei ihrer modernen Großkampfschiffe genügten, Taxata in einen Schutthaufen zu verwandeln.

Randercild und der Herzog wieder waren angenehm enttäuscht, in Astarro einen reinblütigen Spanier, wenn auch einen Patalonianer, begrüßen zu können.

Der Besuch nahm einen durchaus freundschaftlichen Verlauf. Randercild stellte einiges richtig, was aus seinem Briefwechsel mit dem Expräsidenten für ihn belastend erschien. Er hatte eine Anzahl Schreiben Armaros mitgebracht und bewies anhand dieser, daß er niemals auf Armaros betrügerische Vorschläge eingegangen sei.

Juan Astarro entschuldigte sich jetzt. Man tauschte Händedrücke aus, und die Sache war erledigt … –

Als Randercild mit dem Herzog das Auto wieder bestieg, präsentierte die Palastwache vor der amerikanischen Flagge …

Der Milliardär war zufrieden …

„Herzog, was sagen Sie nun?!“ lachte er vergnügt. „Ja – die Zähne muß man zeigen – oder die Hörner! Mit weichlichem Gewinsel imponiert man niemandem …!“ –

Und als das Auto dann gerade davonfahren wollte, trat Jimminez rasch an den Kraftwagen heran …

„Mister Randercild, ich hätte eine Bitte …“

Der Angesprochene schob den Zylinder ins Genick …

„Nun? Reden Sie …“

„Mir gefällt es hier nicht mehr. Würden Sie mich in Ihre Dienste nehmen, Mister Randercild.“ Er zeigte auf einen Koffer neben sich. „Da – ich bin reisefertig …“

„Ah – Sie rechneten mit einer Zusage meinerseits?“

„So ist’s …“

„Gut – kommen Sie an Bord meiner Jacht … Sie sind brauchbar. In einer halben Stunde gehen wir in See …“

Jimminez dankte. Das Auto fuhr davon.

Und als der ‚Star of Manhattan’ den Hafen verließ, stiegen vom Flugplatz des Fliegerbataillons drei Doppeldecker auf und ließen die Jacht sehr bald hinter sich zurück. – –

Und – auf der Sphinx, die vor etwa elf Stunden ihren nächtlichen Weg gen Osten genommen?

Auf der Sphinx öffnete jetzt Manuel Pasco, der riesige Neger, die Tür der Kabine, in der Agnes Sanden bewußtlos auf dem Bastteppich lag …

Bewußtlos – umgesunken von namenlosem Entsetzen, als sie gemerkt hatte, daß der Schreck vor dem wilden Gesicht des Negers ihr die Sprache geraubt hatte …

So fand dieser Neger sie nun vor, dem Mafalda mit so abstoßender Gefühllosigkeit erklärt hatte: ‚Ich schenke sie dir …!!’

Manuel Pasco warf einen seltsamen Blick auf das blonde junge Weib und riegelte dann die Tür von innen ab.

Er war mit Agnes allein. Sie war ihm verfallen. Sie konnte nicht einmal um Hilfe rufen, wenn ihr das auch nicht viel genützt hätte.

Der Schwarze stand und betrachtete sie …

Wenn Mafalda geahnt hätte, wie falsch es von ihr gewesen, diesen Riesen zum Verrat, zum Ungehorsam gegen Armaro aufzuwiegeln, dann würde sie ihrem unersättlichen Haß gegen Agnes wohl ein anderer Art der Befriedigung gegeben haben.

Sie hatte sich in Manuel Pasco gründlich verrechnet. Ihre Heimtücke Armaro gegenüber hatte ihn nachdenklich gestimmt. Er glaubte ihr nicht mehr. Nichts glaubte er ihr … nichts von den Versprechungen großer Reichtümer – – nichts! Und deshalb bereute er auch bereits, diese blonde Fremde aus der Villa des Amerikaners geraubt zu haben. Er wußte nun, daß es mit Armaros Macht und Ansehen endgültig vorüber, daß Armaro ein Flüchtling war, der ihn gar nicht mehr vor den Folgen dieses Mädchenraubes schützen könnte.

Sollte er also hier diesem ersten Verbrechen noch ein neues hinzufügen? Konnte er voraussehen, ob man ihn nicht schon des ersten wegen vor Gericht stellte?!

Es war bei Manuel Pasco also nicht etwa das hehre Gefühl des Mitleids und der Ehrfurcht vor weiblicher Reinheit, das ihn dazu bestimmte, seine wilden Instinkte zurückzudrängen. Nein, es war nur die primitive vorsichtige Schlauheit eines Menschen, der die Vergeltung fürchtete, der außerdem aber auch eine so gemeine Hinterlist, wie Mafalda sie verraten, gründlich verachtete. Immerhin also doch Zeichen eines Charakters, der hoch über dem der Fürstin stand. –

Manuel bückte sich, hob Agnes empor und trug sie auf das schmale Bett.

Der zarte Leib, eingehüllt in den dünnen seidenen Schlafanzug, erschien dem Neger wie ein zerbrechliches Spielzeug …

Er schüttelte den Kopf … Dies weiße Mädchen sollte seine … Geliebte werden?! Oh – die wäre in seinen Armen gestorben!

Und ein langsames Begreifen kam ihm da, wie unsagbar die Fürstin diese Blonde hassen müße … – Von diesem Begreifen bis zu einer ersten Regung des Mitleids war’s nur ein kurzer Schritt …

Manuel Pasco stand noch immer in tiefem Sinnen neben dem Lager der Unglücklichen, deren rührende Schönheit selbst auf ihn ganz allmählich einen starken Eindruck machte.

Gerade weil Agnes Sandens Liebreiz von ganz besonderer Art war, gerade weil sich in diesem Antlitz edle Weiblichkeit mit madonnenhafter Reinheit paarte, dachte der Neger unwillkürlich an die Muttergottesbilder in der Kathedrale von Taxata …

Und so wuchs aus dieser ersten Regung weicheren Empfindens, des Mitleids, ein anderes Gefühl mit empor, das einer scheuen Ehrfurcht vor diesem lebenden Wunderwerk göttlicher Schöpferkraft. – Auf seine Art war Manuel Pasco ja ein frommer Christ – auf seine Art … Und doch genügte dies geringe religiöse Denken hier bei ihm zu einem völligen Umschwung seiner tiefinnersten Gedanken.

Er ging jetzt zu dem kleinen Waschtisch der Kabine und feuchtete ein Handbuch an, legte es Agnes auf die Stirn und tastete dann nach ihrem Puls … Nickte zufrieden … Das Herz schlug kräftig …

Er wartete. – Nicht lange, und Agnes regte sich, die Augenlider zitterten, hoben sich …

Mangel wußte, daß sein Anblick neues Entsetzen bei der soeben Erwachten hervorrufen würde. So hielt er sich mehr im Schatten des Hintergrundes, sagte leise, jedes Wort betonend:

„Sennorita, fürchten Sie nichts … Ich werde Sie schützen … Haben Sie keine Angst vor mir … Ich weiß jetzt, wie sehr die Fürstin Sie haßt, und ich bedauere es, daß ich mich verleiten ließ, Sie zu entführen …“

Agnes verstand jedes Wort. Sie horchte auf … In dieser rauhen Stimme lag etwas wie Hilflosigkeit und Sorge, daß sie vielleicht seinen Worten nicht trauen könnte …

Matt wandte sie den Kopf, sah nun den Schwarzen, erschrak, beruhigte sich aber sofort wieder, als sie in seinen Augen einen geradezu demütigen und flehenden Ausdruck gewahrte …

Dann aber kehrte ihr mit grausamster Klarheit die Erinnerung an die letzten Minuten vor ihrem jähen Umsinken, vor dem Schwinden des Bewußtseins zurück …

Sie setzte sich mit einem Ruck aufrecht, preßte die Hände gegen die Schläfen, als wollte sie diese entsetzlichen Gedanken von ihrem wirren Hirn fernhalten …

Und eine furchtbare Frage war’s, die immer von neuem sich vordrängte: ‚Habe ich denn wirklich die Sprache verloren?! Bin ich wirklich stumm?!’

Unter dem Übermaß von Verzweiflung und folternder Angst stürzten ihr heiße Tränen aus den Augen. –

Manuel Pasco stand da und schnitt allerlei Grimassen vor Verlegenheit und Reue … Und abermals sagte er, seine Stimme zu weichen Tönen ohne rechten Erfolg zwingend:

„Sennorita, fürchten Sie nichts … Ich schütze Sie … Ich …“

Der tränenverschleierte, jammervolle Blick des blonden Mädchens ließ ihn verstummen …

Und er sah, wie ihre Lippen sich öffneten, sich bewegten … Hörte nur röchelnde Laute – kein verständliches Wort …

Die Wahrheit ging ihm da auf …

Und auch ihnen packte das Entsetzen – über sich selbst … Er – er hatte die blonde Sennorita der Sprache beraubt … Er wußte, daß ein übergroßer Schreck diese unheilvolle Wirkung haben konnte … Er fühlte sich schuldig, und in seiner bisher nur von halb tierischen Instinkten herrschten Seele schwand auch der letzte Rest der harten Schlacken ererbter Brutalität und Gemütsroheit …

Zögernd trat er näher …

Noch hilfloser als bisher flüsterte er:

„Sennorita, ich … ich bereue … Sennorita, alles … wird wieder gut werden … Sie werden die Sprache wiederfinden …“

Und in seinem Bestreben, die Ärmste zu trösten, sagt er nun lebhafter:

„Sennorita, ein Kamerad von mir wurde von einer Riesenschlange angefallen … Sie ringelte sich um seinen Leib … Ein anderer schlug der Schlange den Kopf ab … Doch der Kamerad war stumm geworden und blieb es, bis er nach einer Woche sein Abenteuer mit der Anakonda nochmals im Traum durchmachte … Und vor Angst schrie er da – schlafend, im Traum um Hilfe … – Sennorita, verzagen Sie nicht … Wer nicht stumm geboren ist, wird stets wieder geheilt werden.“

Agnes fühlte, daß dieser Neger jetzt ein anderer geworden. Seine Worte blieben nicht ohne Einfluß. Ihre Tränen versiegten …

Und plötzlich sah sie in diesen Worten des Schwarzen einen geheimnisvollen Doppelsinn … Eine Schlange, die einen Menschen umstrickte: Mafalda und sie selbst! – Und jemand, der dann dieser Schlange den Kopf abschlug: ein Retter!

Nachdenklich schaute sie zu Manuel Pasco empor … Sein Gesicht hatte jetzt für sie nichts Abstoßendes mehr …

„Versuchen Sie zu schlafen, Sennorita …,“ flüsterte der Neger … „Ich lasse Sie allein … Den Türschlüssel nehme ich mit … Ich werde Sie schon bewachen …“ – Er war glücklich, weil Agnes vor ihm nicht mehr zurückschrak, obwohl er diese Versicherungen mit eindrucksvollen leicht mißzuverstehenden Gesten begleitete …

Agnes nickte ihm zu. Und ohne Heuchelei oder irgendwelche Berechnung streckte sie ihm nun die schmale Hand hin. Sie empfand mit vollster Gewißheit, daß dieser schwarze Riese es ehrlich meinte, daß seine Reue ebenso ehrlich war.

Zaghaft nur legte Manuel seine schwarze Pranke um die zerbrechlichen Fingerchen …

Eine ungeheure Freude, daß die Sennorita ihn nicht verachtete und seine Hilfe nicht zurückwieß, brachte nur ein Gestammel über seine dicken Wulstlippen …

Dann schlich er hinaus, zog die Türe zu, schloß ab und steckte den Schlüssel in die Tasche …

Stand nun im Mittelgang und sann – sann vor sich hin … Betrat die Kabine seiner Kameraden, die sich bereits niedergelegt hatten und fest schliefen. Ihre Karabiner und Revolver hatten sie auf den Mitteltisch gelegt, ebenso die Patronentaschen. Lautlos zog er mit den Zähnen aus den Patronen die Nickelmantelgeschosse heraus und schüttelte das Blättchenpulver auf ein Stück Papier. Die Kugeln stieß er nachher wieder in die Hülsen hinein. Das Pulver aber nahm er mit sich. Nun konnte nur noch er selbst von seinen Schußwaffen Gebrauch machen. Sein Karabiner und Revolver lagen in Agnes’ Kabine.

Er ging in den Führerstand. Mafalda war jetzt hier allein. Armaro hatte sich in eine der Heckkabinen zurückgezogen, um zu ruhen.

Die Fürstin saß vor den Schalttafeln, rauchte Zigaretten, noch immer mit dem Männeranzug bekleidet, den sie bei dem nächtlichen Gang zur Villa Barrouph getragen.

Mit einem Lächeln, das die ganze Schamlosigkeit ihrer Seele enthüllte, empfing sie den riesigen Neger …

Manuel blickte sie finster an … Das Heucheln wurde ihm schwer …

„Nun?!“ fragte Mafalda mit einiger Spannung, da des Negers Miene ihr nicht recht behagte. „Wie bist du mit meinem Geschenk zufrieden?“

Pasco hob die Schultern … Das war seine einzige Antwort. Er fürchtete, sich zu verraten, wenn er den Mund auftat … Es zuckte ihm in den Fingern, diesem Weibe da an die Kehle zu fahren …

„Das Schäferstündchen war wohl nicht ganz nach deinem Geschmack!“ lachte Mafalda, und in ihren Augen war wieder das böse Flimmern endlosen Hasses…

Pasco machte eine kurze Handbewegung …

Wieder lachte die Fürstin …

„Sie wird schon zärtlicher werden, die blonde Madonna … Warte nur ab …“

Der Neger starrte vor sich hin …

Hätte Mafalda seine Gedanken erraten können, würde ihr wohl dieses Lachen befriedigten Hasses vergangen sein. – Manuel hob den Kopf …

„Sennorita müssten doch auch ein wenig schlafen,“ meinte er scheinbar harmlos. „Wenn Sennorita mir nur einigermaßen Bescheid sagen, wie die Sphinx gesteuert werden muß, werde ich damit schon fertig … Ich war ein halbes Jahr zum Fliegerbataillons abkommandiert …“

Ein unbestimmtes Mißtrauen regte sich da plötzlich in der schlauen Seele der Abenteurerin. Dieser Neger gefiel ihr immer weniger. – Anderseits war es jedoch wohl ausgeschlossen, daß er etwa Agnes geschoben haben sollte … Der Kerl war doch nur ein Tier … Und sie kannte die Sinnengier der Bevölkerung Taxatas nur zu gut. Die heiße Sonne stachelte dort alle Lüste bis zur Tollheit an …

Prüfend durchforschte sie die groben brutalen Züge des Schwarzen …

Und Manuel spürte dieses Mißtrauen. Er merkte, daß er einen schweren Fehler begangen hatte, als er den Fragen dieses Weibes auswich …

Da … grinste er – – wie verschämt …

Knetete wie verlegen die Hände …

Mit einem Male war auch in ihm der Komödiant erwacht …

Mafalda lächelte, ließ sich täuschen. Sie glaubte diesen Riesen nun zu verstehen …

„Gut, Manuel, – tritt näher …,“ meinte sie freundlich. „Du kannst doch lesen?“

„Gewiß, Sennorita …“

„Hier – die Schildchen der Hebel und Räder haben lateinische Aufschriften …“

Sie erklärte ihm die Bedeutung der Apparate. Pasco paßte sehr genau auf. Er war nicht dumm. Er hatte hier an Bord in einer kurzen Spanne Zeit gelernt, seine Gedanken zu konzentrieren …

Er wiederholte dann alles, was die Fürstin ihm angegeben hatte, und Mafalda erkannte, daß sie ihm die Führung der Sphinx wohl überlassen dürfe. Nur nach den Motoren wollte sie noch einmal sehen, bevor sie sich niederlegte.

So ging sie denn die kleine Eisentreppe hinab in den Maschinenraum, prüfte die Schmierölbehälter, die angeschlossenen Benzintanks, fühlte, ob die Stahlwellen der Propeller sich auch nicht heißgelaufen hätten.

Nein – alles war Ordnung …

So stieg sie denn wieder nach oben und betrat die Kabine neben der, die Armaro für sich belegt hatte.

Sie war müde und abgespannt. Sie fühlte jetzt erst recht, wie sehr ihr der Schlaf fehlte. Und sie mußte doch frisch sein für das, was dort auf Christophoro zu erledigen war.

Langsam warf sie den Männeranzug ab … Und auch heute wie stets vergaß sie nicht, ihrem Körper die Wohltat einer kühlen feuchten Abreibung zukommen zu lassen …

Der hohe Spiegel des Wandschrankes zeigte ihr das wunderbare Ebenmaß ihrer Glieder …

Ihr Leib war ihre Macht … Ihr leidenschaftliches Gesicht das Zaubermittel, mit dem sie die Männer zu Sklaven machte …

Ein flüchtiger Gedanke galt jetzt dem jungen, törichten Menschen, der sie als letzter besessen … Dort auf der Sumpfinsel in den Urwäldern von Saltiporto … – Richtig, – Giacomo hatte der Schwärmer sich genannt … Ein so weicher Name … Und ein weichlicher Schwächling war’s gewesen, wenn auch nicht in der Liebe … Umsonst würde Giacomo nach Caracas reisen, wo sie sich angeblich mit ihm hatte treffen wollen …

Sie ahnte nicht, daß Giacomos zerquetschter Leib in Decken gehüllt im Moorbooden der Insel ruhte, daß eine andere Art von Schlange als sie selbst den armen blinden Verräter bestraft hatte … –

Nochmals ließ sie das feuchte Tuch über ihre weißen Glieder gleiten. Dann schaltete sie das Licht aus, horchte einen Augenblick auf das nimmermüde Arbeiten der Motoren und wollte gerade in das schmale Bett schlüpfen, als sie etwas wahrnahm – etwas, worauf nur einer Mafalda Sarratow nimmermüde Wachsamkeit achtete …

Es war dunkel in der kleinen Kabine. Nur ein winziger heller Punkt war dort an der einen Seite der Tür zu bemerken, das Schlüsselloch, das durch die draußen im Mittelgang brennende Lampe beleuchtet wurde.

Und dieser helle Punkt war plötzlich verschwunden … Als ob die Lampe im Gang erloschen wäre … –

Mafalda stand regungslos …

Sie hatte sich im Moment zusammengereimt, daß dort draußen jemand vor der Kabinentür halt gemacht habe und den Lichtschein der Lampe absperre …

Da – wurde das Schlüsselloch auch schon wieder hell …

Nun – – hatte die Fürstin Gewißheit … Nun wußte sie, daß im Gang jemand umherschlich … – Wer nur – wer?! – Die drei Kameraden Manuels schliefen … Auch Armaro schlief … Und Manuel würde den Führerstand kaum verlassen haben … Also – blieb nur Agnes übrig … Ob Manuel das Mädchen etwa nicht einegesperrt, die Tür nicht verschlossen hatte?!

Mafalda warf rasch im leichten Mantel über, den sie noch auf San Miguel von dem Maultierzüchter Rovenna erhalten …

Auf nackten Sohlen huschte sie zur Tür … öffnete ganz langsam – spähte hinaus … Und erwarte gerade noch eine Gestalt, die jetzt durch die kleine Pendeltür nach den vorderen Kabinen zu verschwand …

Das war nicht Agnes Sanden gewesen …! Das – war ein Mann – ein Fremder …! Ein schlanker mittelgroßer Mensch im Sportanzug …

Mafalda wartete, überlegte …

Dann holte sie ihren kleinen Revolver, entsicherte die Waffe … –

Gipsy Maad aber, die Detektivin, eilte weiter – von Tür zu Tür – überall durch die Schlüssellöcher spähend, stets bereit, bei dem geringsten Anzeichen von Gefahr in einer der leeren Schiffskammern sich zu verbergen …

Gipsy Maad suchte Agnes Sanden …

 

117. Kapitel.

Die gelbfahlen Trichter.

Es hatte einen kleinen Kampf zwischen Ellen Barrouph und ihrem Vater gekostet, bis dieser sich erweichen und sein kaum wiedergefundenes einziges Kind abermals von dannen ziehen ließ.

„Ich gehöre Georg, und Georg gehört zur Sphinx,“ hatte Ellen immer wieder erklärt. „Ich will dabei sein, wenn wir die Sphinx zurückgewinnen …“

Seufzend hatte John Barrouph schließlich zugestimmt.

Der Abschied von den Eltern war Ellen trotzdem sehr nahe gegangen. Und als letzte der Mitreisenden gelangten Georg und Ellen dann mit einiger Verspätung zum Flugplatz, wo die drei Doppeldecker schon bereitstanden.

Den einem bestiegen Detektiv Jakob Worg, Doktor Falz und Pasqual Oretto. Im zweiten nahmen Gaupenberg, Gottlieb mit seinem Teckel und Mela Platz. Der dritte wieder trug Ellen, Georg und die drei Homgoris von dannen. Jedes Flugzeug wurde nur von einem farbigen Mechaniker geführt.

Dicht hintereinander strebten nun die drei Riesenvögel dem offenen Meere zu. Unter ihnen aber dampfte des Milliardärs Randercild prachtvolle Turbinenjacht denselben Kurs, konnte es jedoch trotz ihrer großen Geschwindigkeit mit den Doppeldeckern nicht aufnehmen.

Die Flugzeuge bewegten sich in etwa dreihundert Meter Höhe und den Abständen von etwa hundert Meter vorwärts.

Das vorderste war das, in dem Doktor Falz, Pasqual und Worg sich befanden. Die drei Männer hatten rasch miteinander Freundschaft geschlossen, wie dies bei geraden aufrechten Naturen, die einander richtig einzuschätzen wissen, stets der Fall sein wird.

Sie saßen in der recht engen Kabine der Gondel und besprachen die Aussichten des immerhin gefährlichen Unternehmens. Galt es doch, auf Christophoro zu landen, ohne daß die jetzigen Besitzer der Sphinx dies gewahrt würden.

Worg war recht zuversichtlich.

„Die Fürstin wird Fräulein Sanden kaum ein Leid antun,“ meinte er mit einer verachtungsvollen Handbewegung. „Sie wird es auch dann nicht wagen, falls wir wirklich vorzeitig entdeckt werden sollten. Sie weiß, daß auch sie dann verloren wäre …“

Pasqual Oretto strich seinen grauen Schifferbart …

„Sie kennen das Weib nicht,“ sagte er ernst. „Und Sie übersehen, daß Mafalda Agnes töten und doch fliehen kann, da sie ja die Sphinx zur Verfügung hat.“ – Und in noch ernsterem Tone fügte er hinzu: „Außerdem dürften wir guttun, jener dort von Osten heraufziehenden Wolkenwand auszuweichen …“ Und er streckte den Arm zum kleinen Kabinenfenster hinaus … „Diese Wolkenbildung mit den schwefelgelben Rändern kenne ich als alter Seemann nur zu gut … Das gibt Gewitter und Wirbelsturm, und so, wie unser Kurs ist, laufen wir dem Unheil gerade entgegen. Ich schlage vor, wir weichen nach Norden aus… Ich werde mal mit den Winkerflaggen Gaupenberg auf die Gefahr aufmerksam machen.“

Worg blickte scharf gen Osten. Auch ihm gefiel die schwarze Wolkenwand nicht, die wie ein Gebirge am Horizont lag und langsam höher kroch …

Doktor Falz dagegen lehnte regungslos in dem leichten Schiffsstuhl …

Während Oretto nun die Leiter zum Deck emporstieg und den Oberkörper zur Luke hinausschob, um so mit den Flaggen zu signalisieren, schaute Jakob Worg den Doktor mehrmals prüfend an.

Er, der die Insassen der Sphinx erst im Taxata kennengelernt hatte, wußte nichts von den Geheimnissen, die an einigen dieser Verteidiger des Goldschatzes wie ein dunkles Verhängnis hafteten, ahnte auch nichts von Doktor Falz’ weit über jedes Menschentum hinausragenden unheimlichen Fähigkeiten.

Er war erstaunt über die Starrheit der Züge dieses Mannes, dem all die anderen stets mit so großer Achtung begegneten. Er war auch beunruhigt durch den seltsamen Glanz, der in den Augen des Doktors wie überirdisches Leuchten hinter den Brillengläsern mit einem Schimmer völligen Weltentrücktseins immer stärker aufglomm …

„Was … ist Ihnen?“ fragte er stockend …

Keine Antwort …

Lauter noch wiederholte er die Frage …

Und Doktor Falz blieb wieder stumm, hatte nun den seltsamen Blick emporgerichtet zur gewölbten Kabinendecke und bewegte zuckend die Lippen …

Ein deutlich erkennbarer Ausdruck tiefster Trauer erschien auf seinem Gesicht …

Seine Lippen formten ein einziges Wort:

„Agnes – –!“

Und er sprach es aus, als ob er alles Mitleid, dessen sein gütiges Herz fähig, in diesen einen Aufdruck hineinlegen wollte … –

Jakob Worg, bewandert auf allen Gebieten, merkte jetzt endlich, daß er hier einen Menschen vor sich hatte, der im Zustande ungewollter Selbsthypnose Visionen schaute …

Er verhielt sich daher völlig still.

Gerade als Pasqual Oretto dann wieder die Leiter herabkam, schloß der Doktor mit hörbarem Seufzer die Augen und ließ den Kopf wie ermattet sinken.

Pasqual warf ihm einen eigentümlichen Blick zu, machte Worg verstohlen ein Zeichen und sagte recht laut:

„Gaupenberg will nichts davon wissen, daß wir dem Unwetter ausweichen … Ich halte das für einen großen Leichtsinn …“

Da öffnete Falz die Augen und meinte in versonnenem Ton:

„Freund Pasqual, man muß hinnehmen, was einem beschieden ist … Wir nähern uns der Quelle alles Unheils: dem … Golde!“

Der Taucher schloß die Deckluke und setzte sich.

„Hinnehmen – gewiß!“ nickte er bedächtig. „Nur soll man nicht freventlich das Schicksal herausfordern, und das tut der Graf jetzt in seiner Angst um Agnes … Er kann nicht schnell genug nach Christophoro kommen … Und deshalb – kommen wir vielleicht überhaupt nicht hin!“

Worg hatten jetzt die Stirn gerunzelt …

„Oho – hier habe ich zu befehlen, nur ich!“ rief er … „Mir hat der Präsident die Doppeldecker zur Verfügung gestellt. Mir gehorchen die Monteure. Den Weg, den unser Führerflugzeug einschlägt, nehmen auch die beiden anderen …“

Und er sprang auf und ging nach vorn, verständigte sich mit dem Lenker der Flugmaschine …

Der Doppeldecker bog dann plötzlich nach Norden ab.

Doktor Falz saß wieder recht teilnahmslos da und beobachtete durch den schmalen vorderen Sehschlitz die beiden anderen Luftfahrzeuge.

Worg fluchte …

„Sie folgen uns nicht! Der Graf hat seinen Kopf für sich …!“

Es stimmte, der zweite Doppeldecker, in dem sich Gaupenberg befand, und auch der dritte mit Georg und Ellen an Bord hielten weiter nördlichen Kurs.

Nicht lange jedoch.

Denn Steuermann Hartwich, der das Signalisieren zwischen Pasqual und dem Grafen durch ein Fernglas mit abgelesen hatte, widmete jetzt eine Weile ausschließlich seine Aufmerksamkeit dem immer bedrohlicheren Horizont, wandte sich dann an Ellen …

„Wir müssen Viktor unbedingt veranlassen, daß auch unsere Flugzeuge nach Norden ausweichen,“ meinte er in einem so ernsten Tone, daß Ellen unwillkürlich aufblickte … „Jene Wolkenbildung verrät Wirbelstürme … Sie sind in dieser Meeresgegend selten. Treten Sie aber einmal auf, so ist jedes Schiff verloren, das in einem solchen Taifun gerät …“

Und hastig eilte er zur Luke, klappte sie hoch, ließ sich von Ellen die Flaggen reichen und begann zu signalisieren …

Drüben erschien Gaupenbergs Oberkörper … Der erste Doppeldecker war nur noch als Punkt zu erkennen …

Hartwich erreichte es dann auch wirklich, daß der Freund der dringenden Warnung nachgab …

Beide Flugzeuge schwenkten herum …

Georg war oben auf der Eisenleiter geblieben. Die scharfe Zugluft pfiff ihm singend um die Ohren…

Voller Besorgnis schaute er nach rechts, wo die Wolkenwand jetzt mit rapider Schnelligkeit sich ausdehnte, einer Rauchwolke vergleichbar, die einen kurzen Riesenschornstein mit großer Kraft entströmt und vom Winde nach beiden Seiten auseinandergetrieben wird, ohne dabei ihre Dichtigkeit und Schwärze zu verlieren …

Die gelbfahlen Ränder hatten jetzt ebenfalls ganz merkwürdige Formen angenommen und zogen sich gleich ungeheuren Trichtern zum Meere hinab.

Und diese Trichter wanderten mit derselben Geschwindigkeit vorwärts – wie eine dicht gedrängte Schar von unförmigen Giganten, deren Marsch über den Ozean hin nichts mehr aufhalten konnte …

Soeben hatte die Sonne noch geschienen. Jetzt war sie verschwunden. Die Dunkelheit wuchs zusehends.

Georg spähte vergebens nach dem Doppeldecker des Freundes aus. Die Finsternis hatte das Flugzeug bereits verschluckt.

Da zögerte der Steuermann nicht länger … Hier gab’s nur noch eine Möglichkeit der Rettung, zurück zur südamerikanischen Küste – zurück, woher man gekommen, also Flucht vor dem Taifun.

Er eilte nach vorn zu dem Führer der Maschine. Und sschon bog der Doppeldecker nach Westen ein, stieg höher und höher … Vielleicht daß in den oberen Regionen Ruhe herrschte …

Und doch – das Unwetter war schneller …

Bleich und verstört sah Ellen von hinten zu beiden Seiten die gelbfahlen Giganten näher und näher rücken.

Sie hielt Georg umschlungen …

Und neben ihnen standen gleichgültig und ohne rechtes Bewußtsein der unheimlichen Gefahr die drei Affenmenschen …

Murat, der zottige Goliath, kaute behaglich eine Banane …

Erst als das Flugzeug jetzt von einem übermächtigen Luftwirbel hochgerissen wurde und dann wieder pfeilschnell nach unten sackte, als die fünf hier in der Kabine durcheinandergeworfen wurden und Ellens heller Angstschrei von einem gewaltigen Krachen übertönt wurde, – erst da schien auch den Homgoris der furchtbare Ernst der Lage aufzugehen …

Jeder klammerte sich jetzt fest, wo er gerade einen Halt fand …

Der Doppeldecker war ein Spielzeug der Naturgewalten geworden …

Stieg – sank – taumelte – überschlug sich …

Bis einer der Riesentrichter, eine Wasserhose von fast hundert Meter Höhe, das Flugzeug von der Seite im Vorwärtsstürmen traf und im gleichen Augenblick in sich zusammenstürzend das winzige Menschenwerk unter sich begrub …

Ellen Barrouph hielt sich an Georgs Armen fest … Und als nun das Wasser in breiten Strömen in die Kabine hineinschoß, suchten ihre Lippen zum Abschiedskuß den Mund des Geliebten … – –

Die Jacht ‚Star auf Manhattan’ war kaum eine halbe Stunde unterwegs, als Alfonso Jimminez, der bisher mit Mister Josua Randercild und dessen Gästen im Salon gesessen und den Herren seine letzten Erlebnisse berichtet hatte, den Milliardär bat, ihn jetzt für einige Stunden zu entschuldigen, da er unbedingt den versäumten Nachtschlaf nachholen müsse.

Mit einer Verbeugung verabschiedete er sich, verließ den Salon und begab sich scheinbar nach seiner Kabine, die die letzte rechter Hand im Mittelschiff war.

Absichtlich hatte er den Obersteward gebeten, ihm diese Kabine zuzuweisen, denn – das behielt er für sich – von hier aus konnte er am schnellsten und unauffälligsten durch den Gang zu den Bade- und Küchenräumen ins Vorschiff gelangen …

Diesen Weg nahm er denn auch jetzt und befand sich nun vorn im Mannschaftslogis. Er wußte, daß Lomatz’ Kammer nicht mehr bewacht wurde, durfte also hoffen, den einstigen Kameraden unbemerkt aufsuchen zu können.

Und doch – er hatte Pech …

Plötzlich kam, gerade als er dicht vor Lomatz’ Kabinentüren war, von der anderen Seite der Herzog von Dalaargen daher …

Jimminez spielte den Unbefangenen …

„Ich suche einen Steward, Hoheit,“ meinte er gelassen. „Ich möchte noch ein Bad nehmen, bevor …“

„… bevor Sie Lomatz Ihre Visite machen?!“ lächelte der Herzog ein wenig ironisch. „Das können wir zu zweit tun, Sennor Jimminez …“ Er dämpfte seine Stimme … „Der Chauffeur Mister Randercilds hat mir nämlich erzählt, daß Sie sich so sehr eingehend nach Lomatz erkundigt haben, und deshalb nehme ich an – Sie kennen ihn …“

Jimminez schüttelte den Kopf …

„Hoheit irren sich … Der Name ist mir fremd …“

„So?! – In einer englischen Zeitung las ich noch vor wenigen Tagen eine recht merkwürdige Geschichte … Da sollen in Deutschland auf dem Schlosse des Grafen Gaupenberg zwei Abenteurer und eine sehr elegante Hochstaplerin, eine Fürstin Sarratow, ein Gastspiel gegeben und versucht haben, dem Grafen ein Luftboot zu … stehlen … Sphinx soll es heißen … Genaueres weiß man darüber nicht … Nur die Namen der Abenteurer nannte jener Artikel: Edgar Lomatz und Alfonso Jimminez …!“

„Nun gut, Hoheit … Es ist richtig, ich war damals Lomatz’ Verbündeter … Jetzt aber bin ich ein treuer Anhänger des Grafen, der …“

Da stockte er … Er wollte nicht zu viel verraten … Er merkte ja, die Sphinx und der Goldschatz waren in der Öffentlichkeit doch noch unbekannt geblieben. Nur Gerüchte schienen umherzuschwirren …

Fredy Dalaargen lächelte wieder …

„Sprechen Sie nur weiter, Sennor Jimminez … In dem Artikel waren auch allerhand Vermutungen erwähnt, die sich mit dem Grafen, seinem Freunde Hartwich, der Sphinx und einem ungeheuren Goldschatz beschäftigten. Ein portugiesischer Spelunkenwirt soll über den Schatz Andeutungen gemacht haben – ein gewisser Don Porfirio Estremaldo, der am Junto-Berge eine Schmugglerkneipe besitzt …“

Jimminez blickte zu Boden …

„Hoheit – verzeihen Sie, über diese Dinge spreche ich nicht …“

„Brauchen Sie auch nicht … – Vorwärts, besuchen wir Edgar Lomatz …“

Und der Herzog trat vor, öffnete die Tür … –

Lomatz lag auf seinem Bett und rauchte. Die Aztekin saß an dem kleinen runden Fenster und schaute traurig über den wogenden Ozean in die endlose Ferne.

Lomatz sprang empor, als er den Herzog erkannte …

Und wie nun auch der Riese Jimminez hinter diesem sichtbar wurde, da … fiel der Verbrecher, jäh zurücktaumelnd, halb auf das Bett … raffte sich wieder empor …

Der Herzog schloß die Tür, sagte ganz freundlich:

„Herr Lomatz, wir wollen uns der deutschen Sprache bedienen, deren Ihre Geliebte wohl kaum mächtig ist … Sie sehen hier einen alten Freund vor sich, Herrn Jimminez, der Sehnsucht nach Ihnen hatte. Auch ich fühle mich zu Ihnen hingezogen, freilich aus anderen Gründen … Wir hatten hier einen alten Matrosen namens Jack Evans an Bord, einen Buckligen, der vorhin in Taxata desertiert ist … Es weint ihm niemand eine Träne nach. Dieser Evans bot mir nun einen Edelstein zum Kauf an, ein sehr seltenes Stück … Er behauptete, den Stein von Ihnen geschenkt erhalten zu haben. Ich kaufte den Diamanten … – Haben Sie vielleicht noch mehr solcher Raritäten …?“

Jimminez stierte auf den Edelstein, den der Herzog jetzt in der flachen Hand hielt … Eine Ahnung ging in ihm auf, daß der Diamant nur aus der Schatzkammer König Matagumas stammen könnte …

Lomatz – – war fahl geworden … Eine ungeheure Hilflosigkeit zeigte sich in seinem verzerrten Gesicht, und geifernd sprudelte er hervor:

„Evens ist ein elender Lump! Und dem Kerl habe ich vertraut …!“

Um des Herzogs Mund zuckte es ironisch …

„Dja, Herr Lomatz, – ein Lump soll dem anderen nie trauen …! – Also – wie ist’s? Können wir noch ein Geschäft abschließen? Haben Sie noch mehr Edelsteine?“

„Nein …“

„Soso … Merkwürdig – man verschenkt etwas derart Wertvolles doch nur, wenn man davon die Hülle und Fülle besitzt … – Besinnen Sie sich mal recht genau … Vielleicht fällt Ihnen doch noch ein, daß Sie ein paar dieser schönen Kiesel bei sich haben, – – bevor wir Sie und die Kabine durchsuchen …“

Lomatz hatte bereits einen Entschluß gefaßt. Er und das Geheimnis des goldenen Berges waren … verloren, wenn er hier nicht geschickt den Kopf aus der Schlinge zog …

Bevor er jedoch noch antworten konnte, geschah etwas anderes …

Im Schiffsgang draußen schrillte die Pfeife eines Offiziers der Jacht …

Die freie Wache stürzte aus dem Logis heraus … Die Stimme des Offiziers war deutlich zu verstehen:

„Die Decks klar gemacht! Ein Taifun naht … Eilt euch, Burschen …! Es geht vielleicht ums Leben.“

Gleichzeitig fast begann die Jacht schwer zu stampfen. Sie hatte gewendet, floh vor dem Unwetter, das ganz überraschend aufgezogen war und mit unheimlicher Schnelligkeit nahte …

Die Doppeldecker freilich hatten die schwarze Wolkenwand mit dem gelbfahlen Trichter weit früher bemerkt, weil sie aus so großer Höhe den Horizont besser hatten überschauen können. Für den ‚Star auf Manhattan’ dagegen kam das Unheil völlig unvermutet. In kaum zehn Minuten war der Himmel über der Jacht pechschwarz … Und die starke Sättigung der Luft mit Elektrizität zeigte sich jetzt in Gestalt von zahlreichen St. Elmsfeuern an allen Spieren und Rahen … –

In Lomatz’ Kabine nahm die Unterredung nun einen ganz anderen Verlauf …

„Die Diamanten her!“ sagte der Herzog hastig. „Ich bewahre sie Ihnen auf, Herr Lomatz … – Her damit!“

Lomatz faßte unter das Kopfkissen seines Bettes …

„Da … nehmen Sie,“ rief er drohend. „Nehmen Sie …! Wir rechnen noch miteinander ab, Herr … Herzog!“

Tücke und Wut sprachen aus seinem Blick… Und dabei grinste er so höhnisch, daß der Herzog von Dalaargen plötzlich das Gefühl hatte, als ob Lomatz nicht mehr so recht an den alten buckligen Evens glaubte …

Er zog es daher vor, schweigend den Beutel mit den Edelsteinen in die Tasche zu schieben, Jimminez einen Wink zu geben und die Kabine zu verlassen. –

Wenige Minuten später befand sich der ‚Star auf Manhattan’ inmitten des Taifuns …

Ringsum wanderten die gigantischen Wasserhosen dahin … Furchtbaren Gespenstern gleich, die lautlos daherschleichen …

Eine drückende Schwüle lastete über dem Meere … Um die Jacht tobten Luftwirbel … Sekunden atemloser Stille folgte eine Kanonade, als ob das Weltall zusammenstürzte …

Der ‚Star auf Manhattan’ wich den Giganten geschickt aus. Das prachtvolle Schiff bewährte sich auch hier bei diesem Unwetter, das sonst nur in bestimmten Gegenden des Stillen Ozeans in dieser Art aufzutreten pflegt …

Nach zehn Minuten war das Sturmzentrum vorübergezogen … Der Außenring des Taifuns brachte ungeheure Wogenberge, jähe Windstöße, Blitz und Donner, plötzliche Regengüsse …

Und konnte doch der Jacht nichts anhaben … Gewiß – Sturzseen richteten einigen Schaden an Deck und dem Bugspriet an … – Auch das ging vorüber … Und wie stets nach einem Taifun schien plötzlich wieder die Sonne …

„Ein Wrack!“ meldete da der Ausguckmann von der Brücke …

Der Herzog und Josua Randercild richteten die Gläser gen Osten …

„Ein … Flugzeug!“ rief der Herzog … „Kein Wrack …! Ein Doppeldecker mit zerstörten Tragflächen … Er schwimmt auf den Bootskörpern … – Lieber Josua, wir müssen feststellen, ob noch ein Lebender in der Gondel steckt.“

„Der würde wohl winken, lieber Herzog …,“ meinte Randercild. „Doch – wenn Sie’s wünschen …“ –

Sehr bald war man in nächster Nähe des zertrümmerten Flugzeuges … Die Wogen gingen andauernd über die hellgraue Masse von zerfetzten Stangen, Drähten und Leinwand hinweg …

„Keine Maus lebt dort mehr,“ erklärte nun auch der Kapitän der Jacht …

Dalaargen blieb hartnäckig …

„Wir nehmen das Wrack ins Schlepptau … Sobald wir ruhigere See haben, schwimme ich hinüber …“

Randercild lachte …

„Sie sind wirklich sehr romantisch veranlagt …! Nun – meinetwegen …!“

Und – eine halbe Stunde später hatte der Herzog in der Gondel des zerstörten Doppeldeckers vier Tote und einen noch lebenden halbblinden Teckel gefunden …

 

118. Kapitel.

Mafaldas Gefängnis.

Kehren wir an Bord der Sphinx zurück, wo die Fürstin nun im Schiffsgang dem schlanken Unbekannten nachschlich, von dessen Anwesenheit hier im Luftboot sie bisher nichts geahnt hatte.

Nacht war es noch … Und ruhig und stetig zog das wunderbare Fahrzeug seine Bahn dahin, gesteuert von Manuel Pasco, dem riesigen Neger …

Im Schiffsgang brannten an der Decke ein elektrisches Birnchen. Und dieser Gang besaß genau mitschiffs eine kleine Pendeltür, durch die der Fremde soeben nach dem Vorschiff zu verschwunden war.

Mafalda drückte diese Tür ein wenig auf …

Der Fremde stand gerade tief gebückt da und spähte durch das Schlüsselloch in die Kabine der drei Kameraden Manuels. Dann wandte er sich nach rechts, öffnete die Tür der gegenüberliegenden Kammer und schaute hinein. Sie war leer.

Weiter schritt er – lautlos – mit den Bewegungen eines scheuen, gelenkigen Tieres, das jeden Augenblick beim geringsten verdächtigen Geräusch zu flüchten gedenkt.

Mafalda lächelte plötzlich …

Ein Weib war’s! Ein Weib in einem Sportanzug mit weiten Pluderhosen …

Nur ein Weib …!

Aber – wer nur, wer …?!

Die Fürstin wußte nichts von Jakob Worgs begabter Detektivin Gipsy Maad. Sie konnte sich auch nicht im entferntesten denken, wer diese Frau sein könnte. Vielleicht Ellen Barrouph? vielleicht Mela Falz? – Doch nein – das war ausgeschlossen … Die beiden befanden sich in Barrouphs Villa in Taxata. Das hatte ja das Mulattenmädchen verraten, die man im Parke mit ihrem Liebhaber überrascht hatte.

Die Fürstin beobachtete weiter …

Die Fremde war jetzt vor Agnes Sandens Kabinentür angelangt, bückte sich, brachte das Auge dicht an das Schlüsselloch, richtete sich schnell wieder auf und legte die Hand auf den Türdrücker …

Verschlossen …

Sie klopfte leise … Klopfte stärker …

Wartete …

Dann griff sie in die Tasche, holte eine kleine elektrische Lampe und … einen Dietrich hervor, beleuchtete das Schloß, schraubte an dem vorstellbaren Dietrich und führte ihn in das Schlüsselloch ein …

Mafalda, durch die fingerbreite Türspalte lugend, wollte die Fremde auf jeden Fall von Agnes fernhalten, öffnete die Pendeltür vollends und glitt auf ihren nackten Füßen ohne jedes Geräusch hinter die Unbekannte, deren verstellbarer Dietrich bereits den Riegel zurückschnappen ließ.

„Wer sind Sie?“ fragte die Fürstin mit der kalten Sicherheit, die ihr die halb erhobene Waffe verlieh … Sie glaubte, die Fremde würde nun entsetzt herumfahren …

Doch – sie kannte Gipsy Maad nicht. Die Detektivin hatte sehr wohl diesen lautlos gleitenden Schatten wahrgenommen … Ohne den Kopf zu wenden, hatte sie nach rechts geschielt … Eine Frau – langer Mantel – bloße Füße: die Fürstin!

Der Anruf kam ihr also nicht überraschend. Sie war vorbereitet, war auch sofort entschlossen, das Äußerste zu wagen …

Und ohne irgend eine hastige Bewegung, nur den Kopf ein wenig zurückbeugend, flüsterte sie:

„Stören Sie mich nicht … Ich habe ein größeres Anrecht auf die da drinnen als Sie!“

Mafalda war so erstaunt über diese ihr unverständliche Antwort, daß sie etwas vortrat und Gipsy nun ins Gesicht schaute. Den kleinen Revolver hielt sie weiter schußbereit.

„Wer sind Sie?“ wiederholte sie drohenderen Tones.

Die Detektivin musterte die Fürstin fast hochmütig …

„Mein Name tut nichts zur Sache,“ erwiderte sie. „Jedenfalls sind Sie die Fürstin Mafalda Sarratow … Sie waren Gaupenbergs Geliebte … Und deshalb hasse ich Sie …“

Mafalda begriff nicht …

„Was geht Sie denn der Graf an?!“ meinte sie etwas verwirrt …

„Ich sagte schon, ich habe ein größeres Anrecht auf Agnes Sanden, die sich jetzt Viktors Braut nennt, als Sie! Sie waren nur seine Geliebte. Die Sanden will er heiraten.“

Mafalda dämmerte jetzt langsam die scheinbare Wahrheit auf …

„Sie kennen Gaupenberg also?“

„Ich kannte ihn früher, als Sie und die Sanden ihm begegneten …“

„Und – Sie liebten ihn?“

„Lieben?!“ – Die bildhübsche frische Gipsy richtete sich höher auf … „Lieben?! – Gibt es eine Bezeichnung für das, was ihn und mich verband?! Ich – – bin die Mutter seines Kindes … Mir hatte er sich unter anderem Namen genähert … Zwei Jahre war ich ihm alles – alles!“

Oh – Gipsy Maad verstand zu schauspielern. Ihre Stimme zitterte jetzt … Ihr Gesicht zuckte … Ihre Augen glänzten feucht …

Mafalda ließ sich täuschen, sagte nur mit einem leichten Kopfschütteln:

„Alles hätte ich vermutet, nur dies nicht …! – Kommen Sie in meine Kabine … Ich will Einzelheiten hören …“

Gipsy Maad’s Gesicht veränderte sich …

„Nein – erst werde ich mit diesem Mädchen meine Rechnung ins Gleiche bringen … Gehen Sie …! Auch Sie hasse ich …!“

Mafalda fragte lauernd:

„Wollten Sie Agnes Sanden töten?“

„Ich bin keine Mörderin, Fürstin … Ich wollte nur das vernichten, was mir den Vater meines Kindes geraubt hat …“

„Ah – die Schönheit dieser Madonna!“

„Vielleicht …! – Gehen Sie nun … Stören Sie mich nicht …“

„Sie … sind toll!“ fuhr Mafalda auf …

Und sie glaubte allen Ernstes, es hier mit einer halb Geisteskranken zu tun zu haben …

„Sie werden vorangehen – in meine Kabine!“ fügte sie befehlend hinzu …

Der Revolver hob sich ein wenig …

Gipsy lachte geringschätzig …

„Sie sind eine Abenteurerin und mögen das Leben lieben … Ich – verachte es! Denn es ist nichts als Lug und Trug. Und wenn Sie mir eine Bombe vor die Füße werfen, – auf mich macht derlei keinen Eindruck …“

Mafalda, die doch gewiß sich leicht in jede Situation hineinfand, fühlte sich seltsam machtlos dieser merkwürdigen Person gegenüber …

„Und wenn ich Sie nun bitte, sich zunächst mit mir auszusprechen,“ sagte sie verlegen und auch beunruhigt. „Wir beide haben doch immerhin etwas, das uns zu Verbündeten macht: den … Haß gegen die Sanden!“ – Sie schob den Revolver in die Manteltasche und griff nach Gipsys Hand … „Kommen Sie … Wir werden uns verständigen, glauben Sie mir …“

Gipsy schien zu überlegen …

„Nun gut, Fürstin … Geben Sie mir aber die bestimmte Zusicherung, daß Sie mich nicht etwa heimtückisch durch Ihre Neger irgendwo einsperren lassen … Ich will nicht umsonst all diese Wochen Gaupenbergs Spuren unter unendlichen Schwierigkeiten gefolgt sein …“

Mafalda drückte ihre Hand …

„Keine Angst …! – Kommen Sie …“

So begaben sie sich denn in die Kabine der Fürstin …

„Setzen Sie sich,“ bat Mafalda. „Und damit wir das Wichtigste gleich erledigen. Agnes Sanden …“ – ihre Stimme vibrierte vor satanischem Triumph … – „Agnes Sanden ist … die Geliebte eines der Neger geworden …! Agnes Sanden wird niemals Gaupenbergs Gattin werden!“

Was in diesem Moment in der jungen Amerikanerin vorging, die so opferfreudig sich auf dem alten Friedhof in Taxata hier in die Sphinx eingeschlichen hatte, spiegelte sich deutlich in ihrem Antlitz wieder …

Sie erblaßte … Sie starrte die Fürstin mit so entsetzten Augen an, daß Mafalda nun vielleicht die feine Komödie durchschaut hätte, wenn sie auch nur das geringste Mißtrauen empfunden haben würde.

So aber deutete sie diese Zeichen heftigster innerer Erregung ganz anders, zumal Gipsy nur Sekunden brauchte, um ihre Selbstbeherrschung zurückzugewinnen, um nun im Tone wildester Empörung hervorzustoßen:

„Ah – – Sie haben hier meine Rache gestohlen …! Ich – – bin zu spät gekommen! Ich – ich hasse Sie nun mehr denn je! Sie …“

Mafalda nahm wieder ihre Hand … Für sie stand es jetzt fest, daß diese Frau geisteskrank war …

„Beruhigen Sie sich … Beruhigen Sie sich doch … Bedenken Sie, daß es doch gleichgültig ist, wer Agnes Sandens Zukunft zerstört hat …“

„Das – glauben Sie!! – Was soll ich jetzt noch hier an Bord?! Bringen Sie mich nach Taxata zurück … Ich will heim nach London … Mein Kind sehnt sich nach mir … Ich … will heim …“ Und wie von einer fixen Idee beherrscht, sprang sie auf … „Sie müssen umkehren … Von Taxata kann ich einen Dampfer benutzen …“

Mafalda redete ihr freundlich zu – wie einer Kranken …

„Ja – morgen kehren wir um … Sie sollen heimreisen können … Jeden Wunsch werde ich Ihnen erfüllen … – Setzen Sie sich wieder … Wie sehr wird Ihr Kind sich freuen … Ist es ein Knabe …?“

„Oh – ein Engel, Fürstin …“

„Und Sie wohnen in London?“

„Im Vorort Halyton, Fürstin … In einem grünumrankten Häuschen … Viktor kaufte es mir, bevor er mich verließ …“

„So sind Sie Engländerin?“

„Gewiß … Nur kurze Zeit war ich in Berlin … Und dort lernte ich Viktor kennen … Er nannte sich Viktor Gaup … – Fürstin, Sie werden Ihr Versprechen halten … Ich will heim …“

Mafalda war froh, daß diese ihr unheimliche junge Frau jetzt nur von diesem harmlosen Wunsche beseelt schien, ihr Kind wiederzusehen …

„Mein Wort darauf. Morgen können Sie reisen, wohin Sie wollen,“ meinte sie mit einer Herzlichkeit, die nicht einmal erheuchelt war. „Aber – wie darf ich Sie nennen?“

„Gipsy Maad heiße ich …“ – Die Detektivin konnte ohne Bedenken ihren wahren Namen angeben, da sie in Taxata sich anders genannt hatte.

Mafalda deutete jetzt auf das zweite Bett der Kabine …

„Wir wollen uns niederlegen, Miß Maad … Ich bin sehr müde … – Darf ich Ihnen noch eine Erfrischung holen?“

„Danke … Ich hatte ein paar Früchte in den Taschen, als ich Ihnen und dem Neger nachschlich, der die Sanden trug …“ – Sie lächelte verzerrt … „Oh – Agnes Sanden – – und – ich bin zu spät gekommen …! Ich hätte …“

Sie schwieg … Ihre Augen wurden leer, der Blick stumpf …

‚Eine Verrückte!’, und Mafalda war entschlossen, wach zu bleiben … Man durfte dieser Frau nicht trauen … –

Gipsy Maat lag in Kleidern auf dem Bett …

Und die Fürstin auf dem anderen. Das Licht in der Kabine brannte …

Beide schliefen nicht. Beide fürchteten einander. Gipsy war keineswegs ganz sicher, ob Mafalda nicht doch argwöhnisch sei und dieses Lügengewebe durchschaue. Überhaupt, welch ein Weib war diese Fürstin! Welch abstoßende Verworfenheit, welch teuflische Brutalität! – Und Gipsy Maads Frauenherz empfand ein Mitleid mit dem Opfer dieses Weibes, ein Mitleid, das nach Vergeltung schrie … –

Stunden vergingen so …

Und mit der Zeit überwältigte die Müdigkeit doch diese beiden Gegnerinnen, die hier in der Sphinx jetzt immer mehr den Gestaden der Insel Christophoro sich näherten. –

Der Morgen graute … Die ersten Sonnenstrahlen glitten über den unendlichen Atlantik hin …

Manuel Pasco saß im Führerraum und beobachtete den Kompaß … Das Sehrohr war über den Turm hinausgeschraubt, und auf dem Sehspiegel zeigte sich das friedliche Bild des Meeres und des klaren Tropenhimmels.

Dann erschien Armaro im Führerraum – blaß, verfallen, nicht mehr der Tyrann von Patalonia – nein, nur noch ein gebrochener Mann, der in diesen stillen Nachtstunden mit sich selbst abgerechnet hatte …

Armaro nickte dem Neger zu … Sagte nichts als er an ihm vorüberging … Stieg die Eisentreppe empor, schlug den Deckel der Turmluke hoch, ging an Deck und ließ sich dann die pfeifende Zugluft um die Stirn wehen …

Er trat an die Reling, blickte nach Westen …

Nicht als das Meer – der Himmel. Und doch lag dort … sein Land, die Republik Patalonia … Sein Patalonia – – bis gestern …!

Ohnmächtige Wut kroch ihm jäh zum Hirn, erhitzte es …

Seine Fäuste ballten sich, die Gestalt wurde straffer.

Mit einem Schlage war er wieder derselbe José Armaro, der mit eiserner Faust bisher all seine Feinde niedergehalten hatte …

Die Mutlosigkeit der Nacht schwand dahin – genau so, wie soeben die Dunkelheit der Sonne hatte weichen müssen …

„Das Gold!! Ich – – kehre wieder!“ flüsterte er … „Das Gold wird mir die Macht verleihen, alle Hindernisse zu beseitigen! – Mafalda hat die Feigheit in mein Herz geträufelt und mit ihren Andeutungen, daß Amerika mich nie mehr auf dem Präsidentenstuhl dulden würde – Ellen Barrouphs wegen! Wer will mir nachweisen, daß gerade ich dieses Weib verschleppte?!“

Und heimlicher Groll gegen die Fürstin ward stärker und stärker. Er begann zu ahnen, daß sie ihn … völlig hatte niederdrückend wollen …

Er lachte böse auf …

„Das Gold!! Das Gold!! Nichts sollst du davon haben – nichts! Du – – Dirne, die doch nur vor Eifersucht sich verzehrt dieses Deutschen wegen! Du – – Bestie, die nichts schont, die das blonde Mädchen dem Schwarzen in die Arme warf!“

Ein Geräusch da hinter ihm …

Mafalda …

Ein Moment da – und José Armaro war … Komödiant … war der Mann, der nicht mehr an eine machtvolle Zukunft glaubte …

„Guten Morgen, Mafalda … – Wie ich geschlafen habe? – So fragt nur jemand, der nicht zu ermessen vermag, was ich verloren habe …“

Die Fürstin behielt seine Hand in ihren kühlen Fingern …

„Schau’ vorwärts, José, nicht rückwärts! Noch zwei Stunden, und wir landen auf Christophoro …“

Er zuckte die Achseln …

„Napoleon auf Sankt Helena!!“ sagte er bitter … „Man nannte mich den Mulatten-Napoleon … Nun bin ich nicht einmal das! Glaubt du, daß mir etwas daran liege, vielleicht als politischer Flüchtling in der Schweiz zu leben?! Nein – mir liegt überhaupt am Leben nichts mehr – gar nichts … Wenn ich überhaupt noch ein Ziel habe, so ist es das, irgendwo in einer Einöde mich zu verbergen … Ich werde vielleicht nach Australien gehen … Australien ist zum größten Teil noch Wildnis. Dort …“

Mafalda unterbrach ihn.

„Der Gedanke wäre nicht schlecht, José … Denn ein kultiviertes Land – nein …! Man wird fraglos nach dir fahnden … Ellen Barrouphs Vater wird deine Auslieferung an die Vereinigten Staaten verlangen, und …“

Er drehte sich jäh um …

Mafalda sollte sein Gesicht nicht sehen, nicht diese Augen, in denen soeben ein drohendes Blinken erschienen … – Ellen Barrouphs!! Wieder also hatte sie ihm dieses Schreckgespenst gezeigt, die … Dirne!!

Mafalda trat neben ihn …

„Ich habe dir noch ein nächtliches Erlebnis mitzuteilen, José, eine seltsame Neuigkeit …“

Und sie schob ihren Arm vertraulich in den seinen.

Begann von Gipsy Maad zu sprechen …

Zuerst horchte Armaro gespannt hin. Das Erscheinen einer Fremden hier an Bord beunruhigte ihn. Als er dann aber hörte, daß es sich um eine betrogene Geliebte des deutschen Grafen handele, die offenbar etwas schwachsinnig sei, meinte er nur:

„Sie wird uns nicht weiter unbequem werden … Wir sperren sie ein, sobald wir Christophoro erreicht haben. Nachher setzten wir sie irgendwo ab …“

„Ganz recht … Sie braucht nicht zu erfahren, was uns nach der Insel führt … – Komm, José, einer der Neger hat in der großen Kabine den Frühstückstisch gedeckt …“

Frisch und gewandt stieg sie die Treppe in den Turm hinab …

Armaro folgte ihr … Bei ihm war es jetzt beschlossene Sache, daß Mafalda nie mehr mit Menschen in Berührung kommen sollte, wenn – – das Gold erst an Bord der Sphinx sich befand. –

Zwei der schwarzen Kavalleristen standen bei Manuel Pasco im Führerstand. Sie hatten soeben gut gegessen und getrunken, rauchten Gaupenbergs beste Zigarren und wünschten nur, daß dieses Faulenzerleben ewig währen möchte. Der dritte von ihnen spielte auf Mafaldas Geheiß Koch und Steward.

Manuel horchte seine Kameraden jetzt vorsichtig aus. Ihm lag daran, zu erfahren, wie sie jetzt über Armaro dächten.

Die beiden Neger waren viel zu harmlose Gemüter, um vor Manuel irgendwie Versteck zu spielen, zumal er andeutete, daß auch er mit der Fürstin sehr gut stände. Als sie nun offen zugaben, welche lockenden Versprechungen Mafalda ihnen gemacht und was sie über die Revolution und Armaros völligen Sturz ihnen mitgeteilt hatte, grinste der Riese Pasco sehr geheimnisvoll und meinte, man könne nie wissem, wie die Dinge nach einiger Zeit sich änderten … Er jedenfalls würde lediglich Seiner Exzellenz gehorchen, denn er habe durchaus keine Lust, sich einer Frau und leerer Verheißungen wegen erschießen zu lassen …

Das wirkte.

Die beiden Kameraden Manuels wurden nachdenklich. Sie kannten Armaro ja, und so recht mochten sie auch gar nicht glauben, daß er nun wirklich niemals mehr in der Republik etwas zu sagen haben sollte.

Manuel wieder, plötzlich Diplomat geworden, ging jetzt einen Schritt weiter und riet den beiden, am besten vorläufig weiter so zu tun, als ob sie zu der Fürstin hielten …

„Ihr werdet ja sehen, was sie von euch verlangt … Ich fürchte, ihre Wünsche und Befehle werden sich gegen Seine Hoheit richten … Und da mache ich für meine Person nicht mit!“

„Ich auch nicht!“ platzte der eine heraus …

Und der zweite nickte und meinte:

„Ich werde mich hüten …! Seine Exzellenz hatte in den letzten Jahren drei Revolutionen niedergeschlagen … Da wird er auch jetzt mit den Hazienderos fertig werden …“

Worauf Manuel den beiden durch Handschlag das Versprechen abnahm, sich ganz nach ihm richten zu wollen …

Jedenfalls, er konnte mit diesem Ergebnis seiner Unterredung mit den Kameraden zufrieden sein! Wenn er sie als Gegner auch nicht mehr gefürchtet hatte, weil ihre Schußwaffen nach der Entfernung des Pulvers aus den Patronen wertlos waren, so fühlte er sich doch, was seine Pläne Agnes Sandens wegen betraf, nunmehr weit sicherer und zuversichtlicher.

Als die Sphinx vormittags kurz nach acht Uhr dann auf der kleinen Lichtung neben dem Wrack des U-Bootes auf Christophoro landete, ahnte Mafalda auch nicht im geringsten, daß ausgerechnet dieser Manuel Pasco ihr heimliches Vorhaben bereits völlig durchkreuzt hatte.

Es war, als ob ein dumpfer Hauch von Haß, Tücke, Verlogenheit und schrankenloser Selbstsucht jetzt dieses wunderbare Luftboot anfüllte …

Es war, als ob wieder einmal Doktor Dagobert Falz, der Geheimnisvolle, mit seinen Worten über die rätselhafte Kraft größerer Goldmengen recht behalten sollte: je näher die Sphinx der Insel gekommen, desto dichter und bedrohlicher war dieser Pesthauch geworden! Denn – hier auf der Insel lagerte ja der Azorenschatz, lagerten auch die unermeßlichen Reichtümer König Matagumas, aufgestapelt zum goldenen Berge am Westrande, bedeckt mit Steinen, Sand und Disteln! Nur zwei kannten diesen goldenen Berg bisher: Lomatz und Mantaxa, die Aztekin, – und diese beiden befanden sich als halb Gefangene an Bord der Milliardärsjacht ‚Star auf Manhattan’ … –

Nun ruhte die Sphinx im losen Sande der Lichtung … Armaro stand mit der Fürstin an Deck. Mafalda hatte bereits Gipsy Maad, die noch immer zu schlafen schien, in die Kabine eingeschlossen. Auch Agnes konnte nicht entschlüpften. Mafalda hatte beide sicher …

Armaro war jetzt von derselben Ungeduld befallen wie die Fürstin. Diese beiden Menschen, zwischen denen einst die zärtlichsten Beziehungen bestanden hatten, spielten nun voreinander Komödie, verheimlichten Haß, Abneigung und Mißtrauen und ebenso diese verzehrende Sucht, recht schnell Gewißheit zu erhalten, wie es unten in der riesigen Aztekenhöhle ausschauen mochte …

Das – – Gold lockte …

Das Gold vergiftete hier alles – selbst den reinen kräftigen Salzhauch des Meeres …

„Die Schwarzen mögen uns begleiten und die Sprengkapseln gleich mitnehmen,“ sagte Armaro mit merkwürdig rauher Stimme …

Mafalda nickte. „Ich habe Manuel bereits erklärt, um was es sich zunächst handelt … Die verschlossene Öffnung muß wieder freigelegt werden …“

Pasco erschien über dem Rande der Turmluke, rief:

„Sennorita, es sind noch zwei Dutzend Sprengkapseln vorhanden …“

„Ein halbes Dutzend genügt, Manuel … Vergiß die elektrischen Batterien nicht …“

Armaro dachte ingrimmig: ‚Sie bestimmt über meinen Kopf hinweg, als ob ich überhaupt nicht mehr vorhanden wäre …!’

Die Neger kamen an Deck.

„Verschließt die Luke,“ befahl die Fürstin. „Dann kann niemand die Sphinx verlassen … – Her mit dem Schlüssel!“

Ihre Nervosität übertrug sich selbst auf ihre Stimme … Deren Klang war heute kreischend und unangenehm …

Dann kletterten die sechs Personen die Außenleiter hinab. Den Schwarzen war die Insel bisher unbekannt. Neugierig musterten sie das Wrack des U-Bootes, schauten empor zu den ungeheuren Vogelschwärmen, sahen die Riffkränze und die haushohe Brandung ringsum …

Mafalda eilte voraus …

Vorüber an Silvia Gonzalez’ Grab, vorüber an dem Felsenhügel …

Erinnerungen stiegen in ihr auf – wirre nächtliche Bilder …

Was alles hatte dieses Eiland nicht schon erlebt …! Und – was würde es noch erleben …!

Nun machte die Fürstin halt, blickte sich suchend um.

Dort rechts zogen sich die Trümmerhaufen der gesprengten Strandgrotte bis zum Ufer hin …

Und dort der flache Hügel, – diese Erhöhung war … der Deckel des Eingangs zu Unterwelt …

„Manuel, räumt die Felsblöcke weg! Darunter befindet sich eine Schicht von Baumstämmen …!“

Sie deutete auf den flachen Hügel …

Und die Neger begannen die Arbeit …

In kurzem lagen die Baumstämme frei …

„Sprengkapseln anbringen, Manuel!“ rief die Fürstin wieder …

Armaro saß abseits auf einem Steinblock …

Seine Augen glitten umher … Und alles hier rief ihm die Zeit seines Despotentums ins Gedächtnis zurück … Hier hatte er über Leben und Tod entschieden, hier hatte er die Matrosen seiner Jacht die Strandgrotte angreifen lassen …

Und jetzt – – war er ein Flüchtling … ein Nichts! Wie sehr ein Nichts, das zeigte ihm Mafalda … Er hatte überhaupt nichts mehr zu sagen. Sie kommandierte – nur sie!

Ein böses Lächeln grub sich um seinen Mund … –

Mafalda half jetzt, die Leitungen von den Sprengkapseln zu den Batterien zu legen …

Dann winkte sie Armaro …

„Vorsicht …! Deckung nehmen!“

Gleich darauf ein donnernder Knall …

Und – der Eingang lag frei … –

Armaro lief hin, beugte sich über die Öffnung …

Unten in der Tiefe schimmerte das gelbliche geheimnisvolle Licht, das die Wände der Höhle ausstrahlten.

Unten blinkte der See, an dessen Ostufer in der Ferne die hellen Paläste der Aztekenstadt verschwommen sichtbar waren …

Auch Mafalda spähte hinab …

Desgleichen die Neger … Und Schweigen herrschte hier am Rande des zackigen Felsloches …

Das Schweigen ungläubigen Staunens, denn noch keiner dieser sechs Menschen hatte dieses Bild je vorher geschaut …

Mafalda schüttelte den Bann von sich …

„Die Wassermassen sind verschwunden,“ meinte sie leicht beunruhigt. „Als wir die Höhle zuletzt sahen, José, stand das Wasser ist dicht unter diesem Eingang … – Manuel, die Trossen her … Knotet sie zusammen … Holt das kleine Zinkboot der Sphinx …“

Nichts ging ihr jetzt schnell genug …

Sie war wie im Fieber …

Sie mied Armaros Augen …

Verrat, Hinterlist, Goldgier erfüllten ihr verderbtes Herz …

Das Zinkboot wurde an den Stahltrossen hinabgelassen – bis zum Seespiegel … Dann kletterte Mafalda abwärts … Armaro folgte – die Neger … Nur vier hatten im Boote Platz. Zwei mußten schwimmen …

Dann … die Uferpaläste …

Eine Wunderwelt … Unter dem Meere …! Denn hier, wo die Aztekenstadt sich dehnte, rauschten oben bereits die Wogen des Atlantik.

Die breiten Marmortreppen des größten der Paläste ging’s hinan …

Eine harte Schlammkruste lag auf den Stufen. Überbleibsel der Sintflut, durch die alles Leben hier hinweggerafft worden war …

Und in diesem braungrünen Überzug der Treppen bemerkte Mafalda jetzt Fährten – Spuren menschlicher Füße …

Vielfache Spuren – ein vielfaches Hin und Her – und doch stets von denselben beiden Stiefelpaaren: denen eines Mannes und den zierlichen hackenlosen einer Frau!

Die Fürstin war stehen geblieben …

„José!“

Und Armaro trat dicht vor sie hin …

„José,“ flüsterte sie heiser … „hier sind Leute vor uns gewesen, als das Wasser sich bereits verlaufen hatte … Da – da – alles dieselben beiden Fährten.“

Armaros Augen wurden matt …

„Du … du meinst, daß … Daß das Gold …“

„… nicht mehr vorhanden sein kann!“ stieß sie keuchend hervor. „Oh – nur Gewißheit haben … nur Gewissheit! – Manuel, die Laternen … Ihr vier wartet hier …!“

Und sie nahm eine der brennenden Leuchten, stürmte weiter …

Armaro dicht hinter ihr …

Hinein in die große Halle – immer den Spuren nach …

Hinab die Treppen in die Gewölbe …

Immer den Spuren nach …

Und – nun hinein in drei … leeren Schatzkammern, wo ebenfalls der getrocknete Schlamm vielerlei verriet …

Verriet, daß hier Dinge gelagert hatten, die jetzt verschwunden …

Mafalda stierte Armaro an …

Ihre Lippen bebten … Ihre Augen waren hervorgequollen …

Sie wollte sprechen …

Aber nur ein halbirres Lachen quälte sich aus der Kehle hervor.

Armaro zeigte sich dieser niederschmetternden Enttäuschung gegenüber doch als der größere Charakter.

„Man ist uns also zuvorgekommen …,“ sagte er langsam, und es kostete ihn doch Mühe, die Worte ohne Entstellung zu formen. „Es fragt sich, wer kann’s gewesen sein – wer?! Von den Leuten der Sphinx käme niemand in Betracht … Und …“

Schritte da … laute Schritte im Vorraum …

Manuel, der Riese …

Mit einer Laterne in der Linken … Mit einem Revolver in der Rechten …

Blieb stehen …

„Exzellenz …“ – Verbeugung vor Armaro, ein wenig linkisch – „Exzellenz, die Frau dort neben Ihnen hat uns hier zum Verrat gegen Sie anstiften wollen … Die Frau plant Böses, Exzellenz … Die Frau hat mir die blonde Sennorita geschenkt … Ich habe das Mädchen nicht angerührt … Exzellenz, die Sennorita Agnes hat vor Schreck die Sprache verloren … Und – die Bestie dort ist daran schuld …“

Armaro schaute Mafalda an …

Gleichgültig, eisig …

Wandte sich ab …

„Komm mit, Manuel …“

Und im Nu hatte er den Riesen mit sich fortgezogen.

Donnernd warf er die schwere Metalltür des Vorraumes zu …

„Gehen wir, Manuel, wir haben hier nichts mehr zu tun … Das Weib soll verhungern, wo es ist … Sie hat’s verdient …“

Er schritt voran …

Das kleine Boot stieß dann von einer der Anlegebrücken ab, strebte der Stelle zu, wo die Stahltrosse und oben herabhing …

Die Trosse, die einzige Verbindung zur Oberwelt …

Nein – wo die Trosse … hängen sollte – – und nicht mehr hing …

Das Stahltau war verschwunden … Oben war’s an einem Steinblock so sicher befestigt gewesen, daß nur Menschenhände hier am Werke gewesen sein konnten.

Jetzt erblaßte auch Armaro …

Ein Fluch kam über seine Lippen …

Dort oben am Rande des Loches war das Gesicht Gipsy Maads aufgetaucht …

 

119. Kapitel.

Melanies große Liebe …

Der Herzog Fredy von Dalaargen stand in der halb mit Wasser gefüllten Gondel des Doppeldeckerwracks …

Dieser armselige Flugzeugrest taumelte auf den Wogen wild hin und her. Der Herzog mußte sich festhalten, als er sich jetzt bückte und zuerst den Körper des jungen rotblonden Weibes emporhob …

Er hielt sie für tot, diese schöne Unbekannte … Genauso wie die drei Männer, die dort neben ihr auf dem Boden der Gondel im Wasser lagen …

Nur der gelbe Teckel dort auf dem umgekippten Tisch bewegte sich noch – nur der …

Der Taifun hatte diese Ärmsten überrascht – genau wie den ‚Star auf Manhattan’, der freilich dem Wüten der Elemente standgehalten … –

Dalaargen trug die Tote mühsam auf das Gondeldeck …

Winkte dann zur Jacht hinüber, damit man das Wrack dichter heranziehe.

Drüben packten kräftige Seemannsfäuste das Tau.

Und drüben lehnte neben Milliardär Randercild einer, der jetzt zu den Sphinxleuten gehörte: Alfonso Jimminez!

Jimminez stierte das Wrack mit trüben Augen an … Bisher hatte er noch gehofft, daß dieser Doppeldecker nicht eins der Flugzeuge wäre, mit denen Worg, der Detektiv, und die Insassen der Sphinx die Verfolgung Armaros und Mafaldas aufgenommen hatten …

Jetzt hofft er nicht mehr … Er hatte die Tote erkannt, die auf dem Gondeldeck ruhte: Melanie Falz! Die rotblonde Mela …!

Und leise sagte er nun zu Josua Randercild:

„Mister Randercild, ich … kenne das Mädchen dort.“

Der Milliardär wandte den Kopf …

„Nicht möglich, Jimminez …! – Wer ist’s?“

„Die Tochter eines der Freunde des Grafen Gaupenberg …“

Dann schon wieder Dalaargens helle Stimme:

„Sie … lebt …! Sie lebt …!! – Rasch an Bord … Rasch den Arzt …!“ –

Doktor Roger Merrimac, Leibarzt des Milliardärs, trug Mela dann in seine Kabine …

Hilfsbereite Hände holten nun auch die drei Männer und den Hund aus der Gondel heraus …

Jimminez war mit dabei … Und Jimminez war’s, der den Grafen jetzt über die Reling den Matrosen zureichte …

Jimminez war’s, der unermüdlich Wiederbelebungsversuche anstellte, der die anderen immer wieder ermunterte, in ihren Bemühungen nicht nachzulassen …

Auf dem Achterdeck der Jacht lagen die drei Ertrunkenen auf wollenen Decken: Gaupenbergs, Gottlieb Knorz und der Mechaniker …

Neben ihnen knieten die Helfer …

Neben Gottlieb hockte der winselnde Teckel …

Eine halbe Stunde verging …

Da die Jacht des Milliardärs auch drei Sauerstoffapparate an Bord hatte, trugen diese nicht wenig dazu bei, die nur schwach flackernden Lebensflämmchen der drei Männer doch wieder kräftiger zum Aufglühen zu bringen.

Viktor Gaupenbergs erlangte als erster die Besinnung.

Als er kaum die Augen geöffnet und mit bewußtem Blick um sich geschaut hatte, kehrte er zu dem dicht über sich gebeugten Kopf des Riesen Jimminez zurück …

Kein Wunder, daß es da wie ein jähes Erschrecken über seine bleichen Züge lief.

Nichts als fremde Gesichter hatte er wahrgenommen … und mittendrin einen seiner ärgsten Feind. Mußte so notwendig annehmen, daß ein neuer widriger Schicksalsschlag ihn nach dem Schiffbruch des Doppeldeckers seinen Feinden ausgeliefert hätte …

Jimminez, dem diese jähe Änderungen in dem todblassen Antlitz des Grafen nicht entgangen war, beeilte sich, den glücklich dem Leben Wiedergegebenen schnellstens aller Ungewissheit zu entheben …

Mit schlichten Worten bat er Gaupenbergs für alles, was er ihm bis dahin angetan, um Verzeihung.

Gaupenbergs hatte jedoch bisher zu zahllose Beweise von der perfiden Doppelzüngigkeit des Geheimagenten erhalten, um sofort dieser angeblichen Sinnesänderung trauen zu können glaubte.

Erst als Josua Randercild, der Milliardär, nun auch seinerseits eifrig für Alfonso Jimminez eintrat, reichte Gaupenberg mit schwachem Lächeln dem Geheimagenten die Hand …

„Ich freue mich, daß Sie Ihr Unrecht einsehen,“ meinte er mehr höflich als überzeugt mit matter Stimme. Und fügte noch leiser hinzu: „Doch schweigen Sie über die Sphinx und … das andere!“

Jimminez beugte sich tiefer, flüsterte:

„Ich stehe fortan zu Ihnen, Herr Graf, – bis zum letzten Blutstropfen … Ich … schweige!“

Und da – ein paar Schritte weiter rechts Gottlieb Knorz’ rauhes Organ:

„Herr Graf … Herr Graf, wir leben …! Wir leben!! Und auch mein alter Kognak hat sich wacker gehalten …!“

Gaupenbergs wandte den Kopf …

Auf Decken lag da der treue Alte … Soeben erst erwacht … Und neben ihm hockte der Teckel, klopfte vor Freude mit dem wedelnden Schwänzchen hörbar auf die weißgesteuerten Planken … –

Auch der Flugzeugführer konnten sich bereits aufrichten …

Josua Randercild rieb sich schmunzelnd die Hände …

„Da haben wir Sie alle vier ja wieder tadellos frisch aufgepumpt!“ meinte er mit einer Handbewegung nach den Sauerstoffapparaten hin. „Auch die rotblonde Miß ist längst bei Besinnung, Herr Graf … Mein Freund, der Herzog Fredy Dalaargen, und Doktor Merrimac leisten der jungen Dame noch Gesellschaft …“

Gaupenbergs erholte sich jetzt zusehends. Je mehr er aber wieder Herr über seine Nerven wurde, desto eindringlicher meldete sich bei ihm die Sorge um seine Freunde …

Inzwischen hatte der kleine Milliardär mit ungeheurem Wortschwall eine beredte Schilderung der kühnen Rettungstat des Herzogs gegeben und dabei nochmals Alfonso Jimminez’ Eifer und Unermüdlichkeit betont.

Der Graf erfuhr so zu seinem unendlichen Schmerz, daß von dem Verbleib der beiden anderen Doppeldecker hier an Bord nichts bekannt sei.

Auf Gaupenbergs Frage erklärte Randercild nochmals, man habe nur das Wrack dieses einen Flugzeuges bemerkt …

„Ich werde jedoch sofort Befehl geben, Herr Graf, daß meine Jacht in großen Schlägen kreuzen soll, und daß zwei meiner Matrosen mit guten Fernrohren in den Ausguck hinaufklettern … Es wird meinerseits alles geschehen, auch Ihre Gefährten zu bergen, falls diese nicht doch dem Orkan entgangen sind.“ –

Während so hier an Deck die drei geretteten Männer aufs freundlichste von dem Milliardär zu ihrer Errettung beglückwünscht und von allen Seiten mit Beweisen aufrichtiger Teilnahme überhäuft wurden, hatten Doktor Merrimac und der Herzog Mela Falz auf einen Diwan in des Doktors Kabine gebettet.

Mela war bei vollem Bewußtsein. Nachdem die erste noch so lähmende Mattigkeit gewichen war, zeigte die rotblonde Tochter des Einsiedlers von Sellenheim nun auch für die beiden Herren, die sich in so zarter Weise um sie bemühten, ein leicht begreifliches Interesse.

Melas noch etwas müder Blick glitt über Merrimacs hagere Gestalt und über sein längliches Gesicht hin und wandte sich nun nach der weit eleganteren Erscheinungen des Herzogs …

Und als sie jetzt dieses schmale vornehme Antlitz, in dem sich so merkwürdig spöttische Überlegenheit, abgeklärte Blasiertheit und doch auch wieder wahre Menschenfreundlichkeit und echte Herzensgüte paarten, prüfend musterte, schnellte sie plötzlich halb empor, stützte sich auf die Hände und starrte den österreichischen Aristokraten überrascht und ungläubig an …

Fredy Dalaargen verbeugte sich …

„Sennorita erkennen mich,“ meinte er liebenswürdig. „Die Adoptivtochter des Präsidenten Armaro hat den damals inkognito als schlichten Zeitungsreporter reisenden Gast Seiner Exzellenz nicht vergessen. Damals, Sennorita, wurde ich Ihnen als Mister Allan Mixter aus Chicago vorgestellt. Damals hatte ich die Ehre, Sennorita an jenem Ballabend im Park des Palais Seiner Exzellenz das Feuerwerk von einem ganz besonders günstigen Punkt zeigen zu dürfen. – Sennorita, mein wahrer Name ist Fredy Herzog von Dalaargen. Und der Herr dort ist Doktor Merrimac, der Leibarzt des Milliardärs Randercild, auf dessen Jacht wir uns zurzeit befinden.“

Über Melas zartes Gesicht, das trotz der Tropensonne seinen wundervoll reinen, rosigen Teint bewahrt hatte, war es wie ein tiefes Erglühen hinweggehuscht.

Dalaargen wandte sich an den Arzt …

„Doktor, Sie könnten für die Sennorita einen Schluck Wein besorgen,“ sagte er bittend. „Inzwischen werde ich meine Bekanntschaft mit ihr ein wenig auffrischen.“

All das wieder so in seiner nachlässigen, selbstverständlichen Art, die stets einen feinen Anstrich von Ritterlichkeit hatte.

Merrimac entfernte sich.

Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, als Mela Falz abermals tief errötend dem Herzog beide Hände wie flehend entgegenstreckte:

„Oh – sind Sie’s denn wirklich?! Wirklich?!“

In ihren Augen war ein seliges Leuchten, war das heiße Auflohen einen starken Gefühls …

Und in einem Atem fügte sie hinzu:

„Weshalb verließen Sie mich damals nach jeder so zauberhaft schönen Nacht, wo ich, die Einsame, nach einem vertrauten Freunde mich Sehnende endlich in Ihnen ein gleichgesinntes Herz gefunden?!“

Dalaargen hatte sich schnell dicht neben den Diwan gesetzt, hatte sanft Melas Hände ergriffen und erwiderte nun mit unendlicher Güte:

„Verzeihen Sie mir, Isabella … Ich mußte so handeln, wie ich gehandelt habe … Ich mußte Taxata damals fluchtartig verlassen …“

Melanies Gesicht umdüsterte sich, als sie diesen Vornamen hier wieder einmal aus einem Munde hörte, der ihn einst in scheuer Zärtlichkeit geflüstert hatte.

„Nennen Sie mich nicht Isabella … Auch Sie nicht, Allan! Jene Zeit, als ich noch durch unsaubere Bande an Armaro gefesselt war, liegt weit hinter mir. Was ich schon stets geahnt hatte und was nur durch schwere Krankheit in meiner Erinnerung erstorben war, Armaro kannte die traurige Geschichte meiner Verschleppung nach Patalonia und auch meinen wahren Namen! Nur um die Wahrheit völlig zu verdunkeln, nahm er mich an Kindesstatt an. – Ich bin Melanie, Mela Falz, Allan, einzige Tochter eines deutschen Arztes und Forschers … – Und nun erklären Sie mir, weshalb verließen Sie mich damals, nachdem wir uns kaum in ehrlicher Freundschaft zusammengefunden hatten, die uns doch beide so sehr beglückte! Denken Sie an das prachtvolle Feuerwerk, Allan, wie wir beide allein auf dem Dache des chinesischen Pavillons mitten unter den grünen Zweigen der uralten Bäume Hand in Hand standen, Hand in Hand wie jetzt …“

Um Dalaargens Mund lag ein trauriges Lächeln …

„Also … nicht Isabella, sondern Mela …! Seltsam, daß wir beide uns hier wieder begegnen – beide unter unseren wahren Namen. Auch Sie, Mela, muß ich bitten, den Allan Mixter, Reporter der ‚Chicago News’, zu … vergessen …“

Sie zuckte leicht zusammen … Ihre strahlenden Augen erloschen. Sie wollte ihre Hände ihm entziehen …

Denn – vergessen sollte sie ihn! Was hieß das anderes als: Der Traum von eins war ausgeträumt!

Dalaargen aber hielt diese schmalen, jetzt so heißen Hände desto fester …

„Mela, Sie dürfen mich nicht falsch verstehen …! Nur den Namen des Mannes, der für Stunden Ihnen so vertraut wurde, sollen sie aus Ihrem Gedächtnis streichen. Der Mann selbst ist in nichts verändert, kleine Mela … In nichts! Hätte ich sonst wohl nach Ihre Rettung so mit bangem Herzen auf das erste Zeichen des zurückkehrenden Lebens bei Ihnen gewartet?! – Mela, als ich zu dem Doppeldecker hinüberschwamm, der ja nur noch ein wüstes Durcheinander von zersplitterten Tragflächen war, da muß mir eine innere Stimme gesagt haben, daß ich dort das Lieste finden würde, was es je für mich gegeben … –

Ein leises Aufschluchzen unterbrach ihn …

Mela weinte …

Vor Glück – vor namenloser Seligkeit …

Und überwältigt von dieser Liebe, die sie bisher so fest in ihrem Herzen gegen jedermann verschlossen, verheimlicht hatte, legte sie nun Fredy Dalaargen die Arme in scheuer Hingabe um den Hals und schmiegte sich an ihn …

Was damals in jener Nacht zwischen ihnen unausgesprochen geblieben war, was damals in das ernstere Gewand der Freundschaft sich gekleidet hatte, nun fielen diese trügerischen Hüllen, nun zog auch Dalaargen die Geliebte fest an sich und küßte zum ersten Male die bebenden Lippen …

Die beiden hörten nicht, daß Doktor Merrimac die Kabinentür leise geöffnet und schnell wieder geschlossen hatte …

Sie lebten nur dem unaussprechlichen Glück dieser Stunde, ihrer Liebe …

Bis dann Mela den Mann, der ihres Daseins Schicksal werden sollte, sanft von sich drängte …

„Fredy, wir müssen verständig sein … Wir sind jetzt wieder vereint, und selbst wenn wir uns nur zu bald wieder trennen müßten, so würde ich doch für alle Ewigkeit von diesen Minuten zehren und stets würde mich der eine selige Gedanke trösten, ich weiß, daß du mich liebst! – Ich weiß ja auch, daß Welten uns trennen … Wer bin ich – doch nur ein bescheidenes, vom Geschick schwer …“

Dalaargens Lippen verschlossen ihr den Mund …

„Mela, uns trennen keine Welten,“ sagte er dann mit ernster Eindringlichkeit. „Etwas anderes könnte uns trennen – heilige Pflicht!“

Sie horchte auf …

Ihr Kopf ruhte an seiner Brust …

Heilige Pflicht! Hatte er mit so geheimnisvollem Unterton erklärt. Und das hatte fast genau so geklungen, wie wenn Graf Gaupenberg und Steuermann Hartwich von dem Goldschatz der Azoren sprachen, den sie für das deutsche Vaterland bergen wollten!

Da flüsterte Dalaargen schon weiter:

„Mela, in dieser Stunde will ich dir allein anvertrauen, was mich als ruhelosen Wanderer über die Erde treibt. Ich … suche meinen Vater, Geliebte! Meinen armen Vater, der vor zwanzig Jahren unser Schloß in Tirol eines Nachts verließ, weil er … fühlte, daß der Wahnsinn wie ein gräßliches Gespenst die Krallen nach ihm ausstreckte. Die letzten Herzöge von Dalaargen, Mela, sind sämtlich in geistiger Umnachtung gestorben. Ein furchtbares Verhängnis ruhte seit dem Jahre 1802 auf unserem Geschlecht. Damals, im Jahre 1802, begleitete mein Urgroßvater, Herzog Johann, den großen Korsen, den späteren Kaiser Napoleon, nach Ägypten. Mein Urahn hat während dieses Feldzuges Napoleons im Lande der Pharaonen heimlich eins der alten Königsgräber, dessen Zugang ihm ein sterbender Fellache verriet, geöffnet und daraus eine Schnur von Goldperlen geraubt, die mit allerlei Hieroglyphen verziert waren. Diese Goldschnur des Pharaonen wurde das Verhängnis der Dalaargens. Mein Urgroßvater, mein Großvater – alle männlichen Dalaargens starben als … Irre, starben während entsetzlicher Tobsuchtsanfälle …“

Während er dieses erschütternde Familiendrama so der Geliebten mit leiser Stimme berichtete, war sein Antlitz fahl und steinern geworden.

„Mein Vater … floh also, als ich gerade zehn Jahre zählte … Er floh und nahm den Unglücksschmuck mit sich … Er floh – – vor dem Wahnsinn, Mela …“

Und Mela schmiegte sich enger an ihn …

„Du hast nie wieder etwas von ihm gehört?“ fragte sie mit zärtlicher Teilnahme …

„Doch, Mela … Meine Mutter und ich erhielten jedes Jahr eine Depesche – eine einzige … Stets aus einem anderen Lande … Nie war mein Vater als Absender genannt, und doch konnten die Telegramme nur von ihm herrühren. Ihr Inhalt war ja stets der gleiche:

Ich bin gesund und gedenke eurer in Liebe.

Dann folgte irgend ein Name …“

„Oh – der Ärmste!“ meinte Mela voll innigen Mitleids …

Dalaargen seufzte …

„Ja – der Ärmste …! Ein Heimatloser, ein von dem Gespenst des Irrsinns Gehetzter! – – Meine Mutter starb im Jahre 1919 … Und als sie fühlte, daß es mit ihr zu Ende ginge, da ließ sie mich, ihr einziges Kind, schwören, daß ich den Vater suchen solle … Seitdem durchstreife ich die Welt, bald als Reporter, bald als … Detektiv, wo und wie sich mir gerade eine Verdienstmöglichkeit bietet, denn … ich bin arm, Mela …! Was die Herzöge von Dalaargen einst an Ländereien und sonstigem irdischen Gut besaßen, hat die neue Zeit uns geraubt.

Nur das Schloß in Tirol ist mir geblieben, die sogenannte Dalaarg-Burg, weit berühmt als eine der ältesten in den Tiroler Bergen. – Nun weißt du, Mela, weshalb ich damals Taxata so überraschend verließ. Ich, Fredy Dalaargen, letzter dieses Namens, durfte meine Augen doch nicht zu der Adoptivtochter des allmächtigen Armaro erheben, durfte doch nicht an sein durch heiligen Eid ihm auferlegtes Vagantengeschick das deine ketten …! Und bevor noch ein Wort der Liebe uns die Trennung noch schwerer machte, verließ ich Taxata …“

Mela lächelte glücklich …

„Jetzt – jetzt bin ich nur Mela Falz … Jetzt … bin ich dein!“

Und sie küßte ihn aufs neue …

Und doch war jäh in ihrem Herzen eine furchtbare Angst aufgestiegen …

Zögernd fragte sie nun:

„Glaubst du, daß die Goldperlen mit diesem unheimlichen Verhängnis deines Geschlecht zusammenhängen?“

„Ja – bestimmt, Geliebte … Die Hieroglyphen auf den goldenen Kugeln der Kette hat ein Gelehrter entziffert … Sie stellen einen Fluch dar, den der Pharao in dieser Weise im Gold eingraben ließ, einen Fluch, der seiner ungetreuen Gattin galt. Die mit der Kette … erdrosselt wurde … – Das Verhängnis von mir selbst, meine Mela, ist jetzt jedoch abgewendet. Seltsam genug, bis zu meinem zehnten Jahre, solange also die Goldperlen in unserem Schlosse sich befanden, war ich ein schwermütiger, stiller, kränklicher Knabe. Nach meines Vaters Flucht änderte ich mich vollständig …“

Mela atmete erleichtert auf …

„Ich … fürchtete für dich,“ meinte sie ganz leise.

„Dazu liegt kein Grund vor,“ beruhigte er sie. „Etwas möchte ich noch nachholen,“ fuhr er wieder sinnend fort. „Die letzten vier Depeschen, also die seit dem Tode meiner Mutter, waren in mexikanischen Hafenstädten aufgegeben. Und deshalb nehme ich jetzt an, daß mein Vater vielleicht in Mexiko lebt. Dorthin will der Milliardär Randercild, dessen Gastfreundschaft ich hier genieße, mich bringen.“

Dann kamen sie auf anderes zu sprechen.

Mela erzählte, weshalb die drei Doppeldecker Taxata verlassen und nach der Insel Christophoro unterwegs gewesen, um Agnes Sanden zu befreien und die Sphinx zurückzugewinnen, die Armaro und Mafalda Sarratow entführt hatten.

Den Goldschatz erwähnte sie nicht. Und Dalaargen fragte nicht danach, denn er hatte ja bereits von Jimminez und dem hier an Bord als Gefangener befindlichen Edgar Lomatz mancherlei über die Goldmilliarden durch geschickte Fragen in Erfahrung gebracht.

Als der Herzog jetzt die Hoffnung aussprach, daß die beiden anderen Doppeldecker gerettet sein dürften, da man doch nur das Wrack des einen gefunden, meinte Mela gläubig und zuversichtlich:

„Ja, Geliebter, ich hoffe dasselbe. Ich hoffe deshalb, weil in dem einem Flugzeug sich mein Vater und in dem anderen ein Portugiese namens Pasqual Oretto befand …! Und Pasqual Oretto und mein Vater, Fredy, sind gegen den Tod gefeit!“

Dalaargen blickte sie überrascht an …

„Gefeit?! Wie soll ich das verstehen?“

„Oh – ich müßte stundenlang erzählen, wenn ich hier dies klarmachen wollte,“ erwiderte sie scheu flüsternd. „Fredy, Geheimnisse rätselhaftester Art umgeben die Person meines Vaters … Wir, die wir zu des Grafen Gaupenberg Sphinx gehören, haben Dinge erlebt, die zum Teil weit über das menschliche Begriffsvermögen hinausgehen … Wollte ich dir schildern, wie zum Beispiel ich als Verbannte monatelang auf einem Eiland gelebt habe, wie ich dann mit meinem Vater zusammenkam, ohne ihn zunächst zu erkennen, – – Geliebter, tagelang könnte ich erzählen! – Auch eine innere Stimme sagt mir, daß die Insassen der beiden anderen Flugzeuge leben und wohlauf sind …“

Es klopfte …

Dalaargen trat schnell zur Seite.

Doktor Merrimac erschien mit einer Flasche Wein und einem Glase. Er tat, als ahnte er nichts von dem, was er vorhin hier ungewollt belauscht hatte.

Mit einem liebenswürdigen Scherzwort reichte er Mela das gefüllte Glas.

Der Herzog meinte ebenso liebenswürdig, die Sennorita sei nun ja hier in den besten Händen, er dürfe sich daher wohl zurückziehen …

So nahmen denn jetzt die Liebenden nur durch einen verstohlenen zärtlichen Blick voneinander Abschied.

Als Fredy Dalaargen den Schiffsgang nach der Achtertreppe zu entlangschritt, blieb er plötzlich stehen und starrte minutenlang vor sich hin …

Seine Hände hatten sich zu Fäusten zueinandergekrampft, und seine Lippen waren schmal und hart …

Aufstöhnen preßte er plötzlich die Fäuste gegen die Schläfen …

„Das … das hätte nicht geschehen dürfen!“ stieß er halblaut hervor …

Da – Schritte auf der Treppe … Ein Schatten – eine hohe Gestalt. Alfonso Jimminez!

Dalaargen war im Moment wieder Herr seiner selbst …

„Hoheit,“ sprach der ehemalige Geheimagent ihn leise an, „Edgar Lomatz wünscht Sie zu sprechen …“

Um des Herzogs Mund spielte schon wieder das halb blasierte, selbstbewußte Lächeln …

„Ah – ‚Herr’ Lomatz … wünscht – wünscht! Wahrhaftig, kein schlechter Scherz! Er wünscht!! – Was hat er denn auf dem Herzen?“

Jimminez begann zu flüstern …

„Hoheit, ich kenne Sie erst seit heute … Aber Lomatz behauptet, er sei mit Ihnen ein halbes Jahr auf Ceuta zusammengewesen …“

Dalaargen lachte hell auf …

„Ja – auf der Insel Ceuta, im Bagno, in der Zuchthäuslerkolonie …! Allerdings, da war ich …! Aber – – als Reporter, Jimminez …! Als Zeitungsmensch, der sich für einen anderen einsperren ließ … Und dieser Lomatz war ebenfalls Sträfling?! Ich besinne nicht nicht auf ihn … – Jedenfalls – grüßen Sie den Burschen von mir …! Falls er glaubt, mir drohen zu können, so ist er an den Unrechten geraten.“

Und lachend nickte der Herzog den riesigen Geheimagenten zu und stieg elastisch die Treppe empor.

Jimminez schaute ihm unsicher nach …

‚Ein merkwürdiger Mensch …! Ob Lomatz noch mehr von ihm wissen sollte …?!“ –

Abends neun Uhr gab die Jacht ‚Star auf Manhattan’ die Suche nach den beiden Doppeldeckern endlich auf und nahm wieder Kurs auf die südlichste der drei Robigas-Inseln, auf das sandige, brandungumrauschte Christophoro.

 

120. Kapitel.

Der fremde Kreuzer.

Gipsy Maad, die Detektivin, die durch eine Verkettung so seltsamer Zufälle Armaros und Mafaldas Flucht auf der Sphinx mitgemacht hatte, merkte sehr bald, daß das Luftboot von den übrigen Insassen jetzt verlassen worden war.

Sie erhob sich von dem Bett ihrer Kabine und rutschte zur Tür …

Verschlossen …! – Eingesperrt also …

Sie bückte sich …

Der Schlüssel steckte von außen im Schloß …

Und die fesche Gipsy in ihrem noch fescherem Sportanzug hob geringschätzig die Schultern …

Mit der kleinen Klinge ihres Taschenmessers hatte sie die hinderlichen Schlüssel sehr bald herausgestoßen, und ebenso schnell tat nun hier der Dietrich, den sie schon an Agnes Sandens Kabinentür probiert hatte, seine Schuldigkeit.

Gipsy eilte weiter – durch die kleine Pendeltür …

War am Ziel …

Dort drinnen … Agnes, die arme Agnes, Mafaldas Opfer!

Die Amerikanerin, die lediglich aus Neigung diesen gefahrvollen Beruf ergriffen hatte, war Weib genug, um mit dem bedauernswerten jungen Mädchen das tiefste Mitleid zu haben …

Und gerade sie als Amerikanerin, der von Jugend an tiefste Verachtung für alle Farbigen, Neger, Mulatten, Mestizen und wie sie alle hießen, gleichsam eingeimpft worden war, konnte sich nur mit Grauen die Szene ausmalen, wie der stiernackige Negersoldat Manuel Pasco sich an der blonden Agnes als Werkzeug dieses teuflischen Weibes, der Fürstin, vergriffen hatte …

Zögernd stand sie vor der Kabinentür …

Zögernd führte sie den Dietrich ins Schloß …

Und … öffnete …

Trat ein …

Licht brannte … Agnes saß auf dem zerwühlten Bette … Geisterbleich … Mit unnatürlich großen Augen starrte sie die ihr bisher völlig unbekannte Detektivin an.

Gipsy eilte näher …

„Fürchten Sie nichts, Miß Sanden … Ich … bin zu Ihrem Schutze da … Ich …“

Aber vor dem herzzerreißenden Lächeln der Ärmsten verstummte sie …

Und unwillkürlich, getrieben von heißestem Mitgefühl, ergriff sie Agnes’ Hände und stammelte:

„Sie … sollen gerächt werden! Und wenn ich mit eigener Hand dieses Untier von Pasco erschießen sollte, – Sie sollen …“

Agnes hatte sanft den Kopf geschüttelt … Ihre Lippen bewegten sich … Nur ein unverständliches Lallen kam aus der schreckgelähmten Kehle hervor …

Gipsy Maad erblaßte …

Sie ahnte das Entsetzliche …

„Pasco … hat Sie nicht angerührt …? Sie … sind stumm … Stumm geworden infolge …“

Tränen stürzten ihr aus den Augen. Sie glitt nieder, umfing Agnes Sanden …

Und da entquoll auch deren starren Augen ein erlösender Tränenstrom …

Eng umschlungen hielten sich diese beiden Frauen, die hier im Metallgehäuse der im Sande der Insel Christophoro ruhenden Sphinx das Leid und das Mitleid vereint hatte … –

Doch Gipsy Maad war eine viel zu tatkräftige Natur, um hier die kostbare Zeit in nutzlosen Gefühlsäußerungen zu vergeuden …

Sie erhob sich … Hielt nur noch Agnes’ Hände …

„Miß Sanden, wir müssen fliehen … Die Sphinx ist auf Christophoro gelandet,“ sagte sie hastig. „Armaro, die Fürstin und die vier schwarzen Soldaten haben das Luftboot verlassen … Kommen Sie … Wir werden zwar eingeschlossen sein, aber es wird ein Weg ins Freie zu erzwingen sein! Kommen Sie!“

Agnes’ blasse Wangen hatten wieder Farbe bekommen. Der Gedanke, daß sie jetzt hier eine Freundin gefunden, die ihr helfen würde Mafaldas rachgierige und selbstsüchtige Pläne zu durchkreuzen, verlieh ihr neue Kraft …

Sie eilten in den Führerstand …

Die Turmluke war verschlossen …

Weiter ging es in die Kabinen, von denen die beiden anderen Luken sich nach dem Deck zu öffnen ließen …

Auch hier kein Weg ins Freie …

„Ich werde eins der runden Turmfenster zerschlagen,“ rief Gipsy da. „Ein Hammer wird sich finden lassen …“

Sie fand einen …

Das handdicke Glas zersplitterte … Die noch an den Rändern haften gebliebenen Stücke wurden vollends entfernt.

Die Öffnung hätte für die Breite der Schultern eines Mannes nie genügt, doch die schlanken Mädchen schlüpften bequem hindurch …

Standen nun am Deck der Sphinx …

Staunend schaute Gipsy sich um …

Dort … lag das Wrack eines U-Bootes …

Dort draußen aber eine haushohe Brandung, rund um die Insel – wie ein weißer Gürtel … –

Agnes hatte die Hände gefaltet …

Sie dachte an jene Nacht, als Armaro hier die jämmerliche Komödie des Standgerichts aufgeführt hatte und als Gaupenbergs und Hartwich zum Schein erschossen wurden …

All der folternden Todesangst gedachte sie, die sie damals um den Geliebten gelitten …

Gipsys Stimme weckte sie aus diesem traurigen Sinnen …

„Von Armaro und den anderen nichts zu sehen …! Wo stecken sie nur?!“

Was wußte die Detektivin von der Höhle der Azteken, die sich unter der Insel und noch meilenweit unter dem Meere hinzog?! Was von dem Goldschatz der Azoren?!

Doch Agnes ahnte, wohin Armaro und Mafalda sich mit den vier Soldaten gewandt hatten …

Sie winkte der Detektivin …

So kletterten sie an der Außenleiter der Sphinx hinab, und erreichten bald das zackige Felsloch, das den Zugang zu dem einstigen unterirdischen Reiche der letzten Azteken bildete …

Schauten hinab in die von geheimnisvollem Licht erfüllte Tiefe …

Sahen in der Ferne dort unten am Ufer eines weiten Sees helle Paläste schimmern …

Und – sahen ein kleines Boot, das soeben über das stille Gewässer glitt …

Da riß Gipsy Maad die neugewonnene Freundin zurück …

„Armaro – die Soldaten!!“

Und sie packte das lange Tauende, an dem Mafalda und die anderen dort hinabgeklettert waren – zog es rasch ein, löste es von der Felszacke …

„Zur Sphinx, Miß Agnes …!“

Gipsy Maad fühlte sich Siegerin …

„Zur Sphinx! Wir haben denen da unten den Rückweg an die Oberwelt unmöglich gemacht …! Wir werden mit der Sphinx aufsteigen … Wir fliegen nach Taxata …!“

Agnes war durch diese Tatkraft der Detektivin wie elektrisiert. Die Hoffnung, ihren Verlobten bald wiederzusehen, gab auch ihr etwas von der frischen Energie der jungen Amerikanerin … –

Sie erklommen das Deck der Sphinx …

Und – starrten beide gleichzeitig gen Himmel, wo soeben eine schwarze Wolkenwand die Sonne verschluckt hatte …

Wo soeben auch aus der im Osten bereits lauernden Finsternis eine Reihe von ungeheuren Wassersäulen aufgetaucht waren, die gleich wandelnden fahlen Gespenstern über die kochende See dahinzogen …

Gen … Westen …

Mit dem Sturme, der ebenso urplötzlich einen Wasserball von drohender Höhe gegen die Gestade der Insel warf und gleichzeitig seine infernalische Orkanmusik begann …

Gipsy Maads Stimme gellte jetzt …

„In den Turm … in den Turm!“

Und Gipsy drückte die wie gelähmt dastehende Agnes auf die Deckplanken nieder – in den Schutz der Reling.

Gerade noch zur rechten Zeit …

Ein Luftwirbel des gewaltigen Sturmes fegte über die Insel und die Sphinx hin …

Agnes wurde emporgerissen …

Aber Gipsy hielt sie umklammert, hielt mit der anderen Hand die Reling fest …

Die Sphinx wurde von dem Wirbel mit hochgezogen …

Hinweg über den Strand …

Hinaus über das schäumende Meer …

Wie eine armselige Seifenblase flog Gaupenbergs Luftboot dahin …

Aufwärts – abwärts …

Bis die Kraft der sich drehenden Luftmassen nachließ …

Da … sank sie, jetzt ohne die Auftriebskraft der Sphinxröhre, wie eine tote Masse in den Ozean hinab.

Grüne Fluten begruben sie …

Und doch schnellte sie wieder an die Oberfläche …

Und doch hatte Gipsy Maad mit letztem Odem, mit letzter Kraft auch diese Probe überstanden, hielt Agnes noch umfangen, hielt noch die Reling mit blutigen Fingern …

„In den Turm!!“

Und sie schob Agnes vorwärts – dem zerstörten Fenster zu …

Die Sphinx wurde wild hin und her geworfen … Wogen gingen über sie hinweg …

Agnes taumelte in den Turm …

Gipsy folgte …

Beide kaum mehr bei Sinnen, beide mehr tot als lebendig …

Und Agnes war’s jetzt, die mit raschem Entschluß den richtigen Hebel herumriß, die Sphinxröhre einschaltete …

Die Auftriebskraft wirkte …

Ein letzter Wellenberg suchte das Luftboot unter sich zu begraben, polterte donnernd über das Deck hin, spie ungeheure Wassermengen in den Turm …

Doch die Sphinx schoß jetzt empor – mit wachsender Geschwindigkeit …

Der Sturm packte sie gleich einem Vogel, der gerade noch Kraft genug hat, die Schwingen zu regen …

Riß sie mit sich …

Derselbe Sturm, der den Doppeldecker Gaupenbergs vernichtet und der die beiden anderen Flugzeuge in die Unendlichkeit des Atlantik geschleudert …

Ein Kampf war’s hier zwischen dem Wunderwerk menschlichen Erfindungsgeistes und den Naturgewalten.

Die Sphinx wollte nach oben – zu den lichten Höhen des Äthers … Der Orkan traf sie von der Seite …

Der Kampf war kurz …

Die Sphinx siegte, machte sich frei von der Umklammerung der verderblichen Windsbraut und stieg und … stieg – hinweg über die Wolken … hinein in das strahlende Licht der Sonne … –

Agnes hatte die Hand noch am Hebel. Sie wußte wenig von technischen Dingen – doch genug zur Bedienung der Hebel und Räder der Schaltbretter … genug von der Skala des Höhenmessers …

Als die Quecksilbersäule die Zahl dreitausend erreicht hatte, schob Agnes den Hebel so weit zurück, daß die Sphinx sich gerade schwebend hielt, ohne mehr zu steigen oder zu sinken. –

Gipsy Maad, triefend wie die blonde Agnes, suchte sich gleichfalls im Führerraum zu orientieren …

Agnes gab ihr durch Zeichen Auskunft. Dann meinte die junge Amerikanerin, man müsse jetzt doch auch die Propeller der Sphinx arbeiten lassen …

„Wir können getrost Kurs auf die südamerikanische Küste nehmen,“ fügte sie hinzu. „Ich bin Seglerin, Miß Agnes … Ein Kompaß ist mir nichts Fremdes und mit dem Steuerrad hier werde ich auch schon fertig werden …“

Agnes schaltete die Motoren ein …

Doch – kein Propellergeräusch war zu vernehmen, nur ein unregelmäßiges Pfeifen …

„Die Propeller sind wohl beschädigt worden,“ rief Gipsy erschrocken … „Hören Sie nur, Miß Agnes …! Ich muß mich überzeugen. Ich klettere an Deck hinaus …“

Und schon hatte die Detektivin sich durch das Turmfenster gezwängt …

Blendender Sonnenschein empfing sie draußen … Doch eisige Luft wehte in diesen Höhen …

Gilpsy fröstelte … Und ein Blick genügte: Beide Propeller zersplittert, nur noch Stümpfe vorhanden, die in rasender Umdrehung kreisten und doch nicht die Kraft hatten, die Sphinx vorwärtszutreiben.

Die Detektivin schaute sich genauer um. Die Reling war stellenweise vollständig umgebogen, lag glatt auf dem Deck. Die Sturzseen hatten gezeigt, mit welcher Kraft sie das Menschenwerk zu vernichten getrachtet …

Und die Sphinx segelte jetzt gleich einem steuerlosen Freiballon gen Norden – mit einer leichten Windströmung, die hier in den oberen Regionen herrschte.

Auch Agnes kam an Deck …

„Wir sind ein Spielball des Windes – vorläufig!“ meinte Gipsy in ihrer energischen Art. „Nicht lange …! Es muß doch Ersatzpropeller geben … Nicht wahr, Miß Agnes? Es sind doch welche vorhanden?“

Die blonde Deutsche schüttelte verneinend den Kopf. Sie wußte nur zu gut, daß die vier Ersatzpropeller bereits verbraucht worden waren.

Die Detektivin trat mit einer beruhigenden Handbewegung an die Backbordreling und blickte in die Tiefe hinab …

Dort unten lag das Gewölk des Orkans wie ein phantastisches Gebirge. Dort drunten wütete noch der Sturm … leuchteten zuweilen auch Blitze auf …

Zum ersten Male befand sich Gipsy Maad in solcher Höhe über der Erde, über dem Ozean. Ganz andächtig ward ihr zu Mute. Die Armseligkeit des Menschen, der sich Herr der Schöpfung dünkt, kam ihr in dieser Unendlichkeit des Äthers bedrückend zum Bewußtsein.

Agnes trat neben die Amerikanerin. Und Hand in Hand verharrten die beiden jungen Mädchen minutenlang in stillem Schauen.

Dann sagte Gipsy: „Ich werde jetzt das in den Turm eingedrungene Wasser entfernen, zuerst aber das Schloß der Turmluke aufbrechen, damit wir ungehindert an Deck können. Vielleicht sorgen Sie indessen für eine Mahlzeit, Agnes … Wir müssen an unseren Körper denken … – Nicht wahr, ich darf Sie doch Agnes nennen?! Was soll wohl auch zwischen uns eine förmliche Anrede?! Wie sind Gefährtinnen, nur aufeinander angewiesen …“

Agnes drückte Gipsys Hand und nickte ihr zu, umarmte sie dann und küßte sie. –

So schwebte denn die Sphinx immer weiter nach Norden – immer weiter …

Stunden waren vergangen.

Der Wind hatte aufgefrischt. Das Luftboot segelte, langsam sich um sich selbst drehend, immer noch gen Norden. Agnes schlief in ihrer Kabine. Nur Gipsy war unermüdlich tätig.

Längst war das Gewölk unter der Sphinx verschwunden. Längst lag der Atlantik flimmernd und gleißend im Sonnenschein zu Füßen des einsamen Luftseglers wie ein runder, gewaltiger Spiegel.

Die junge Amerikanerin hatte schon vor einer Stunde die Sphinx tiefer hinabgehen lassen, weil sie hoffte, in geringerer Höhe eine günstigere Luftströmung zu finden. Doch auch hier auf etwa fünfhundert Meter herrschte dieselbe Windrichtung, die das schwebende Aluminiumboot immer weiter von der Küste Südamerikas entfernte und es jenem Teile des Atlantischen Ozeans entgegenführte, der von keiner der Schiffsrouten durchschnitten wird und jenes unermeßliche Gebiet östlich der Kleinen Antillen bildet, das kaum je von einem Dampfer durchkreuzt wird.

Gipsy Maad hatte aus dem Schreibschrank des Turmes eine Karte des Atlantik herausgesucht und so festgestellt, daß nicht einmal die Hoffnung bestand, hier einem Schiffe zu begegnen, von dem man vielleicht das zur Herstellung von Ersatzpropellern nötige Holz, ein paar Planken, erhalten könnte. Gipsy traute es sich sehr wohl zu, zwei Propeller zurechtzuzimmern. Sie war eine durchaus praktische Natur, und gerade ihr Beruf und ihre Vorliebe für den Segelsport hatten diesen praktischen Sinn noch gefördert.

Wie sie jetzt abermals darüber nachgrübelte, woher sie nur ein paar genügend feste Bretter für die geplante und so notwendige Arbeit hernehmen könnte, kam ihr ein glücklicher Gedanke.

Sie verließ den Turm und betrat den schmalen Gang zwischen den Kabinen, musterte hier prüfen eine der Türen der Kammern und fand, daß die langen Seitenstücke dieser aus Eichenholz bestehenden Tür vielleicht zwei Propeller ergeben würden.

Der Wunsch, recht schnell der Sphinx wieder zu diesen Luftschrauben zu verhelfen, feuerte alle ihre Energie aufs äußerste an. Bevor sie jetzt jedoch Agnes wecken wollte, auf deren Hilfe bei der schwierigen Arbeit sie nicht gut verzichten konnte, begab sie sich nochmals mit einem Fernrohr an Deck, um nach einem Schiffe auszuspähen.

Sie lehnte sich an ein noch unversehrtes Stück der Reling und schaute hinab …

Und – gewahrte sofort ein schlankes, graues Schiff mit drei dicken kurzen Schloten, das dicht unter der Sphinx denselben Kurs einhielt …

Gipsy stellte das Glas ein …

„Ah – ein Kreuzer …!“ murmelte sie. „Die Flagge kann ich nicht erkennen … Ob ich auf eigene Verantwortung mit der Sphinx noch tiefer hinabgehe und den Kreuzer anrufe?!“

Sie wußte ja, daß sowohl in englischen wie in amerikanischen Zeitungen in den letzten Tagen Artikel erschienen waren, die sich ausschließlich mit Gaupenbergs Luftboot beschäftigt hatten. Niemand konnte über die Sphinx etwas Genaues angeben. Bekannt war lediglich das eine, daß die Sphinx aus Metall bestand und daß sie keine Gasfüllung als Auftrieb brauchte. Allerlei Vermutungen waren in diesen Artikeln geäußert worden, in welcher Weise wohl der deutsche Erfinder die Schwerkraft, die Anziehung der Erde überwunden haben könnte. Und nebenbei war deutlich zwischen den Zeilen zu lesen, daß sowohl Engländer wie Amerikaner nichts sehnlicher wünschten, als diese Sphinx, dieses unschwer zu einem Kriegsinstrument von gefährlichster Wirksamkeit umzugestaltende Aluminiumboot in ihre Gewalt zu bekommen.

So sehr Gipsy Maad nun auch geradezu fanatische Amerikanerin war und jederzeit bereit gewesen wäre, für ihr Vaterland alles zu tun, was in ihren schwachen Kräften stand, ebenso sehr war sie jedoch auch eine rechtlich denkende Natur, die sich verpflichtet fühlte, Gaupenbergs Erfindung schon im Interesse Agnes Sanden zu schützen.

Sie eilte daher in Agnes Kabine und weckte die Kameradin, teilte ihr mit, was sie beabsichtige, und fragte, ob Agnes damit einverstanden sei, daß man die Besatzung des Kreuzers um die Herausgabe von ein paar starken Planken bitten solle.

Die blonde Agnes schüttelte zuerst verneinend den Kopf.

Als Gipsy ihr aber dann auseinandersetzte, daß die Seitenstücke der Kammertür doch nur ein wenig zuverlässiger Notbehelf sein würden und daß die Gefahr bestände, immer weiter nach Norden abgetrieben zu werden, ergriff Agnes ein Blatt Papier und schrieb als Antwort:

‚Nur mit der allergrößten Vorsicht und nur bis auf Rufweite!’

Rasch erhob sie sich dann, schlüpfte in ihre inzwischen ebenfalls getrockneten Kleider und folgte Gipsy in den Turm.

Der Höhenmesser zeigte dreißig Meter …

Also nur dreißig Meter über den schäumenden Wogen des Ozeans trieb die Sphinx dahin.

Gipsy rief der Freundin zu:

„Bleiben wir in dieser Höhe … Wir können den Kreuzer einen Zettel hinabwerfen …“

Dann gingen sie an Deck.

Das schlanke Kriegsschiff war noch immer schräg unter der Sphinx.

Aber – sehr verdächtig! – die Flagge war eingeholt worden, und dort, wo sich zu beiden Seiten des Bugs der Namen des Kreuzers befinden mußte, waren Segel über die Bordwand gespannt.

Agnes war viel zu harmlos, um auf diese Einzelheiten zu achten. Doch Gipsy Maad hatte sofort erkannt, daß die Seeuniformen dort unten nicht die der Vereinigten Staaten waren und daß die Flagge und ebenfalls der verdeckte Name nur auf ganz bestimmte Absichten des Kommandanten hindeuten konnten.

Im Nu hatte sie da auch den Entschluß gefaßt, dieser hier fraglos drohenden Gefahr schleunigst auszuweichen.

„Agnes, wir lassen die Sphinx doch besser wieder größere Höhen aufsuchen,“ flüsterte sie hastig. „Ich werde …“

Von der Brücke des schlanken Schiffes durch ein mächtiges Megaphon eine befehlende Stimme – deutsche Worte:

„Hier der deutsche Kreuzer ‚Emden’ … Kommen Sie Bord an Bord mit uns …! Falls Sie wieder aufzusteigen wagen, feuern wir!“

Und gleichzeitig wurde die deutsche Flagge gehißt …

Gleichzeitig sah Gipsy auch, daß dort unten an Deck drei Schnellfeuergeschütze ihre dunklen Rohre emporschwenkten …

Und wieder die brüllende Stimme:

„Gehorchen Sie! – Sind Sie beide allein an Bord?“

Agnes hatte angstvoll Gipsys Hand umklammert …

Die Detektivin raunte ihr zu:

„Das sind keine Deutschen … Das ist Betrug …! – Keine Sorge, Agnes … Ich werde den Herren beweisen, daß wir klüger sind …“

Und sie ließ ihr Taschentuch wehen, winkte …

„Sie werden gehorchen?“ brüllte der Offizier auf der Brücke wieder in das Megaphon …

Gipsys flatterndes Tüchlein bejahte …

Dann zog sie Agnes mit sich fort …

Hinein in den Turm …

„Wir wagen’s …! – Agnes – wir lassen die Sphinx hochschnellen … Mögen Sie schießen …! Mit einem Geschütz trifft man kein steil emporsteigendes Boot wie die Sphinx!“

Und – herum den Hebel …

Wie ein Ruck ging’s durch das kleine Schifflein …

Die Freundinnen starrten sich an – beide blaß – beide jeden Moment erwartend, daß eine Granate die dünnen Aluminiumwände durchschlüge …

Das Gefürchtete geschah …

Ein Splittern, Krachen … Ein donnernder Knall.

Dicht unter dem Turme im Maschinenraum krepierte die Granate …

Die Tür nach den Kabinengang hin flog aus den Angeln, warf Agnes zu Boden, streifte Gipsys Stirn …

Mit erlöschendem Bewußtsein griff die Detektivin nach dem Auftriebshebel …

Und sank zurück, fiel quer über Agnes Sanden, von deren Schläfen das Blut in dicken Tropfen in das blonde Haar hinabsickerte …