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Kapitel 101–110

101. Kapitel.

Verwehte Spuren.

Die beiden Sandlöcher waren wieder gefüllt worden. Der Sand oben geglättet.

Mafalda eilte zum Strande hinab, holte Baru herbei …

Inzwischen hatte Armaro die Offiziere um sich versammelt, die als Beisitzer an dem Standgericht teilgenommen hatten.

„Ich verlange von Ihnen Verschwiegenheit,“ erklärte er drohend. „Verschwiegenheit, bis ich selbst durch die Zeitungen in Taxata eine amtliche Auslassung über die Ereignisse hier veröffentlicht haben werde.“

Kurze Pause …

„Ich befördere Sie, meine Herren, gleichzeitig um je zwei Dienstgrade … – Jetzt begeben Sie sich an Bord der ‚Medusa’ zurück. Die Jacht verläßt unter dem Kommando des Ersten Offiziers sofort die Insel und nimmt Kurs auf Taxata. Ich, Admiral Torresco und die Matrosen, soweit ich sie hier nicht noch brauche, folgen mit dem Doppeldecker, den Hauptmann Sarotto sogleich hier auf der Insel landen lassen soll … – Ich danke Ihnen, meine Herren …“

Die vier grüßten stramm und begaben sich zum Ufer hinab.

Indessen hatten die Matrosen bereits mit dem Fällen von Bäumen begonnen. Die Öffnung, die in die Riesenhöhle hinabführte, sollte verschlossen werden. –

Niemand kümmerte sich um Agnes. Sie lag noch immer bewußtlos im Steingeröll, die zarten Hände in den Boden gekrallt … –

Admiral Torresco war im Auftrag Armaros auf deren ‚Medusa’ gewesen und mit zwei kleinen Kistchen wieder zurückgekehrt.

José Armaro und Mafalda standen neben dem zackigen Felsloch und beobachteten die Arbeit der Matrosen. Armaro gab den Leuten zuweilen einen Wink, wie sie die Baumstämme über die Öffnung legen sollten, damit nachher noch eine zweite Decke von Feldsstücken darüber geschichtet werden könnte, die wieder in sich genügend Halt und Stütze haben müßten.

Der Doppeldecker ging sofort neben dem Wrack des U-Bootes nieder, und Hauptmann Ramon Sarotto sowie der Mechaniker verließen die geschlossene Gondel und schauten sich das Wrack genauer an.

Die Jacht ‚Medusa’ wieder hatte die Verbindungstaue nach den Klippen eingezogen und dampfte langsam nach Westen davon. –

Der neue Tag meldete sich. Am östlichen Horizont erschien ein fahler Schimmer …

Agnes Sanden erwachte da … Richtete sich auf … Ihre Augen waren leer und stumpf. So blickte sie um sich …

Mafalda und Armaro nahten. Hinter der Fürstin schritt Baru, der Goliath, mit schlenkernden Armen einher. Derselbe Baru, der damals in jener Nacht auf dem Marsche zum brennenden Observatorium in wilder Gier sich auf Agnes hatte stürzen wollen, in dessen halbtierischer Seele noch immer das Bild des blonden Mädchens lebte wie ein lockender Zauber der Sinnenlust …

José Armaro versprach sich nicht allzuviel von diesem letzten Versuch, den Ort zu erfahren, wo die Schätze jetzt lagerten. Nein – er hatte die Hoffnung, die Goldmilliarden für sich zu erringen, so gut wie aufgegeben. Er würde zufrieden sein, wenn diese ganze unglückselige Expedition nach Christophoro keine weiteren Folgen hätte.

Mafalda trat auf Agnes zu.

„Begleiten Sie uns!“ befahl sie kurz.

Derselbe leere Blick, mit dem die Unglückliche sich soeben wie suchend umgeschaut hatte, traf die Fürstin.

Mafalda Sarratow trug noch dieselbe Kleidung wie im Steinhause Doktor Gouldens, des Affenmenschenzüchters: den hellen, schmutzigen, rauchgeschwärzten und stellenweise verbrannten Flanellanzug.

Agnes antwortete nicht, rührte sich nicht …

Armaro flüsterte scheu:

„Sie hat den Verstand verloren … Gib es auf, Mafalda …“

Die Fürstin kannte kein Mitleid.

„Kommen Sie!“ befahl sie abermals, ergriff Agnes’ Hand und zog das Mädchen rasch nach dem Eingang der Strandgrotte hin.

Wieder kam Baru, das Untier, hinterdrein …

Und hier im Dunkel des Eingangs fragte Mafalda drohend:

„Wo liegt der Goldschatz verborgen? – Sprechen Sie …! Oder – – ich überlasse Sie Baru …!“

Agnes sah nur undeutlich die Umrisse der Gestalten Mafaldas und des Affenmenschen … Ihr Blick blieb stumpf. Selbst diese Drohung hatte keinerlei Wirkung.

Armaro hielt sich zurück, rief der Fürstin zu:

„Du wirst diese …“

Sie fiel ihm schon ins Wort.

„Dann … wird Gottlieb Knorz reden …!“

Unter der Jacke brachte sie die kleine Laterne zum Vorschein.

„Baru – trage das Mädchen!“ befahl sie dem riesigen Homgori …

Und Baru packte zu …

Ein klagender Schrei aus Agnes’ Munde hallte durch die Grotte wie das Wimmern eines gequälten Kindes.

Mafalda eilte voran – der Barrikade zu …

Und als sie nun dicht davor war, als die Leichen der beiden Matrosen hier halb den Weg versperrten, mußte Baru mit seiner leichten Last sie vor jeder Kugel decken … –

Mafaldas teuflisches Beginnen nahm jedoch einen völlig unerwarteten Ausgang …

In der Strandgrotte waren inzwischen Ellen, Gottlieb, Murat und die beiden anderen Homgoris mit den Vorbereitungen zur Flucht soeben fertig geworden. Der Ausgang nach der Klippe hin war geöffnet, aus drei Kisten hatte Gottlieb eine Art Nachen zusammengezimmert und auch soeben mit Hilfe eines Zündholzes von der Klippe aus das mit Hartwich verabredete Signal gegeben.

Murat, der intelligenteste der Homgoris und gerade Agnes Sandens treu ergebener Sklave, hatte derweilen die Barrikade bewacht.

Gerade Murat …

Seine scharfen Ohren hatten da in der Ferne Agnes’ Schrei vernommen. Sein überfeines Gehör erkannte die Stimme …

Und in blinder Hast hatte er die Blöcke des Durchschlupfs der Barrikade entfernt …

Sah nun eine Laterne draußen aufleuchten …

Hörte … eine andere Stimme, die Mafaldas:

„Gottlieb Knorz, wenn Sie sich nicht ergeben und mir nicht sofort verraten, wo …“

Anders kam’s …

Baru, das gierige Untier, toll gemacht durch die enge körperliche Berührung mit dem blonden Mädchen, hatte Agnes urplötzlich zu Boden gedrückt …

Wieder schrie sie da auf … Jetzt in wahnsinnige Angst … Jetzt Sekunden sich dessen bewußt, was ihr drohte …

Murat schnellte aus der Barrikade hervor … In der behaarten Hand die Pistole, die Gottlieb ihm anvertraut hatte …

Und mit dieser Pistole führte er einen gewaltigen Hieb gegen Barus Schädel …

Dabei entlud sich die Waffe … Dicht neben Mafalda klatschte die Kugel gegen das Gestein …

Die Fürstin riß Agnes empor … Die beiden zottigen Ungeheuer kämpften miteinander … Wildes Geheul erfüllte die Grotte …

Mafalda gelangte ins Freie. Noch hatte der nahende Tag die Dunkelheit nicht besiegt …

Und hier draußen riß Agnes sich plötzlich los, stürmte blindlings vorwärts …

Stolperte … und verschwand in der letzten schmalen Öffnung zwischen den Baumstämmen, die das Loch zum Erdinnern schon zum größten Teil überbrückt hatten. Keiner der Matrosen war in der Nähe. Sie holten gerade weitere Stämme vom Nordstrande. Nur Armaro, Torresco und Mafalda wurden Zeugen dieses jähen Sturzes in die Tiefe. Armaro lief hinzu, warf sich lang auf die Balkendecke und lauschte hinab …

Keinen Ton von dort unten, wo der Ozean die Riesenhöhle in einen See verwandelt hatte …

Torresco selbst war erblaßt, meinte zaghaft: „Man müßte doch versuchen …“

Mafalda lachte hart.

„Nichts wird man versuchen, Admiral … Das Mädchen ist tot. Wir sind schuldlos … Weshalb floh sie?!“

Armaro erhob sich wieder …

„Und – Knorz?“ fragte er leise.

„Torresco mag die beiden Kisten Dynamit bringen … Knorz ist ebenfalls tot … Wir sprengen die Grotte, und das ist das einfachste Begräbnis für die, die jetzt niemandem mehr schaden können.“

José Armaro wandte sich ab und ging schwer und schuldbewußt hinüber nach dem Doppeldecker. –

Mafalda und Torresco hatten die Sprengladung in die Grotte geschafft. Auf halbem Wege war ihnen Baru schwer verwundet entgegengekrochen. Er hatte mehrere Schüsse quer durch die Brust. Blutiger Schaum geiferte ihm vor den breiten Lippen. Die Fürstin beachtete ihn nicht. Vorsichtig schlich sie weiter. Hinter ihr her der dicke Torresco, schwitzend vor Angst …

Die Barrikade war wieder geschlossen …

Und kaum drei Minuten darauf brach die Strandgrotte durch die Kraft der ungeheuren Explosion in sich zusammen. So gewaltig war diese Kraft gewesen, daß dort, wo die Grottendecke nur aus einer dünneren Felsschicht bestand, große Erdeinstürze erfolgten und auch das Meer einen Zugang zu den tieferen Teilen fand. –

Als dies geschah, hatte Agnes Sanden unten im unterirdischen See den schwachen Lichtschein des einen Turmfensters der Sphinx bemerkt, war getaucht und hatte … Aufnahme gefunden …

Unbeachtet krepierte Baru, der Goliath, zwischen den Steinen vor der zerstörten Seegrotte …

Sein brechender Blick schaute die ersten Sonnenstrahlen, die über das Eiland flimmernd hinwegglitten.

In der Nähe des Doppeldeckers gab Armaro den acht Matrosen letzte Verhaltungsmaßregeln …

„Ihr seid mit Proviant, Trinkwasser und Waffen gut versorgt. Ihr bleibt acht Tagen hier. Dann lasse ich euch holen. Im übrigen seid ihr von heute ab … Offiziere!“

Auch hier wandte er das übliche Verfahren an, verschwiegene, zuverlässige Helfershelfer zu gewinnen. –

Hauptmann Sarotto drängte jetzt zur Abfahrt …

„Exzellenz, dort im Süden zieht ein Unwetter auf … Wir können die ‚Medusa’ in einer halben Stunde erreichen …“

Armaro, Torresco und Mafalda bestiegen die Gondel …

Das Flugzeug stieg empor. Die Matrosen winkten vergnügt …

Dann … feierten sie ihre Beförderung … Zwei Flaschen Rum befanden sich bei dem Proviant … Die Aluminiumbecher wurden gefüllt …

Der ein Matrose nahm nur einen kurzen Schluck.

„Teufel, wonach schmeckt das Zeug …“

„Ah bah – der beste Rum ist’s freilich nicht …,“ meinte ein anderer …

Das Unwetter kam rasch herauf, eine pechschwarze Wolkenwand, über die zuweilen ein fahles Leuchten hinglitt …

Die Schwärme der Seevögel strichen unruhig um die Klippen …

Neben dem Wrack des U-Bootes lagen jetzt acht leblose Gestalten mit unheimlich verkrampften Gliedern …

Der erste Sturmstoß fegte über die Insel hinweg, wirbelte den Sand auf …

Weitere folgten … rissen Dornen und Distelstauden empor, warfen den hellen Sand in immer dichteren Wogen über die Leichen der acht Betrogenen, begruben sie unter sich …

Über dem Eiland toste der Orkan … Der südliche Riffkranz war unter einer haushohen Brandung verschwunden …

Auch Mala Gura, die mittlere der drei Robigas-Inseln, lag noch im Zentrum des Unwetters. Auch hier schwangen sich am Südufer die anrollenden Wogen am felsigen Gestade zu weißen Gischtstreifen empor, die vom Winde weit ins Innere gejagt wurden. Desto ruhiger war das Meer auf der Nordseite dicht unter Land. Und hier hatte der gebrechliche Nachen, in dem naß bis auf die Haut und völlig erschöpft von dem grausamen Kampf mit den wütenden Elementen neben Gottlieb Knorz die zitternde Ellen hockte, während Murat und die beiden anderen Homgoris triefend und frierend ein Tau umklammert hielten, zwischen ein paar Klippen ein vorläufiges Versteck gefunden.

Das Tau war um eine Felszacke geschlungen, damit die Strömung das Fahrzeug nicht abtriebe.

Ein Wunder war’s, daß dieses armselige Floß, aus drei Kisten bestehenden, dem so jäh heraufkommenden Orkan entronnen war. Vielleicht war’s nur der unermüdlichen Muskelkraft der drei Affenmenschen zuzuschreiben gewesen, daß die Flüchtlinge dem Wogengraus entkamen. Murat und die Seinen hatten Unerhörtes geleistet. Mit den plumpen, nur aus Kistenbretter roh zusammengehauenen Rudern hatten sie den Nachen fast pfeilschnell vorwärtsbewegt, und Gottlieb hatte denn auch stets noch zur rechten Zeit das eingedrungene Wasser wieder mit seiner Mütze ausgeschöpft.

Ellen war vollständig teilnahmslos. Auch jetzt noch. Sie hatte in der Grotte die eine Salve sehr wohl gehört, hatte sich sofort diese Schüsse richtig gedeutet, hatte in ihrer Todesangst um den Gatten hinausstürmen wollen.

Nur mit Mühe konnte der treue Gottlieb sie in der Grotte zurückhalten. Nur mit Mühe gelang es ihm, ihr klarzumachen, daß, falls Gaupenberg und Hartwich wirklich hingemordet seien, gerade sie allein die Toten rächen könne.

Nach Ausbrüchen wildesten Schmerzes war dann bei Ellen dieser Zustand stumpfen trostlosen Hinbrütens gefolgt. So war sie willenlos mit in den Nachen gestiegen, hatte still und starr dagesessen und kaum aufgeschaut, als Gottlieb sie bat, sich tiefer zusammenzuducken, damit ihre Gestalt weniger sichtbar sei.

Bange Minuten waren’s für den braven Alten gewesen, als der Nachen aus der Nähe von Christophoro sich entfernte. Jeden Augenblick hatte Gottlieb gefürchtet, sie würden bemerkt werden. Zum Glück war die Jacht ‚Medusa’ bereits verschwunden, so daß Knorz zunächst direkt nach Osten steuern und dann erst nach Norden einbiegen konnte.

Halbwegs zwischen Christophoro und Mala Gura war der Orkan losgebrochen. Und auch da hatte Ellen keinerlei Teilnahme gezeigt. Durch nichts konnte sie aus ihrer Starrheit aufgerüttelt werden.

Auch jetzt versuchte Gottlieb wieder alles Mögliche, ihr Mut und Trost zuzusprechen und ihr zu beweisen, daß doch keineswegs die eine Salve mit aller Bestimmtheit auf die Ermordung der beiden Freunde hindeute.

Freilich, seine Beredsamkeit war matt, war farblos und wenig überzeugend. Er redete ja nur, um Ellen seelisch wieder aufzurichten. Er glaubte selbst nicht an seine Worte.

Auf Ellen Schoß lag der Teckel. Unermüdlich, ganz mechanisch streichelte sie ihn. Sie wußte gar nicht, daß sie es tat. Der übergroße Schmerz über den Verlust des Mannes, dem ihr Herz in so heißer Liebe sich hingegeben, hatte alles andere an Gefühlen in ihr erstickt. Ihr Herz war tot. Ihre Seele schluchzte in namenlosem Weh. Und doch fand sie keine Tränen mehr.

Dumpf heulte der Sturm in den Klippen, die um den Nachen wie ein steinerner Zaun sich erhoben. Von der Südseite her klang das ewig gleiche Konzert der gewaltigen Brandung herüber. Mövenscharen umkreisten die Klippen, zornig auf die frechen Eindringlinge, die sie von ihren Ruheplätzen vertrieben hatten.

Murat und die beiden anderen Tiermenschen, aus deren behaarten Gesichtern ein stummes Entsetzen über diesen Aufruhr der Elemente sprach, schnatterten zuweilen leise in der Sprache ihrer Affenahnen, der Gorillas.

Stunden vergingen so …

Erst gegen zehn Uhr vormittags ließ die Wut des Orkans ein wenig nach.

Und gerade da war’s, daß Gottlieb zwischen den Klippen nach dem Strande von Mala Gura hinüberspähend die Gestalt eines Mannes, eines Weißen, wahrnahm, der auf einem Hügel stand und ein Fernglas an die Augen hielt.

Der Mann spähte nach Süden aus. Dort lag Christophoro …

Knorz wußte nichts von den drei Detektiven, die der Jacht ‚Medusa’ bis hierher gefolgt waren …

Ahnte nicht, daß der Hagere dort der Detektiv Belam war, daß das große seetüchtige Rennboot der Amerikaner drüben in einer schmalen Bucht ankerte …

Nein – für irgendeinen der Schergen Armaros hielt er den Fremden. Drückte den plumpen Kistennachen nun noch dichter an die breiteste der Klippen heran.

Auch Murat erblickte den Hageren. Aus Gottliebs Benehmen schloß er, daß Gefahr von diesem Manne drohe …

Er fletschte das prachtvolle Gebiß und sagte leise in seinem unbeholfenen Englisch:

„Soll Murat an Land waten und Mann dort umbringen?“

„Still – still!“ warnte Knorz ängstlich, obwohl selbst lautes Rufen niemals bei diesem Getöse der See das Ohr des Fremden erreicht hätte. „Das muß einer der Feinde sein, Murat … Vielleicht sucht man nach uns …“

„Dann besser töten,“ brummte der Homgori.

Gottlieb schüttelte ärgerlich den Kopf und deutete auf Ellen …

Murat verstand. Er, bei dem menschliche Intelligenz sich mit dem überfeinen Instinkt des Tieres paarte, hatte längst begriffen, weshalb die weiße Miß so todtraurig war …

Er schwieg, beobachtete nur … – –

Der Detektiv Belam kehrte jetzt langsam zum Motorboot zurück und erklärte seinen beiden Gefährten, daß drüben auf Christophoro nichts mehr von der Anwesenheit von Menschen zu bemerken sei.

Carlson, der Führer der drei, meinte, man könnte dann ja einmal versuchen, auf der Insel irgendwie zu landen …

„Die Jacht ist weg, der Doppeldecker ist weg …! Ich muß wissen, was dort vorgegangen ist. – Los denn, der Orkan ist vorüber … Auch nach Christophoro!“

Das schlanke gedeckte Boot mit den beiden kleinen Masten schoß aus der Westbucht hervor, umrundete Mala Gura nach Norden zu …

Gottlieb sah es herankommen …

„Murat, Pistolen heraus! Aber nicht eher schießen, bis ich’s befehle …“

Etwa hundert Meter entfernt sauste die ‚Victrix’, das Fahrzeug der Amerikaner, dahin …

Aber, leider entging der Nachen mit den Flüchtlingen der Aufmerksamkeit der Detektive. Leider …!

Wie anders hätten sich Ellens und Gottliebs Schicksal gestaltet, wenn sie jetzt schon hier entdeckt worden wären, wenn sie dann erfahren hätten, daß es nicht Feinde, sondern Freunde und Helfer waren, die über die windschnelle ‚Victrix’ verfügten!

Es sollte nicht sein …

Nach Süden zu entschwand das flinke Rennboot …

In die Gegenrichtung ruderten jetzt die Homgoris in wilder Hast – dem nördlichsten der drei Robigas-Eilande entgegen.

Nach einer Stunde hatten sie es erreicht.

Keine sandige Insel mit einigen Felspartien war Bona Vista. So hieß dieses Eiland. – Nein – Bona Vista war nichts als ein steil aus dem Meere aufsteigender, im Inneren wild zerklüfteter Felswürfel von einer halben Meile Seitenlänge, ein Eldorado der Seevögel …

Nur an der Nordseite zogen sich tiefe Schlünde durch die schroffe Küste und bildeten Buchten, deren Wände glatt wie die Mauern waren …

Totenstille herrschte in diesen engen Kanälen, die ein wahres Labyrinth bildeten. Hoch über den Felswänden aber kreisten die weißen Wolken der Möven, ein unruhiges Völkchen, – Tausende und aber Tausende.

Hier fand Gottlieb endlich in einem der Kanäle eine flache Uferstelle, von der sich terassenförmig eine schmale Schlucht nach oben zog. Hier landete man … Und mit dieser Landung begann das abenteuerliche, aufregende, geheimnisdurchwehte Robinsonleben dieser fünf Flüchtlinge und eines kleinen gelbfahlen halbblinden Teckels. –

Derweil hatte die ‚Victrix’ die Südinsel Christophoro mehrfach umkreist, ohne daß Carlson irgendwo einen Durchschlupf durch den Brandungsgürtel gefunden hätte.

Channon, der jüngste der drei, entdeckte schließlich jene große Klippe, die einst – und dies war noch am Tage zuvor – den zweiten Ausgang der Strandgrotte gebildet hatte.

Man versuchte diese Klippe zu erreichen. Es gelang. Und von ihr aus schwammen Carlson und Channon dann ans Ufer hinüber.

Eine volle Stunde durchstreiften sie die kleine Insel. Das einzige Bemerkenswerte hier war das im Flugsand halb verborgene Wrack des U-Bootes.

Im übrigen hatte der Sturm alles an Spuren beseitigt, was den Amerikanern Aufschluß über die Ereignisse hier hätte geben können. Der aus Baumstämmen und Felsen hergestellte Verschluß der Riesenhöhle war ebenfalls so unter fliegendem Sand verschwunden, daß er völlig einer zufälligen Steinanhäufung glich.

Carlson war sehr enttäuscht.

„So müssen wir denn also wirklich unverrichteter Sache nach Taxata zurückkehren,“ meinte ärgerlich. „Wir hofften hier Ellen Barrouph zu finden, hofften den deutschen Grafen, seine Sphinx und deren andere Insassen kennen zu lernen … Nichts von alledem …! Und doch muß es mit dem Goldschatz, von dem wir durch die aufgefangene Radiodepesche Kunde erhielten, seine Richtigkeit haben …! Denn, wie kommt das Wrack des U-Bootes sonst hier mitten auf die Insel?!“

Channon sagte bescheiden:

„Mag Armaro uns diesmal auch entgangen sein …! Wir fassen ihn schon noch ab. Wir werden Miß Barrouph finden, falls sie nicht tot ist. In Taxata setzen wir unsere Arbeit fort, Carlson … Unser Chef Worg ist ganz der Mann danach, Armaro einzukreisen. Wir sind ja unserer sieben dort in Taxata.“

Carson nickte. „Also dann – Heimkehr nach Taxata …! Wir können Worg nur melden, daß hier allerlei auf der Insel sich abspielte, daß aber die Entfernung für unsere Gläser zu groß war.“

Als die ‚Victrix’ dann sechzehn Stunden später bei Nacht in den Hafen von Taxata eingelaufen war, als Carlson seinem Chef Worg Bericht erstattet hatte, da reichte ihm dieser die Abendausgabe der Taxata-Post, deutete auf einen Artikel auf der ersten Seite.

‚Amtlich wird folgendes bekannt gegeben. Die Jacht Seiner Exzellenz des Präsidenten wurde bei einer Fahrt nach den der Republik gehörigen Robigas-Inseln vom Strande aus beschossen. Auch die Landung bewaffneter Matrosen wurde zu verhindern gesucht, wobei die Besatzung der ‚Medusa’ sechs Mann verlor. Wie sich dann herausstellte, hatten sich auf Christophoro eine Anzahl Abenteurer eingenistet, von denen zwei sofort standrechtlich erschossen werden konnten. Ihr Fahrzeug, ein größeres Boot, versank in einem unterirdischen See. Hierbei scheint der Rest der Piraten ums Leben gekommen zu sein. –

Seine Exzellenz der Präsident hatte die ‚Medusa’ in bestimmter Absicht nach den Robigas-Inseln geschickt. Schon längst hatte Seine Exzellenz vermutet, daß ein politischer Gegner vielleicht die junge Amerikanerin Miß Ellen Barrouph habe entführen lassen, um dem Präsidenten der Republik Ungelegenheiten zu bereiten. Seine Exzellenz hatte nun gehofft, vielleicht auf Christophoro Miß Barrouph vorzufinden und die junge Dame den besorgten Eltern wieder zuführen zu können. Leider endete diese Expedition in ganz anderer Weise. Die ‚Medusa’ hat bei den Kämpfen mit den Piraten nicht weniger als fünfzehn Mann verloren. Wegen hervorragender Tapferkeit konnte Seine Exzellenz einige der Offiziere außer der Reihe befördern. Ebenso ist unser hochverehrter Admiral Sennor Torresco aus denselben Gründen zum Großadmirals unserer Flotte ernannt worden. –

Nochmals machen wir sämtliche Bewohner unserer Republik darauf aufmerksam, daß Seine Exzellenz der Präsident demjenigen eine Belohnung von fünftausend Dollar zusichert, der über das Verschwinden Miß Barrouphs wertvolle Angaben zu Protokoll geben und diese Angaben auch beweisen kann.’

Jakob Worg, der berühmteste Detektiv Neuyorks, sagte jetzt zu seinem Angestellten Carlson:

„Nun, wie denken Sie über diese famose amtliche Notiz?“

Carlson knüllte ingrimmig die Zeitungen zusammen …

„Der Schuft ist schlau …! Diese Meldung ist … glänzend erlogen …“

„Und die … Die Piraten?! Damit sind natürlich die Insassen der Sphinx gemeint … Zwei hat er erschießen lassen … Hm – haben Sie denn dort etwas von einem unterirdischen See gefunden?!“

„Nichts … keine Spur …! Das muß … erdichtet sein …“

Worg, der seit Wochen hier in Taxata in der Maske des Gesandtschaftsrates Roger Shelling weilte, flüsterte jetzt:

„Unsere Leute haben die ‚Medusa’, nachdem sie hier am Kai festgemacht hatte, keine Sekunde aus den Augen gelassen … Gestern Nacht stieß ein Boot von der ‚Medusa’ ab. Es landete weit südlich von Taxata in einer sumpfigen Flußmündungen. Dort stand ein geschlossenes Auto bereit, das dann nach der Zitadelle fuhr … – Der Teufel mag wissen, wen Armaro auf diese Weise nach der Zitadelle schaffen ließ …“

Carlson lächelte …

„Wir werden es schon herausbekommen, Mister Worg … Vielleicht lasse … ich mich ein wenig einsperren … Wollen sehen …“

Worg nickte … Flüsterte noch leiser: „Dann könnte man vielleicht auch etwas für die achtundzwanzig Offiziere tun … – Doch – für heute genug … Schlafen Sie sich erst einmal gehörig aus, lieber Carlson … Gute Nacht …“

 

102. Kapitel.

Als Agnes erwachte …

Kehren wir zurück in die Aztekenhöhle auf Christophoro – in die Riesenhöhle, die jetzt, in einen unterirdischen See verwandelt, von aller Welt abgeschnitten war …

Auf der Oberfläche dieses Sees schwamm die Sphinx … War mit Tauen an ein paar Felsen befestigt, die vor dem Einbruch des Ozeans zackige Hügel dieser Welt der Finsternis darstellten.

Edgar Lomatz hatte die Sphinx emporsteigen lassen, nachdem er und Jimminez die drei Insassen des Bootes, die als Gegner hätten gefährlich werden können, unschädlich gemacht hatten. Doktor Dagobert Falz und Pasqual Oretto, der Taucher, saßen gefesselt auf Stühlen in der einen Kabine. Nebenan war die rotblonde Mela als Krankenpflegerin zusammen mit der noch immer schlafenden Agnes einegesperrt. –

Lomatz und der Geheimagent standen im Führerraum der Sphinx und besprachen ihre Lage …

„Es ist klar, der Strudel hat uns hier in die Tiefe gerissen,“ meinte Lomatz. „Und – hier sitzen wir nun fest!“

Jimminez sog an einer Zigarre …

„Die Höhle hier hat einen Ausgang gehabt,“ brummte er nachdenklich. „Die Scheinwerfer haben uns soeben dort oben die Schicht von Baumstämmen über dem zackigen Loche gezeigt. Der Satan mag wissen, was dies alles bedeutet. – Wo nur ist Gaupenberg? Wo die anderen?! Sie waren doch sämtlich hier auf der Sphinx, als diese San Miguel verließ. Nur Steuermann Hartwich fehlte …“

„Ja … und wo ist der Schatz?!“ sagte Lomatz mit ärgerlichem Auflachen. „Er war droben in der Strandgrotte – droben, falls wir uns hier wirklich auf Christophoro befinden …“

Der Geheimagent fluchte …

„Hätte ich nur meine Hände von diesem Golde gelassen …! Der Satan mag’s holen …!!“

„Hm – dann möchte ich der Satan sein, mein lieber Alfonso …! – Nur Geduld … Wir werden alles erfahren … Gehen wir mal zu unseren beiden Gefangenen …“ –

Doktor Falz und Pasqual Oretto hatten inzwischen flüsternd ebenfalls mancherlei besprochen. Sie waren nicht geknebelt, und ihre ganze Sorge galt einzig und allein der bedauernswerten Agnes, die nach all dem Entsetzlichen, was sie erlebt hatte, offenbar schweren Schaden an Körper und Geist erlitten zu haben schien.

„Wenn es wahr ist,“ meinte Doktor Falz trübe und mit traurigem Blick auf das biedere braune Gesicht des Tauchers, „– wenn es wahr ist, daß Gaupenberg und Hartwich erschossen worden sind, dann … wird Agnes’ erste Frage nach ihrem Erwachen Gaupenberg gelten, ihrem Verlobten. Und dann wird die Erinnerung vielleicht mit krasser Deutlichkeit wieder lebendig werden. Daß Graf Viktor, unser Freund, ihr Geliebter, niemals mehr seine gütigen Augen in tiefem Glück in die ihren senken wird …! Und ob ihr schon jetzt so schwer in Mitleidenschaft gezogener Geist diesen furchtbaren Stoß einer niederschmetternden Erkenntnis überstehen wird, – – ich bezweifle es …“

Doktor Falz äußerte sich hier jetzt Pasqual Oretto gegenüber in ähnlicher Weise, wie er dies schon vorhin zu seiner Tochter Melanie getan hatte …

Draußen im Schiffsgang dröhnten Schritte näher. Die Kabinentür wurde von außen aufgeschlossen, und Jimminez und Lomatz traten ein.

Das Benehmen dieser beiden Verbrecher ihren Gefangenen gegenüber entbehrte nicht einer gewissen Höflichkeit, die wohl darauf zurückzuführen war, daß sowohl der Geheimagent als noch viel mehr Edgar Lomatz vor Doktor Dagobert Falz eine abergläubische Scheu empfanden.

Das, was diese beiden Gegner der Sphinxbesatzung mit Doktor Falz erlebt hatten, war freilich auch ganz dazu angetan gewesen, ihnen diesen seltsamen Mann wie einen mit übernatürlichen Gaben ausgestatteten Zauberer erscheinen zu lassen. Niemals würden die beiden jene Stunde vergessen, in der das Grauen vor Doktor Falz’ Unverwundbarkeit und vor dem jähen Verfall der Leiche der Spanierin sie blindlings in das Dornendickicht der Insel Christophoro getrieben hatte.

So sagte denn auch jetzt Edgar Lomatz mit einer Liebenswürdigkeit, die diesem abgebrühten Schurken seinen Feinden gegenüber sonst nicht eigen:

„Herr Doktor, wir möchten einige Fragen an Sie richten. – Hier vor Ihnen Versteck zu spielen, wäre zwecklos. Sie und Ihre Freunde wollen den Milliardenschatz für Deutschland bergen, wir hier, die weniger ideal Veranlagten, wünschen das Gold in unseren Besitz zu bringen. Wir sind Feinde, seit vielen Wochen. Der Kampf ist bisher nach den unglaublichsten Zwischenfällen unentschieden geblieben. Augenblicklich haben Jimminez und ich die Oberhand. Unsere bisherige Verbündete Mafalda scheidet für uns aus. Sie war von jeher eine treulose Intrigantin, und sie hat uns auch jetzt zuletzt wieder in nichtswürdiger Art im Stich gelassen, als unser Schoner in einen Meeresstrudel geriet. Sie entfloh im Boot mit Hilfe der drei Homgoris, die wir an Bord hatten, und ganz fraglos hat sie nun wieder mit ihrem früheren Liebhaber, dem feinen Präsidenten José Armaro, gemeinsame Sache gemacht …“

Doktor Falz nickte.

„Ich sah die Fürstin neben Armaro oben am Rande des Felsloches stehen, das den Zugang zu dieser Riesenhöhle bildete … bildete!! Denn er ist jetzt verschlossen, zugedeckt worden.“

„Also doch!“ rief der Geheimagent da. „Also befinden wir uns wirklich unterhalb der Insel Christophoro …!“ Ihm dauerten Lomatz’ langweilige Ausführungen zu lange. „Wo ist der Schatz?“ fragte er ein wenig drohend. „Zuletzt lag er oben in der Strandgrotte.“

Falz blickte Jimminez ernst an …

„Der Schatz, Alfonso Jimminez, ist verloren …“

„Wie das?! Verloren?!“ Und der Riese trat dicht vor Dagobert Falz hin und starrte ihm unsicher in das intelligente Gesicht.

„Es ist so, wie ich es sage,“ erklärte der Doktor kühlen Tones. „Ich pflege nie zu lügen. Der Schatz ist versunken, vom Ozean verschlungen. Ob es je gelingen wird, ihn wieder zu heben, entzieht sich meiner Beurteilung.“

„Wo versunken?“ stieß Jimminez hervor, und sein grobes Antlitz verzog sich vor Enttäuschung zu einer Fratze.

Lomatz lachte da. Er sah seines Spießgesellen Gesicht …

„Du, ich denke, der Satan soll das Gold holen …! Und jetzt machst du doch ganz den Eindruck, als ob …“

„Halt’s Maul,“ fuhr der Riese auf. „Herr Doktor – also wo liegt der Schatz …?“

„Oestlich der Insel unter dem Meere … Die Stelle könnte niemand Ihnen genau bezeichnen …“

Und Falz sprach auch hiermit nicht die Unwahrheit. Das Gold ruhte ja tatsächlich im Osten von Christophoro unter dem Ozean – eben in dieser Riesenhöhle, im einstigen unterirdischen Reiche der Azteken, in König Matagumas Schatzkammer, die jetzt wie alles andere unter den Fluten begraben war.

Jimminez merkte, daß Falz ihn nicht zu täuschen versuchte. Auch Lomatz fühlte das.

Die beiden blickten sich an … In ihren Zügen arbeitete es …

Dann stieß der Geheimagent eine grelle Lache aus.

„Ah – also deshalb all die Gefahren!! Der Schatz ist hin!! Alles war umsonst!“

Lomatz, der vor Erregung die Farbe gewechselt hatte, meinte zaghaft:

„Herr Doktor, wer … wer versenkte das Gold dort …?“

„Azteken, Indianer, – die letzten Nachkommen eines einst mächtigen Volkes, die hier in dieser Höhle gehaust hatten, bevor der Einbruch des Ozeans sie alle auslöschte … Azteken brachten die Goldmilliarden aus der Strandgrotte anderswohin … Nun … bewacht der Ozean wieder die Schätze …“

Jimminez zuckte die Achseln …

„Verloren – – für uns alle! Auch Lomatz und mich! Und – wer ist schuld daran – Mafalda Sarratow! Das Gold wäre längst unser, wenn sie Treue bewahrt hätte …!“

Ein zischender Laut kam über seine Lippen …

„Diese Bestie soll mich kennen lernen!! Ich werde nicht ruhen, bis sie …“

Falz unterbrach ihn. „Hören Sie mich an, Alfonso Jimminez … Von einem Kampf um den Goldschatz ist kaum die Rede mehr. Wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit besser Dingen zu, die uns alle hier auf der Sphinx etwas angehen. Wir sind in dieser jetzo klein gewordenen, mit Wasser angefüllten Höhle eingeschlossen. Lassen Sie uns Frieden schließen – bis auf weiteres. Arbeiten wir gemeinsam an unserer Befreiung. Die Sphinx muß repariert werden. Das Gehäuse für die Sphinxröhre am Heck ist schwer beschädigt. Wir müssen eine neue Röhre einsetzen, damit das Boot wieder aufsteigen kann. Dann erst können wir versuchen, den Deckel aus Baumstämmen über der Öffnung zu beseitigen. – Außerdem aber gibt mir auch Agnes Sandens Gesundheitszustand Anlaß zu schweren Sorgen. Ihren verworrenen Angaben nach sind Gaupenberg und Hartwich erschossen worden …“

Die beiden Verbrecher riefen da in einem Atem:

„Von Armaro?“

Man sah es ihren Gesichtern an, wie verschieden diese Mitteilung im übrigen auf sie gewirkt hatte.

Lomatz’ Augen verrieten hämische Freude. Jimminez aber, der Kraftmensch, schien dieses Ende der beiden Gegner zu bedauern, denn er fügte hinzu:

„Oh – dann steckt Mafalda dahinter, Herr Doktor! Diese Kanaille hat schon ganz anderes angestiftet als diesen erbärmlichen Mord zweier Herren, für die ich trotz aller Gegnerschaft stets Hochachtung empfunden habe …“

Lomatz blickte ihn ob dieser Äußerung grinsend an.

„Aus deiner Hochachtung würden sie sich verdammt wenig gemacht haben, Alfonso … – Doch, der Herr Doktor hat ganz recht … Begraben wir das Kriegsbeil … Versprechen wir uns hier gegenseitig in die Hand, so lange gemeinsam die Sphinx als Gefährten zu bewohnen, bis … bis …“

Er zauderte …

„… bis wir Sie beide eben nach Ihrem Wunsch irgendwo abgesetzt haben,“ vollendete Falz den Satz.

Jimminez überlegte, und auch Lomatz schien hiermit nicht ganz einverstanden.

Den Geheimagenten winkte Lomatz. Sie traten in den Gang hinaus, flüsterten …

Und als sie dann wieder in der Kabine erschienen, erklärte der Geheimagent:

„Nein, Herr Doktor, auf den Handel gehen wir nicht ein. Wir beide sind jetzt hier die Machthaber, sind eben Herren des Bootes. Die Sphinx muß unser bleiben.“

Doktor Falz erwiderte nur: „Versuchen Sie doch einmal, ohne unsere Hilfe aus der Höhle hier herauszukommen …“

„Hm,“ brummte der Riese … „Lassen wir doch diese Frage überhaupt ruhen … Also – Waffenstillstand für vierundzwanzig Stunden …“

„Gut – abgemacht…“

Jimminez löste die Fesseln der beiden. Falz zog seine Taschenuhr.

„Ach Uhr morgens ist’s … Also – bis morgen acht Uhr früh, Jimminez …“

Der Riese nickte und streckte ihm die Hand hin …

„Schlagen Sie ein, Herr Doktor …“

Falz tat es, behielt des Geheimagenten Hand in der seinen, schaute ihn fest an und sagte:

„Es ist schade um Sie, Alfonso Jimminez …“

Dann ging er hastig zur anderen Kabine hinüber, wo Agnes und Mela sich befanden, drehte den Schlüssel herum und trat ein.

Mela saß am Bett der Ärmsten …

Falz winkte seinem Kinde zu, flüsterte:

„Wir haben mit den beiden vorläufig Frieden geschlossen … Geh’ nun, Mela, lege dich nieder … Du siehst vollkommen erschöpft aus …“ –

Dann war er mit der Kranken allein, beugte sich über sie, prüfte den Puls … Das Herz schlug sehr unregelmäßig. Der Atem kam stoßweise, und noch immer bedeckte Agnes’ Wangen fahle, gelbliche Blässe.

Seufzend zog Falz den Stuhl dicht ans Kopfende des Bettes und setzte sich auch.

Er hörte, wie draußen im Gange Pasqual und die beiden anderen eifrig hin und her schritten, hörte dumpfes Hämmern und Pochen am Heck des Bootes…

Regungslos saß er, den Kopf auf die Brust gesenkt, den Blick auf Agnes’ Antlitz geheftet.

Deren Augenlider zuckten zuweilen. Mitunter lief es wie ein Krampf über ihr Gesicht. Das Schlafmittel, das er ihr eingeflöst, schien doch keine Macht über diese aufgepeitschten Nerven zu haben.

Stunden verflossen so. Immer mehr zeigten sich bei der Schlummernden die Merkmale schwerer, ängstigender Träume. Häufig flüsterte sie unverständliche Worte. Noch häufiger röchelte sie schrill, als ob ein gellender Schrei sich aus der Kehle hervordrängen wollte. –

Pasqual trat lautlos ein.

„Wir sind fertig, Doktor … Die Ersatzröhre ist eingesetzt … Wir können aufsteigen und einmal den Balkendecke der Öffnung untersuchen.“

„Freund Pasqual, ich bin hier jetzt nicht abkömmlich …“ meinte Falz traurig. „Unsere Agnes kann jeden Augenblick erwachen. Handeln Sie also, wie Sie es für richtig halten …“

Der brave Taucher seufzte. Seine Augen ruhten voll innigen Mitleids auf dem blonden jungen Weibe, das vom Schicksal so furchtbar getroffen worden war.

Dann schlich er hinaus, begab sich an Deck und sagte zu Lomatz und Jimminez:

„Der Doktor will, daß wir allein handeln. Agnes Sanden ist jetzt unsere größte Sorge …“

Lomatz verzog sein Fuchsgesicht zu einem niederträchtigen Lächeln. Er wünschte Agnes das … Schlimmste. Er haßte sie mit der ganzen Niedrigkeit seines Charakters, haßte in ihr die Reinheit und das Gute, eben seine einstige Verlobte, die sich voll Grauen von ihm abgewandt hatte.

Die beiden hier an Deck leuchtenden Scheinwerfer enthüllten des Elenden häßliches Grinsen.

Pasqual ballte die Fäuste … Sein heißes südländisches Blut brauste auf …

„Ins Gesicht möchte ich Ihnen schlagen, Sie … Lump!“ fuhr er den Verbrecher an …

Und auch Jimminez spie vor Lomatz aus …

„Du bleibst doch stets ein gemeiner Kerl …!“ meinte er drohend …

„Nette Verbündete!“ höhnte Lomatz und drehte ihnen den Rücken.

Pasqual beruhigte sich …

„Er ist’s gar nicht wert!“ sagte er laut … „Vorwärts – steigen wir auf, bis dicht unter die Balkenschicht … Ein paar Sprengschüsse werden uns Luft schaffen …“

Lomatz rief von der Reling her:

„Umkreisen wir erst einmal diesen unterirdischen See … Mir scheint, daß dort drüben irgendwoher Tageslicht eindringt …“

Er hob den Arm … „Dort … ist das nicht wie ein heller Schimmer?“

„Unmöglich!“ erklärte der Taucher. „Diese Höhle hatte nur noch einen zweiten Ausgang in Gestalt einer Steintreppe, die in einem Felsenschacht emporlief. Schacht und Treppe stehen jetzt unter Wasser.“

Jimminez starrte hinüber – meinte dann:

„Und doch hat Lomatz recht … Das ist Tageslicht …“

„Ich werde die Sphinx hinsteuern,“ – Und Lomatz stieg in den Mittelturm hinab und ließ die Motoren des Bootes arbeiten …

Langsam glitt die Sphinx nach Osten zu über den düsteren See, den das Felsgewölbe als grauschwarzer Himmel überspannte.

Pasqual und Jimminez waren an Deck geblieben. Klarer und klarer trat nun dort in der Höhlendecke eine meterbreite, lichterfüllte Spalte hervor …

Das Boot stoppte. Jimminez hatte einen Bootshaken bereitgehalten, zog die Sphinx ganz nahe an die Spalte heran.

Lomatz kam nach oben.

„Unerklärlich,“ meinte der Taucher. „Diese Öffnung war noch vor kurzem bestimmt nicht vorhanden.“

Dann schwang er sich in die Kluft hinein, während der Geheimagent mit einer Trosse die Sphinx an einer Steinzacke vertäute.

Die drei Männer nahmen jeder eine Laterne mit. Der Aufstieg in der Spalte war außerordentlich schwierig. Überall versperrten Felsblöcke den Weg, die sich in die Spalte eingeklemmt hatten, als ob sie mit ungeheurer Kraft von oben hineingeschleudert wären.

Kriechend, springend, sich gegenseitig emporhebend – so kamen die drei endlich keuchend in einen zweiten schrägen Schacht, der kaum breit genug war, einen Menschen hindurchzulassen.

Abermals begann ein mühseliges Klettern und Klimmen … Jimminez war als erster dann im Freien, hatte die Dornenbüsche, die oben diese Spalte bedeckten, beiseite geräumt, zog nun Pasqual empor, dann auch Lomatz …

Sie standen inmitten eines wilden Übereinanders von Felsbrocken …

Sie kannten die Insel … Und doch, hier der Ostrand schien ihnen völlig verändert.

Dort der Felsenhügel, neben dem sich sowohl der Eingang zur Strandgrotte als auch der in die Riesenhöhle befunden hatte …

Beide Öffnungen waren verschwunden … Sandmassen bedeckten überall das Gestein … Ein heftiger Wind trieb noch immer ganze Wolken vom Sand über die Insel … Die Brandung an der Südküste tobte und donnerte ärger denn je …

Pasqual Oretto sagte plötzlich:

„Man hat die Strandgrotte gesprengt … Daher diese Veränderung, daher auch der neue Zugang zum Reiche der Azteken …“

„Es muß so sein,“ nickte Lomatz …

„Sehen wir zu, ob wir hier auch sicher sind,“ meinte der Geheimagent hastig. „Ich werde den Hügel erklettern … Man kann von dort das Eiland überschauen …“

Er lief hinüber, war in kurzem auf der Spitze des Hügels, duckte sich aber sofort wieder und rutschte von Stein zu Stein, kehrte zu den anderen zurück …

„Ein großes Boot naht von Norden … Ein Motorkutter … Verschwinden wir … Es kann ein Fahrzeug des Oberbanditen Armaro sein …“

Eilends kochen sie wieder in die Spalte hinein, Jimminez als letzter. Er zog die Büsche hinter sich über die Öffnung und sagte gelassen: „Der Wind verweht meine Spuren … Ich werde das Boot beobachten.“ –

Das Boot war die ‚Victrix’ der drei amerikanischen Detektive, die Ellen Barrouph suchten und José Armaros Schandtaten aufdecken wollten.

Die Männer in der engen Felsspalte wußten nichts von der Bedeutung des schlanken Rennbootes, das jetzt draußen an der Klippe anlegte. Zwei Leute schwammen zur Insel hinüber, schienen sich hier lediglich genauer umsehen zu wollen … Nach einer halben Stunde ging das Motorboot wieder gen Osten in See …

„Der Satan mag erraten, was das für Kerle waren,“ meinte Jimminez. „Weiße jedenfalls … Trugen so eine Art Sportanzüge, hatten Gesichter wie … wie – ja, wie Schauspieler … Nur ganz braun.“

Der Geheimagent stand oben am Rande der Spalte. Lomatz kroch nun gleichfalls hinaus …

Da hörte Pasqual Oretto von unten her einen lauten Ruf – Doktor Falz’ Stimme …

In den Felsschlünden pflanzte der Schall sich in unverminderter Stärke fort …

„Pasqual – – Pasqual, wo seid Ihr?“

Der Taucher brüllte zurück:

„Wir haben einen neuen Ausgang gefunden …! Ich komme …“ –

In Agnes Sandens Kabine hatte Doktor Falz inzwischen vielleicht die peinvollsten Minuten seines ganzen bisherigen Lebens durchgemacht …

Agnes schlug mit einem Male die Augen auf …

Und – setzte sich mit einem Ruck aufrecht, strich das immer noch feuchte Haar aus dem blassen Gesicht …

Den Blick hielt sie starr geradeaus gerichtet …

Schien weder Dagobert Falz noch irgendetwas anderes zu sehen.

Und doch war dieser Blick weder leer noch leblos …

Es lag ein Ausdruck tiefen Grübelns darin … Und dieses Bewußte, Nachdenkliche steigerte sich … Agnes’ Stirn krauste sich leicht.

Falz merkte, sie suchte ihre Gedanken zu ordnen, suchte die jüngste Vergangenheit wieder aufleben zu lassen!

Und – eine Angst packte ihn da, schlimmer, als säße er hier am Rande eines Vulkans, der jeden Moment Feuer und Lava ausspreien konnte …

Entsetzliches fürchtete er – den Ausbruch des Wahnsinns bei diesem so unendlich zu bedauernden jungen Weibe!

Minuten rannen dahin wie Ewigkeiten …

Agnes rührte sich nicht …

Doktor Falz perlte der Schweiß über das Gesicht …

Und dann – drehte Agnes langsam den Kopf …

Schaute den väterlichen Freund aus klaren Augen an …

Ein glückseliges Lächeln erschien auf ihrem plötzlich sanft geröteten Gesicht …

„Viktor lebt,“ sagte sie wie in stillem Jubel. „Ich … habe geträumt, daß er lebt, daß er nicht erschossen wurde … Lieber Herr Doktor, ich muß mich rasch davon überzeugen … Ich weiß ja, wo für Viktor und Hartwich die Sandlöcher geschaufelt waren … Vor diesen Löchern standen sie … Die Schüsse knallten … Ich wurde ohnmächtig …“

Sie lächelte weiter …

Falz nahm ihre Hände.

„Mein Kind, quäle dich jetzt nicht mit diesen Gedanken …“

Seine Stimme zitterte … Und doch war er froh, daß Agnes’ Geist sich in dieser milden Form unerachtet hatte …

„Gewiß lebt Viktor,“ fügte er hinzu … „Du wirst ihn schon wiederfinden … Mein liebes Kind, nun lege dich wieder nieder und …“

Agnes drückte seine Hände …

„Still … still …! Ich ahne, Sie denken, ich sei … krank … Nein, nein, – – Viktor lebt! Wir werden das Sandloch aufschaufeln … Und es wird leer sein …“

Ein seltsamer Glanz war in ihren Augen …

„Sofort werden wir uns überzeugen, lieber Herr Doktor … Ich werde mich rasch ankleiden … – Oh – schauen Sie mich doch nicht so mitleidig an … Es ist ja nun alles gut … Viktor lebt … Ich habe ja auch, als man ihn und Hartwich wegführte, Sie zu Hilfe gerufen … Gerade Sie, Herr Doktor …“

Falz’ Gesicht veränderte sich …

Er besann sich, daß in dieser verflossenen Nacht, als er mit seiner Tochter im Türme der Sphinx gestanden hatte, ganz plötzlich dieser seltsame Zustand von völliger Weltentrücktheit ihn befallen hatte, der bei ihm stets Ereignisse außerhalb seines eigenen Erlebens ankündigte, in die er nur durch die Macht der Gedankenübertragung mit hineingezogen wurde …

Er besann sich weiter, daß er in jener kurzen Spanne Zeit, in der ihn also fraglos Agnes’ Hilferuf erreicht hatte, eine Vision geschaut – so merkwürdig, daß er ihr keinerlei Bedeutung beigemessen, eine Kerkerzelle, in der bei einem trübe flackernden Lichte zwei Männer auf ihren harten Pritschen saßen!

Sollte diese Vision sich wirklich auf Gaupenbergs und Hartwichs spätere Schicksale bezogen haben?!

Jedenfalls, er war über Agnes Sandens beglückenden Traum jetzt anderen Sinnes geworden … Und er betrachtete sie auch nicht mehr als Kranke, sah ein, daß ihr Verlangen, sich Gewißheit zu verschaffen, indem man die Sandlöcher aufgrub, einem klaren Geist entsprungen war.

„Ich werde Pasqual aufsuchen,“ erklärte er hastig … „Kleide dich derweil nur an, mein Kind …“

Und er beugte sich über sie und küßte ihre zarte Stirn mit der ganzen Innigkeit eines wahrhaft väterlichen Freundes.

Dann verließ er die Kabine …

In Agnes’ Augen blieb das selige Leuchten …

„Viktor, ich werde dich finden,“ flüsterte sie … „Aber nicht als Toten – als Lebenden …!“

 

103. Kapitel.

Bona Vista, die Insel der Geheimnisse.

Bona Vista …

Nördlichstes der drei Robigas-Eilande …

Steile Küsten … Eine Felswildnis … Ungeheuerliche Seevögelschwärme …

Unbewohnt wie die beiden anderen, wie Mala Gura und Christophoro …

Gemieden von den Seefahrern … Der Brandung, der Riffe wegen … Eigentum der Republik Patalonia …

Und hier nach Bona Vista war der plumpe, aus Kisten zusammengenagelte Nachen geflüchtet, dem sich Gottlieb Knorz, Ellen Barrouph und die drei Homgoris anvertraut hatten.

Hier hatten sie in dem Labyrinth der Kanäle an der Nordseite die Terrassen gefunden, die ihnen einen Zugang zum Innern der Felsenwüstenei boten.

Ohne Trinkwasser, ohne Lebensmittel waren sie hier gelandet … Erschöpft, durchnäßt …

Aber der wackere alte Gottlieb war nicht der Mann, der lange überlegte und zauderte …

„Ziehen wir unser Floß aufs Trockenen,“ sagte er zu Murat, dem Affenmenschen. „Dorthin – an jene sonnige Stelle der zweiten Terrasse … Dort mag Miß Ellen ausruhen … Inzwischen werden wir beide, Murat, die Insel mal durchqueren …“

Die drei Homgoris packten zu.

Im Nu hatten sie den Nachen oben auf die Terrasse geschleppt.

Gottlieb nickte zufrieden.

„So, Miß Ellen, jetzt werden Sie hier unter dem Schutze der beiden anderen Homgoris ein paar Stunden schlafen. Die Sonne meint es gut mit uns … Unsere Kleider werden bald wieder knochentrocken sein … – Murat, nimm die leeren Konservenbüchsen mit. Es sind die einzigen Behälter, die wir haben. Möveneier schmecken ganz gut, und auch Trinkwasser werden wir finden.“

Seine heitere, zuversichtliche Art wirkte auf Ellen Barrouph geradezu belebend. Sie fühlte, daß der brave Alte ihr über die Schrecken der letzten Stunden hinweghelfen wollte.

„Ich danke Ihnen – – für alles, Herr Knorz,“ sagte sie leise, während ein paar Tränen ihr den Blick verdunkelten …

Ihre Gedanken waren auch jetzt bei dem geliebten Toten – bei ihrem Gatten, bei Georg Hartwich …

Knorz polterte scheinbar ärgerlich heraus:

„Wie – was?! Herr Knorz – Herr Knorz?! Gottlieb heiße ich …! Nur Gottlieb … Und ich werde jetzt Frau Ellen sagen …! – He – was sollen wohl die Tränen?! Wissen Sie denn so bestimmt, daß unser Georg tot ist?! – Nichts wissen sie … Haben doch nur einige Schüsse gehört …! Kopf hoch, Frau Ellen! Sie wären mir hier eine schlechte Gefährtin, wenn Sie …“

Und da … sprang er jäh zur Seite …

Polternd und klappernd war plötzlich von oben … ein Totenschädel herabgerollt … Ein menschlicher Schädel … Blieb nun dicht vor Ellen liegen …

Sie war bleich geworden …

„Mein Gott …! Das … das ist ein … Zeichen … Ein Zeichen aus einer anderen Welt … Georg … ist … tot …!“

„Papperlapapp!“ rief der Alte wütend. „Den Schädel hat irgend ein verdammter Windbeutel die Terrassen hinabgeworfen … Nur einen Schreck will der Kerl uns einjagen … Hat nicht den Mut, sich zu zeigen … – Nun – wir werden den Halunken schon finden …“

Und er versetzte dem Schädel einen solchen Stoß mit dem Fuß, daß das weiße Ding im Bogen unten in den Kanal flog und versank …

„Lassen Sie mich hier nicht allein, Gottlieb,“ bat Ellen scheu … „Ich würde mich zu Tode ängstigen …“

„Gut, gut, Frau Ellen … Dann mögen die beiden Homgoris unseren Nachen bewachen …“

Und sich an diese wendend:

„Ihr habt gelernt, mit euren Pistolen umzugehen … Will man euch ans Leben, so schießt … Und stellt euch dort unter den Felsvorsprung, damit euch niemand mit einer Steinklamotte den Schädel …“

Da – – abermals dasselbe Spiel …

Es war, als ob Gottliebs letztes Wort ‚Schädel’ das Signal zu einem förmlichen Bombardement mit diesen unheimlichen Geschossen gewesen wäre …

Acht, neun Totenschädel polterten hüpfend und scheußlich hohl dröhnend abwärts …

Einige sprangen bis in den Kanal. Einer traf Kognak, den Teckel, der sich bereits in der warmen Sonne zum Igel zusammengerollt hatte …

Gottlieb fluchte wie ein Heide …

Murat aber sauste jetzt in wilden Sätzen die Terrasse aufwärts …

„Brav so!“ rief der Alte und hastete hinterdrein …

Als er dann oben auf dem kleinen Felsplateau anlangte – keuchend, schwitzend und jeden Augenblick bereit, diesem Schädelwerfer eine blaue Bohne in die Rippen zu jagen, schaute er sich umsonst nach Murat um …

Diese kleine Ebene hier war rings von hohen, zerklüfteten Wänden eingeschlossen …

Und mitten auf dem Plateau leuchtete ein weißer Haufen… Gerippe – zahllose Gerippe – ein ganzer Berg!

Knorz schritt langsam darauf zu …

Brummte vor sich hin:

„Teufel – eine ungemütliche Insel! Herr Georg sagte, sie heißt Bona Vista … Und das bedeutet etwa ‚Zur schönen Aussicht’ …! – Ich kenne schönere Aussichten …“

Vor dem Berg von Skeletten blieb er stehen …

„Nun – aus Pappmaschee sind die nicht …! – Merkwürdiger Friedhof …“

Er bückte sich …

„Donner – dieser Schädel hatte in der Stirn ein Loch … – Nun – die Geschichte behagt mir nicht …“

Er blickte sich um …

„Wo nur Murat steckt …?“ Und dann – ärgerlich auflachend: „Ich glaube wahrhaftig, du hast Angst, Gottlieb! Schäme dich!“

Er ging nun um den Gerippehügel herum …

„Von hier hat der Kerl also seine Schädelbomben bezogen … Es ist klar, er will uns Bona Vista verekeln! – Nun, Freundchen, zum Vergnügen sind wir nicht hier … Wäre auch lieber daheim auf Schloß Gaupenburg und bediente meinen liegen Grafen bei Tisch …“

Er seufzte…

Jäh packte ihn die Sorge um seines verkehrten, gütigen Herrn Geschick …

‚Mein Gott, wenn Frau Ellen recht hätte, wenn dieser Armaro ihn und Hartwich wirklich hat erschießen lassen …!’

Wieder schaute er ringsum …

Von Murat keine Spur …

‚Nun, er wird schon zurückkommen!’ beruhigte der Alte sich … ‚Murat nimmt es mit einem halben Dutzend Banditen auf …’

Er schritt den Terrassen wieder zu. Diese führten wie eine Treppe mit sehr breiten Stufen in einer Schlucht zum Wasser hinab.

Und – auf der obersten Terrasse stutzte Gottlieb.

Da lag ein Bogen Papier, mit einem Stein beschwert, bedeckt mit lila Maschinenschrift …

Knorz hob das Papier auf.

Sein Gesicht nahm den Ausdruck grenzenlosen Staunens an …

Er las – in tadellosem Englisch:

Mein Herr!

Ein Zufall scheint Sie und Ihre Gefährten hierher verschlagen zu haben. Verlassen Sie die Insel sofort wieder. Andernfalls müßte ich zu anderen Maßnahmen greifen. Außerdem warne ich Sie nachdrücklich davor, irgend jemanden von Ihren bisher recht harmlosen Erlebnissen hier etwas zu berichten. Sie können überzeugt sein, daß nur ganz zwingende Gründe dieser Unhöflichkeiten meinerseits herbeiführen.

der Unsichtbare

Gottlieb schüttelte beim Lesen immer wieder den grauen Kopf …

„Hm – ist das alles nun ein schlechter Scherz, oder …“

Er fuhr herum …

Er glaubte ein Geräusch hinter sich gehört zu haben. Doch, da war nichts als die kahle hohe rissige Felswand dieses Engpasses …

Halt – doch war etwas da!

Ein … kleineres Blatt Papier – ebenfalls beschrieben … Es lag am Boden … Hinter ihm, – konnte eben erst dort niedergelegt worden sein …

Von wem aber?!

Keine Menschenseele in der Nähe …

Und – Gottlieb wurde es wieder unheimlich zu Mute …

Er bückte sich …

Maschinenschrift … Las:

Mein Herr!

Ihr affenartiger Gefährte, der sich Murat nennt, ist in meiner Gewalt. Er hat mir eine seltsame Geschichte erzählt, die mir höchst unglaubwürdig vorkommt. Fals es den Tatsachen entspricht, daß die Dame auf der unteren Terrasse Miß Ellen Barrouph, Tochter des amerikanischen Gesandten gleichen Namens ist, und daß Sie vor dem Präsidenten José Armaro hierher geflohen sind, so würde ich unter bestimmten Bedingungen bereit sein, Sie und Ihre Gefährten dorthin zu bringen, wo Miß Ellens Eltern das Verschwinden ihres Kindes betrauern, nach Taxata, der Hauptstadt der Republik Patalonia. Zwecks mündlicher Rücksprache über diese Bedingungen wollen Sie, falls die Angaben Murats stimmen, nach zwei Stunden sich wieder an dieser Stelle einfinden und sich mit dem Gesicht nach Norden zu aufstellen. Die Bestätigung der Aussagen Murats geben Sie mir schriftlich auf einem der Papierbogen, wie ich auch dieses Schreiben zurückerbitte. Legen Sie sie hier unter einen Stein. Ein Bleistift steckt in einer Ritze der südlichen Felswand.

der Unsichtbare

Gottlieb suchte den Bleistift. Fand ihn auch. Es war ein ganz neuer, frisch angespitzter Tintenstift.

Er schrieb als Antwort, indem er das Papier gegen eine glatte Fläche des Gesteins drückte:

Mein Herr!

Ich schwöre Ihnen, daß Murat die Wahrheit gesprochen. José Armaro trachtet uns nach dem Leben. Wir werden nichts verraten, was wir hier an Geheimnisvollem kennen gelernt haben.

Gottlieb Knorr
Kammerdiener des Grafen
Viktor Gaupenberg

Er beschwerte nun beide Blätter mit einem Stein und eilte die Terrassen hinab.

Unten fand er Ellen und die beiden Homgoris in größter Aufregung vor.

Der eine der Affenmenschen war vorhin aus Neugier in eine Seitenspalte des Engpasses eingedrungen und hatte dort mit dem feinen Geruchssinn des Halbtieres eine frische Fährte gewittert, die eines offenbar sehr kräftigen Tieres mit wolligem Fell. In den scharfen Kanten eines Vorsprunges der Felswand war etwas von dem Wollbehang des Tieres haften geblieben.

Als der Homgori diese Spur weiter aufwärts verfolgte, fand er eine offene Grotte, in der hinter einem Zaun von Stäben mehrere ihm unbekannte große Tiere einegesperrt waren, die entfernte Ähnlichkeit mit Ziegen hatten, jedoch keine Hörner besaßen und von graugelber Farbe waren.

Und eines dieser Tiere hatte ihm dann, wie er arglos über den Zaun hinweg schaute, eine widerliche Flüssigkeit aus dem Maule entgegengespritzt. Gleichzeitig hatte ihn auch irgendwoher ein schwerer Stein so heftig im Rücken getroffen, daß er schleunigst entflohen war.

„Es kann sich nur um Lamas handeln,“ sagte Ellen jetzt hastig. „Nur Lamas pflegen in dieser Weise zu … spucken … – Gottlieb, Gottlieb, was bedeutet das alles?!“

„Oh, ich kann Ihnen noch mehr erzählen, Frau Ellen,“ meinte der Alte ernst. „Zum Glück nichts Schlechtes, falls der … Unsichtbare uns eben nicht zum Narren hält …“

Und in aller Kürze erstattete er Bericht. Den Haufen Skelette erwähnte er nur so nebenbei …

Ellen hörte still und voller Spannung zu. Doch – Gottliebs Hoffnung, daß man es hier mit einem Manne zu tun hätte, der als Gegner nicht in Betracht käme, viel eher als Retter, teilte sie nicht.

„Nein, Freund Knorz,“ meinte sie ehrlich, „ein Mann, der so geheimnisvoll unsichtbar bleiben will, treibt hier sicherlich Dinge, die vielleicht nicht weniger fragwürdig sind als die des Tyrannen von Patalonia!“

Gottlieb jedoch wies jetzt darauf hin, daß der Inhalt der beiden Mitteilungen des Unsichtbaren doch wohl darauf schließen ließe, wie gering dieser Mann von dem Präsidenten dächte …

„Ich bleibe dabei, der Unsichtbare ist ein Feind Armaros, Frau Ellen …“

„Niemals ist der Mann hier allein auf Bona Vista,“ erklärte Hartwichs Gattin mit unvermindertem Mißtrauen. „Wozu die Lamas?! Doch nur als Milch und Fleisch spendende Tiere! Es sind eben eine größere Anzahl Menschen hier verborgen.“

„Das ist schon möglich … Trotzdem, ich habe Hoffnung, daß die Zusage des Unsichtbaren ehrlich gemeint war. Natürlich werden wir uns niemals nach Taxata bringen lassen, sondern zunächst nach Christophoro. Wir müssen doch sehen, wie es dort steht, was aus der Sphinx geworden. Wenn wir nachts landen, brauchen wir nicht zu fürchten, daß …“

Ein Neues geschah da …

Ein runder Stein kam polternd von oben herabgerollt … Um das Felsstück war mit dünnem blanken Kupferdraht ein Zettel befestigt.

Einer der Homgoris fing den Stein geschickt auf. Gottlieb löste den Zettel ab.

Eine dritte Nachricht:

Mein Herr!

Sie werden Ihren Lagerplatz auf die oberste Terrasse verlegen – dorthin, wo Sie die beiden ersten Mitteilungen fanden. Gehorchen Sie sofort. Es hängt sehr viel für Sie davon ab.

der Unsichtbare

Ellen warnte Gottlieb jetzt nachdrücklichst davor, diesem Verlangen von Leuten, die man nicht kenne, zu entsprechen …

„Lieber Gottlieb, hier können wir jederzeit fliehen … Der Kanal ist nahe … Bedenken Sie, diese Insel gehört der Republik Patalonia! Vielleicht sind es gar Freunde Armaros, die hier hausen und die mit uns nur ein falsches Spiel treiben!“

Der brave Alte wiegte unschlüssig den Kopf hin und her …

Dann meinte er sehr entschieden:

„Frau Ellen, Herr Georg hat Sie meinem Schutze anvertraut … Verzeihen Sie schon, dies sind Männerangelegenheiten! Ich muß so handeln, wie ich es jetzt besonders in Ihrem Interesse für richtig halte!“

Er gab den beiden Affenmenschen einen Wink. Sie hoben den Kistennachen empor und trugen ihn aufwärts.

Ellen und Gottlieb folgten schweigend.

Oben auf der Terrasse, die ebenfalls innerhalb der Wände des Hohlweges lag, stellte Gottlieb dann an der örtlichen Wand aus dem Nachen und aus Feldsstücken für Ellen eine Art Hütte her. Die Homgoris wieder holten von Uferberge des Kanals trockenen Seetang, damit Ellen ein weiches Lager zum Ausruhen hätte.

Zwischen der jungen Amerikanerin und dem wackeren Knorz bestand jetzt leider eine gewisse Spannungen. Ellen verargte es ihm, daß er gegen ihren Willen hierher übergesiedelt war. Sie zog sich in die Hütte zurück und schlief auch wirklich infolge übergroßer Erschöpfung sehr bald ein. Neben ihr lag Kognak, der Teckel, der mit ihr rasch innige Freundschaft geschlossen hatte.

Die beiden Affenmenschen hatten sich auf Gottliebs Geheiß nach dem Inneren der Insel zu entfernt, um Möveneier, trockenes Holz und Trinkwasser zu suchen.

Knorz saß einsam auf einer Festplatte und schaute wiederholt auf das Zifferblatt seiner Taschenuhr. Seine innere Erregung steigerte sich, je näher der Zeitpunkt heranrückte, wo der Unsichtbare mit ihm mündlich verhandeln wollte. Gottlieb ahnte mit einer geradezu prophetischen Gewißheit, daß diese Unterredung günstig verlaufen würde.

Nochmals rief er sich nun die Einzelheiten der ersten Mitteilung ins Gedächtnis zurück …

Mit dem Gesicht nach der nördlichen Felswand sollte er sich aufstellen – also nach Ellens Hütte hin …

Wozu das?! Wollte der Unsichtbare etwa unsichtbar bleiben?! –

Endlich war die vorgeschriebene Zeit um. Er erhob sich von seinem Sitz und trat dicht vor den Hütteneingang. Kognak sah ihn, witterte ihn, wedelte kräftig mit dem Rattenschwänzchen. Darüber erwachte Ellen.

Gottlieb flüsterte ihr zu:

„Frau Ellen, die zwei Stunden sind vorüber … Ich bin gespannt, was sich nun ereignen wird …“

Ellen hatte sich aufrecht gesetzt …

Bevor sie noch antworten konnte, kam eine andere, tiefe Männerstimme von der südlichen Wand her …:

„Ich habe Miß Barrouph nur aus der Nähe sehen wollen. Deshalb verlangte ich die Verlegung Ihres Lagerplatzes …“

Ellen horchte auf …

Die Stimme kannte sie … Fraglos kannte sie dieses tiefe volle Organ! Und aus diesen Worten des Unsichtbaren ging ja auch hervor, daß er sie ebenfalls bereits gesehen haben mußte.

Sie konnte von ihrem Platze aus die südliche Wand überblicken. Doch – – nichts von einem Menschen entdeckte sie …

Und weiter sprach die tiefe Stimme:

„Ich bin jetzt, was Ihre Persönlichkeiten betrifft, nicht mehr im Zweifel, Herr Knorz … – Ich werde Sie zunächst mit Lebensmitteln versehen. Wenn Sie nachher zu dem Hügel von Gerippen gehen wollen, werden Sie dort alles finden, was Ihren Aufenthalt hier erträglicher gestalten wird. Auch Murat lasse ich frei. Abends gegen zehn Uhr sollen Sie dann die Heimreise antreten – nach Taxata, falls Sie nicht andere Wünsche haben.“

Gottlieb rief sofort:

„Sennor, nicht nach Taxata … Nach Christophoro bringen Sie uns zuerst. Dort wollen wir nach unseren Freunden Ausschau halten. Mit unserem Nachen wage ich nicht ein zweitesmal hinüberzurudern. Der Orkan überraschte uns bei der Herfahrt, und wenig fehlte, und wir wären alle elend umgekommen.“

„Also nach Christophoro,“ erklärte die unsichtbare Stimme wieder. „Obwohl Sie dort niemand mehr vorfinden werden … – Halten Sie sich für zehn Uhr abends bereits. Sie werden sämtlich mit verhüllten Köpfen auf ein Schiff geführt werden. Bei den Lebensmitteln liegen sieben wollene Decken. Genau um zehn Uhr muß jeder von Ihnen eine dieser Decken über Kopf und Oberleib breiten. Fürchten Sie nichts. Wir meinen es gut mit Ihnen.“

Ellen musterte immer wieder die Felswand. Sie konnte jedoch nicht feststellen, woher die Stimme kam. Nur eins schien ihr gewiß, der Felsen dort war hohl! Der Unsichtbare steckte im Innern der Steinwand!

Nach kurzer Pause schloß der Mann die Unterredung mit folgenden Worten:

„Ich rechne auf Ihre Dankbarkeit und Verschwiegenheit. Sie sind hier Mitwisser von Geheimnissen geworden, die von ungeheurer Bedeutung und dabei so gefährlich sind, daß eine Unzahl Menschenleben bedroht ist, wenn Sie nicht unbedingt selbst die geringste Andeutung darüber unterlassen, was Sie hier erlebt haben. Auch die Intelligenz der drei Affenmenschen ist groß genug, ihnen dies klar zu machen. – Handeln Sie abends genau nach meinen Befehlen.“

Knorz erklärt feierlich:

„Sie sind unser völlig sicher! Wir werden schweigen!“

Der Unsichtbare meldete sich nicht mehr.

Gleich darauf erschien Murat von der Hochebene her. Er konnte lediglich berichten, daß ihm plötzlich eine Schlinge um den Hals geflogen sei, daß man ihn an einem Felsen in die Höhe gezogen und er halb erstickt das Bewußtsein verloren hatte. Als er erwachte, war er gefesselt und sein Kopf mit Decken umwickelt.

„Nichts habe ich gesehen, Mister Knorz … Gar nichts … Nur gehört … Geräusche, ähnlich wie auf der Sphinx, wenn die Motoren arbeiteten … Nur viel lauter … Und viele Leute gingen hin und her und flüsterten. Einmal verstand ich einen Namen … Er klang so ähnlich wie Armaro …“

Ellen fragte hastig:

„Etwa Astarro, Murat?“

„Ja, ja, Miß … Astarro! Das war’s!“

„Oh, – dann weiß ich, wer der Unsichtbare ist,“ erklärte Ellen ganz leise. „Die Stimme erkannte ich schon … Juan Astarro war einer der reichsten Haziendabesitzer Patalonias, ein reinblütiger Spanier, ein Gegner des Tyrannen Armaro … Vor einem Jahr versuchte Astarro den Präsidenten durch eine Revolution zu stürzen. Sein Anhang bestand hauptsächlich aus Farmern und Großgrundbesitzern. Armaro schlug den Aufstand blutig nieder. Astarro floh damals mit einigen zwanzig Freunden. Man hat von ihnen nie mehr etwas gehört. Ihre Güter wurden eingezogen, und seitdem wurde nur noch eine einzige Verschwörung gegen den Gewalthaber entdeckt, die, an der auch Rittmeister Aristo beteiligt war, der für mich in der Strandgrotte auf Christophoros starb.“

Gottlieb hatte staunend zugehört.

„Sagte ich’s nicht!“ triumphierte er jetzt. „Sagte ich’s nicht! Es sind Feinde Armaros, diese Leute hier!“

Ellen reichte ihm die Hand. „Ich bin bekehrt, lieber Gottlieb … Und abends werden wir gen Christophoro unterwegs sein! Dann werde ich feststellen, ob man meinen Georg hingemordet hat!“

Murat und die Homgoris holten jetzt Lebensmittel und die Decken. Fürwahr, der Unsichtbare hatte seine neuen Schützlinge glänzend versorgt! Allerhand Leckerbissen, Wein, Zigarren, Teller, Schüsseln, Bestecks brachten die Affenmenschen mit.

Nach einer kräftigen Mahlzeit pflegten die fünf Flüchtlinge der Ruhe, schliefen bis zum Dunkelwerden.

Dann – – zehn Uhr …

Dann standen sie da mit verhüllten Köpfen …

Wurden von unsichtbaren Händen stumm eine weite Strecke geführt … Über eine Planke – auf ein Schiff, in eine enge Kabine … Bevor die Tür wieder zufiel, rief eine Stimme:

„Nehmen Sie nun die Decken ab …“ –

Gottlieb hatte dann sehr bald aus allerlei Geräuschen herausgefunden, daß man an Bord eines U-Bootes sein müsste … –

Nach einer Stunde rief jemand von draußen:

„Decken umnehmen!“

Und auf dieselbe lautlose geheimnisvolle Art führten wiederum unsichtbare Hände die Flüchtlinge an Land – über Felsgeröll …

Eine Stimme befahl:

„Nach fünf Minuten können Sie die Decken entfernen …“

Schritte eilten davon …

Dann – riß Gottlieb seine Decke herunter …

Er stand im milden Mondenlicht da …

Und … vor ihm … stand gleich einer Geistererscheinung … Agnes Sanden …!

 

104. Kapitel.

Mantaxa, die Aztekin.

Pasqual Oretto, der Taucher, glitt auf Doktor Falz’ Zuruf hin hastig in den Felsspalten abwärts …

Sprang an Deck der Sphinx …

„Was gibt’s, Herr Doktor?“

„Agnes ist erwacht … Mein lieber Pasqual, ich bin überglücklich … Agnes ist nicht … geisteskrank … Agnes verlangt, daß wir sofort in den beiden Sandlöcher nachgraben, die für Gaupenberg und Hartwich ausgeschaufelt worden waren. – Wecken Sie Mela … Wir nehmen die Mädchen mit nach oben … Außerdem noh ein halbes Dutzend Sprengpatronen. Der Deckel der Höhle hier muß beseitigt werden.“

Falz befand sich in einer Erregung, die man bisher selten an ihm wahrgenommen.

Pasqual Oretto drückte ihm strahlend die Hand. Auch er liebte Agnes ja über alles …

„Wie freue ich mich …!“ meinte er gerührt. „Nur – nur furchtbar wäre es, wenn wir nun doch die Leichen unserer beiden Gefährten dort …“

Falz unterbrachen ihn …

„Keine Sorge, Freund Pasqual … Ich bin jetzt selbst überzeugt, daß die beiden leben … Armaro hat sie fraglos mit nach Taxata genommen … – Beeilen wir uns. Je eher wir die Sphinx wieder im Freien haben, desto sicherer sind wir. – Wie sieht’s denn oben auf der Insel aus?“

Der Taucher erstattete kurz Bericht …

Sein Blick, seine Stimme waren trübe …

„Die Strandgrotte ist nur noch ein Trümmerhaufen. Vielleicht liegt Gottlieb unter den Steinmassen begraben.“

Falz seufzte schwer. „Ja – und Ellen Barrouph?! Was mag aus ihr geworden sein?“

Pasqual hob die Schultern. „Dunkler als jetzt lag die nächste Zukunft noch nie vor uns! Wir sind wieder auseinandergesprengt, wir Verteidiger des Schatzes! Nichts wissen wir … Nur unklare Sorgen belasten uns. Also – – handeln wir!“

„Das rechte Wort zur rechten Zeit,“ nickte der Doktor. –

Eine halbe Stunde später hatten Pasqual, Jimminez und Lomatz mit Spaten an den von Agnes bezeichneten Stellen unweit des Felsenhügels nachgegraben.

Sie waren auf lockerem Sand gestoßen und merkten, daß hier vor kurzem die Erde ausgehoben worden war.

Nichts fanden sie … Die beiden Erdlöcher waren leer.

Falz, Mela und Agnes standen dabei und starrten angstvoll in die Gruben hinab.

„Hier ist schon wieder fester Boden,“ meldete Pasqual fröhlich. „Hier wurde niemand verscharrt. Wir können die Löcher wieder zuwerfen …“

Agnes hatte unwillkürlich die Hände gefaltet …

Ein stilles Gebet … Und ein paar Tränen rannen über ihre blassen Wangen.

Mela hatte sie zart umschlungen …

„Sie leben also,“ flüsterte sie innig …

„Ich wußte es, Mela …“ und Agnes Sandens verklärter Blick wandte sich gen Osten – dorthin, wo jenseits des trennenden Ozeans die Küsten Südamerikas und Taxata lagen …

„Viktor und Georg sind in der Zitadelle von Taxata …“ fügte sie wie träumend hinzu … „Vorhin in der Kabine, als ich so fest schlief, war meine Seele bei dem Geliebten, bei Viktor … in einer düsteren Zelle, in einer Steingruft ohne Licht … Eine trübe Petroleumlampe brannte … Viktor und Georg saßen auf ihren Pritschen …“

Doktor Falz hatte diese leisen Worte ebenfalls vernommen.

Wie ein Schauer vor dem Wehen und Weben überirdischer Mächte überlief es ihn … Denn – genau dasselbe Bild der Kerkerzelle hatte ja auch er als Vision geschaut …

Er fühlte es im tiefsten Innern. Wieder war es hier die magische Gewalt des Goldes gewesen, die Zeit und Raum überbrückt hatte! –

Lomatz’ heisere Stimme zerstörte diese weihevolle Stimmung …

„Nun kommt der Deckel der Höhlenöffnung an die Reihe …! Los denn …! Her mit den Sprengpatronen!“

Aber Alfonso Jimminez winkte ab …

„Das eilt nicht, Lomatz! Vorher müssen wir mit Doktor Falz einig werden, wem dann die Sphinx gehören soll, wenn wir sie wieder ins Freie geschafft haben … Mag der Schatz verloren sein. Des Grafen Luftboot ist ebenfalls Millionen wert. Es gibt keine zweite Sphinx auf dem Erbenrund. Wenn ich das Boot einer europäischen Großmacht anbiete, zahlt man mir, was ich haben will …“

Die helle Mittagssonne bestrahlte das einsame Eiland und die Gruppe von Menschen, die hier am Oststrande um die beiden nur oberflächlich wieder gefüllten Sandlöcher herumstanden.

Doktor Falz erwiderte ruhig und bestimmt:

„Unser Waffenstillstand, Jimminez, läuft erst morgen früh acht Uhr ab. Gut – bringen wir die Sphinx nach oben. Aber vermeiden wir vorläufig jeden Zwist. Es wird sich schon ein Ausweg finden, der alle Teile befriedigt.“

Lomatz lachte höhnisch …

„Einen Ausweg, der uns das Luftboot raubt! Nicht wahr, Herr Doktor?!“

Falz schaute den Verbrecher eisig an …

„Ich habe durch Handschlag Frieden gelobt – bis acht Uhr morgens …“

Jimminez nickte. „Und ich traue Ihnen, Herr Doktor … – Lassen wir alle unnötigen Sticheleien … Du hast wahrlich kein Recht, Lomatz, an Ehrenmännern zu zweifeln …“

Dann holte er die Sprengpatronen. Und eine Viertelstunde später flog der Balkendeckel samt der darauf liegenden Stein- und Sandschicht krachend auseinander, stürzte zum Teil in den unterirdischen See hinab.

Die Öffnung lag frei.

Falz und Jimminez kletterten jetzt durch die Spalten wieder abwärts. Sie beide genügten, die Sphinx nach oben zu steuern.

Senkrecht stieg das Boot auf … Ganz langsam schob der spindelförmige Leib sich über den zackigen Rand der Öffnung hinaus …

Ebenso langsam ging die Sphinx wieder in horizontale Lage über und landete in der Mitte der Insel neben dem Wrack des U-Bootes …

Als die Sphinx nun in den Sand sich eingebettet hatte, als jetzt Pasqual, Lomatz und die beiden Mädchen herbeieilten, um das befreite Boot bei Sonnenglanz wieder begrüßen zu können, sprang Jimminez von Deck auf die Erde hinab, rief dabei:

„Der Doktor und ich haben beschlossen, den Eingang zu der Höhle wieder zu bedecken … Ich …“

Und – verstummte jäh …

War mit den Füßen tief in lockeren Sand geraten, tat entsetzt einen Satz nach vorwärts …

„Der Satan hol’s …!“ brüllte er … Dort im Sande liegt eine Leiche … Ich muß dem Toten gerade auf die Brust gesprungen sein …“

Agnes erbleichte …

Sie dachte an Viktor …

Doch ebenso schnell ging dieser erste Schreck auch vorüber …

Jimminez hatte schon mit den Händen den Kopf des Toten freigelegt.

Es war ein Mulatte in der Uniform der Matrosen der Jacht des Präsidenten Armaro …

„Hier sind noch mehr Leichen,“ rief der Geheimagent … „ich fühle einen zweiten Kopf …“

Doktor Falz, der rasch an der Außenleiter der Sphinx herabgeklettert war, bat die beiden Mädchen, sich zu entfernen …

„Dieser Anblick ist nichts für euch … Geht an Deck … Geht in die Küche der Sphinx und sorgt für ein Mittagessen …“

Auch Pasqual half jetzt dem Geheimagenten. So brachten sie dann in kurzem die acht toten Matrosen zum Vorschein – Armaros vom Sandsturm begrabene Opfer!

Doktor Falz untersuchte die Leichen.

„Gift!“ erklärte er. „Vergiftet …!“

„Hm – das sieht so ganz nach Mafalda aus,“ meinte Jimminez finster. „Möglich, daß diese armen Kerle zu viel gesehen und gewußt haben … Tote sind stumm.“

Lomatz war ein paar Schritt zurückgewichen. Dieser erbärmliche Feigling hatte eine unüberwindliche Scheu vor Leichen …

Pasqual lachte hart. „Sie mögen schon recht haben, Jimminez … Die Fürstin und Armaro – – ein feines Gespann!“

„Und doch ist die Tigerin Mafalda die gefährlichere, Sennor Oretto,“ sagte der Geheimagent in verbissener Wut. „Die reicht dem besten Freunde den Gifttrank … Armaro nährt eine Schlange an seiner Brust … Er wird’s schon spüren.“

„Verscharrt die Toten wieder,“ sagte Falz. „Dann laßt uns die Höhlenöffnung bedecken … Ich kann mir nicht denken, daß Armaro und Mafalda nicht hierher zurückkehren sollten. Die beiden wissen ja, daß die Sphinx sich in der Riesengrotte der Azteken befindet – oder besser befand. Sie wissen auch, daß das Flugboot unfähig war, emporzusteigen … Sie hoffen, die Sphinx durch den Deckel aus Balken und Felstrümmern von der Außenwelt abgesperrt zu haben … In unser aller Interesse ist es also besser, wenn sie bei dem Glauben belassen werden, daß die Sphinx noch in der gigantischen Höhle eingeschlossen ist und daß der Verschluß der Öffnung unberührt geblieben …“

„Allerdings, Herr Doktor,“ stimmte Jimminez eifrig zu … „Allerdings, besser ist da schon … Man kann ja vielleicht diese schwarzhaarige Bestie von Mafalda hier auf Christophoro …“

Dann verschluckte er das, was er noch hinzufügen wollte … Es schien ihm doch ratsam, seine geheimsten Gedanken nicht preiszugeben. –

Die vier Männer hatten eine volle Stunde wacker zu tun, bevor der breite Zugang zur unterirdischen Welt der Azteken wieder wie vorher sorgfältig bedeckt war.

Kaum damit fertig, wurden sie auch schon von Mela zum Mittagessen nach der Sphinx gerufen. – Die beiden jungen Mädchen hatten auf dem Achterdeck das Sonnensegel ausgespannt und den Klapptisch aufgestellt.

Man nahm Platz – Freund und Feind, jetzt nur Verbündete, weil die Umstände es geboten hatten. – Jimminez und Lomatz saßen an der einen Schmalseite. Neben Lomatz war ein Platz frei. Rechts hatte er als Tischnachbar Jimminez, während sich neben diesem Doktor Falz anschloß.

Lomatz grinste bösartig, als er diese Isolierung seiner Person bemerkte. Agnes hatte jedem seinen Platz angewiesen. Er fühlte, Agnes wollte ihm klar machen, wie sehr man jede engere Berührung mit ihm scheute.

Ein höhnischer Blick streifte das blonde junge Weib … Und höhnend sagte er zu Jimminez:

„Ich glaube, ich … stinke! Da – links von mir ist Luft … Und dann kommt Herr Pasqual Oretto. Nur du, Amigo, mußt meinen Duft aus nächster Nähe ertragen …“

Niemand beachtete diese ebenso feindseligen wie ärgerlichen Redensarten, selbst der Geheimagent nicht. Er unterhielt sich durchaus harmlos mit Doktor Falz über Taxata. Lomatz sprach kein Wort mehr. In seiner verkommenen Seele kochte eine wilde Wut gegen seinen Freund Alfonso, den man hier weit mehr als Gleichberechtigten behandelte. –

Es war eine sehr ungemütliche Mahlzeit, und die beiden jungen Mädchen waren froh, als sie sich zu einem längeren Erholungsschlummer in ihre Kabine zurückziehen konnten.

Falz, Oretto und Jimminez bereiteten sich an Deck Lagerstätten, um gleichfalls zu ruhen. Lomatz dagegen erklärte, er wolle ein Bad am Strande nehmen und dann im Schatten einiger Büsche gleichfalls sich zum Schlafe niederlegen.

„Es ist ja auch wohl zweckmäßig, daß einer von uns am Ostufer ein wenig Ausschau hält,“ meinte er. „Man kann nie wissen, was geschieht … Armaro und Mafalda kann womöglich der Satan reiten, und sie kehren in dem Doppeldecker hierher zurück … Ich gebe schon acht …“

Damit entfernte er sich.

Keiner der auf der Sphinx Zurückbleibenden ahnte irgend etwas Arges. Lomatz’ Wunsch, ein Bad zu nehmen, konnte niemandem auffallen. Außerdem, was sollte er allein auch wohl unternehmen, woraus den anderen ein Schaden erwachsen konnte?!

Jimminez brummte nur, als Lomatz die Außenleiter der Sphinx hinabstieg:

„Ein Hai möge ihn fressen …! Der Bursche ist mir wie ein Brechmittel!“

„Und doch Ihr Verbündeter,“ meinte Falz sehr ernst und in warnendem Ton. „Es wäre für Sie besser, Jimminez, Sie sagten sich von Lomatz ab. Ich habe Sie in den letzten Stunden schärfer beobachtet, als Sie glauben … Sie sind ein Mensch, der zum Verbrecher wurde, weil Ihrer Seele jede moralische Hemmung von Jugend an gefehlt hat. Sie könnten sich völlig ändern, wenn Sie wollten …“

Der Geheimagent zuckte die Achseln …

„Schlafen wir, Herr Doktor … Zum Ändern ist’s bei mir zu spät … Aus einem reißenden Wolf wird nie ein Lamm. Und – – dieser reißende Wolf wird jetzt zunächst mit Mafalda abrechnen … Dazu brauche ich Edgar Lomatz. Mag er ein feiger Hund sein, schlau ist er! Schlauer als der listige Advokat! Schlafen wir …“

Und derweilen lag dieser Edgar Lomatz oben auf der Kuppe des Felsenhügels am Ostrand und lugte vorsichtig nach der Sphinx hinüber. Er fürchtete, Jimminez könnte irgendwie argwöhnisch geworden sein und ihm folgen.

Erst nachdem er sich überzeugt hatte, daß die drei Männer dort drüben an Deck regungslos liegen blieben, stieg er wieder von dem Hügel herab und eilte nach der wüsten Trümmerstätte, die jetzt die Stelle bezeichnete, wo sich einst die Strandgrotte befunden, in der Gottlieb Knorz und die drei Homgoris so tapfer sich verteidigt hatten.

Hier nun schlüpfte er in die Spalte hinein, die in die Riesenhöhle hinablief. Unter seiner Jacke hatte er eine kleine Karbidlaterne verborgen, die er jetzt anzündete.

Aus dieser oberen engen Spalte gelangte er in die zweite, die breitere, und von da zu dem flachen Felsblock, der von den Wassern des unterirdischen Sees bespült wurde.

Hastig kniete er nieder …

Prüfte die Wasserhöhe des Sees … Hatte schon vorhin, als die Sphinx hier noch lag, bemerkt, daß das Wasser offenbar langsam fiel, hatte dies an den breiten feuchten Streifen der Felsen bemerkt …

Ein Lächeln wilden Triumphs glitt über sein Gesicht. Der Streifen war noch breiter geworden! Also mußten die hier eingedrungenen Fluten des Ozeans einen Abschluß gefunden haben! Also mußte auch das Loch auf dem Grunde des Meeres, durch das die Wasser hier das Reich der Azteken vernicht hatte, irgendwie sich von selbst wieder geschlossen haben! –

Edgar Lomatz erhob sich …

Seine Gedanken galoppierten förmlich …

Er als gebildeter Mensch wußte, daß gerade das Volk der Azteken einst über ungeheure Goldschätze verfügt hatte.

Sollten diese letzten Nachkommen dieser mexikanischen Indianer hier in der Höhle nicht ebenfalls Schätze aufgehäuft haben?! Hatten sie hier nicht prachtvolle Marmorpaläste erbaut, die er freilich nur flüchtig von ferne geschaut!

Sein Blick glitt über den Sehspiegel hin …

Dasselbe fahlgelbe Licht, das auch vor Tagen hier in der Riesengrotte Steuermann Hartwichs Staunen hervorgerufen, entstrahlte auch jetzt der Felsenwölbung, den Wänden …

Ein seltsam übernatürliches Licht, das den See matt wie flüssiges Gelbgold aufleuchten ließ …

Schier endlos war dieser See. Nach Süden hin dehnte er sich bis in Fernen aus, die kein menschliches Auge bemessen konnte.

Lomatz stutzte plötzlich …

Rasch löste er seine Laterne …

Ein kleines Floß kam da über den See gerudert …

Ein einzelner Mann stand darauf …

Ein Mann mit togaartigem Gewande …

Ein … Azteke …!!

Also – doch ein Überlebender der ungeheuren Katastrophe … Vielleicht der einzige …

Näher und näher kam das aus Brettern und Balken hergestellte Floß. Der Azteke trieb es jetzt hart am Ufer entlang …

Lomatz duckte sich hinter einen Stein …

Und dann – – ein Sprung …

Er war auf dem Floß, hielt dem vor Schreck in die Knie Gesunkenen den Revolver vor die Stirn …

Und erkannte, daß er … ein junges Weib vor sich hatte … eine Aztekin …

Aus leicht kupferfarbenem edel geschnittenen Antlitz starrten zwei große dunkle traurige Augen den Verbrecher mehr scheu als angstvoll an …

Unter dem losen Gewand wölbte sich eine knospende Frauenbrust hervor … Zierlich und edel war der Ansatz des Halses, die Nackenlinie. Eine Schönheit – eine indianische Schönheit von eigenem Reiz … –

Lomatz ließ die Waffe sinken, versuchte es mit der spanischen Sprache …

„Wie heißt du?“ fragte er freundlich.

„Mantaxa,“ erwiderte das Mädchen. „Mantaxa, Tochter des Palasthüters König Matagumas …“

Ihre Stimme klang weich und angenehm.

Lomatz schob den Revolver in die Tasche.

„Fürchte dich nicht,“ erklärte er mit heuchlerischer Herzlichkeit. „Ich bin dein Freund, Mantaxa … – Weshalb ruderst du so allein auf dem See umher?“

„Ich habe Hunger, Sennor …“ Ihre Stimme schwankte … „Alle – alle sind ertrunken … Unsere Stadt steht unter Wasser …“

Lomatz schlug das Herz schneller. Jetzt – jetzt schon wollte er die entscheidende Frage wagen …

„Also auch … die Schatzkammern des Königs?“ fragte er auf gut Glück …

„Ja … Alles ist versunken …“

Lomatz verfärbte sich vor Erregung. Keuchend atmete er … Zwang sich zur Ruhe …

Seine Gedanken galoppierten nicht mehr … Sie rasten …

Und im Nu war ein Plan entworfen, der nur dem Gehirn eines Menschen von Edgar Lomatz’ teuflischer Schlauheit wie ein Dämon entspringen konnte …

„Mantaxa,“ sagte er hastig, „ich will dir Lebensmittel holen … Warte hier auf mich …“

„Oh – du bist gut, Sennor, so gut … Ich hungere … Meine Kräfte schwinden …“

„Sei getrost. In kurzem bin ich wieder bei dir … Ich helfe dir jetzt, das Floß hier zu befestigen …“

Dann kletterte er in den Spalten aufwärts …

Gelangte ins Freie. Überzeugte sich, daß die drei Männer noch auf dem Achterdeck der Sphinx lagen …

Und ebenso hastig entkleidete er sich nun dicht am Ufer, zog nachher nur die hellen Leinenhosen wieder an … Alles andere ließ er liegen …

So kehrte er mit nacktem Oberkörper, ohne Schuhe, ohne Kopfbedeckung in die Riesenhöhle zurück, hatte Mantaxa ein Dutzend rasch gesammelte Möveneier mitgebracht …

Fast gierig sog die junge Aztekin die Eier aus, während Lomatz das Floß mit Hilfe des Ruders gen Süden trieb …

Immer weiter … weiter … – –

Jimminez erwachte nach anderthalb Stunden. Leise erhob sich der riesige Mischling, reckte sich …

‚Ein Bad könnte auch mir nichts schaden,’ dachte er …

Und – – fand dann am Ufer Edgar Lomatz’ Kleiderbündel …

Die Jacke lag halb im Wasser … Die Schuhe ebenso …

Von Lomatz keine Spur …

Alfonso Jimminez mußte so notwendig auf den Gedanken kommen, daß sein … frommer Wunsch, den Feigling möge ein Hai verschlingen, in Erfüllung gegangen sei … –

Nachdem er am Strande noch eine Weile nach Lomatz gesucht hatte, fiel ihm ein, daß dieser vielleicht aus irgendwelchen Gründen nackt in die Aztekenhöhle hinabgeklettert sein könnte.

Er tat dasselbe … Kam auf dem flachen Felsen unten wohlbehalten an und spähte umher …

Er bemerkte nicht, daß das Wasser zusehends sank …

Nein – er schaute nur nach Lomatz aus …

Und stieg wieder nach oben, sagte sich, daß es doch wohl richtig sei, auch diesen Zugang zu verrammeln und füllte die enge Spalte mit Felsbrocken aus, warf noch Distelstauden darüber, raffte Lomatz’ Kleider zusammen und schritt der Sphinx wieder zu, wo seine Mitteilung von Lomatz’ Verschwinden auch bei Falz und Pasqual Oretto nur die eine Deutung fand, Lomatz mußte beim Baden von einem Hai gepackt und in die Tiefe gezogen worden sein!

Kein Wort des Bedauerns über dieses Ende des heimtückischen, hämischen Menschen wurde laut.

Falz aber benutzte diese Gelegenheit, Jimminez nochmals ins Gewissen zu reden.

Der Geheimagent hörte schweigend zu, unterbrach den Doktor dann mitten im Satz:

„Sparen Sie sich doch all das, Herr Doktor … Ich sagte ja schon, aus einem Untier wird niemals ein Lämmchen! Aber – eins verspreche ich Ihnen. Ich bleibe Ihr Verbündeter! Ich helfe Ihnen, Gaupenberg und Hartwich zu befreien, weil ich weiß, daß ich Mafalda nicht härter treffen kann, als wenn ich Fräulein Agnes und den Grafen wieder vereine! Auf die Sphinx verzichte ich vorläufig. Ich allein könnte damit nichts anfangen … Wie sollte ich sie steuern – als einzelner Mann?! – Oh – keinen Dank, Herr Doktor … Lassen Sie mich erst ausreden … – Wenn wir die beiden befreit haben, dann verlange ich, daß Sie mir helfen, Mafalda irgendwie abzufangen … Und wenn dies gelungen, dann … muß mir die Sphinx ausgeliefert werden! Ich hatte sie erobert. Ich war mit dem Waffenstillstand zwischen uns einverstanden. Mithin …“

„… mithin hoffe ich, daß Sie bis dahin vollends ein anderer geworden sein werden,“ beendete Falz mit gütigem Lächeln den Satz.

Und er reichte Jimminez die Hand …

„Schlagen Sie ein …! Sie werden in unserer Gesellschaft das Gute lernen und das Schlechte vergessen.“

Alfonso Jimminez legte nur zögernd seine mächtige Pranke in des Doktors Hand …

Brummte: „Sie sprechen wie ein Pfaffe …! Aber hol’s der Satan! – Ihre Augen gehen einem durch und durch, Herr Doktor …“ – –

Lomatz und Mantaxa, die junge Aztekin, hatten das Floß schließlich in eine kleine Nebenhöhle gelenkt und warteten hier das völlige Sinken des Wassers ab.

Vorsichtig forschte Lomatz das braune Mädchen noch weiter aus, das denn auch arglos und vertrauensvoll sehr bald die Goldbarren erwähnte, die die Männer der Azteken vorgestern oben in der Strandgrotte gefunden und in die Schatzkammer des Königs gebracht hatten.

Abermals erblaßte da Lomatz vor freudiger Erregung …

Stier blickte er vor sich hin …

Also dort – dort lagerte der Goldschatz der Azoren!!

Dort zusammen mit den Kostbarkeiten der Azteken in den Gewölben des Königspalastes …!!

Am liebsten hätte Lomatz in diesem wahnsinnigen Rausch unendlichen Jubels das junge Indianermädchen in seine Arme gerissen … Nicht aus unreinem Begehren … Nein – aus Dankbarkeit …!

Er … beherrschte sich, blieb scheinbar kalt, sprach von allerlei, fragte nach diesem und jenem …

Erfuhr so noch mehr …

Daß der alte Pater Mario Lopez Hartwich und eine Europäerin im Tempel der unterirdischen Stadt ehelich verbunden hatte, daß diese Europäerin eine Miß Ellen Barrouph gewesen, daß beide hatten verbrannt werden sollen auf dem heiligen Scheiterhaufen, daß im letzten Augenblick ein Schiff erschienen sei, und daß weiße Männer die von Flammen Umlohten befreit hätten.

Lomatz wußte jetzt, die Insassen der Sphinx kannten den Ort, wo nicht nur der Goldschatz der Azoren, sondern auch andere Kostbarkeiten von unermeßlichem Werte lagerten. Er sah jetzt ein, daß Doktor Falz ihn und Jimminez schlau getäuscht hatte, als er behauptete, die Milliarden lägen unter den Fluten des Ozeans begraben. Gewiß, der Ozean stürmte und wogte über die gewaltigen Reichtümer in den Gewölben des Königspalastes. Nur daß zwischen dem Atlantik und dieser Höhle mit all ihren seltsamen Geheimnissen noch eine Felsschicht lagerte!!

Und doch hatte nun auch dem Doktor all seine perfide Klugheit und Wortdreherei nichts genutzt!

„… Ich bin abermals in eure verschwiegensten Gedanken eingeweiht!“ triumphierte Lomatz mit halb verzerrtem Gesicht …

Gegen seinen Willen war ihm diese Äußerung halblaut über die Lippen gekommen …

Und Mantaxa, die junge Aztekin, schaute ihn daraufhin ängstlich und mißtrauisch an …

Gerade seine vor Goldgier schillernden Augen, in denen außerdem noch ein heimtückischer Haß funkelte, mehrten noch die Furcht des braunen Mädchens vor diesem jäh veränderten Gesicht …

Sie duckte sich auf dem Steine, der ihr als Sitz diente, scheut zusammen …

Und in ihrer Seele stieg ein dunkles Ahnen auf, daß dieser Mann dort vor ihr vielleicht ein falsches Spiel mit ihr triebe, daß er anders sei, als er sich gab … –

Lomatz hatte Mantaxa völlig vergessen.

Seine glühende, berauschte Phantasie baute bereit an neuen Plänen, wie er diese ungeheueren metallenen Werte für sich allein beiseitebringen könnte …

Und sein Blick hing wie beschwörend an der Oberfläche des weiten Sees, der das Gold jetzt noch umspülte.

Wie beschwörend, daß er schneller sinke – immer schneller, dieses feuchte Hindernis, – daß es die Milliarden rasch wieder freigäbe …! –

Es sank …

Auch hier verriet ja der nasse Strich an den Felsen, daß die Flut sich verlief …

Und wie einst Noah aus seiner Arche das Schwinden der Sintflut hoffend beobachtete, ebenso erwartete jetzt etwa Lomatz mit verzehrender Ungeduld den Zeitpunkt, wo die Paläste und die unterirdische Stadt der Azteken wieder emporsteigen würden aus dem feuchten Kristall der gierigen Meereswogen …

Vor ihm … Mantaxa …

Vor ihm dieses junge Weib, in deren grübelndem Hirn plötzlich der Verdacht immer festere Formen annahmen, daß der Mann dort nur deshalb nach der Schatzkammer des Königs geforscht haben könnte, weil er … das Gold begehrte …!

Und gleichzeitig stiegen da in der Erinnerung der letzten Überlebenden des einst in Mexiko so mächtigen Volkes all die Schreckensbilder aus den uralten Überlieferungen wieder auf, daß weiße Krieger mit blinkenden Rüstungen und feuerspeienden Rohren auch nur des Goldes wegen gemordet, geplündert und arme Gefangene gefoltert hatten …

Überlieferungen, die hier in dem unterirdischen Reiche der Azteken mit unverminderter Kraft unendlichen Grauens sich von Geschlecht zu Geschlecht weitervererbt hatten …

Ebenso auch … der Haß gegen diese weißen Peiniger …

Ein Haß, der nun plötzlich in hellen Flammen das Herz des braunen Mädchens erfüllte …

Und die kleine braune Hand zuckte da unwillkürlich nach dem schmalen Dolche, den Mantaxa verborgen in den Falten ihres Gewandes bei sich trug …

Aber – vorher wollte sie Gewißheit haben … Wollte nicht morden, ohne die schwere Tat vor sich selbst verantworten zu können …

Seltsam klang ihre Stimme, als sie nun den Mann dort fragte:

„Sennor, auch ich sehe, daß die Wasser sinken … Wollen wir hinabsteigen in König Matagumas Gewölbe, wenn der Eingang wieder frei ist?“

Lomatz war aus tiefem Sinnen aufgeschreckt …

„Mantaxa,“ rief er … „Mantaxa, du sollst alle Herrlichkeiten der Welt kennen lernen, wenn du mir hilfst, das Gold zu bergen …! Alles – alles an Gold und Kostbarkeiten, was …“

Die Aztekin war emporgeschnellt …

In ihrer Rechten blitzte das uralte Dolchmesser, ein Erbstück aus jenen Tagen, als Cortez, der Eroberer, das Reich der Azteken zertrümmert hatte …

So überraschend erfolgte dieser Angriff, daß Lomatz wie gelähmt den tödlichen Stoß erwartete …

 

105. Kapitel.

Der Inka-Tempel.

Und Stunden später oben auf der einsamen Insel Christophoro eine andere Szene …

Bleiches Licht lag auf dem Felsgeröll, Sanddünen, stachligen Dickichten …

Die nimmermüde Brandung sang ihr ewiges Lied vom Haß des Ozeans gegen alles, was sich seinen freien Wogen hindernd in den Weg stellte …

Brandung tobte an den Riffgürteln … Weißer Schaum sprühte auf … –

Die Hitze der Tropennacht hatte die Insassen der Sphinx veranlaßt, neben dem Boot am Rande des Dornenfeldes zwei Zelte aus Segelleinen zu errichten. Eins für die Männer, für Falz, Pasqual und Jimminez. Ein zweites für die Mädchen Agnes und Mela.

Still war’s in den Zelten …

Pasqual Oretto, der die erste Wache übernommen, hatte sich mit einem Fernglas auf die Kuppe jenes Felsenhügels gesetzt, der in der verflossenen Nacht Schauplatz so unerhörten Geschehens gewesen.

Elf Uhr mochte es sein …

Der Hafentaucher von Lissabon, Seemann von Beruf, hatte treffliche Augen. Unermüdlich ließ er das scharfe Glas im Kreise um die Insel schwenken, spähte so unermüdlich über das nächtliche Meer.

Dann tauchte von der Richtung her, wo die Sphinx die Zelte und das Wrack des U-Bootes dem öden Eiland für kurze Zeit abermals neues Leben geschenkt, eine schlanke Gestalt auf. Agnes Sanden!

Leise und schwebenden Ganges nahte sie, winkte Pasqual zu und erklomm den Hügel. Das Mondlicht schimmerte auf ihrem wundervollen Blondhaar wie ein Heiligenschein …

„Ich habe nicht schlafen können, Pasqual,“ sagte sie nun und setzte sich neben Oretto auf einen grauschwarzen Steinblock. „Meine Gedanken blieben rege wie ängstliche Vöglein, die flatternd im Gewittersturm umherirren. Ich habe mir alles nochmals überlegt, was ihr Männer abends beraten habt. Gewiß, es mag unsere Pflicht sein, die Trümmer der gesprengten Strandgrotte zu durchsuchen, ob vielleicht Gottlieb, Ellen und die drei treuen Homgoris dort ihr Ende gefunden haben. Gewiß – Doktor Falz trifft ja stets das Rechte! Und doch, lieber Pasqual, wir verlieren hier kostbare Zeit, könnten bereits weit vorwärts auf dem Wege nach Taxata sein. Die Sorge um Viktor und Hartwich ist wieder in mir lebendig geworden … Wir vergessen die … Lebenden über den Toten!“

Oretto, der seine kurze Seemannspip im Mundwinkel hielt, entgegnete bedächtig und halb murmelnd:

„Nichts übereilen ist ein Grundsatz des Alters, Sennorita Agnes … Wenn Präsident Armaro hier vor diesem Hügel nur eine Scheinhinrichtung vollziehen ließ, so wird er den Grafen und Georg Hartwich auch in Taxata nicht sofort umbringen. Denken Sie doch an Ihren Traum, Agnes, an die Kerkerzelle …! Und Doktor Falz schaute als Vision genau dasselbe! Zeigt das nicht zur Genüge, daß unsere Freunde vorläufig außer jeder Gefahr …! – Nein, nein, nur nichts übereilen! Nur das nicht! Der Doktor betonte ja auch, daß nur Mafalda Sarratow den Präsidenten diesen Rat gegeben haben könne, Gaupenberg und den Steuermann zu schonen, damit er unsere Freunde zur Wiederauffindung des Goldes ausnutzen könnte …“

Er qualmte ein paar Züge aus der treuen alten Holzpfeife und fügte hinzu:

„Sorgen Sie sich also nicht um Ihren Verlobten, Agnes … Wir, die wir für den Goldschatz kämpfen, sind gleichsam gefeit …“ Und noch leiser: „Zwei von uns sogar allzu gefeit … der Doktor und ich!“

Agnes wußte, worauf Pasqual hier anspielte.

Wie tröstend legte sie ihm die Hand leicht auf den Arm …

„Es kann ja nicht sein, Pasqual …!“ meinte sie voll unendlicher Güte. „Auch Ihr Leben wird enden wie das aller übrigen Menschen …“

Oretto lachte lautlos – ein bitteres Lachen …

„Nein, Agnes, – nein, Doktor Falz’ und mein Leben gehört der Ewigkeit …! – Wollen Sie mir erklären, wie es kommt, daß Falz und ich unverwundbar sind?! Hat nicht in den uralten Aufzeichnungen jenes Alchimisten gestanden, daß der, der das Elixier des Lebens trinkt, noch über die Erde wandern wird, wenn das Menschengeschlecht längst erloschen?! – Sennorita Agnes, es ist ein grauenvoller Gedanke, genau wie Ahasver, der Ewige Jude, den die … aufgeklärte Welt für eine Figur der Sage hält, als zum Wandern verdammter Pilgerer über diesen Planeten schreiten zu müssen ohne Ziel – ohne Hoffnung …! Ein Fluch ist’s, der …“

Agnes zarte Hand, die noch auf seinem Arm ruhte, hatte sich zusammengekrallt …

Pasqual schwieg …

Das Mädchen flüsterte mit stoßweisen Atemzügen:

„Dort … – Menschen …! Dort – – nach Norden zu …! Männer – eine Frau … Und – – – Pasqual, – – dort auch drei Homgoris …!“

Der Taucher hob das Fernglas an die Augen …

„Ein Mann – ein Weib – drei Affenmenschen – alle mit Decken über den Köpfen … Und drei Männer führen sie … kehren jetzt um … laufen zum Strande zurück …“

Agnes war emporgefahren …

„Pasqual, das sind Gottlieb, Ellen und unsere Homgoris …!“

Schon sprang sie den Hügel abwärts, eilte weiter, langte gerade vor Gottlieb Knorz an, als dieser die Decke vom Kopfe riß …

Wie eine Erscheinung stierte der brave Alte seinen geliebten Schützling an, breitete die Arme aus …

„Kind, Kind … Du – – du?!“

Und er zog sie an sich, küßte ihre Stirn, drängte sie wieder von sich, hielt ihre Hände in den seinen …

Murat, der Homgori, rief da in den tiefen Kehllauten seiner Affenahnen:

„Miß Agnes, – oh – auch mir sind noch da …!“

Und der gewaltige Tiermensch fletschte vor Freude die Zähne, streichelte Agnes’ Kleid in demütiger Zärtlichkeit …

Ellen trat näher …

Tränen glänzten in ihren Augen …

„Agnes – wo ist Georg?“

Ihre Angst um den Gatten gab dieser Wiedersehensszene rasch eine andere Wendung.

Agnes Sanden schloß die Leidensgefährten in ihrer Arme …

„Nicht tot sind sie, Ellen … Sie leben …“

Auch Pasqual erschien, preßte Gottliebs Rechte …

„Freund Knorz, wo kommt Ihr her? Wer waren die Männer, die euch hierher brachten …?“

Gottlieb erwiderte nichts, war plötzlich herumgefahren.

„Mein Kognak – mein Teckel …?“

Und suchend blickte er nach dem Strande hin …

Kognak kam gerade zwischen zwei Dünen hervor, die Nase auf der Erde …

„Da ist er …!! Ich fürchtete schon, man hätte ihn im U-Boot vergessen …“ Und Gottlieb pfiff … pfiff nochmals.

„U-Boot?!“ meinte der Taucher staunend. „Was redet Ihr da, Freund Knorz? Ich …“

Ellen berichtete schon das Nötigste, denn Gottlieb war seinem halbblinden Hunde entgegengeeilt …

Hartwichs Gattinnen erzählte von Bona Vista, dem nördlichsten der drei Robigas-Eilande … Von den Menschenschädeln, die über die Felsterrasse gerollt waren … Von den geheimnisvollen Schriftstücken, von dem Unsichtbaren, den sie an der Stimme als den einst so reichen Haziendero Juan Astarro wiedererkannt hatte.

Schließlich auch von der ebenso geheimnisvollen Fahrt hierher nach Christophoro …

„Wir haben Schweigen gelobt,“ beendete sie die wenigen Angaben. „Ihr, unsere Freunde, werdet ebenfalls schweigen …“

Pasqual dachte an Alfonso Jimminez. Der durfte nichts von alledem erfahren. Zwar war der jetzt Verbündeter geworden, mußte aber doch mit Vorsicht behandelt werden …

Gottlieb, seinen Teckel im Arm, trat wieder hinzu.

Eine rasche, hastige Beratung folgte …

Knorz erzählte: „Am einfachsten ist, wir sagen, daß wir fünf in der zerstörten Strandgrotte ein Versteck gefunden und uns jetzt erst hervorgewagt haben …“

Einzelheiten wurden noch vereinbart. Man war übereinstimmend der Ansicht, daß Jimminez nichts von Bona Vista und den Höhlen dort mit den dumpfen Maschinengeräuschen wissen dürfe … Noch war der Geheimagent ein allzu zweifelhafter Verbündeter. –

Alle übrigen schritten nun den Zelten zu. Nur Pasqual blieb als Wache auf dem Hügel.

Voran gingen Agnes und Ellen, Arm in Arm. Ihnen folgte Gottlieb, den klugen Homgori Murat neben sich. Den Beschluß bildeten die anderen zwei Affenmenschen …

Vor den Zelten im Mondschein dann die neue freudige Wiedersehensszene …

Doktor Falz, den man jetzt in Gegenwart des Geheimagenten nicht in die wahren Begebenheiten einweihen konnte, rief frohen Herzens:

„So hat also die zerstörte Grotte euch doch noch Schutz geboten! Ich wußte, daß ihr lebt! Morgen bei Tagesanbruch wollen wir nochmals das Geröll durchsuchen!“

Alfonso Jimminez hielt sich abseits. Er fühlte sich fremd unter diesen Menschen, deren Seelen von der seinen durch eine dunkle Kluft getrennt waren …

Sie waren die Vertreter des Guten, Edlen, der Selbstlosigkeit …

Er selbst kam sich jetzt mehr denn je als ein Ausgestoßener, Geächteter vor. Er war das Prinzip des Schlechten, Bösen, der gieriger Habsucht, des Eigennutzes …

Mit trübem Blick beobachtete er diese hier wieder vereinten Kämpfer für das Azorengold, von denen nur zwei fehlten: Gaupenberg und Hartwich! – In seinem Herzen machte da die Wandlung zum Besseren abermals einen bedeutsamen Schritt vorwärts. Leiser Neid beschlich ihn. Wieder empfand er dunkel, daß es etwas Köstliches sein müsse, reinen Herzens dazustehen … –

Einer ahnte, was in Alfonso Jimminez vorging.

Das war Doktor Dagobert Falz. Er, der gute Menschenkenner, er, der Mann mit dem gütigen Verständnis für die Schwächen anderer, er winkte Jimminez herbei …

„Kommen Sie, – begrüßen Sie die wiedergefundenen Freunde … Sie sind einer der Unsrigen geworden …“

Dem Geheimagenten stieg es plötzlich heiß in die Augen. Seit vielen, vielen Jahren hatte er das Gefühl der Rührung nicht mehr gekannt. Jetzt packte es ihn mit aller Gewalt …

Kein Wort brachte er über die Lippen. In seinen Zügen arbeitete es …

Ellen Barrouph, nein, Ellen Hartwich begriff als erste, was Doktor Falz beabsichtigte, einen Verlorenen zurückzuführen in die Gemeinschaft derer, die die Gesetze achteten, die das Gute wollten und Edles im Herzen trugen.

Während Gottlieb Knorz den früheren Gegner noch wenig freundlich musterte, trat sie auf Jimminez, den Riesen, zu und streckte ihm die Hand hin …

„Ich habe viel von Ihnen gehört,“ sagte sie schlicht. „Sorgen Sie dafür, Sennor Jimminez, daß Ihr Name dereinst zugleich mit denen genannt wird, die den Goldschatz verteidigten …“

Der Mischling preßte heiser hervor:

„Es … soll so werden … Es soll …!!“

Und hastig wandte er sich an Gottlieb …

„Auch Sie sollen mir verzeihen … Ich denke an Schloß Gaupenburg, an vieles andere … Sie werden mich jetzt von einer … besseren Seite kennen lernen.“

Gottlieb Knorz merkte, daß dies keine Heuchelei war. Und er war der letzte, der einem Reuigen den Weg zu einem neuen Leben erschwerte …

„Jimminez, wenn in dieser Nacht irgend etwas mich erfreut hat, dann ist es diese Wandlung in Ihrem Denken und Fühlen! – Hand her …! Ich verzeihe Ihnen …! Das Gold ist im allgemeinen ein ganz verwünschtes Metall! Wenn aber das Azorengold hier aus einem Saulus einen Paulus gemacht hat, dann werde ich dieses Metall fernerhin ein wenig besser beurteilen!“

Kräftig drückte er des Geheimagenten Rechte …

Die anderen standen im Kreise darum …

Frohe Menschen waren’s, die die Insel Christophoro in dieser Nacht beherbergte …

Doch – nicht mehr lange!

Doktor Falz nahm das Wort, sprach von baldigem Aufbruch, sprach von Edgar Lomatz’ Tod in den Wellen, davon, daß die Sphinx nun aufsteigen könnte, daßs nichts mehr im Wege stände, nach Taxata aufzubrechen …

Jimminez eilte zum Felsenhügel und holte Pasqual Oretto herbei. Man brach die Zelte ab. Alle gingen an Bord der Sphinx. Kurz nach Mitternacht stieg das Luftboot auch und nahm Kurs gen Osten.

Jimminez, der die Hauptstadt Taxata und auch deren weitere Umgebung als Patalonianer sehr genau kannte, riet Doktor Falz, das Boot in den Urwäldern nördlich der Hauptstadt landen zu lassen. Dort sei man vor jeder Überraschung sicher, da diese sumpfige Wildnis völlig unbewohnt sei.

Alles kam nun darauf an, daß die Sphinx noch bei Dunkelheit jene Gegend erreichte. Falz ließ denn auch die Motoren mit voller Kraft arbeiten. Da das glänzend konstruierte Luftboot den Wind noch im Rücken hatte, schätzte der Taucher Pasqual die Geschwindigkeit auf etwa zweihundert Kilometer in der Stunde. Jimminez berechnete danach an Hand einer Karte, daß die Sphinx gegen fünf Uhr morgens die Urwälder von Saltiporto – so hießen sie allgemein in Taxata – gerade unter sich haben müßte.

Von den vier an Bord befindlichen Männern legte sich in dieser Nacht keiner zur Ruhe nieder. Die drei Frauen dagegen hatten sich längst in eine Kabine zurückgezogen, und auch die Homgoris waren in einer Kammer des Vorschiffes gut untergebracht.

Im runden Führerstand der Sphinx unterhalb des Mittelturmes saßen die vier Männer und besprachen die Aussichten einer Befreiung der beiden von Armaro nach Taxata Verschleppten.

Jimminez betonte, daß der Präsident den Grafen und Hartwich ohne Zweifel nach der Zitadelle oberhalb der Stadt habe schaffen lassen …

„Wenn Sie mir volles Vertrauen schenken,“ fuhr er nach kurzem Zögern fort, „so will ich mich zunächst allein in die Stadt begeben. Ich werde bei Armaro ohne weiteres vorgelassen werden. Mafalda gegenüber tue ich so, als ob ich ihr den letzten infamen Streich, ihre Flucht von dem Schoner, längst vergessen hätte. Ein Märchen, wie ich nach Taxata gelangte, ist bald ersonnen. Armaro und Mafalda werden mich kaum unfreundlich empfangen. Sie wissen meine Dienste zu schätzen. – Lassen Sie mich nur machen, Herr Doktor … Ich werde sehr bald ganz genau erkundet haben, wo Gaupenberg und Hartwich stecken …“

„Ich vertraue Ihnen, Jimminez,“ erwiderte Falz, und nickte ihm freundlich zu. „Nur hege ich einige Zweifel, ob ein Weib wie Mafalda Ihr Märchen nicht durchschauen wird …“

„Keine Sorge …! Ich lege mir die Einzelheiten schon genau zurecht. Mafalda wird keine Widersprüche in meinen Angaben finden …“

„Hm – nur eins bedenken Sie, Jimminez! Wie wollen Sie so schnell von Christophoro nach Taxata gelangt sein?!“

„Oh – auf die einfachste und glaubwürdigste Art. Der Strudel, werde ich berichten, spie mich wieder aus … Ein Rettungsring schützte mich vor dem Ertrinken, und wenige Stunden später nahm mich ein Frachtdampfer an Bord, der nach Caracas in Venezuela bestimmt war. Diesen Dampfer verließ ich angesichts der Küste, stieg auf ein Fischerboot über und wurde unweit von Taxata an Land gesetzt. – Der Zeit nach ist all dies durchaus möglich …“

„Nicht übel erdacht,“ meinte Falz. „Nun gut, – versuchen Sie Ihr Heil, Jimminez!“

Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder den Apparaten zu, kontrollierte den Höhenmesser, den Kompaß und ließ die Sphinx etwas tiefer gehen, damit der recht kräftig wehende Wind das Luftboot noch vorteilhafter in seiner Geschwindigkeit unterstützte.

Stunden verstrichen …

Im Osten begann sich am Horizont das fahle erste Licht der Morgendämmerung zu zeigen …

Jimminez lugte mit dem Fernglas durch eins der runden Turmfenster ebenfalls gen Osten.

Dann kletterte er rasch wieder die eiserne Leiter hinab.

„Land!“ rief er frohlockend. „Herr Doktor, steuern Sie mehr nördlich … In zehn Minuten können wir niedergehen …“

Es war noch vollkommen dunkel, als die Sphinx dann dicht über die Baumkronen hinwegschwebte, bis des Geheimagenten scharfe Augen inmitten dieser endlosen Wald- und Sumpfwildnis etwas wie eine Insel erblickten, die rings um von matt schillernden Wasserlachen umgeben war.

Das Luftboot landete zwischen den Kronen von fünf ungeheuren Urwaldriesen, fand sicheren Halt auf ein paar mehr als mannsdicken Ästen und lag nun, noch mit Stahltrossen befestigt, zwanzig Meter über dem Boden dieser hügeligen Sumpfinsel mitten im Grünen, unsichtbar von unten, unsichtbar auch von oben, nachdem man über das Deck ein Dach von abgehauenen Zweigen gespannt hatte. –

Die drei Frauen, die Homgoris und die Männer befanden sich jetzt sämtlich auf Deck.

Mela Falz, des Doktors rotblondes Töchterlein, rief freudig:

„Eine Laube ist aus der Sphinx geworden …!“

Die ersten Sonnenstrahlen lugten durch das Blättermeer …

„Ein besseres Versteck kann’s kaum geben,“ sagte der nüchterner denkende Gottlieb.

Die drei Affenmenschen aber waren plötzlich, gepackt von der Sehnsucht nach freier Bewegung in den Baumkronen flink und gewann von Ast zu Ast geturnt, jetzt wieder völlig ihre Abstammung verratend …

Falz rief Murat nach: „Kletterten nach unten und seht euch auf der Insel um!“

Murat antwortete durch das dröhnende Getrommel seiner Fäuste gegen den mächtigen Brustkasten.

Nach wenigen Minuten erschien er wieder … Und in seinem etwas unbeholfenen Englisch meldete er:

„Die Insel ist nur klein … In der Mitte steht ein verfallenes Haus von Steinen unter den Bäumen. Eine Treppe führt dort zum Eingang empor. Zwei Männer aus Stein stehe neben der Tür. Und innen ist ein großer viereckiger Felsen mit einer Aushöhlung auf der Ostseite. – Rings um die Inseln zieht sich sumpfiges Wasser hin …“

„Das Haus kann nur ein alter Tempel der Inkas, der Ureinwohner dieser Gebiete sein,“ meinte der Geheimagent.

Pasqual brummte: „Inkas – wohl Indianer?“

„Ja,“ erklärte Falz. „Ein berühmtes Volk waren die Inkas, mit einer hochstehenden Kultur … Sie sind längst ausgestorben, genau wie die Azteken in Mexiko.“

Jimminez deutete auf das Vorderdeck, wo in einem schmalen Behälter unter den aufklappbaren Deckplanken das kleine Aluminiumboot der Sphinx lag …

„Herr Doktor, das Beiboot wird mich über den Sumpfgürtel tragen. Murat mag mich begleiten. Er findet in der Nähe der Stadt in Baumkronen leicht ein Versteck.“ –

Das Boot wurde an einer Trosse zum Erdboden hinabgelassen. Der Geheimagent verabschiedete sich nun von den Insassen der Sphinx …

Jeder reichte ihm die Hand …

Und wieder empfand Alfonso Jimminez diese Freundlichkeit als eine unverdiente Wohltat …

Gerührt sagte er:

„Herr Doktor, was in meiner Macht steht, wird geschehen, um Ihnen rasch sichere Nachricht zu bringen. Bis nach Taxata sind’s etwa fünf Stunden Wegs. Vor Einbruch der Nacht kann ich kaum zurück sein …“ –

Agnes nahm Murat schnell beiseite. Gerade dieser Homgori hing ja an ihr mit rührender Treue.

„Murat,“ meinte sie leise, „sorge dafür, daß Jimminez ungefährdet die Stadt erreicht … Dein feines Gehör, dein scharfer Geruchssinn werden euch beide stets rechtzeitig warnen. Seid vorsichtig, Murat …“

Der Homgori fletschte die Zähne. Sein halb menschliches Gesicht verzog sich zu einer abschreckenden Fratze. Und doch wollte er hierdurch nur ausdrücken, daß Agnes sich auf ihn verlassen dürfe …

„Blonde Miß, Murat ist stark wie ein Gorilla und klug wie ein Mensch,“ sagte er mit tiefen Gurgeltönen. „Murat wird Mister Jimminez schützen, damit Mister Gaupenberg befreit wird.“

Gleich darauf ruderten der Geheimagent und Murat vom Südufer der Insel über das sumpfige Wasser und verschwanden drüben im Urwalde.

Pasqual Oretto und Doktor Falz aber kletterten nun ebenfalls an der Stahltrosse abwärts, weil Falz sich den Inka-Tempel einmal näher ansehen wollte.

Kaum hatten sie sich aber ein Stück durch das Unterholz hindurchgearbeitet, als sie auf einen ziemlich breiten glattgetretenen Pfad stießen, der in vielfachen Windungen bis zum verfallenen Tempel lief.

Falz war stutzig geworden …

„Pasqual, dieser Weg ist noch unlängst von einer größeren Anzahl von Menschen beschritten worden,“ meinte er unruhig. „Es sieht gerade so aus, als ob der Tempel dort …“

Da schwieg er …

Oretto hatte sich rasch gebückt, hatte vom Boden einen kleinen Gegenstand aufgehoben …

Es war – – ein Blechbüchschen, kaum vier Zentimeter lang, vernickelt, und Deckel und Unterteil aufeinandergeschraubt.

„Rostfrei!“ sagte der Taucher. „Das liegt noch nicht lange hier … Von uns hat’s keiner verloren …“

Falz nahm es, besichtigte es …

„Hm – es lag doch halb unter jenem Stein, Pasqual?“

„Ganz darunter, Doktor, ganz … Wenn ich nicht mit der Fußspitze den Stein zur Seite gestoßen hätte, würde …“

„Ah – ein Zettel!!“ rief Falz. – Er hatte das Büchschen aufgeschraubt … „Ein beschriebener Zettel … Und – – das ist Chiffreschrift … Also … eine Botschaft vielleicht für irgend jemand … für die Leute, die hierher kommen … – Lassen wir das Büchschen, wo es war … Wir sind ja nun gewarnt. Wir werden uns still dort oben in unserer Baumlaube verhalten …“

Er stieg die Stufen zum Tempel hinan, nachdem er das Büchschen wieder unter den flachen Stein gelegt hatte.

Pasqual folgte ihm.

Der Steinbau des Tempels war doch geräumiger, als der Doktor vermutet hatte. Das Innere bildete eine einzige Halle. Das aus Steinplatten bestehende Dach zeigt überall Löcher.

„Ja – ein Inka-Tempel,“ meinte Falz und betrachtete die Götzenfiguren neben dem Eingang. „Besonders auffällig ist hier, lieber Pasqual, daß keinerlei Unkraut zwischen den Bodenplatten der Halle wuchert. Oder besser, nicht mehr wuchert! Sehen Sie, man hat es mit Messern kurz abgeschnitten. Und überall bemerkt man in der Moderschicht Stiefelspuren … Hier sind ein paar besonders deutliche Abdrücke … Das ist elegantes Schuhzeug gewesen, keine plumpen Stiefel …! Merkwürdig!!“

Oretto war jetzt um den großen viereckigen Felsblock in der Mitte der Halle herumgegangen …

„Caramba!“ rief er erstaunt. „Hier gibt’s noch mehr zu sehen … Doktor, was ist dies?!“

Und er hob einen großen Kasten empor …

„Eine … Akkumulatorenbatterie!“ erklärte Falz kopfschüttelnd. „Aber – sie ist leer … Die Säure fehlt in den Gläsern. Immerhin – hier in dieser unwegsamen Wildnis eine solche Batterie …!! Was soll man davon halten?!“

Sie durchsuchten den Tempel genauer. Fanden nichts weiter.

„Verfolgen wir den Pfad jetzt bis zum anderen Ende,“ meinte Falz. „Die Sache hier ist nicht ganz geheuer …“

Der Pfad endete am Westufer der Insel an einem umgestürzten Urwaldriesen, der wie eine Landungsbrücke weit in den Sumpf hineinragte. Seine Oberseite war stellenweise von Moos und Flechten vollkommen frei, was nur auf häufiges Benutztwerden dieser Naturbrücke schließen ließ.

Der Doktor winkte Pasqual …

„Kehrt …! Wir haben genug gesehen! Wir werden dort oben in unserer Laube uns kaum regen dürfen … Nur flüstern …! – Kehrt …!“

Als sie an der Trosse wieder an Deck gelangt, wurde diese eingezogen.

In der großen Kabine erstattete Falz Bericht…

Mela, die ja viele Jahre in Taxata als Adoptivtochter Armaros gelebt hatte, erklärte dann sehr bestimmt:

„Vater, der Tempel kann nur von politischen Verschwörern zu ihren Zusammenkünften benutzt werden … Armaro ist beim besseren Teil des Volkes verhaßt. Eines Tages wird sein Schreckensregiment ein Ende haben …“

Falz nickte eifrig. „Kind, diese Ansicht läßt sich hören …! – Verschwörer – ja, das muß stimmen! Aber – – desto vorsichtiger müssen wir hier oben sein … Diese Leute würden uns kaum schonen, wenn sie auch nur fürchten, irgendwie verraten zu werden …“

In demselben Augenblick kam einer der beiden Homgoris, die noch in den Baumkronen nach Affenart umhergeturnt waren, in die große Kabine gestürmt …

„Ein Boot – viele Männer,“ kauderwelschte er mit erregten Armbewegungen … „Boot landen am schiefen Baum …“

„Da haben wir’s!“ stieß Falz hervor … „Bleibt hier unter Deck … Ich will …“

Der zweite Homgori hatte da den anderen beiseite gedrängt, trat ein …

„Oh – eine Miß in Boot … Schwarze Miß von brennendes Haus auf San Miguel …“ dröhnte seine tiefe Stimme. „Schwarze Miß gefesselt … Oh – und so bleich … und … so …“

Er drückte die Augen fest zu, um anzudeuten, daß die Miß bewußtlos …

„Mafalda Sarratow etwa?“ fragte Falz ungläubig.

„Ja … ja – so Name sein. Mafalda – Schwarze Miß …!!“

Er meinte ‚schwarzhaarige’ Miß …

Gottlieb Knorz lachte schadenfroh auf …

„Dann scheint diese Tigerin dort in Taxata ja sehr rasch … gezähmt worden zu sein …!“

Falz beachtete diesen Ausruf nicht.

„Vorwärts, ihr beide …“ befahl er den Homgoris, „beobachtet von den Baumkronen aus, was weiter geschieht … Laßt euch aber nicht sehen …“

Die beiden Affenmenschen eilten wieder davon …

 

106. Kapitel.

Der Kirchhof von Taxata.

Und nun nochmals zurück zur Insel Christophoro …

Nochmal zurück zu jener Nacht, als die Jacht ‚Medusa’ im Osten vor dem Riffgürtel ankerte und Präsident Armaro das Todesurteil an Gaupenberg und Hartwich anscheinend vollstrecken lassen wollte …

Die beiden Freunde standen vor den Sandlöchern …

Ihnen gegenüber die acht Matrosen …

Admiral Torresco trat an die Leute heran …

„Ihr feuert über die beiden hinweg – ihr sollt vorbeischießen!“ flüsterte er. „Seine Exzellenz hat es befohlen …“

Die Mulatten machten grimmige Gesichter …

Der Mordinstinkt war in ihnen längst rege geworden. Der blutige Kampf um die Strandgrotte hatte sie mit Haß und Wut gegen die Weißen erfüllt.

„Ihr gehorcht!!“ drohte Torresco leise …

Dann schritt er zu Gaupenberg und Hartwich hin …

„Sobald die Salve ertönt, werfen Sie sich nach hinten in die Erdlöcher,“ flüsterte er abermals …

Und trat zur Seite …

Hob das Taschentuch …

Ließ es sinken …

Mit singendem Pfeifen verloren die acht Kugeln sich in endloser Ferne …

Unwillkürlich hatten da Gaupenberg und Hartwich sich hintenüber fallen lassen … unverletzt – erfüllt von einer Hoffnung, die ihnen noch vor Sekunden Wahnwitz erschienen wäre …

Torresco und der Fliegeroffizier sprangen zu …

Alles war längst genau vereinbart …

Gaupenberg und Hartwich fühlten etwas Feuchtes auf ihren Gesichtern …

Die Sinne schwanden ihnen …

Und als sie wieder zu sich kamen – nach endlosen Stunden, lagen sie auf zwei Holzpritschen in einer armseligen fensterlosen Zelle … Auf einem Holztischchen brannte trübe ein Petroleumlämpchen …

Viktor Gaupenberg richtete sich schwerfällig auf …

Der Kopf war ihm wüst und benommen. Ein quälender Durst peinigte ihn …

Sein umherirrender Blick blieb auf der Gestalt dort drüben auf der anderen Pritsche haften …

Die Gestalt bewegte sich …

„Georg – – du?!“

Steuermann Hartwich setzte sich aufrecht.

„Wie du siehst, Viktor … – Wo sind wir?“

„Wenn ich’s wüßte …!“ – Er hatte jetzt einen Wasserkrug und einen Becher auf dem Wandbrett neben der schmalen Tür erspäht …

Erhob sich taumelnd …

„Ah – – Wasser, wenn auch lau …“

Hartwich streckte verlangend die Hand aus. Sie tranken – gierig, wie Verschmachtete …

Setzten sich nebeneinander auf die eine Pritsche …

„Wo sind wir, Viktor …?“

„Doch wohl irgendwo in dem Banditennest Taxata, Georg. So allmählich besinne ich mich wieder auf die letzten Vorgänge …“

Und plötzlich zuckte er hoch …

„Mein Gott … Agnes – – Agnes wird glauben, wir seien wirklich erschossen worden …! – Oh – das war Mafaldas Rache …! Das galt Agnes, diese Komödie … Agnes sollte Zeugin unserer Hinrichtung sein … – Mafalda, – – Bestie … Satan …!! Und – – meine arme, arme Agnes …!“

Er stöhnte auf …

Hartwich stierte grübelnd ins Leere. Er konnte seine Gedanken noch immer nicht völlig ordnen …

Dann – endlich arbeitete sein Gedächtnis besser …

Ellen – – seine Ellen – – mit Gottlieb in der Strandgrotte – und mit den drei Homgoris … – Ja – so war’s gewesen …

Und Ellen und Gottlieb hatten fliehen wollen – hatten …

„Georg!!“

Da wandte der Steuermann das Gesicht dem Freunde zu …

„Georg,“ sagte Gaupenberg dumpf, „Agnes wird das nie überleben … Georg, – Agnes sah uns in die Erdlöcher sinken …!! – Mafalda – – Satan, Satan …!!“

Er stöhnte, ballte die Fäuste …

„Georg, – und dieses Weib hat es einst vermocht, Agnes und mich zu trennen …! Georg, – – ich muß blind gewesen sein!“

Hartwich legte ihm den Arm um die Schulter …

„Damals warst du kein Mann … Sei es jetzt, Viktor … Und – – hoffe!!“

Gaupenbergs qualvolles Stöhnen klang in einen Seufzer aus …

„Hoffen?! Worauf, Georg …?! Meinst du, daß Mafalda Agnes schonen wird?! Uns ließ sie am Leben, weil sie uns … braucht, weil sie weiß, daß sie ohne uns … das Gold nie mehr finden wird! Deshalb leben wir! Nur deshalb …!“

Hartwich nickte nur …

Seine Gedanken eilten bereits andere Wege …

Er erhob sich wieder, nahm die Lampe vom Tisch, beleuchtete die schmale Tür …

„Eisen – kein Guckloch …!“

Dann hob er die Lampe hoch über den Kopf …

„Kein Fenster … Kahle Mauern … Granitquadern mit Mörtel dazwischen … Oben die Decke anscheinend ebenfalls Eisenplatten … Ein Luftloch – und – mit durchlöchertem Deckel … – Ja, Exzellenz Armaro hat uns gut untergebracht …!!“

Er stellte die Lampe wieder auf den Tisch …

Stand vor Gaupenberg …

„Viktor …!“

Der schaute auf …

„Viktor – keine müßigen Sorgen … Quäle dich nicht Agnes’ wegen. Wir wissen nicht, was aus ihr geworden. Bedenke, daß Agnes einen Beschützer hat, der einem Wesen aus einer überirdischen Welt gleicht, Dagobert Falz …!“

„Der ist auch meine einzige Hoffnung, Georg, und wenn …“

„Still … Man kommt …“

Außen an der Eisentür kreischten Riegel …

Die Tür ging langsam nach innen auf. Eine Stange an einem Gelenk war daran befestigt, und durch diese Stange, die durch ein Loch der äußeren zweiten Tür hindurchging, schob man sie immer weiter auf …

Das Loch in dieser zweiten Tür war rund und etwa vom Durchmesser eines Kopfes.

Durch diese Öffnung nun eine Stimme:

„Nehmen Sie Ihr Essen entgegen …“

Hartwich ging hin …

Eine Hand reichte einen langen flachen Blechennapf hindurch …

„Treten Sie zurück,“ befahl die Stimme …

Die Innentür wurde zugezogen. Riegel kreischten.

Hartwich beschaute neben der Lampe den Inhalte des Napfes. Zwei Blechlöffel lagen darin.

„Reis mit Hammelfleisch anscheinend … Es riecht nicht schlecht …“ meinte er. „Und doch – ich würde nicht einen Bissen hinunterbekommen …“

„Ich erst recht nicht … Reiche mir aber bitte den Wasserkrug.“

Sie tranken …

Saßen wieder nebeneinander …

„Wie soll das enden?!“ sagte Gaupenberg nach einer Weile …

Hartwich blieb stumm …

„Weshalb antwortest du nicht, Georg?“

Der Steuermann flüsterte ganz leise:

„In der Innentür ist kein Guckloch, und trotzdem hat man uns Essen gebracht, nachdem wir kaum erwacht waren … Mithin …“

„Mithin?“

„… werden wir anderswie beobachtet, vielleicht auch … belauscht …“

„Ah – das wäre …“

„… ein Trick, des Präsidenten und Mafaldas würdig …“

„Wenn wir über den Schatz sprächen, dann …“

„… könnten wir alles verraten … Vielleicht haben wir schon zu viel verraten … Du sagtest vorhin, daß Mafalda ohne uns das Gold nie mehr finden würde … Und wir haben Armaro erklärt, der Schatz sei im Ozean versunken, nie mehr zu bergen. Ich fürchte …“

„Was denn?“

„Still … Ich … hörte etwas … – Da – abermals … Was bedeutet das?!“

Gaupenberg lauschte angestrengt …

„Eine Maus oder eine Ratte,“ flüsterte Hartwich …

„Nein, Georg … Das klingt nicht nach den Zähnen eines Nagetieres … Das ist …“

„Was sonst wohl, Viktor?“

„… Das ist … niemals ein Nagetier … Hier gibt es nur Steine und Eisen … Und aus den Holzpritschen kommt das Geräusch nicht …“

„Allerdings nicht …“

„Nun also! – Ich behaupte, daß dort in der Nebenzeile, jedenfalls an der anderen Seite der Mauer an deiner Pritsche jemand an dem Mörtel zwischen den Steinquadern kratzte – mit Metall …“

Wieder horchten sie …

Dann flüsterte Hartwich wieder: „Es stimmt, dort drüben ist’s … Vielleicht ein Leidensgefährte, der fliehen will …“

Gaupenberg meinte gleichgültig: „Du hast den Grafen von Monte Christo noch gut im Kopf!! Du denkst an einen Nachbar, der sich einen Weg durch die Granitquadern bahnt …! Nun – den möchte ich sehen, der das Kunststück fertig bringt!“

Das kratzende Geräusch war verstummt …

Die Freunde verhielten sich regungslos …

Und in diese Totenstille hinein ein … Stimmchen – kaum ein Flüstern – mehr ein Hauch …:

„Vorsicht!! Um Mitternacht komme ich wieder …!“

Nichts mehr dann …

Nur das Kratzen begann nach einer Weile abermals …

Verstummte nach Minuten …

Gaupenberg brachte den Mund an Hartwichs Ohr.

„Ich bin bekehrt, Georg … Doch ein Kapitel aus dem Grafen von Monte Christo …!“

„Aber – eine Frau …! Es war die Stimme eines Weibes, Viktor …“

„Ja … – Wenn wir nur wüßten, wann Mitternacht ist, welche Tageszeit wir jetzt haben …!“

Er fühlte nach seiner Taschenuhr …

„Ah – sie ist noch da … Und – – sie geht noch, Georg … Acht ist’s … Ich werde sie aufziehen … – Da – sie war fast abgelaufen … Ich zog sie zum letzten Mal auf, als wir die Steintreppe in dem Schacht emporgestiegen – aus der Aztekenhöhle … Sie geht achtundvierzig Stunden … Mithin muß es acht Uhr abends sein …“

Hartwich nickte nur.

„Woran denkst du wieder, Georg?“

„Daß wir doch etwas essen müßten, um bei Kräften zu bleiben … Versuchen wir’s …“

Sie aßen wirklich.

Das Reichsgericht war recht schmackhaft zubereitet.

Gegen neun Uhr öffnete sich die Innentür wieder. Dieselben tiefe Männerstimme verlangte den Napf und die Lampe …

„Schlafen Sie jetzt,“ erklärte der Mann, von dem man nichts sah. „Wollen Sie noch Trinkwasser haben?“

„Es genügt noch,“ meinte Hartwich und … nahm den Deckeleimer mit in die Zelle, der zwischen den beiden Türen gestanden hatte.

Die Innentür schloß sich wieder.

In der Zelle war’s nun völlig dunkel. Hartwich tastete sich bis zu Gaupenbergs Pritsche hin, stieß dabei gegen den kleinen Tisch und merkte so, daß dieser am Boden festgeschraubt war.

Er setzte sich neben den Freund …

„Wir tun besser so, als ob wir uns niedergelegt hätten und eingeschlafen wären … Wir werden sicher belauscht … Übrigens ist der Tisch an die Steinplatten des Bodens angeschraubt …“

„Wozu das?!“

„Wenn ich’s wüßte …! – Legen wir uns nieder …“ Und lauter: „Gute Nacht denn, Viktor …“ –

Drei endlose Stunden bis Mitternacht …

Eine fast unheimliche Stille in der kleinen Zelle … Hin und wieder schnarchte Hartwich ein wenig – und sehr natürlich …

Dann – – wieder dasselbe Kratzen an der Mauer.

Minutenlang …

Die Freunde saßen aufrecht da …

Lauschten …

Um sie her Finsternis …

Stille jetzt …

Dann – – irrte mitten aus der Mauer dicht vor Hartwichs Lager ein dünner Lichtstrahl hervor …

Entschwand …

Kam wieder …

Der Steuermann hatte sich lautlos erhoben, sah nun, daß ein Stückchen Mörtel von Fingergliedgröße in der einen Fuge fehlte.

Aus diesem Löchlein kam das Licht.

Noch näher brachte er da das rechte Auge an die Öffnung heran …

Doch das Licht erlosch, und die zarte Stimme hauchte:

„Wer sind Sie?“

Spanische Worte – wie vorhin …

„Zwei Deutsche …“

„Weswegen hier in der Zitadelle?“

„Weil Gegner Armaros …“

„Politische Gegner etwa?“

„Nein …“

„Ah – persönliche Feindschaft! – Nun, das wäre gleichgültig …“

„Inwiefern?“

„Leiser, leiser!“ warnte die Frau. „Wollen Sie mit mir fliehen? Wollen Sie mir feierlich versprechen, sich ganz genau nach meinen Wünschen zu richten?“

„Gern versprechen wir das … – Wer sind Sie, wenn ich fragen darf …“

Das Licht hinter der Mauerritze wurde jetzt wieder ein wenig höher gehoben, und Hartwich sah undeutlich ein bleiches Frauenantlitz, daneben auch die Lichtquelle, ein Fläschchen, offenbar mit Öl gefüllt, indem aus dem engen Hals heraus ein Stück Stoff als Docht brannte, also eine ebenso primitive wie zweckmäßige Leuchte.

Die Gefangenen erwiderten:

„Ich bin die Gattin des Azteken Doktor Rosario, der vor einem Jahr etwa wegen Teilnahme an der Verschwörung des Haziendero Juan Astarro standrechtlich erschossen wurde. Mich selbst verurteilte man zu zehn Jahren Kerker … – Wir müssen jetzt die Unterhaltung abbrechen, Sennor … Um ein Uhr werden die Zellen von oben durch das Luftgitter nochmals revidiert. Legen Sie sich also abermals nieder. Um halb zwei sind wir dann völlig sicher …“

Das Licht verschwand.

Hartwich kehrte tastend zu seiner Pritsche zurück. Gaupenberg kam und ließ sich neben ihm nieder.

Sie flüsterten miteinander, tauschten ihre Ansichten über die Möglichkeit einer Flucht aus und waren beide gleich aufgeregt und gespannt auf Frau Rosarios weitere Absichten. –

Als gegen ein Uhr dann wirklich von oben ein greller breiter Lichtschein über ihre Lagerstätten hinglitt, waren sie scheinbar fest eingeschlafen.

Darauf ereignete sich eine halbe Stunde lang nichts, bis eben in der Mauer wieder die kratzenden Geräusche ertönten und nach einer Weile die Stimme der Sennora Rosario lauter als vorhin sich meldete …

„Helfen Sie mir … Der eine Steinblock läßt sich herausheben …“

Hartwich und Gaupenberg sprangen empor …

Der feine Lichtstrahl erschien abermals, und langsam wurde der eine Stein, über dem die Öffnung lag, nach der Zelle zu herausgedrückt, wobei der Mörtel in kleinen Stücken herabfiel. Es war nicht Mörtel, wie Hartwich durch Zerreiben zwischen den Fingern feststellte. Es mußte eine aus irgendwelchen Nahrungsmitteln zurechtgeknetete Ersatzmasse sein.

Die Freunde packten zu und stellten den Stein abseits. Durch das enge Loch schob sich nun eine schlanke Frau von vielleicht dreißig Jahren. In der Linken trug sie das Fläschchen mit dem brennenden Docht.

Gaupenberg half ihr auf die Füße. Nun stand sie aufrecht da …

„Halten wir uns nicht mit Worten auf,“ sagte sie leise. „Ich wäre längst geflohen, wenn ich einen Strick von acht Meter Länge zur Verfügung gehabt hätte … Zerschneiden Sie Ihre Jacken – – rasch …“

Sie reichte Hartwich ein aus einem Blechlöffel hergestelltes Messer.

Der Steuermann hatte mit Hilfe des Grafen in kurzem nach Seemannsart aus den Jacken, den Westen und den Hosenbändern einen Strick gedreht, der freilich kaum sieben Meter lang war.

„Es wird auch so gehen,“ meinte die Sennora Rosario, die vor nervöser Erregung ganz heiser sprach. „Beeilen wir uns … Rücken Sie die Pritsche dort von der Wand ab …“

Die Freunde taten’s …

Auch hier ein Stein, der nur von einem Mörtel aus Brot und Schmutz umgeben war. Die Sennora kratzte dieses Bindemittel mit einem Löffelstiel schnell heraus. Hartwich zwängte die Finger in die Fugen und zog den Stein langsam an sich.

Dahinter war ein großer Hohlraum, und ein zweiter gelockerter Stein eröffnete den Zugang ins Freie.

Als der Steuermann nun vorsichtig den Kopf hinausschob, sah er, daß diese Mauer zu einem Eckturm der Zitadelle gehörte. Unterhalb des Loches in etwa zehn Meter Tiefe erkannte er im Mondlicht Gestrüpp, Bäume und – – eine Gestalt, die mit einem Gewehr im Arm bedächtig weiterschritt. Ein Soldat – als Posten!

Der Strick wurde hinabgelassen, nachdem der Posten verschwunden. Das obere Ende knotete Hartwich um das Fußbrett der eine Pritsche, das er unschwer hatte losreißen können. Das Brett lag quer über dem inneren Loche und gab dem Strick genügen Halt.

Die Sennora Rosario kletterte als erste hinab. Drei Meter fehlten. Sie ließ den Strick fahren und landete unbeschädigt mitten im hohen Unkraut.

Gleich darauf waren Hartwich und Gaupenberg neben ihr. Sie eilte voran, nach Osten zu, wo hinter der alten Zitadelle ein Exerzierplatz mit ein paar Schuppen sich ausdehnte.

Tief aufatmend blieb sie hinter dem ersten der Schuppen stehen …

Sie zitterte jetzt …

„Wir sind vorläufig in Sicherheit,“ flüsterte sie schwach. „Meine Nerven … versagen …“

Sie lehnte sich an die Bretterwand, und Gaupenberg stützte sie galant. Ihm und Hartwich erging es nicht viel anders wie dieser tapferen Frau. Sie fühlten ihre Nerven jagen … Die Beine wankten ihnen. Gerade diese schweigsame Flucht so ohne jedes überflüssige Wort hatte an ihre Nerven gezerrt wie lärmendstes Erleben.

Frau Rosario lächelte matt. Ihr Gesicht schimmerte fahl wie das einer Toten …

„Immerhin, Sennores, wir haben die erste Etappe hinter uns … – Weiter also …“

„Wohin?“ fragte Gaupenberg höflich …

„Dorthin, wo niemand uns vorläufig sucht … – Vorwärts!“

Sie hatte sich wieder erholt … übernahm abermals die Führungs …

Sie trug den grauen gestreiften Leinenkittel der Zuchthäuslerinnen. Und doch konnte selbst dieses elende Gewand die Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen und das Ebenmaß ihres Körpers nicht verbergen.

Durch Wald und Feld eilte sie voran – im Bogen nach Norden zu …

Bis zu einer hohen Steinmauer, über die Palmen, Zypressen und flache Dächer hinwegragten.

Hier machte sie halt …

„Über die Mauer!“ sagte sie in ihrer bestimmenden Art …

„Ein Park?“ fragte der Steuermann …

„Sie werden sehen, Sennor …“

Hartwich und Gaupenberg halfen ihr auf die Mauerkrone hinauf. Dann schwang sich der Graf von Hartwichs Schultern neben sie …

Ein Blick …

Der Park war ein Friedhof … Die Dächer gehörten zu Erbbegräbnissen, die sich an die Mauern lehnten.

Gaupenberg zog den Freund empor. Dann ging es an der anderen Seite wieder hinab.

Sennora Rosario eilte an der Mauer entlang bis zu einem tempelartigen Erbbegräbnis aus schwarzem polierten Granit. Eine Flügeltür aus Kupfer bildete den Eingang.

Über dieser Tür war in handlangen Goldbuchstaben zu lesen:

Ramon Rosario
1868-1918

Die Sennora bückte sich, tastete mit den Fingern unter die Steinschwelle der Tür und holte dort einen kunstvollen großen Schlüssel hervor …

Schloß auf … Lautlos drehte sich der Flügel der Tür …

Hartwich und Gaupenberg traten ein. Die Frau zog den Schlüssel heraus und schloß von innen wieder ab …

Dunkelheit …

Aus dieser Finsternis ihre Stimme:

„Freunde haben für mich gesorgt …“

Viele Worte waren nicht ihre Art.

Eine elektrische Taschenlampe flammte auf. Die beiden Deutschen sahen einen kapellenartigen Raum, im Hintergrunde einen kleinen Altar mit Leuchtern, dicken Kerzen und einem Muttergottesbilde …

Die Sennora trat links an die Wand heran, winkte.

Dann zog sie an einem eisernen Hebel, dessen Stange durch den Boden nach unten lief.

In der Mitte der Kapelle bestand der Bodenbelag aus einer einzigen Steinplatte von etwa zwei Meter Länge und ein Meter Breite.

Diese Platte senkte sich, klappte zur Seite, und gleichzeitig schob sich mit leisem Knirschen eine eiserne Treppe empor.

„Bitte …“

Frau Rosario deutete auf die Treppe …

„Dort unten sind wir sicher … Vorläufig … Die Särge werden Sie nicht stören …“

Gaupenberg, der wohl mehr Gefühl für das Traumhafte, phantastische dieses Erlebens hatte, flüsterte unwillkürlich:

„Sennora, mein Freund und ich haben viel durchgemacht … Dies hier ist genau so unwillkürlich wie die Szenen in einer hohlen Klippe, wo wir eine schlafende Spanierin fanden.“

Frau Doktor Rosario sagte herb: „Ich wünschte, es wäre unwirklich …!“

Ein ganz merkwürdiger Ton war in ihrer Stimme.

Sie winkte nochmals. Und der Graf und Hartwich stiegen ein wenig zögernd die leicht wippende Treppe abwärts.

Kühle Moderluft schlug ihnen entgegen. Sie fröstelten. Ihre Leiber waren draußen in der schwülen Tropennacht feucht von Schweiz geworden.

Die Senorra ließ die Steinplatte durch einen zweiten Hebel hier unten wieder zurückgleiten.

Fünf Zinkssärge standen hier. Es war nur nur noch wenig freier Raum übrig. In einer Ecke lag ein Haufen verdorrter Kränze. Die Sennora griff in die knisternden Kränze hinein und brachte einen mittelgroßen Henkelkorb zum Vorschein, ferner vier wollene Decken und eine Hängematte.

Gaupenberg hielt jetzt die elektrische Lampe. Frau Rosario entnahm dem Korbe eine schlanke Flasche und einen Becher.

Es war starker, feuriger Wein …

Als die drei getrunken hatten, floß ihnen das Blut schneller durch die Adern. Auch der Sennora hageres Gesicht rötete sich.

„Hüllen Sie sich in die Decken ein,“ meinte sie lebhafter. „Wir müssen hier so lange bleiben, bis meine Freunde erfahren haben, daß die Flucht jetzt endlich geglückt ist … Setzen wir uns auf die Treppe …“

Gaupenberg, die Lampe noch in der Hand, verbeugte sich …

„Sennora, unsere Pflicht ist es, Ihnen jetzt zunächst zu danken. Ohne Ihre Hilfe wären …“

Sie hatte eine schroff abwehrende Bewegung gemacht …

„Nur das nicht! Nur keinen Dank …“

Wieder klang die Stimme seltsam und unnatürlich.

„Nein – kein Wort davon …! Etwas anderes muß ich Ihnen anvertrauten …“

Sie stockte, senkte den Kopf …

„Mein Mann und ich hatten vor der mißglückten Revolution unsere Wertsachen beiseite geschafft,“ fuhr sie hastiger fort. Sie sprach, als rede sie etwas auswendiggelerntes hin …

„Diese Juwelen und Goldgeld im Betrage von rund einer halben Million Dollar liegen oben in der Kapelle unter der dritten achteckigen Bodenplatte links von der Tür … Wir wissen nicht, was geschehen wird, Sennores … Wir können trotz allem ergriffen werden. Ich kann sterben … Sollten Sie glücklich davonkommen, denn wir werden die Flucht getrennt fortsetzen müssen, so teilen Sie dieses Geheimnis meiner in Neuyork lebenden Schwester Anna Maria Dragallo, Gattin des spanischen Gesandtschaftsrates Dragallo, mit … Merken Sie sich den Namen: Anna Maria Dragallo … – Sie sehen, Sennores, daß ich Ihnen unbedingt vertraue …“

Gaupenberg reichte ihr die Hand. „Sie haben Ehrenmänner vor sich,“ meinte er schlicht …

Dann wandte er sich an Hartwich. „Ob wir die Sennora Rosario nicht ebenfalls bitten, im Falle des Gelingens ihrer Flucht und falls wir wieder ergriffen werden sollten, unsere Freunde zu benachrichtigen?“

Der Steuermann zauderte. Ihm war manches an diesem Entweichen aus der Zitadelle jetzt schon deshalb zweifelhaft vorgekommen, weil Frau Rosarios Benehmen ihn stutzig gemacht hatte.

Und doch – was sollte hier diese mißtrauische Regung?! Hatte die Sennora das verdient?!

Er ärgerte sich selbst über seine Schwerfälligkeit, über sein argwöhnisches Grübeln …

„Es wird das beste sein,“ sagte er rasch. „Wir können ebenfalls sterben – irgendwie … – Ja, Viktor, bitte die Sennora …“

Gaupenberg schaute Frau Rosario an. Die stand noch wie vordem mit gesenktem Kopf. Etwas Hilfloses lag über ihrer Gestalt …

„Sennora,“ begann er, „Sie kennen noch nicht einmal unseren Namen und haben …“

Wieder da die schroffe Handbewegung …

„Lassen Sie das doch …! Ohne Sie hätte ich nie entweichen können … Ihre Zelle war das ganze Jahr über leer … Der Strick fehlte mir …“

„Sennora, dann ganz kurz … Sollte meinem Freunde Georg Hartwich und mir, dem Grafen Viktor Gaupenberg etwas zustoßen, so bitte ich Sie, in aller Heimlichkeit die Insel Christophoro recht bald aufzusuchen. Diese Insel gehört zu den Robigas-Eilanden und ist nur an der Ostseite bei günstigem Wetter von einer Klippe außerhalb des Brandungsgürtels betretbar … Sie werden dort vielleicht Freunde von uns finden … einen Doktor Dagobert Falz … – Sennora, bestellen Sie dem Doktor Falz, daß er das, worum wir gekämpft haben, aus den Gewölben des versunkenen Palastes der großen Höhle in unserem Sinne bergen soll … – Sennora, merken Sie sich diese Sätze … Dann weiß Doktor Falz Bescheid, er soll das, worum wir gekämpft haben, aus den Gewölben des versunkenen Palastes der großen Höhle …“

Ein schneidendes Hohnlachen ließ ihn verstummen …

Zwischen den Särgen standen Mafalda Sarratow und Präsident Armaro …

„Ich danke Ihnen, Herr Graf,“ höhnte die Fürstin kreischend … „Das Spiel ist geglückt … Nun wissen wir, wo wir den Goldschatz zu suchen haben!“

Die Sennora Rosario hatte die Hände vor das Gesicht gedrückt und schluchzte qualvoll …

 

107. Kapitel.

Eine Pumajagd.

Zur selben Zeit, und das war etwa um drei Uhr morgens, hatte der amerikanische Gesandtschaftsrat Roger Shelling, der in der Villa des Gesandten John Barrouph im Hochparterre zwei Zimmer seit Wochen bewohnte und den wir hier bereits mehrfach auch unter seinem wahren Namen Jakob Worg begegnet sind, seinen Chef trotz der frühen Morgenstunden angeklingelt …

Barrouph war, seitdem seine Gattin infolge Ellens Verschwindens an Nervenfieber schwer erkrankt und zwei Pflegerinnen ständig im Hause waren, aus dem gemeinsamen Schlafzimmer in einen anderen Raum neben seinem Arbeitszimmer übergesiedelt. Ein Haustelephon stand auf dem Nachttischchen am Kopfende seines Bettes. – So hatte der Jakob Worg es gewollt, und so war’s auch geschehen.

Barrouph fuhr über dem schrillen Läuten der Telephonglocke empor.

Es dauerte eine Weile, bis er seine schlaftrunkenen Gedanken so weit wieder beisammen hatten, um zu erkennen, daß heute zum ersten Male das Telefon anschlug, welches lediglich Verbindung mit Worgs Zimmer hatte.

Der Gesandte wußte, daß etwas ganz Besonderes geschehen sein müsse. Hoffnung war’s, daß die Suche nach Ellen jetzt vielleicht endlich ein bestimmtes Ergebnis gezeitigt haben könnte, die ihn nun eiligst sich melden ließ …:

„Hallo – hier John Barrouph …“

Des Detektivs Stimme erwiderte:

„Hallo – hier Roger Shelling … – Unglaubliches ist geschehen, Mister Barrouph … Bin soeben von nächtlicher Streife heimgekehrt. Hatte meine Leute an bestimmten Plätzen postiert. Wir ahnten, daß irgend etwas im Gange war. Mafalda hatte sich abends dreimal heimlich nach der Zitadelle fahren lassen … Das konnte doch nur den Gefangenen der Sphinx gelten, die wir ja in der Zitadelle vermuteten. Sie besinnen sich, die Jacht ‚Medusa’ landete abseits des Hafens eine geheimnisvolle Last, die durch ein bereitstehendes Auto zur Zitadelle gebracht wurde …“

John Barrouph war enttäuscht …

Gewiß – auch das Schicksal der Deutschen, die um den Goldschatz kämpften, ging ihm nahe. Aber sein einziges Kind, von dem man noch immer ohne Nachricht war, stand ihm doch weit näher.

„Ich besinne mich,“ sagte er nur …

„Es war mithin irgend etwas im Gange,“ wiederholte Worg seine allgemeine Bemerkung. „Ich mußte erfahren, was … Ich hatte meine Anordnungen so getroffen, daß keine Maus aus Armaros Palast unbemerkt entschlüpften konnte. Wir sind jetzt hier zehn der besten meines Instituts, und … – Doch ganz kurz – meine Leute sind … weg!! Nicht einer war auf seinem Posten …!“

Das gab Barrouph doch einen Stoß.

Seine Gleichgültigkeit schwand …

„Nicht möglich, Worg …! Pardon – – nicht Worg, – Shelling! – Wie erklären Sie sich dieses Verschwinden?“

„Sehr einfach. Armaros Spione, und ihm steht ja die ganze Bande der taxatanischen Geheimpolizei zu Verfügung, haben meine Leute sämtlich als das erkannt, was sie sind, und der Präsident hat sie geschnappt, unter einem Vorwand verhaften lassen …“

„Oho – Bürger der Vereinigten Staaten, harmlose reisende Kaufleute …!!“

„Mister Barrouph, ein Grund zur Verhaftung läßt sich stets konstruieren …

In drei Fällen kenne ich die Vorgänge bereits, meine Leute wurden mit in eine Schlägerei verwickelt, und Geheimpolizei beschuldigten sie, einen Mann tödlich verletzt zu haben …“

„Kanaillen …!!“

„Allerdings … – Jedenfalls steht fest, daß alle zehn, darunter auch meine beiden Agentinnen, im Polizeigefängnis sitzen …“

„Ich werde eingreifen, Worg … Es sind amerikanische Bürger …“

„Was nichts helfen würde … Sie kennen ja hier die famosen Zeugen, die jeden Eid leisten. Dein Eid ist mein Eid! – so die Dewiese. Und zudem das Schlimmste, Mister Barrouph. Auch meine Funkstation auf dem Baumriesen ist ausgehoben worden! Die Apparate sind weg, die Antennen und die kleine Laube im Wipfel zerstört … Alles ist also entdeckt. Armaro kann triumphieren. Mich hat man unbelästigt gelassen, obwohl der Schuft mich längst ebenfalls durchschaut haben muß …“

John Barrouph, der vor Jakob Worgs Berühmtheit eine unbegrenzte Hochachtung hatte, sah jetzt ein, daß dieses Vorgehen Armaros auch für ihn, den Vater Ellens, eine freche Kriegserklärung bedeutete …

„Worg, was nun!“ fragte er sichtlich erregt. „Sollen wir zu alledem still sein? Armaro verhöhnt uns … Armaro weiß, daß Sie Ellens wegen hier sind … Dieser Schlag gegen Ihre Leute ist eine unverschämte Herausforderung.“

„Mehr als das, Mister Barrouph … Und doch – wir sind machtlos! Drohungen hätten gar keinen Zweck … Abwarten – das ist das Richtige! Armaro wird sich schon eine Blöße geben … Dann packen wir zu …“

Der Gesandte war mit diesem Vorschlag in keiner Weise einverstanden.

„Hören Sie, Worg, – schlafen kann ich doch nicht mehr … Ich komme zu Ihnen. Wir wollen die Dinge in Ruhe beraten …“

„Mir sehr lieb, Mister Barrouph … – Ich möchte noch bemerken, bevor ich’s vergesse, daß Armaros Spione unsere Villa nicht mehr umlauern. Auch ein Beweis, wie sicher er sich fühlt. Er hat uns matt gesetzt. Wir beide sind ihm vorläufig gleichgültig. – Ich erwarte Sie also … Bis gleich …“

Barrouph zog sich notdürftig an. Ganz leise begab er sich aus dem ersten Stock in das Erdgeschoß hinab. Er konnte kaum sagen, ob Armaro nicht selbst unter der Dienerschaft des Hauses seine erkauften Spione hatte.

Doch als er nun bei Jakob Worg anklopfte, meldete sich niemand …

Er pochte stärker gegen die Tür …

Wieder vergeblich …

Da legte er die Hand auf den Drücker und trat ein …

In dem großen eleganten Gemach brannte Licht …

Es war leer …

Barrouph ging bis zur Tür des Nebenzimmers. Sie war nur angelehnt …

Er rief: „Worg, wo stecken Sie?“

Und stieß die Tür weiter auf …

Dunkel … Aber ein frischer Luftzug verriet dem Gesandten, daß ein Fenster hier weit offenstehen mußte.

In leichter Unruhe schaltete er das Licht ein …

Das eine Fenster war tatsächlich offen, doch die Stabjalousie war heruntergelassen.

Worg war nicht da.

Barrouph kehrte in das erste Zimmer zurück.

Sein Blick glitt prüfend ringsum.

Haftete schließlich auf einem großen Bogen auf der Schreibtischplatte …

Bleistiftzeilen – sehr flüchtig:

‚Mr. B., hatte keine Zeit mehr, sie anzurufen. Einer meiner Leute doch entschlüpft, Channon, der jüngste und kühnste. Überbrachte mir sehr wichtige Nachrichten. Muß sofort aufbrechen. Mafalda und Armaro sind auf dem Friedhof von Taxata. – Verbrennen!! – W.’

John Barrouph überflog nochmals diese Zeilen …

Auf dem Friedhof?! – Friedhof?! Was hatten die beiden dort zu suchen?!

Er zündete ein Streichholz an. Das Papier flammte auf. Selbst die Asche zerrieb Barrouph, schaltete auch hier das Licht aus und begab sich wieder nach oben. –

Worg und Channon eilten durch den Garten der Villa, der nach Osten zu an ein unbebautes Gelände grenzte, in weitem Bogen auf die Ostmauer des ausgedehnten Kirchhofes zu.

Channon erzählte nochmals, was er beobachtet hatte. Daraus ging zweifelsfrei hervor, daß seine Person den Spionen Armaros fraglos bisher entgangen war …

„Die anderen sind verhaftet worden, Mister Worg … Alle … Wenn man mich gleichfalls als einen Ihrer Leute erkannt hätte, würde ich niemals noch in Freiheit sein. Vielleicht hat mich der Umstand geschützt, daß ich stets nur zu untergeordneten Diensten benutzt wurde und daß ich hier als angeblicher Angestellter der Neuyorker Firma Evans stets sehr vorsichtig gewesen bin …“

„Und doch waren Sie mit auf der ‚Victrix’, mit auf den Robigas-Inseln …“

„Oh – als wir hier wieder landeten, trugen wir ja alle drei Verkleidung, Mister Worg … Ich hoffe, ich sehe auch jetzt wie ein echter Mulattenkuli vom Hafen aus …!“

„Das stimmt …“

Channon machte plötzlich halt …

„Dort siebzig Meter vor uns ist die Stelle, wo Armaro und Mafalda an der Mauer verschwanden – dort hinter den Büschen …“

Worg und Channon standen jetzt am Rande eines Wäldchens …

Am östlichen Horizont zeigte sich bereits der erste Schimmer des anbrechenden neuen Tages.

Ringsum war nichts Verdächtiges zu bemerken. Der Friedhof lag völlig einsam.

Die beiden Detektive warteten eine halbe Stunde. Es wurde immer heller.

„Wir sind zu spät gekommen,“ meinte Worg mißmutig. „Während Sie mich holten, ist hier vielleicht Wichtiges geschehen.“

Channon fühlte den Vorwurf heraus.

„Ich allein hätte nichts ausgerichtet, Mister Worg,“ verteidigte er sich. „Ich betonte ja schon, dort drüben auf der Stelle hielten zwei Autos, und die Leute aus dem zweiten schwärmten hier umher. Es waren fünf Mann. Ich glaube den dicken Admiral Torresco in dem einen erkannt zu haben …“

Worg schaute zum Himmel empor.

„In einer halben Stunde ist es Tag … Vorwärts – kriechen wir an die Mauer heran …“

Und als sie nun hier in die Büsche eindrangen, als Worg mit seiner Taschenlampe die Mauer beleuchtete, fiel ihm eine Stelle auf, wo der Boden ganz frisch aufgewühlt zu sein schien. Man hatte Unkrautstauden in diesen Erdfleck hineingesteckt, um die Stelle unkenntlich zu machen.

Channon arbeitete bereits mit beiden Händen …

„Ah – eine Eisenplatte …!“

Er zog sie empor … Darunter war ein quadratischer Schacht, der schräg in die Tiefe führte.

Channon stieg hinein, meldete dann:

„Eine Holztür …“

Worg hörte ein leises Splittern …

Dann wieder Channons junge Stimme:

„Verdammt – ein Erbbegräbnis … Särge …“

Im Nu war der kleinen sehnige Worg unten …

Sie standen in der Gruft des Erbbegräbnisses der Familie Rosario.

„Was man nicht alles erlebt!“ meinte Worg kopfschüttelnd.

Und er beleuchtete die Särge …

Klopfte gegen das Metall …

„Zink – verlötet!“

„Dieser nicht, Mister Worg,“ meldete der junge Channon sich von recht her. „Dieser ist nur zugeschraubt …“

Der Lichtkegel seiner Lampe glitt über den Sarg hin …

Und wieder entschlüpfte ihm da ein „Verdammt – ein Zipfel Stoff! – Mister Worg, hier ist eine Ecke grauer Leinwand eingeklemmt … Ist das nicht merkwürdig?!“

Worg trat hinzu.

„Nun – gestreiftes Leinen … Legt man Tote in solchem Anzug in einen Sarg?!“

Und er ging zum Fußende, las das dort angebrachte Kupferschild:

Dr. Cesare Rosario
1880 – 1922

Kam zu Channon zurück, der den Stoff befühlte …

„Aufschrauben!“ sagte Worg kurz.

Sie schoben dann den Deckel etwas zur Seite …

Und sahen, daß über einer völlig verwesten Leiche … die einer Frau im grauen gestreiften Leinenkittel lag – eine ganz frische Leiche …

Selbst Worg war sprachlos …

„Wer ist diese Frau in der Tracht der hiesigen Zuchthäuslerinnen?“

Er brachte seine Taschenlampe näher an das fahle Gesicht heran …

Das schwarze volle Haar hing der Toten tief ins Gesicht hinein … Worg strich es hoch …

„Bittet …!“

Channon beugte sich vor …

„Eine Schußwunde …“

„Ja – erschossen …“ Er sprach ganz ruhig, der berühmte Worg. „Wir sind Armaro abermals einen Schritt näher auf den Leib gerückt. – Bringen wir den Sarg wieder in Ordnung …“

Sie verließen die Gruft, ebneten oben die Erde über der Eisenplatte wieder ein, drückten die Stauden in die Erde und krochen in einem Graben dem Wäldchen zu. – – –

Etwa fünf Stunden später ritt eine Kavalkade von etwa dreißig Reitern zum Nordtore des Präsidentenpalastes hinaus.

Den Vortrupp bildeten fünf Diener Armaros, die jeder eine Koppel von zehn großen starken Rüden an langer Leine mit sich führten.

Ihnen folgte der Präsident, links neben sich seinen Adjutanten. Diesen schlossen sich weitere Offiziere und höhere Beamte der Republik an, alle im Jagdkostüm, unter ihnen neben Admiral Torresco die Fürstin Sarratow im Herrensattel und in einem sehr schicken Sportkostüm.

Die Jagdgesellschaft trabte plaudernd und rauchend nach Norden zu eine Straße entlang. Armaro war glänzender Laune, dankte sehr freundlich für die etwas scheuen Grüße der Bevölkerung und winkte nachher, als die Stadt weit hinter ihnen lag, Mafalda neben sich.

Die Fürstin sah an diesem Morgen überraschend frisch und jung aus. Armaro war ehrlich genug, ihr dies lächelnd durch ein paar Schmeicheleien einzugestehen …

„Du die Jugend – ich ein Greis,“ meinte er mit leiser Bitterkeit.

Mafalda lachte ihn an. „Ein noch recht gefährlicher Greis …! – Wer die Frauen noch so eifrig verehrt wie du, der ist … Mann, nicht Greis!“

Ein einzelner Reiter kam der Kavalkade entgegengejagt, parierte sein Pferd vor Armaro und meldete:

„Exzellenz, der eingekreiste Puma hat durchzubrechen versucht, ist jedoch wieder umzingelt worden. Wenn ich Exzellenz bitten dürfte, gleich hier abzubiegen …“

Er deutete scharf nach Norden, wo die sumpfigen Urwälder von Saltiporto wie ein schwarzer Strich am Horizont sich hinzogen.

Die Reiter sprengten nun querfeldein. Armaro und Mafalda waren weit voraus, dicht hinter dem Führer.

„Hoffentlich bringt uns diese Pumajagd denselben guten Erfolg wie die vergangene Nacht,“ meinte die Fürstin übermütig. „José,“ fügte sie ernster hinzu, „was hättest du wohl ohne meine Ratschläge angefangen?! Die Amerikaner hatten dich umstellt … Du bist sie los. – Der Goldschatz schien verloren. Nun wissen wir, daß er unsere ist! Eine glückliche Nacht war das!“

„Falls die in der Riesenhöhle eingesperrte Sphinx uns das Gold nicht davonträgt!“ warf Armaro zweifelnd ein …

„Die Sphinx?! Nein, José! Die wenigen, die auf dem Luftboot sich noch befinden, werden alles daran setzen, ihre Freunde wiederzufinden. Sie ahnen nicht, daß wir nun ihr Geheimnis kennen … – Hoppla …!!“

Und sie setzte mit ihrem schlanken sehnigen Fuchs gewandt über einen Wassergraben hinweg … –

Nach einer halben Stunde war das Ziel, eine tief in den Urwald einschneidende Hochebene, erreicht.

Die Jagdgesellschaft teilte sich. Die Hunde wurden ebenfalls auseinandergekoppelt. Jeder der Jäger nahm eins der kräftigen Tiere an die Leine.

Mafalda wußte es so einzurichten, daß sie neben Admiral Torresco vor einer einzelnen Baumgruppe ihren Platz erhielt.

Etwa hundert Meter weiter nach der Mitte des Kreises der Jäger zu hielten die Treiber mit allerlei Lärminstrumenten ein Dickichts umstellt, in das der Puma sich verkrochen hatte.

Es galt nun, das feige Raubtier aus seinem Versteck hervorzuscheuchen.

Ein ungeheurer mißtönender Lärm setzte ein. Steine flogen in das Dickicht … Blinde Schüsse knallten …

Mafalda hatte für all das kaum einen Blick.

„Torresco, die Dinge hier treiben dem Ende entgegen,“ sagte sie zu dem kleinen Fettwanst von Admiral. „Armaro glaubt heute Nacht einen großen Sieg errungen zu haben …“ Sie lächelte boshaft … „Er hat nur den ersten Spatenstich zu seinem Grabe getan … – Kann ich mich auf Sie verlassen, Torresco?“

„Unbedingt, Fürstin,“ nickte der Mulatte listig. „Unbedingt …! Ich will den Kopf rechtzeitig aus der Schlinge ziehen …“

„Die Amerikaner werden jetzt zupacken, wo ihre Detektive im Gefängnis stecken … Das läßt die Regierung in Washington sich nicht gefallen … Sobald wir merken, daß der Gesandte Barrouph energisch werden will, hat Armaros Stunde geschlagen … – Sie sind doch der Flotte sicher?“

„Vollständig …“

„Wir locken Armaro auf das Flaggschiff, und …“

„Der Puma!!“ brüllte Torresco da …

Mafalda schaute zur Seite …

Der prächtige Silberlowe, ein sehr großes Tier, hatte die Kette der Treiber durchbrochen und kam gerade auf die Fürstin und den Admiral zu …

„Nicht schießen!“ rief Torresco wieder …

„Ich weiß!“ – Und Mafalda packte die Zügel ihres Pferdes fester …

Acht Meter links von ihnen jagte der Puma dahin …

Torresco ließ seinen Hund frei. Auch die übrige Meute stürmte bereits mit wütendem Geheul dem Raubtiere nach.

Die Hetzjagd begann …

Mafalda war allen voraus, da der Puma gerade an ihrem Platze den Kreis der Jäger durchquert hatte, und da Torresco ein viel zu mäßiger Reiter war, um jedes Hindernis im Sprung zu nehmen …

Die Jagdlust hatte die Fürstin gepackt … Über die steinige Hochebene hinweg ging’s ins tollstem Galopp. Der Puma hatte rasch Vorsprung gewonnen, hatte aber auch stets ein paar der Hetzrüden neben sich …

Ohne sich umzuschauen, bog Mafalda nun hinter dem fliehenden Silberlöwen in eine lange Schlucht ein, die sich bis zum Rande des Urwaldes hinzog und sich ab da immer mehr verbreiterte.

Drei der Rüden sprangen den Puma jetzt von der Seite an …

Er wich nach links aus – die Schluchwand empor.

Mafalda war keine vierzig Meter entfernt … Ihr tadelloses Pferd nahm den Abhang mit drei Sätzen. Oben Steingeröll, Gestrüpp, weiterhin die Felder einer Hazienda …

Die Fürstin sah den Puma in ein Dickicht schlüpfen.

Ein Dutzend Hunde war neben ihr … Sie jagte um die Buschinsel herum, zwischen ein paar Bäumen hindurch. – Der Puma war aus der Deckung nicht mehr hervorgetreten.

Sie sprang aus dem Sattel … Hatte aber kaum den Boden erreicht, als hinter einem zwanzig Meter entfernten zweiten Buschwerk ein Reiter auftauchte, der die landesübliche Tracht der reicheren Haziendabesitzer noch durch eine … schwarze Tuchmaske ergänzt hatte, die ihm bis auf die Brust hing.

Als die Fürstin ihn gewahrte, war er schon dicht vor ihr …

Wortlos trabte er an ihr vorüber, ritt sie beinahe um, hatte sich vorgebeugt und Mafalda mit überraschender Kraft vor sich auf den Sattel gerissen …

All das ging so schnell, ereignete sich so überraschend, daß die Fürstin im ersten Schreck ihre Büchse fallen ließ …

Der Reiter jagte in das Buschwerk zurück … Mit der Linken führte er die Zügel, mit der Rechten hielt er der wie gelähmt daliegenden Mafalda sein Jagdmesser dich über die keuchendem Brust …

Weiter ging’s …

Die Fürstin wagte sich nicht zu rühren … Ihr Bezwinger blieb stumm …

Die Büsche wurden dichter, zogen sich in der Mulde bis zu einem sumpfigen Gewässer hin, das sich bis zum Rande Urwaldes ausdehnte.

Und hier am Ufer des verkrauteten Sees lag ein breiter Nachen, in dem sechs weitere Männer saßen …

Wortlos schleuderte der Reiter ihnen seine Gefangene zu …

Im Umsehen war Mafalda gefesselt, geknebelt und in der Spitze des Nachens mit frischem Reisig bedeckt.

Das Boot stieß er, drängte sich hinter ein paar grüne Inselchen …

Der Reiter trabte davon, jetzt ohne Maske, zeigte sein braunes, regelmäßiges Gesicht – das eines reinblütigen Spaniers …

Wie durch Zufall erschien er dann vor dem Dickicht, das jetzt von der Jagdgesellschaft umstellt war, grüßte Armaro mit größter Höflichkeit und erklärte auf dessen ängstliche Frage:

„Bedaure, Exzellenz … Ich habe keine Dame im Sportkostüm gesehen … Ich bin allerdings dort in den Büschen entlanggeritten …“

„Sie sind doch Sennor Estevan Astarro, der Bruder des Hochverräters Juan Astarro?“ – Des Tyrannen Stimme klang nicht eben freundlich.

„Leider sein Bruder, Exzellenz …“ erwiderte Estevan noch immer mit abgezogenem Hut. „Exzellenz kennen mich als regierungstreuen Patalonianer … Ich habe keinen Bruder mehr …“

Armaro nickte ihm freundlich zu.

„Die Fürstin Sarratow ist uns hier abhanden gekommen,“ meinte er abermals leicht erregt. „Es ist geradezu unbegreiflich, wo sie hingeraten sein kann …“

Estevan Astarro stieg rasch aus dem Sattel …

„Wenn ich suchen helfen dürfte, Exzellenz …“

Man – – suchte zwei volle Stunden. Armaro hatte den Puma völlig vergessen. Der Silberlöwe war inzwischen längst in den fernen Urwald entkommen. Admiral Torresco war der einzige, der dem so liebenswürdigen und übereifrigen Spanier nicht recht traute. Aber – – er schwieg … –

Der Präsident hatte von der nahen Hazienda aus die Kaserne seines Leibkavallerieregiments anrufen lassen. Nach einer weiteren halben Stunde war das ganze Regiment zur Stelle.

Man suchte von neuem …

Armaro wurde nun doch stutzig und befahl, auch die Hazienda des Sennor Astarro gründlich zu durchstöbern. Der Spanier spielte den Verletzten …

„Exzellenz, dieses Mißtrauen habe ich nicht verdient …“ meinte er gekränkt. „Was geht mich die Fürstin an, die ich nie gesehen habe!“

Als man in der Hazienda alles vom unters zu oberst gekehrt hatte – ohne Erfolg, entschuldigte Armaro sich bei Estevan und nahm auf dessen Einladung zum Mittagessen dankend an. –

Mafalda Sarratow blieb verschwunden … Bei Tisch hatte Sennor Estevan zu seinem hohen Gast gelegentlich gesagt:

„Exzellenz haben eine Möglichkeit noch nicht in Betracht gezogen … Die Fürstin kann sich freiwillig entfernt haben – aus irgendwelchen Gründen …“

Armaro blickte den Haziendero verdutzt an … Im Nu war seinem Mißtrauen eine andere Richtung gegeben. Wenn Mafalda etwa hier ein undurchsichtiges Ränkespiel des Goldschatzes wegen trieb?!

Plötzlich hob er dann die Tafel auf und kehrte in Begleitung Torrescos und seines Adjutanten im Auto nach Taxata zurück.

 

108. Kapitel.

Der neue Oberst.

An demselben Tage um ein Uhr mittags ließ sich bei dem Gesandten John Barrouph in Taxata ein Mann melden, der dem Diener nur erklärte, er käme im Auftrage eines alten Freundes Mister Barrouphs.

Der Gesandte, der sich in seinem Dienstzimmer befand, schickte den Diener zurück. Der Mann sollte seinen Namen nennen und auch den seines Auftraggebers.

Der Fremde, ein hühnenhaft gewachsener Mischling mit schwarzem Vollbart, reichte darauf dem Diener einen versiegelten Umschlag.

„Übergeben Sie das Mister Barrouph … Es wird genügen …“

Der Diener fühlte durch den Umschlag hindurch, daß dieser offenbar einen Ring enthielt.

Als er dann seinem Herrn den Brief überreichte, Barrouph ihn hastig aufgeschnitten und den Ring kaum flüchtig besichtigt hatte, bemerkte der Diener, daß der Gesandte plötzlich zitterte und blaß und matt in seinem Sessel zusammensank.

„Lassen Sie den Mann sofort ein,“ stammelte John Barrouph heiser …

Und wie er nun allein war, nahm er den Ring, und ein glückliches Leuchten brach aus seinen Augen hervor …

Nahm und … streichelte ihn, flüsterte dabei: „Ellen …!“ –

Der schwarzbärtige Fremde trat ein …

Barrouph vergaß seine ganze Würde, eilte dem Hünen entgegen, drückte die Tür fest zu und zog den Vorhang vor …

Dann –: „Woher haben Sie den Ring?!“ – Fast flehend klang das …

„Von Ihrer Tochter, Mister Barrouph … Sie lebt … Sie ist in Sicherheit bei treuen Freunden …“

Der Gesandte schluckte … Die Rührung trieb ihm das Naß in die Augen. Er schwankte zum Schreibsessel, ließ sich hineinfallen und vergrub das Gesicht in die Hände.

Minuten dauerte dieser Anfall einer tiefen seelischen Erschütterung …

Der Fremde stand neben der Tür … Auch in seinen dunkeln Augen lag’s wie ein frohes Leuchten.

Dann ließ John Barrouph die Hände sinken …

„Verzeihen Sie … Nehmen Sie bitte hier neben mir Platz … – Dürfte ich um Ihren Namen bitten …“

„Alfonso Jimminez, Mister Barrouph …“

Er begann nun von selbst zu erzählen.

Als er erwähnte, daß Ellen mit Steuermann Hartwich in der Aztekenhöhle durch den greisen Pater Mario Lopez ehelich verbunden worden war, beugte der Gesandte sich überrascht vor …

Ein Lächeln glitt über sein bartloses, sonst so verschlossenes Gesicht …

Jimminez schilderte nun die letzten Ereignisse auf Christophoro, die Fahrt der Sphinx nach den Saltiporto-Urwäldern und die Landung in den Baumkronen …

„Unsere Absicht ist, den Grafen und Hartwich zu befreien, Mister Barrouph,“ schloß er seine ausführlichen Angaben. „Bevor diese Befreiung nicht geglückt ist, bitte ich Sie auch im Auftrage Ihrer Tochter, über alles, was ich Ihnen hier anvertraut habe, strengstes Stillschweigen zu bewahren, selbst Ihrer Gattin gegenüber, die durch ihr sicher verändertes Wesen nur zu leicht verraten könnte, daß ihre Besorgnis um Ellen nunmehr hinfällig geworden. Würde Armaro auch nur vermuten, daß Ihre Tochter gerettet ist, und daß ihm die völlige Aufdeckung seiner Schandtaten droht, so würde er Gaupenberg und Hartwich für immer verschwinden lassen.“

Barrouph nickte schwach. „Sie haben mit alledem leider recht, Sennor Jimminez. Ja – ich werde schweigen, obwohl es mir unendlich schwer fällt, meiner Frau diese Freudenkunde vorzuenthalten. Nur eins werde ich tun, mich mit meiner Regierung durch Chiffredepesche in Verbindung setzen! Armaros Regiment hier muß ein Ende gemacht werden.“

Jimminez schien auch hiermit nicht ganz einverstanden …

„Mister Barrouph, wenn der Präsident womöglich im Besitz Ihres Chiffreschlüssels ist und den Telegrammverkehr überwachen läßt, was ich bestimmt annehme, dann würde den beiden Deutschen, von denen der eine Ihnen jetzt doch als Schwiegersohn besonders nahesteht, genau dieselbe Gefahr drohen. – Bitte – übereilen Sie nichts … Ich bin ja selbst früher diplomatischer Geheimagent gewesen und …“

Der Gesandte unterbrach ihn. „Ihre Bedenken sind berechtigt. Gut also – ich werde nichts ohne Ihre Einwilligung unternehmen. Sie wollen also von hier aus zu Armaro?“

„Ich will Armaro ausforschen. Ich hoffe, daß ich sehr bald erfahre, wo Gaupenberg und Hartwich sich befinden.“

Barrouph überlegte …

„Sennor Jimminez,“ meinte er dann, „vielleicht täten wir gut, den Mann zu dieser Besprechung hinzuzuziehen, der Ellen gesucht, den Chef des Neuvorker Detektivinstituts Jakob Worg. Er arbeitet hier im Gesandtschaftsgebäude unter dem Namen Roger Shelling. Ihnen dürfte auch kaum bekannt sein, daß drei von Worgs Leuten einen Teil der Vorgänge auf Christophoro beobachtet haben …“

„Allerdings, das ist mir neu … – Gewiß, – wenn Sie Mister Worg rufen wollten … Er könnte auch mir vielleicht einen Wink geben, wie ich mit Armaro umzuspringen habe …“

Barrouph telefonierte.

Schon nach wenigen Minuten trat der Detektiv ein – in der Hand ein Extrablatt, das soeben in den Straßen Taxatas verkauf worden war.

Barrouph gab rasch die nötigen Erklärungen, die den Detektiv derart überraschten, daß er zunächst Jimminez etwas mißtrauisch betrachtete.

Der Geheimagent war nicht weiter verletzt hierüber.

„Mister Worg,“ sagte er gelassen, „wenn Sie irgendwie an mir zweifeln, brauchen Sie mich nur bis zum Friedhof nördlich der Stadt zu begleiten. Dort hat Murat, der Homgori, sich versteckt.“

Worg winkte ab. „Kein Mißtrauen, nur Vorsicht …! – Ich glaube Ihnen. Und da Sie soeben den Friedhof erwähnten, will ich dieses Extrablatt vorlesen …

Die Regierung gibt bekannt, daß in der vergangenen Nacht aus der Zitadelle die zu zehn Jahren Kerker verurteilte Gattin des Verschwörers Doktor Cesare Rosario, der vor einem Jahr standrechtlich erschossen wurde, entwichen ist. Die Flucht glückte der Gefangenen nur nach Monate langen Vorbereitungen. Sie hatte durch zwei Zellenwände schlau verborgene Schlupflöcher angelegt und sich an einem aus Kleidungsstücken gedrehten Streck vom Ostturme hinabgelassen.

Die Regierung setzt für die Wiederergreifung der Entflohenen eine Belohnung von fünftausend Dollar aus. – Juanita Rosario trug bei ihrer Flucht das gestreifte Leinenkleid der weiblichen Sträflinge. Ihr Bild wird heute noch in allen Zeitungen und an den Anschlagsäulen erscheinen.“

Barrouph schaute den Detektiv an …

„Weiß Gott, Worg, der Schurke Armaro versteht sein Handwerk!“

Und zu Jimminez:

„Armaro und die Fürstin Sarratow haben Frau Rosario ermordet. Worg fand die Leiche in einem Sarge des Erbbegräbnisses der Familie Rosario heute Morgen gegen halb fünf.“

Worg fügte noch hinzu: „Und ich frage mich nun, weshalb wurde die Frau getötet?! Und wie wußten Armaro und die Sarratow, daß sie die Entflohene dort gerade antreffen würden?“

Alfonso Jimminez fragte nach Einzelheiten.

So wurde denn auch der junge Detektiv Channon erwähnt, ebenso die beiden Autos und die Männer, die neben dem Kirchhof gesehen worden waren.

Der Geheimagent sann vor sich hin …

„Das alles macht doch ganz den Eindruck, als ob Frau Rosarios Flucht begünstigt und ob sie nach dem Erbbegräbnis gelockt worden wäre,“ erklärte er nach einer Weile.

„Ganz meine Ansicht!“ meldete Worgs sich. „Nur – weshalb – weshalb?!“

„Nun – vielleicht verrät Armaro sich mir gegenüber,“ sagte Jimminez bedächtig. „Zur Zeit weilt er ja noch außerhalb der Stadt … Pumajagd, wie ich hörte …“

„Auch hierüber weiß ich Neues,“ rief der kleine Detektiv. „Die Fürstin soll während der Jagd verschwunden sein. Armaro hat ein ganzes Kavallerieregiment nach der Hazienda Astarro beordert, damit die Gegend im weitesten Umkreise durchstreift werden könnte …“

Jimminez hatte den Kopf mit einem Ruck höher gehoben. In seinen Augen glühte plötzlich unbändiger Haß …

„Ob sie verunglückt ist?“ fragte er überstürzt.

Worg schaute ihn prüfend an. „Sie sind ein Feind dieses Weibes, Sennor Jimminez?“

„Ihr schlimmster Feind, obwohl einst ihr Verbündeter …! Doch ich mußte erkennen, wer mit diesem Satan sich einläßt, Mister Worg, ist ein Narr und – – ein Todgeweihter! Mafalda geht über Leichen …!“

Der Detektiv nickte. „Was ich bisher von der Fürstin hörte, ist allerdings eine abschreckende Fülle von Falschheit, Herrschsucht und rücksichtslosester Brutalität … – Nein, verunglückt scheint sie nicht zu sein,“ beantwortete er nun des Geheimagenten Frage. „Es scheint, man steht hier vor einem Rätsel. Ich weiß noch nichts Näheres, habe aber bereits meinen Gehilfen Channon nach der Hazienda Astarro geschickt …“

Das Telefon auf dem Schreibtisch des Gesandten schlug an …

Barrouph nahm den Hörer, horchte …

„Für Sie, Worg,“ sagte er dann. „Es ist Channon.“

Der Detektiv legte nach wenigen Minuten den Hörer wieder weg. Er hatte Channon nur noch erklärt, daß es bei seinen Anweisungen bliebe.

„Armaro ist soeben im Auto in Taxata eingetroffen,“ teilte er Barrouph und Jimminez mit. „Channon begegnete dem Wagen auf der Landstraße und hat mich daraufhin von der nächsten Posada angerufen. Der Präsident soll sehr finster dreingeschaut haben. Mithin ist die Fürstin noch nicht gefunden worden.“

Der Geheimagent sprang auf. „Diese Gelegenheit muß ich ausnutzen, meine Herren … Armaro wird jetzt durch diesen Vorfall stark beunruhigt sein. Er wird mich sicher sofort empfangen, weil er vielleicht hofft, ich könnte ihm Mafaldas Verschwinden erklären. – Gestatten Sie, daß ich mich verabschiede … Ich benutze wieder die Hinterausgänge. Ich darf hier nicht gesehen werden …“

Barrouph reichte ihm die Hand.

„Ich danke Ihnen, Sennor … Sie haben mir die Lebensfreude wiedergegeben. Ich fühle neue Spannkraft. Ellen lebt und ist bei guten Freunden! Alles andere wird nun ebenfalls glücklich enden!“

Auch Worg drückte des Riesen mächtige Tatze …

„Jimminez, seien Sie vorsichtig,“ warnte er freundschaftlich. „Armaro ist einer der feinsten Diplomaten … Je liebenswürdiger er ist, desto mehr muß man sich vor ihm in acht nehmen!“

Der Geheimagent verbeugte sich und verließ den Raum. –

* * *

Im Vorzimmer des Präsidenten standen ein paar Herren in Uniform flüsternd beieinander. Auch Admiral Torresco war darunter. Während aber die anderen stets von neuem ihre Ansichten über Mafalda Sarratows Verschwinden nach allen Seiten hin erörterten, spielte der kleine dicke Admiral den Zuhörer.

Dieses Vorzimmer war ein überaus kostbar eingerichteter dreifenstriger Saal. Der Ausblick ging auf den fernen Hafen von Taxata hinaus und bot ein Bild der Hauptstadt dar, wie es kaum schöner sein konnte.

Jetzt öffnete sich die in das Arbeitszimmer Armaros führende Flügeltür, und der Polizeipräfekt trat eilig heraus, nickte den Herren nur mit einer halb komischen, halb ärgerlichen Grimasse zu und ging durch eine andere Ausgang in den breiten Flur.

Kaum war er draußen, als ein Diener vom Korridor her erschien und dem Adjutanten Armaros meldete, daß ein Sennor Alfonso Jimminez um eine sofortige Audienz bei Exzellenz untertänigst bitte.

Admiral Torresco horchte auf …

„Jimminez?“ fragte er den Diener …

„Geheimagent Alfonso Jimminez,“ bestätigte der …

Torrescos kleine Schweinsäuglein glitten rastlos hin und her … Seine Gedanken eben so. – Teufel – was hatte das Auftauchen dieses Menschen hier zu bedeuten?! Mafalda hatte doch von diesem Jimminez auch Armaro gegenüber als von einem ebenso gefährlichen wie unzuverlässigen Burschen gesprochen!

Inzwischen war der Adjutant bei Seiner Exzellenz eingetreten.

Als Armaro den Namen Jimminez hörte, wandte er sich hastig in seinem Schreibsessel um …

„Der Geheimagent …?“ fragte er mit drohend emporgezogenen Augenbrauen.

„Sehr wohl, Exzellenz …“

„Vorlassen – sofort … Und vier Mann der Palastwache ins Vorzimmer … Mit diesem Jimminez werde ich abrechnen!“

„Sehr wohl, Exzellenz …“ Und der Adjutant eilte hinaus.

Gleich darauf stand Alfonso Jimminez neben dem kostbaren Diplomatenschreibtisch Armaros …

Der Präsident hatte sich im Sessel zurückgelehnt und musterte ihn von oben bis unten mit Unheil verkündenden Blicken …

Jimminez verneigte sich abermals.

„Exzellenz, ich melde mich gehorsamst zur Berichterstattung über die bisherigen Erfolge meiner Mission,“ sagte er sehr ruhig. „Exzellenz hatten mich nach Berlin kommandiert, um dort die Erfindung des Grafen Gaupenberg und nachher den Goldschatz …“

Armaro fuhr auf:

„Sie sind ein Betrüger! Sparen Sie sich jedes Wort. Die Fürstin hat mir genau mitgeteilt, in welcher Weise Sie die Milliarden und die Sphinx für sich allein stehlen wollten! Ich werde Sie sofort verhaften lassen.“

Jimminez war dieser so erregte Armaro weit lieber als ein katzenfreundlicher Armaro, hinter dessen Lächeln dann ganz sicher der Tod gedroht hätte.

„Würden Exzellenz mir ein paar Erklärungen gestatten,“ meinte er ebenso gelassen und hielt den Blicken des Präsidenten ohne Scheu und ohne Bangen stand. „Die Fürstin hat Exzellenz fraglos verschwiegen, daß sie es war, die Edgar Lomatz und mich verleiten wollte, gemeinsam nur für uns drei zu operieren. Ich bin zum Schein darauf eingegangen. Ich könnte Exzellenz beweisen, daß ich stets nur im Interesse Eurer Exzellenz gehandelt habe …“

Und dann holte er zum Hauptschlag aus, fügte hinzu …

„Der beste Beweis für meine Uneigennützigkeit ist wohl der, Exzellenz, daß ich ruhigen Gewissens hierher gekommen bin, um Exzellenz vor diesem Weibe zu warnen und Exzellenz zu raten, in der Angelegenheit Ellen Barrouph noch vorsichtiger zu sein. Ich habe auf der Insel Mala Gura vor drei Tagen ein paar amerikanische Detektive belauscht, die …“

Armaro winkte lässig ab. „Das weiß ich alles …“ Und doch hatte sich sein Gesichtsausdruck völlig verändert. Er fühlte, daß dieser Jimminez Trümpfe im Spiel haben müßte, die er, Armaro, noch nicht kannte.

Der Geheimagent verbeugte sich wieder …

„Exzellenz dürften aber kaum wissen, daß Ellen Barrouph … nicht tot ist …“

Das saß …

„Nicht … tot?“ fragte er heiser. „Sie muß in der Strandgrotte verunglückt sein … muß!“

Jimminez lächelte ganz wenig …

„Ein Irrtum, Exzellenz … Sie entfloh mit Gottlieb Knorz und den drei Homgoris durch den Ausgang nach der Klippe hin in einem aus Kisten hergestellten Nachen … Ich selbst habe diesen Nachen gesehen, als ich auf den Wellen trieb, nachdem unser Schoner durch den Strudel in die Tiefe gerissen worden war …“

Armaro betupfte sich mit dem Taschentuch die schweißfeuchte Stirn.

„Und – – und?“ fragte er gedehnt …

„Ich sah weiter, wie der Nachen in dem Orkan nicht vor der Insel Mala Gura umschlug … Knorz und die Homgoris erkrankten … Ellen Barrouph brachte ich an Land …“

„Ah …! Und …?“

„Ein Schoner aus Caracas nahm uns auf … Miß Barrouph war bewußtlos. Nachher stellte sich ein schweres Fieber ein. Sie redete irre … Und sie konnte daher nichts verraten. Nun liegt sie auf der Farm eines Freundes von mir nahe bei Caracas krank darnieder. Der Freund ist zuverlässig. – Was meinen Exzellenz wohl, wie viel hätte mir der Gesandte John Barrouph für diese Kunde bezahlt?“

Armaros sprang auf …

Jimminez hatte so kaltblütig und geschickt gelogen, daß dem Präsidenten auch nicht die geringsten Zweifel aufstiegen. Armaro wußte ja, ein Orkan hatte damals tatsächlich gewütet, die Strandgrotte hatte einen zweiten Ausgang nach der Klippe hin gehabt, und auch Kisten hatten in der Grotte gelagert. Ebenso wußte er von Mafalda, daß der Schoner des Sennor Rovenna in dem Strudel verschwunden war …

Er reichte Jimminez die Hand …

„Ich danke Ihnen …“ Er überlegte kurz. „Ich befördere Sie hiermit zum Oberst, Sennor Jimminez.“

Der frisch gebackene Oberst verneigte sich der tief …

„Nehmen Sie Platz …“ sprach Armaro in einem Atem weiter. „Ist Ihr Freund wirklich zuverlässig?“

„Sehr wohl, Exzellenz … Außerdem glaubt er auch lediglich, Ellen Barrouph sei meine Geliebte, eine Engländerin … Vorläufig wird die Barrouph dies kaum auflären können – falls sie überhaupt das Fieber übersteht …“

Armaro warf ihm einen eigentümlichen Blick zu …

„Was ich nicht glaube,“ flüsterte Jimminez als Nachsatz …

Armaro spielte mit einem Brieföffner …

„Gefährlich ist vielleicht nur, daß sie dauern im Fieber nach ihrem Gatten, dem Steuermann Hartwich, ruft …“ fügte Jimminez abermals sehr leise hinzu. „Auch von dem Goldschatz hat sie in ihren Delirien gefaselt …“ – Er steuerte jetzt mit diesen Bemerkungen auf ein ganz bestimmtes Ziel zu …

„Exzellenz haben doch Gaupenberg und Hartwich erschießen lassen?“ fand er so einen Übergang zu dem, was ihm am wichtigsten war.

Armaro zögerte …

Der Geheimagent sagte schnell: „Verzeihung, ich will mich nicht in Eurer Exzellenz Vertrauen eindrängen. Ich möchte nur in diesen Dingen recht klar sehen …“

„Sie … leben noch,“ erwiderte Armaro jetzt ohne Bedenken. „Ich habe jedoch kein Interesse mehr an ihnen … Ich weiß nun, wo … ich zu suchen habe …“

„Den Schatz?“

„Ja …“

„Und in der vergangenen Nacht haben Exzellenz wohl durch sanften Zwang,“ – er lächelte vieldeutig – „dies von den beiden Deutschen erfahren?“

Armaro nickte nur.

Und – Jimminez genügte das. Er hatte im Augenblick zwischen der Flucht der Frau Juanita Rosario und Gaupenberg und Hartwich einen ihm noch nicht ganz klaren Zusammenhang hergestellt.

„Die beiden sind in der Zitadelle untergebracht?“ fragte er scheinbar ein wenig besorgt. „Sind die Wärter dort auch unbestechlich?“

Seine Exzellenz verzog das Gesicht.

„Die beiden waren dort … In der Nacht sind sie anderswohin geschafft worden …“

Er sann nach, blickte Jimminez lange an …

„Hm – würden Sie einen besonderen Auftrag übernehmen?“ fragte er leise. „Sie sind jetzt Oberst … Ich werde das Patent sofort ausfertigen lassen.“

Pause …

Und Jimminez ahnte schon, was kommen würde …

„Sie wissen, daß die beiden vom Standgericht zum Tode verurteilt worden sind,“ fuhr Armaro fort. „In dem alten Fort Benvenuto liegt eine Strafkompagnie … Dort befinden sich die beiden jetzt … Das Urteil soll nun in aller Stille vollstreckt werden … Wollen Sie das übernehmen, Oberst?“

Jimminez blickte nur zum Schein zögernd vor sich hin …

Dann erklärte er:

„Ich habe mit Gaupenberg und Hartwich ebenfalls noch … abzurechnen. – Wenn Exzellenz wünschen, ich übernehme den Auftrag!“

Armaro nickte zufrieden. „Ich werde Ihnen eine Vollmacht ausstellen, Oberst, und eins meiner Autos bringt Sie nach dem Fort hinaus. In drei Stunden kann alles erledigt sein. – Warten Sie einen Moment …“

Er drehte sich dem Schreibtisch zu, legte einen gestempelten Bogen Papier bereit und ergriff die Feder.

Seine hohe Stirn lag in Falten. Wie immer, so wollte er auch jetzt eine Hintertür für sich bereithalten … Daher schrieb er nun:

Taxata, den 2. Juli 1923

An

den Kommandant

des Forts Benvenuto, Major P. Arajo

Überbringer dieses hat von mir hinsichtlich der beiden Gefangenen bestimmte Befehle erhalten. Seinen Anordnungen ist unbedingt Folge zu leisten.

José Armaro,

Präsident der Republik

Langsam trocknete er mit dem Löscher die feuchte Schrift. Die Vieldeutigkeit dieser Vollmacht ließ ihm stets die Möglichkeit offen, im Notfall Jimminez für die Erschießung verantwortlich zu machen.

Dann reichte er dem Geheimagenten den Bogen …

„Leben Sie, Oberst … Es wird Sie genügend legitimieren …“

„Allerdings, Exzellenz …“ Er faltete das Papier gleichgültig zusammen und schob es in die Tasche.

Armaro saß wieder zurückgelehnt da und streichelte seinen grauweißen Bart …

„Ich möchte noch etwas mit Ihnen besprechen, Jimminez …“ begann er vertraulich … „Die Fürstin ist heute Vormittag während einer Pumajagd spurlos verschwunden …“

„Ich hörte auch schon in der Stadt allerlei Gerüchte, Exzellenz …“

„Die leider die Wahrheit enthalten. Die Fürstin ist nicht aufzufinden! – Wie denken Sie darüber?“

„Exzellenz kennen meine Ansicht über die Sarratow … Wir tun gut, nach meiner Rückkehr vom Fort in größter Stille eine neue Expedition nach Christophoro vorzubereiten.“

„Ah – Sie meinen, daß …“

„… Mafalda treibt stets ein falsches Spiel, Exzellenz …“

Er erhob sich. „Wenn Exzellenz jetzt ein Auto für mich befehlen wollten …“

Armaro läutete nach seinem Adjutanten, der sofort eintrat.

„Oberst Jimminez steht mein großer Tourenwagen in zehn Minuten zur Verfügung,“ sagte er kurz …

Der Adjutant warf einen mehr als erstaunten Blick auf den schwarzbärtige Riesen …

„Sehr wohl, Exzellenz …“

Und schon acht Minuten später glitt das neue elegante Auto durch die Straßen der Stadt gen Südwesten.

 

109. Kapitel.

Die Verschwörer.

Das Fort Benvenuto war eins jener uralten Festungswerke, die seinerzeit von den Spaniern als den ersten Eroberern dieser Landstriche zum Schutz gegen die Indianer errichtet worden waren.

Es lag drei Meilen südwestlich der Hauptstadt in den Bergen und war aus gewaltigen Steinblöcken auf einer Hügelkuppe aufgemauert, bildete ein Viereck und diente jetzt nur noch zum Aufenthalt einer der Strafkompagnien der patalonianischen Armee.

Jimminez kannte auch dieses Fort sehr gut. Es hatte seit jeher in der blutigen und wilden Geschichte der Republik die Rolle einer verschwiegenen Hinrichtungsstätte gespielt. Innerhalb dieser Mauern und Steinwälle waren bisher drei Präsidenten und zahllose andere Männer erschossen oder sonst wie beseitigt worden. –

Das Auto rollte durch die bergige Landschaft auf gut gepflegter Straße dahin. Jimminez genoß die Bilder seiner Heimat vielleicht zum ersten Male mit der innigen Freude eines Menschen, der sein Gewissen rein weiß, und in dessen Herzen die stolze Genugtuung wohnt, einen schweren und auch gefährlichen Kampf siegreich bestanden zu haben.

Selbst an seine Nerven hatte diese halbe Stunde im Arbeitszimmer des Präsidenten hohe Anforderungen gestellt. Es war ein Spiel ums Leben gewesen … und er hätte das Spiel nie in dieser Weise gewonnen, wenn Mafalda zugegen gewesen wäre. Er hatte ganz impulsiv gehandelt, als er Ellen Barrouph sozusagen als Schild benutzte …

Jimminez lächelte vor sich hin.

Auch über sein Verhalten im Fort war er mit sich bereits einig. Diese Vollmacht Armaros erleichterte sein Vorhaben. Er durchschaute Armaro, was dieses Schriftstück betrat. Kein Wort von Hinrichtung stand darin … Sehr schlau! Nur nicht schlau genug, Exzellenz …! –

Das Auto lenkte in ein weites Tal ein.

Weiße Gebäude von Hazienden schimmerten in der Ferne. Viehherden weideten ringsum…

Und dort rechts auch bereits die grauen Steinwälle des Forts … –

Jimminez traf den Kommandanten im inneren Hofe an, wo gerade an einem der Soldaten der Strafkompagnie die Barracha vollzogen wurde, – die Prügelstrafe – – auf die Fußsohlen …

Gellendes Schmerzgeheul des Mulatten erfüllte den Hof, während Jimminez dem Major die Vollmacht überreichte.

In offenem Viereck war die Kompanie als Zuschauer aufmarschiert. Unteroffiziere und Offiziere, bis auf die Zähne bewaffnet, hielten diese dreihundert Galgenvögel in Ordnung. Außerdem standen noch zwei Maschinengewehre bereit.

Für Jimminez war all dies nichts Neues …

Der Major faßte an die Mütze …

„Was befehlen Sie, Sennor …“

„Die Auslieferung der beiden Gefangenen an mich … Sie sind mit verbundenen Augen und gefesselt in mein Auto zu schaffen. Ferner brauche ich … einen festen Spaten.“

Der Major, ein gelbbrauner Mestize, stutzte …

Jimminez zwinkerte mit den Augen … Der Major grinste. Er kannte die Methoden Seine Exzellenz …

Dann winkte er drei Unteroffiziere herbei. –

In einem der feuchten Kellerlöcher des Forts hockten Gaupenberg und Hartwich nebeneinander auf einer Schütte stinkenden faulenden Maisstrohs.

Sie hatten mit dem Leben abgeschlossen. Sie hofften auf nichts mehr, nachdem Armaro und Mafalda ihnen mit Hilfe der Juanita Rosario das wichtige Geheimnis entlockt hatten, wo die Goldmilliarden geblieben.

Schweigend, fröstelnd saßen sie da …

Ihre Gedanken waren stumpf und träge geworden. Seit zehn Stunden horchten sie hier nur immer auf die Schritte der Schergen, die sie zum letzten Gang abholen würden.

Die Hände waren ihnen vor der Brust gefesselt, waren längst infolge der Abschnürung des Blutes abgestorben und unnatürlich aufgequollen.

Die Türriegel kreischten … Lichtschein fiel in das Dunkel …

Und jetzt – – Eine dröhnende Stimme trieb sie hoch …:

„Vorwärts! Aufstehen! – Nicht wahr, ein unverhofftes Wiedersehen!“

Jimminez stand vor ihnen, außerdem vier andere Männer in Uniform …

Man schlang ihnen Zeugfetzen über die Augen, stieß sie vorwärts … Schob sie draußen auf einen weichen Sitz … Warf noch Decken über sie …

Das Auto jagte davon …

Jimminez saß neben dem Chauffeur, zeigte auf einen Weg, der in einen nahen Wald führte. Zwischen den Knien hielt er den Spaten.

Mitten in diesem Bergwalde ließ er das Auto auf dem Wege mit dem Chauffeur zurück. Die Gefangenen mußten aussteigen. Er führte sie zwischen den Bäumen hindurch in eine Schlucht, den Spaten über der Schulter …

Die steinige, buschreiche Schlucht ging im Hintergrunde in düstere Felsen über. Felsblöcke lagen hier umher … – Eine Örtlichkeit, unheimlich und wie zu jeder Untat geeignet.

Hier machte Jimminez hinter einem bemoosten Steinblock halt und nahm den beiden rasch die Binden von den Augen …

„Verzeihen Sie,“ sagte er hastig. „Ich mußte diese Komödie spielen …“ – Und er zerschnitt ihre Fesseln … „Hören Sie mich an … Ich bin nicht mehr der, als den Sie mich von der schlechtesten Seite kennen lernten …“

Gaupenberg und der Steuermann, beide fahl und matt, begriffen noch immer nicht …

„Doktor Falz hat … einen anderen Menschen aus mir gemacht … Ich bin nach Taxata gekommen, um Sie beide zu befreien. – Die Zeit drängt … Verbergen Sie sich dort oben in den Felsen am Rande der Schlucht … Ich hole Sie nach einigen Stunden ab. Armaro darf auf keinen Fall mißtrauisch werden … – Ich werde die Komödie beenden …“

Er zog seinen Revolver und feuerte zwei Schüsse in die Luft. Dann nahm er den Spaten und wühlte an einer Stelle den Boden auf, stampfte ihn wieder fest.

Der Graf und Hartwich erwachten langsam … Ihr Blut floß wieder schneller … Die Gedanken wurden lebhafter.

Jimminez wandte sich ihnen wieder zu …

„So – nun ist das Urteil vollstreckt … – Auf Wiedersehen …“

Da trat Gaupenberg vor …

„Mann, – ist das alles Traum – Wirklichkeit?“

Und er faßte nach Jimminez’ Hand …

„Es mag wie ein Traum scheinen, Herr Graf …! – Sie sehen mich bald wieder … Leben Sie wohl …“

Gaupenberg drückte ihm die Hand …

„Jimminez – bei Gott, das hätte ich nie für möglich gehalten, daß Sie einst für uns kämpfen würden! Desto mehr freue ich mich … Desto mehr!“

Der Geheimagent blickte zur Seite. Rührung preßte ihm die Kehle zusammen. Er riß sich los und eilte davon.

Als er das Auto erreichte, saß der Chauffeur rauchend auf dem Vordersitz … Der Mann war ein Mulatte von fast schwarzer Hautfarbe. Nur das straffe schwarze Haar verriet die anderen Blutmischung. Er musterte Jimminez mit einem brutalen Grinsen …

„Nach Taxata zurück,“ befahl der Geheimagent. „Die beiden Gefangenen wollten fliehen … Im übrigen rate ich dir, dein Maul zu halten …!“

Der Chauffeur erklärte achselzuckend:

„Sennor, ich bin seit fünf Jahren bei Seine Exzellenz in Dienst … Ich könnte manches erzählen – noch ganz anderes, Sennor …“

Der Kraftwagen rollte weiter … –

Gaupenberg und Hartwich hörten das rasch verklingende Geräusch des Motors …

„Georg, es geschehen Zeichen und Wunder,“ flüsterte Graf Viktor mit unsicherer Stimme. „Georg – ich hatte alle Hoffnung aufgegeben …!“

Der Steuermann richtete die blaugrauen Augen nach oben auf den Schluchrand …

„Bringen wir uns erst in Sicherheit, Viktor …! Versuchen wir hier emporzuklettern …“ Und dann fügte er hinzu, da auch bei ihm der helle Jubel über diese glückliche Wendung der Dinge die Oberhand gewann: „Frei – – frei …!! – Viktor, wir werden die wiedersehen, die wir lieben!“

Mühsam klommen sie mit ihren geschwollenen Händen aufwärts.

Eine Fels- und Dornenwildnis empfing sie …

„Oh – hier finden wir schon ein Versteck!“ meinte Hartwich vergnügt. „Da – wahrhaftig – das siht ja wie ein Pfad aus! – Hm – ich hoffte, diese Schluchtseite würde nie betreten … Sehen wir, wohin der Pfad sich wendet …“

Doch – der hörte plötzlich vor einer fünf Meter hohen Felswand auf …

„Merkwürdig!“ Der Steuermann schaute ringsum. „Was hältst du hiervon, Viktor …?“

Eine … andere Stimme antwortete …

Von oben – aus der Mitte der Felswand heraus, wo auf schmaler Terrasse sich ein paar dicke Büsche angesiedelt hatten …

„Sennores, ich werde Ihnen die Strickleiter hinabwerfen …“

Die glitt schon abwärts …

Und wieder die angenehme tiefe Männerstimme:

„Kommen Sie nur … Hier bei mir sind Sie sicher … Ich habe die Szene unten in der Schlucht beobachtet. Ich bin, was Sie sind, ein Gegner des größten Schurken, der je den Präsidentenstuhl einer freien Republik besudelt hat!“

Zwischen den Büschen erschien jetzt auch ein Gesicht, das eines Weißen, der die landesübliche Tracht der Hazienderos trug …

„Mein Name ist Estevan Astarro,“ erklärte er leise. „Ich habe Ihnen viel mitzuteilen, Sennores …“

Hartwich kletterte voran. Als nun auch Gaupenberg sich durch die Büsche hindurchgezwängt hatte, als Sennor Astarro ihn an der Hand um eine Biegung des engen Felsenloches herumgeführt hatte, blieb er genau wie Hartwich sprachlos stehen …

Eine Grotte tat sich vor ihm auf, in der etwa dreißig Karbidlaternen brannten und eine Versammlung von Männern aller Farben beschienen …

Mehrere hundert Leute saßen hier in zwanglosen Gruppen auf dem Steinboden, rauchten, starrten jetzt sämtlich zu den neuen Ankömmlingen hinüber: Neger, Indianer, Mischlinge, Europäer – und alle bewaffnet, alle mit demselben breitrandigen hellgrauen Filzhut auf dem Kopf, der dieser Schar zum Teil recht verwegener Gestalten etwas Gleichartiges gab, zumal die Hüte vorn eine sehr große ovale Kokarde in den Landesfarben trugen.

Estevan Astarro geleitete die beiden Deutschen mit der ganzen verbindlichen Höflichkeit des Spaniers zu einer Gruppe von fünf Europäern, die etwas abseits saßen …

Stellte nun wie in einem Salon vor:

„Die Herren gestatten: Herr Graf Gaupenberg, Herr Steuermann Georg Hartwich – Oberst Raimondo, General Tascito, die Hazienderos Olgano, Terrassi und Vacuro …“

Gaupenberg und Hartwich verbeugten sich. Die anderen fünf, die sich rasch erhoben hatten, desgleichen …

Dass die beiden Deutschen hier aus dem Staunen nicht herauskamen, war nicht weiter erstaunlich …

„Verzeihung, Sennor Astarro,“ meinte der Graf verblüfft, „worher kennen Sie unsere Namen? Ich besinne mich nicht, daß …“

Astarro lächelte liebenswürdig …

„Nehmen Sie erst Platz. – Stühle sind leider nicht da … – Ich habe Ihnen Grüße zu bestellen … Von der Sphinx …“

Gaupenberg starrte ihn ungläubig an …

„Die Sphinx liegt nämlich mitten in den Urwäldern von Saltiporto, sechs Meilen nach Norden zu in den Ästen einiger Baumriesen wohlgeborgen, Herr Graf … Und an Bord befinden sich alle die, um deren Ergehen Sie und Ihr Freund fraglos recht besorgt sind – alle: Doktor Falz, Pasqual Oretto, Knorz nebst Teckel und die Damen Ellen, Agnes und Melanie … – Ich will Sie beide nicht länger auf die Folter spannen. Die Art, wie meine Freunde und ich die Insassen der Sphinx kennenlernten, ist etwas abenteuerlich. Die Sumpfinsel, über der die Sphinx gelandet ist, dient uns seit langem nicht nur als Versammlungsort, sondern auch als … Waffenlager. Als wir heute vormittag am Jahrestage der mißglückten Revolte meines Bruders Juan Astarro die Fürstin Sarratow, die damals diesen Aufstand gegen Armaro durch allerlei Intrigen zum Scheitern gebracht hatte, während einer Pumajagd nach genau vorbereitetem Plan verschwinden ließen, und als meine Freunde sie nach jener Insel geschafft hatten, wurden wir durch einen Zufall auf die Sphinx aufmerksam, verständigten uns dann friedlich mit Doktor Falz, lernten die übrigen Insassen kennen und versprachen, Sie beide noch heute zu befreien …“

„Ah – und deswegen dieses Heeresaufgebot, Sennor Astarro?“ meinte Gaupenberg mit etwas ungläubiger Miene.

Wieder lächelte der Spanier …

„Nein, Herr Graf … Nicht deswegen allein … Heute abend findet im Staatstheater in Taxata eine Festvorstellung zur Erinnerung an die vor einem Jahr blutig unterdrückte Revolution statt. An dieser Vorstellung wollen auch wir genau wie Armaro teilnehmen, nur daß wir dieses Schauspiel zum Drama umwandeln werden …“

Gaupenberg verstand …

„Eine … neue Revolution, Sennor Astarro?“

„In der Tat – die endgültige – nach langen Vorbereitungen, die mein Bruder Juan von der Insel Bona Vista aus geleitet hat, wo wir die nötigen Waffen und die Munition, sogar Maschinengewehre lagerten …“

Gaupenberg konnte nur wieder den Kopf schütteln.

„Übrigens hat mein Bruder Juan, Herr Graf, Ihren treuen Gottlieb schon auf Bona Vista kennengelernt … Auch Miß Ellen Barrouph – Verzeihung, Frau Ellen Hartwich wollte ich sagen …“ Und er nickte dem Steuermann heiter zu …

„Um nun Ihnen auch den Rest anzuvertrauen, Sennores, die Fürstin Mafalda befindet sich noch unter Bewachung in einem uralten Inka-Tempel auf der Sumpfinsel. Die drei Damen der Sphinx werden gegen neun Uhr in aller Stille durch meinen Bruder nach der Stadt gebracht werden. Sie können sie … im Theater wiedersehen … – Außer den hier Versammelten beteiligen sich noch an dem Aufstand zwei Regimenter der Garnison Taxata, ferner die Mannschaften der vier Strafkompagnien der Armee und einige hundert männliche Bewohner Taxatas. Ein Mißlingen des Umsturzes ist ausgeschlossen. Armaro ist völlig ahnungslos. Wir befreien zunächst die achtundzwanzig in der Zitadelle gefangenen Offiziere – und dann folgt der Hauptschlag gegen das Theater, wo die Spitzen der Behörden uns zu Gefallen heute beieinander sind …“

Hartwich hatte für all dies wenig Interesse …

„Wie geht es meiner Frau?“ fragte er den Haziendero, indem er ihm wie beschwörend die Hand hinstreckte. „All die Todesangst, die ich ausgestanden, war ja ein Nichts im Vergleich zu der Sorge um Ellen!“

Estevan Astarro erwiderte herzlich:

„Alle drei Damen sind bei bestem Wohlbefinden … Ich habe an Bord der Sphinx eine reizende halbe Stunde verlebt, nachdem Seine Exzellenz meine Hazienda verlassen hatte … Er hätte wissen sollen, daß es ihm abends an den Kragen geht, als er mein Tischgast war …“ – Und aus diesen letzten Sätzen sprach ein so wilder, ungezügelter Haß, daß Gaupenberg scheu fragte:

„Was geschieht mit Armaro?“

„Was er verdient hat …! Seine Anhängerschaft besteht lediglich aus Gesindel, dem unsere Republik nichts als Ausbeutungsobjekt war … Der anständige Teil der Bevölkerung wird jubeln, wenn Armaro vor seinem Palast noch in dieser Nacht bei Fackelbeleuchtung aufgeknüpft wird …!“ –

* * *

Als Jimminez’ Auto sich der Hauptstadt wieder näherte, kam ihm auf der breiten Straße in rasendem Tempo ein anderer mit fünf Herren in Zivil besetzter Kraftwagen entgegen.

Ein Mann wie Alfonso Jimminez war stets mißtrauisch. Die überschnelle Gangart dieses Autos hier inmitten des bereits recht lebhaften Wagenverkehrs machte ihn stutzig. Dann schien es ihm auch, als ob die fünf Männer in ihrer gleichartigen Kleidung nur allzu sehr an Geheimpolizisten erinnerten, und als ob sie ihn auch im Vorbeifahren mit besonderen Blicken gemustert hätten.

Jedenfalls, ein unbestimmter Argwohn war bei ihm rege geworden. Er fühlte sich mit einem Male nicht mehr sicher in dieser Rolle des ergebener Dieners Seine Exzellenz …

Unschlüssig überlegte er, ob er nicht besser täte, hier in der Negervorstadt auszusteigen und zu verschwinden.

An einer Straßenecke warf er einen schnellen Blick rückwärts …

Seine Lippen wurden schmal. Die große Limousine hinter ihm hatte kehrt gemacht, kam nun hinter ihnen her.

Da wußte er Bescheid …

Wußte, daß er irgendwie verraten worden war, daß sein Leben jetzt lediglich von seiner Kaltblütigkeit und Entschlossenheit abhing.

Wieder überlegte er …

Er kannter Armaro … Der würde ihn fraglos erst in seinem Arbeitszimmer verhaften lassen, nachdem er ihm den Verrat ins Gesicht gebrüllt – natürlich nach anfänglicher übergroßer Liebenswürdigkeit …

Und er, Jimminez, kannte ja den Palast in all seinen Teilen … Dort konnte er in den Fluren auf dem Wege zu den Staatsgemächern am leichtesten entschlüpfen …

So blieb er denn scheinbar in voller Gemütsruhe sitzen.

Der Kraftwagen fuhr vor der großen Freitreppe vor …

Ein schneller Blick, und Jimminez erkannte, daß die Wachen an den Portalen verstärkt waren.

Es kostete ihn ungeheure Anstrengung, auch jetzt gefaßt zu bleiben …

Er stieg aus, nickte dem Chauffeur zu und stieg die Treppe hinan – durch ein Spalier von Soldaten und Offizieren – wieder eine Treppe empor … Und – fand jeden Winkel besetzt – jeden …

Alle fünf Schritt stand ein Posten …

Da gab er sich verloren …

Und schritt doch stark und kraftvoll weiter …

Nie war er ein Feigling gewesen … Und – wenn er schon sterben mußte, dann sollte auch Armaro daran glauben!

Im Vorzimmer fand er den Adjutanten des Präsidenten, Admiral Torresco und einen Neger in dandyhafter Kleidung vor.

Der Adjutant war die Zuvorkommenheit selbst …

„Ich melde Sie sofort, Sennor Jimminez …“

Der Geheimagent trat an das eine Fenster und schaute über den weiten Platz zur alten Herz-Jesu-Kirche hinüber. Die Turmuhr zeigte halb sechs …

Der Adjutant war im Zimmer Seine Exzellenz verschwunden, kehrte sofort zurück …

„Exzellenz lassen bitten, Sennor Jimminez …“

Der Geheimagent trat ein, drückte die Tür ins Schloß … Der Vorhang fiel von selbst wieder zu …

Armaro saß am Schreibtisch, nickte Jimminez freundlich zu …

„Schon wieder da, Oberst? – Nehmen Sie Platz … So … Zigarette gefällig …? Bedienen Sie sich nur …“

Jimminez hätte ihm mit der Faust in das frische Gesicht schlagen können …

Und wie ihm dieser Wunsch so blitzartig durch den Kopf schoß, wie er dann noch auf der Platte des Schreibtisches in Griffweite der tadellos gepflegten Hand Armaros eine Repetierpistole liegen sah und ahnte, daß es ihm nicht glücken würde, seinen Revolver zu ziehen, da kam ihm wie eine Erleuchtung ein anderer Gedanke …

„Nun, wie war’s?“ fragte Armaro abermals lächelnd … Und er schob ihm mit der Linken das Feuerzeug hin. Die rechte Hand blieb in der Nähe der Waffe.

Jimminez ließ den Docht des Feuerzeuges aufflammen, rauchte einen Zug …

„Exzellenz, ich habe die beiden Deutschen entfliehen lassen,“ sagte er leise …

Armaro war über diese Erklärungen so verblüfft, daß er Jimminez unsicher anschaute und zunächst gar nichts über die Lippen brachte – – nur ein paar Silben, die unverständlich blieben.

„Exzellenz, ich mußte es tun…“ fuhr der Geheimagent ebenso leise und geheimnisvoll fort … „Graf Gaupenberg hat mir die Vorgänge auf der Zitadelle und die im Erbbegräbnis der Familie Rosario geschildert und behauptet, daß zwei amerikanische Detektive die Ereignisse bei dem Kirchhof beobachtet hätten … Sie haben die Autos gesehen, meinte er, und der eine habe nachher die Leiche der Frau Juanita Rosario in dem einen Zinkssarge …“

Armaros Stirn war immer faltiger geworden … Die Wangen hatten die frische Farbe verloren …

Er unterbrach Jimminez mit einem heiseren Fluch …

„Karamba – woher weiß der Deutsche das alles?!“

„Offenbar doch durch einen Mann aus Fort Benvenuto, Exzellenz …“

Armaro sprang auf … stützte sich auf die Tischplatte …

„Und – Sie ließen die beiden entfliehen …?“ fragte er ebenso gepreßt …

„Ich nahm sie mit verbundenen Augen mit dem Auto aus dem Fort … Im Walde führte ich sie in eine Schlucht. Hier versicherte mir der Graf nochmals, daß die Detektive gegen Euere Exzellenz wegen Ermordung der Juanita Rosario sofort vorgehen würden, falls die deutschen Herren erschossen werden sollten …“

Armaro war viel zu bestürzt und verwirrt, um sofort die vielfachen Widersprüche in diesen Angaben des Geheimagenten herauszufinden …

Am stärksten traf ihn der Vorwurf der Ermordung der Frau Rosario. Schweiß perlte auf seiner Stirn … Seine Lippen zuckten … Und ein Blick traf Jimminez, in dem ebenso viel ungezügelter Grimm wie versteckte Angst lauerten …

Dann – – vergaß er alles andere …

Die Wut kam zum Durchbruch …

Keuchend zischte er Jimminez an:

„Sie … Sie lügen … Du Lump hast mich schon vorher belogen … Du bist gesehen worden, wie du die amerikanische Gesandtschaft durch den Hintergarten betratst … Du kamst erst nach einer Stunde wieder heraus … Im Vorzimmer steht der Beamte, der dich beobachtet hat, du – – Lump!!“

Er schnappte nach Luft … Er hatte jede Selbstbeherrschung verloren …

Jimminez war ein Präsident Armaro in diesem Zustande nur angenehm …

Er lächelte aus seinem Polsterstuhl freundlich nach oben …

„Und – was beweist mein Besuch in der amerikanischen Gesandtschaft, Exzellenz?“ fragte er mit listigem Augenzwinkern …

Armaro faßte sich … War abermals verblüfft …

„Exzellenz, gar nichts beweist das … Oder vielmehr nur meine Ergebenheit Euerer Exzellenz gegenüber …“

José Armaro war sprachlos, ließ sich wieder in den Sessel fallen …

„Wenn ich Exzellenz bitten dürfte, dem Adjutanten draußen im Vorzimmer zu befehlen, den Polizeibeamten, den Neger, hereinzuschicken …“

„Wozu das?!“ – Armaro hatte sich noch nicht völlig wieder in der Gewalt …

„Der Mann soll nur beurkunden, ob er auch gesehen hat, daß ich die Räume der Gesandtschaft betreten habe … – Exzellenz, mein Bruder Ramon ist Koch bei Mister Barrouph, und ich habe lediglich Ramon in der Küche besucht und ihn ausgehorcht, wie man im Hause über Miß Ellens Verschwinden denkt … – Bitte, Exzellenz, darf ich den Polizeibeamte holen …?“

Er stand schon auf und eilte zum Ausgang, schlug den Vorhang zurück und öffnete die Tür halb …

Da rief Armaro:

„Schon gut – lassen Sie das!“

Und – dies hatte Jimminez gewollt. Armaro sollte im Vorzimmer gehört werden! Armaros Verhalten sollte den Eindruck machen, als ob er über Jimminez anders als vohin dächte …

Jimminez nickte dem Adjutanten lächelnd zu, bevor er die Tür wieder schloß …

Und dann kam er zum Schreibtisch zurück …

Schien wieder Platz nehmen zu wollen …

Seine mächtige Faust schmetterte herab … Und bewußtlos fiel Armaro von seinem Sitz halb auf den Teppich …

Jimminez setzte ihn wieder in den Sessel, schob diesen halb herum, so daß man von der Tür nur zum Teil Armaros Profil sehen konnte …

Und ging abermals zum Eingang, öffnete ihn ein wenig, wandte sich um, verbeugte sich …

„Ich habe Exzellenz vollkommen verstanden,“ sagte er laut und hastig …

Trat ins Vorzimmer, schloß die Tür …

Und zum Adjutanten:

„Exzellenz verlangt den Polizeichef sofort zu sprechen … Ein unerhörter Betrug …!! Exzellenz telephoniert mit einem der Minister … – und Sie …,“ wandte er sich an die Neger und Admiral Torresco, „sollen mich begleiten …“

Das Spiel war gewagt. Aber – es glückte. Frechheit führte hier einmal mehr zum Siege …

Jimminez eilte durch die Flure zu den Privatgemächern Armaros. Hinter ihm her keuchten der Fettwanst Torresco und der Neger …

„Warten Sie hier,“ befahl Jimminez dann und verschwand in einem der Räume, die einen Ausgang nach dem Parker hatte …

Vier Minuten darauf kletterte er über die Nordmauer des großen Parkes und befand sich nun in den öffentlichen Anlagen vor dem Kriegsministerium.

In einer Friseurstube ließ er sich den Vollbart abnehmen, kaufte in einem Laden einen Hut und einen leichten Regenumhang, bestieg einen Mietwagen und fuhr völlig verändert dem Kirchhof zu, wo Murat, der Homgori, ihn erwartete …

 

110. Kapitel.

Giacomos heiße Liebe …

Als die Freunde Estevan Astarros die Fürstin Sarratow aus dem Boot gehoben und nach dem Inkatempel auf der Sumpfinsel geschafft hatten, nahm man ihr hier endlich den Knebel aus dem Munde.

Die Männer, die sie jetzt umstanden, hatten ihre Masken entfernt. Es waren sämtlich Europäer, Weiße, wenn auch Patalonianer.

Einige erkannte Mafalda von früher her …

Etwas scheu musterte sie diese finsteren, drohenden Gesichter …

Da sagte der eine, der Haziendero Vacuro, schon:

„Heute vor einem Jahr wurde die Revolution blutig niedergeschlagen – durch Ihre Schuld …! Ein Wunder, daß wir, die Sie hier um sich haben, der Rache Armaros entgingen. – Er hatte keine Beweise gegen uns …“

Mafalda war erbleicht …

„Dreißig der besten Männer dieses Landes wurden damals erschossen … Abgesehen von denen, die in dem ungleichen Kampfe und im Hinterhalt fielen …“

Die Fürstin hatte sich schon wiedergefunden …

„Töten Sie mich doch!“ sagte sie verächtlich …

„Wir sind keine Mörder, Mafalda Sarratow … Wir werden Sie bestrafen – – hart genug! Sie werden das Licht des Tages nie mehr schauen … Ihre Dirnenschönheit soll in der Finsternis dahinschwinden …“

Er drehte sich um … Und wieder zwangen harte Fäuste die Fürstin ein paar Schritte vorwärts – bis dicht vor den großen viereckigen Stein in der Mitte der Tempelhalle.

Dieser Stein, so schwer er aussah, war unten vollkommen ausgehöhlt und ließ sich bequem zur Seite drücken.

Ein quadratisches Loch kam so zum Vorschein. Eine Holzleiter lehnte in der Öffnung.

„Steigen Sie hinab,“ befahl der Haziendero …

„Mit gefesselten Händen?!“ rief Mafalda noch verächtlicher. „Haben Sie Angst vor einem Weibe?! Es scheint so …“

Vacuro löste die Stricke …

„Steigen Sie hinab …!“

Zwei der übrigen Männer hatten Laternen angezündet …

Die Fürstin erbebte jetzt doch im tiefsten Inneren. Diese wortkarge Unerbittlichkeit ihrer Feinde zeigte ihr nur zu deutlich, daß man sie tatsächlich in den Gewölben des Tempels für immer verschwinden lassen wollte.

Sie zögerte, wandte den Kopf. Ihre halb zugekniffenen Augen begegneten nur finsteren harten Gesichtern …

Nein – nicht all diese von der Sonne der Tropen gebräunten Züge verrieten feindselige Gleichgültigkeit. Da war ein einziger unter diesen Verschwörern, ein blutjunger Mensch mit einem weichen, fast schwärmerischen Antlitz. Ein wahrer Künstlerkopf saß auf einem schlanken, wenn auch kräftigen Leibe. Und dieses vielleicht neunzehnjährigen Jünglings langbewimperte dunkle Augen strahlten aus seelenvoller Tiefe geheimes Mitleid aus …

„Steigen Sie hinab!“ rief Vacuro noch schroffer und umkrallte Mafaldas linken Arm, schob sie der Leiter zu …

Sie gehorchte jetzt mit einem kurzen verachtungsvollen Auflachen …

Nur Vacuro und die beiden Leute mit den Laternen kamen hinter ihr drein.

Die Fürstin sah sich in einem niederen Raume, der genau der Größe der Tempelhalle oben entsprach. Außer ein paar leeren Kisten, einem Berg von Holzwolle und drei aus Kistenbrettern zusammengeschlagenen Betten mit Decken und groben Kissen enthielt der Keller nur noch drei kleinere eiserne Öfen, deren Rohre durch die Decke irgendwohin nach oben führten.

Vacuro deutete auf eine der Kisten, die mehr abseits stand …

„Sie finden dort Lebensmittel und Trinkwasser … Eine Laterne lassen wir Ihnen hier. Sie werden dauernd bewacht werden, bis wir Ihnen eine sichere Zeile anweisen.“

Er winkte. Die drei stiegen nach oben. Die Leiter wurde emporgezogen, und sechs Mann schoben wie vorhin den Steinblock über die Öffnung.

Vacuro trat ins Freie …

Die mächtigen Urwaldriesen rauschten leise. Von dem sumpfigen Wasserbecken, das die Insel umgab, drang der Lärm vieler Vögel herüber.

„Ein unangenehmes Geschäft,“ meinte der Haziendero zu seinem Freunde. „Gut, daß es erledigt ist … Dieses Weib hätte uns vielleicht auch heute wieder den Spaß verdorben – wie vor einem Jahre …!“

Er sah nach der Uhr …

„Machen wir, daß wir hier wegkommen … – Rasardo, Sie bleiben also hier … Morgen früh wird in Taxata ein anderer Wind wehen. Dann bringen wir das Weib in die Zitadelle …“

Giacomo Rasardo, der Jüngling, machte dem Haziendero eine respektvolle Verbeugung … „Wie Sie befehlen, Sennor …“

„Sie wissen ja Bescheid,“ meinte Vacuro. „Fliehen kann die Fürstin nicht … Es genügt ein einzelner als Wache. Wir brauchen unsere Leute. Auf Wiedersehen also, Rasar …“

Die letzte Silbe blieb unausgesprochen …

Oben in den Ästen der den Inkatempel überschattenden Bäume war dumpfes Krachen ertönt, und aus dem Blätterdach kam nun blitzschnell ein zottiger Körper zum Vorschein – einer der beiden Homgoris, die von Falz den Befehl erhalten, die Männer zu beobachten …

Der Homgori hatte noch den dicken morschen Ast umklammert, der unter dem Gewicht des Affenmenschen soeben abgebrochen war und seinen Sturz verursacht hatte.

Der Homgori landete dich vor der Treppe im Grase, hatte zwar nicht ernstlichen Schaden durch den Anprall auf die Erde genommen, vermochte sich jedoch nicht sofort wieder aufzurichten …

Die Hazienderos wußten im ersten Augenblick nicht recht, was sie aus dem merkwürdigen Geschöpf machen sollten, das, halb Affe, halb Neger, dort dicht vor ihnen lag und drohend die Zähne fletschte …

Sie hatten ihre Revolver im Nu zur Hand …

Vacuro brüllte: „Ein Spion …! Verrat …!“

Und – in diesem Moment hing das Leben des Homgori in der Tat an einem Spinnwebfädchen …

Schon krümmten sich mehrere Finger um den Abzug ihrer gespannten Revolver …

Dann aber rief einer der Leute – und nur dieses Wort rettete den Tiermenschen:

„Halt …! Schießt nicht!“

Fügte sofort hinzu: „Erinnert euch, was Juan Astarro uns vor wenigen Stunden von den unwillkommenen Gästen auf Bona Vista erzählte … von dem Deutschen mit der Hakennase, von Miß Barrouph und deren drei seltsamen Begleitern, von denen der eine namens Murat mit dem Lasso weggefangen wurde …“

Er trat näher an den Homgori heran …

„Verstehst du die englische Sprache …?“

Der Zottige nickte …

Ein weiteres Verhör wurde überflüssig.

Doktor Falz kam rasch den Pfad entlang auf den Tempel zu. Er winkte beruhigend, und seine ganze Erscheinung und seine Art, wie er nun mit wenigen Worten die Situation klärte, führte schnell zu einer Verständigung.

„Sennores,“ sagte er, neben dem Homgori stehen bleibend, „wir haben beobachtet, daß Sie die Fürstin als Gefangene hierher brachten. Sie ist auch unsere Gegnerin, genau so wie Präsident Armaro uns auf der Insel Christophoro nach dem Leben getrachtet hat.“

Diese Sätze genügten. Die Hazienderos waren ja bereits durch den jetzt von Bona Vista nach Patalonia zurückgekehrten Juan Astarro, der dort vor Knorz und Ellen den Unsichtbaren gespielt hatte, über die Sphinx und deren Insassen genau unterrichtet worden.

Vacuro näherte sich Doktor Falz …

„Sennor, das hätte uns leid getan, wenn wir den Affenmenschen erschossen hätten … Mein Name ist Vacuro. Ich weiß, daß wir Sie als Verbündete betrachten dürfen …“

Gleich darauf befanden sich die Hazienderos mit Ausnahme Giacomo Rasardos oben auf der Sphinx, wo einige von ihnen freudig Ellen Barrouph als Bekannte begrüßten.

Vacuro nahm den Doktor abseits und weihte ihn in die für diesen Abend geplante neue Revolution in großen Zügen ein.

Falz war nachher auch ganz einverstanden, daß Ellen Barrouph bei der heutigen Festvorstellung im Staatstheater eine besondere Rolle spielen sollte, da Vacuro wiederholt die völlige Gefahrlosigkeit dieser Mithilfe der jungen Amerikanerin beim Sturze ihres Entführers betonte.

Nachdem man noch alle Einzelheiten genau vereinbart hatte, verließen die Hazienderos die Insel. Der junge Giacomo blieb zurück, obwohl Falz die Bewachung Mafaldas übernehmen wollte. Vacuro meinte aber, Rasardo sei als Künstler, als leidenschaftlicher Geigenspieler, bei dem gefährlichen Vorhaben doch kaum zu gebrauchen …

„Es ist besser, er bleibt hier, Sennor Falz … Er ist ein ganz aus der Art geschlagener Sohn meines Freundes und Nachbarn Rasardo, dazu einziges Kind … Es wird ja fraglos zu Kämpfen kommen, und – – na, Giacomo ist eben zu wenig Mann!“

Die Hazienderos ruderten in ihrem Boot davon. Falz und Gottlieb winkten ihnen noch nach und begaben sich dann zum Tempel, wo der junge Rasardo auf der großen Stufe der Steintreppe saß und leise eine schwermütige Melodie pfiff …

Ihm war dieses Alleinbleiben hier nur lieb gewesen. Und als Knorz ihm nun Gesellschaft leisten wollte, lehnte er das gut gemeinte Anerbieten mit dem Bemerken ab, daß er ein wenig umgänglicher Mensch sei und die Einsamkeit als Wohltat empfinde …

Diese Bemerkung durchflocht er mit so viel poetischen Redewendungen, daß der brave Gottlieb froh war, mit diesem versonnenen weltfremden Jüngling sich nicht unterhalten zu müssen.

Als er mit Falz wieder den Pfad entlangschritt, um zur Sphinx nach oben zu klettern, meinte er belustigt:

„Ich hätte nicht geglaubt, daß es solche Käuze hier in diesem Lande gäbe … Der Rasardo sieht ganz so aus wie ein Violinspieler aus einem unserer Witzblätter … ’ne ulkige Kruke ist das!“

Nun – die ulkige Kruke Giacomo hatte leider wie die meisten Künstler trotz seiner Jugend eine große Schwäche für die holde Weiblichkeit.

Während er noch immer sein trauriges Lied vor sich hin pfiff, beschäftigte er sich dauernd in Gedanken mit Mafalda Sarratow …

Sie als frühere und abermalige Geliebte des Tyrannen Armaro war ihm schon aus diesem Grunde interessant und von jenem anrüchigen Nimbus der Weltdame umgeben, von denen es in der kleinen Republik auch nicht eine einzige Vertreterin großen Stils gab.

Was Giacomo bisher an Frauen und Mädchen als Sohn eines der reichsten Hazienderos des Landes kennengelernt hatte, war ihm alles recht spießbürgerlich erschienen.

Mafalda war für ihn ein Geschöpf aus einer anderen Welt. Ihr Gesicht, ihre Gestalt, ihre Bewegungen – alles reizte seine Phantasie …

Ein leises Bedauern schlich sich so allmählich in sein schwärmerisches Herz ein. Er fühlte Mitleid mit ihr …

Wenn er sich vorstellte, wie sie nun da unten in dem muffigen Gewölbe, das bis gestern Waffen und Munition enthalten hatte, die man nur durch die Öfen vor der Feuchtigkeit geschützt hatte, so allein trübselig und verzweifelt den engen Raum vielleicht mit ruhelosen Schritten durchmessen würde, wenn er sich dabei noch ihre verführerische Schönheit vergegenwärtigte, die in lebenslänglicher Kerkerhaft dahinschwinden sollte, dann – – zog es ihn mit aller Gewalt zu ihr hin, um ihr wenigstens ein tröstendes Wort zu spenden.

Er war jung. Er kannte noch keine Leidenschaften politischer Art … Er hatte bisher dahingelebt wie in einer Traumwelt …

Heute zum ersten Male hatte ihn sein Vater gezwungen, auch etwas zum Wohle des Vaterlandes zu tun … Nur widerstrebend hatte er dann die Gefangennahme Mafaldas während der Pumajagd mitgemacht. Schon im Boot tat die Fürstin ihm unendlich leid, wie sie da gefesselt und geknebelt unter den grünen Zweigen gelegen hatte. –

Er erhob sich langsam …

Ihm war eingefallen, daß man durch eines der Ofenrohre, die im Gestrüpp an der Rückwand des Tempels mündeten, wohl hören müßte, was die Fürstin triebe.

Er schlich dorthin, drang in das Dickicht ein und stand nun vor der Öffnung des einen Rauchabzugs. Schwarze Rußflocken bedeckten innen das Rohr in dicker Schicht. Er lauschte. Hörte nichts … Er war ein zu unpraktischer Mensch, um sich zu sagen, daß die eisernen Öfen oben durch Ringe verschlossen seien, und daß nur sehr laute Geräusche den Weg hier nach oben finden könnten.

Mit einem Male befiel ihn die Angst, daß die Fürstin sich ein Leid angetan haben könnte …

Seine Phantasie zeigte ihm ein scheußliches Bild: Mafalda, in einer Schlinge hängend, mit blaugedunsenem Gesicht und heraushänger Zunge!

Er erbleichte über dieser Vision …

Und blindlings lief er um den Tempel herum, hob einen dicken langen Ast auf und stürzte in die Tempelhalle …

Giacomo war überaus kräftig für seine Jahre, wie all diese jungen Leute, die auf den Hazienden in steter frischer Luft aufwuchsen.

Ohne Besinnen benutze er den Ast als Hebel, um den hohen Steinblock zur Seite zu schieben … – –

Mafalda hatte noch minutenlang an derselben Stelle gestanden, nachdem die drei Männer sie verlassen hatten.

Sie war nur anfänglich wie betäubt gewesen. Ihr Blick begann nun umherzugleiten. Dann schritt sie auf die Kiste zu, auf die die Laterne von dem Haziendero gestellt worden war.

Sie ergriff das Licht, horchte erst eine Weile und besichtigte dann ihren Kerker …

Überall Steinquadern – selbst der Fußboden …

Steinquadern, die sich nicht einmal durch Brecheisen verrücken lassen würden …

Und nun … trat ihr Fuß neben dem Berg von Holzwolle auf eine Gewehrpatrone.

Sie hob sie auf …

Ihr Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an.

Sie suchte weiter, durchwühlte die Holzwolle, fand … vier leere Pappschachteln von besonderer Form: Gewehrpatronen in Rahmen waren darin gewesen! Die Eindrücke in der Pappe verrieten es.

Sinnend hing Mafaldas Blick nun an den Holzkisten – den Öfen …

Ihr Geist arbeitete, kombinierte …

Langsam wurde ihr klar, wozu man dieses Gewölbe benutzt hatte …

Und – ebenso kam sie auch zu der Überzeugung, daß ihre Gefangennahme mit einem neuen Putsch gegen Armaro in engster Verbindung stehen müsse.

Sie erschrak …

Sie dachte nicht mehr daran, daß sie selbst nun wehrlos, abgeschnitten von aller Welt …

Sie sah nur ihre eigenen Pläne gefährdet …

Gewiß, Armaro sollte gestürzt werden! Aber nicht durch diese Patrioten! Nein – durch Mafaldas Werkzeuge, durch den dicken Torresco und durch die anderen ihr blind ergebenen Offiziere, damit Torresco als Nachfolger Armaros ihr ein bequemer Verbündeter würde, damit sie in Wahrheit dieses Land regieren konnte …!

Ihr maßloser Ehrgeiz, ihre Herrschsucht hatten jetzt, nach dem Viktor Gaupenberg ihr verlorengegangen, nur ein Ziel: Hier in Patalonia ähnlich wie einst die große Kaiserin Katharina die Zweite in Rußland die Despotin spielen zu können …!

Und nun drohten andere die Gewalt an sich zu reißen …

Nun schienen auch diese ehrgeizigen Träume in Nichts zu zerrinnen …

Mafaldas stand regungslos und starrte vor sich hin ins Finstere …

Langsam drang ihr die eigene verzweifelte Lage zum Bewußtsein …

Gefangen …!!

Eine ohnmächtige Wut erfaßte sie …

Und gerade da – schräg über ihr, wo der hohle Steindeckel sich wölbte, Geräusche …

Sie horchte … schaute …

Sah, daß der Stein sich bewegte, daß ein Ast in die Spalte geklemmt wurde …

Ein einzelner nur konnte sich in der Weise mit dem Steine abquälen – nur ein einzelner Mann …

Mafalda, Tigerin Mafalda, lachte lautlos …

Sank auf den Haufen Holzwolle nieder, schloß die Augen …

Wartete …

Hörte, wie die Leiter hinabgelassen wurde …

Eine junge Stimme …

Und – jubelnd schwoll ihr das Herz im Triumph …

Still lag sie – ganz still …

Wieder rief Giacomo – noch ängstlicher …

„Fürstin – so melden Sie sich doch!“

Vorsichtig stieg er die Leiter hinab, erblickte die reglose Gestalt …

Tot – – tot …?

Und scheu trat er näher …

Ließ den Arm mit dem Revolver sinken, beugte sich über das schöne Weib …

Bis … zwei Arme ihn umschlangen, bis er stolpernd halb den brünstigen Leib deckte …

Und weiche Lippen die seinen fanden … –

Oben rauschten die Urwaldriesen ihr Märchenlied …

Unten im Gewölbe des heiligen Inkatempels feierte unheilige Liebe ein gieriges Fest …

Giacomo ruhte in den Armen einer Zauberin …

Giacomos Jugend fand kein Genüge in stürmischen Zärtlichkeiten …

Die Zauberin Circe verwandelte ihn in einen Verräter an Vater und Freunden. Ihr heißer Mund flüsterte Lüge auf Lüge – daß sie schuldlos sei, daß er sie entfliehen lassen solle, daß sie sofort das Land verlassen würde.

Giacomo glaubte. – Sein Hirn war leer vom Sinnentaumel. Seine Augen trübe …

Mafalda drängte ihn von sich …

„Hilf mir …!“ flehte sie, und ihre erlogenen Tränen flossen wie rührende Bächlein … „Hilf mir … Wir erweitern das Loch, durch das eins der Ofenrohre nach oben führt … Dann weiß niemand, daß du Mitleid mit mir gehabt …“

Ein langer Kuß fachte seine Kräfte wieder an …

Sie arbeiteten beide – wie Verzweifelte … eine halbe Stunde …

Dann … der Abschied …

Giacomo flehte: „Nimm mich mit, du meine Sonne …!! Was gilt mir das Leben ohne dich?!“

„Wir treffen uns im Norden – in Caracas, Liebster … Folge mir … Ich werde im Hotel ‚London’ absteigen … Aber sei vorsichtig, damit niemand auf den Gedanken kommt, daß du mit mir ein Wiedersehen verabredet hast …“

Giacomos hielt ihre beiden Hände …

Die seinen zitterten, waren glühend heiß …

„Ich bin häufig in Caracas – der guten Konzerte wegen …“ Er stieß es hervor wie ein Trunkener … „In drei, vier Tagen bin ich bei dir …“ Und er sank vor ihr in die Knie, umfaßte ihre Hüften, wühlte den Kopf in ihre Röcke – vor Trennungsweh.

Er war so jung noch, der Schwärmer Giacomo …

Und so töricht …

Über ihm lächelte Mafalda Sarratow ihr häßlichstes Lächeln …

Dann zog sie ihn empor. Sie wollte fort … Nicht nach Caracas … niemals!

Und fragte, sich an ihn schmiegend:

„Beschreibe mir den Weg durch den Urwald, die Sümpfe …“

Er sammelte seine Gedanken …

„Weg – – Weg?!“ Er erschrak … „Ohne Boot – du allein?! – Oh – es wird dir nie gelingen …“

„Glaubst du?! Unterschätze mich nicht … – Ich werde schwimmen, wenn es nottut … – Rasch – sage mir das Nötigste …“

Und er gab Bescheid so gut er konnte.

Nochmals küßte er sie dann …

Jetzt ohne Gier, nur erfüllt von dem bitteren Schmerz sie zu verlieren … –

Mafalda schwang sich empor. Das schräge Loch nach außen war so eng. Ihr Jagdkostüm ging in Fetzen.

Dann war sie im Freien …

In ihrer Jackentasche steckte Giacomos Revolver …

Wie eine Tigerin, lautlos, schleichend, stets sichernd – schlüpft sie durch Büsche und über kleine Lichtungen – bis ans Westufer der Sumpfinsel …

Tigerin Mafalda …! Abenteurerin, Intrigantin …

Zog den Reitanzug vom schlanken Leibe, stand da in den seidenen dünnen Unterkleidern … Ein Bündel schnürte sie aus dem Anzug, tat den Revolver mitten hinein … Der Gürtel der Jacke hielt das Bündel auf dem flachen Reithute fest. Ihre Stiefel versenkte sie …

So stieg sie ins Wasser … Schwamm … Zwischen Sumpfpflanzen hindurch, deren Stengel sich wie in Liebesgirren um ihre Beine schlangen …

Kam drüben an, tauchte im Halbdunkel der Wildnis unter, schritt über schwankenden Boden, wo unter ihrem leichten Fuß das braune Wasser hervorquoll …

Zwei Stunden so … Mit zerfetzten Strümpfen, bloßen Füßen, wunden Sohlen … Und doch – keinen Schmerz fühlte sie, keine Müdigkeit …

Endlich in der Ferne offenes Land, Hügel, Felder, die armselige Blockhütte eines Ranchobesitzers, ein Stall daneben, eine Fenz für das Vieh …

Die Sonne, schon im Sinken begriffen, warf letzte Strahlen über das friedliche Gehöft.

Mafalda näherte sich der Hütte … Vor der Tür spielten zwei nackte Mulattenrangen …

Als sie die Fremde erblickten, eilten sie schreiend ins Haus. – Ein bärtiger Kerl kam vor die Tür, beäugte die Sennorita …

Die Fürstin war stehen geblieben. Dieses einsame Gehöft behagte ihr nicht. Sie ärgerte sich, daß sie vergessen hatte, die kostbaren Ringe von den Fingern zu ziehen. In ihren Ohrläppchen funkelten noch die Brillantboutons … – Sie kannte den Charakter dieser Rancheros, dieser Mulatten, die mehr Pferdediebe als Viehzüchter waren …

Dann winkte sie dem Menschen, behielt die rechte Hand für alle Fälle in der Jackentasche … am Revolverkolben.

Langsam schlenderte der stiernackige Kerl herbei.

Mafalda bat um ein paar kleine Marachos, die landesüblichen Sandalen …

Und – warf dem Mulatten als Bezahlung einen ihrer Ringe hin, den der Ranchero denn auch geschickt auffing …

„Sofort, Sennorita …,“ rief er katzbuckelnd nach einem prüfenden Blick auf das Kleinod …

„Halt – noch zwei Ringe, wenn Ihr mir ein gesatteltes Pferd leiht … Ich will nach Taxata zurück, hatte mich verirrt …“

Der Mulatten fixierte sie plötzlich schärfer …

„Sennorita, seid Ihr die, nach der Präsident Armaro suchen läßt?“ fragte er atemlos …

„Ja … – Rasch – ein Pferd, Amigo … Exzellenz wird euch belohnen …“

Der Kerl war wie verwandelt, rannte ins Haus, brachte die Sandalen, rannte in die Fenz, fing ein Pferd ein, führte es zum Stall, sattelte es im Nu …

Mafalda stand jetzt dicht dabei …

Noch zwei Ringe glitten in die braune Pranke …

„Wie komme ich am schnellsten nach Taxata, Amigo?“

„Drüben läuft die Straße nach der Hazienda Astarro entlang, Sennorita … Die müßt Ihr nach links verfolgen. Dann gelangt Ihr bald auf den Hauptweg. Wenn Ihr scharf zureitet, könnt Ihr gegen zehn Uhr in Taxata sein …?“

Zehn Uhr?! Und – – was hatte doch Giacomo, der junge Narr, verraten? Um – – halb zehn sollte der Putsch beginnen – im Staatstheater …

Mafalda biß sich auf die Lippen …

„Und wenn ich das Pferd zu Tode hetze, schaffe ich’s dann in einer Stunde?“ stieß sie hervor …

„Vielleicht, Sennorita …“

Sie war schon im Sattel … Hatte rasch noch von einem Dornbusch einen fingerdicken Zweig abgebrochen, unten die Stacheln entfernt …

Ein Hieb traf den Gaul, daß er aufwiehernd vorwärtsschoß …

Der Mulatte murmelte erstaunt:

„Caramba, – – die schafft’s in einer Stunde – – die schafft’s …!“

Mafalda bog jetzt aus dem Feldweg in die breitere Straße ein …

Bäume und Buschwerk rahmten diese …

All das flog an der Reiterin vorüber wie Schatten.

In der Ferne glaubte sie zwei einsame Wanderer zu bemerken. Eine Biegung entzog sie ihren Blicken … Und als sie die Biegung hinter sich hatte, lag die Straße leer …

Der Gaul hetzte vorwärts … Immer wieder trafen die unbarmherzigen Hiebe seine Flanken …

Bis … gerade vor Mafalda aus einem Busche blitzschnell ein zottiges Geschöpf vorprellte …

Murats grimmes Homgorigesicht fletschte die Fürstin drohend an …

Der Gaul stand zitternd still …

Und von der Seite Jimminez’ Stimme:

„Freue mich, dich zu treffen, Mafalda … Habe mich schon recht nach dir gesehnt …“

Schon war er neben ihr, riß sie aus dem Sattel – brutal, ohne jede Schonung … Hart fiel sie in den gelben Staub der Straße …

Ihr Hirn siedete …

Alles stand auf dem Spiel …

Und wie ein Ball schnellte sie wieder hoch …

Den Revolver heraus …

Mit Murats Gewandtheit hatte sie nicht gerechnet … Der Homgori sprang sie an … Seine ungeheure behaarte Faust traf ihr Handgelenk … Die andere krallte sich um ihre Kehle …

Mit schwindendem Bewußtsein vernahm sie noch Jimminez’ befehlenden Ruf:

„Laß sie leben, Murat …! Der Tod wäre denn doch zu leicht für diese Bestie …!“